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Patienten und deren Angehörige nutzen vermehrt frei verfügbare Literatur und das Internet, um sich einen Überblick über die diagnostizierte Krankheit und deren Therapiemöglichkeiten zu verschaffen. Deshalb ist es bedeutsam, dass die auf diese Weise aufzufindenden Informationen aus fachlicher Sicht höchsten Qualitätsansprüchen genügen. Dies trifft insbesondere auf Informationsbroschüren zu, die von besonders vielen Ratsuchenden als Informationsquelle herangezogen werden. Finden sich in diesen öffentlich zugänglichen Quellen unzureichende Gesundheitsinformationen, kann dies zu einer Gefahr für den Patienten werden und einer erfolgreichen Therapie im Wege stehen. Betroffene und medizinische Laien haben kaum eine Möglichkeit, die fachliche Qualität der von ihnen herangezogenen Informationen adäquat zu bewerten. Für den Patienten und seine Angehörige ist es deshalb hilfreich, wenn sie sich bei der Selektion von geeigneter oder auch kritisch zu bewertender bzw. ungeeigneter Literatur auf eine standardisierte Bewertung von Patienteninformationen verlassen können. Hier knüpft die vorliegende Studie an. Christian Keinki untersucht, ob onkologische Gesundheitsinformationen in Form von Patienteninformationsbroschüren den formalen und inhaltlichen Kriterien einer zu empfehlenden Informationsquelle für Betroffene und deren Angehörigen entsprechen. Darüber hinaus arbeitet der Autor Empfehlungen für eine hochwertige Gestaltung von medizinischen Informationsbroschüren heraus. Das Buch richtet sich an Verbände und Institutionen, die medizinische Fachinformationen für Laien zur Verfügung stellen. Es bietet aber auch einen Überblick für Patienten, die wissen wollen, worauf sie achten müssen, um eine gute von einer schlechten Informationsbroschüre unterscheiden zu können.
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Seitenzahl: 85
Veröffentlichungsjahr: 2016
ibidem-Verlag, Stuttgart
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Zusammenfassung
I. Einleitung
I.1 Informationsdefizite
I.2 Barrieren in der Informationsübermittlung
I.3 Zusätzliche Informationsquellen
I.4 Evidenzbasierte Patienteninformationen
II. Zielstellung
III. Material und Methoden
III.1 Fragenkatalog
III.2 Berücksichtigte Tumorerkrankungen
III.3 Auswahl der Informationsbroschüren
III.4 Evaluation der Broschüren
III.5 Statistische Methoden
IV. Ergebnisse
IV.1 Anzahl und Charakterisierung der Patientenbroschüren
IV.1.1 Selbsthilfe
IV.1.2 Institutionen mit onkologischer Fachexpertise
IV.1.3 Stiftung
IV.1.4 Gesetzliche Krankenkassen
IV.1.5 Pharmaindustrie
IV.1.6 Gesamtzahl
IV.2 Bewertung der Broschüren
IV.2.1 Gesamtbewertung
IV.2.2 Bewertung der einzelnen Items
IV.3 Reliabilität der Bewertungskriterien
IV.4 Differenzierte Bewertung der Broschüren nach Tumorart
IV.4.1 Bewertung der einzelnen Items
IV.4.2 Bewertung der einzelnen Kategorien
IV.5 Differenzierte Bewertung der Broschüren nach Herkunft bzw. Autorenzugehörigkeit
IV.5.1 Bewertung der einzelnen Items
IV.52 Bewertung der einzelnen Kategorien
V. Diskussion
V.1 Gesamtzahl der Broschüren
V.2 Bewertung der Broschüren
V.3 Reliabilität der Bewertungskriterien
V.4 Limitationen
VI. Schlussfolgerungen und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang I – Tabellen
Schriftenreihe Masterstudiengang Consumer Health Care
Impressum
Bewertung von Informationsbroschüren für onkologische Patienten
Schriftenreihe Masterstudiengang Consumer Health Care
ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
ÄZQ Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin
Afgis Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem e.V.
BfArM Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte
BUKO Bundeskoordination Internationalismus
DNEbM Deutsches Netzwerks Evidenzbasierte Medizin
DNFV Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung
DKH Deutsche Krebshilfe
HON(Code) Health On Net Foundation
IPDAS International Patient Decision Aid Standards Collaboration
KID Krebsinformationsdienst
PEF Partizipative Entscheidungsfindung
SDM Shared Decision Making
Ein niederschwelliger Zugang zu zielgruppengerechten und qualitätsgesicherten Informationsangeboten wird im nationalen Krebsplan als Ziel 11a formuliert. Hierdurch soll die Patientenkompetenz gefördert (Ziel 12b) und somit die partizipative Entscheidungsfindung (Ziel 13) gestärkt werden [1]. Eine angemessene Informationsbeschaffung für die Betroffenen, aber auch Minimierung der potentiellen Gefährdung durch unzureichende Gesundheitsinformationen kann nur durch Zugang zu qualitativ hochwertiger Information gewährleistet werden [2]. Eine qualitativ hochwertige Information muss daher wissenschaftlich fundiert, also evidenzbasiert sein. Hierzu wird die bestverfügbare externe Evidenz mit der Expertenerfahrung zu den Patientenpräferenzen in Bezug gesetzt [3]. Da die Qualität, Relevanz und Aktualität von Gesundheitsinformationen von Betroffenen bzw. Laien oftmals nicht adäquat eingeschätzt werden können, kann eine selbständige, unsystematische und ungezielte Informationsbeschaffung und Umsetzung der Information für Unklarheit und Verwirrung sorgen [4].
Die vorliegende Studie untersucht, ob onkologische Gesundheitsinformationen in Form von Patienteninformationsbroschüren den formalen und inhaltlichen Kriterien einer zu empfehlenden Informationsquelle für Betroffene und Angehörige entsprechen.
Zu diesem Zweck wurden die Kernelemente des DISCERN- [5] und des Check-In-Instrumentes [6], sowie die Inhalte des afgis-Logos [7] und die Kriterien des HONCodes [8] verglichen und die relevanten Forderungen schrittweise extrahiert. Zusätzlich erfolgte der Abgleich mit den Kriterien für eine evidenzbasierte Patienteninformation [9], sowie fachliche Konsultation durch Prof. Gigerenzer1. Es wurden insgesamt 16 Items verschiedenen Kriterien zugeordnet. Der Kriterienkatalog der vorliegen Arbeit erreichte eine exzellente interne Konsistenz (Cronbachs Alpha >0,9). Die Evaluation der Broschüren erfolgte durch drei unabhängige Experten. Ausgewählt wurden Patienteninformationsbroschüren der sechs häufigsten Tumorerkrankungen von Frauen und Männern [10]. Von den Internetseiten von onkologischen Fachgesellschaften, Selbsthilfegruppen, einer Stiftung (Deutsche Krebshilfe, DKH), Pharmafirmen und gesetzlichen Krankenkassen wurden insgesamt 52 Broschüren heruntergeladen und ausgewertet.
Die Auswertung der Broschüren nach der jeweiligen Tumorart ergaben im Mittelwert stets vergleichbare Itemwerte. Bei der Auswertung der einzelnen Items zeigte sich, dass die Broschüren der Stiftung und Fachgesellschaften stets deutlich besser abschnitten als die Broschüren der Selbsthilfe, der Krankenkassen und der Industrie.
Bei dem Vergleich mit der Literatur findet sich eine Überstimmung in der Kernaussage, dass die Mehrzahl der untersuchten Broschüren für eine gemeinsame Entscheidungsfindung ungeeignet ist, da den meisten Teilbereichen zu wenig oder teilweise gar keine Beachtung entgegen gebracht wird. Darüber hinaus wurde deutlich, dass zum einen die Kriterien von DISCERN oder Check-In nicht ausreichend sind, um eine sowohl inhaltlich, als auch formal angemessene Patienteninformation zu erstellen. Obwohl bei vielen Broschüren explizit auf die Anwendung von DISCERN- oder Check-In-Kriterien hingewiesen wurde, konnte keine vollständige Übereinstimmung mit diesen Kriterien festgestellt werden. Auch deshalb müssen weitere Kriterien und Aspekte zur Bewertung von patientenorientierten Informationsbroschüren herangezogen werden. Zur Qualitätssicherung muss außerdem verpflichtend eine Evaluation der Informationsmaterialen durch einen unabhängigen Dritten erfolgen.
Im nationalen Krebsplan fordert das Bundesministerium für Gesundheit eine deutliche Verbesserung der Patientenorientierung und Patienteninformation. Hierzu zählen unter anderem ein niederschwelliger Zugang zu zielgruppengerechten und qualitätsgesicherten Informations-, Beratungs- und Hilfsangeboten (Ziele 11a und 11b). Um eine partizipative Entscheidung fällen zu können, ist neben der kommunikativen Fähigkeit der Heilberufler bzw. der Leistungserbringer (Ziel 12a) auch eine entsprechende Kompetenz auf Seiten der Patienten wünschenswert. Die Stärkung der Patientenkompetenz wird deshalb als Ziel 12b und die Stärkung der partizipativen Entscheidungsfindung als Ziel 13 formuliert [1].
Die Stärkung der Patientenkompetenz hat aber nicht nur ethische bzw. moralische Gründe, sondern führt langfristig auch zu einem geringeren Verbrauch von medizinischen Ressourcen. So konnte in einer systematischen Übersichtsarbeit von 96 Studien durch Berkman und Kollegen nachgewiesen werden, dass eine niedrige Gesundheitskompetenz bei den Patienten mit mehr Hospitalisierungen, einer höheren Frequentierung von Notaufnahmen, mehr Fehleinnahmen von Arzneimitteln, einer geringeren Adhärenz und einer geringeren Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen (Mammographie) und Präventionen (Influenzaimpfungen) assoziiert war [11]. Außerdem resultierte die niedrige Gesundheitskompetenz in einer schlechteren Fähigkeit Gesundheitsaussagen zu interpretieren. Das führt schließlich insgesamt zu einem schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand und größerer Barrieren für die Inanspruchnahme einer adäquaten medizinischen Versorgung. Insbesondere bei älteren Patienten wurde zudem eine erhöhte Mortalität dokumentiert [11]. Analog hierzu führt eine stärkere Beteiligung von Patienten an Entscheidungsprozessen in der medizinischen Versorgung (dank verstärkter Gesundheitskompetenz) zu einer höheren Behandlungszufriedenheit, einer verbesserten Therapieadhärenz, weniger Entscheidungskonflikten, einem verbesserten Gesundheitsverhalten und einem besseren globalen Gesundheitsstatus [12]. Schließlich ergibt sich eine verbesserte Therapiesicherheit für die Patienten und es resultiert eine geringere Inanspruchnahme von (kostenintensiver) medizinischer Versorgung [13]. Eine unzureichende Gesundheitskompetenz kann dabei ganz unterschiedliche Gründe haben:
Aus informationsökonomischer Sicht kann die Arzt- Patienten Beziehung als Principal-Agent-Theorie interpretiert werden. Hierbei wird durch den Principal (Patient) eine Handlung an den Agenten (Arzt) delegiert. Häufig beobachtet der Principal die Ausführung der Handlung nicht, sondern registriert nur das Ergebnis. Die Delegation ist Folge einer hierarchischen Beziehung aufgrund von Wissensdefiziten bzw. Informationsasymmetrien, eingeschränkter Möglichkeiten zur Verarbeitung von Informationen oder Zeitmangel [14]. In diesem Fall ist der Agent in der Regel besser als der Principal informiert. Die Informationsasymmetrie besteht zugunsten des Arztes. Aufgrund des Wissensvorsprungs ist es dem Agenten möglich Informationen zurückzuhalten (hidden information) oder Handlungen zu wählen, die der Principal nicht beobachten kann (hidden action) [15].
Eine weitere Ursache für die mangelnde Gesundheitskompetenz der Patienten ist häufig auch der unzureichende Informationsfluss zwischen Arzt und Patient [16]. Die Informationsweitergabe durch Leistungserbringer an die Patienten stützt sich stets auf Wahrscheinlichkeiten und Unsicherheiten. Bei der Bewertung der Information müssen demnach der erwartete Nutzen mit den zu erwarteten Risiken verglichen werden. Da der Patient persönlich betroffen und anders als sein Arzt emotional involviert ist und somit in der Regel ein vermehrtes Sicherheitsbedürfnis hat, divergieren die zu Grunde liegenden Bewertungskonzepte von Arzt und Patient mitunter deutlich (siehe Tabelle 1) [17]:
Tabelle 1: Risikobewertung von Leistungserbringer und Laien [17].
Leistungserbringer
Laien
Wissenschaftliche Bewertung
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Intuitive Verfahren
Wahrscheinlichkeiten
{MISSING SYMBOL Wide-headed leftwards arrow}{MISSING SYMBOL Wide-headed rightwards arrow}
Absolute Entscheidungen (ja/nein)
Risikoabschätzung
{MISSING SYMBOL Wide-headed leftwards arrow}{MISSING SYMBOL Wide-headed rightwards arrow}
Sicherheitsbedürfnis
Risikovergleiche
{MISSING SYMBOL Wide-headed leftwards arrow}{MISSING SYMBOL Wide-headed rightwards arrow}
Diskrete Betrachtung
Durchschnittlicher Patient
{MISSING SYMBOL Wide-headed leftwards arrow}{MISSING SYMBOL Wide-headed rightwards arrow}
Persönlich betroffen
Zusätzlich besteht in der korrekten Interpretation von Wahrscheinlichkeiten eine weitere Hürde bei der Informationsverarbeitung. Eine fehlerhafte Interpretation von Wahrscheinlichkeiten kann zu einer körperlichen und seelischen Belastung der Pateinten führen. Wenn der mögliche Nutzen einer Prozedur überschätzt und der mögliche Schaden unterschätzt werden, kann eine unnötige bzw. kostenintensive oder gar belastende medizinische Prozedur die Folge sein [18]. Um die Diskrepanz zwischen tatsächlicher und empfundener Wahrscheinlichkeit aufgrund von Fehlinterpretation der bestehenden Evidenz zu verringern, wird es also nicht ausreichen, dass lediglich Leistungserbringer in diesem Bereich besser ausgebildet werden, wie eine Befragung von Patientinnen zum Thema Mammographie-Screening zeigte. Die hierbei befragten Frauen (94%) gingen von einer erheblichen Senkung der Mortalitätsrate durch das Screening aus. Insgesamt überstiegen die Annahmen der Teilnehmerinnen die tatsächliche Reduktion (1/1000) um das 10- bis 200-fache [19,20]. Parallel zur besseren Ausbildung der Leistungserbringer erscheint es daher sinnvoll, alle Anstrengungen zu unternehmen, um das Wissen der Bevölkerung zu Gesundheitsthemen und Fähigkeiten im Umgang mit Informationen zur Gesundheit (Health Literacy) zu verbessern.
Unabhängig von Risikoverständnis oder Interpretation von Wahrscheinlichkeiten ist die Ausbildung von kommunikativen Fähigkeiten zur Übermittlung von Informationen vom Arzt zum Patienten essentiell [21].
Neben den unterschiedlichen Risikobewertungen durch Arzt und Patient ist die Informationsverarbeitung und –weitergabe durch drei Barrieren erschwert [20,22]:
• Unvollständige bzw. fehlende oder irreführende Informationen
- Empfehlung einer Maßnahme ohne detaillierte Angaben des individuellen Nutzens
- Die alleinige Angabe des relativen Risikos
- Angabe der 5-Jahres-Überlebensrate
- Angabe einer unrealistisch hohen absoluten Risikoreduktion (insbesondere für das Mammographiescreening)
• Intransparente und für Laien schwer verständliche Darstellung des Risikos (Risikoformate)
• Fehlende ärztliche Kompetenz bei der Kommunikation (mangelnde Ausbildung)
Zur Verbesserung der Informationsasymmetrie sollen demnach sowohl die kommunikativen Kompetenzen der Leistungserbringer (Ziel 12a des nationalen Krebsplans) als auch die Stärkung der Patientenkompetenz gemäß Ziel 12b des nationalen Krebsplans durch entsprechende Informationsangebote gefördert werden.
Während lange Zeit davon ausgegangen wurde, dass der Arzt der erste Ansprechpartner bzw. die erste konsultierte Informationsquelle darstellt, zeigte eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung, dass der Arzt als Informationsquelle lediglich Platz vier belegt. Viel häufiger werden Bücher oder Internet als Informationsquelle, insbesondere von jüngeren Patienten (bis 60 Jahre) und mit höherer Schulbildung genutzt. Kostenlose Broschüren und Zeitschriften (z.B. Apothekenzeitschriften) werden eher durch ältere Patienten mit eher niedrigem Bildungsniveau (Hauptschulabschluss) bevorzugt [24].
Umso wichtiger ist es, dass im Internet verfügbare Informationen und damit insbesondere Broschüren aufgrund der großen Reichweite und der damit einhergehenden weiten Verbreitung dem Informationsbedürfnis der Patienten entsprechen und aus fachlicher Sicht qualitativ hochwertig sind.