Innovationen und Erfindungen - Vaclav Smil - E-Book

Innovationen und Erfindungen E-Book

Vaclav Smil

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Beschreibung

Welche Erwartungen sind realistisch? Was dürfen wir hoffen? Erfindungen wie Luftschiffe, Kernspaltung und Überschallgeschwindigkeit galten bei ihrer Geburtsstunde als bahnbrechend und sollten das Leben auf der Erde maßgeblich beeinflussen. Diese Innovationen konnten ihrem Hype jedoch nie gerecht werden und wurden längst von Alternativen überholt. In seinem neuesten Werk untersucht der weltweit angesehene Umweltwissenschaftler und Energieexperte Vaclav Smil einige Technologien, die trotz enormer Investitionen an Aufwand und Kapital nicht das gehalten haben, was sie versprachen, oder gar katastrophale Auswirkungen mit sich brachten. Er bietet ein klares Korrektiv zu den überzogenen Versprechungen, die mit Entdeckungen und Erfindungen einhergehen, von neuen Heilmitteln für Krankheiten über Kernfusion bis hin zu künstlicher Intelligenz. Er erinnert uns daran, dass wir selbst dann, wenn wir auf dem Weg von der Erfindung über die Entwicklung bis hin zur Anwendung recht weit gekommen sind, vielleicht nie etwas wirklich einsetzen können. Abschließend stellt er eine Wunschliste von Erfindungen auf, die wir am dringendsten benötigen, um die gewaltigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Angereichert mit spannenden Beispielen und pragmatischen Ansätzen ist Innovationen und Erfindungen eine ernüchternde Darstellung der Torheit, die dem menschlichen Erfindungsreichtum so oft anhaftet, und zeigt, wie wir unsere Erwartungen besser mit der Realität in Einklang bringen können und müssen. Vaclav Smil geht auf drei verschieden Arten von Erfindungen ein: Erfindungen, die erst willkommen und später unerwünscht waren ·verbleites Benzin ·DDT ·Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) Erfindungen, die unser Leben bestimmen sollten – und es nicht tun ·Luftschiffe ·Kernspaltung ·Überschallflug Erfindungen, auf die wir noch warten ·Reisen im (Beinahe-)Vakuum (Hyperloop) ·Stickstoffbindendes Getreide ·Kontrollierte Kernfusion

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Seitenzahl: 352

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VACLAV SMIL

INNOVATIONEN UND ERFINDUNGEN

VACLAV SMIL

INNOVATIONEN UND ERFINDUNGEN

Eine kurze Geschichte des Hypes und des Scheiterns

Aus dem Englischen von Dr. Ulrich Korn

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

1. Auflage 2023

© 2023 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2023 bei The MIT Press unter dem Titel Invention and Innovation: a brief history of hype and failure. © 2023 by Massachusetts Institute of Technology. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Projektleitung: Fabian Neidl

Übersetzung: Dr. Ulrich Korn

Redaktion: Rainer Weber

Korrektorat: Anke Schenker

Umschlaggestaltung: Karina Braun

Satz: Daniel Förster

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-708-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-363-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-364-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Inhalt

Kapitel 1 Erfindungen und Innovationen

Eine lange Geschichte und die Verblendung der Moderne

Kapitel 2 Erfindungen, die erst willkommen und später unerwünscht waren

Verbleites Benzin

DDT

Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW)

Kapitel 3 Erfindungen, die unser Leben bestimmen sollten – und es nicht tun

Luftschiffe

Kernspaltung

Überschallflug

Kapitel 4 Erfindungen, auf die wir noch warten

Reisen im (Beinahe-)Vakuum (Hyperloop)

Stickstoffbindendes Getreide

Kontrollierte Kernfusion

Kapitel 5 Technik-Optimismus, Übertreibungen und realistische Erwartungen

Durchbrüche, die keine sind

Der Mythos der immer schnelleren Innovationen

Was wir am meisten benötigen

Weiterführende Literatur

Kapitel 1

Erfindungen und Innovationen

Eine lange Geschichte und die Verblendung der Moderne

Die Evolution unserer Spezies ist eine Geschichte von Veränderungen, die sowohl unsere physiologische Beschaffenheit als auch unser Verhalten betreffen und die eng mit den Resultaten menschlicher Erfindungen verknüpft sind. Das Wort Erfindung ist ein Sammelbegriff und enthält Elemente aus vier Hauptkategorien. Die erste Kategorie umfasst eine enorme Vielfalt von einfachen, handgefertigten Gegenständen, angefangen mit Steinwerkzeugen, die unsere Vorfahren angefertigt haben, sobald sie auf zwei Füßen standen und somit ihre freien Hände nutzen konnten, um komplizierte Aufgaben zu erledigen. Der Fortschritt bei der Werkzeugherstellung war, soweit wir ihn anhand von Ausgrabungen oder Entdeckungen in Höhlen beurteilen können, sehr langsam. Die ältesten rohen Steinwerkzeuge entstanden vor mehr als 3 Millionen Jahren. Größere, gut gefertigte Handbeile mit beidseitig bearbeitetem Stein und Cleavers (schwere, rechteckige Hauwerkzeuge mit Stil und scharfer Schneide an einem Ende, heute als »Hackmesser« ein Küchen-Utensil) folgten erst vor etwa 1,5 Millionen Jahren, hölzerne Speere mit Steinspitzen scheinen etwa eine halbe Million Jahre alt zu sein, und erst vor etwa 25 000 Jahren beherrschten die Jäger des Jungpaläolithikums die handwerkliche Herstellung einiger zusammengesetzter Werkzeuge, darunter Dechseln, Äxte, Harpunen, Nadeln und Sägen sowie die dazugehörige Töpferei.

Die weitverbreitete Einführung des Ackerbaus war die Voraussetzung für die Erfindung zahlreicher landwirtschaftlicher Geräte. Die Domestizierung der Pferde zum Reiten begann mit Trensen und Zaumzeug (Steigbügel und Sättel kamen erst viel später). Für Zugtiere mussten viele besondere Hilfsmittel ersonnen werden, um sie vor Pflüge, Karren oder Wagen zu spannen: Kummets, Zügel, Zugstränge sowie Bauchgurte für Pferde und Joche für Ochsen. Alle sesshaften Gesellschaften beschäftigten sich mit der Herstellung von Holzmöbeln, dem Entwerfen und Brennen von Töpferwaren und dem Schmelzen von Erzen zur Herstellung von Werkzeugen und Waffen, und einige von ihnen waren darin besonders gut. Heutige Gesellschaften sind immer noch auf viele solche einfachen Produkte angewiesen, darunter Hämmer und Sägen, Holzstühle und -bänke sowie Tassen und Teller. Allerdings basiert nur noch ein winziger Teil ihrer Produktion auf handwerklicher Fertigung, da Maschinen die Arbeit übernommen haben.

Maschinen gehören zur zweiten Kategorie von Erfindungen, nämlich zu den neuen und mehr oder weniger komplexen Geräten oder Mechanismen, die sowohl für den stationären Gebrauch als auch für den Transport eingesetzt werden. Große Wasserräder, Windmühlen, hohe Hochöfen aus Stein mit wasserradbetriebenen Blasebälgen aus Leder und hochseetüchtige Segelschiffe gehörten zu den markantesten vormodernen Erfindungen dieser Kategorie. Im späten 19. Jahrhundert listeten die jährlichen Kataloge des US-amerikanischen Einzelhandelsunternehmens Sears, Roebuck and Company Tausende solcher Erfindungen auf, von Taschenuhren bis hin zu kleinen Nähmaschinen und großen Dreschmaschinen für Weizen, und die Produktpalette der jüngsten Zeit bietet immer wieder Beispiele für den Überfluss an Gütern: Wir haben heute mehr als 1000 Modelle von Mobiltelefonen auf dem Weltmarkt und in den USA etwa 700 verschiedene Modelle von Pkws (ich kann nicht mehr von Autos sprechen, da es sich bei den neuen Fahrzeugen meist um SUVs, Pick-ups und Vans handelt).

Neue Ideen müssen realisiert werden – sei es als einfache praktische Werkzeuge, als komplexe Maschine oder als noch kompliziertere Maschinenaggregate, die zum Inventar moderner Industrieunternehmen gehören und die heute oft hoch automatisiert sind: Autofabriken sind vielleicht das bekannteste Beispiel für technische Baugruppen, in denen Roboter alles übernehmen: vom Befördern und Positionieren der Teile bis hin zum Schweißen und Lackieren. Aus leicht verfügbaren Steinen und Holz lässt sich nur eine begrenzte Zahl von Werkzeugen, Maschinen und Bauten herstellen. Deshalb ist die dritte Kategorie der Erfindungen, zu der neue Materialien gehören, ein augenscheinliches Kennzeichen für den Fortschritt der Zivilisation: vom Zeitalter der Stein- und Holzverwendung bis zur Ära der Metalle, Gemische und (chemischen) Verbindungen. Die Erfindungen in der dritten Sparte waren zunächst aus Bronze, dann ging man zu Eisen und Stahl (einer weitgehend entkarbonisierten Eisenlegierung) über. Heute sind es Aluminium und ein Dutzend anderer gebräuchlicher Metalle sowie Glas, Zement (ein Gemenge verschiedener Materialien wie Kalkstein, Ton und Mergel) und, seit dem späten 19. Jahrhundert, eine immer noch wachsende Vielfalt von Kunststoffen. Jüngst kamen noch Verbundwerkstoffe auf Kohlenstoffbasis hinzu, die leicht und dennoch solider als Stahl sind.

Die vierte Kategorie von Erfindungen umfasst neue Produktions-, Betriebs- und Managementmethoden, die von geringfügigen, aber wirtschaftlich lohnenden Verbesserungen bis hin zu grundlegend neuen und hochgradig automatisierten Methoden der Massenproduktion, Informationsbeschaffung und Datenverarbeitung reichen. Eine der bemerkenswertesten und folgenreichsten Erfindungen dieser Art war die vollautomatische Blasmaschine von Michael Joseph Owens zur Flaschenherstellung aus dem Jahr 1904. Jahrhundertelang mussten Flaschen einzeln geblasen werden, im späten 19. Jahrhundert kamen dann die ersten halb automatischen Maschinen auf den Markt. In beiden Fällen waren es Kinder, die geschmolzenes Glas tragen, bearbeiten und es aus den Formen lösen mussten. Bis 1899 arbeiteten mehr als 7000 amerikanische Jungen unter diesen heißen und gefährlichen Bedingungen, wie auf zeitgenössischen Fotos zu sehen ist. Nur die Kinderarbeit in den Kohleminen war ähnlich entsetzlich. Im Gegensatz dazu holten Owens’ Maschinen das Glas direkt aus dem Ofen, und der gesamte Prozess erforderte keinerlei menschliche Arbeit. Schon Owens’ frühestes Modell konnte 2500 Flaschen pro Stunde herstellen, verglichen mit 200 Flaschen pro Stunde mit halb automatischen Geräten (Abb. 1.1).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde fast jede etablierte Art der industriellen Massenproduktion durch die Einführung elektronischer Steuerungen (die heute in jedem neuen Reiskocher oder jeder Kaffeemaschine zu finden sind) umgestaltet – effizienter, billiger, schneller. Die Elektronik hatte einen noch größeren Einfluss auf die Erfassung, Verarbeitung und Verbreitung von Daten. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Begriffe »Taschenrechner« und »Computer« im Zusammenhang mit (meist jüngeren) Frauen verwendet, die mit der mühsamen Dateneingabe und -verarbeitung beschäftigt waren. Heute verfügt jeder kleine Laptop über eine Datenverarbeitungsleistung, die den fortschrittlichsten Computern der späten 1960er-Jahre vor der Einführung der Mikroprozessoren weit überlegen ist. Die Auswahl an elektronischen Geräten reicht von kleinen Überwachungsgeräten, von denen einige so winzig sind, dass sie auf dem Rücken fliegender Insekten angebracht werden können, bis hin zu riesigen Datenservern, die aufgrund ihres permanent hohen Strombedarfs in der Nähe kostengünstiger Energieversorgungsanlagen gebaut werden.

Im allgemeinen Sprachgebrauch meinen die Begriffe »Erfindung« und »Innovation« weitgehend dasselbe. Doch Innovation ist vielleicht am besten zu verstehen als der Prozess der Einführung, Übernahme und Beherrschung neuer Materialien, Produkte, Verfahren und Ideen. Demzufolge kann es viele Erfindungen ohne entsprechende Innovationen geben. Die ehemalige UdSSR ist vielleicht das beste Beispiel für diese Unstimmigkeit in der jüngsten Vergangenheit. Sowjetische Wissenschaftler haben viele bemerkenswerte Erfindungen hervorgebracht, von denen acht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden (darunter Landau und Kapiza für die Tieftemperaturphysik und Bassow und Prochorow für Laser- und Masertechnologie). Und die vorrangige, finanzkräftig unterstützte Forschungs- und Entwicklungsarbeit auf dem Gebiet militärischer Technologie führte dazu, dass die Waffen des Landes mit den Fortschritten der USA mithalten konnten.

Die Sowjetunion verfügte über 45 000 Atomsprengköpfe. Die MiG-29 und die Su-25 gehörten zu den besten Kampfflugzeugen, die je im Einsatz waren, und als amerikanische Ingenieure das erste Tarnkappenflugzeug der Welt entwarfen, machten sie sich die Gleichungen von Pjotr Ufimzew zunutze, um die Reflexionen elektromagnetischer Wellen an der Oberfläche des Flugzeugs vorherzusagen. Die UdSSR war auch auf dem wichtigsten Energiesektor der Welt führend: Sowjetische Wissenschaftler und Ingenieure entdeckten die riesigen Kohlenwasserstofffelder Sibiriens, entwickelten die größte Öl- und Gasindustrie weltweit und bauten (zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung) die längsten Pipelines der Welt, die einen Großteil des europäischen Rohöl- und Erdgasbedarfs deckten.

Abbildung 1.1 Die Maschine zur Glasformung von Michael Joseph Owens. US-Patent angemeldet von der Toledo Glass Company. Quelle: M. Owens, Maschine zur Glasformung (US-Patent 766, 768, angemeldet am 13. April 1903 und erteilt am 2. August 1904), https://patents.google.com/patent/US766768.

Doch 1991, als das Land – bemerkenswerterweise ohne Gewalteinwirkung – zerfiel, litt die Sowjetunion unter zahlreichen Innovationslücken, angefangen bei den Schlüsselindustrien bis hin zu denjenigen, die zur Befriedigung der grundlegenden Verbrauchernachfragen benötigt wurden. Stahl ist das vorherrschende Metall der modernen Zivilisation. Anfang der 1990er-Jahre wurden in der EU, in Nordamerika und in Japan keine Siemens-Martin-Öfen mehr zu seiner Herstellung verwendet – einfache Sauerstofföfen hatten in den Fünfzigern begonnen, sie zu ersetzen –, aber dieses Verfahren aus dem 19. Jahrhundert (das in den 1860er-Jahren zur Stahlherstellung eingeführt wurde) wurde in den letzten Jahren der Sowjetunion immer noch verwendet, um fast die Hälfte der Metallproduktion des Landes zu decken. Und der Innovationsrückstand der UdSSR bei der Massenproduktion alltäglicher Konsumgüter, von Blue Jeans bis hin zu PCs, war einer der anhaltenden Gründe für die Unzufriedenheit der Bevölkerung und zweifellos ein Faktor, der zum Niedergang des Sowjetregimes beitrug.

Im Gegensatz zum sowjetischen Innovationsversagen ist die wirtschaftliche Entwicklung Chinas nach 1990 das beste jüngste und bislang historisch unerreichte Beispiel für eine Masseninnovation, die auf der schnellen Aneignung zahlreicher ausländischer Erfindungen beruht. Die chinesische Wirtschaft ist nicht etwa um das 14-Fache gewachsen und das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen des Landes nicht um mehr als das 11-Fache gestiegen (beides inflationsbereinigt), weil inländische bahnbrechende Erfindungen in nie da gewesener großer Menge auftraten. Der Grund war vielmehr, dass Geräte oder Produktionsverfahren, die Jahrzehnte (oder Jahre, wenn es sich um die neuesten Fortschritte handelt) zuvor im Ausland entwickelt worden waren, auf ein neues, aufgeschlossenes Umfeld trafen und in großem Rahmen eingesetzt wurden. Resolute Anstrengungen des Landes und Billionen von Dollar an ausländischen Direktinvestitionen gingen einher mit einer breit gefächerten Übernahme der neuesten Maschinen, Designs und Verfahren. Dies geschah zum einen durch den Erwerb von Patenten und zum anderen durch die Weitergabe von Know-how seitens amerikanischer, europäischer und japanischer Unternehmen, die in den chinesischen Markt eintreten wollten. Diese legalen Übernahmen wurden begleitet von weitreichender und unerbittlicher Industriespionage.

Die Kommunistische Partei Chinas hat ihre Lektion aus dem Zerfall der Sowjetunion gelernt: keine Lockerung der Kontrolle wie bei Gorbatschows Versuch, ein nicht reformierbares politisches Regime zu reformieren. Es war vielmehr eine in ihrem Ausmaß beispiellose, von Innovationen geleitete wirtschaftliche Expansion, die zu einem raschen Anstieg der Lebensqualität führte und die Macht der Partei sogar noch festigte. Das allererste kommerzielle Handelsgeschäft nach Richard Nixons Besuch im Februar 1972, um sich »China zu öffnen«, war Chinas Erwerb der modernsten Anlagen der Welt zur Ammoniaksynthese, die von der amerikanischen M. W. Kellogg Company entwickelt worden waren. Diese Anschaffung war entscheidend, um eine weitere große Hungersnot in einem Land mit einer schnell wachsenden Bevölkerung und ohne moderne Düngemittelindustrie zu verhindern.

In der Folge gaben Tausende ausländischer Unternehmen (angeführt von den größten multinationalen Konzernen wie Toyota, Hitachi, Nippon Steel, GM, Ford, Boeing, Intel, Siemens und Daimler) ihr Know-how an China weiter. Und zwar indem sie in der Regel zu Joint Ventures gezwungen wurden, die das gesamte Fachwissen für chinesisches »Reverse Engineering« (das bedeutet den Nachbau eines bereits bestehenden Produkts) bereitstellten. Es ist nur allzu offensichtlich, dass China davon profitiert hat, als Spätzünder auf einer riesigen Innovationswelle zu reiten, die durch die Übernahme perfekter ausländischer Erfindungen ausgelöst wurde. Natürlich gingen auch Japan und Südkorea diesen Weg, angefangen in den 1950er- beziehungsweise 1970er-Jahren. Aber auf dem Weg dorthin wurden sie nicht nur zu entschlossenen Innovationsmächten, sondern auch zu wichtigen Volkswirtschaften mit Erfindungsgeist. Beachtliche Beispiele reichen von Sonys Führungsposition bei der frühen Entwicklung der Unterhaltungselektronik und Toyotas fehlerarmem Just-in-time-Fabrikmanagement bis hin zur Entwicklung fortschrittlicher Mikroprozessoren, Mobiltelefone und Batterien (unter anderem durch Samsung, SK Hynix, LG und Panasonic). Bislang gab es keine vergleichbar wichtigen, weltweit anerkannten und kommerziell lohnenden Beiträge aus China (obwohl manch einer behaupten könnte, Huawei solle miteingeschlossen werden).

Blickt man auf die lange Geschichte der Erfindungen zurück, ist es kaum überraschend, dass viele Historiker und Wirtschaftswissenschaftler beeindruckt waren, wie schnell diese Fortschritte an Fahrt aufgenommen haben. Die Häufigkeit und die Folgen der wirklich epochalen Erfindungen des 19. Jahrhunderts unterscheiden sich von dem viel weniger effektiven und wesentlich langsameren technischen Fortschritt des 18. Jahrhunderts – die Rede ist von der industriellen Revolution. Aber die Fortschritte des 20. Jahrhunderts waren vielleicht noch bemerkenswerter. Wie Joel Mokyr betont, fanden sie trotz zweier langwieriger Weltkriege und trotz des Aufstiegs totalitärer Regime statt, die ihre Herrschaft über weite Teile Europas und Asiens ausdehnten:

»In der Vergangenheit hätten solche Katastrophen ausgereicht, um Volkswirtschaften um Hunderte von Jahren zurückzuwerfen oder sogar ganze Gesellschaften zur Stagnation oder Barbarei zu verdammen. Doch keine von ihnen konnte die Kraft der immer schneller werdenden Innovationen im 20. Jahrhundert aufhalten, um ein schnelles Wachstum in weiten Teilen der industrialisierten und sich industrialisierenden Welt anzuregen.«

Die Vorstellung von immer schnelleren Innovationen steht ganz oben auf der Liste der unablässig wiederholten Mantras des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Natürlich dient eine steigende Zahl von Patenten nicht als ideale Messlatte für diese Innovationsbeschleunigung (zu viele Patente schützen geringfügige Variationen und marginale Verbesserungen einflussreicher Entdeckungen). Es ist jedoch unbestreitbar, dass die dekadischen Gesamtzahlen der vom US-amerikanischen Patent- und Markenamt (USPTO) erteilten Anmeldungen, einschließlich der Erteilungen an Ausländer, von nur 911 im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts auf fast 250 000 in den 1890er-Jahren und dann von etwa 340 000 im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf etwa 1 653 000 in den 1990er-Jahren angestiegen sind – eine Steigerung um fast das 2000-Fache in 200 Jahren.

Natürlich hat dieser einfache, für Auswertungszwecke ungeeignete und in gewisser Weise offensichtlich irreführende Anstieg der Gesamtzahl der Patente immer auch zweifelhafte Einträge und sogar einige wirklich kuriose Erzeugnisse enthalten. Im Jahr 1932 erstellten Alford Brown und Harry Jeffcot eine kleine Auflistung solcher Fälle aus den Akten des USPTO. Man muss sich fragen, welcher Teufel professionelle Patentbewerter geritten haben muss, solchen Dingen Patentschutz zu erteilen wie einem »verbesserten Sarg« (mit dem eine Person »nachdem sie das Bewusstsein wiedererlangt hat, über eine Leiter aus dem Grab und dem Sarg aufsteigen kann«) oder einem »Gerät zur Bildung von Grübchen«. Wenn Sie glauben, wir hätten solche albernen Dinge hinter uns gelassen, wird Ihnen ein regelmäßiger Blick auf die Website »Stupid Patent of the Month« der Electronic Frontier Foundation klar vor Augen führen, dass es an solchem Schwachsinn nicht mangelt. Ich greife hier das US-Patent 8.609.158 B2 heraus, das 2013 erteilt wurde. Ein langes Zitat ist notwendig, um zu verdeutlichen, wie fragwürdig das Patentierungsverfahren nach wie vor ist. Das Patent, das einer einzigen Erfinderin, Diane Elizabeth Brooks, gewährt wurde, ist für Dianes »Manna«,

»… ein potentes Medikament mit narkotischer Wirkung, das aus eindeutig und einzigartig kombinierten und verarbeiteten austauschbaren Samen und Samenderivaten hergestellt wird, die so stark sind, dass sie Depressionen, Gemütsstörungen, Symptome von Aufmerksamkeitsstörungen, Denkstörungen, Geisteskrankheiten, Schmerzen, Hasenscharten, körperliche Probleme, Lymphknotenkrebs und viele andere Krankheitssymptome beheben oder lindern. Es beseitigt Beulen im Nacken innerhalb von ein oder zwei Wochen und ist in den meisten Bereichen austauschbar … Es ist extrem wirkmächtig und kann abgeschwächt werden, um Ihr kleines Kind mit Aufmerksamkeitsdefiziten wieder normal zu machen. Es ist ein unglaublicher Stimmungsstabilisator und mindert Psychosen. Verwenden Sie es für Krebspatienten und für Menschen mit Schmerzproblemen. Es wirkt.«

Es übersteigt jegliches Vorstellungsvermögen, dass dieser Antrag tatsächlich genehmigt wurde. Es gibt jedoch auch viele sachlich begründete Bewilligungen, die gleichwohl immer noch in die Schublade »Es ist zum Kopfschütteln« fallen, so auch das 2012 an Apple erteilte US-Patent D670, 286S1 (insgesamt waren es zehn Antragssteller, darunter Steve Jobs und der Chefdesigner des Unternehmens, Jonathan Ive) für ein »tragbares Display«, das heißt für ein Rechteck mit abgerundeten Ecken (Abb. 1.2). Ich kann es mir nicht verkneifen, noch eine weitere amerikanische Patentanmeldung von Susan R. Harsh zu zitieren, und zwar für »ein Kit und eine Vorgehensweise, wodurch Schmierereien, welche mit der Hundenase auf einer Fläche entstanden sind, auf einer weiteren Ebene in eine Art Hundenasenkunst umgewandelt werden«. Erstaunlich ist, dass dieses Patent noch nicht erteilt wurde.

Es gibt in der Tat einige aufschlussreiche Methoden, innovative Musterideen zu bewerten und bahnbrechende Erfindungen zu erkennen (ich stelle sie im letzten Kapitel dieses Buches vor). Im Moment aber können wir nur auf die realen quantitativen und qualitativen Verbesserungen hinweisen, die – so die Überzeugung vieler – einer größer werdenden Flut von Erfindungen zu verdanken sind, und diese innovativen Erfolge nicht als etwas endgültig Abgeschlossenes betrachten, sondern als bloße Grundlagen für weitere und sich weiter beschleunigende Fortschritte. Moderne Erfindungen tragen das Versprechen allumfassender Errettung quasi in sich, da sie jedes sich uns stellende Problem aus dem Weg räumen, sei es technischer, ökologischer oder sozialer Natur. Darüber hinaus werden Lösungen nicht nur als kleine oder allmähliche Fortschritte in Aussicht gestellt, sondern als Veränderungen, die sich am besten mit Adjektiven wie »revolutionär«, »erneuernd« oder »bahnbrechend« beschreiben lassen. Und ihr nahendes weltveränderndes Potenzial soll alle Bereiche abdecken, von der Ernährung bis zur Langlebigkeit und von der Energieversorgung bis zu Reisen.

Wir haben die Zahl der unterernährten Menschen bereits auf weniger als ein Zehntel der Weltbevölkerung verringert. Warum also die Ernährungsengpässe nicht ganz beseitigen, und wenn wir schon dabei sind: Warum legen wir unsere Abhängigkeit von Feldfrüchten nicht ad acta, indem wir Nahrungsmittel in klimaregulierten Hochhäusern erzeugen oder synthetische Kapseln schlucken, die eine komplette Ernährung bieten? In den vergangenen zwei Jahrhunderten haben wir die durchschnittliche Lebenserwartung in den wohlhabenden Ländern bereits verdoppelt.

Warum also sollten wir sie durch ausgeklügelte Genmanipulationen nicht mindestens noch einmal verdoppeln oder uns mit CRISPR, der »Gen-Schere«, den Weg zur Unsterblichkeit bahnen? Im selben Zeitraum haben die wohlhabenden Länder die Pro-Kopf-Energieversorgung vervielfacht (in unterschiedlichem Tempo). Warum also bauen wir das nicht weiter aus, während wir durch die Umwandlung erneuerbarer Energiequellen alle fossilen Kohlenstoffe als Energieträger abschaffen? Wir können bereits mit einer Geschwindigkeit von etwa 300 km/h auf der Erde und nahezu mit Schallgeschwindigkeit (fast 1000 km/h) in der Luft reisen. Warum also nicht auch mit Überschallgeschwindigkeit in unterirdischen oder hoch gelegenen Vakuumröhren oder in Passagierflugzeugen, die den Atlantik in ein paar Stunden überqueren?

Abbildung 1.2 Die dritte Darstellung in Apples US-Patentanmeldung D670, 286S1 (ausgestellt im November 2012) zeigt ein »tragbares Display« – ein mittlerweile bekanntes Rechteck mit abgerundeten Ecken. Quelle: J. Akana et al., Portable display device (US Patent D670, 286S1, eingereicht am 23. November 2010 und erteilt am 6. November 2012), https://patents.google.com/patent/USD670286.

Angesichts des exponentiellen (immer schnelleren) Tempos moderner Erfindungen wird uns stets aufs Neue gesagt, dass solche Zielsetzungen nicht außergewöhnlich kühn sind oder unrealistische Ambitionen verfolgen. Die Mathematik lässt sich dabei nicht umgehen: Es ist ein unvermeidliches Merkmal eines lang anhaltenden exponentiellen Wachstums, dass es in einer Singularität endet, einem Zeitpunkt, an dem eine Funktion einen unendlichen Wert erreicht, wodurch alles sofort möglich wird. Aber man muss kein Verfechter des aufkommenden Kults der Singularitäten sein, denn auch viel banalere Patentansprüche sind beeindruckend – und tauchen immer wieder auf. So werden Durchbrüche bei der Behandlung von Krankheiten (Medikamente, die angeblich Alzheimer heilen), der Speicherung von elektrischer Energie (die Erfindung von Batterien mit unerhörter Energiedichte) und sogar die Umbildung anderer Planeten in bewohnbare Welten (das sogenannte Terraforming des Mars) angekündigt. Die Realität ist weit weniger erhaben, und dieses Buch ist eine bescheidene Erinnerung an die Welt, wie sie ist, und nicht die Welt der übertriebenen Ansprüche oder, noch schlimmer, die imaginäre Welt der unhaltbaren Fantasien.

Bevor ich fortfahre, muss ich anmerken, dass ich mich hier nicht mit den zahlreichen Fehlentwicklungen befasse, die zu katastrophalen Ereignissen geführt haben (darunter so bekannte Tragödien wie der Untergang der Titanic im Jahr 1912 und die Katastrophe beim Start der Challenger im Jahr 1986). Auch nicht mit denen, die kommerziell nicht erfolgreich waren (Sonys Videorekorder Betamax, der von JVCs VHS verdrängt wurde) oder für ihre Peinlichkeiten berüchtigt sind (Edsel und Pinto von Ford oder Google Glass). Historiker, die sich mit dem technischen Fortschritt befassen, haben viele dieser Misserfolge in Studien ausführlich beschrieben, etwa über so hoffnungslose Konstruktionen wie die elektrischen Pflüge in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg oder die Gasturbinen von Chrysler für Autos. Und eine kürzlich erschienene Auflistung gibt einen Überblick über die zwölf peinlichsten Produktpleiten von Apple, vom Macintosh TV bis zum Power Mac G4 Cube.

Wer sich für diese gescheiterten Konstruktionen interessiert, sollte Susan Herrings 1989 erschienenes Buch From the Titanic to the Challenger lesen, in dem nicht weniger als 1354 solcher Fehlschläge des 20. Jahrhunderts aufgezählt sind, oder Michael Schiffers Spectacular Flops, in dem der Leser einige ältere Beispiele (einschließlich Teslas Weltsystem der drahtlosen Stromverteilung) und einige neuere Wahnvorstellungen (ein Bomber mit Kernreaktorantrieb) findet. Gleichzeitig muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass viele Fehlschläge bei der Konstruktion von technischen Objekten und Systemen nicht nur unvermeidlich sind, sondern sie sind auch wertvolle Lektionen darüber (wenn auch oft kostspielig und manchmal tragisch), was zu vermeiden und was zu korrigieren ist. Deshalb hat Henry Petroski sein Buch, das diesen Aspekten gewidmet ist, mit dem Untertitel The Role of Failure in Successful Design versehen.

Ebenso wenig geht es in diesem Buch um die vielen unerwünschten, oft ärgerlichen und manchmal sogar tödlichen Folgen vieler massenhaft verbreiteter und gänzlich etablierter moderner Erfindungen. Diese Begleiterscheinungen, Schattenseiten und Komplikationen wurden oft vorhergesehen. Viele von ihnen wurden genau beobachtet, bewertet und in monetären Aufwand und Kosten bei der Lebensqualität umgerechnet; zudem waren sie Gegenstand zahlreicher Forschungen und Bemühungen, sie zu verhindern oder zu entschärfen. Die Auswirkungen von verschreibungspflichtigen Medikamenten auf die Gesundheit und die Umwelt sind vielleicht die anerkannteste Kategorie von Nebenwirkungen in der heutigen Gesellschaft. Sie reichen von Unwohlsein bis zu rigorosen Gegenanzeigen aufgrund von Vorerkrankungen und von Arzneimittelmetaboliten in Flüssen und Gewässern bis zur Verbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien. Letzteres ist ein sehr ernstes und inzwischen auch ein globales Problem. Wir wissen seit vielen Jahrzehnten um seine weiter fortschreitenden Auswirkungen, aber trotz wiederholter Ermahnungen und Versprechungen kommt der Suche nach neuen Antibiotika immer noch nur ein Bruchteil der Mittel und des Engagements zu, das sie verdient.

Nicht weniger bemerkenswert ist die Tolerierung der vielfältigen Schattenseiten, die mit der Erfindung des Autos mit Verbrennungsmotor einhergingen. Diese Motoren bedeuten für uns Mobilität, Bequemlichkeit und die sprichwörtliche Freiheit der Straße, sorgen aber auch für schädliche Emissionen, neu gestaltete Stadtbilder (selten zum Besseren) und derart viele Todesfälle, wie man sie bei keinem gängigen verschreibungspflichtigen Medikament tolerieren würde. Sogar in den wohlhabendsten Ländern hat man erst in den 1970er-Jahren damit begonnen, die Emissionen zu reduzieren (mit Katalysatoren, einer neuen Erfindung, die uns zu Hilfe kam). Aber wir haben immer noch keine wirksamen weitverbreiteten Lösungen für Autos als Teil einer vernünftigen Städteplanung, und die jährliche weltweite Zahl der Verkehrstoten (einschließlich Fußgänger und Radfahrer) lag laut Schätzwerten zuletzt bei 1,35 Millionen.

Die Folgen bedeutender Erfindungen und unsere zum Teil beachtliche Duldung ihrer ungewollten Auswirkungen und Begleiterscheinungen ließen sich auf weitere Themen ausdehnen. Sie erstreckten sich von der ausgiebigen Nutzung synthetischer Stickstoffdünger bis zur Verschmutzung von Land und Wasser durch viele Kunststoffe – und sie würden ein langes Buch füllen, um sie auch nur oberflächlich zu behandeln. Hier entscheide ich mich für einen allgemeineren Ansatz für das Scheitern von Erfindungen. Dabei konzentriere ich mich auf die Tatsache, dass die Flut an grundlegenden und sehr erfolgreichen Erfindungen, die die moderne Zivilisation in den vergangenen 150 Jahren hervorgebracht hat, von einem zu Frustrationen führenden Fortschrittsmangel in vielen entscheidenden Bereichen begleitet wurde. Ferner richte ich meinen Fokus auf jene Innovationen, die sich – um es milde auszudrücken – weniger fruchtbar entwickelt haben, als ursprünglich erwartet. In diesem Buch untersuche ich drei Kategorien dieser gescheiterten Innovationen: unerfüllte Versprechen, enttäuschte Erwartungen und letztendliche Ablehnung.

Ich bin mir bewusst, dass einige Historiker des technischen Fortschritts den Begriff »gescheiterte Technologie« für irreführend halten, weil er (wie Tom Carroll auf dem Symposium über gescheiterte Innovationen 1989 argumentierte) auf die positivistisch gefärbte Lesart einer Dynamik hindeutet, »die einer potenziellen Innovation entweder innewohnt oder nicht«, während die weitaus wichtigere Unterscheidung darin besteht anzuerkennen, dass »Erfolg« oder »Misserfolg« von gesellschaftlichen Entscheidungen abhängt. Zweifellos sind technische Fortschritte nicht etwas Eigengesetzliches und werden in großem Maße von sozialen Bedingungen und Kontexten beeinflusst. Aber allzu offensichtlich schlagen die wichtigsten Einflüsse die andere Richtung ein, und oft liegt es nicht in der Macht offener Gesellschaften (oder sogar der Machthaber in Diktaturen) zu entscheiden, welche Innovationen sie annehmen oder nicht.

Ich beginne mit Erfindungen, nach denen eifrig gesucht wurde, und die, als sie schließlich auf den Markt kamen, allgemein (und oft begeistert) gepriesen und schnell markttechnisch verwertet wurden und sich weltweit durchgesetzt haben. Doch irgendwann, sogar Jahrzehnte später, erwiesen sie sich als so lästig und so schädlich für Mensch und Umwelt, dass man ihnen großes Misstrauen entgegenbrachte und sie in der Folge für die Zwecke, für die sie ursprünglich erfunden worden waren, gänzlich verboten wurden. Die Einführung von bleihaltigem Benzin ermöglichte den reibungslosen Betrieb von Verbrennungsmotoren. Es dauerte jedoch mehrere Jahrzehnte, bis die daraus resultierenden Emissionen eines neurotoxischen Schwermetalls allgemein als inakzeptabler Kompromiss erkannt wurden. In der Folge begannen die Länder, zunächst die USA im Jahr 1970, die Verwendung dieses Zusatzstoffs zu verbieten. Kurz darauf wurde der Einsatz von DDT als weitverbreitetes Mittel zur Insektenbekämpfung verboten, und 1987 wurde in einem weltweiten Abkommen ein Zeitplan für die sukzessive Abschaffung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe festgelegt, die häufig als Kühlmittel verwendet werden und deren steigende Konzentration in der Atmosphäre mit dem Rückgang des stratosphärischen Ozons in Verbindung gebracht wurde.

Die nächste Kategorie gescheiterter Erfindungen, der ich mich widme, beinhaltet drei wichtige Beispiele für Fortschritte, deren anfängliches Versprechen die letztendliche Vorherrschaft in ihren jeweiligen Marktnischen zu sichern schien: Luftschiffe für einen kostengünstigen Langstreckenluftverkehr, Kernspaltung zum Zwecke der Stromerzeugung und Überschallflugzeuge für schnelle Interkontinentalreisen. Diese Innovationen wurden auf den Markt gebracht und kamen mehr oder weniger überall zum Einsatz. Allerdings erkannte man schon bald, dass sie ihr ursprünglich erhofftes Potenzial nicht erreichen würden. Chronologisch gesehen waren es zunächst Zeppeline, die konkret zum Scheitern verurteilt waren, und zwar auf spektakuläre Weise. Denn die in Flammen aufgehende Hindenburg wurde zu einem der meistreproduzierten Bilder einer technischen Katastrophe. Doch dieser tragische Unfall beendete nicht den Traum der Luftschifffahrt. Die Versuche, diese Transportart in den Lüften wiederzubeleben, wurden fortgesetzt, auch nachdem Passagierflugzeuge mit Düsenantrieb nach 1960 schnell die globale Luftfahrt erobert hatten, und in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts gab es neue Vorschläge für bessere Zeppeline.

Die Kernspaltung ist ein Fall enttäuschter Erwartungen in viel größerem Ausmaß, und sie ist zweifelsohne das beste Beispiel für das, was ich als erfolgreiches Scheitern bezeichne. Trotz ihres beachtlichen wirtschaftlichen Einsatzes (mehr als 400 Reaktoren sind auf drei Kontinenten in Betrieb) und trotz ihres wichtigen Beitrags zur Stromerzeugung in mehreren wohlhabenden Ländern bleibt ihr derzeitiger Anteil am Weltmarkt weit hinter dem zurück, was man in der Anfangsphase ihrer mit Begeisterung gefeierten Einführung von dieser komplexen Technik erwartet hatte: nichts anderes als die absolute Vorherrschaft bis zum Ende des 20. Jahrhunderts! Die Geschichte des Überschallflugs zeigt in gewisser Weise Ähnlichkeit mit diesen beiden Fällen: eine Zeit lang erfolgreicher als der Einsatz von Luftschiffen, letztlich nicht konkurrenzfähig, aber immer wieder durch neue Entwürfe wiederbelebt, deren Befürworter (wie auch die Unternehmen, die neue Reaktorkonstruktionen vorantreiben) behaupten, es werde diesmal anders sein, da die überdurchschnittlich schnellen Flugzeuge in der Lage sein werden, eine entwicklungsfähige Nische auf dem Weltmarkt zu erobern.

Die letzten Beispiele veranschaulichen relativ detailliert Erwartungen, die sich nicht erfüllt haben. Ich konzentriere mich auf nur drei Beispiele vieler höchst erstrebenswerter Erfindungen, deren massenhafte Kommerzialisierung wirklich große Veränderungen mit sich bringen würde und deren bevorstehender Erfolg seit Generationen verheißen wird, deren effektive und bezahlbare Verwirklichung jedoch stets jenseits des erkennbaren Horizonts zu liegen scheint. Die Idee von Hochgeschwindigkeitsreisen im Vakuum (oder, was wahrscheinlicher ist, in Röhren, in denen der Luftdruck auf einen kleinen Bruchteil des normalen atmosphärischen Drucks gesenkt wird) gibt es seit über 200 Jahren. Die jüngste, viel beachtete Wiederbelebung dieser Idee unter dem irreführenden Namen »Hyperloop« bietet eine gute Gelegenheit zu erklären, warum dieser generationenalte Traum noch immer auf eine praktische, günstige, zuverlässige und profitable Vermarktung wartet.

Mein zweites Beispiel für eine versprochene Erfindung, auf die wir immer noch warten, gehört zu einer weitaus weniger bekannten Sparte notwendiger Fortschritte, gleichwohl wäre sie tatsächlich eine der folgenreichsten Errungenschaften der Geschichte. Wenn die Getreideernten, die die Grundnahrungsmittel der Welt ausmachen (Weizen, Reis, Mais, Sorghum), einen bedeutenden Teil ihres Stickstoffbedarfs durch die Symbiose mit stickstoffbindenden Bakterien decken könnten – ähnlich wie Hülsenfrüchte, zum Beispiel Bohnen, Sojabohnen, Linsen und Erbsen –, würden wir nicht nur die Getreideernten weltweit steigern, sondern auch den Ausstoß und den Einsatz synthetischer Düngemittel reduzieren, wodurch viel Energie eingespart und mehrere Formen der Umweltverschmutzung vermieden würden. Mein letztes Beispiel ist die kommerzielle Nutzung der Kernfusion zur Stromerzeugung, ein Kunststück, das einige führende Physiker in den 1940er-Jahren erstmals angekündigt haben. Dies ist vielleicht das berühmteste und mit Sicherheit das meistpropagierte Beispiel der enttäuschten Erwartungen, und ich erörtere hier, mit welch erstaunlicher Hartnäckigkeit dieser Traum verfolgt wird, dessen Verwirklichung stets in weiter Ferne zu liegen scheint.

Natürlich kann jede dieser drei Kategorien der gescheiterten Innovationen mit weiteren Beispielen illustriert werden. Mit Blick auf die Erfindungen, die erst willkommen, später dann lästig waren, hätte ich die Geschichte der hydrierten Pflanzenöle hinzufügen können. Deren kommerzieller Erfolg begann 1911 mit der teilweisen Hydrierung von Baumwollsamenöl, was bei Procter & Gamble zu der Herstellung von Crisco (kristallisiertes Baumwollsamenöl) führte, ein Fett, das bei Zimmertemperatur seine feste Konsistenz beibehält. Die Verwendung von Transfetten (ungesättigten Fettsäuren) wurde auf eine Reihe preiswerter Butter- und Schmalzersatzstoffe ausgeweitet, die lange haltbar waren und sich gut zum Backen und Frittieren eigneten – bis die Ernährungswissenschaft sie mit einem erhöhten Cholesterinspiegel im Blut und einem höheren Risiko für Herzkrankheiten in Zusammenhang brachte und die Regierungen dazu übergingen, ihren Gebrauch im Alltag zu reglementieren.

Bei der Auflistung von Erfindungen, die die Welt beherrschen sollten, aber nie diese Bedeutung erlangten, hätte ich auch den Aufstieg und Fall von Blackberry erwähnen können. Das Mobiltelefon der CEOs und Präsidenten war für seine Sicherheitsfunktionen berühmt und angeblich dazu bestimmt, die Geschäftswelt zu dominieren. Aber seine Bedeutung währte nur etwa zehn Jahre: Das erste Smartphone kam 2002 auf den Markt, und 2013 konnte das Unternehmen nicht mehr mithalten und geriet in eine langwierige Talfahrt. Und wenn es um Erfindungen geht, auf die wir immer noch warten, dann wäre die Geschichte der Wasserstoffwirtschaft – vielleicht die ultimative, aber immer wieder aufgeschobene Lösung für die zunehmend dringlichere Notwendigkeit der globalen Dekarbonisierung – eine hervorragende Ergänzung.

Man könnte ein langes, interessantes Buch über Erfindungen schreiben, die ihren jeweiligen Produktions- oder Verbrauchssektor über Generationen hinweg, ja sogar mehr als ein Jahrhundert lang beherrschten, bevor sie recht schnell entweder ganz von der Bildfläche verschwanden oder nur noch als marginale Kuriositäten von exzentrischen Befürwortern am Leben gehalten oder wirtschaftlich an den Rand gedrängt wurden. Die bereits erwähnten Siemens-Martin-Öfen – ein System mit offener Feuerung – sind vielleicht das beste Beispiel für die erste Kategorie: Zwischen den 1870er- und den frühen 1950er-Jahren wurde der gesamte Primärstahl dadurch hergestellt, indem der Kohlenstoffgehalt von Gusseisen aus Hochöfen in diesen großen Behältern reduziert wurde.

Innerhalb einer Generation verschwanden die Hochöfen in Japan und Europa fast vollständig, in Nordamerika hielt man noch eine Zeit lang an ihnen fest, und einige dieser Öfen aus dem 19. Jahrhundert haben bis ins 21. Jahrhundert überlebt (Abb. 1.3). Ein Beispiel für einen noch schnelleren Abgang veranschaulicht eine Veränderung im Transportwesen: Ozeandampfer beherrschten fast ein Jahrhundert lang den interkontinentalen Passagierverkehr, bevor sie nur etwa ein Jahrzehnt nach der Einführung von transatlantischen Linienflügen in düsengetriebenen Flugzeugen verschwanden.

Und natürlich haben alle älteren Leser dieses Buches miterlebt, wie die neue Welt der Mikroelektronik viele Beispiele für den schnellen Beinahe-Untergang und das Randdasein von einst bewundernswerten Erfindungen hervorgebracht hat, deren Dienste mehr als ein Jahrhundert lang weltweit eine Vorrangstellung hatten. Schreibmaschinen wurden von PCs und später auch von tragbaren elektronischen Geräten verdrängt, Kameras durch Smartphones ersetzt und physische Formen der Musikaufzeichnung (Schallplatten, Kassetten, CDs) lösten sich gegenseitig ab, bevor der digitale Zugang sie alle ins Abseits drängte. Schreibmaschinen, Kameras und Schallplatten gibt es zwar immer noch, aber Erstgenannte werden nur noch von denjenigen als Secondhandprodukt erworben, die die mechanische Variante des Schreibens bevorzugen. Der Markt für Kameras mit austauschbaren Objektiven ist heute überwiegend auf Profi- und seriöse Naturfotografen beschränkt, und Musikaufnahmen sind eine nostalgische Nische in einer vom Streaming dominierten Welt.

Abbildung 1.3 Schnitte durch einen Siemens-Martin-Ofen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Quelle: Harbison-Walker Refractories, A Study of the Open Hearth (Pittsburgh: Harbison-Walker Refractories, 1909). Der letzte Siemens-Martin-Ofen in den USA wurde 1992, in China 2001 und in Russland 2018 stillgelegt.

Das letzte Kapitel dieses Buchs beginnt mit Anmerkungen zur überschwänglichen Berichterstattung über neue Erfindungen. Kritiklose Medienberichte über Durchbrüche und epochale Anfänge, oft unter naiv oder lächerlich formulierten Schlagzeilen sind zur Norm geworden, die zu falschen Schlussfolgerungen führt und ungerechtfertigte Erwartungen weckt. Diese Art der Reportage ist so üblich geworden, dass ich nur auf einige der ungeheuerlichsten Fälle der jüngsten Zeit eingehe. Anschließend stelle ich den inzwischen weitverbreiteten Glauben an ein immer schnelleres Innovationstempo den vielen unübersehbaren Anzeichen für technischen Stillstand und der Verlangsamung des Fortschritts gegenüber: Alles hat seine Grenzen, und Erfindungen und Innovationen können keine Ausnahmen sein. Folglich gibt es hier keine Seiten mit Schmeicheleien zu den jüngsten Prognosen über die anstehende Beherrschung durch künstliche Intelligenz (die alles Elektronische unter ihre Fittiche nimmt, von selbstfahrenden Vehikeln bis hin zu Flugzeugen ohne Piloten und Maschinen, und den Mensch bedeutungslos macht) oder über die willkürliche Erschaffung neuer Lebensformen (eine entfesselte Gentechnik, die auf alles angewandt wird, von Schädlingen bis hin zum menschlichen Gehirn).

Es liegt auf der Hand, dass wir viele Erfindungen brauchen, deren groß angelegte Einführung längst überfällige Mittel zur Verfügung stellen würde, um einige unserer größten Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und Wirtschaft zu bewältigen, von der Bekämpfung von Malaria bis zur Verringerung der (jetzt tatsächlich zunehmenden) globalen Einkommensunterschiede. Wie in der Vergangenheit werden wir in einigen Bereichen erfolgreich sein, in anderen jedoch versagen. Auch werden wir nicht ignorieren können, dass viele Errungenschaften ihre Grenzen haben und nicht das Ergebnis eines unbegrenzten Fortschritts sein werden. Wir sollten unseren allgegenwärtigen Zwang zu Voraussagen, wie neue Erfindungen unsere Zukunft gestalten werden, zügeln: Der Blick zurück auf solche Bemühungen zeigt sehr überschaubare Erfolge und ein Übergewicht an Misserfolgen. Eine bessere, sicherere und gerechtere Welt wird viele wirklich lebensverändernde Erfindungen erfordern, aber wir werden das Ausmaß oder das Ausbleiben dieser Erwartungen erst in der Rückschau erkennen – und wir müssen hoffen, dass einige der Punkte auf meiner Wunschliste noch vor Mitte des 21. Jahrhunderts Wirklichkeit werden.

Kapitel 2

Erfindungen, die erst willkommen und später unerwünscht waren

Jede Lösung eines komplexen Problems, jeder nützliche Fortschritt, der eine bestimmte abträgliche oder unerwünschte Folgeerscheinung abmildert oder aus der Welt schafft, jede Innovation, die eine bessere Performance, einen höheren Gewinn, ein besseres Handling oder mehr Komfort oder Sicherheit verspricht, hat ihre Kehrseite. Die Reichweite einer bestimmten Innovation und ihre Wirkungsmacht erstrecken sich von vorhersehbaren, erträglichen, überschaubaren (oder zeitlich begrenzten) Begleitumständen bis hin zu unvorhergesehenen, aber potenziell schwerwiegenden Folgen, die nicht leicht zu bewältigen sind. Einige von ihnen lassen sich nur dadurch beseitigen, dass man die ursprüngliche Lösung zugunsten eines besseren (völlig harmlosen) Ansatzes aufgibt oder, wenn das nicht möglich ist, sie zumindest durch eine weniger anstößige, etwas akzeptablere Wahl ersetzt.

Ich habe die drei meiner Meinung nach bekanntesten Beispiele für Lösungen ausgewählt, die sich letztlich als inakzeptabel für wichtige, gängige und, wenn man sich nicht mit ihnen befasst hat, nachteilige und kostspielige Probleme herausstellten. Alle drei Innovationen traten zwischen den beiden Weltkriegen in Erscheinung. Zwei von ihnen machten sich seit Jahrzehnten bekannte Verbindungen, Tetraethylblei und Dichlordiphenyltrichlorethan, zu eigen, während die dritte sich Dichlordifluormethan, eine neu entdeckte halogenierte Verbindung, zunutze machte; ich gehe chronologisch auf sie ein. Den Anfang macht die Einführung verbleiten Benzins (ab 1922 in den USA) als preiswerte, zweckmäßige und effektive Problemlösung des suboptimalen Betriebs von Verbrennungsmotoren, des sogenannten Motorklopfens – gemeint ist eine vorzeitige Zündung, die nicht nur die Effizienz der Energieumwandlung der Maschine verringert, sondern mitunter auch den Motor selbst erheblich beschädigt.

Einer der unglaublichsten Zufälle in der Historie des Innovationsgeistes ist, dass Thomas Midgley, derselbe Ingenieur, der die gemeinsame Suche der Unternehmen nach einem wirksamen Antiklopfmittel leitete, die schließlich mit verbleitem Benzin endete, nur wenige Jahre später (1928) der Kopf einer Forschergruppe war, die ein ungiftiges und nicht brennbares Dichlordifluormethan (CCl2F2) entwickelte, das unter dem Markennamen Freon-12 verkauft wurde (Abb. 2.1). Dies war der erste von vielen Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) – synthetische Verbindungen, die schnell zu den weltweit führenden Kühlmitteln wurden (Flüssigkeiten, die beim Arbeitstakt von Kompression und Expansion in Kühlschränken und Klimaanlagen Verwendung fanden). Sie wurden auch als gängige Treibmittel bei der Herstellung von Schaumstoffen, als Treibmittel in Milliarden von Aerosoldosen (mit Medikamenten, Farben oder Kosmetika) und als industrielle Entfetter und Lösungsmittel eingesetzt.

Abbildung 2.1 Thomas Midgley Jr. (1889–1944), der Erfinder von verbleitem Benzin und FCKW-Kältemitteln. Porträt aus den 1930er-Jahren von Blank & Stoller, New York. Quelle: Williams Haynes Portrait Collection (Philadelphia, Science History Institute), Box 10. https://digital.sciencehistory.org/works/9s161624t.

Das letzte Beispiel für eine hochwillkommene Innovation, die zu einer viel geschmähten Anwendung wurde, ist DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), das erste moderne, künstlich hergestellte Insektizid. Als Paul Hermann Müller mit seiner Suche nach einem wirksamen Mittel zur Schädlingsbekämpfung begann, war DDT bereits seit mehr als sechs Jahrzehnten bekannt. Doch erst Müllers systematische Suche nach einem effektiven Mittel führte zur Entdeckung der massiven insektentötenden Wirkung der Verbindung. DDT wurde fast umgehend von den Armeen des Zweiten Weltkriegs eingesetzt. Nach dem Krieg verbreitete sich sein Einsatz schnell zur Bekämpfung von durch Insekten übertragenen Infektionskrankheiten und zur allgemeinen Schädlingsbekämpfung im Ackerbau und in der Viehzucht. In etwas mehr als einem Jahrzehnt führten diese hemmungslosen Vorgehensweisen nicht nur zur Entstehung DDT-resistenter Insektenarten, sondern wurden auch mit schädlichen Auswirkungen auf die Fortpflanzung von Vögeln und schließlich auch mit einem erhöhten Risiko von Frühgeburten oder Babys mit geringem Geburtsgewicht in Verbindung gebracht. DDT wurde zu einem der destruktiven Sinnbilder, das die aufkommende Umweltbewegung zu instrumentalisieren wusste, um ihre Message einer verantwortungsvolleren Handhabung des Pestizids zu verbreiten.

Abgesehen von ihrem gemeinsamen Siegeszug und späteren Fall sind verbleites Benzin, FCKW und DDT auf ihre jeweils ganz eigene Art erst akzeptiert und dann gewissermaßen vom Markt verdammt worden. Als Benzin erstmals mit Blei versetzt wurde, gab es viele triftige Beweise für seine schleichende Neurotoxizität, und das neue Produkt stieß bei einigen Ärzten und Physiologen fast umgehend auf Widerstand. Im Gegensatz dazu war Freon-12 (auch bekannt als R-12) eine neue synthetische Verbindung, die in der Natur nicht vorkam und die zufälligerweise recht unreaktiv zu sein schien, wenn sie versehentlich in die Umwelt freigesetzt wurde, was sie ideal für Haushaltskühlmittel machte. Man mag Midgley dafür kritisieren, dass er Tetraethylblei als vorherrschendes Antiklopfmittel eingeführt hat, aber zu behaupten, wie Neil Larsen es tat, er sei »der schädlichste Erfinder der Geschichte«, ist Unsinn.

Im Jahr 1928 hätte man voraussehen können, dass die in die Atmosphäre freigesetzten FCKW, obwohl sie wesentlich schwerer als Luft sind, schließlich die Stratosphäre erreichen würden. Die turbulente Durchmischung der Atmosphäre macht das Gleiche mit CO2, dem Treibhausgas Nummer eins, das ebenfalls schwerer als Luft ist. Aber erst ein halbes Jahrhundert später machten Fortschritte in der Erforschung der Atmosphärenchemie deutlich, dass in dunklen Polarwintern Chlor aus FCKW freigesetzt wird. Der Grund dafür sind Reaktionen, die auf der Oberfläche von Eispartikeln stattfinden. Und man erkannte, dass, wenn die Sonne zurückkehrt, die fotochemischen Reaktionen des freigesetzten Elements mit dem Ozon in der Stratosphäre die Konzentrationen des Gases verringern, das einen unentbehrlichen Schutz vor UV-Strahlung bietet. Gleichermaßen hatte man zuvor keine Erfahrungen mit DDT, denn vor seinem Einsatz gab es nur natürliche Insektizide wie Zitrus- und Eukalyptusöle oder Wasserlösungen aus Salzen oder Neemöl (das aus den Samen eines tropischen immergrünen Baumes, Azadirachta indica, gewonnen wird). Und auch wenn die ersten toxikologischen Studien der frühen 1940er-Jahre weitaus umfangreicher waren, hätten sie die langfristigen Gesamtwirkungen auf die Fortpflanzung der Vögel nicht enthüllt.

Ebenso unterschieden sich die Entwicklungsverläufe hinsichtlich ihrer Länge und ihrer Endphase. Zwischen der Einführung von verbleitem Benzin und dem kompletten weltweiten Verbot vergingen acht Jahrzehnte, wobei Indonesien das letzte Land war, das den Verkauf bis 2006 erlaubte. Dass FCKW potenziell für die Ausdünnung des stratosphärischen Ozons verantwortlich war, wurde 1974 veröffentlicht, 46 Jahre nach der Entwicklung von Freon-12. Und erst 1987 wurden im Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, die Maßnahmen festgelegt, die weltweit das Verbot der FCKW-Verwendung zur Folge hatten. Nach nur etwa zwei Jahrzehnten seit seiner Einführung erreichte DDT den Höhepunkt seines globalen Einsatzes. In den 1960er-Jahren begannen Maßnahmen zur Einschränkung und zum Verbot seines Gebrauchs. Heute ist die Substanz auf der ganzen Welt verboten, mit Ausnahme der kontrollierten Nutzung zur Bekämpfung von Malariamücken.