In eigenem Auftrag - Markus Wolf - E-Book

In eigenem Auftrag E-Book

Markus Wolf

5,0

Beschreibung

Als Markus Wolf in der Silvesternacht des Jahres 1988 zusammen mit seiner Familie das neue Jahr begrüßt, ahnt er gleich allen anderen Menschen in Ost und West nicht, dass am Ende dieses Jahres alles ganz anders sein wird: Das Politbüro wird entmachtet sein, die SED wird in ihrer zuletzt völlig erstarrten Form nicht mehr existieren, der Warschauer Vertrag wird zerbröckeln, freie Wahlen im bürgerlichen Sinne, eine Währungsunion mit der Bundesrepublik und die schließliche Vereinigung kündigen sich an. Dieses seit langem vergriffene Buch ist nicht nur Chronik des alles verändernden Jahres 1989 aus der Sicht eines prominenten DDR-Bürgers, es ist auch Niederschrift privatester Vorgänge und persönlichster Gedanken sowie zeitgeschichtliche Ergänzung zum zwischenzeitlich veröffentlichten großen Memoirenband eines der berühmtesten »Spionagechefs im geheimen Krieg«.

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Seitenzahl: 465

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Markus Wolf

In eigenem Auftrag

Bekenntnisse und Einsichten

Tagebuch 1989

edition berolina

eISBN 978-3-95841-525-6

1. Auflage

Alexanderstraße 1

10178 Berlin

Tel. 01805/30 99 99

FAX 01805/35 35 42

(0,14 €/Min., Mobil max. 0,42 €/Min.)

© 2016 by BEBUG mbH / edition berolina, Berlin

© 1991 by Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH, Berlin

Umschlaggestaltung: BEBUG mbH, Berlin

Umschlagabbildung: Günther Gueffroy

www.buchredaktion.de

Geleitwort für die Neuausgabe 1999

Es ist aufregend, die Tagebucheintragungen und Gedanken des Schicksalsjahres 1989 noch einmal zu lesen. Zehn Jahre sind vergangen, und doch ist alles nah, als ob es gestern gewesen wäre. Das Manuskript hat eine eigene, noch nicht geschriebene Geschichte. »In eigenem Auftrag« sollte wie sein Autor ausgegrenzt werden. Das im September 1990 druckfertige unveröffentlichte Buch begleitete Andrea, meine Frau, und mich in die deutsche Einheit, auf der Flucht über Österreich nach Moskau, bis der Druck der ersten Ausgabe mit unserer Rückkehr nach Deutschland im September 1991 zusammenfiel. Jede Zeile lebt in uns, sollte so, wie sie mit heißer Feder aufgeschrieben wurde, erhalten bleiben. An meinen Tagebucheintragungen wurde für diese Neuauflage nichts verändert. Aber selbstverständlich stimmt nicht jeder Gedanke von gestern mit meinen Gedanken von heute überein.

Bei meiner Ansprache am 4. November 1989, dem Schlüsselerlebnis jenes Jahres, glaubte ich, wie die meisten Redner auf dem Berliner Alexanderplatz, an die Möglichkeit einer demokratisch reformierten sozialistischen DDR. Im Vorwort zur ersten Ausgabe, das kurz vor der Rückkehr nach Deutschland im September 1991 geschrieben wurde, zitierte ich die in meiner Ansprache an Michail Gorbatschow gerichteten Dankesworte.

Auch diese Worte habe ich nicht zurückzunehmen; sie entsprachen der weit verbreiteten Stimmung in der DDR. Leider ersparten uns der damalige erste Mann des großen Verbündeten und seine Berater inzwischen keine Enttäuschung auf dem argen Weg der Erkenntnis. Der Leser wird hier zwar erste Zweifel finden, noch nicht aber die Wahrnehmungen während des Aufenthalts in Moskau bis zum Ende der Sowjetunion und der Präsidentschaft Gorbatschows 1991, als der Glaube an die Perestroika bei uns, wie bei vielen Menschen, dahinschmolz wie der Schnee im März.

Über die Ursache seines Scheiterns gibt es viele schnelle Urteile und Mutmaßungen; dazu müssen sich kompetente Analytiker, vor allem Zeitzeugen der so schwer geprüften Völker der Sowjetunion äußern.

Sicher bleibt auch mir das weitere Nachdenken darüber, was den Untergang der Sowjetunion betrifft, nicht erspart. Gerade auf das Konto von Michail Gorbatschow geht ein erhebliches Maß an Schuld. Vor unseren Augen versank Moskau, die Stadt meiner Jugend, in Schmutz und für immer verschwunden geglaubte Armut.

Was die DDR angeht, so erwiesen sich unsere Novemberhoffnungen als Illusionen. Wir, die engsten Freunde der Sowjetunion, wurden der Willkür der Sieger des Kalten Krieges ausgeliefert, weil die politischen Führer im Kreml nicht nur nicht mehr auf der Höhe staatspolitischer Weisheit waren. Sie verletzten auch elementare Regeln des Anstands gegenüber Verbündeten und Freunden.

Die Jahre nach der Rückkehr ins vereinte Deutschland, die Jahre der Strafverfolgung und der versuchten Ausgrenzung machten die Vertiefung des im Vorwort zu diesem Buch Angedachten über unser eigenes Scheitern, die eigene Schuld und Verantwortung nicht gerade leicht.

Für mehrere Jahre rückte die Zurückweisung falscher Anschuldigungen, Diffamierungen und rechtswidriger Anklagen in den Vordergrund. Zu Unrecht wird aber mir und meinen politischen Freunden ein Verzicht auf kritischen und selbstkritischen Blick zurück vorgeworfen. Daran hat sich in den vergangenen zehn Jahren wenig geändert.

Eindeutige Belege, die bis in die hier behandelte Zeit zurückgehen, werden nicht zur Kenntnis genommen. Der unvoreingenommene Leser wird auf vielen Seiten dieses Buches, meinem zweitem nach der »Troika«, deutliche Zeichen der Abrechnung mit der Vergangenheit finden. Der im selben Verlag erschienene Schriftenband »Die Kunst der Verstellung« ergänzt dies mit dem Wortlaut unterschiedlichster Dokumente.

Wer weniger an Schwarz-Weiß-Klischees als an einem differenzierten Herangehen an bleibende Probleme interessiert ist, wird zum weiteren Nachdenken über so komplizierte Fragen angeregt, wie es die Machtfrage in der Vergangenheit und Gegenwart ist. Das Buch beschreibt das aufregende Erleben der Wirkung meines Erstlings. Auf die Reaktion der Leser auf dieses Buch, zehn Jahre nach der erlebten Zeitenwende, bin ich neugierig.

Berlin, im Frühjahr 1999 Markus Wolf

Vorwort zur 1. Ausgabe von 1991

»Jeder Mensch wird im Laufe des Lebens mit einer Richtstatt konfrontiert«, sagt der Dichter Tschingis Aitmatow, und er bezeichnet diese Richtstatt nicht einfach als einen Ort der Hinrichtung, sondern vielmehr als einen Ort der Wahrheit für jeden Menschen.

Das Gefühl, am Ort meiner Wahrheit zu stehen, hatte ich am 4. November 1989. Die Worte Aitmatows betrafen mein Innerstes, als mich, während der Protestdemonstration der Fünfhunderttausend auf dem Berliner Alexanderplatz, dort, auf der improvisierten Rednerbühne, meine dreißig Jahre als hoher Funktionär im Ministerium für Staatssicherheit mit den gellenden Pfiffen aus der Menge wieder einholten.

Der Aufforderung der Berliner Künstler, bei dieser Gelegenheit und an dieser Stelle zu sprechen, war ich im Verständnis gefolgt, den Protestierenden zuzugehören, gleich denjenigen der anderen Redner, die in Opposition zum Regime standen. Mit dem Aussteigen aus dem Amt einige Jahre zuvor, mit dem Buch »Die Troika«, in dem ich innere und äußere Brüche mit dem nun vergehenden System offenbart hatte, mit den Lesungen, bei denen ich viele Menschen ermutigte, couragiert für Glasnost und Perestroika auch bei uns einzustehen, glaubte ich mich an der Seite der Rebellen dieser letzten Jahre.

Als ich mit trockenem Mund vom Pritschenwagen stieg, sagte jemand zu mir: »Du warst vom Stasi-General zum Hoffnungsträger geworden, und jetzt gehst du den Weg zurück zum Stasi-General.« Der Mann hatte wohl recht.

An jenem Novembertag war mir dieser Rück-Weg so deutlich noch nicht bewusst, wie in den folgenden Monaten und bis zu dem Tag, da ich diese Zeilen schreibe. Als die vom Zorn des Volkes ausgelöste Lawine immer schneller in Richtung »Deutschland, einig Vaterland« rollte, geriet ich, durchaus überraschend für mich, als einer der wenigen in jenem gewaltigen Apparat in unmittelbare Nähe zu den Hauptverantwortlichen für das mannigfach begangene Unrecht. Mein Engagement für das Neue, meine politische Gratwanderung mit der »Troika« wurden schnell vergessen, zählten als vorausschauende Rückversicherung eines Hellsehers, galten nichts mehr und erscheinen auch, jedenfalls aus der Sicht von heute, unbedeutend und klein. Wohl mit Recht werde ich zunehmend mit der Frage konfrontiert, ob das, was ich tat, nicht viel zu zaghaft, zu zahm, viel zu spät gedacht und begonnen war.

Ich stelle mir die Frage, was wir, unsere Generation und die unserer Väter, versäumt oder falsch gemacht haben trotz unseres ehrlichen Bemühens, die guten und edlen Ideale unserer Weltanschauung in den Ländern zu verwirklichen, wo, gleich uns, viele Menschen den Sozialismus im Kommen glaubten. Doch schon beim Nachdenken darüber holten mich bei der Arbeit am Buchmanuskript in Berlin und Moskau die Jahre meiner aktiven Tätigkeit mit elementarer Wucht ein. Als ehemaliger Leiter der Hauptverwaltung für Aufklärung, des Nachrichtendienstes also, bin ich gezwungen, immer wieder Fragen nach dieser Arbeit, häufig genug zu bekannt gewordenen, sensationellen Aktionen zu beantworten, vielfach auch zu Bereichen der Staatssicherheit, für die ich keinerlei Verantwortung trug, die die Öffentlichkeit aber ungemein bewegen. Man erwartet von mir, dass ich Aufschluss gebe, die Wirklichkeit erhelle. In diesem Buch versuche ich das an Beispielen wie der so genannten Affäre Guillaume, die zum Sturz von Bundeskanzler Willy Brandt beitrug, und auch an einigen anderen Fällen und Vorgängen – vieles wird späteren Veröffentlichungen vorbehalten bleiben müssen. In der Verantwortung fühle ich mich gegenüber den Menschen, die ich zur Tätigkeit in der Aufklärung veranlasst habe, eine Tätigkeit, die ich nach wie vor für notwendig erachte und für die ich geradestehe. Für viele von ihnen verkörpere ich mit meiner Person, meiner Biographie, meinen Ansichten Ideale, die sie mit ihrer Arbeit zu befördern oder zu verwirklichen glaubten. Nun sehen sie sich in vielerlei Hinsicht im gesellschaftlichen Aus. Mit Recht erwarten diese Aufklärer Antwort von mir. Sie sind nicht verantwortlich für die Unterdrückung im Inneren des Landes. Auch für sie appellierte ich auf dem Alexanderplatz an das Volk, nicht alle unterschiedslos zu Prügelknaben der Nation zu machen. Für die Chance dieser Menschen, Positives in ein geeintes Deutschland einzubringen, trete ich ein und dafür, dass sie sich vor ihren Kindern für ihr Leben nicht schämen müssen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!



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