Nordseeliebe - Anni Deckner - E-Book

Nordseeliebe E-Book

Anni Deckner

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Beschreibung

Sommer, Sonne, Nordseeküste - drei Romane für den Urlaub in einem Sammelband Sylter Meeresrauschen Zwei Frauen auf der Suche nach dem Glück  Zunächst ist Jenny ganz begeistert, als sie erfährt, dass ihre verstorbene Großtante ihr ein Haus auf Sylt vererbt hat. Doch dann erfährt sie, dass sie ein Jahr im Haus wohnen muss, um ihr Erbe anzutreten. Schweren Herzens lässt Jenny ihren Freund in Stuttgart zurück und macht sich auf den Weg an die Nordsee … Das kleine Blumencafé am Strand Neuanfang auf der Nordseeinsel Als die 45-jährige Beeke erfährt, dass ihr Ehemann schwul ist, fällt sie aus allen Wolken und muss ihr Leben neu ordnen. Wo ginge das besser als auf der Nordseeinsel Amrum? Kurzerhand packt Beeke ihre Sachen und bucht ein Ferienhäuschen. Bei einem Spaziergang am Strand entdeckt sie ein Café mit angeschlossenem Blumenladen und freundet sich mit der Besitzerin Vera an. Schnell merkt Beeke, dass die ältere Dame mehr schlecht als recht über die Runden kommtund beschließt, ihr unter die Arme zu greifen … Die kleine Apotheke in St. Peter-Ording Sonne, Sand und der Traum von der eigenen Apotheke   Merle ist seit vielen Jahren glücklich verheiratet. Für ihren Ehemann hat sie ihren Job als Apothekerin aufgegeben und ist zu ihm in die Forschung gewechselt. Doch dann verliert ihr Mann bei einem Arbeitsunfall sein Augenlicht. Während ihr Mann zur Reha ist, nimmt Merle sich eine Auszeit und besucht ihre Familie in St. Peter-Ording. Dort trifft sie zufällig auch ihren Kindheitsfreund Mika, dem die örtliche Apotheke gehört. Dabei kommen Gefühle auf, die Merle zu verdrängen versucht …

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Seitenzahl: 1026

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Nordseeliebe

Die Autorin

Anni Deckner, geboren 1961 in Winnert bei Husum, lebt mit ihrer Familie in Hanerau-Hademarschen. Ihre Liebe zur »Grauen Stadt am Meer« kann man in ihren Werken spüren. Die kreative Luft des Nord-Ostsee-Kanals inspiriert die Autorin genau wie damals den berühmten Dichter Theodor Storm, der an diesem Ort seinen Schimmelreiter zu Papier brachte. Ihre Leidenschaft zum Schreiben entwickelte sich schon in früher Jugend, ihr erstes Buch »Heimathafen Husum« erschien jedoch erst im März 2014, gefolgt von »Knocking Out« 2015. In ihrer Freizeit geht die Autorin gern mit ihrem Mann auf Reisen. Ihr Beruf und gleichzeitig Berufung ist ihre Arbeit bei der Kirchengemeinde Hanerau-Hademarschen.

Das Buch

Sommer, Sonne, Nordseeküste - drei Romane für den Urlaub in einem SammelbandSylter MeeresrauschenZwei Frauen auf der Suche nach dem Glück

Zunächst ist Jenny ganz begeistert, als sie erfährt, dass ihre verstorbene Großtante ihr ein Haus auf Sylt vererbt hat. Doch dann erfährt sie, dass sie ein Jahr im Haus wohnen muss, um ihr Erbe anzutreten. Schweren Herzens lässt Jenny ihren Freund in Stuttgart zurück und macht sich auf den Weg an die Nordsee …Das kleine Blumencafé am StrandNeuanfang auf der Nordseeinsel

Als die 45-jährige Beeke erfährt, dass ihr Ehemann schwul ist, fällt sie aus allen Wolken und muss ihr Leben neu ordnen. Wo ginge das besser als auf der Nordseeinsel Amrum? Kurzerhand packt Beeke ihre Sachen und bucht ein Ferienhäuschen. Bei einem Spaziergang am Strand entdeckt sie ein Café mit angeschlossenem Blumenladen und freundet sich mit der Besitzerin Vera an. Schnell merkt Beeke, dass die ältere Dame mehr schlecht als recht über die Runden kommtund beschließt, ihr unter die Arme zu greifen …Die kleine Apotheke in St. Peter-OrdingSonne, Sand und der Traum von der eigenen Apotheke

Merle ist seit vielen Jahren glücklich verheiratet. Für ihren Ehemann hat sie ihren Job als Apothekerin aufgegeben und ist zu ihm in die Forschung gewechselt. Doch dann verliert ihr Mann bei einem Arbeitsunfall sein Augenlicht. Während ihr Mann zur Reha ist, nimmt Merle sich eine Auszeit und besucht ihre Familie in St. Peter-Ording. Dort trifft sie zufällig auch ihren Kindheitsfreund Mika, dem die örtliche Apotheke gehört. Dabei kommen Gefühle auf, die Merle zu verdrängen versucht …

Anni Deckner

Nordseeliebe

3 Romane in einem Sammelband

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Sonderausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuni 2020 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020

Sylter Meeresrauschen© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017Das kleine Blumencafé am Strand© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Die kleine Apotheke in St. Peter-Ording© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Autorenfoto: © privat

Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildungen: © FinePic®ISBN 978-3-95818-575-3

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Sylter Meeresrauschen

Abschied

Blind Date

Die große Liebe

Der verlorene Fall

Sylt

Wiedersehensfreude?

Pension Lydia

Im siebten Himmel

Ein Heim für Jenny

Jenny auf der Suche nach dem Glück

Nordseekrankenhaus

Frauenabend

Fines Geständnis

Gewissensbisse

Auszeit

Abschied

Dünengeheimnisse

Das kleine Blumencafé am Strand

Die neue Freiheit

Mit Blick nach vorn

Freundinnen

Neue Wege

Chaos am Stadtrand

Amrum

Neu-Husumer?

Unverhofft

Steen und Lasse

Inseltour

Der Anfang vom Ende

Überraschungsbesuch, die Zweite

Husum

Seelenwärmer

Jasper und Gerrit

Flower-Power

Wenn Eltern erwachsen werden

Hindernisse

So was wie Glück

Glücksmomente

Mutterglück

Herzflimmern

Heimatmelodie

Großer Tag, große Sorgen

Der Geburtstag

Friesenmelodie

Die kleine Apotheke in St. Peter-Ording

Zweifel

Leichtsinn mit Folgen

Das Wiedersehen

Die Liebe bleibt

Sonnenuntergang

Was wird aus den Plänen?

Zärtlichkeiten

Heimat

Sonnenklinik in Chemnitz

Pfefferminztee und Antibiotika

Sönkes Traum vom Glück

Im Netz

Streit unter Freundinnen

Fluss des Lebens

Eheversprechen

Überqualifiziert

Zu dritt

Neue Wege

Dornröschen

Wendungen

Single

Nordfriesische Träume

Rückenwind

Sturm der Herzen

Rote Rosen

Epilog

Anhang

Was ich noch zu sagen hätte …

Leseprobe: Inselglück im Schneegestöber

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Sylter Meeresrauschen

Sylter Meeresrauschen

Abschied

»Hast du alles, Jenny?«

»Ich glaube schon.« Ich ging im Geiste noch einmal unsere gemeinsame Wohnung durch.

»Alles, was du nicht dabeihast, bekommst du erst in drei Monaten, wenn ich dich besuchen komme!«

Ich stöhnte verzweifelt auf. Ich konnte mir eine so lange Trennung von Marcus immer noch nicht vorstellen. Geschickt hatte ich dieses Problem einfach verdrängt. Nun war er da, der Moment des Abschieds. Marcus schien es ganz gelassen zu nehmen.

»Wenn es nicht gerade die Kommode mit den Fotoalben ist, gibt es ja auch noch die Post. Mach dir keine Sorgen, die Welt geht nicht unter, falls etwas fehlen sollte«, tröstete Marcus mich einfühlsam.

»Du …« Ich schluckte einen dicken Kloß hinunter. »Du wirst mir fehlen, Marcus.« Meine Augen füllten sich mit Tränen, dabei sah ich ihn mit meinem Dackelblick an.

»Ach, Muckel, du wirst sehen, die Zeit geht wie im Flug vorbei. Wenn du es überhaupt nicht aushältst, kommst du einfach wieder. Dein Bett bleibt frei und wartet auf deine Rückkehr, Ehrenwort!« Er stand dicht vor mir, warmherzig lächelte er mich an. Trotzdem stieg augenblicklich die Wut in mir hoch.

»Du glaubst, ich schaffe es nicht? Ich komme zurück zu dir? Ist es das, was du denkst?« Empört trommelte ich mit den Fäusten auf seine Brust. Dann warf ich den Kopf in den Nacken und sagte trotzig: »Da irrst du dich, mein Lieber. Ich werde dieses Erbe antreten, ich kann meinen Beruf auch auf Sylt ausüben. Leider kannst du deine Spielhallen nicht einpacken, um sie in den Sand der Insel zu verpflanzen!«

Ich zitterte vor Wut. Wir hatten wochenlange Diskussionen hinter uns, ich wollte nicht noch einmal von vorne anfangen. Nicht hier, auf der Straße, mit vollgepackten Koffern und einem Teil meiner Möbel. Unmittelbar vor meiner Abreise.

»Schon gut, Muckel, nicht aufregen. Mal sehen, wie es dir in der Einöde gefällt.«

Marcus war offenbar sicher, dass ich bald aufgeben und zurückkommen würde. Schließlich war ich die Tanzmaus, die auf jeder Party im Mittelpunkt stand. Die Discokugeln zogen mich magisch an. Das war der Ausgleich zu meiner Tätigkeit als Übersetzerin. Ich würde es ihm schon beweisen, dass es auf Sylt und in der Sansibar genügend Partys gab.

»Wo bleibt eigentlich diese Kathi?« Marcus wechselte geschickt das Thema.

»Ich weiß auch nicht, sie wollte um acht Uhr hier sein.«

Ich sah mich um. Ich kannte Kathi nicht persönlich, sie hatte mich über eine Mitfahrzentrale kontaktiert, um günstig nach Hamburg zu gelangen. Ich hatte mich dort vor einer Weile angemeldet, in der Hoffnung, den langen Weg nicht alleine fahren zu müssen. Ein kleines Köfferchen würde auch noch Platz finden in meinem VW-Bus.

»Da drüben, das müsste sie sein.« Die Person, die auf uns zukam, schleppte einen ganzen Haushalt mit sich herum. Für einige Tage Hamburg mit Sicherheit zu viel Gepäck. Oje, nun steuerte sie direkt auf uns zu.

Freudig mit den wenigen Köperteilen winkend, die gerade frei waren, kam sie näher. Sie zog einen übergroßen Koffer hinter sich her und stolperte einige Male gefährlich, weil der Koffer unentwegt gegen ihre Pumps rollte. In der anderen Hand trug sie eine Reisetasche, in der die Trikots von hundert Fußballmannschaften Platz gefunden hätten. Zusätzlich steckte ein rosa Hase unter ihrem Arm. Eindeutig aus Kinderzeiten, denn er sah ziemlich mitgenommen aus.

Wir bestaunten die Szene mit offenem Mund. Unter ihr Kinn hatte sie ein Sofakissen geklemmt. Die Zigarette im Mundwinkel qualmte. Gehüllt in blaue Rauchwolken blieb sie vor uns stehen. »Ich hab doch gewunken, warum ist mir denn keiner von euch zu Hilfe geeilt?«, nuschelte sie beleidigt.

Ich fand als Erste meine Stimme wieder. Glucksend blickte ich Kathi an. »Wir konnten beim besten Willen nicht glauben, dass du meine Mitfahrerin bist. Willst du nach Hamburg umziehen oder nur ein paar Tage dort Urlaub machen?«

Fassungslos starrte Kathi mich an, als ob ich ihr ein unsittliches Angebot unterbreitet hätte. »Wenn ich umziehen wollte, bräuchte ich einen riesigen Lastwagen, da genügen mir die paar Kleinigkeiten nicht«, belehrte sie uns in beleidigtem Tonfall.

»Kleinigkeiten …«, stieß Marcus trocken hervor. »Wo wollt ihr das alles noch unterbringen? Der Bus ist voll bis unters Dach.«

Selbst ich war in diesem Fall ratlos, obwohl ich sonst nie um Lösungen verlegen war.

»Das ist doch nicht viel«, protestierte Kathi. Ihre grünen Augen wurden groß und blickten unschuldig durch einen dichten Wimpernkranz abwechselnd von mir zu Markus.

»Nö, wenn man das so sieht, ist das wirklich nicht viel«, spottete ich. Ich ärgerte mich. Die Abfahrt würde sich um mindesten eine halbe Stunde verzögern, wenn wir das alles im Auto unterbringen wollten. So ein Mist, ich hatte vor dem schlimmsten Berufsverkehr auf die Autobahn gewollt.

»Statt hier lange Diskussionen zu führen, lasst uns endlich anfangen, die Sachen zu verstauen.« Marcus rieb sich die Hände und blickte auffordernd in die Runde.

Gleichzeitig sahen wir jetzt an Kathi vorbei.

»Was ist das?« Marcus zeigte mit dem Finger auf etwas braunes Sabberndes.

Ich schnappte hörbar nach Luft. »Gehört der zu dir?«, fragte ich ungläubig.

Kathi drehte sich mit einer Unschuldsmiene, die sie ohne Frage draufhatte, kurz um, dann lächelte sie verlegen. »Och … das ist Buddy, meine Deutsche Bulldogge. Man bemerkt ihn kaum, es sei denn, er hat Hunger«, flötete sie.

»Wo soll der denn noch hin?«, fragte ich entsetzt. Meine Einstellung zu großen, speicheltriefenden Hunden war ohnehin nicht die beste. Schon gar nicht, wenn ich daran dachte, dass er meinen geliebten Bus vollsabbern würde.

Kathi hatte bereits die Antwort parat. »Er sitzt wie ’ne Eins im Fußraum bei mir vorne. Das ist überhaupt kein Problem«, versicherte sie fröhlich.

Über meine Lippen kam ein merkwürdiges zischendes Geräusch.

Marcus deutete es scheinbar nicht als Jubelpfiff. Er grinste in sich hinein. Offenbar fand er die Situation komisch.

Kathis Aktivitäten beim Einräumen ihrer Habseligkeiten beschränkten sich darauf, uns Anweisungen zu geben. »Der Koffer muss noch einmal raus, die Tasche kann dorthin …« Und so weiter.

Wir schwitzten und fluchten. Obwohl wir es nicht für möglich gehalten hätten, war nach dreißig Minuten alles verstaut. Mühevoll schloss Marcus den Kofferraum, wobei sich die ganze Fracht im Innenraum verschob. Jetzt war alles noch einmal durchgeschüttet und lag gut verkeilt im Bus.

»Macht den Kofferraum bloß nicht auf, bevor ihr angekommen seid. Ich kann sonst für nichts garantieren.« Marcus blickte besorgt auf die Ladefläche.

»Ach du Scheiße, ich habe mein Handy noch in der Reisetasche!«, schrie Kathi auf.

Marcus und ich öffneten gleichzeitig unsere Münder, aber die Schreie erstickten in unseren Kehlen.

»Haha, war ein Scherz!« Amüsiert sah Kathi uns an.

»Sehr witzig. Du glaubst doch wohl nicht, dass wir noch mal ausgepackt hätten?«, brummte Marcus.

Kathi schmollte. »Ihr habt wohl gar keinen Humor, was?« Sie hockte sich zu Buddy und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Ich schnappte nach Luft. »Ich hätte einen Riesenspaß daran, deine Klamotten wieder auf die Straße zu stellen. Ich komme sehr gut allein nach Nordfriesland, dich brauche ich dafür nicht. Dann lernst du meinen Humor einmal kennen!« Ich schnaubte wütend wie ein wildgewordener Pfingstochse, hielt jedoch besorgt inne, als Kathis Augen sich mit Tränen füllten.

Ich konnte niemanden weinen sehen, auch wenn es sich um einen Menschen handelte, der überaus nervig war. Sanft lenkte ich ein: »Schon gut, Kathi, ich lass dich nicht hier in Stuttgart, wir werden schon klarkommen. Ich hoffe, dein Hund weiß das auch.« Mein prüfender Blick wanderte vorsichtig in Richtung Buddy, der von der ganzen Aufregung nichts mitbekommen hatte. Vermutlich war er noch nicht hungrig.

Wehmütig betrachtete ich noch einmal mein Zuhause. Ein gelbes Backsteinhaus, liebevoll mit Geranien geschmückt. Die stets saubere Auffahrt zum Hinterhof erschien mir trostlos und leer. Das war es nun. Von den Nachbarn im Haus hatte ich mich am Vortag verabschiedet.

Wer würde in meiner Abwesenheit den kleinen Vorgarten pflegen? Wer würde dem Postboten an heißen Tagen ein Getränk geben? Das Haus würde wie ein Geisterhaus wirken, weil keiner der Bewohner einen Heimarbeitsplatz hatte. Elvira musste sich etwas einfallen lassen, denn es war niemand mehr da, der in Zukunft ihre Pakete annehmen könnte, wenn sie nachts wieder einmal am Computer ihre Kauflust ausgelebt hatte und morgens unausgeschlafen zur Arbeit fuhr.

Mit hängenden Schultern verharrte ich vor dem Haus. Marcus würde mir unheimlich fehlen. Am liebsten wollte ich alles hinschmeißen und dableiben. Verzweifelt sah ich nun meinen Freund an, mit dem ich fünf Jahre zusammengelebt hatte.

»Muckel, nun lass dich nicht hängen. Schwing deinen süßen Po ins Auto und fahr glücklich deiner neuen Heimat entgegen. Ich liebe dich, Jenny.« Er stand dicht vor mir, sein warmer Körper strömte Kraft und Liebe aus. Er zog mich zu sich heran und gab mir einen innigen Kuss. Sofort bekam ich weiche Knie.

»Mensch, das ist ja nicht zum Aushalten«, krähte Kathi dazwischen. Mit langen Fingernägeln kratzte sie sich ihren roten Schopf. »Können wir nu los?«

Seufzend drehte ich mich zum Auto um, nicht ohne Marcus mit mir zu ziehen. Vor meinem Bully schnupperte ich noch einmal an seinem Hals. Ich hatte mir heimlich einige Milliliter von seinem Aftershave abgefüllt. So konnte ich in der Ferne zumindest seinen Duft inhalieren.

Eine letzte Umarmung, ein letzter Kuss. Schweren Herzens schwang ich mich in den Bus. Marcus zwinkerte mir noch einmal zu, bevor er die Tür schloss.

Mit beiden Händen umklammerte ich das Lenkrad. Ich schaute geradeaus und startete den Motor. Ein Blick in den Rückspiegel verhieß freie Fahrt. Ich setzte den Blinker und fuhr mit Vollgas davon.

»Ist das bei euch immer so spannend? Vom Winde verweht ist ja ein Scheißdreck dagegen.«

Zornig fuhr ich zu Kathi herum und schrie: »Halt einfach mal die Klappe.«

Kathi zuckte kurz zusammen, hielt sich aber an meine Anweisung. Während ich mich auf den Straßenverkehr konzentrierte, rollten Tränen aus meinen Augenwinkeln. Verstohlen wischte ich sie weg. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Traurigkeit und Vorfreude verwirrten meine Gefühle. Ich hatte schließlich diese Entscheidung getroffen, da musste ich mich nun durchboxen. Ich freute mich auf Nordfriesland, die Heimat meiner Vorfahren. Ich war als Kind einige Male dort gewesen, besaß aber keine Erinnerungen mehr daran.

Vor einigen Wochen war ein Brief auf meinem Schreibtisch gelandet, der mein bisheriges Leben komplett auf den Kopf stellen sollte. Eine Erbschaft stand überraschend ins Haus. Meine Großtante, Omis Schwester, hatte mir ihr Haus auf Sylt vermacht. Ich hatte meine Großtante kaum gekannt und nicht die geringste Ahnung gehabt, dass ausgerechnet ich ihre einzige Erbin war. Ungläubig und fassungslos las ich immer wieder die Zeilen des Notars. Bis ich zu jubeln begann – ein Häuschen in Nordfriesland, noch dazu auf einer der begehrtesten Urlaubsinseln. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Unweigerlich begann ich zu träumen. Ich würde es an Feriengäste vermieten können. Ich müsste einen Verwalter einstellen, der sich vor Ort um alles kümmerte. Schließlich war es nicht möglich, bei jedem Bettenwechsel von Stuttgart nach Sylt zu reisen. Aber meinen Urlaub dort zu verbringen, das würde durchaus realisierbar sein.

Wie von Sinnen war ich durch die Wohnung gehüpft. Ich versprach mir durch meine Geschäftsidee ein enormes Zubrot. Atemlos plumpste ich auf meinen Lieblingssessel. Mit leuchtenden Augen behielt ich den Brief in der Hand.

Als ich mich ein wenig beruhigt hatte, las ich weiter. Was stand da? Ich musste diese Hütte selbst bewohnen? Lächerlich! Ich rümpfte enttäuscht die Nase. Das war unmöglich, wie konnte Elsa mir das antun? Aus der Traum. Der Brief schwebte zu Boden. Wie in Trance sah ich ihm nach. Bis er unbekümmert und leicht provozierend vor meinen Füßen liegen blieb.

»Das wird nix, ich werde nicht schon wieder umziehen!« Ich beruhigte mich langsam. Allmählich fand ich mich damit ab, doch keine Erbschaft gemacht zu haben. Schwungvoll erhob ich mich, um den Brief wieder zurück auf den Schreibtisch zu befördern. Ich nahm mir vor, die Ablehnung noch an diesem Tag zu schreiben und abzuschicken. Beleidigt machte ich mich wieder an die Arbeit. Ich musste einen Krimi in einigen Tagen fertig übersetzt haben. Ein anderer Verlag winkte schon mit einem weiteren Auftrag.

Doch es fiel mir schwer, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Sehnsüchtig nahm ich den Brief noch einmal an mich. Meine braunen Augen wurden tellergroß. In der ersten Aufregung hatte ich den Brief nur flüchtig durchgesehen. Was stand da weiter?

Ha! Ich würde nur für ein Jahr im Haus meiner Großtante wohnen müssen. Plötzlich war ich mir sicher, es schaffen zu können. Arbeiten konnte ich schließlich an jedem Schreibtisch. Vergnügt hatte ich Marcus’ Telefonnummer gewählt, um ihm von der Sensation zu berichten.

Also hatte ich mich aufgemacht in eine andere Welt. Von der Großstadt zum Inselleben. In den Sommermonaten war immer viel Betrieb auf der Nordseeinsel. Den Winter würde ich überstehen, indem ich mich mit Arbeit belud. Sylt war ein beliebtes Urlaubsziel, und das Jahr dort würde sicher spannend werden. Auf der Insel wehte immer eine frische Brise, und die salzige Luft versprach Erholung pur. Für ein Jahr würde ich zu den kauzigen Insulanern gehören.

Ich strich mit der Hand über das Armaturenbrett meines treuen Busses. Acht Jahre war er mein steter Begleiter gewesen. Einige Reparaturen hatte er schon hinter sich, aber er hatte mich nie in Stich gelassen.

Kathi machte mit einem Räuspern auf sich aufmerksam. Ich hatte sie ganz vergessen. Tatsächlich hatte sie den Mund gehalten. Ich verspürte nicht die geringste Lust, auf sie einzugehen, darum ignorierte ich die Geräusche auf dem Beifahrersitz.

Kathi hatte die Botschaft offensichtlich verstanden. Sie hatte es sich gemütlich gemacht, Buddy hechelte zwischen ihren Beinen und sah mich dabei prüfend an. Mit ihrem Kissen am Ohr lehnte sie am Fenster. Ihr Blick war auf mich gerichtet.

Ich überlegte, ob ich sie auch mal ans Steuer lassen konnte. Doch im Moment war mir das Risiko zu groß. Ich liebte mein Auto und hatte nicht vor, es in den frühzeitigen Ruhestand zu befördern, indem ich dieser ausgeflippten Rothaarigen das Steuer überließ. Ich musste mir jedoch eingestehen, dass ich ein wenig erschöpft war. Die Aufregung des Abschieds von Marcus hatte an meinen Kräften gezehrt. Ich nahm mir vor, mir später noch einmal Gedanken darüber zu machen, ob ein Fahrerwechsel in Frage kam. Ich kannte Kathi zu wenig, um mir ein Urteil über ihre Fähigkeiten zu bilden.

Inzwischen hatten wir die Autobahn erreicht, ich fuhr auf der freien Fahrbahn. Mit einer Hand am Lenker, die andere auf meinem Bein ruhend, genoss ich die Fahrt. Kathi sah offenbar ihre Zeit gekommen, um mich in ein Gespräch zu verwickeln.

»Hast du Hunger, Jenny?«, fragte sie. Abwartend blickte sie zu mir hinüber.

Das Wort Hunger kannte Buddy offenbar auch sehr gut. Der Kopf des sonst eher lahmen Hundes schoss aus seiner Höhle und begann wie auf Kommando zu sabbern.

»Du bist nicht gemeint«, sagte Kathi scharf. Buddy verschwand genauso schnell, wie er aufgetaucht war.

Ich war angenehm überrascht, wie gut Buddy trotz seiner Trägheit gehorchte. Ich musste grinsen, armer Buddy.

»Ein bisschen, aber ich halte noch nicht an. Ich möchte noch weiterfahren.«

»Das habe ich auch nicht gemeint. Ich bin reichlich mit Kaffee und Brötchen ausgestattet. Wenn du magst!« Kathi hielt ihre Köstlichkeiten hoch.

»Mensch, Kathi, sieht das lecker aus. Gut, dass du dafür noch Platz hattest.« Belustigt dachte ich an die Aktion mit ihrem Gepäck und hielt ihr versöhnlich die Hand hin, um das Frühstück in Empfang zu nehmen. Ein Brötchen mit Salat und Käse. Herzhaft biss ich hinein. Die würzige Remoulade tropfte auf meine Hose. Ich störte mich nicht daran. Mein Blick blieb der Autobahn treu.

Kathi war sichtlich froh darüber, dass ich ihr nicht mehr böse war. Vielleicht konnte es ja doch noch eine lustige Fahrt in den Norden werden. Sie goss Kaffee in einen Becher und stellte ihn für mich in den Getränkehalter.

»Schmeckt wirklich ausgezeichnet«, nuschelte ich mit vollem Mund und warf Kathi einen kurzen Blick zu.

»Das freut mich. Ich habe im Auto immer Hunger und dachte mir, dir würde es vielleicht genauso gehen.« Zufrieden vertilgte sie ebenfalls ihr Brötchen. Kauend sah sie sich die Landschaft an und zählte die roten Autos. Eine Angewohnheit aus ihren Kindertagen, wie sie mir ausführlich berichtete.

Dankbar schlürfte ich den heißen Kaffee. Ich war überrascht, dass er schmeckte.

»Ups, der weckt ja Tote auf«, bemerkte ich anerkennend. »Schmeckt sehr gut, Kathi.«

Kathi lehnte sich sichtlich zufrieden in ihren Sitz zurück. »Das hat mir meine Großmutter beigebracht. Sie hat immer gesagt, dass ein Mädchen Kaffeekochen lernen muss.«

Ich fand diese Weisheit etwas merkwürdig, verkniff mir jedoch einen Kommentar, der mit Sicherheit spöttisch geklungen hätte. Ich wollte Kathi nicht schon wieder verletzen. Zum Nachtisch bot sie mir Schokolade an. Wehmütig lehnte ich ab. Ich musste streng darauf achten, nicht zu viele Süßigkeiten zu essen, wenn ich meine schlanke Figur halten wollte. Schon beim Ansehen dieser Verführer schlichen sie sich auf meine Hüften und verweilten dort hartnäckig. Bei meiner geringen Körpergröße würde ich alsbald zur Kugel mutieren.

»Was meinst du, Jenny, wie lange brauchen wir bis Hamburg?«, erkundigte Kathi sich.

»Hm, schwer zu sagen. Kommt auf den Verkehr an. Sechs bis acht Stunden werden es sicher. Wir müssen zwischendurch einige Pausen einlegen. Bei deinem Kaffee meldet sich bestimmt bald meine Blase.«

»Meine sicherlich auch.«

Wir einigten uns darauf, alle zwei Stunden Pausen zu machen, um uns die Beine zu vertreten und die Toilette aufzusuchen. Kathi fragte vorsichtig, was mich denn in den Norden zog. Ihr war nach dem Abschied heute Morgen anscheinend bewusst, dass es ein heikles Thema für mich war.

Bereitwillig gab ich die Antwort. »Ich habe von meiner Großtante ein Haus geerbt, mit der Bedingung, dass ich dort ein Jahr leben muss. Da ich überall arbeiten kann, habe ich mich auf dieses Abenteuer eingelassen.«

Kathi staunte und war sichtlich beeindruckt. »Manno, hast du ein Glück. Gratuliere. Dann hast du ja keine Sorgen mehr.«

»Geht so. Marcus kann mich nicht begleiten, und leider lässt die Entfernung es nicht zu, an jedem Wochenende zu pendeln. Ich werde ihn sehr vermissen.«

»Das habe ich heute Morgen miterleben dürfen!«, sagte Kathi trocken.

Kathi erzählte mir, dass sie übers Internet einen Mann kennengelernt hätte und ihn besuchen wollte. Sie wäre bis über beide Ohren verliebt. Die Schmetterlinge tanzten unaufhörlich in ihrem Bauch. Kathi war überzeugt, ein romantisches Wochenende vor sich zu haben.

Ich schluckte irritiert. »Du fährst zu einem wildfremden Mann in die Wohnung? Bist du irre? Weißt du nicht, was da alles passieren kann?« Ich war fassungslos. Ich sah von der Autobahn zu meiner Beifahrerin und wieder zurück.

»Na klar, was denn sonst? Wir haben schon monatelang Kontakt, dadurch kenne ich ihn genauso gut wie meinen Hund. Was soll da denn schiefgehen?«

Ich war erschüttert. »Sag mal, wie naiv bist du eigentlich?«

»Ich kann sehr gut auf mich aufpassen. Wir lieben uns, das spüre ich.« Kathi schmollte verdrossen.

Unauffällig rollte ich mit meinen Augen und schüttelte den Kopf. Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte. Durfte ich Kathi wirklich in Hamburg absetzen? Wie alt mochte sie sein? Höchstens achtzehn. Ich hoffte es zumindest, sonst verhalf ich einer Minderjährigen zu einer riesigen Dummheit. Kathi gab ihr Schmollen nicht auf. Sie nippte an ihrem Kaffee und glotzte dabei aus dem Seitenfenster.

»Hast du noch eins von den leckeren Brötchen in deiner Tasche?«, fragte ich.

Kathi sah immer noch aus dem Fenster. Auch mein gutgemeintes Lob konnte sie nicht aus ihrer Schmollecke hervorlocken. Verzweifelt stöhnte ich auf. Das würde eine anstrengende Fahrt werden.

»Ich habe noch eins mit Ei, aber das kleckert beim Autofahren«, brummte Kathi durch ihr Kissen.

Erleichtert jubelte ich innerlich. Nicht wegen der Aussicht auf eine weitere Leckerei, sondern weil Kathi mein Friedensangebot angenommen hatte.

»Ist nicht so schlimm, einmal hab ich schon getropft.« Ich streckte die Hand aus, ohne die Fahrbahn aus den Augen zu lassen. Herzhaft biss ich zu und kaute genüsslich. »Also gut, du bist verliebt! Ich habe verstanden! Darf ich fragen, wie du wieder nach Stuttgart kommst, wenn das Wochenende vorbei ist?«

Ich machte mir ernsthafte Sorgen um diese junge Frau mit den lustigen Sommersprossen. Sie trug übermäßig viel Schmuck, nichts Wertvolles, aber sicher lasteten die Glitzerdinger schwer auf ihrem Körper. Wenn ich mir vorstellte, derart geschmückt herumzulaufen, käme ich mir wie ein Christbaum zu Weihnachten vor. Aber zu Kathi passte es irgendwie. Mit dem Schmuck und ihrer Kleidung glich sie einer Hippiebraut. Obwohl sie mir gewaltig auf den Keks gegangen war, mochte ich sie. Sie wirkte ehrlich, und das gefiel mir. Selbst Buddy, der brav im Fußraum schlummerte, störte mich nicht mehr. Manchmal, wenn er schnarchte, entlockte er mir sogar ein Lachen.

»Weiß ich noch nicht, vielleicht bleibe ich in Hamburg. Ich entscheide das erst, wenn ich dort angekommen bin.«

Skeptisch warf ich ihr einen Blick zu. »Du meinst, er entscheidet, ob du bleibst?«

Kathis Kopf schnellte in meine Richtung, ihre Augen funkelten. »Du musst nicht glauben, dass ich blöd bin!«

Erneut lag Streit in der Luft.

Ich atmete ruhig ein und aus. »Sei nicht albern, ich halte dich nicht für blöd.«

Ich widmete meine Aufmerksamkeit der Autobahn. Sicherheitshalber beschloss ich, meine Zunge im Zaum zu halten. Warum mischte ich mich eigentlich ein? Kathi Klinghammer würde in Hamburg aussteigen, voraussichtlich sah ich sie nie wieder. Es sei denn, ich erfuhr aus der Zeitung von einem ungeklärten Mordfall. Opfer: lange rote Haare. Meine selbstauferlegte Gleichgültigkeit löste sich auf wie Zucker im Tee.

Ich knabberte lustlos an dem Brötchen, das ich nur in mich hineinstopfte, weil ich meiner Beifahrerin schmeicheln wollte. Irgendwie stellte ich mich ungeschickt an. Ich nahm mir vor, es nach einer erneuten Schweigestunde weiter zu versuchen. Ich betätigte den Blinker, um einen Wohnwagen zu überholen, der nur langsam vorankam. Mit einem Finger drehte ich das Radio lauter.

Kathi drehte den Lautstärkeregler sofort zurück und blickte mich hektisch an. »Hörst du es nicht? Der Motor macht komische Geräusche! Fahr rechts ran, schnell!«

Mir blieb fast der letzte Bissen im Hals stecken. Kathi hatte recht. Schnell prüfte ich, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, an dem Wohnwagen vorbeizukommen. Ich trat energisch auf das Gaspedal. Nichts! Mein Bully hustete kläglich. In einem heiklen Spurwechsel klemmte ich mich zunächst hinter das langsame Gefährt. Kathi schaltete inzwischen umsichtig den Warnblinker an.

Mein sonst eher brummiges Fahrzeug glitt wie ein Elektroauto auf die Standspur. Ich ließ meinen treuen Freund ausrollen, bis ich das blaue Kilometerschild erkennen konnte, dann erst trat ich auf die Bremse. Da die Bremshydraulik nicht mehr funktionierte, musste ich dafür enorme Kraft aufwenden. Sobald wir standen, gab mein Auto keinen Laut mehr von sich.

Die anderen Autos rauschten an unserem unfreiwillig gewählten Parkplatz vorbei. Meine Hände umklammerten das Lenkrad. Dabei starrte ich Kathi an.

Diese lehnte relaxt im Sitz. »Es könnte durchaus ein lustiger Tag werden!«, murmelte sie gelassen.

Mir platzte der Kragen. »Lustig? Ich finde hier gar nichts lustig!«, schimpfte ich.

Kathi zückte ihr Handy. »Bist du Mitglied im ADAC?«

Wie betäubt sah ich mich in meinem vollbeladenen Bus um. Ich stöhnte auf. Eine leichte Übelkeit überkam mich. Das passierte immer, wenn ich in Stress geriet. Der Motor befand sich bei diesem alten Modell im Heck! Ich sah mich bereits mit dem Inhalt des Kofferraums auf der Autobahn campen. Kathi stupste mich ungeduldig an.

»Was ist denn nun?« Ihre Finger schwebten über den Bildschirm ihres Smartphones. »Egal, Hilfe brauchen wir sowieso!«

Entschlossen wählte sie die Nummer. Sie benutzte dazu ihre Fingernägel, die Fingerkuppen berührten den Ziffernblock gar nicht. Bewundernd sah ich ihr dabei zu. Ich würde mir vermutlich alle Nägel abbrechen, aber Kathi hämmerte eifrig die Nummer ein. Nach endlosen Freizeichen ging jemand dran. Kathi richtete sich auf. Um besser hören zu können?

»Guten Tag, Klinghammer hier. Wir sind auf der A7 liegengeblieben. Ja, ja, Richtung Norden. Kilometer?« Sie linste an mir vorbei auf den Tachostand.

Ich deutete wild auf das kleine, blaue Schild, vor dem wir parkten. »Er meint das da!«

»Es ist ’ne sie!«, entgegnete Kathi.

Ich grinste, typisch Kathi, Frau Naivchen lässt grüßen. Ich erhob meine Stimme und rief in den Hörer: »Dreihundertdrei!«

Grimmig blickte Kathi mich an. »So wenig kann es gar nicht sein, bist du sicher?«

Kathi schaffte es, mich zum Lachen zu bringen. Lachtränen rollten über mein Gesicht. Ich schniefte und hielt ihr die Hand hin. »Gib mal her!«, forderte ich sie auf.

»Jenny Dreyfuss. Wir …« Verblüfft sah ich auf das Display. Aufgelegt! »Ich schätze mal, die haben uns nicht richtig verstanden!« Ich versuchte es noch mal. Eine Viertelstunde lang erklang Musik an meinem Ohr. Perfekt! Warteschleife lässt herzlich grüßen.

»Soll ich den Laderaum inzwischen leerräumen?«, flüsterte Kathi mir unternehmungslustig zu.

»Bist du wahnsinnig? Wir wissen doch gar nicht, wie lange es dauert, bis jemand kommt. Wenn es zu regnen beginnt, wird alles nass!«

Provozierend wandte Kathi ihren Blick gen Himmel. »Hm, die Sonne gibt alles. Es wird eher zu heiß!«

»Egal, ich will abwarten.« Endlich meldete sich eine Frauenstimme. Ich erklärte ihr, wo wir liegengeblieben waren und was passiert war, wobei ich Letzteres eigentlich selbst nicht wusste.

»Verstehe, bitte gedulden Sie sich noch. Ein Straßenwachtfahrer wird in Kürze bei Ihnen ankommen!«

Ich bedankte mich und legte auf.

»Los«, trieb ich Kathi danach an, »wir müssen hier raus und hinter der Leitplanke warten, hier ist es ohnehin zu heiß!«

Ich ärgerte mich, dass ich die Warnwesten nicht mit nach vorn genommen hatte. Wir würden sie nie und nimmer finden. Buddy schien erfreut zu sein, endlich aus dem engen Fußraum herauszukommen. Kathi führte ihn unter der Leitplanke hindurch, und wir folgten ihm, indem wir hinüberkletterten. Der dicke Hund erschnupperte die Umgebung und fand schnell eine günstige Stelle, um sein Bein zu heben.

»Ist es nicht besser, ihn an die Leine zu nehmen?«

»Buddy ist gut erzogen, er haut nicht ab!«, prahlte Kathi entspannt.

Skeptisch beobachtete ich ihn. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er auf die Fahrbahn gerannt wäre. Obwohl, rennen? Buddy? Eher nicht.

Nach einer halben Stunde sonnenbaden wurde mir die Warterei zu langweilig. Ich entschied, doch den Kofferraum leerzuräumen. Kathi, die im Gras lag und in den Himmel schaute, kam mir widerwillig zu Hilfe. Ihren Hund wies sie an, liegenzubleiben.

Genau wie Markus prophezeit hatte, purzelte nun die Fracht auf die Straße. Ich hatte keine Ahnung, wie wir alles wieder hineinbekommen sollten. Mit voller Wucht rauschte Kathis Sporttasche auf meine Füße.

»Sieh mal, da. Ein Auto vom ADAC fährt drüben auf der anderen Seite!«

»Wäre zu schön, wenn er zu uns will«, brummte ich.

»Sicher, schau, er fährt an der Ausfahrt ab, gleich ist er da«, frohlockte Kathi zuversichtlich. Eine halbe Stunde verging, und unsere Erwartungshaltung schlug in Enttäuschung um. Wir öffneten die Motorabdeckung und kletterten anschließend frustriert auf die sichere Seite der Leitplanke. Nun saßen wir im Gras und versuchten, uns über den Autobahnlärm hinweg zu unterhalten.

»Hoffentlich ist er noch da, wenn wir in Hamburg ankommen«, sinnierte Kathi.

»Warum rufst du ihn nicht an und erzählst ihm, dass wir eine Panne haben und nicht genau wissen, wann wir in Hamburg sind?«

»Ich warte noch eine Weile«, beschloss Kathi nachdenklich.

Ich betrachtete sie unauffällig. Sie wirkte taff und selbstsicher. Ihr zartes Gesicht und die schmalen Hände verrieten jedoch Verletzlichkeit. Sie war fast noch ein Kind.

»Wie alt bist du, Kathi?«

»Zwanzig, bald einundzwanzig. Warum?«

»Nur so.«

»Du fürchtest, einer Minderjährigen zur Flucht zu verhelfen, oder?« Kathi lachte belustigt. Sie sah mich an, und ihre grünen Augen leuchteten wie Sterne. »Es gibt niemanden, der mich in Stuttgart vermisst. Meine Eltern leben auf Mallorca, sie interessieren sich nicht dafür, was ich so treibe. Und Oma ist vor drei Monaten gestorben.«

Betroffen sah ich zu Boden. »Tut mir leid, das mit deiner Oma.«

»Schon gut.« Kathi wollte offenbar nicht darüber sprechen, sie zupfte schweigend Grashalme aus dem Boden.

Endlich! Der Gelbe Engel fuhr an meinem Bus vorbei und kam direkt davor zum Stehen. Er brachte gekühltes Wasser für uns mit, offenbar befürchtete er, dass wir in der Sonne verdursteten. Womit er recht hätte haben können. Unsere Getränke waren in der Hitze des Busses auf Teetemperatur erwärmt worden. Er grüßte freundlich und riskierte einen Blick auf unser Gepäck.

»Da haben Sie ganze Arbeit geleistet, was? Hoffentlich passt es später alles wieder hinein!«

»Die Sorge haben wir auch«, kommentierte ich kleinlaut. »Meinen Sie, Sie bekommen ihn wieder hin?«

Er wollte wissen, was vor dem Streik des Motors geschehen war. Fachmännisch untersuchte er die Maschine.

»Das haben wir gleich, Sie dürfen Ihr Gepäck in wenigen Minuten wieder einräumen«, versprach er gütig.

Ich rappelte mich aus meiner inzwischen unbequem gewordenen Sitzhaltung hoch. »Nicht Ihr Ernst! Er war gar nicht kaputt?«

Ich erntete einen freundlichen Engelblick. »Doch, aber es ist nicht der Rede wert!«

»Phantastisch!«, jubelte Kathi und folgte mir auf die Standspur. Gebannt starrten wir auf den Motor.

»Starten Sie bitte mal!«

Kathi eilte auf die Fahrerseite und drehte sofort den Schlüssel um. »Schurrt wie ’ne Biene«, rief sie nach hinten.

»Schauen Sie, Frau Dreyfuss.« Er hatte meine Fahrzeugpapiere gesichtet und kannte nun meinen Namen. »Dieses Kabel zum Abschaltventil war abgerutscht. Ich habe es festmontiert, nun können Sie beruhigt weiterfahren!«

»Heiliger Gesangsverein, dafür mussten wir die Kiste leerräumen?« Kathi fand die Situation lustig, ich weniger. Trotzdem war ich froh darüber, keine teuren Werkstattkosten aufgebrummt zu bekommen.

Unser Retter füllte zuerst einen Pannenbeleg aus, bevor er uns half, das Gepäck zu verstauen. Wofür ich sehr dankbar war, denn Kathi rauchte währenddessen eine Zigarette. Dabei warf sie wertvolle Tipps ein, damit auch alles an den richtigen Platz kam. Ich musste mich sehr zusammennehmen, um sie nicht anzuschnauzen. Der Gelbe Engel mit dem klangvollen Namen Anton Schnell verabschiedete sich winkend und brauste davon.

Kathi sah ihm grübelnd nach und zog ein letztes Mal an ihrer Kippe, als ob es nun für immer keine mehr geben würde. »Herr Schnell, interessant! Bezieht sich der Name aufs schnelle Ankommen oder auf den schnellen Abzug?«, spottete sie.

Ich stellte mich neben sie und sah ihm ebenfalls nach. »Keine Ahnung!«, grummelte ich, es schien mir auch unwichtig. Ich wollte endlich weiter.

»Ich verschwinde schnell im Gebüsch, sonst müssen wir bald wieder stoppen«, rief Kathi.

Ich sah ihr nach und beschloss, es ihr gleichzutun.

Meine Beifahrerin setzte mit Schwung über die Leitplanke und rieb sich die Hände. »Meinetwegen können wir!«

»Gleich, erstmal Schichtwechsel!« Ich suchte mir einen anderen Busch aus. Es gestaltete sich etwas schwierig, denn ich hatte nicht das Verlangen, von der Autobahn aus gesehen zu werden. Schließlich fand ich den richtigen für meine Bedürfnisse. In jeder Hinsicht erleichtert stolperte ich durch das hohe Gras zurück.

Kathi saß keck auf dem Fahrersitz. Fragend blinzelte sie mir zu. Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Nicken und schwang mich auf die Beifahrerseite. Kathi strahlte wie ein Kind vorm Eisgeschäft. Offensichtlich war es ihr großer Wunsch, meinen Bus zu fahren.

Mit geröteten Wangen startete sie den Motor. Triumphierend grinsten wir uns an. Die Maschine brummte. Nun musste ich mich mit Buddy anfreunden, ob ich wollte oder nicht. Ich spürte seinen schweren Körper an meinen Waden. Im Winter, bei Kälte, war er unter Umständen eine praktische Wärmequelle, aber bei dieser Hitze etwas überflüssig. Ich streichelte sein kurzes, borstiges Fell. Buddy belohnte mich mit einem wohligen Knurren.

Konzentriert fädelte Kathi sich in den rollenden Verkehr ein, ein schwieriges Unterfangen von der Standspur aus. Sie meisterte alles zu meiner Zufriedenheit, so dass ich mich entspannt zurücklehnen konnte. Entschlossen drehte Kathi das Radio lauter.

»Tausendmal belogen …«, trällerte Andrea Berg.

Es überraschte mich, dass Kathi aus vollem Halse mitsang. Sie mochte tatsächlich Schlager.

Blind Date

Hannah

Konnte eine Vierzigjährige in alte Muster verfallen? Tatsächlich kaute ich an den Fingernägeln. Dabei war da gar nichts zu knabbern, schon aus beruflichen Gründen waren meine Nägel sorgfältig kurz geschnitten. Dank der Unterstützung meiner Kolleginnen in Schale geworfen, hockte ich nervös im Kultlokal Hemingway in Kiel wie eine Henne auf der Flucht. Der Gedanke an einen Fluchtweg gefiel mir. Aber wie sollte ich entkommen? Ich trug schließlich Stilettos! Es war mir eigentlich gar nicht möglich, auf diesen Dingern die Balance zu halten, geschweige denn am Hafen zu flanieren. Meine Handinnenflächen fühlten sich feucht an. Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht! Mein Date wollte unbedingt mit mir spazieren gehen.

Spazieren gehen! Dass ich nicht lachte. Ich musste meinen Körper mehrmals pro Woche bis zum Limit trainieren. Eine Überlebensnotwendigkeit in meinem Job.

Warum hatte ich mich nur darauf eingelassen, in Schuhen, die mir den Krieg erklärten, einen Bummel am Hafen zu unternehmen? Noch dazu in diesen Klamotten, die für Victoria Beckham angemessen gewesen wären, in denen ich mir jedoch völlig overdressed vorkam. Ich fühlte mich wohler in Turnschuhen, es durften auch gerne Markenfabrikate sein, einer Jeans und meiner beigen Schlabberjacke. Letztere bot ausreichend Stauraum für Handy, Geld, Ausweispapiere und Kaugummi. Autoschlüssel fanden darin auch Platz. Allerdings geriet ich regelmäßig in Panik, wenn ich in die falsche Jackenöffnung griff und sie nicht gleich fand. Ich musste mir unbedingt angewöhnen, den Schlüsselbund stets in dieselbe Tasche zu schieben.

Meine Freundinnen, die gleichzeitig Kolleginnen waren, hatten mir ein Date organisiert. Damit ich nicht zur alten Jungfer mutierte. Wie sollte das gehen? Ich war Mutter eines zwanzigjährigen Sohnes, der noch dazu sehr gut geraten war. Zweifellos sprach da der Mutterstolz aus mir und nicht der einer Jungfer.

Wir hatten nächtelang diskutiert, ob dieses Treffen stattfinden sollte. Ich wollte es lieber dem Zufall überlassen, einem Traummann zu begegnen. Wir waren uns darüber einig geworden, dass ich meinen Beruf beim Landeskriminalamt verschweigen müsste. Pat und Lea befürchteten, dass das Objekt der Begierde fluchtartig das Lokal verlassen könnte, wenn ich mich als Kripobeamtin zu erkennen gab. Was wiederum ein schlechtes Licht auf einen Finanzberater werfen würde, der er laut ihren Angaben war.

Nun, mit Flüchtigen hatte ich durchaus meine Erfahrungen. Ich sah in ihnen eine Herausforderung, im Umgang mit ihnen war ich Profi. Mit einem Flüchtigen klarzukommen würde mir sicher besser gelingen, als Smalltalk mit einem Mann auf Balztour zu führen.

Ich seufzte laut. Meine Tischnachbarn schauten belustigt zu mir herüber. Sahen sie mir an, dass ich seit einer halben Stunde wartete? Wie bestellt und nicht abgeholt? Ich schüttete den letzten Schluck Mineralwasser in mich hinein, dann deutete ich dem Kellner meine Zahlungsabsichten an, indem ich die Hand hob.

»Komme sofort!«, rief er mir freundlich zu. Ich bereitete mich auf eine längere Wartezeit vor. ›Sofort‹ bedeutete nicht immer das, was man sich darunter vorstellte.

Ich erlaubte mir, mich zu entspannen. Die Aussicht, meinen Standort schleunigst zu wechseln und keinen liebeshungrigen Mann treffen zu müssen, der mir Avancen machte, erleichterte mich.

Kurz darauf löste sich mein Wohlgefühl jedoch in nichts auf, als ein Supermann auf mich zusteuerte. Er schien mein Date zu sein. Wie vereinbart trug er ein Buch unter dem Arm. Ich hingegen hatte die neueste Ausgabe der Gala neben mir platziert. Ich legte den Kopf schief, um den Titel des Buches lesen zu können, und erstarrte augenblicklich.

Das Parfum! Ich spürte, wie mir das Blut in den Adern gefror. Als ich ihn näher betrachtete, erkannte ich, dass er auch noch dem Schauspieler Ben Whishaw ähnelte. Er schien dem Film leibhaftig entsprungen. Dustin Hoffmann wäre mir lieber gewesen. Er lächelte mir freudig entgegen, und ehe ich mich’s versah, pflanzte er sich auf den freien Stuhl direkt neben mir. Er hauchte mir einen Begrüßungskuss auf die Wange und lächelte mich an.

Ein Gesicht, das nur eine Mutter lieben kann, schoss es mir durch den Kopf.

»Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen, aber ich hatte einen komplizierten Fall, der mich länger im Büro festgehalten hat, als es mir lieb war.«

Ich spürte immer noch den Kuss auf meiner Haut. Als ich die unschönen Pickel in seinem Gesicht sah, überkam mich eine Ekelwelle. Die hatten mein Gesicht berührt? Innerlich schrie ich meine Verzweiflung heraus. Äußerlich versuchte ich, den Schein zu wahren.

»Ich habe mich trotzdem gut unterhalten.« Schnell sah ich zum Nachbartisch hinüber, von dem aus mir sechs neugierige Augenpaare wohlgesonnen zublinzelten. Wie tief konnte ich eigentlich noch sinken? Unmut stieg in mir auf, gemischt mit Ekel vor dem Pickelmann und dessen Buch. Er grinste mich breit an, gelbe Zähne erblickten das Tageslicht, welches sich nach meinem Empfinden einen Deut verdunkelte.

»Hast du schon gewählt?«

Damit meinte er sicher, ob ich mich für eine Speise entschieden hatte. Für mich bekam die Frage eine andere Bedeutung.

»Ja, durchaus. Ich wähle den Rückzug und wünsche dir einen schönen Tag!«, rückte ich mit der trockenen Antwort heraus. Ich erhob mich und verabschiedete mich höflich. Ich zuckte zusammen, als vom Tisch meiner Beobachter tosender Applaus ertönte. Ben blickte zuerst irritiert und dann grimmig in die Runde. Offenbar fühlte er sich durch den Kakao gezogen. Ich spürte, wie meine Wangen erröteten. Ich konnte mir die Kommentare meiner Kollegen im Landeskriminalamt gut vorstellen, sollten sie jemals von diesem Date erfahren. Es baute sich ein Druck in meiner Magengegend auf, den ich nur schwer unter Kontrolle halten konnte. Warum hatte ich auch ausgerechnet ein Date in meiner Heimatstadt ausmachen müssen? Ich musste von Sinnen gewesen sein.

So gut es mir auf Pfennigabsätzen möglich war, stakste ich, von einem verblüfften Ben beäugt, über das Kopfsteinpflaster und entschwand an der nächsten Biegung aus dem Sichtfeld aller interessierten Beobachter. Mein Herz schlug protestierend in meiner Brust. Auch wenn ich ein Gegner von Erdbeben war, wünschte ich mir in diesem Augenblick eine Erdspalte, in der ich versinken konnte. Ich spürte immer noch die Blicke in meinem Nacken, obwohl das gar nicht mehr möglich war.

Ich versuchte meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Richtig, da war die Wasserleiche, die gestern von Spaziergängern in der Förde entdeckt und gemeldet worden war. Die Lösung des Falls brannte mir unter den Nägeln, alles deutete auf eine unnatürliche Todesursache hin. Endlich eine richtige Aufgabe für mich.

Ein Taxi rauschte an mir vorbei. Zu meinem Glück reagierte der Fahrer auf mein Handzeichen. Ich humpelte der Bremsspur hinterher und öffnete erleichtert die Tür.

»Westring zweihundertelf«, flüsterte ich dem Fahrer zu, als ob es niemand sonst hören durfte. Schon ließ ich mich in den weichen Sitz fallen. Zuallererst musste ich mich meiner Klamotten entledigen. Die männlichen Kollegen würden mich sonst mit Fragen bombardieren, auf deren Beantwortung ich keine Lust hatte.

»Schlechten Tag gehabt?«, fragte mein Chauffeur und grinste mich frech an.

»Werden Sie für billige Fragen bezahlt oder für Personenbeförderung?«, konterte ich säuerlich.

»Bezahlt? Wenn Sie meinen Stundenlohn kennen würden, kämen Ihnen die Tränen. Für diesen Hungerlohn würden Sie nicht mal den Computer einschalten!«, brummte er ungehalten.

Nun wurde mir die Geschichte zu bunt. Warum pöbelte der Kerl mich an? Ich entschied mich für sanfte Gegenwehr. »Oh, das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass Sie es so schwer haben!« Ich legte trotzdem noch den Finger in die Wunde. »Dann wäre ich doch mit dem Bus gefahren!« Ich zog die ungewohnte Handtasche näher an mich heran und starrte aus dem Seitenfenster.

Der verarmte Taxifahrer brummte irgendetwas, dann fuhr er schweigend durch die volle Innenstadt. Ich war einigermaßen zufrieden.

Ein abruptes Bremsmanöver kündigte die Ankunft vor meiner Wohnung an. Ich zahlte den nicht gerade niedrigen Preis der Stadtrundfahrt und würdigte meinen immer noch schweigsamen Begleiter keines Blickes mehr. Vorsichtig ertastete ich mir einen sicheren Stand auf den scheußlichen Stilettos und versuchte mich aufzurichten. Ich war überrascht, als mich der Fahrer erneut ansprach.

»Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Wir freuen uns darauf, Ihnen bald wieder zu Diensten stehen zu dürfen!«

Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er mich dabei auch noch anlächelte. Er musste diesen Satz auswendig gelernt haben, anders konnte ich mir seine Haltung mir gegenüber nicht erklären.

»Ja, danke, Ihnen auch«, stotterte ich irritiert und schlug die Wagentür mit einem lauten Knall zu.

Vor der Haustür schleuderte ich meine Schuhe von den Füßen, hob sie auf und schwor mir, sie nie wieder zu tragen, höchstens zum Mülleimer. Ich ging durch das Treppenhaus und bemerkte wie gewohnt, dass meine Nachbarin, Frau Schröder, durch den Türspion linste. Sie war der Wachhund unseres Hauses und wusste über jeden Bewohner bestens Bescheid. Das Kommen und Gehen notierte sie sich in ihrem schwarzen Büchlein.

Seitdem Frau Schröder wusste, dass ich Kripobeamtin war, führte sie ihre Aufzeichnungen noch akribischer durch. Man wusste ja nie, wofür das gut war. Sie sah ein wenig wie eine Kieler Miss Marple aus. Ich vermutete, dass ihr linkes Auge ihr Spiongucker war, denn das Lid zuckte ständig und war etwas größer als das rechte. Nur selten hatte ich Frau Schröder in voller Körpergröße gesehen, aber ihre Augen, vor allem das linke, kannte ich nur zu gut. Ich glaubte es unter tausend Augenpaaren erkennen zu können.

Hin und wieder lag eine Notiz in meinem Briefkasten, immer dann, wenn sie der Meinung war, etwas Verdächtiges entdeckt zu haben, das von größtem Interesse für eine Kripotante sein könnte. Zum Beispiel, wenn die Müllabfuhr am Morgen eine Viertelstunde später als gewöhnlich ihre Arbeit verrichtete. Oder wenn sie fremde Personen im Treppenhaus gesichtet hatte. Während eines persönlichen Gesprächs erwähnte ich einmal nebenbei, dass es lückenhafte Einträge in ihren Aufzeichnungen gäbe, wenn sie zu lange mit ihren Einkäufen beschäftigt wäre. Vorgestern habe ich einen Wagen von Essen auf Rädern vor dem Eingang gesehen, ein Unternehmen, das ältere Menschen mit Mahlzeiten versorgt.

Ich grinste vor mich hin. Wenn meine Berufskollegen ihre Pflichten so wahrnehmen würden wie Miss … Frau Schröder, könnten wir eine größere Aufklärungsrate verbuchen, und mein Chef würde uns mit Frühstücksspenden nur so überschütten. Das tat er immer, wenn er besonders zufrieden mit den abgeschlossenen Fällen war.

Frau Schröder war eine aufmerksame Leserin der Kieler Nachrichten. Ich musste davon ausgehen, dass sie den Bericht über den Leichenfund in der Förde gelesen hatte, und rechnete mit einem überfallartigen Interview, in dem sie mich über den Fall ausfragen würde. In dem Bewusstsein, jeden Moment Schlüsselrasseln zu vernehmen, beeilte ich mich, ins obere Stockwerk zu kommen. Nach diesem Tag war mein Bedürfnis an Smalltalk wirklich gedeckt. Auf den letzten Stufen zu meiner Wohnung hielt ich den Atem an. Gleich würde ein Ruf durch das Treppenhaus hallen.

Ich sollte recht behalten. »Frau Stein, haben Sie einen Augenblick Zeit? Es wäre sehr wichtig!«

Ich rollte mit den Augen. Ich hatte natürlich nichts gehört und schloss die vielen Schlösser meiner Wohnungstür auf. Schnell schlüpfte ich hinein und warf eilig die Tür ins Schloss. Ich verharrte kurz mit zugekniffenen Lidern, während ein weiterer Ruf meine genervten Ohren erreichte. Ich ließ die Schuhe fallen und schob sie mit einem Fuß unter den Schuhschrank. Dort durften sie meinetwegen versauern.

Ich sah mich im Flur um. Ich musste dringend aufräumen, die Wohnung sah aus wie nach einem Luftangriff. Aber ich wollte meine Zeit für wichtigere Dinge nutzen. Mit wenigen Handgriffen befreite ich mich vom Rest der unbequemen Kleidung. Achtlos warf ich sie auf das Bett im Schlafzimmer.

Mein Blick blieb für einen Moment am Spiegel hängen. Obwohl oder gerade weil ich nur noch mit Unterwäsche bekleidet war, gefiel ich mir wesentlich besser als vorher. Meine langen blonden Haare fielen sanft über meine Schultern. Meine Freunde und auch mein Exmann mochten meine blauen, wissenden Augen, auch wenn sie spöttisch blitzten und vor Lebensfreude glänzten. Wenn ich genauer hinsah, musste ich ihnen recht geben.

Ich hielt nie Diät, aber meine Figur konnte sich immer noch sehen lassen. Ich mochte meine langen schlanken Beine, die stets zu einem Dauerlauf bereit waren. Morgens lief ich, wenn ich nicht verschlafen hatte, zweimal um den Häuserblock und atmete den frischen Diesel- und Benzingeruch ein. Am Wochenende versuchte ich häufig, nach Laboe rauszufahren, um dort im Grünen meine Runden zu drehen. Ganz zur Freude aller Hundebesitzer, deren Hunde mir regelmäßig ans Bein gingen. Bei kleinen Hunden hatte ich in solchen Momenten den Bogen bereits raus. Ich holte weit nach hinten aus und versetzte den lieben Kleinen einen Hieb. Bis sie sich davon erholt hatten, war ich weit genug weg. Bei großen Hunden blieb mir nichts anderes übrig, als mit einem Gebet auf den Lippen stehen zu bleiben. Aber die Herrchen und Frauchen mit den großen Herzen bekamen ihre Riesen meist gut in den Griff. Ich liebte Tiere, dazu gehörten zweifelsohne auch Hunde, aber beim Joggen angefallen zu werden war dann doch nicht so meins.

Ich löste den Blick vom Spiegel und schlüpfte genussvoll in eine Jeans. Da die Sonne schien, zog ich ein T-Shirt an und vollendete mein Styling mit einem Paar Turnschuhe. Erleichtert atmete ich auf. Das war ich, und so kam mir auch keiner krumm, mein Selbstbewusstsein schwamm mit mir auf einer Welle. Nun war ich wieder die Kripobeamtin Hannah Stein.

Komisch, dachte ich mir, wie die Kleidung Menschen verändern konnte. Man musste sich einfach wohl in der eigenen Haut fühlen, um sein Ding zu machen. Während ich auf Mister Parfum gewartet hatte, hätte man mir eine Plastikbratpfanne verkaufen können, ohne dass ich mich getraut hätte, das Angebot abzulehnen. Erschüttert über meine neuesten Erkenntnisse starrte ich in den Spiegel. Ich nahm mir fest vor, in Zukunft besser auf mich aufzupassen. In meinem Job ließ ich mich ja auch nicht aufs Glatteis führen. Hannah Stein, scharfsinnig, zielstrebig und kein Blatt vor den Mund nehmend.

Ich erinnerte mich an mein Vorhaben und begab mich auf den Weg nach Schreventeich. Dort in der Mühlenstraße hatte das Landeskriminalamt seinen Sitz. Ich musste mir die Details der Ermittlungen noch einmal anschauen. Meine Nase verriet mir, dass dort nicht alles auf den Punkt gebracht worden war. Die Kriminaltechnik arbeitete zwar noch an der Auswertung der Untersuchungen, aber es konnte nicht schaden, sich den Vorgang erneut heranzuholen. Es musste mir nur noch gelingen, an Frau Schröder vorbeizukommen.

Längst hätte ich mir meinen Wunsch erfüllen sollen, mir eine Wohnung in Friedrichsort oder gar in Schreventeich zu suchen. Dort gab es viel Grün, und der Stadtverkehr war nicht so aufdringlich laut. Es war meiner Bequemlichkeit zuzuschreiben, dass ich mir diesen Traum noch nicht erfüllt hatte. Mir graute davor, meine Habseligkeiten in Kisten zu verfrachten und in einem Transporter in eine neue Heimat zu befördern. An den Keller mochte ich erst recht nicht denken, auch wenn vieles darin wahrscheinlich entsorgt werden könnte. Der große Keller hatte in mir die Sammelleidenschaft geweckt. Alles, was ich nicht benötigte, wanderte dorthin. Daher nahm ich die vierspurige Straße unter meinem Fenster hin und schwor mir: Irgendwann … Auch Frau Schröder hielt mich vom Umzug ab. Das Katz-und-Maus-Spiel mit ihr war manchmal wirklich amüsant.

Vorsichtig zog ich die Tür ins Schloss und zuckte zusammen, weil es lauter war, als ich geplant hatte. Frau Schröder lauschte sicher mit einem Ohr an der Wand, um rein zufällig auf den Flur zu treten, sobald ich im Anmarsch war. Auf Zehenspitzen schlich ich in das untere Stockwerk und erschrak, als ich plötzlich in die wachsamen Augen von Miss Marple blickte. Sie hielt den Kopf schief und fragte sich offensichtlich, wie sie meine Turnübungen auf der Treppe zu verstehen hatte. Nun richtete sie ihren Blick auf meine Turnschuhe.

»Ihre Leisetreter erfüllen wohl nicht ihren Zweck, nicht wahr?« Ein gütiges Lächeln huschte über ihr faltiges Gesicht.

Ich kicherte. »Sieht nicht so aus. Hallo Frau Schröder, wie geht es Ihnen?«

Lotta Schröder zog die Augenbrauen hoch und sah mich tadelnd an. »Mir geht es immer gut, und Sie wollen das heute hoffentlich nicht ändern! Sagen Sie, ist der Mörder noch auf freiem Fuß?«

Ich setzte einen erstaunten Gesichtsausdruck auf, wissend, dass meine unschuldigen Augen den Eindruck unterstrichen. Dabei lächelte ich sie freundlich an. »Ich arbeite nicht an diesen Fall. Außerdem wissen Sie doch, liebe Frau Schröder, dass ich Ihnen über laufende Ermittlungen keine Auskunft geben darf!«

»Frau Stein, bin ich die Presse? Mir können Sie ruhig sagen, welche Erkenntnisse es in dieser Mordsache gibt.« Ich erntete einen vorwurfsvollen Blick, der mich bis aufs Knochenmark zu durchbohren schien.

»Wie gesagt, ich darf Ihnen keine Auskunft erteilen, selbst wenn ich es könnte.«

»Aber es geht doch um unsere Sicherheit! Da darf man doch wohl erfahren, wie es damit steht!« Sie startete den Versuch, mich einzuschüchtern, indem sie ihre Fäuste in die Hüften stemmte und einen Schritt auf mich zukam.

»Ich muss nun leider los, Frau Schröder, schönen Tag noch!«

Ich steuerte auf den Eingang zu, der mir als guter Fluchtweg erschien, und trat aufatmend auf den Bürgersteig. Mein Auto parkte direkt vor der Tür. Ich bedauerte es, den begehrten Stellplatz aufgeben zu müssen, denn bei meiner Rückkehr würden sicher alle Plätze belegt sein. Ich betätigte die Fernbedienung des automatischen Schließsystems und grinste. Ein Signal ertönte beim Öffnen der Schlösser. Genauso, wie man es aus amerikanischen Krimis kannte. Über solche Spielereien konnte ich mich täglich freuen. Meiner Freundin Pat war es überaus peinlich, wenn wir gemeinsam einen Parkplatz verließen. Sie schätzte diese Art von Aufmerksamkeit überhaupt nicht. Regelmäßig meckerte sie mit mir, ich solle doch die Funktion ausschalten, wenn wir zusammen unterwegs waren.

In rasantem Tempo fuhr ich durch die Stadt zu meinem Büro. Ich hoffte inständig, meine Lieblingskolleginnen nicht mehr anzutreffen. Mir stand nicht der Sinn danach, ihnen von meinem hoffnungsvollen Date zu berichten.

Geschmeidig überwand ich die Stufen zum Landeskriminalamt und stand mit beiden Füßen wieder fest auf dem Boden der Tatsachen. Befreit lief ich ins erste Stockwerk. Nachdem ich unsere Abteilung betreten hatte, bog ich links in die Küche und ergatterte einen Becher dampfenden Kaffee. Er schmeckte wie immer scheußlich, aber er gehörte zum Ritual des Dienstbeginns. Im Gehen schlürfte ich den ersten Schluck und betrat das Dienstzimmer.

Mein Wunsch erfüllte sich nicht. Lea und Pat starrten mich überrascht an. »Was machst du denn hier?«, ertönte es gleichzeitig aus ihren Mündern.

Mit beiden hatte ich zusammen die Schulbank gedrückt, sie waren mir lieb und teuer, nur heute wünschte ich sie in die Wüste.

Lea war aufgrund ihrer knappen Körpergröße von einem Meter sechzig mit Ach und Krach durch die Polizeiprüfung gekommen. Sie war eine Seele von Mensch. Ihren schräg gestellten, grünen Augen entging nichts, jede Kleinigkeit schob sie in eine Schublade ihres schlauen Hirns und hielt sie dort jederzeit abrufbar verborgen. Sie war eine begnadete Tatortbeobachterin. Ich konnte mich immer darauf verlassen, dass sie auch ohne Notizblock meine persönliche Speicherplatte war. Ihren kurzgeschorenen Kopf mit ständig wechselnden Rasurmotiven setzte sie im Privatleben wie auch im Dienst ohne Einschränkungen durch. Sie wusste immer genau, was sie wollte und was nicht. Lea war ein Kumpeltyp, mit dem man Pferde stehlen konnte. Oder im Internet passende Männer suchen, die ich wiederum nicht wollte.

Pat war mir die Vertrauteste der beiden. Ihr erzählte ich von meinen Selbstzweifeln, die mich doch hin und wieder gefangen nahmen, und von misslungenen Dates. Wobei Letzteres nun auch Lea interessieren dürfte. Pat war die Kritikerin unter uns dreien. Sie fand meistens das berüchtigte Haar in der Suppe und überragte die meisten Frauen um Längen mit einer Körpergröße von einem Meter achtzig. Ihre Rundungen waren an den richtigen Stellen, deshalb war sie eines der bestaussehenden Mädels auf der Dienststelle. Sie gehörte zu den Menschen, die nur mit ihren Augen den Stinkefinger zeigen konnten.

»Du musst heute doch nicht arbeiten«, erwähnte Pat mit ihrer dunklen Stimme. Sie sah mich prüfend an.

»Erzähl, wie ist es gelaufen?«, wollte Lea wissen.

Ich hob die Hände und deutete damit an, keine weiteren Fragen zu beantworten. Stattdessen wurde ich dienstlich. »Lea, ich brauche die neuesten Informationen im Fall Heinrich!« Unser Toter hatte den Namen Rudi Heinrich getragen. »Bitte leg mir alles auf meinen Schreibtisch. Pat, ich möchte in der nächsten Stunde nicht gestört werden.«

Beide starrten mich an, als ob ich geradewegs einem Horrorfilm entsprungen wäre. Innerlich jubelte ich vor Triumph, äußerlich blieb ich die Chefin. Lea schloss ihren Mund als Erste, maulte etwas Unverständliches und erhob sich, um meine Anweisungen zu befolgen. Pat hatte ihren Stinkefingerblick aufgesetzt, den ich gekonnt ignorierte.

Den bitteren Kaffee hatte ich geschluckt und meine Freundinnen die bittere Pille der Enttäuschung darüber, dass ich meine Erlebnisse für mich behielt.

Ich stellte den Kaffeebecher ab und begab mich erhobenen Hauptes in mein Büro.

Auf dem Flur stieß ich fast mit meinem Chef zusammen. »Hannah, ich dachte, du hast heute deinen freien Tag? Aber das passt gut, kommst du mal in mein Büro?«

»Klar, wenn es so wichtig ist!« Ich ließ mich nicht gern von der Arbeit abziehen, um mit Heinz Leopold Smalltalk zu führen, aber sein Gesichtsausdruck verkündete Unheil. Unterdessen schlich Lea mit den von mir angeforderten Unterlagen an uns vorbei und beäugte unseren Chef unsicher. Auch sie hatte offensichtlich den Ernst in seinem Blick erkannt und verzog sich erleichtert.

Die große Liebe

Hamburg

Mit jedem Meter, den wir uns Hamburg näherten, wurde ich betrübter. Ein Seitenblick zu Kathi verriet mir, dass es ihr ähnlich erging, jedoch in sichtlich abgeschwächter Form. Schließlich sah sie ihrer großen Liebe entgegen. Da war ein Abschied von mir bestimmt das kleinere Übel.

Kilometer über Kilometer entwickelten wir eine Vertrautheit, die ich am Anfang nicht für möglich gehalten hätte. Kathi erzählte mir, wie sie Buddy bekommen hatte, und Geschichten, die sie mit ihrer Oma erlebt hatte. Es stimmte mich traurig zu hören, dass ihre Eltern sie einfach zurückgelassen hatten, um sich ihren langersehnten Traum zu erfüllen. Malle! Die kleine Kathi musste in Deutschland zur Schule gehen und bei ihrer Oma leben. Kathi erfuhr in der Obhut ihrer Oma die Liebe, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit und Nestwärme, die ihre Eltern ihr nie hatten geben können.

Nun war die junge Frau, bedingt durch den Tod ihrer Großmutter, auf sich allein gestellt. Zu ihren Eltern wollte sie auf keinen Fall. Das stand für sie fest. Finanziell hatte ihre Oma für sie gesorgt, und die Eltern schickten in regelmäßigen Abständen Geld, aber ihr fehlte etwas Wichtiges: ein Zuhause, ein Mensch, mit dem sie ihr Leben teilen konnte. Nun wurde mir klar, warum sie dieses Abenteuer mit einem Fremden wagen wollte. Ich wünschte ihr von ganzem Herzen, dass er sie nicht enttäuschte.

»Wir sehen uns doch wieder, oder?« Kathi sah mich treuherzig an.

»Klar, was denkst du denn? Ich hoffe, du besuchst mich auf Sylt!«

»Echt? Ich darf dich auf Sylt besuchen?«

»Warum denn nicht? Ich habe ein Haus geerbt, da wird sich schon noch ein Plätzchen finden!« Kathis aufrichtige Freude rührte mich.

»Na ja … Ich dachte, du hast genug von mir«, flüsterte sie verlegen.

Ich lachte sie an.

»Aber wir haben uns gut zusammengerauft, oder? Ich fand es ausgesprochen abwechslungsreich«, sagte Kathi schmeichelnd.

»Hm, vor allem die Autopanne!«, maulte ich.

»Ich fand es lustig.« Kathi kicherte.

»Sieh, Kathi, in zwei Kilometern sind wir auf der Raststätte Harburger Berge, da wartet dein Liebster auf dich!« Ich erhaschte einen Blick aus ihrer Richtung. »Ich wünsche dir von ganzem Herzen Glück, ehrlich.« Jetzt wurde ich auch noch sentimental. Dicke Tränen tropften auf meine Jeans. Plötzlich packte mich das Heimweh nach Marcus.

»Ich bin ziemlich nervös«, gestand meine treue Begleiterin.

»Och …! Man bemerkt es kaum«, sagte ich lachend durch meine Tränen hindurch. Die letzten tausend Meter neckten wir uns gegenseitig. Beinahe hätte ich die Abfahrt verpasst. Mit einem riskanten Bremsmanöver wechselte ich auf die Abbiegerspur. Kathi hielt den Atem an und warf schnell einen Blick auf den nachfolgenden Verkehr. »Das war knapp!«, meinte sie erleichtert.

»Nee, ich hab alles im Griff«, warf ich zu ihrer Beruhigung ein.

Gespannt wie die Flitzebögen fuhren wir den Rastplatz an. Kathi reckte den Hals, um besser sehen zu können. Ich schmunzelte amüsiert und fuhr mehrere Runden um die Raststätte, um nach einem weißen BMW Combi Ausschau zu halten. Nichts!

»Vielleicht ist es besser, wenn wir zu Fuß die Parkplätze abgehen?« Kathi löste bereits den Sicherheitsgurt. Ungeduldig drehte sie sich in alle Richtungen.

»Ich weiß nicht, ob wir damit Erfolg haben«, gab ich zu bedenken. »Ruf ihn doch mal an oder schreib ’ne SMS!«