Inselglück im Schneegestöber - Anni Deckner - E-Book
SONDERANGEBOT

Inselglück im Schneegestöber E-Book

Anni Deckner

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Winterküsse auf Sylt Semra fällt aus allen Wolken, als ihr langjähriger Freund sie von einem Tag auf den anderen für eine Jüngere verlässt. Und das in der Vorweihnachtszeit. Um auf andere Gedanken zu kommen, schließt sie vorübergehend ihre kleine Schneiderei und fährt für zwei Wochen nach Sylt. Doch die Insel, die sie bisher nur aus warmen Sommermonaten kannte, erscheint ihr karg und kalt. Erst auf den zweiten Blick entdeckt sie die Schönheit des Winters zwischen den Dünen. Vielleicht hat das etwas mit dem gutmütigen Pubbesitzer Rick zu tun. Denn ganz allmählich erobert nicht nur die Nordseeinsel Semras verletztes Herz … Von Anni Deckner sind bei Forever by Ullstein erschienen: Barfuß am Strand Leuchtturmtage Die Sehnsucht der Inselärztin Friesenglück Sylter Meeresrauschen Die Krabbenfischerin Das kleine Blumencafé am Strand Die kleine Apotheke in St. Peter-Ording Inselglück im Schneegestöber

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 325

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inselglück im Schneegestöber

Die Autorin

Anni Deckner, geboren 1961 in Winnert bei Husum, lebt mit ihrer Familie in Hanerau-Hademarschen. Ihre Liebe zur »Grauen Stadt am Meer« kann man in ihren Werken spüren. Die kreative Luft des Nord-Ostsee-Kanals inspiriert die Autorin genau wie damals den berühmten Dichter Theodor Storm, der an diesem Ort seinen Schimmelreiter zu Papier brachte. Ihre Leidenschaft zum Schreiben entwickelte sich schon in früher Jugend, ihr erstes Buch »Heimathafen Husum« erschien jedoch erst im März 2014, gefolgt von »Knocking Out« 2015. In ihrer Freizeit geht die Autorin gern mit ihrem Mann auf Reisen. Ihr Beruf und gleichzeitig Berufung ist ihre Arbeit bei der Kirchengemeinde Hanerau-Hademarschen.

Das Buch

Winterküsse auf Sylt

Semra fällt aus allen Wolken, als ihr langjähriger Freund sie von einem Tag auf den anderen für eine Jüngere verlässt. Und das in der Vorweihnachtszeit. Um auf andere Gedanken zu kommen, schließt sie vorübergehend ihre kleine Schneiderei und fährt für zwei Wochen nach Sylt. Doch die Insel, die sie bisher nur aus warmen Sommermonaten kannte, erscheint ihr karg und kalt. Erst auf den zweiten Blick entdeckt sie die Schönheit des Winters zwischen den Dünen. Vielleicht hat das etwas mit dem gutmütigen Pubbesitzer Rick zu tun. Denn ganz allmählich erobert nicht nur die Nordseeinsel Semras verletztes Herz …

Von Anni Deckner sind bei Forever by Ullstein erschienen:Barfuß am StrandLeuchtturmtageDie Sehnsucht der InselärztinFriesenglückSylter MeeresrauschenDie KrabbenfischerinDas kleine Blumencafé am StrandDie kleine Apotheke in St. Peter-OrdingInselglück im Schneegestöber

Anni Deckner

Inselglück im Schneegestöber

Ein Sylt-Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinOktober 2019 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-527-2

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Semra

Fahrt ins Blaue

Schwestern

Die Insel ruft

Begegnungen am Strand

Shoppingmeile Westerland

Die nördlichste Fischbude der Welt

Tilda in Not

Unverhofft

Seelenschmerz

Partylaune

Winterinsel Sylt

Abschied von der Insel

Gegen den Wind

Retter in der Not

Schnee auf der Insel

Schreck in der Morgenstunde

Rutschpartie ins Glück

Ein Engel zum Fest

Endlich vereint

Wunderwelt

Vertrauen

Sieg der Liebe

Erinnerungen

Standpauke

Böse Überraschung

Eine Lösung gibt es immer

Glücklich

Inselglück

Der Umzug auf die Insel

Schnittgerecht

Epilog

Leseprobe: Das kleine Blumencafé am Strand

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Semra

Semra

Frau Wagner positionierte sich vor dem Standspiegel mit den goldenen Verzierungen. Es war ihr anzusehen, wie stolz sie war. Ihre schwarze Gucci-Hose musste um zwei Zentimeter eingenäht werden. Heimlich verdrehte ich die Augen. In wenigen Wochen würde sie erneut in meiner Schneiderei stehen, aber dann mit der frustrierenden Bitte, die Naht wieder aufzutrennen.

Frau Wagner war durch ihre Essstörung eine regelmäßige Kundin. Aus ihren Berichten wusste ich, dass es nicht am Geldmangel lag, dass sie die Änderungen bei mir in Auftrag gab. Ich an ihrer Stelle hätte mir sämtliche Konfektionsgrößen in den Kleiderschrank gelegt, um immer passende Hosen vorrätig zu haben. Frau Wagners Besuche in meinem Atelier gehörten zu den wichtigsten Terminen in ihrem Terminkalender, was sie an ihren Kaffeeklatschtagen gern erwähnte. Was nicht unbedingt zu meinem Nachteil war. Ich gehörte inzwischen zu den angesagtesten Adressen für die Damen mit künstlich aufgeblasenen Terminkalendern.

Mir sollte es nur recht sein, wenn gelangweilte Damen mich mit ausreichend Arbeit versorgten und mein Gehalt sicherten. Ich konnte mich vor Einladungen kaum noch retten, denn viele meiner Kundinnen hatten sich vorgenommen, mich an ihren Kaffeetisch zu bitten. Ohne Erfolg natürlich. Diesen sicher gut gemeinten Einladungen nachzugehen, würde bedeuten, dass ich eine Aushilfe einstellen müsste. Die Sahnetorten hätten dann zur Folge, dass ich auch bald meine Kleider ändern musste. Dafür fehlte mir dann doch der Sinn.

Meine Schneiderei lief zufriedenstellend. Änderungen gehörten zwar nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, aber die Folgeaufträge hatten es meistens in sich. Da ich regelmäßig neue Modelle schneiderte und sie in mein Schaufenster stellte, kam bei manchen Änderungen auch ein neuer Auftrag dazu.

Frau Wagner zappelte ungeduldig.

»Bitte stillstehen«, sagte ich gespielt streng.

»Hach, ich habe nicht viel Zeit. Geht es ein bisschen schneller?«

»Sie wissen doch, Frau Wagner, wenn Sie nicht stillstehen, dauert es länger.« Die etwa sechzigjährige Frau duzte mich, während ich lieber beim Sie blieb. So kurz vor der Adventszeit konnte ich mich über die Auftragslage nicht beklagen. Mein Auftragsbuch war gefüllt mit einigen kleinen, aber auch größeren Arbeiten.

»Hast du zwischen den Weihnachtstagen und Silvester wieder geschlossen?«, erkundigte sie sich besorgt.

»Wie immer, nur kurz vor Weihnachten. Zwischen den Tagen habe ich meinen Laden geöffnet, Frau Wagner. Wenn Sie zum Jahreswechsel noch Wünsche haben, müssen Sie trotzdem in den nächsten Tagen vorbeikommen.«

»Woher soll ich das denn wissen, Semra? Meine Diät ist momentan recht erfolgreich, aber bei den Angeboten auf dem Weihnachtsmarkt kann ich nie vorhersehen, was meine Taille für Pläne hat.« Sie lachte glockenhell und fuhr mit der Hand über ihren Po. »Du hast wohl nie Probleme mit deinem Gewicht, oder?«

Ich grinste hinter ihrem Rücken. Natürlich hatte ich meine Problemzonen, aber mit Frau Wagner darüber zu diskutieren, war nicht in meinem Interesse.

Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte sie sich zu mir um. »Nein, offensichtlich nicht, du Glückliche.« Seufzend legte sie ihren Zeigefinger unter mein Kinn. »Aber etwas blass bist du. Du musst ins Solarium.«

»Ich vertrage die Sonne nicht«, log ich. Sanft drehte ich sie zurück vor den Spiegel. »So, fertig. Bitte Vorsicht beim Ausziehen, nicht dass Sie sich an den Nadeln pieken.«

»Darf ich das gute Stück morgen abholen?«

»Morgen kurz vor Geschäftsschluss, dann müsste ich es fertig haben.«

Frau Wagner bedankte sich überschwänglich und stolzierte grußlos auf die Straße hinaus. Ich blies die Wangen auf und ließ die Luft laut entweichen.

Nach meinem Studium zur Designerin hatte ich eine Anstellung in einem Brautmodengeschäft angenommen. Meine Hauptaufgabe waren Änderungen der Traumkleider gewesen. Ich wusste schon vor der Anstellung, dass mir das bald zu öde werden würde, zumal meine Chefin mich nach Strich und Faden ausnutzte. Mein Arbeitstag endete nicht selten spät in der Nacht und begann morgens um acht Uhr mit dunklen Augenringen. Privatleben gab es für mich in der Zeit kaum.

Nur dank eines glücklichen Zufalls wurde mir dann der kleine Laden im Sandberg zur Pacht angeboten. Endlich konnte ich meine kreative Seite ausleben. Auch wenn dies nach Ladenschluss geschah, weil ich am Tag nur wenig Gelegenheit dazu hatte, war ich durchweg zufrieden. Tagsüber war ich mit den Änderungsaufträgen beschäftigt und nebenbei lief der Verkauf von Stoffen hervorragend. Ich bot zusätzlich Nähkurse an, die meistens ausgebucht waren. Erstaunlich viele junge Mütter versuchten ihr Glück an der Nähmaschine.

Ich begab mich in die Teeküche und spülte die Kaffeetassen ab. Nachdem ich das erledigt hatte, sortierte ich die Stoffballen neu. Die Kunden hatten keine Mühen gescheut, sie durcheinanderzubringen. Die Baumwolldrucke legte ich an den Platz ans Fenster zurück. Dort wurden sie sofort von Kunden entdeckt und unter die Lupe genommen, während ich die Strickwaren weiter hinten im Laden platziert hatte.

Prüfend sah ich mich um. Nun schien meine Ordnung wiederhergestellt. Mit der Fusselrolle entfernte ich die Fadenreste von meiner schwarzen Hose. Mein Blick wanderte zu dem goldenen Standspiegel. Frau Wagner hatte nicht übertrieben, als sie meinte, ich sei blass um die Nase. Meine großen braunen Augen wirkten mit den leichten Augenrändern noch größer. Ich arbeitete eindeutig zu viel. Einer der wenigen Vorteile meiner Selbstständigkeit war, dass ich ein Schild ins Fenster stellen konnte, wenn ich eine Auszeit brauchte. Kurz vor Weihnachten war das in der Regel der Fall. Meine Kunden machte ich frühzeitig darauf aufmerksam. Es kam zwar viel zu selten vor, aber immerhin. Ich liebte meinen Beruf sehr, aber ich war urlaubsreif.

Mit einer Hand holte ich meinen Mantel vom Haken und mit der anderen betätigte ich die Lichtschalter. Diesen Moment, wenn im Laden alles dunkel und still war, liebte ich. Für Sekunden schloss ich die Augen und atmete den Geruch von Maschinenöl und Stoffen ein. Dies war mein Reich, auf das ich unendlich stolz war.

Mit einem lauten Klingeln der Türglocke öffnete ich die Ladentür und trat ins Freie. Die Hektik des Feierabendverkehrs zehrte sofort an meinen Nerven. Aber ich freute mich auf Sven, meinen Freund, mit dem ich in der Kanzleistraße eine kleine Wohnung hatte. Wir waren ein Paar, seit wir uns auf dem Flensburger Tummelum kennen- und lieben gelernt hatten.

Damals war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Mit seinen himmelblauen Augen hatte er mich verzaubert. Er studierte in Flensburg Maschinenbau, mit der Absicht, später als Maschinist zur See zu fahren. Mir zuliebe unterschrieb er nach Beendigung des Studiums einen Arbeitsvertrag als Ingenieur bei der Flensburger Schiffswerft in der Batteriestraße. Zwar war auch dieser Job mit Reisen verbunden, aber die dauerten nur wenige Tage statt mehrerer Monate, wie es in der Seefahrt üblich war. Irgendwann stellte sich heraus, dass er seeuntauglich war. Bei einer Schiffsreise von Kiel nach Oslo wurde er seekrank und bewachte während der gesamten Überfahrt die Kloschüssel in unserer Kabine. Meine Witze darüber fand er weniger lustig. Seither ist er nie wieder auf einem fahrenden Schiff gewesen. Mein schlechtes Gewissen, weil er auf seinen Traumberuf hatte verzichten müssen, hielt sich in Grenzen.

Auf Skibrettern fühlte er sich dagegen wohler. Wir buchten regelmäßig Winterurlaube in den Bergen. Auch in diesem Jahr freuten wir uns auf den Urlaub.

Seit einigen Wochen spürte ich, dass sich eine Veränderung in meinem Leben anbahnte. Nur konnte ich nicht ausmachen, was es war. Ganz entgegen meiner Natur war ich nervös. Warum ich jetzt, so kurz vor der Adventszeit das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte, konnte ich mir nicht erklären. Lag es an mir? Oder an Sven? Eigentlich hatte ich an ihm nichts Ungewöhnliches bemerkt. Ich verwarf den Gedanken an eine Beziehungskrise.

Ich eilte durch Flensburgs Straßen, um für ein Abendessen zu zweit einzukaufen. Sven hatte mich gebeten einen Fischtopf zuzubereiten. Ich hatte keinen Appetit auf Fisch, aber ich machte ihm gern die Freude.

Die lange Schlange vor dem Verkaufstresen des Fischgeschäftes machte es mir nicht gerade leichter, mich auf die Meeresfrüchte zu freuen. Ungeduldig wartete ich darauf, endlich an die Reihe zu kommen. Nach einem langen Arbeitstag stand mir der Sinn nach wichtigeren Dingen. Zum Beispiel danach, mich von Sven verwöhnen zu lassen. Unsere Zweisamkeit hatte unter der Menge an Arbeit, die ich vor Weihnachten hatte, bedenklich gelitten. Aber das eine schloss schließlich das andere nicht aus.

Auch Sven kam meist erst spät von der Arbeit nach Hause. Erschöpft und völlig fertig warf er sich dann auf das Sofa, schaltete den Fernseher ein und war, wenn auch nicht körperlich, zumindest gedanklich von der Bildfläche verschwunden. Ich wertete seinen Wunsch auf ein gemeinsames Essen als einen Hinweis darauf, dass auch er etwas an unserer Beziehung ändern wollte. Ein romantischer Abend mit guten Gesprächen. Anschließend würden wir unser Sexleben in Schwung bringen.

Bei dem Gedanken, dass Sven mich nach allen Regeln der Kunst verwöhnen würde, zogen wilde Schmetterling in meinen Magen ein. Dies geschah immer seltener, umso mehr freute ich mich auf unseren Winterurlaub in den Bergen.

Genervt verließ ich das Fischgeschäft. Mit dem einsetzenden Nieselregen sank meine Laune auf den Nullpunkt. Ich zitterte vor Kälte. Die feuchte Luft drang mir bis auf die Haut. Mit dem Beutel Fisch in der Hand eilte ich durch die Einkaufsstraße und machte bei unserem Lieblingsbäcker halt. Hier kaufte ich ein Rosinenbrot für das morgendliche Frühstück ein.

Als ich auf die Straße trat, erblickte ich meine beste Freundin Moni. Schon von Weitem winkte sie mir stürmisch zu. Natürlich konnte ich ihr nicht klarmachen, dass ich für ein Schwätzchen keine Zeit hatte. Also lief ich auf sie zu, um sie zu begrüßen, in der Hoffnung, sie nicht zu verärgern, wenn ich mich gleich wieder vom Acker machte.

»Semra, dass ich dich hier mal treffe! Hat Sven dir Ausgang gegeben?«

Typisch Moni. Selbst gab sie vor, überzeugter Single zu sein, aber sie beschwerte sich laufend, dass ich zu viel Zeit mit Sven verbrachte.

Ich verzog das Gesicht. »Sehr witzig«, konterte ich. »Ich würde dich ja zum Essen einladen, aber ich fürchte, das, was darauf folgt, willst du nicht mitbekommen«, sagte ich, nicht ohne damit anzugeben, dass ich mich in einer glücklichen Beziehung befand.

»Ach, ist das Jahr wieder um? Es ist doch erst in vier Wochen Weihnachten«, witzelte meine Freundin.

Ich kicherte albern. Natürlich hatte ich meiner Freundin nie verraten, dass im Bett bei uns so ziemlich nichts mehr lief. Sie wusste also nicht, wie nah sie an der Wahrheit dran war. »Spricht da etwa der Neid aus deinem schönen Mund?«

Ich umarmte Moni zur Begrüßung flüchtig. Am liebsten hätte ich mich gleich wieder verabschiedet, diese Art von Unterhaltung hielt ich nicht lange aus. Aber wir sahen uns in letzter Zeit so selten, dass ich sie nicht gleich wieder stehen lassen mochte.

»Trinken wir einen Glühwein dort am Stand?« Moni ignorierte meine Bemerkung.

Ich zögerte, dann sagte ich lächelnd zu. »Dann los, so wird der Fischtopf eben ein bisschen beschwipst.«

Lachend hakten wir einander unter und liefen zum Südermarkt. Dort hatten sich etliche Buden aneinandergereiht. Allesamt mit der Botschaft, dass Weihnachten vor der Tür stand. Die Abendluft war geschwängert vom Duft gebrannter Mandel, Donuts und Glühwein. Ich liebte den Geruch, auch wenn es meiner Meinung nach zu früh für den Weihnachtsrummel war, denn der erste Advent war erst in einer Woche. Aber im Vergleich zu den Supermärkten, die bereits im September ihre Schokoweihnachtsmänner ausgepackt hatten, waren die Buden am Südermarkt harmlos.

Auch wenn ich fror, war das Wetter für diese Jahreszeit und für Glühwein entschieden zu mild. Wir bestellten ihn trotzdem. Ich musste grinsen, als ich Monis strahlend blaue Augen sah, voller Vorfreude auf den Absacker des Tages.

»Mit Schuss?«, fragte die Verkäuferin.

Ich wollte verneinen, aber Moni kam mir zuvor. »Klar, was sonst?«, meinte sie fröhlich.

Ich stöhnte. »Puh, ich muss noch das Essen machen. Ich hoffe, der Fisch wird nicht betrunken.« Ich hielt den Beutel hoch, in dem der Fisch auf sein Schicksal wartete, und stellte ihn auf dem Verkaufstresen ab.

Monis Lachen klang bitter, als sie sagte: »Dein Held wird es verschmerzen, wenn es vorher kein Essen gibt.«

Fragend sah ich sie an. Was war los mit ihr?

»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich besorgt. Monis Gesicht verfinsterte sich für den Bruchteil einer Sekunde, dann zeigte sie wieder das Strahlen, das ich von ihr kannte.

»Bei mir? Klar, warum fragst du?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ach, nur so.«

Ich musste gestehen, der Glühwein schmeckte fantastisch. Das Heißgetränk rann wärmend durch meine Kehle. Ich entspannte mich und ein glückliches Grinsen legte sich auf meine Lippen.

Moni schloss beim ersten Schluck die Augen. Sie war eine Genießerin durch und durch. Umso weniger verstand ich ihre Einstellung zu festen Beziehungen. Sie spreizte den kleinen Finger vom Becher und deutete damit auf mich.

»Wusste ich es doch, du siehst gleich viel entspannter aus. Ist bei dir denn alles okay?« Sie hielt den Kopf schief und ließ mich nicht aus den Augen. Daher entging ihr auch nicht, wie ich versuchte, die Ahnungslose zu spielen. Ich umklammerte mit beiden Händen meinen Becher und trank vorsichtig einen Schluck, um Zeit zu gewinnen. Dabei presste ich die Lippen aufeinander.

»Wenn ich das nur wüsste«, stieß ich hervor. »Mein Gefühl sagt mir, da kommt etwas auf mich zu. Habe aber keine Ahnung, was es sein könnte.«

Moni wurde ernst. »Dein Gefühl täuscht dich selten.« Besorgt musterte sie mich. »Ist zwischen dir und Sven alles in Ordnung?«

Sie traf mal wieder den wunden Punkt. Ich hatte es vermieden, ihr von unserem letzten Streit zu erzählen. Ich hatte ihn ja selbst verdrängt. Aber wir fanden einfach keinen Weg in den Liebesalltag zurück. Es hatte sich eine große Mauer zwischen uns gebildet und keiner von uns vermochte es, die Hürde zum Einstürzen zu bringen. Moni verzog ihre perfekt gezupften Augenbrauen.

»Ach, es ist alles wie immer …«

»Glaub ich dir nicht«, meinte meine Freundin kühl.

»Es ist nur, Sven hat momentan viel zu viel Arbeit, er braucht dringend Urlaub«, sagte ich wenig glaubhaft.

»Na, den habt ihr ja bald. Aber was ist danach? Vor allem, was ist mit deinem Gefühl?«, bohrte sie weiter.

Ich seufzte schwer. »Ich muss abwarten«, sagte ich.

»Warten worauf? Auf ein Weihnachtswunder?« Jetzt klang Monis Stimme spöttisch. Ich schluckte den Ärger darüber hinunter und setzte eine zuversichtliche Miene auf. Doch der Versuch, mit einem Lächeln die Situation abzumildern, misslang. Moni hob die Hand, winkte der Bedienung und ließ mich nicht aus den Augen. »Noch mal dasselbe«, rief sie der freundlichen Wirtin zu und zeigte auf unsere Becher.

»Für mich nicht«, protestierte ich.

Zu spät, zwei neue Becher mit dem dampfenden Weihnachtspunsch wanderten auf den Tresen, direkt neben meinen Beutel mit dem Fisch.

»Fisch muss schwimmen, je mehr, desto besser«, verkündete meine Freundin und stieß ihren Becher gegen meinen.

»Aber doch nicht vor dem Essen«, entgegnete ich skeptisch.

Moni fuhr mit der Hand durch die Luft. »Das ist egal, danach kannst du ihn mit einem Weißwein taufen.« Sie kicherte.

Erleichtert glaubte ich zu bemerken, dass Moni die Ernsthaftigkeit meiner Probleme vergessen hatte. Dem Glühweingott sei Dank.

Doch ich täuschte mich. Moni meinte ärgerlich: »Bin ich nun deine Freundin oder nicht? Du kannst mir alles anvertrauen.«

»Bitte, Liebes, ich möchte heute nicht darüber sprechen.«

»Nur heute nicht?«

Ich atmete tief ein und aus. »Es ist nicht wichtig, verstehst du?«

»Nein.« Monis Blick wurde durchdringender.

Mit dem Becher in der Hand ging ich auf die rechte Seite der Bude und steuerte auf eine Holzbank zu. Schwerfällig ließ ich mich sinken. Meine Freundin folgte mir schweigend und ich spürte ihren forschenden Blick auf mir ruhen. Natürlich, im Stillen stimmte ich meiner Freundin zu. Wozu waren Freundinnen da? Wir hatten immer alle unsere Sorgen geteilt, diskutiert und anschließend nach Lösungen gesucht. Und meistens wurden die Lösungen auch gefunden.

Wortlos setzte sie sich dicht neben mich. Beide starrten wir geradeaus auf die Nachbarbude, wo Zuckerwatte verkauft wurde. Ich liebte dieses Naschwerk, aber ich musste auf meine Figur achten. Auf keinen Fall wollte ich eine neue Basis für einen Streit mit Sven schaffen. Erst vor wenigen Tagen hatte er gemeint, dass wir uns ungesund ernährten. Er hatte mir die Pralinenschachtel entzogen und mich angegrinst. Mich hatte das wütend gemacht. Schließlich war ich erwachsen und brauchte von ihm keine Erziehung in Sachen Ernährung. Das sagte ich ihm auch.

»Das sehe ich anders, du hast ordentlich zugelegt«, hatte er mit vorwurfsvollem Ton gemeint, obwohl es gar nicht stimmte.

Ich erinnerte mich an jedes Wort. Für gewöhnlich klärten wir unsere Streitgespräche im Nachhinein sachlich. Aber diese Auseinandersetzung hing wie eine dunkle Wolke über uns. Plötzlich kam mir der erlösende Gedanke. Sven ging es sicher genauso wie mir. Wir mussten unseren Streit beilegen. Ob das mit meinem unguten Gefühl zusammenhing?

Ich schlürfte an meinem Getränk und ignorierte Monis fragende Blicke. Der Nieselregen entwickelte sich zu einem unangenehmen Dauerregen. Nun bot der Dachüberstand der Hütte wenig Schutz.

Ich sprang auf. »Tut mir schrecklich leid, Moni, aber ich muss mich sputen.«

»Ja, ja, ich weiß, dein Held wartet aufs Abendessen.«

»Wir reden morgen, versprochen! Bis dahin weiß ich bestimmt, was los ist«, meinte ich zuversichtlich.

Moni stöhnte genervt. »Also gut, du musst wissen, was du tust. Lass deine Freundin ruhig im Regen stehen, während du dich von Sven verwöhnen lässt.«

»Da bin ich mir nicht so sicher, aber ich weiß jetzt, was zu tun ist.«

Monis Gesicht glich einem einzigen Fragezeichen und es tat mir leid, dass ich mich ihr nicht öffnen konnte.

Schließlich umarmten wir uns, dann ging jede ihres Weges. Moni musste zum Nordermarkt, weil sie dort ihr Auto geparkt hatte. Ich ging zu Fuß weiter. Inzwischen glich ich einem begossenen Pudel.

Erleichtert betrat ich unsere Wohnung, nass bis auf die Knochen. Rasch ging ich ins Bad, um meine Kleider zum Trocknen aufzuhängen und mir etwas Trockenes anzuziehen. Danach trat ich in die Küche. Während ich den großen Topf hervorholte, stellte ich mit der freien Hand den Kaffeevollautomaten an. Ich fühlte mich ein bisschen beschwipst, der Kaffee würde mir zu einem klaren Kopf verhelfen. Nebenbei wollte ich den Fisch aus der Tüte befreien.

Verzweifelt drehte ich mich in der kleinen Küche im Kreis. Wo war mein Einkauf geblieben? Ich schlug die Hände vor das Gesicht. NEIN! Bitte nicht! Ich hatte ihn auf dem Tresen der Glühweinhütte vergessen. Wie hatte ich nur so blöd sein können? In einer halben Stunde kam Sven nach Hause. Ich wollte ihm doch mit seinem Lieblingsgericht eine Freude machen.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Ob ich meinen Einkauf wiederfinden würde? Noch waren die Stände geöffnet. Ich schnappte mir die Haustürschlüssel und schlüpfte im Gehen in meinen Mantel.

Ein Piepton meines Handys hielt mich zurück. Ich lächelte sanft, da ich vermutete, eine Nachricht von Moni erhalten zu haben. So schnell gab sie nicht auf. Aber als ich auf das Display sah, entdeckte ich eine Nachricht von Sven. Wenn er jetzt ankündigte, später zu kommen, wäre das heute ein Glücksfall. Mein Lächeln erstarb, als ich die SMS las.

Warte nicht auf mich, ich komme spät nach Hause. Fischtopf muss verschoben werden. Sven.

Ich ließ mein Handy sinken. Glücksfall? Frustriert warf ich mich auf das Sofa und starrte die Wände an. Der Beutel mit Fisch war mir nicht mehr wichtig. Warum sollte ich im strömenden Regen zurück zur Innenstadt laufen, für etwas, was niemand essen würde? Gedanklich bedauerte ich meinen Freund, der offenbar bis zur Halskrause in Arbeit steckte. Da spielte der teure Fisch keine Rolle mehr.

Langsam vertiefte sich das ungute Gefühl, das unnachgiebig auf meiner Seele brannte. Was konnte nur dahinterstecken? Ich nahm mir fest vor, mich später mit Sven darüber auszutauschen. Vielleicht erging es ihm nicht besser. Zusammen würden wir sicher eine Lösung finden.

Ich lächelte und begann mich auf ihn zu freuen, auch wenn unklar war, wann er nach Hause kommen würde.

Fahrt ins Blaue

»Ich glaub das jetzt nicht, Semra, du willst in der Weihnachtssaison nach Sylt? So spontan wirst du dort keine Unterkunft finden.« Moni hockte auf dem abgewetzten Sessel ihrer Vorfahren und ließ die Beine baumeln.

Moni liebte ihren alten Sessel, den sie bei der Wohnungsauflösung ihrer Oma vor dem sicheren Sperrmülltod gerettet hatte. Meine Freundin war eine fanatische Sammlerin von alten Möbeln. Nicht etwa antike Stücke, sondern die abgenutzten Siebzigerjahremöbel hatten es ihr angetan. Ihr Wohnzimmer schmückte eine Schrankwand in Eiche brutalo. Zu schade, um sie wegzuwerfen, lautete Monis Motto. Die restliche Einrichtung, inklusive der Stehlampe mit den bunten Bommeln, vermittelte den Eindruck, aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen.

Regelmäßig begleitete ich Moni auf Flohmärkte, und genauso regelmäßig hatte ich versucht, ihren Einrichtungsgeschmack in die Neuzeit zu lenken. Vergeblich. Trotzdem, oder vielleicht aus diesem Grund, war ihre Wohnung urgemütlich. Eben wie zu Großmutters Zeiten.

Gerade versuchte meine Freundin, mir auszureden, so kurz vor Weihnachten für einige Tage nach Sylt zu fahren. Sie ärgerte sich, dass ich mich nicht von meinem Vorhaben abbringen ließ. Doch meine Ahnung, dass etwas Unbekanntes, Bedrohliches in der Luft lag, hatte sich leider bestätigt.

Sven hatte mir am ersten Advent sachlich, wie er nun mal war, offenbart, dass unsere langjährige Beziehung für ihn keine Zukunft mehr hatte. Ich glaubte zuerst an einen schlechten Scherz, auch wenn ich nicht völlig unvorbereitet gewesen war. Dennoch, wir hatten einen Skiurlaub gebucht, mit allem Drum und Dran. Berghütte, Kaminfeuer und nicht zuletzt ein festliches Essen in der Alm-Gaststätte, die wir aus den Vorjahren kannten. Sex vor dem Kaminfeuer mit unseren noch heißeren Körpern. Wie wir es in den letzten Jahren zelebriert hatten. Plötzlich sollte das alles vorbei sein? Für mich war eine Welt zusammengestürzt. Meine Welt. Unsere Welt.

In den vergangenen Tagen hatte ich in meiner Wohnung gesessen, die einmal unsere gemeinsame gewesen war, und zur Tür gelauscht, weil ich meinte, einen Schlüssel im Schloss zu vernehmen. Es kam mir immer noch vor, als könnte er jeden Moment hineinschneien, mich in die Arme nehmen und fragen, was er mir kochen sollte. Aber es kam niemand, nicht einmal die Katze der Nachbarin stattete mir einen Besuch ab. Sven hatte stets behauptet, die Samtpfote komme nur seinetwegen vorbei. Ich hatte dann gelacht und ihm gesagt, er solle nicht so angeben. Nun, sie kam tatsächlich nicht mehr. Seit fast vier Wochen ging das nun so.

Der Sinneswandel meines Freundes war mit langen Beinen und blonden Engelshaaren dahergekommen. Zwanzig Jahre jünger als er, vollbusig und temperamentvoll. Ich fragte mich, wie lange Sven das schaffen wollte. Seine Bandscheiben rebellierten normalerweise bereits, wenn er für seine Mutter einen Sack Holz vom Baumarkt holen musste. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Zwanzigjährige auf ihn abfuhr. Aber inzwischen war es mir fast egal.

Nach der Weihnachtsbotschaft, so nannte Moni meine Trennung von Sven, ging ich täglich zur Arbeit in mein Studio. Meine Kreativität hatte unter dem Trennungsschmerz gelitten, aber die vorhandenen Aufträge meiner Kunden erledigte ich dennoch zuverlässig. An den Wochenenden heulte ich mir die Seele aus dem Leib, um am Montag mit verquollenen Augen meinen Laden aufzuschließen. Ich erholte mich nur langsam von dem Schock. Das Sahnehäubchen auf meinem geschundenen Selbstwertgefühl war gewesen, dass diese Affäre bereits über sechs Monate bestanden hatte. Mir hatte es nochmals mit voller Wucht den Boden unter den Füßen weggezogen.

Nachdem ich meine Wunden wie eine verletzte Katze geleckt hatte, beschloss ich, mich für paar Tage auf meine Lieblingsinsel Sylt zurückzuziehen. Danach würde ich pünktlich zu Weihnachten zu meiner Schwester fahren und im Kreis meiner Lieben versuchen, einige schöne Stunden zu verbringen, zumindest würde ich das Beste aus meiner Lage machen. Eigentlich konnte mir Weihnachten in diesem Jahr gestohlen bleiben.

»Das ist mir wurscht. Irgendwo werde ich unterkriechen. Darauf kannst du wetten«, konterte ich.

Moni schmollte eine Zeit lang. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn ich die Feiertage bei ihr verbracht hätte. Ich hatte meiner Schwester aber versprochen, den Heiligabend mit ihr und ihrer Familie zu feiern. Ich freute mich auf die leuchtenden Augen meiner Nichten und Neffen, die für mich in dieser Zeit ein helles Licht bedeuteten. Ihre zärtliche Freude konnte nichts und niemand trüben. Ich fand die Aussicht darauf recht positiv.

Maja, meine ältere Schwester, hatte dafür gesorgt, dass die Rentenkasse gefüllt wurde. Mit ihren vier Kindern leistete sie den Tribut einer treusorgenden Hausfrau. Ihr blieb auch nichts anders übrig, denn die vier kleinen Racker forderten ihre volle Aufmerksamkeit. Maja war eine super Mami. Bevor ich nach Sylt reiste, musste ich ihr unbedingt noch einen Besuch abstatten. Sie wäre sonst sehr von mir enttäuscht.

Moni starrte mich mit ihren grauen Augen an. Ihre langen blonden Haare fielen locker über die Sessellehne. Ich beneidete sie für diese Mähne. Ich trug meine dunkelbraunen Haare kurz, alles andere würde in kurzer Zeit zu einem Mopp mutieren, weil meine Haare mich ab einer bestimmten Länge mit ihrem Eigenleben zur Verzweiflung brachten. Moni hatte einmal gemeint, dass mir lange Haare nicht standen. Für mein schmales Puppengesicht mit den unschuldig dreinblickenden braunen Augen müsste ich eher einen Waffenschein beantragen, weil ich die Männerwelt damit um den Verstand brächte. Davon hatte ich allerdings nie etwas bemerkt. Ich hatte immer nur Augen für Sven gehabt, den ich über alles geliebt hatte. Und wenn ich meinem Bauchgefühl trauen konnte, war es immer noch so. Er war ein Teil von mir gewesen. Leider war ich es nicht mehr für ihn.

»Aber warum willst du auf blauen Dunst versuchen eine Unterkunft zu bekommen? Ruf doch vorher die Vermieter an und erkundige dich, dann musst du zumindest nicht unter der Brücke schlafen.«

Ich kicherte bei der Vorstellung, obwohl ich mir nicht sicher war, ob es auf Sylt Brücken gab. »Ich fahre mit dem Autozug. Wenn es sein muss, penne ich in meiner Karre. Ich habe keine Lust auf Absagen, ich werde fahren, mir einen Schlafsack in den Kofferraum werfen und gut.«

Moni beugte ihren Oberkörper vor. Ihre Augen blitzten mich verärgert an. »Hast du eine Ahnung, was da alles passieren kann, du Wahnsinnige?«

Ich winkte lässig ab. »Du guckst zu viele Krimis. Auf der Insel gibt es keine Fluchtwege, da wäre es dumm, Straftaten zu begehen.«

Moni schnaubte. »Es gibt auch dumme Menschen. Wenn einer davon dich erwischt, ist es für dich zu spät.«

Moni konnte wunderbar schwarzmalen, wenn es darum ging, mir etwas auszureden. Ich fand es lustig, denn sie wusste genau, dass sie sich an mir die Zähne ausbiss. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ ich mich weder mit Engelszungen noch mit Vorwürfen davon abbringen. Unsere Freundschaft währte inzwischen über fünfzehn Jahre und Moni kannte mich gut. Daher wusste ich auch, dass Moni noch nicht bereit war aufzugeben.

Ich hockte mich auf die Lehne des Sessels und gab meiner Freundin einen Knuff, bevor ich unser Gespräch in eine andere Richtung lenkte. »Was machen wir beiden Hübschen eigentlich zum Jahreswechsel?«

Mein Plan ging auf, Moni bekam augenblicklich leuchtende Augen. Im letzten Jahr hatten wir beide mit einer fiesen Grippe das Bett gehütet. Das Feuerwerk am Himmel Flensburgs hatten wir verschlafen. Als wir dann im Morgengrauen wach wurden, lag die Stadt im Tiefschlaf. Der Neujahrsmorgen hatte Flensburg wie eine Geisterstadt wirken lassen. Zumindest hatten wir die Nacht gemeinsam in einem Bett verbracht, wobei eine lauter schnarchte als die andere. Mit triefenden Nasen hatten wir später am Frühstückstisch gehockt und uns gefragt, ob es tatsächlich der Neujahrsmorgen war und nicht etwa ein anderer verschlafener Tag.

Moni rückte näher an mich ran. »Wie wäre es mit dem Silvesterball in der Bärenhöhle?« Meine Freundin zwinkerte mir zu. Im vorletzten Jahr hatte sie sich in dem Kultlokal in einen jungen Mann aus Hannover verguckt, der ihr hoch und heilig versprochen hatte, im nächsten Jahr zum Jahreswechsel wiederzukommen. Aus diesem Grund war die Grippewelle, die uns ans Bett gefesselt hatte, für Moni äußerst tragisch gewesen.

Ich lachte auf. »Meinst du, er wartet auf dich? Fast zwei Jahre? Das kannst du dir abschminken. Dazu war er zu gut aussehend. Wenn er nicht sogar in jeder Stadt eine andere hat. Warum habt ihr auch eure Handynummern nicht ausgetauscht?«

»Du Biest, mach mir doch nicht alle meine Illusionen zunichte. Vielleicht hatte er ja auch eine Grippe.«

»Gut möglich, die hat ihn sicher völlig der Damenwelt entzogen. Träum weiter. Aber wenn du es möchtest, tanzen wir in der Bärenhöhle ins neue Jahr.«

»Abgemacht«, meinte Moni und schmollte trotzdem eine Weile weiter.

Den Jahreswechsel hatten Sven und ich nur selten miteinander gefeiert. Er hatte es vorgezogen, mit seinem besten Freund um die Häuser zu ziehen. Ich hatte zwar mit Moni viel Spaß gehabt, hatte aber um Mitternacht die starken Arme meines Liebsten vermisst. Seit wir ein Paar waren, hatten wir die Silvesternacht nur ein einziges Mal zusammen erlebt. Selbst als wir beschlossen hatten, die Weihnachtsfeiertage in den Bergen zu verleben, hatte Sven darauf bestanden, spätestens zum Jahreswechsel nach Hause zu fahren. Sven war danach meistens drei Tage nicht zu gebrauchen, da der Alkohol in Strömen floss, obwohl er ihn nicht vertrug.

Moni zwinkerte mir zu. »Hast du Zeit, mir ein hübsches Kleid zu entwerfen?«

Ich gluckste. »Wie stellst du dir das denn vor? Ich habe noch einige kleine Aufträge zu erfüllen, danach fahre ich auf die Insel.«

»Schade«, meinte Moni. Ihrem Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass sie realistisch genug war, um vorher gewusst zu haben, dass es mit dem Kleid nichts werden konnte.

»Dann hättest du mich im Herbst fragen müssen«, sagte ich verständnisvoll. Ich hätte ihr zu gerne ein neues Kleid geschneidert. Moni war eine meiner treuesten Kundinnen. Wobei Kundin etwas übertrieben war, denn ich nahm ihr kein Geld dafür ab.

Wir bestellten uns bei einem Lieferservice eine große Pizza. Dazu gönnten wir uns eine Flasche Rotwein. Später lagen wir satt und einigermaßen zufrieden auf Monis Sofa aus der Gründerzeit. Mit den Gläsern in der Hand plauderten wir bis nach Mitternacht.

Es tat gut, eine Freundin wie Moni zu haben. Wir warfen uns Dinge an den Kopf, stritten uns, aber genauso schnell vertrugen wir uns wieder. Am allerwichtigsten war das gegenseitige Vertrauen. Moni würde mich nie enttäuschen, aber mir den Kopf zurechtrücken, wenn ich mal aus der Spur geriet. Dasselbe konnte sie von mir erwarten. Ich hatte ihr zwar von dem Streit mit Sven nichts erzählt, dennoch hatte Moni längst bemerkt, dass etwas in meinem Leben nicht rund lief. Auf schmerzliche Weise hatte ich mir das letztendlich auch eingestehen müssen.

»Nun ist das seltsame Gefühl verflogen und einem Scheißgefühl gewichen«, flüsterte ich am Ende unseres Abends.

Moni streichelte meinen Arm. »Er war es nicht wert. Bitte, werde ganz bald die alte Semra. Kein Mann ist es wert, dass du seinetwegen den Kopf in den Sand steckst.«

»Ich dachte, er wäre mein Leben«, murmelte ich. »Nun ist es leider eine bittere Enttäuschung geworden.«

Nie hätte ich geglaubt, dass unsere Beziehung ein dermaßen jähes Ende nehmen könnte. Ich war froh, dass ich meine kleine Schneiderei hatte. Davon konnte ich immer noch meinen Lebensunterhalt bestreiten. Ich überlegte, ob ich mich vergrößern sollte, einen Laden in der Innenstadt eröffnen. Aber ich scheute die hohen Kosten der Ladenmiete. Dass mein Geschäft die Mehrkosten auffangen würde, bezweifelte ich. Außerdem war ich nicht spontan genug für eine Veränderung.

»Dein Leben ist nicht vorbei, nur weil ein Mann es nicht mit dir teilen will«, belehrte meine Freundin mich.

»Ich bin aber nicht gern allein, nicht so wie du«, merkte ich an.

»Ach, Semra, wer ist das schon? Ich versuche doch auch nur, eine blendende Fassade aufrechtzuerhalten.«

»Hast du wirklich geglaubt, dass ich dir das abgenommen habe?«

»Nein, aber ich habe es gehofft«, gestand Moni augenzwinkernd.

Ich grinste. »Wir sind nicht gerade gut darin, ein Geheimnis für uns zu behalten, nicht wahr?«

»Ich fürchte nein.«

Wir sahen uns an, dann lachten wir befreit.

Schwestern

Ich konnte einfach nicht die Stadt verlassen, ohne mich von Maja zu verabschieden. Sie lebte mit ihrer Familie in Weding, einem Vorort von Flensburg, der zur Gemeinde Handewitt gehörte. Sie und ihr Mann hatten dort ein Haus mit Garten. Immer wenn es meine Zeit erlaubte, besuchte ich sie gerne. Unsere Eltern waren leider viel zu früh gestorben. Maja, damals selbst noch ein Kind, hatte die Verantwortung für mich übernommen. Wir wuchsen bei Pflegefamilien auf, zu denen wir heute keinen Kontakt mehr haben. Meine Schwester Maja war für mich die einzige Familie, die ich je besaß. Ich musste ihr von meiner Trennung mit Sven erzählen, bevor ich auf die Insel reiste.

Bewusst wählte ich den Vormittag. So sehr ich die Kinder liebte, aber ich musste mit meiner Schwester allein reden. Ohne ihre Rasselbande, die noch in der Schule war. Ich würde an Weihnachten ausgiebig Gelegenheit bekommen, mit ihnen herumzutollen.

Ich öffnete die Haustür mit meinem Schlüssel.

»Huhu!«, rief ich schon beim Eintreten.

Maja steckte mit dem Kopf in der Waschmaschine. Was zum Teufel tat sie da?

»Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«, rief ich laut genug, damit sie mich in der Trommel hörte. Ruckartig zog sie ihren Kopf heraus. Zuerst mit grimmigem Blick, aber dann, als sie mich erkannte, schaute sie erfreut.

»Semra! Wie schön.« Meine Schwester lief auf mich zu und umarmte mich herzlich. Ich schloss für eine Sekunde die Augen. Maja war mein Zuhause und das spürte ich in diesem Augenblick deutlicher denn je. Ich löste die Umarmung.

»Warum turnst du in der Waschmaschine rum?«, fragte ich belustigt.

»Hach, Kinderkram. Lukas behauptete per SMS, dass seine Lego-Rakete in seiner Hosentasche stecken würde und ich sie auf keinen Fall waschen dürfte.« Maja zuckte mit den Schultern. »Na ja, die Nachricht kam zu spät. Darum suche ich die Maschine nach Teilen der Rakete ab. Leider ohne Erfolg. Vielleicht war es doch eine andere Hose oder die Teile schwimmen nun in der Kanalisation.« Meine Schwester lachte.

»Soll ich mal nachschauen?«, bot ich meine Hilfe an.

»Kommt nicht infrage. Wir machen uns einen Kaffee.« Sie überließ die raketenfressende Waschmaschine sich selbst und ging mit flotten Schritten in die Küche. »Wie lange kannst du bleiben?«

Ich hob die Schultern.

Majas Augen wurden zu Schlitzen, während sie mich im Blick behielt. »Raus mit der Sprache, was ist los?«

»Sven hat eine Neue«, sagte ich knapp.

»Was? Eine neue Vespa? Jetzt im Winter ist das wohl völlig …«

»Tussi«, fiel ich ihr ins Wort.

Maja ließ den Kaffeelöffel sinken. Mit offenem Mund starrte sie mich an. »Sag, dass das nicht wahr ist.«

»Leider doch.« Ich kämpfte mit den Tränen.

»Der spinnt doch, wie kann er dir das antun?« Aus Maja sprach die besorgte Schwester.

»Es ist, wie es ist«, meinte ich matt. »Ich fahre morgen nach Sylt, um auf andere Gedanken zu kommen.«

Maja reagierte ganz anders als meine Freundin Moni. »Gute Idee, du wirst dich dort erholen und den Kopf freikriegen. Am liebsten würde ich dich begleiten. Denke bloß an warme Klamotten.« Maja konnte ihre Fürsorge mir gegenüber nicht einstellen. »Wann hat er dich verlassen?«

Ich zögerte mit der Antwort, denn Maja würde es nicht gefallen, wenn ich beichtete, dass ich seit fast vier Wochen solo war.

Sie kam mir zuvor. »Hab ich’s mir doch gedacht. Du weißt es schon lange, stimmt’s?«

Ein Nicken von mir genügte als Antwort.

»Aber warum sagst du denn nichts?« Maja wirkte traurig.

Ich druckste herum. »Weil ich dich nicht damit belasten wollte. Du hast doch so viel um die Ohren, und dann komme ich noch mit meinen blöden Problemen. Außerdem musste ich mir selbst erst darüber klar werden, wie es weitergehen soll.«

In Majas Augen schimmerten Tränen. »Ach, Mensch … das tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte dir helfen.«

»Ich weiß«, meinte ich bedrückt. »Ich komme klar. Wirklich.«

Meine Schwester sah mich skeptisch an. Sie trug ihre blonden Haare ebenfalls kurz. Jedoch aus einem anderen Grund. Bei vier Kindern musste die morgendliche Dusche schnell gehen. Früher hatte sie langes, glattes Haar gehabt. Die Kurzhaarfrisur stand ihr aber ausgesprochen gut. Maja war kleiner als ich. Von jeher war sie ein Wirbelwind mit großen Augen und noch größerem Herzen gewesen.

Ich setzte mich auf einen Stuhl in der Küche und zuckte erschrocken zusammen, als es unter der Eckbank raschelte. Automatisch hob ich die Füße an. Hatte Maja Mäuse? Ich kniff die Augen fest zusammen vor Angst. Als ich Maja lachen hörte, schaute ich auf. Was ich da sah, erwärmte mein Herz, und es war um mich geschehen.

»Seit wann habt ihr einen Hund?« Ich hockte mich hinunter und hielte dem Welpen die Hand hin.