Wie die Ernährung der Welt wirklich funktioniert - Vaclav Smil - E-Book

Wie die Ernährung der Welt wirklich funktioniert E-Book

Vaclav Smil

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Beschreibung

Essen ist eine der wichtigsten Tätigkeiten des Menschen. Mehrmals am Tag nehmen wir Nahrung zu uns. Wie beeinflusst und das, was wir essen, wie wird es produziert und warum landen gerade die wenigen Tiere und Pflanzen auf unseren Tellern, die für den Großteil der weltweiten Kalorienaufnahme herangezogen werden? Warum endet etwa ein Drittel der weltweiten Nahrungsproduktion im Müll? Könnte sich der ganze Planet vergan ernähren und sollte er das? In seinem neuen Buch räumt der renommierte Wissenschaftler und globale Bestsellerautor Vaclav Smil mit vielen Mythen auf und liefert die grundlegenden Fakten und Zahlen dazu, wie wir das herstellen, was uns jeden Tag am Leben hält. Ein ebenso faszinierender wie überraschender Crashkurs zu Geschichte und Gegenwart unsere Ernährung. Noch nie mussten wir so viele Menschen ernähren wie heute. Und doch verstehen immer weniger von uns, woher unsere Lebensmittel wirklich kommen, wie unsere Ernährungsgewohnheiten uns prägen und warum dies unseren Planeten auf drastische Weise beeinflusst. Infolgedessen nehmen wir das, was unser Leben erst möglich macht, oftmals als selbstverständlich hin, nämlich Lebensmittel. Und ihre wirtschaftliche Bedeutung wird auf groteske Weise unterschätzt, so dass Smartphones in Statistiken als ökonomisch viel bedeutsamer erscheinen als Lebensmittel. In seinem neuen Buch verfolgt Vaclav Smil die Entwicklung unserer Nahrungsbeschaffung seit den Anfängen unserer Spezies und untersucht die brennenden Fragen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist: Warum verschwenden wir so viele Lebensmittel? Wie können wir die Weltbevölkerung ernähren, ohne den Planeten zu zerstören? Was wirkt und was ist bloß weltfremdes Wunschdenken? Warum züchten wir einige Tiere und andere nicht, und warum stammen die meisten Kalorien auf der Welt aus nur wenigen Nahrungsmitteln? Was kann sich ändern, was muss sich ändern, gerade auch angesichts des Klimawandels?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Titel

Vaclav Smil

WIE DIE ERNÄHRUNG DER WELT WIRKLICH FUNKTIONIERT

Ein Fakten-Guide

Aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Siber

C.H.Beck

Übersicht

Cover

Inhalt

Textbeginn

Inhalt

Titel

Inhalt

Einleitung

KAPITEL EINS: Was hat die Landwirtschaft je für uns getan?

Der Speisezettel des Schimpansen

Die Speisezettel der Hominini und der frühen Menschen

Unsere wachsende Bevölkerung

Wie kam es zum Ackerbau?

Mehr Nahrung als je zuvor

Was sonst hätten wir tun können?

Welche Nahrung brauchen wir?

Eine Welt ohne Ackerbau

Essen wie ein Schimpanse

Essen wie ein Gorilla

Essen wie ein eiszeitlicher Jäger

Essen wie Rinder und Termiten

Essen wie Menschen

Es geht nicht darum, so viel Energie wie möglich zu sich zu nehmen

Nahrung für die Massen: unsere einzige Option

KAPITEL ZWEI: Warum essen wir bestimmte Pflanzen in großen Mengen und andere kaum oder gar nicht?

Grundnahrungsmittel: Fütterung der Massen

Göttliches Getreide: Warum Körner besser sind als alles andere

Eine gewinnbringende Kombination

Mangellagen

Tolle Knolle

Gesellschaftliche Einflüsse

Fortgesetztes Wachstum

Die Kehrseite

Farmageddon: unser größter Fehler?

Weizen als tödliches Gift?

Kontrastierende Tatsachen und extreme Behauptungen

KAPITEL DREI: Was wir anbauen können – Möglichkeiten und Grenzen

Energie, Motoren und Effizienzen

Grundlagenwissen zur Photosynthese

Drei Entwicklungspfade

Warum hat die Photosynthese einen so geringen Wirkungsgrad?

Ein anderer Weg

Die Spreu vom Weizen trennen

Hitparade der Feldfrüchte

Und der Gewinner ist …

Wasser und Nährstoffe

Wasserverluste quantifiziert

Stickstoff: der wichtigste Makronährstoff

KAPITEL VIER: Warum essen wir manche Tiere und andere nicht?

Quantitative Indizien

Die Größe spielt eine Rolle

Cash Cows

Farmen der Tiere

Welches Fleisch ist das energieeffizienteste?

Was steht auf dem Spiel?

Grünere Wiesen?

Fleisch frisst Fläche

Rinder und Klimawandel

Weitere Optionen: Aquakulturen

Sollten wir überhaupt Tiere essen?

KAPITEL FÜNF: Was ist wichtiger: Nahrung oder Smartphone?

Smartphone gegen Getreide

Geschichte vs. Wirtschaftswissenschaft

Das eine Prozent

Landtechnik

Schlachtviehproduktion

Fischwirtschaft

Maschinen sind wichtiger als Smartphones

Der Preis der Produktion

Was kostet das Essen?

Eine Verschwendung von Energie

Die besten Daten, die wir haben

Außerhalb der

USA

Unsere Nahrung auf Rädern

Die Kosten der Essenszubereitung

Etwas geht nicht auf

Auswirkungen auf die Umwelt

Zu welchem Preis?

Ein Gefühl der Dringlichkeit

Entwaldung

Absinken des Grundwassers

Schwermetall-Kontaminierungen

Wohlhabende Länder

KAPITEL SECHS: Was sollten Sie um Ihrer Gesundheit willen essen?

Die Wissenschaft von der Ernährung

Quantifizierung des Verzehrs

Makronährstoffe

Ernährungstipps: mit Vorsicht zu genießen

Extreme

Wenn wir alle Paläo wären

Wenn wir alle Veganer wären

Alternativen

Planet der Pflanzenesser

Restriktive Diäten, hohle Behauptungen

Die Heißluft-Geschichte von den Speisefetten

Reales Essen

Japan vs. Spanien

Was an unserem Speisezettel sollten wir ändern?

Eisenmangel

Jodmangel

Zinkmangel

Hungrig und unterernährt

Hoffnung in den Ländern südlich der Sahara

Was hält die Zukunft bereit?

KAPITEL SIEBEN: Ernährung einer wachsenden Bevölkerung unter gleichzeitiger Minderung der Folgen für die Umwelt? Dubiose Lösungen

Voraussagen und Errungenschaften

Auf kurze Sicht

Jenseits aller Voraussagen: fragwürdige Bemühungen

Biolandbau: für die wenigen, nicht die vielen

Fehlkalkulationen

Lehren aus der Vergangenheit

Exkremente in Tanklastzügen

Vom Einjahreszyklus zur Dauerkultur: ein schwieriger Pfad

Mehrjähriger Reis: wie weit, wie schnell?

Mehrjährige Mischkulturen

Genetisch modifizierte Ideen (und Realitäten)

Laborfleisch

Wie wird es gemacht?

Fleisch machen, Geld scheffeln

Skalieren

Wer Marketing für bare Münze nimmt

Oder doch lieber der «besten Evidenz» vertrauen?

KAPITEL ACHT: Ernährung der Weltbevölkerung: Was würde funktionieren?

Was funktionieren wird

Hightech für die Landwirtschaft

Nährmittelschwund

Wie wir es bewerkstelligen könnten

Praktische Anregungen

Prävention

Was können wir tun?

Systemische Betrachtungen

Eine unpopuläre Option

Mehr Fleisch umweltfreundlich erzeugen, weniger davon essen

Erfolgsgeschichten

Auf dem Mäßigungspfad: Fleischkonsum in Frankreich

Wie können wir beim Rindfleischessen besser werden?

Ungleichheiten

China im Ernst

Nahrungserzeugung in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara

Was die Zukunft bereithält

Globale Erwärmung

Dank

Anmerkungen

Kapitel Eins: Was hat die Landwirtschaft je für uns getan?

Kapitel Zwei: Warum essen wir bestimmte Pflanzen in großen Mengen und andere kaum oder gar nicht?

Kapitel Drei: Was wir anbauen können – Möglichkeiten und Grenzen

Kapitel Vier: Warum essen wir manche Tiere und andere nicht?

Kapitel Fünf: Was ist wichtiger: Nahrung oder Smartphone?

Kapitel Sechs: Was sollten Sie um Ihrer Gesundheit willen essen?

Kapitel Sieben: Ernährung einer wachsenden Bevölkerung unter gleichzeitiger Minderung der Folgen für die Umwelt? Dubiose Lösungen

Kapitel Acht: Ernährung der Weltbevölkerung: Was würde funktionieren?

Abbildungsnachweis

Fußnoten

Zum Buch

Vita

Impressum

Einleitung

Das Schwelgen in Untergangsszenarien hat eine lange geschichtliche Tradition, und die bange Frage, wie viele Menschen die Erde ernähren kann, bewegt uns, spätestens seit Thomas Robert Malthus 1798 seinen Essay on the Principle of Population publizierte, in dem er die These aufstellte: «Die Kraft der Bevölkerung ist unendlich größer als die Kraft der Erde, Subsistenzmittel für den Menschen zu produzieren.»

Damit war die Befürchtung in die Welt gesetzt, dass die Menschheit schneller anwachse als die verfügbare Nahrung, jedenfalls so lange, bis wachstumshemmende Vorgänge – Hungersnöte, Kriege oder Seuchen – zu einem Bevölkerungsrückgang führen und auf lange Sicht dafür sorgen, dass das Wachstum zum Stillstand kommt.

Es verrät jedoch viel über die Rolle schwammig überlieferter Wahrheiten in der Geschichte der Nahrungsmittelproduktion und unseres Wissens darüber, dass selbst Robert Malthus bei genauerem Hinsehen kein «Malthusianer» reinen Wassers war. In der zweiten, 1803 erschienenen Auflage seines Werks schlägt er etwas optimistischere Töne an: «Auch wenn unsere Zukunftsaussichten nicht so rosig sind, wie wir es uns wünschen, sind sie in keinster Weise völlig entmutigend, und es erscheint nicht ausgeschlossen, dass es zu allmählichen und fortschreitenden Verbesserungen bei der Sättigung der Menschheit kommt.» Leider lassen sich Leute, die eine Agenda verkaufen, ungern von Tatsachen beirren.

In einer Welt, deren Bevölkerung weiterhin ebenso wächst wie die Sorge um die Umwelt, bleiben Zweifel an der Ernährungssicherheit bestehen, und manche Bedenken klingen ziemlich düster. Der britische Autor und Politik-Aktivist George Monbiot wurde im Mai 2022 im Guardian mit der Aussage zitiert: «Das Welternährungssystem entwickelt so langsam Ähnlichkeiten mit dem globalen Finanzsystem in den Jahren vor 2008. Während ein Zusammenbruch der Finanzmärkte eine Katastrophe für die Wohlfahrt der Menschheit gewesen wäre, hätte ein Kollaps des Ernährungssystems unausdenkliche Folgen. Und doch mehren und verdichten sich die Hinweise darauf, dass etwas fatal schiefläuft, in immer schnellerer Folge.»

Das ist nur ein Beispiel aus einer Fülle dubioser Warnungen und regelrechter falscher Behauptungen. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts habe ich mich immer wieder mit Äußerungen herumquälen müssen, die von geringer Vertrautheit oder schierer Ahnungslosigkeit in Bezug auf grundlegende Tatsachen und Zusammenhänge zeugen; die Unwissenheit erstreckt sich auf Organismen ebenso wie auf Maschinen, auf Feldfrüchte ebenso wie auf Motoren, auf Lebensmittel ebenso wie auf Treibstoffe.

Sollten Sie sich also Sorgen machen über die globale Ernährungslage? Leben Sie in einer Region, die in den kommenden Jahrzehnten von Hungersnöten bedroht sein wird? Wird die Gesellschaft in die Brüche gehen? Meine kurze Antwort lautet: wahrscheinlich nicht. Eine ausführlichere Antwort, gespeist aus dem Wissen um die Geschichte der Nahrungsmittelerzeugung und um aktuellste wissenschaftliche Erkenntnisse und gestützt auf das Verständnis grundlegender biophysikalischer Gegebenheiten wie der Photosynthese oder einer optimierten menschlichen Ernährung, würde erheblich länger ausfallen – in etwa so lang wie dieses Buch.

Wenn Sie nach einer Arbeit über sensationelle Innovationen suchen, die in Bälde die Ernährungsweise der Menschheit revolutionieren werden, sind Sie hier beim falschen Buch gelandet. Sie finden hier gleichsam das Gegenteil: Argumente für die Wirkmacht schrittweiser Veränderungen, «Kleinigkeiten» der Art, wie sie von den Medien und den Autoren populärwissenschaftlicher Sachbücher oft zugunsten unrealistischer Verheißungen ignoriert werden. Ich sehe im Übrigen auch keine Notwendigkeit für exaltierte und irreführende Behauptungen, wenn die Analyse realer und aktueller Zahlen doch schon genug wissenswerte und sensationelle Ergebnisse produziert.

Ein Beispiel: Die weltweite Nahrungsmittelerzeugung liegt heute bei durchschnittlich rund 3000 kcal pro Person und Tag; der tägliche Verlust durch Verderb und Vergeudung liegt bei rund 1000 kcal pro Person. Aber niemand scheint das dringende Bedürfnis zu haben, daran etwas zu ändern. Wenn Sie ständig ein Drittel Ihres Einkommens durch Schwund verlören, würden Sie sicher versuchen, etwas dagegen zu tun. Dieses Buch beschäftigt sich mit solchen Realitäten.

Warum haben wir nur so eine vergleichsweise geringe Zahl von Pflanzen und Tieren für unsere Nahrungserzeugung domestiziert? Wenn unsere Ur-Vorfahren schon im Besitz der wissenschaftlichen Erkenntnisse gewesen wären, die uns heute zur Verfügung stehen, hätten sie dann nicht einen anderen Weg gewählt? Was erzählen uns die besten verfügbaren Studien über die neuesten Diätmoden, von Keto bis zum Verzicht auf hochgradig verarbeitete Lebensmittel? Wird die Menschheit im Jahr 2050 ihre Viehbestände in die Freiheit entlassen haben und in einem techno-veganen Schlaraffia leben, mit pflanzenbasierten oder laborgezüchteten Fleischersatz-Produkten als Garanten eines Daseins ohne Schuldgefühle? Ich gehöre durchaus zu denen, die eine Reduzierung unseres Fleischverzehrs befürworten – ein Drittel der weltweiten (und zwei Drittel der US-amerikanischen) Ackerbauprodukte wird an Nutztiere verfüttert –, aber wenn das dazu führt, dass zum Beispiel mehr Obst und Nüsse gegessen werden, könnte es sein, dass das für die Umwelt kein bisschen besser ist.

Und dann gibt es ja noch die Bio-Landwirtschaft. Ist sie das Allheilmittel? In früheren Jahrhunderten, in denen dank der damals zu Gebote stehenden Technik die gesamte landwirtschaftliche Produktion zwangsläufig «biologisch» war, arbeiteten in der Regel 80 Prozent aller Menschen im Ackerbau, viele verrichteten eher wenig betörende Tätigkeiten wie das Einsammeln von Exkrementen, die sich als Dünger nutzen ließen. Heute widmen sich in wohlhabenden Ländern höchstens noch 1 bis 3 Prozent der Bevölkerung der Nahrungsmittelerzeugung. Würde es Ihnen Spaß machen, Tierdung einzusammeln?

Was noch schwerer wiegt, ist, dass nicht einmal mehr der Glaube an die fundamentale Bedeutung der Landwirtschaft für den Fortbestand der Menschheit unumstritten ist. Hat der Siegeszug des Ackerbaus den Höhenflug des Menschen erst möglich gemacht, oder war er, wie es neuerdings viele Autoren populärwissenschaftlicher Sachbücher wahrhaben wollen, die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte? Wir werden in diesem Buch die Alternativen auf die Goldwaage legen.

Dieses Buch markiert den Anbruch des fünften Jahrzehnts meiner Beschäftigung mit Lebensmitteln und Ernährung. Es begann in den späten 1970er Jahren mit Recherchen für ein thematisch enger gefasstes Buch: die erste ausführlichere energetische Analyse der wichtigsten amerikanischen Ackerfrucht Mais (das Buch erschien 1982). Fünf weitere Bücher, die in den 1980er Jahren erschienenen, enthielten Passagen oder Kapitel, in denen es um Getreide und andere Lebensmittel ging.

Das erste meiner Bücher, in dem ich mich ausschließlich mit den vielen Aspekten der Ernährung befasste, erschien im Jahr 2000: Feeding the World deckte ein Themenspektrum ab, das von der Photosynthese über Ernteerträge bis zu Viehhaltung und Ernährungsweisen reichte. Unmittelbar danach folgte 2001 Enriching the Earth, ein erschöpfendes Porträt des wichtigsten Bausteins der modernen Landwirtschaft, des Ammoniaks, der, wie wir an späterer Stelle sehen werden, als unverzichtbare Zutat in die Erzeugung aller stickstoffbasierten Düngemittel eingeht. In dreien meiner während des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts erschienenen Bücher ging es um Ernährungsthemen: Japan’s Dietary Transition and Its Impacts (mit Kazuhiko Kobayashi), Harvesting the Biosphere und Should We Eat Meat?

Ab 2014 habe ich Bücher über andere Themen veröffentlicht: Stahl, Öl, Erdgas, Energieumwandlungen, Energie und Zivilisation, Wachstum und Größe, wobei Wie die Welt wirklich funktioniert (2022) ein Kapitel über Nahrungsmittelproduktion enthält. Wie man sieht, ist Ernährung ein Thema, das mich nicht loslässt.

Landwirtschaft und Ernährung sind Gegenstände von enormer empirischer und intellektueller Reichweite, weshalb man sich als Autor, der seinen Lesern einen einigermaßen breiten Überblick verschaffen möchte, innerhalb vernünftiger Grenzen bewegen muss. In diesem Sinne versuche ich in diesem Buch die grundlegenden Elemente des globalen Ernährungssystems darzustellen. Ich wähle dafür einen quantitativen Ansatz – auch deshalb, weil beim Thema Ernährung Zahlen aussagekräftiger und wichtiger sind als Meinungen und Gefühle. Wir werden uns alle wichtigen Aspekte anschauen: von Agronomie und Pflanzenbauwissenschaft über Energiebilanzen bis hin zu Ernährungsweisen und Gesundheit, und wir werden dabei in einer logischen Abfolge acht essenzielle Themen abarbeiten.

In der ersten Buchhälfte geht es um die biophysikalischen Grundlagen der Erzeugung von Ackerfrüchten. In der zweiten Hälfte versuche ich mich an einer quantifizierenden Analyse des globalen Ernährungssystems, erkläre Zwangsläufigkeiten im Zusammenhang mit Ernährungsweisen und werfe einen kritischen Blick auf einige in jüngerer Zeit vorgetragene Ideen zu einer radikalen Transformation dieses Systems. Leser, die eine ausführliche Beschäftigung mit (oder Kritik an) gerade angesagten Themen erwarten – Landwirtschaft und globalem Klimawandel sowie nachhaltigem Ackerbau –, sollten sich anderswo umsehen. Dies ist keine weitere Fortsetzung der Buchreihe über Ernährung und globale Erwärmung. Zu diesem ausufernden Thema sind schon so viele Bücher veröffentlicht worden, dass man mit ihnen eine kleine Bibliothek füllen könnte.

Dieses Buch ist bewusst nicht als umfassendes Kompendium der gegenwärtigen Nahrungsmittelerzeugung und Ernährung gedacht; es soll vielmehr eine auf Zahlen und Mengen fokussierte Analyse grundlegender Zusammenhänge liefern. In vielen Büchern über Landwirtschaft und Ernährung finden sich kaum Zahlen – in diesem Buch wimmelt es von ihnen. Dazu stehe ich. Zahlen sind eine gute Arznei gegen Wunschdenken und sind der einzig passende Schlüssel zu einer soliden Erfassung der Modalitäten und Grenzen der neuesten Entwicklungen in Sachen Ackerbau, Lebensmitteldistribution und Ernährung. Wer sich diese Grundlagen aneignet, läuft weit weniger Gefahr, falsche Schlussfolgerungen zu ziehen oder die Grundlagen unserer Ernährungswirtschaft misszuverstehen oder gar die vielen überzogenen Behauptungen und unrealistischen Versprechungen hinsichtlich der Zukunft des globalen Landbaus unkritisch zu übernehmen.

KAPITEL EINS

Was hat die Landwirtschaft je für uns getan?

Wozu brauchen wir Landwirtschaft? Warum müssen wir einjährige und mehrjährige Feldfrüchte anbauen? Warum werden fast 40 Prozent der eisfreien Landmasse unseres Planeten als Ackerland genutzt? Wofür züchten und halten wir Milliarden Nutztiere? Die Antwort auf alle diese Fragen lautet: weil wir so viele sind. Und wie so oft, greift auch hier die Regel, dass bei steigenden Zahlen Quantität in Qualität umschlägt.

Unsere Spezies hat sich vor mehr als 6 Millionen Jahren aus der Ordnung der Primaten herausdifferenziert und eine Evolution durchgemacht, die zum Erscheinen des Homo sapiens vor rund 300.000 Jahren geführt hat. Solange unsere Vorfahren in kleinen, weit verstreuten Gruppen lebten, konnten sie ihre Ernährung auf dieselbe Weise sichern wie die Primaten, von denen sie abstammten – als Sammler und Jäger. Wie genau der Speisezettel dieser Urmenschen aussah, lässt sich nicht genau rekonstruieren und aufschlüsseln (die besten uns zu Gebote stehenden Werkzeuge, wie etwa die Analyse langlebiger Isotopen in erhalten gebliebenen Knochen und Zähnen, können keine detaillierten Antworten liefern), doch dürfen wir davon ausgehen, dass die Art und Weise, wie sich Schimpansen ihre Nahrung beschaffen, qualitative Rückschlüsse zulässt. Daraus ergibt sich die Annahme, dass der Speisezettel der Urmenschen (Hominini) aus einer reichhaltigen Palette von Pflanzen und Kleintieren bestand, auf die sie je nach Gelegenheit, das heißt opportunistisch, zugriffen bzw. die sie gezielt bejagten, wobei sie Aas nicht verschmähten und wohl gelegentlich auch Kannibalismus vorkam.[1]

Der Speisezettel des Schimpansen

Zahlreiche Studien dokumentieren die Ernährungsgewohnheiten von Schimpansengruppen im tropischen Afrika: die breite Vielfalt der Arten, die auf ihrem Speisezettel stehen, ihre Vorliebe für leicht verdauliche pflanzliche Nahrung, ihre Gewohnheit, Insekten zu vertilgen, und ihr Jagdmachen auf Kleinsäuger.[2] Waldbewohnende Schimpansen fressen in der Regel mehr als hundert unterschiedliche Pflanzenarten, vor allem Obst (am liebsten Feigen), ergänzend aber auch Blüten, junge Blätter und Stängel, Mark, Wurzeln, Knollen, Samen und Nüsse (von denen sie manche mit Hilfe kleiner «Hämmer» aus Stein knacken). In vielen Beobachtungsstudien wird detailliert beschrieben, wie Schimpansen Insekten einsammeln (vor allem Termiten, die sie oft mit Grashalmen «angeln») oder gezielt nach Wirbellosen (z.B. Würmern), Vogeleiern und Küken suchen.

Allesfresser: Schimpansen, unsere evolutionären Urahnen, töteten und fraßen Affen.

Schimpansen machen auch Jagd auf kleine Säugetiere (vor allem Stummelaffen, aber auch Wildschweinjunge, Buschböcke, Galagos, Blauducker, Paviane) und teilen ihre Beute mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe. In Gombe in Tansania wurden erwachsene Schimpansenmännchen in freier Wildbahn beobachtet, die pro Jahr Jagdbeute im «Wert» von bis zu 25 kg Fleisch machten, was erheblich mehr ist, als in den meisten traditionellen menschlichen Ackerbau-Gesellschaften verzehrt wurde, deren durchschnittlicher Fleischkonsum bei weniger als zehn Kilo pro Kopf und Jahr lag. Die Jagd auf Kleintiere ist häufig das Privileg von zwei oder mehr Männchen, die mit einer Erfolgsquote von 50 bis 60 Prozent aufwarten können, aber auch Weibchen gehen auf die Jagd, manchmal sogar mit einem Säugling im Gepäck. In Fongoli im Senegal sind Schimpansen dabei beobachtet worden, wie sie mit unterschiedlichsten Arten von «Speeren» Galagos erlegten, kleine nachtaktive Halbaffen, die tagsüber in Baumhöhlen schlafen.[3] Die mit dem Jagen verbundenen Risiken (Verletzungsgefahr bei Verfolgungsjagden in der Baumwipfeletage oder durch sich wehrende Beutetiere) werden reich belohnt: Schon ein kleiner Bissen Fleisch liefert einen größeren Nährwert (vor allem mehr Eiweiß) als Hunderte Termiten, deren Erbeutung eine Menge Zeit kostet.

In tropischen Waldregionen mit einem Überangebot an Pflanzen- und Tierarten ist das Schimpansenleben kein prekärer Daseinskampf; Waldschimpansen verbringen nur ungefähr die Hälfte ihres «Arbeitstages» mit Nahrungssuche und Fressen, 60 bis 80 Prozent davon mit dem Suchen, Sammeln und Essen von Früchten. Da bleibt jede Menge Zeit übrig für Ruhepausen, Erkundungs-Aktivitäten, Interaktionen innerhalb der Gruppe und Körperpflege. Die Lebensweise als Allesfresser mit einem hohen Obstanteil am Speisezettel setzt jedoch Grenzen für die Gruppengröße (also für die Populationsdichte in dem jeweiligen Nahrungsrevier), denn die Zahl der Früchte tragenden Bäume ist begrenzt, die meisten von ihnen tragen nur ein- oder zweimal pro Jahr, und es gibt andere Tierarten, die ebenfalls Anspruch auf diese begrenzten Ressourcen erheben. Manche bewaldeten Regionen können im Durchschnitt 1,5 Schimpansen pro Quadratkilometer versorgen, andere sind fruchtbar genug für zwei oder gar vier; dagegen liegt in Savannenlandschaften, die oft abgeweidet sind und trockenfallen, die maximale Populationsdichte typischerweise bei weniger als einem Individuum pro km².[4] Jeder Versuch, sich in der heutigen Zeit in einer dicht besiedelten städtischen Umgebung von wild wachsenden Früchten und Kleintieren zu ernähren, die Sie und Ihre Angehörigen einsammeln, erbeuten und verzehren könnten, wäre ganz offensichtlich zum Scheitern verurteilt.

Die Speisezettel der Hominini und der frühen Menschen

Die Speisezettel der frühen Hominini, die sich vor mehr als 6 Millionen Jahren von den Schimpansen abspalteten, entsprachen noch lange Zeit dem im vorigen Abschnitt beschriebenen Muster. Die Nahrung bestand zum Großteil aus Pflanzen (Früchten, Knollen, Nüssen, Blättern), einer leicht verdaulichen Kost, die alle notwendigen Nährstoffe liefern konnte. Ergänzt wurde diese Diät durch in mäßigen Mengen verzehrte Wirbellose und kleine Wirbeltiere und durch opportunistisch erbeutetes Fleisch und Knochenmark, das große Beutegreifer zuweilen übrig ließen.[5] Im Lauf der Jahrtausende gemachte Fortschritte im Werkzeugbau, beginnend mit kleinen Handwerkzeugen aus Stein und später fortschreitend zu effektiven Jagdwaffen wie Speeren oder Pfeil und Bogen, eröffneten die Möglichkeit, auch größere Tiere zu erbeuten und zu schlachten.

Wie aus Forschungsergebnissen der modernen Anthropologie hervorgeht, verbesserte der Mensch seine Position in der Nahrungskette: Vom opportunistischen Fleischverzehrer auf Schimpansen-Niveau arbeitete er sich hoch zum zweibeinigen Beutegreifer mit regelmäßigem Fleischkonsum, eine Entwicklung, die ihren Höhepunkt im Homo erectus fand (einer Urmenschenart, die bis vor rund 250.000 Jahren Bestand hatte), um später, im Jungpaläolithikum, also vor rund 50.000 bis 12.000 Jahren, ein Stück weit rückläufig zu werden.[6] Die wissenschaftliche Analyse menschlicher Überreste und Hinterlassenschaften aus aller Welt liefert Indizien dafür, dass die Entwicklung hin zum modernen Menschen über höhere körpereigene Fettreserven, ein höheres Magensäure-Level, über Form- und Volumenänderungen im Magen-Darm-Trakt (einhergehend mit einer abnehmenden Fähigkeit, Energie aus Pflanzenfasern zu gewinnen), über einen Rückgang der Kaumuskulatur (wegen des geringeren Kauaufwandes bei eiweißreicher Nahrung) und über kürzere Stillzeiten verlief (in dem Maß, wie die Muttermilch durch nährstoffreichere Kost ergänzt oder ersetzt wurde).

In kälteren Klimazonen leistete das Aussterben der größten bodenlebenden Säugetierarten im Verlauf des Neolithikums (Jungsteinzeit, 9000 bis 3000 v. Chr.) – des Mammuts und anderer Megaherbivoren – einen Beitrag zur Ernährungsumstellung. Die beiden konkurrierenden Hypothesen zur Erklärung dieses Artensterbens postulieren als Ursache einen Klimawandel, der die Entstehung ausgedehnter Waldgebiete auf Kosten der Grassteppen begünstigte, die den Lebensraum dieser großen Weidetiere bildeten, oder aber (eine weitaus unwahrscheinlichere, aber unverwüstliche und ungemein populäre Erklärung) ihre Ausrottung durch prähistorische Jägergesellschaften.[7]

Auch wenn der Homo sapiens das Arsenal seiner Jagdtechniken mit der Zeit erweiterte, sodass er Megaherbivoren erlegen und in Seen, Flüssen und Küstengewässern Fische fangen konnte (was ihm die Möglichkeit gab, in allen Klimazonen zwischen den Tropen und dem Nordmeer zu überleben), gab es für die Populationsdichte von Jäger-und-Sammler-Gesellschaften weiterhin Höchstgrenzen. Weil die archäologischen Archive Lücken aufweisen, lassen sich keine zuverlässigen Erkenntnisse über prähistorische Bevölkerungsdichten gewinnen, doch verfügen wir andererseits über jede Menge zuverlässige quantitative Daten zur Lebensweise, Gruppengröße und Nahrungsbeschaffung der Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften, die noch bis ins 20. Jahrhundert hinein bestanden und sich von Anthropologen beobachten ließen.[8] Über die Hadza, einen Volksstamm von Jägern und Sammlern in Tansania, schrieb der US-Anthropologe Frank Marlowe, sie lieferten zwar nicht unbedingt ein genaues Abbild des Lebens ihrer Vorfahren, seien aber «mit Sicherheit die brauchbarste Inkarnation» des Urmenschen in der Welt von heute. Die breite Palette von Gruppengrößen und Populationsdichten, die Anthropologen bei archaischen Gesellschaften in Süd- und Mittelamerika, Afrika und Australien angetroffen haben, liefert wahrscheinlich ein realistisches Abbild der Lebensweise urtümlicher menschlicher Gesellschaften, die für ihre Nahrungsbeschaffung nur eine begrenzte Zahl einfacher Werkzeuge zur Verfügung hatten.[9]

Wie wir diesen anthropologischen Studien entnehmen können, lag die kleinste Gruppengröße für eine überlebensfähige Gemeinschaft von Jägern und Sammlern bei 25 bis 30 Personen, wobei sesshafte Gruppen von Fischern, Jägern und Sammlern auch um die 500 Mitglieder haben konnten. Bei den rund 300 erforschten Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, die bis ins 19. oder 20. Jahrhundert hinein bestanden, betrug die Bevölkerungsdichte im Durchschnitt 0,25 Personen pro Quadratkilometer. Die geringste Dichte lag bei unter 0,1, während die größten – mit mehr als einer Person pro Quadratkilometer – seltene Ausnahmen darstellten und nur von sesshaften Gemeinschaften erreicht wurden, die Zugriff auf sehr nahrhafte (und fettreiche) Wasserbewohner wie Fische und Seehunde hatten. So gab es beispielsweise im pazifischen Nordwesten Nordamerikas große Stammesgemeinschaften mit rund 500 Mitgliedern, deren wichtigste Nahrungsquelle die Lachse waren, die sie in der Zeit der alljährlichen Lachswanderung unschwer erbeuten konnten. (Manche machten auch Jagd auf sich in Küstengewässern tummelnde Kleinwale.)[10] Nur sehr wenige Orte warteten mit einem so reichen Nahrungsangebot auf, dass sie eine größere sesshafte Bevölkerung ernähren konnten.

Berücksichtigt man als Faktor das durchschnittliche Körpergewicht (55 kg für eine erwachsene Menschenfrau, 35 kg für ein erwachsenes Schimpansenweibchen), stellt sich heraus, dass zwischen den bei menschlichen Jägern und Sammlern und den bei Schimpansen anzutreffenden Populationsdichten eine bemerkenswert hohe (aber nicht überraschende) Kongruenz besteht. Die Lebensräume beider Arten konnten zwischen 5 und 50 kg lebende Körpermasse pro Quadratkilometer ernähren. Bei den landgebundenen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften wiesen die, deren Lebensraum sich in weit nördlichen Breiten oder in einem trockenen Savannengürtel befand, die geringsten Populationsdichten auf, doch gab es auch in lebensfreundlicheren Regionen, beispielsweise in tropischen Regenwäldern oder in mediterranen Zonen mit saisonalen Trockenzeiten, ein breites Spektrum unterschiedlicher Bevölkerungsdichten. Die Obergrenzen bei der Bevölkerungsdichte zeigen, wie beschränkt die Energieausbeute bei der Nahrungsbeschaffung durch Jagen und Sammeln ist, egal ob es sich bei den Akteuren um Vierbeiner oder Zweibeiner handelt. Selbst als unsere menschlichen Vorfahren begannen, sich vom Fleisch größerer Tiere zu ernähren, waren sie als Jäger und Sammler nie in der Lage, größere Lebensgemeinschaften (etwa mit Tausenden von Mitgliedern, gar nicht zu reden von den heutigen Megastädten mit ihrer nach Millionen zählenden Bevölkerung) zu ernähren und auch keine Bevölkerungsdichte in der Größenordnung von zehn oder mehr Personen pro Quadratkilometer zu erreichen. (Dagegen finden wir heute in einer Großstadt wie der philippinischen Hauptstadt Manila eine um zwei Zehnerpotenzen höhere Bevölkerungsdichte von mehr als 70.000 Personen pro Quadratkilometer.)

Unsere wachsende Bevölkerung

Dank neuester genetischer Analyseverfahren und demographischer Modelle verfügen wir heute über präzisere Erkenntnisse zu prähistorischen Bevölkerungszahlen als je zuvor.[11] So können wir annehmen, dass vor 1,2 Millionen Jahren erst rund 20.000 Urmenschen auf der Erde lebten, sehr viel weniger als die Summe aller heute lebenden Schimpansen und Gorillas. Unsere späteren Vorfahren (wie Homo erectus und Homo heidelbergensis) zählten vor einer Viertelmillion Jahren vielleicht erst 50.000 Köpfe, woraus vor rund 100.000 Jahren ca. 100.000 Individuen der Art Homo sapiens hervorgingen. Genetische Belege weisen darauf hin, dass in der Folge ein ziemlich substantielles Bevölkerungswachstum stattfand, auf das jedoch ein plötzlicher Rückgang folgte, verursacht durch eine starke Abkühlung und Vereisung unseres Planeten zwischen 29.000 und 17.000 Jahren vor unserer Zeit.

Eine Gruppe finnischer Wissenschaftler gelangte 2015 zu der Schlussfolgerung, dass die europäische Homo-sapiens-Bevölkerung von mehr als 300.000 vor 30.000 Jahren auf rund 130.000 vor 23.000 Jahren schrumpfte, um anschließend bis zum Ende der letzten Eiszeit vor rund 10.000 Jahren wieder auf 400.000 anzuwachsen.[12] Zu Beginn des Neolithikums vor rund 12.000 Jahren hatte der Mensch die unterschiedlichsten irdischen Lebensräume besiedelt, vom tropischen Regenwald bis zur Arktis. In Regenwäldern, wo nur wenige große Tiere leben und die meisten Kleintiere Baumbewohner, oft nachtaktiv und immer schwer zu erbeuten sind, bildeten zwangsläufig Pflanzen den Hauptteil des menschlichen Speisezettels.[13] In den gemäßigten Breiten lieferte das Fleisch großer Herbivoren einen erheblichen Teil des menschlichen Energiebedarfs; in arktischen Regionen hätten Menschen ohne die Erbeutung großer fettreicher Meeressäuger nicht überleben können.[14]

Wachstum der Weltbevölkerung: prähistorische Stagnation, anschließend mäßiger bis steiler Anstieg

Natürlich wissen meine Leser, dass «etwas» passierte, das günstigere Voraussetzungen für ein Bevölkerungswachstum schuf. Es ist unschwer zu erraten – erst recht in Anbetracht der Kapitelüberschrift –, dass dies mit der einsetzenden Kultivierung und Domestizierung von Nährpflanzen und Nutztieren zu tun hatte, einer Entwicklung, die deutlich höhere Populationsdichten ermöglichte. Doch anders als Gordon Childe, ein in Großbritannien lehrender australischer Archäologe, es in seinem 1936 erschienenen einflussreichen Buch Man Makes Himself [*1] propagierte, (und zu einer große Verbreitung findenden Lehrmeinung machte), vollzog sich dies nicht in Form einer sogenannten neolithischen Revolution, sondern als allmählicher, sich über einige Jahrtausende erstreckender Prozess, in dessen Verlauf die Kultivierung von Nährpflanzen einen immer wichtigeren Platz einnahm, aber ergänzend weiterhin das Sammeln wild wachsender Pflanzen und die Jagd auf Wildtiere hinzukamen. Vielerorts lieferten die letztgenannten Aktivitäten auch noch in seit langem landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften einen nicht unerheblichen Anteil der Nahrungsenergie, und sogar heute noch gibt es in nicht wenigen afrikanischen und asiatischen Ländern sesshafte Gemeinschaften, die gewohnheitsmäßig die Früchte wild wachsender Pflanzen ernten.[15] Vor der Entwicklung des Ackerbaus und der Viehzucht (beginnend vor rund 12.000 Jahren in mehreren Regionen des Nahen Ostens) zählte die Weltbevölkerung sehr wahrscheinlich zwischen 2 und 4 Millionen Menschen; vor rund 2000 Jahren, zur Zeit des ersten römischen Kaisers Augustus, hatte sich die Zahl der auf der Erde lebenden Menschen wahrscheinlich in etwa verhundertfacht, auf 150 bis 300 Millionen.[16]

Wie kam es zum Ackerbau?

Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, die Anfänge von Ackerbau und Viehzucht ließen sich einfach und vollständig als eine «induzierte Innovation» beschreiben, will sagen als eine zwangsläufige und schrittweise Reaktion auf Bevölkerungswachstum, und die ersten Erfolge, die sich dabei einstellten, hätten auf direktem Weg die anschließende Expansion und Intensivierung neuer Kulturtechniken herbeigeführt. In diesem Buch haben Fakten Vorfahrt vor gängigen Narrativen.

Nur wenige Ungewissheiten in der modernen Wissenschaft reichen so tief (und sind so schwer lösbar) wie die, mit denen wir uns im Hinblick auf die Anfänge der Domestizierung von Pflanzen und Tieren konfrontiert sehen. Es sind Indizien vorgelegt und Argumente angeboten worden, die deutlich unterschiedliche Erklärungen für diese Entwicklung postulieren, von rein materiellen bis zu rein verhaltensdynamischen Wirkfaktoren, bis hin sogar zu der Umkehrthese, nicht wir hätten die Pflanzen, sondern die Pflanzen hätten uns domestiziert.[17]

Manche meinen, eine wärmere Welt mit einer höheren CO2-Konzentration in der Atmosphäre – auch Klimawandel genannt – sei die treibende Kraft gewesen, und drei prominente US-amerikanische Anthropologen haben die Hypothese formuliert: «Sobald ein produktiveres System der Existenzsicherung erreichbar ist» – und diese Chance bestand im Anschluss an die letzte Eiszeit –, «wird dieses früher oder später das weniger produktive System verdrängen, das ihm vorausgegangen ist.»[18]

Oder war es eine unvermeidliche Reaktion auf Versorgungskrisen, die diese Wende erzwang? Vielleicht war sie eine Folge von Nahrungsverknappungen, die aus einem relativ schnellen Bevölkerungswachstum erwuchsen und mit dem relativ niedrigen Energieertrag der opportunistischen Nahrungsbeschaffung durch Jagen und Sammeln nicht kompensiert werden konnte? Der amerikanische Archäologe Lewis Binford ging so weit, einen in seiner Genauigkeit geradezu skurril anmutenden Schwellenwert für diesen Übergang anzugeben: Nach seinen Berechnungen löste das Erreichen einer Populationsdichte von 9098 Personen pro Quadratkilometer die Wende vom Jagen und Sammeln zum Ackerbau aus.[19] In starkem Gegensatz zu dieser, wenn man so will, physikalischen Ursachenzuschreibung stehen die theoretischen Ansätze, die den Übergang zum Ackerbau auf den Wunsch nach einer geselligeren Lebensweise und nach mehr materiellen Besitztümern zurückführen (dass unsere Vorfahren also engere soziale Beziehungsnetze und/oder mehr «Dinge» haben wollten und deswegen mit dem Ackerbau anfingen) sowie nach mehr sozialem Wettbewerb und besseren Organisationsformen für Verteidigung oder Angriff. Ein starkes Argument für das Wirken dieser sozialen Komponenten ist der Umstand, dass die Netto-Energieerträge des frühen Ackerbaus (definiert als das Verhältnis zwischen dem Energiegehalt der geernteten Feldfrüchte und der in ihren Anbau investierten Energie) in vielen Fällen geringer waren als der Ertrag aus dem Jagen und Sammeln: Offenbar war hier die Befriedigung anderer Bedürfnisse wichtiger als Netto-Energieerträge.

Niemand sollte sich gezwungen fühlen, in dieser Streitfrage Partei zu ergreifen. Wir können mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass die Entwicklung sich als Kombination und Interaktion materieller und kultureller Faktoren vollzog und über lange Zeiträume die alten Formen der Nahrungsbeschaffung parallel zu den neuen fortbestanden. Andererseits besteht kein Zweifel daran, dass nur der schrittweise Übergang und die Verbreitung eines ortsfesten oder sesshaften Ackerbaus in der Lage war, größere, hierarchisch strukturierte Gesellschaften mit einer in einer Stadt residierenden Zentralgewalt hervorzubringen und aufrechtzuerhalten. Eine Ernährungsweise nach Art der Schimpansen oder selbst ein planvolles Jagen und Sammeln, wie wir es für den prähistorischen Menschen in der Endphase der letzten Eiszeit annehmen können, wäre nicht in der Lage, eine weltweite Bevölkerung von auch nur einigen Dutzend Millionen Menschen zu ernähren und erst recht nicht die Bewohner einer Millionenstadt. Die Domestizierung und der Anbau von Getreide, Hülsenfrüchten, Ölfrüchten und Faserpflanzen und die Nutzung domestizierter Tiere als Nahrungs- und Kraftquelle (zum Pflügen oder als Zug- und Lasttiere) bedeuteten nicht das Ende der Abhängigkeit der Ernährungslage von jahreszeitlichen oder von Jahr zu Jahr schwankenden Kapriolen, verringerten sie jedoch erheblich, indem sie für eine zuverlässigere und erheblich stärker konzentrierte Nahrungserzeugung sorgten.

Darüber hinaus boten diese neuen Methoden der Nahrungserzeugung die Chance, zu bestimmten Zeiten im Jahresverlauf Überschüsse zu ernten, die für einen künftigen Bedarf eingelagert werden konnten. Getreide beispielsweise hatte in trockenen Gegenden von Natur aus einen geringen Wassergehalt und konnte so in geeigneten Behältern bis zur nächsten Ernte aufbewahrt werden. Das ermöglichte es Landwirtschaft betreibenden Gesellschaften, auf wesentlich größere Bevölkerungszahlen anzuwachsen, als isolierte Gruppen von Jägern und Sammlern es jemals vermocht hatten. Methodischer Ackerbau konnte schon in einigen der frühesten Gesellschaften, die ihn praktizierten, eine hundertmal höhere Bevölkerungsdichte hervorbringen. In Ägypten lag die Dichte in der Zeit des alten Königreichs (2700–2200 v. Chr.) bei rund 1,3 Personen pro Hektar Ackerland (entsprechend 130 Personen pro Quadratkilometer urbaren Bodens), und sie sollte sich bis zum Aufstieg Roms mindestens verdoppeln.[20]

Die intensivsten Varianten des traditionellen Landbaus in Asien, vor allem im südlichen China zu Zeiten der späten Qing-Dynastie (1644–1912), basierten zunehmend auf Bewässerung, auf dem starken Einsatz organischer Abfälle und Reststoffe (hauptsächlich Tierdung und Stroh als organische Dünger), dem Einbringen von mehr als einer Ernte im Jahreslauf (also einer intensiveren Bodennutzung) und auf durchdachten Fruchtwechseln (um eine Verschlechterung der Bodenqualität zu verhindern). Diese Fortschritte bewirkten, dass 1 Hektar bewirtschafteten Bodens mehr als drei oder sogar mehr als fünf Personen ernähren konnte, was einer Populationsdichte von mehr als 500 Personen pro Quadratkilometer entspricht.[21] Eine ähnliche Kombination solcher Verbesserungen sorgte in Europa dafür, dass im frühen 19. Jahrhundert die englische und die dänische Landwirtschaft mehr als drei Personen pro Hektar ernähren konnten.[22]

Mehr Nahrung als je zuvor

Irgendwann im Verlauf des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts, kurz bevor auf breiter Front Industrialisierung und Verstädterung (und als Folge der wachsenden Wirtschaftsleistung ein erhöhter Lebensstandard) das Bevölkerungswachstum zu beschleunigen begannen, erreichte die Erdbevölkerung den Meilenstein von 1 Milliarde Menschen. Bis 2020 verachtfachte sich diese Zahl nahezu. Betrachten wir die Bevölkerungszahl der Erde und die Gesamtfläche landwirtschaftlich nutzbaren Landes, wird deutlich, dass im Jahr 2020 ein Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche im Durchschnitt fünf Personen ernährt hat.[23]

Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass das ein Durchschnittswert ist, hinter dem sich ein breites Spektrum unterschiedlicher Produktivitätsniveaus verbirgt. Dieses reicht von einem hohen Fleisch- und Milchkonsum in wohlhabenden Ländern bis zu überwiegend vegetarischen Speisezetteln in Indien und weiten Teilen Afrikas, von verschwenderischen Überschüssen bei uns bis zu verbreiteter Unterernährung in den ärmsten afrikanischen Ländern südlich der Sahara.[24] In den meisten Ländern der Europäischen Union und in Nordamerika übersteigt das Angebot an Nahrungsenergie erheblich den Bedarf und lässt sich unmöglich verfrühstücken, es sei denn, ganze Völkerschaften würden zur Fettleibigkeit konvertieren. In der Tat führt das Überangebot dazu, dass zu viel gegessen wird – und ein mehr oder weniger großer Teil der Bevölkerung an Übergewicht oder Adipositas leidet –, aber zugleich gilt für viele afrikanische Länder, dass sie kaum über Versorgungsreserven verfügen, und für manche – das bedrückendste Beispiel liefert Äthiopien –, dass sie immer wieder von einer regionalen oder landesweiten Hungersnot heimgesucht werden oder knapp an einer vorbeischrammen.

Was sonst hätten wir tun können?

War die Domestizierung von Nahrungspflanzen, allem voran der Anbau von Getreide, und parallel dazu die Zähmung und Haltung diverser Nutztierarten das einzige Mittel, um sowohl die durchschnittliche Populationsdichte als auch die Weltbevölkerung als Ganze auf mehr als das Tausendfache anwachsen zu lassen, von ein paar Millionen auf 8 Milliarden – und das in der nach evolutionären Maßstäben extrem kurzen Zeitspanne von gerade einmal zwölf Jahrtausenden? Oder hätte es auch andere Strategien der Nahrungsbeschaffung gegeben, die ein Anwachsen der Bevölkerung, eine sesshafte Lebensweise, eine Schichtung der Gesellschaft, komplexe Sozialstrukturen und im Endergebnis eine globale Zivilisation hervorbringen hätten können? Wir wollen einen Blick auf diese Alternativen werfen, wie unrealistisch auch immer sie erscheinen mögen. Um das tun zu können, muss ich jedoch zunächst unsere grundlegenden Ernährungsansprüche erklären.

Welche Nahrung brauchen wir?

Seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts haben wir eine Menge Erkenntnisse über den Energiebedarf des Menschen und über die drei Makronährstoffe gewonnen, die er benötigt: Kohlehydrate, Fette und Proteine.[25] Kohlehydrate, im Zusammenspiel mit Fetten, sind die Hauptlieferanten unserer Nahrungsenergie, während Proteine den Aufwuchs neuer und die Reparatur alter Körpergewebe (Muskeln, Knochen, Organe, Haut) ermöglichen und nur dann in Energie umgewandelt werden, wenn die erstgenannten beiden Makronährstoffe nicht ausreichend verfügbar sind. Durchschnittlich aktive Erwachsene sollten im Schnitt nicht mehr als 2500 Kilokalorien (kcal) oder 10,5 Megajoule (MJ) pro Tag aufnehmen – wobei dies schon ein großzügig bemessener Richtwert ist. (Die Kilokalorie ist die von Ernährungswissenschaftlern traditionell verwendete Maßeinheit, wird umgangssprachlich aber häufig fälschlich als «Kalorie» bezeichnet, was dem 1000sten Teil einer kcal entspricht. Joule und Megajoule sind internationale wissenschaftliche Maßeinheiten.) Die modernsten Empfehlungen für eine gesunde Ernährung, erarbeitet von internationalen und nationalen Expertengremien, sehen die folgende optimale «Portionierung» unserer Nahrungsbestandteile vor: 45–65 Prozent der von einem Erwachsenen aufgenommenen Nahrungsenergie sollte aus Kohlehydraten kommen, 20–35 Prozent aus Fetten und 10–35 Prozent aus Proteinen.[26]

Die Kohlehydrate und Proteine, die wir verdauen können, liefern ca. 400 kcal/100 g, Fette mehr als doppelt so viel, nämlich 880 kcal/100 g. Frisch geerntete pflanzliche Nahrung oder Frischfleisch (von Tieren und Fischen) haben einen hohen Wassergehalt. Obst und Beeren liefern in der Regel nicht mehr als 70 kcal/100 g (und allenfalls Spuren von Proteinen oder Fetten, wobei die Avocado die große fetthaltige Ausnahme bildet); Knollen (stärkereiche unterirdische Speicherorgane, allen voran die Kartoffel) warten mit bis zu 1115 kcal/100 g auf, Nüsse (dank ihres hohen Fettgehalts) mit bis zu 650. Das Fleisch wild lebender Kleintiere enthält sehr wenig Fett, aber besonders viel Protein (rund 20 Prozent) und Wasser, und hat eine Energiedichte von weniger als 150 kcal/100 g. Auf der Basis dieser Parameter können wir errechnen, ob es eine praktikable und nachhaltige Alternative zum Ackerbau gibt, für die sich die Menschen hätten entscheiden können, die sie aber nicht genutzt haben. Gibt es Umwelten, in denen eine dichte Menschenpopulation leben könnte, ohne Feldfrüchte anbauen zu müssen?

Eine Welt ohne Ackerbau

Essen wie ein Schimpanse

Könnten wir auf eine intensivierte Version des typischen Schimpansen-Speisezettels zurückgreifen, bei der wir dessen vorwiegend aus Früchten bestehende Diät durch andere Pflanzenteile, eingesammelte Insekten und hin und wieder einen Brocken Fleisch von erlegten Tieren ergänzen würden? Obst und Gemüse sind wertvolle Quellen von Vitaminen und Mineralstoffen und liefern in manchen tropischen Gefilden nicht unerhebliche Mengen leicht verdaulicher Kohlehydrate. Würde ein erwachsener Mensch versuchen, sich wie ein Schimpanse zu ernähren (der seine Nahrungsenergie zu 80 Prozent aus Feigen und anderen Früchten und Beeren bezieht), müsste er täglich 4 bis 5 kg davon verzehren.[27]

Selbst wenn dieser Mensch in einer reich mit Feigenbäumen gesegneten Umgebung lebte, müsste er tagtäglich Stunden mit der Suche nach reifen Früchten zubringen, müsste auf Bäume klettern und Sträucher abernten; sein Früchtekonsum würde sich auf 1,5 bis 1,8 t im Jahr aufsummieren, und es wäre eine Diät ohne Fett und mit einem minimalen Protein-Anteil. Feigen gedeihen freilich nicht in nördlichen Breiten, in denen dafür andere Früchte wachsen (von Kirschen bis Pflaumen), die einmal im Jahr eine relativ bescheidene Ernte abwerfen und sich nur in verarbeiteter Form aufbewahren lassen. In einer passenden Umgebung könnte man sich eine auf Feigen gestützte Diät für Gruppen von einigen Dutzend oder einigen hundert Personen vorstellen (etwa so wie Datteln, allerdings von speziell gezüchteten Sorten, in manchen afrikanischen Oasen einen erheblichen Teil der Nahrungsenergie liefern). Aber wollte man auch nur die Bevölkerung der Europäischen Union in ihren heutigen Grenzen allein von einer früchtebasierten Diät ohne Fett und Eiweiß ernähren, bräuchte man dafür mehr als eine halbe Milliarde Tonnen Feigen im Jahr – mehr als das 400-Fache der 2020 weltweit geernteten Menge.[28] Wie hieraus klar wird, ist eine am Speisezettel des Schimpansen orientierte Ernährungsweise keine annähernd realistische Option für Länder mit einer hohen Populationsdichte zwischen dem Tropengürtel und dem Polarkreis. Darüber hinaus kann man sich nur schwer ausmalen, wie eine auf dem Ernten großer Massen von Feigen basierende Lebensweise irgendwann zur Erfindung der Schrift, zum Bau des Parthenon oder zur Entwicklung von Antibiotika hätte führen können.

Essen wie ein Gorilla

Wie wäre es dann stattdessen mit einer Diät aus ausschließlich frischem Grünzeug, Pflanzenteilen wie Stängeln und Blättern, die in wesentlich üppigeren Mengen, über sehr viel längere Zeiträume hinweg und in sehr viel ausgedehnteren Klimazonen verfügbar sind als Feigen oder Früchte? Hätte die Menschheit sich vervielfachen können, wenn sie in großem Maßstab die Ernährungsweise praktiziert hätte, mit der die Berggorillas, die die Hänge der Virunga-Vulkane im Kongo bevölkern, ihr Leben fristen? Der Speiseplan dieser berühmtesten Grünfutter-Vertilger besteht zu rund 68 Prozent aus Blättern von Kräutern und Büschen, weitere 25 Prozent entfallen auf Pflanzenstiele.[29] Wäre es für uns eine Option, uns in ein Dickicht aus langstieligen und großblätterigen Grünpflanzen hineinzusetzen und loszufuttern?

Selbst in Landstrichen, wo dies das ganze Jahr über möglich wäre – was weite Teile unseres Planeten ausschlösse, etwa halbtrockene Savannenlandschaften oder die monatelang unter tiefem Schnee liegenden Wälder des Nordens –, müssten erwachsene Menschen einen Großteil des Tages mit dem Zerkauen und Hinunterwürgen von ca. 10 kg Grünfutter zubringen, der Menge, die sie für die Stillung ihres Energiehungers brauchen würden. Vorausgesetzt, sie wären in der Lage, eine solche Masse an Pflanzenfasern zu verstoffwechseln. Um dies zu schaffen, müssten wir Menschen dieses Futter so gut verdauen können, wie Gorillas es tun, eine Fähigkeit, über die der Homo sapiens zu keiner Zeit verfügt hat. Unser Grimmdarm (in dem die Verdauung pflanzlicher Fasern stattfindet) macht nur rund ein Fünftel des Volumens unseres Verdauungstraktes aus (bei den Primaten jedoch ungefähr die Hälfte), und er ist sogar deutlich kürzer als der Grimmdarm des Schimpansen, der eine abwechslungsreichere und leichter verdauliche Diät pflegt als der Gorilla.[30]

Der Gorilla gehört zu den Dickdarm-Verdauern, die in der Lage sind, in großem Stil faserige Pflanzenmasse zu vertilgen, hauptsächlich Gräser und Blätter. Analog zu allen anderen Dickdarm-Verdauern, etwa Pferden, Nashörnern, Kaninchen oder Koalabären, beherbergt ihr Dickdarm große Bestände an enzymatischen Mikroorganismen (Bakterien und anaeroben Pilzen), die bei der Verdauung der Faserstoffe mithelfen und ihnen Energie in Form kurzkettiger Fettsäuren entziehen. Das menschliche Verdauungssystem könnte hingegen höchstens rund 10 Prozent der in einer solchen faserreichen Pflanzennahrung gebundenen Energie herausholen (wahrscheinlich sogar weniger als 5 Prozent), mit der Folge, dass sogar das Verschlingen von täglich zehn Kilo dieses Grünzeugs uns nicht vor dem Verhungern bewahren würde. Selbst wenn wir mit dem Grimmdarm der Gorillas ausgestattet wären, blieben wir bei dieser Ernährungsweise auf eine Umgebung angewiesen, in der kontinuierlich frisches Grünfutter nachwächst, und das ist nur in Zonen mit feuchtem und frostfreiem Klima möglich. Mithin wäre auch diese Ernährungsweise keine Option, die zu einer großflächigen Ausweitung menschlicher Siedlungsräume, zu hohen Populationsdichten und zur Entstehung von Städten und einer globalen Zivilisation hätte führen können.

Essen wie ein eiszeitlicher Jäger

Gesetzt den Fall, wir würden den entgegengesetzten Weg einschlagen, uns also auf eine höhere trophische Ebene (Position in der Nahrungskette) begeben und uns überwiegend von Fleisch ernähren. Der günstigste (wenn auch bei weitem nicht ideale) Zugang zu diesem Entwicklungspfad ging verloren, als die eiszeitlichen Mammuts und die anderen mit dicken Fett- und Wollepolstern ausgestatteten Megaherbivoren – das Wollnashorn, der Europäische Waldelefant, der Auerochse, der Steppenbison und andere Großwildarten, die große Jägervölker mit höchst energiereicher Nahrung versorgen konnten – ausstarben. Das Fleisch der größten Megaherbivoren hatte eine Energiedichte von 190–240 kcal/100 g, das kleinerer Weidetiere wie Hirsch oder Antilope hingegen nur von 120–140 kcal/100 g. Das Wollhaarmammut und das amerikanische Mastodon wogen 4 bis 9 t, die größten Kaisermammuts mehr als 10 t.



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