Innovation oder Mimesis - Barbara Schmidt - E-Book

Innovation oder Mimesis E-Book

Barbara Schmidt

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Beschreibung

Warum tragen Menschen überhaupt Schmuck? Was bedeutet er? Unterstützt er uns, schwierige Situationen zu meistern? Im Schmuck symbolisieren wir seit rund 75.000 Jahren unsere Vorstellungen. Gab es in Vorzeiten bereits 14 verschiedene Gründe, Schmuck zu tragen, sind im Laufe der Epochen noch weitere elf Werte dazu gekommen. Die Einführung zu den archäologischen und ethnologischen Wurzeln leitet über zu kurzen Geschichten, in denen sich alles um Schmuck dreht.

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Titelbild:

Tanel Veenre

„Medal for one who is leaving“

Brosche

Holz, Muschel, Silber, Gold

www.tanelveenre.com

Inhalt

Innovation oder Mimesis – Warum wir Schmuck tragen

Innovation oder Mimesis

Schmuck als Objekt zum Zählen

Unterstreichen der körperlichen Schönheit

Schmuck als Objekt für Sehnsucht

Heilendes Objekt

Amulett und Talisman

Zeichen für gesellschaftliche Tatsachen

Schmuck als Tauschmittel

Objekt für Spiel und Humor

Objekt zut Investition und Wertanlage

Mittel zur Kommunikation

Schmuck als Opfergabe

Objekt für Erinnerung, Trauer und Trost

Schmuck zur Selbstbestätigung

Schmuck als Objekt zur Ausbeutung

Schmuck als Objekt für Sinnesreize

Schmuck zur Modifikation des eigenen Körpers

Symbol der Gruppenzugehörigkeit

Schmuck als ästhetischer Ausdruck für Schönheit

Schmuck als Waffe

Unveräußerlicher Besitz

Liebesgabe

Zeichen für Individualität

Zeichen für Rituale und Zeremonien

Schmuck als Objekt zur Belohnung

Zeichen für sozialen Status und Abgrenzung

Nachwort von Dr. Christianne Weber-Stöber

Referenzen

Dank

Impressum

Barbara Schmidt

„Glascollier“, 1990

Glasscherben, Stahlseil, Silber

Foto: Dominik Buschard

www.barbara-schmidt-schmuck.de

Innovation oder Mimesis

Warum wir Schmuck tragen

Schmuck ist eine der ältesten kulturellen Errungenschaften des Menschen. Wenn Schmuck heute immer noch gefertigt wird und Verwendung findet, darf angenommen werden, dass Schmuck eine ganz grundlegende und essentielle Möglichkeit der Kommunikation darstellt. Im Laufe der Geschichte hätte sich andernfalls diese Ausdrucksform längst verloren. Schmuckschaffende behaupten sogar, Schmuck sei eine eigene Sprache und man könne sich transnational und transkulturell damit verständigen.

Doch folgen wir den Argumenten aus aktuellen Forschungsergebnissen von Archäologen (siehe Quellen im Anhang): Diese Forscher untersuchen früheste Schmuckfunde und unterstreichen die Sichtweise, dass Schmuck das Mittel der Wahl ist, um sich auszudrücken und ohne große Worte verständlich zu machen – seit seiner Entstehung in der mittleren Steinzeit. Schmuck verstärkt die charakteristischen und enthüllt die verborgenen Seiten der eigenen Persönlichkeit. Ihn zu tragen hilft den Menschen seit jeher, die eigene Persönlichkeit zu definieren, sie nach außen zu projizieren und die eigene Ausstrahlung zu verstärken.

Dieser Vorgang der Selbst-Definition, die Inhalte, die einem selbst wichtig sind zu bestimmen und zu beschreiben und sie dann nach außen hin sichtbar zu machen, nennt sich „Mimesis“.

Ein kurzer Blick hinter den Begriff „Mimesis“ sei gestattet: Griechische Philosophen wie Platon stellten fest, dass wir alle unsere Aktivitäten von anderen gelernt und übernommen haben. Nur in der möglichst genauen Imitation sind unsere Handlungen verständlich und daher verstehen wir auch, was andere tun und warum. Doch es war Platons Schüler Aristoteles, der „Mimesis“ neu betrachtete. Für ihn war „Mimesis“ in erster Linie erworbenes Wissen, auch und gerade durch die „Imitation der Umgebung“. Er stellte weiterführend jedoch fest, dass wir im Rahmen der Künste sogar in der Lage sind, die emotional unerträglichsten Situationen auszuhalten und uns mit diesen Extremen auseinander zu setzen. Wir können uns sogar emotional mit ihnen verbinden und geistig damit identifizieren. Gerade weil wir wissen, dies ist nicht die Realität sondern es besteht stets eine Möglichkeit des Ausstiegs aus dieser manchmal bedrohlichen und gelegentlich zu intensiven Situation.

Umgekehrt bietet „Mimesis“ die gleichen Möglichkeiten: Durch die Künste können auch wir selbst unsere eigenen, tiefen Emotionen ausdrücken und unsere innersten Triebkräfte nach außen sichtbar machen. Ein angstfreier Austausch von Erfahrung, Wissen und Wertvorstellungen kann in diesem Umfeld beginnen und wird zu gegenseitigem und tiefer gehendem Verständnis führen.

Was hat die Fähigkeit zur „Mimesis“ mit Schmuck zu tun?

Die beiden Archäologen Christopher Henschilwood und Karen van Niekerk haben um das Jahr 2000 n. Chr. herum rund 75.000 Jahre alte Schmuckelemente in Blombos Cave in Südafrika ausgegraben und der Forschung zugänglich gemacht.

Sie fanden kleine Objekte, die nicht zum täglichen Überleben dienten wie z.B. Waffen oder Werkzeuge. 44 Muschelschnecken waren alle sorgfältig an der gleichen Stelle durchbohrt worden, um sie dann an Schnüren zu Ketten zu verbinden. Die Muschelschnecken zeigen nicht nur eine technische Neuerung – es war das bislang bekannte erste Mal, dass ein Loch in etwas gebohrt und eine Schnur durch gefädelt wurde – die Muscheln wurden sogar auf unterschiedliche Art auf der Schnur aufgereiht. Doch gerade dadurch, dass sich der Schmuck dem täglichen Nutzen und direkter Nutzbarkeit entzog, war er umso wertvoller und bedeutender, mutmaßen die Forscher. Diese Schmuckstücke sind einer der frühesten Beweise, dass bereits prähistorische Menschen in der Lage waren, in Symbolen zu denken, sich mit Symbolen zu umgeben und sich in diesen verständlich zu machen.

Das eröffnet den Blick auf eine Reihe von gesellschaftlichen Aspekten, die bereits in dieser frühen Gruppe von Menschen relevant waren. Der Schmuck wurde von Individuen getragen und verlieh ihnen eine neue Möglichkeit, die eigene Rolle auf völlig neuartige Weise innerhalb der Gruppe sichtbar zu machen. Verschiedene Stärken und Hierarchien wurden dadurch erkennbar verdeutlicht. Schmuck zu tragen, stabilisierte die Gruppe nach innen und außen.

Die französische Archäologin und Expertin für „frühe persönliche Ornamente“ Marjan Vanhaeren analysierte ethnografische Literatur und fand heraus, dass bereits durch diese ersten Schmuckstücke mindestens 14 verschiedene Wertvorstellungen dargelegt wurden und der Schmuck auf diese Weise verschiedene soziale Funktionen verdeutlichte bzw. in einem Stück multiple Funktionen verankert sein können.

Als sichtbares Symbol für diese Werte unterstützt und beschreibt es die soziale Rolle der Menschen innerhalb der Gruppe und in den verschiedenen Lebensphasen. Diese Symbole halfen auch, Furcht und Schmerz oder Krankheiten zu überwinden. Sie unterstützten den täglichen Kampf ums Überleben mental und eröffneten sogar einen transzendenten Horizont.

 

Die traditionellen Funktionen und Werte der persönlichen Objekte

Ästhetischer Ausdruck für Schönheit

Liebesgabe zur Werbung und Verführung

Symbol zur Selbstbestätigung

Symbol der Gruppenzugehörigkeit

Zeichen für gesellschaftliche Tatsachen

Zeichen für Individualität

Objekt für Rituale und Zeremonien

Objekt als Opfergabe

Amulett und Talisman

Heilendes Objekt

Tauschmittel

Unveräußerlicher Besitz

Mittel zur Kommunikation

Werkzeug zum Zählen

Der Blick auf die Funktionen macht deutlich: Diese 14 Werte und Funktionen sind auch heute noch gültig. Sie markieren die Meilensteine unseres Lebens und sie sind tatsächlich weltumspannend relevant. Offenbar teilen wir nicht nur die Gene dieser frühen Schmuckproduzenten und Schmuckträger aus Afrika. Wir teilen auch ihre Werte und das Verständnis darüber, wie wichtig diese Werte für unser Leben sind – sie beschreiben, was uns wichtig ist. Vielleicht machen diese Werte sogar eigentlich unser Leben aus?

Doch sind wir uns heute noch bewusst, dass Schmuck diese Funktion hat und diese Werte zeigt? Wurde unsere innere Welt vielleicht auch etwas komplexer in den letzten 75.000 Jahren?

 

Weitere Werte und Funktionen im Schmuck

Andere Ethnologen, Philosophen und Archäologen haben tiefere Horizonte eröffnet und in der Recherche bis zum 21. Jahrhundert sind bisher noch elf weitere Funktionen aufgetaucht. Auch diese neueren Werte sind Faktoren, die Phasen und Ereignisse unseres Lebens relevant markieren. Auch sie können im Schmuck symbolisiert werden:

Objekt zur Belohnung

Objekt für Erinnerungen, Trost und Trauer

Objekt für Humor und Spiel

Objekt für Sehnsucht

Objekt für Sinnesreize

Unterstreichen der körperlichen Schönheit

Mittel zur Modifikation des Körpers

Zeichen für sozialen Status, Macht und Abgrenzung

Schmuck als Waffe

Objekt für Ausbeutung

Investition und Wertanlage

Schmuck als Sprache

Das Verständnis über die Potenz von Schmuck ist durch die Verkörperung dieser oben aufgeführten Werte wohl tatsächlich eine Art von Sprache. Also ein Medium der Verständigung, das sich über Symbole, non-verbal und somit weltumspannend verständlich macht. Allerdings manifestieren sich in den gesprochenen Worten verschiedener Sprachen charakteristische Eigenschaften von Schmuck, die dann als Begriff synonymisiert zur Wortbedeutung für Schmuck wurden. Die folgende Auswahl greift beispielhaft Worte aus dem europäischen Sprachraum rund um Schmuck auf.

Sie eröffnet Einblicke in die sprachliche Verknüpfung von Kulturen und ihrer Verwandtschaft in der Beschreibung der Eigenschaften von Schmuck quer durch Zeiten und Kulturen.

In den meisten Schmuckstücken seit 75.000 Jahren lässt sich das unermüdliche Bemühen um Schönheit ablesen. Unzählige reizvolle und schöne Objekte wurden meist ganz bewusst für eine bestimmte Situation oder einen bestimmten Menschen hergestellt. Die Suche nach Schönheit und die Fähigkeit, Schönheit zu schaffen, faszinierten die Menschen offenbar grundlegend und motivierten sie, Schmuck herzustellen. Das niederländische Wort „sieraad“ findet Verwandtschaft im deutschen Wort „Zierrat“. Schmuck bezeichnet in diesem Wort ein persönliches Ding, das einen Menschen ziert, also verschönert. Aber dieses Wort hat einen langen Weg hinter sich. In der Landessprache Pakistans „Urdu“ klingt es fast gleich, wurzelt im Sanskrit und bezeichnet auch im Persischen das Wort für Ornament: Es bedeutet sowohl Schmuckstück als auch Schönheit.

Kostbarkeit im Schmuck entsteht nicht zuletzt durch die Hingabe ans Machen, im sich selbst Verlieren in der Zeit, während man Rohstoffe in andere Zustände überführt und in hoher Virtuosität zu Symbolen gestaltet. Im deduktiven Zusammenhang von Ort und ästhetischer Erscheinung sowie der technischen Verarbeitung, lässt sich im Nachhinein die Verankerung innerhalb der Kulturgeschichte festmachen.

Führt man sich jedoch Schmuckstücke quer durch Jahrtausende und über unterschiedlichsten Kulturen hinweg vor Augen, gibt es erstaunliche Parallelen und Verwandtschaften. Menschen strebten vermutlich von Beginn an eine ausgewogene Komposition der einzelnen Teile und eine bewusst gestaltete Anordnung an, die von da an von unzähligen Schmuckmachern in unendlichen und immer neuen Variationen durchgespielt wurde. Diese Fähigkeit, einfache Objekte aus der direkten oder entfernten Umgebung auszuwählen und diese Dinge in eine selbst definierte Ordnung zu versetzen, weckte vermutlich die Neugierde darauf, eine Ordnung in der Welt zu erkennen und diese Weltordnung zu verstehen. Dabei bringen es die Griechen auf den Punkt:

Im griechischen Wort für Schmuck “κοσµήµατα” steckt das Wort “Kosmos”. Kleine Welten schlummern in diesen symbolischen Objekten und warten darauf, entdeckt oder gezeigt zu werden.

Wenn wir noch einmal die Muschelketten des Ursprungs betrachten, fällt auf: Bis heute werden Ketten in Reihung auf Schnüre gezogen und ein subjektiver und spielerischer Rhythmus zwischen Linie und aufgefädelten Objekten gesucht. Beliebig viele Teile sammeln sich in einem Ganzen und sollen beim Tragen Freude bereiten. Diese spielerische Freude beginnt sprachlich im lateinischen Wort „iocus“ und wandelte sich: Im Portugiesischen zu „jóias”, im Italienischen zu „gioielli“, im Französischen zu „joaillerie“ und im Englischen zu „jewellery“. Offenbar verbindet die Menschen in diesen Sprachräumen eine bestimmte Haltung zum schmückenden Objekt.

Beim Fertigen von Schmuck wurde von Anfang an eine Konstante berücksichtigt. Denn Schmuck ist in der Regel ein verhältnismäßig kleines Objekt, das zu Schmuck wird, indem es am Körper getragen wird. Dafür muss es bestimmte Eigenschaften aufweisen, um getragen zu funktionieren. Ein wichtiges Kriterium für Schmuck ist, ob er diese ergonomische Anforderung überhaupt erfüllt.

Der menschliche Körper mit allen Kurven und Kanten ist daher der Maßstab, an dem diese Anforderung für Schmuck zu allen Zeiten gemessen wurde und auch heute noch wird. Als Objekt am Körper getragen zu funktionieren, ist keine einfache Anforderung und benötigt eine Menge an Erfindungsgeist. Denn es gibt keine Stelle am Körper, die im Laufe der Schmuckgeschichte noch nicht geschmückt wurde. Das deutsche Wort reflektiert diese ergonomische Anforderung: „Schmücken“ findet seine Wurzeln im Wort „Schmiegen“. Schmiegen ist eine Bewegung, die ein Kind macht, das auf dem Arm der Mutter einschläft. Kein Platz ist mehr zwischen beiden Körpern. Sie bewegen sich zueinander und aufeinander abgestimmt.

Wie kommt die Innovation zum Schmuck?

Die feinmotorischen Fähigkeiten unserer Finger und deren konstantes Üben und Verfeinern führte zu intelligenten Händen, die in der Lage sind, das Material und sein Potenzial zu erspüren. Im Laufe der Menschheitsgeschichte wurden unentwegt neue Materialien entdeckt, neu kombiniert oder erfunden. Mit Hilfe neu entwickelter Werkzeuge, diese Materialien zu bearbeiten, erweiterte sich der Kanon der Möglichkeiten parallel dazu. Vermutlich gibt es kein Material, das nicht inzwischen in Verknüpfung mit den oben genannten Wertvorstellungen zu einem Schmuckstück verarbeitet wurde. Im Schmuck wurde es auf seine ästhetische Qualität, Handhabbarkeit in der Verarbeitung, Tauglichkeit und Verträglichkeit am Körper hin überprüft. Aus diesen materiellen Faktoren und Ressourcen ergab sich ein ständig wachsendes und unübersehbar breites Feld an Kombinationsmöglichkeiten, das Schmuckmacher quer durch alle Epochen anregte. Diese stimulierende, materielle Inspiration unterfütterte wiederum ihre geistige Innovationsfähigkeit, das jeweils aktuelle Lebensgefühl und die gesellschaftliche Atmosphäre für die oben genannten 25 Funktionen in Symbole zu übertragen. Diese Symbole werden dadurch nicht nur begreifbar und tragbar sondern auch für andere ablesbar und verständlich. Die unterschiedlichen und vielfältigen Quellen, ihre Wertvorstellungen und deren Kombination haben sich bisher nicht und werden sich wohl nie erschöpfen.

Gestaltern stellt sich im Schmuckentwurf somit heute die Aufgabe, eine klare Position zu beziehen und diese deutlich zu machen. Für welche der beschriebenen Funktionen machen sie Angebote? In einer subjektiven Ausarbeitung ihrer Ideen für eine heutige Zeit entsteht eine persönliche Interpretation, die sich an ein bestimmtes Klientel richtet. Im besten Fall eröffnen sich für die Benutzer und Träger besondere Räume. Räume in die man schlüpfen kann, sie genießen oder sie auch wieder verlassen kann – ganz wie Aristoteles es durch den Begriff „Mimesis“ beschrieb.

Die folgenden 25 kurzen Geschichten illustrieren jeweils eine der oben genannten 25 Wertvorstellungen im Zusammenspiel mit Schmuck. Im Lesen teilen sich mein subjektiver Blick und meine persönliche Interpretation mit. Die gegenübergestellten Arbeiten von internationalen Schmuckkünstlern visualisieren die Aktualität und Präsenz der beschriebenen Werte. Ihre Zuordnung ist subjektiv.

Schmuck als Objekt zum Zählen