In Ketten geboren - Christoph T. M. Krause - E-Book

In Ketten geboren E-Book

Christoph T. M Krause

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Beschreibung

Krauses alter Freund Kilian meldet sich kurz vor seinem Tod durch COVID-19 bei ihm, um ihm sein bewegtes 65-jähriges Leben in die Feder zu diktieren. Er begleitet Kilian in seinen letzten Stunden und wird Zeuge des bewegten, traurigen, aber erfolgreichen Lebensweges seines selbstbestimmt offenen schwul lebenden Freundes. Kilian erzählt, wie er als Kind in eine zwangsheterosexualisierte Welt hinein geboren wird und wie schwierig und bedrohlich sein Werdegang zu einem selbstbestimmten schwulen Mann unter diesen Bedingungen war. Nach turbulentem Outing und exzessivem Ausleben seiner neuen Identität führt er ein erfülltes Leben, trotz der Herausforderungen durch HIV/ AIDS und dem mühsamen Kampf für schwule Bürgerrechte. Uns wird bewusst, in welch normativer Gesellschaft wir alle immer noch leben.

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Christoph T. M. Krause – In Ketten geboren

Von Zwangsnormierung über Coming-Out zu Bürgerrechten

Christoph T. M. Krause

In Ketten geboren

Von Zwangsnormierung über Coming-Out zu Bürgerrechten

© 2021 Christoph T. M. Krause

Umschlaggestaltung, Illustration: Christoph T. M. Krause.

Autor Christoph T. M. Krause, Heerstr. 394a, 13593 Berlin.

Illustrationen: Craig/Fishink.com, Manchester, UK.

Verlag + Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg.

978-3-347-33779-4 (Paperback)

978-3-347-33780-0 (Hardcover)

978-3-347-33781-7 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich

geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung

des Verlages und des Autors unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige

Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung

und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Rechte zur Nutzung aller in diesem Buch dargestellten

Bilder und Illustrationen liegen dem Herausgeber vor.

Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

INHALT

 

 

Kilian

 

Vorwort

 

 

 

Vater:

Krieg, Lehrstunde, Die erste erotische Erfahrung.

Mutter:

Rassismus

Oma:

Die zweite erotische Erfahrung.

Schulzeit:

Mobbing, Schulwechsel, Zwangsheterosexualisierung, Rückfall.

Mädchen:

Integrationsversuche.

Erste Schritte:

Entscheidungen.

Coming-Out:

Auszug, Neues Umfeld.

HIV/ AIDS:

Ausprobieren, Verantwortung.

Selbstfindung:

Zeit der Phasen, Auswüchse, Zivildienst, Umdenken, Erste Erfolge.

Bürgerrechte:

Schritt für Schritt.

Ausblicke:

Zwangsjacke, Eigeninitiative, Vorschläge.

Mahnung:

Gefahren.

Epilog

 

 

 

Anhang 01

Definition Heteronormativität

Anhang 02

Inhalt Heteronormativität

Anhang 03

Reisebericht von Kilians Eltern

Dieses Buch ist Karl-Heinz gewidmet

Kilian.

Kilian lag im Sterben. Er ist 65 Jahre alt und hat sich mit Corona angesteckt.

Kilian hatte mich vor einigen Tagen angerufen und mich gebeten, zu ihm zu kommen, er hätte sich angesteckt und es ginge ihm zusehends schlechter. Er wolle mir seine Geschichte erzählen und ich solle sie für ihn aufschreiben.

Zunächst hatte ich Bedenken, dann aber fasste ich mir ein Herz, verschaffte mir entsprechende Schutzkleidung und fuhr zu ihm nach Hause.

Ich wusste, Kilians Geschichte würde sich für ein Buch lohnen. Ich kannte ihn schon seit den 1970er Jahren und wusste, dass er ein bewegtes Leben gehabt hatte.

Ich kam gerade noch rechtzeitig, bevor er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste und niemand mehr Zugang zu ihm hatte.

Irgendwie hatte er es geschafft, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, um mir noch alles rechtzeitig in die Feder zu diktieren.

Kilian ahnte, dass er das fertige Buch nicht mehr zu Gesicht bekommen würde.

Dies ist seine Geschichte…

Vorwort.

Ich wurde in eine Welt nach der „Stunde Null“ 1945 geboren.

In den Fünfzigern war alles anders, als vor oder während des Krieges, aber irgendwie auch wieder nicht. Manche nennen sie die „bleierne Zeit“.

Vieles war noch da, obwohl es eigentlich weg gewesen sein sollte.

Alte Nazis waren in „neuen“, alten Positionen und so existierte immer noch der ganze Rassismus, die Fremdenfeindlichkeit und der Hass auf alles, was anders war.

Auch waren viele davon überzeugt, nicht befreit, sondern besetzt zu sein, von Alliierten, die uns bestrafen wollten.

Die Meisten wollten alles, was gewesen war, vergessen und einfach nach vorne blicken, aber möglichst nichts ändern, was sich bewährt hatte.

Über das, was war, sprach man nicht mehr und wollte auch nicht darüber nachdenken.

Zumindest war es in meiner kleinen Welt so.

Der Zweite Weltkrieg, der Holocaust und der totale Zusammenbruch waren vergessen, darüber wurde nie wieder gesprochen.

Man wandte sich Interessanterem zu. Kaufte man, wenn überhaupt, ein Goggomobil oder einen Käfer? Bekam man eine Neubauwohnung? Von all dem wusste ich natürlich nichts.

Ich erblickte das Licht dieser gebeutelten Welt im Jahre des Herrn 1956. Da war die Bundesrepublik gerade mal sieben Jahre alt. Sie war sozusagen in meinem Alter, obwohl sieben Jahre machen bei kleinen Kindern viel aus.

Ich hätte aber zu ihr aufblicken können, wenn ich es gekonnt hätte. Sie wäre meine große Schwester gewesen. Sie zeigte mir, wie unsere Welt zukünftig sein würde:

Einigkeit und Recht und Freiheit.

Ich sollte später erfahren, dass die Umsetzung aller drei Postulate noch lange auf sich warten lassen würde, sehr lange.

Die wahre Einigkeit bzw. Einheit Deutschlands kam erst im Jahre 1990.

Das Recht für mich als schwuler Mann kam sehr spät, in Etappen:

1969: Abschaffung der Strafbarkeit von Homosexualität; neue Altersgrenze 21.

1972: Änderung/ Reduzierung der Altersgrenze auf 18 Jahre (Heterobeziehungen waren bereits ab 16 Jahren legitim).

2001: Eingetragene Lebenspartnerschaft mit vielen Pflichten, aber wenig Rechten; ein merkwürdiges Torsogesetz.

2017: Öffnung der Ehe für alle.

Die Freiheit für Schwulen (und Lesben) kam also erst sehr spät, zumindest so, wie ich diese Freiheit verstehe.

Aber immerhin, alles das, was die junge BRD versprochen hatte, trat irgendwann ein, wenn auch, wie gesagt, erst sehr spät.

Klagen wir in Wirklichkeit nicht auf hohem Niveau?

In 12 Staaten der Welt gibt es noch die Todesstrafe für Homosexuelle, wer will da wirklich meckern!

Vater.

Krieg.

Mein Vater sprach nie über sein Leben. Das, was ich mit der Zeit erfuhr, war, dass er mit 18 schon im Krieg war. Dort wäre es toll gewesen, sie hätten am Lagerfeuer gesessen und gemeinsam gesungen und es hätte eine tolle Kameradschaft geherrscht.

Er wäre als Soldat hinter der Front eingesetzt gewesen und hätte von all den Gräueln und dem Sterben nichts mitbekommen.

Mein Vater erzählte, er wäre beim Russlandfeldzug dabei gewesen, aber sein Einsatz hätte ihn nur bis in die Ukraine geführt.

Mehr erfuhr ich nicht. Als Kind genügte mir das. Wer hat als Kind auch schon überhaupt irgendeine Idee, was Krieg wirklich ist?! Ich hatte ihm jedes Wort geglaubt und ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, in diesen meinen jungen Jahren diese Informationen zu hinterfragen.

Das einzige, das ich als Kind spürte, war, dass etwas Unausgesprochenes über allem schwebte, aber ich war noch viel zu jung, um zu begreifen, was das sein könnte.

Statt dessen stellte ich mir den Krieg als schönes Abenteuer vor, das mir wie ein Ausflug vorkam.

Einmal, ich erinnere mich noch wie heute, saß ich in der Badewanne. Diese wurde einmal wöchentlich am Samstag mit warmem Wasser gefüllt, indem der daneben stehende, runde Badeofen mit Öl gefüllt und sein Inhalt dann angefacht wurde.

Mein Vater saß neben mir und half mir beim Waschen. Ich muss wohl noch sehr klein gewesen sein, denn ich kann, mit dem Wissen von heute, die damalige Wohnung mit Ölheizung in die Zeit zwischen 1962-1966 datieren. Ich denke, da mir mein Vater beim Waschen half, muss es eher 1962 gewesen sein, da war ich sechs Jahre alt.

Er erzählte vom damaligen Heute, Deutschland sei immer noch besetzt und zwar deswegen, weil Deutschland den Krieg verloren hätte.

Ich fragte ihn, was das denn hieße, „besetzt“ zu sein. Er erklärte, dass fremde Länder, die den Krieg gewonnen hätten, nun ihr Recht wahrnähmen, über uns zu bestimmen.

Ich fand das furchtbar und ungerecht und fragte ihn, warum die Sieger das denn täten?! Mein Vater erklärte, dass sei eben so, wenn man einen Krieg verlöre.

Von Gräueln, Holocaust und Faschismus war bei solchen Erklärungen natürlich nie die Rede, was aus pädagogischer Sicht sehr klug gewesen war.

So hatten die Erläuterungen meines Vaters immer zwei Seiten, die eine war die, wie erklärt man einem Sechsjährigen den Krieg, ohne ihn zu verschrecken und die andere, wie sehr bleibt die tatsächliche Wahrheit dabei auf der Strecke?! Musste es etwa so sein, um den eigenen Sohn vor dem Wahnsinn dieser Welt so lange zu schützen, wie es ging?

Eine Gradwanderung der besonders schwierigen Art.

Aus der Sicht eines Erwachsenen mit viel mehr Wissen von den Jahren danach und mit größerem Abstand zum Geschehen des 2. Weltkrieges, würde ich heute sagen, mein Vater hat einen guten Weg gefunden, mir als Sechsjährigem den Krieg kindgerecht zu erklären.

Das einzige, das ich natürlich bemängeln könnte, wäre, dass Deutschland zwar richtigerweise den Krieg verloren hatte, aber dann, nach einem wahnwitzig angezettelten Krieg, von den Alliierten nicht besetzt, sondern befreit worden war.

Es sollte noch viele Jahre dauern, bis ich begriff, dass die Besetzung ihre Berechtigung hatte und Deutschland die Chance bot, sich selbst neu zu erfinden. Aber das ist eine andere Geschichte, die jedoch später eine große und wichtige Rolle in meinem Leben spielen sollte:

Die Chance, als Mensch frei und ohne Furcht frei leben zu können.

Lehrstunde.

Bei diesen Gesprächen beim Baden entstand eine seltene Intimität, die natürlich und intensiv war. Schon früh spürte ich diese Form von Nähe und sie war nie in irgendeiner Weise unangemessen.

Ich spürte die große Liebe, die mein Vater für mich hatte, die er aber nur selten zeigen konnte, dies aber bei seltenen Gelegenheiten, wie bei diesem Bad, auf seine eigene, fast kindliche Weise, leise und unaufgeregt tat.