Interkulturelle Herausforderungen transnationaler Forschungsprojekte - Doris Weidemann - E-Book

Interkulturelle Herausforderungen transnationaler Forschungsprojekte E-Book

Doris Weidemann

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Beschreibung

Transnationale Forschungsprojekte stellen besondere Herausforderungen an die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Fremdsprachliche Kommunikation, unterschiedliche Vorstellungen über die Projektorganisation und verschiedene Ansätze des wissenschaftlichen Arbeitens müssen in der Projektarbeit bewältigt und produktiv miteinander in Einklang gebracht werden. Welche Erfahrungen Forschende in der chinesisch-deutschen Zusammenarbeit dabei machen − welche Motive sie für die Zusammenarbeit haben, welchen Schwierigkeiten sie begegnen und wie sie diese lösen − steht im Mittelpunkt dieses Buches. Das Buch richtet sich an Leserinnen und Leser mit Interesse an interkultureller Kommunikation und Kooperation. Es gibt Aufschluss über die Herausforderungen chinesisch-deutscher Zusammenarbeit und ist für alle relevant, die selbst Forschungsprojekte mit chinesischen Partnern planen, durchführen oder betreuen.

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Transnationale Forschungsprojekte

2.1 Merkmale von Forschungsprojekten

2.2 Projektphasen

2.3 Interkulturelle Herausforderungen

2.3.1 Fremdsprachliche Kommunikation und Übersetzung

2.3.2 Interkulturelle Dynamik im Forschungsteam

2.3.3 Projektmanagement und Organisation

2.3.4 Methodologie und Datenerhebung

3. Chinesisch-deutsche Wissenschaftskooperation

3.1 Geschichtliche Entwicklung

3.2 Politische Zielsetzungen

3.3 Institutionelle Akteure

3.4 Status quo

3.5 Die Sicht chinesischer Auslandsrückkehrer*innen

4. Methode und Durchführung der Datenerhebung

4.1 Zielsetzung und Methode

4.2 Stichprobe

4.3 Durchführung und Datenauswertung

5. Erfahrungen in der chinesisch-deutschen Projektarbeit

5.1 Vorbemerkung

5.2 Was Projekte zusammenhält: Faktoren der Integration

5.2.1 Überblick

5.2.2 Verträge und Verpflichtungen

5.2.3 Finanzielle Anreize

5.2.4 Statusgewinn und Karriere

5.2.5 Wissenschaftliches Erkenntnisinteresse und Wissenstransfer

5.2.6 Interesse am Gastland

5.2.7 Persönliche Sympathien

5.3 „Da liegen Welten dazwischen!“: Faktoren der Desintegration

5.3.1 Überblick

5.3.2 Arbeitsorganisation und Informationsaustausch

5.3.3 Zeitplanung

5.3.4 Standards des wissenschaftlichen Arbeitens

5.3.5 Probleme der Datenerhebung

5.3.6 Fremdsprachliche Kommunikation

5.3.7 Projektverwaltung und Bürokratie

5.3.8 Selbst- und Fremdbild der Projektbeteiligten

5.4 Strategien zur Überwindung der Desintegration

5.4.1 Überblick

5.4.2 Einsatz von ‚Brückenmitarbeiter*innen‘

5.4.3 Kompetenzorientierte Aufgabenverteilung

5.4.4 Monitoring von Problemen und Konfliktmanagement

5.4.5 Flexibilität, Humor und Hartnäckigkeit

5.4.6 Schulungen und Gastlandsaufenthalte

5.4.7 Anpassung an den Partner

5.4.8 Pflege der Projektpartnerschaft

6. Diskussion und Ausblick

7. Literatur

1. Einleitung

Vermelden die Wissenschaftsressorts internationaler Medien Erfolgsgeschichten, so stammen diese immer häufiger aus China. Verblüffen tut dies niemanden mehr: Dass (auch) chinesische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zur Lösung globaler Forschungsfragen beitragen, erscheint heute als Selbstverständlichkeit. Vor wenigen Jahren war dies noch ganz anders: Als es im Sommer 2011 einem chinesischen Labor gelang, den Erreger der EHEC-Epidemie, die in Norddeutschland ihren Anfang genommen hatte, genetisch zu entschlüsseln, war dies deutschen Zeitungen mehr als nur eine Kurznachricht wert. Der Umstand, dass die chinesischen Forscher*innen das medizinische Rätsel schneller gelöst hatten als ihre deutschen Kolleg*innen, schien den Journalist*innen erklärungsbedürftig. SPIEGEL online fragte: „[W]arum kamen ausgerechnet Forscher in der Neun-Millionen-Metropole nördlich von Hongkong dem Erreger auf die Spur? Wenn in ganz Deutschland massiv nach dem rätselhaften Darmkeim gefahndet wird?“1Die Nachricht vom Durchbruch der chinesischen Wissenschaftler*innen kam offenkundig unerwartet für ein Publikum, das China bis dahin nicht mit Spitzenforschung in Verbindung gebracht hatte. Die Presseberichte rückten einer breiten deutschen Öffentlichkeit wohl erstmals ins Bewusstsein, dass China nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als Wissenschaftsstandort an Bedeutung gewonnen hat. Seither werden die Schritte, die China auf dem Weg zur wissenschaftlichen Weltklasse beschreitet, von den deutschen Medien sorgfältig verfolgt. Aufmerksame Leser*innen lernten, dass China heute Heimat des weltweit schnellsten Supercomputers ist, 2015 einen ersten Medizin-Nobelpreis für sich verbuchen konnte, mit dem Bau des größten Radioteleskops und auch des größten Teilchenbeschleunigers der Welt begonnen sowie die Planung einer eigenen Raumstation in Angriff genommen hat.2 Die aufgezählten Beispiele zeigen, dass China im Bereich von Naturwissenschaft und Technik in vielen Gebieten bereits zur Weltspitze aufschließen konnte. Sie rufen jedoch auch die enge Verbindung von wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit und Großmachtanspruch in Erinnerung (die wir in einer Welt rivalisierender Nuklearmächte freilich niemals ganz vergessen haben). Besorgt fragen erste Journalist*innen: „Wird die Volksrepublik jetzt auch in der Wissenschaft zur Weltmacht?“ (Gast 2012).

Das Streben nach symbolträchtigen Großprojekten macht deutlich, dass Wissenschaft in einer Welt konkurrierender Nationalstaaten auch als nationales Aushängeschild dient. Bemerkenswerterweise sind jedoch gerade Forschungsapparaturen und -einrichtungen der genannten Größenordnung ohne die Beteiligung internationaler Forschergruppen kaum sinnvoll nutzbar. Hier, wie auch in zahllosen anderen Einrichtungen, kooperieren chinesische Wissenschaftler*innen mit Kolleg*innen aus aller Welt, denn trotz aller Konkurrenz ist Wissenschaft auf internationale Kooperation grundlegend angewiesen.

Deutsche und chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten heute – wie bei der Suche nach dem EHEC-Erreger – in zahlreichen Forschungsprojekten zusammen. Kooperationen gibt es im gesamten Spektrum der wissenschaftlichen Disziplinen, von Naturwissenschaften und Technik bis hin zu den Sozial- und Geisteswissenschaften. Dabei hat deutsch-chinesischer wissenschaftlicher Austausch sowohl eine lange Geschichte als auch einen beachtlichen Umfang. Seine modernen Erscheinungsformen umfassen neben gemeinsamen Forschungsprojekten auch wechselseitige Gastaufenthalte von Studierenden und Wissenschaftler*innen, internationale Konferenzen und gemeinschaftliche Publikationen sowie die mit diesen Aktivitäten verbundenen rechtlichen Regelungen, Institutionen und Förderprogramme. Mit Fug und Recht lässt sich behaupten: Deutsch-chinesische Wissenschaftskooperation ist heute vielfach erprobte und bewährte Praxis. Interessanterweise sind jedoch Einblicke in diese Praxis, insbesondere in das Binnenleben deutsch-chinesischer Forschungsprojekte, äußerst spärlich. Wissenschaftsforschung hat sich den besonderen Erscheinungsformen und Herausforderungen internationaler Projektarbeit bisher nur ansatzweise gewidmet, und dies gilt auch für deutsch-chinesische Kooperationen. Daran, dass es hier nichts Interessantes zu entdecken gäbe, kann das kaum liegen. Erfahrungsberichte von Forschenden bezeugen, dass transnationale Forschungsprojekte eine herausforderungsreiche und komplexe Form der Zusammenarbeit darstellen. Überdies besitzt gerade die deutsch-chinesische Zusammenarbeit den Ruf, besonders „schwierig“ zu sein. Dies liegt nicht nur an den praktisch-organisatorischen und bisweilen ideologischen Hürden, die es zu überwinden gilt, sondern auch an der kulturellen Dimension der Kooperation. Unterschiede des deutschen und chinesischen Kommunikationsverhaltens sowie die Tücken der interkulturellen Interaktion sind – vornehmlich im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit – ausführlich beschrieben worden (z.B. Feuser 2006, Reisach/Tauber/Yuan 2007, Schreiter 2015). Warum also sind die interkulturellen Herausforderungen deutsch-chinesischer Wissenschaftszusammenarbeit bisher kaum Gegenstand der Forschung gewesen?3

Wir glauben, dass es sich hier weniger um ein zufälliges Versäumnis als vielmehr um einen von der Wissenschafts- wie der interkulturellen Forschung systematisch geteilten „blinden Fleck“ handelt. Wissenschaft wird offenbar – ganz anders als Alltagshandeln oder internationale Begegnungen von Manager*innen – als Bereich wahrgenommen, der von kultureller Differenz kaum betroffen ist. Hierfür gibt es zwei Gründe (s.a. Thomas 2003): Erstens hat die weltweite Verbreitung euro-amerikanischer Standards dazu beigetragen, Formate der akademischen Ausbildung, des disziplinären Zuschnitts von Forschung und des wissenschaftlichen Austauschs weitgehend zu vereinheitlichen; zweitens beanspruchen die Zielsetzungen und Methoden von Wissenschaft unabhängig von bestimmten Lokalitäten oder Kulturen Gültigkeit. Da Wissen-schaft – so die weithin geteilte Auffassung – auf universelle Ziele (die Suche nach „Wahrheit“ und die Formulierung allgemeingültiger Theorien und Gesetze) ausgerichtet ist, deren Erreichen bestimmte Standards (z.B. Objektivität) und komplizierte Prüfverfahren erfordert, kommt kultureller Variation höchstens die Rolle eines zu eliminierenden Störfaktors zu. Beide Aspekte tragen dazu bei, dass kulturelle Differenz in der Wissenschaft kaum beachtet und in ihrer Bedeutung daher oft unterschätzt wird (ebd.). Letzteres gilt insbesondere für Angehörige der (‚westlichen‘) wissenschaftlichen ‚Mehrheitskultur‘, die leicht übersehen, dass ihre Wissenschaftstradition weniger universell ist, als von ihnen angenommen. Tatsächlich müssen aber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ‚nicht-westlicher‘ Staaten teilweise erhebliche Anpassungsleistungen erbringen, um am internationalen Diskurs teilhaben zu können (Kuhn/Weidemann 2010). Zu diesen zählt die Aneignung der globalen Wissenschaftssprache Englisch ebenso wie die Übernahme der in Europa und den USA definierten Formate wissenschaftlicher Arbeit und wissenschaftlichen Austauschs. Überdies wird von ihnen eine gute Kenntnis des Forschungsstandes der führenden Wissenschaftsnationen erwartet – während umgekehrt Wissenschaftler*innen der akademischen Zentren den Forschungsstand anderer Regionen ungestraft ignorieren können (Danziger 2009). Dabei haben die in den letzten Jahrzehnten nachdrücklich geführten Debatten um „Dekolonialisierung“ und „Indigenisierung“ in der Wissenschaft (stellvertretend: Connell 2010, Dirlik 2012) gezeigt, dass der Forschung ‚westlicher‘ Staaten kulturelle Präformierungen und eine ethnozentrische Sichtweise inhärent sind, die in den Forschungsfragen, der Methodologie sowie in den entwickelten Theorien ihren Niederschlag finden. Aus den angeführten Belegen lässt sich ableiten, dass Wissenschaft mitnichten „kulturneutral“ ist, sondern dass vielmehr Kultur auf allen Ebenen des wissenschaftlichen Tuns – in der Theoriebildung, Methodologie, den Forschungsinhalten, Kommunikationsformaten und sogar in ihren Institutionen – eine wichtige Rolle spielt (s.a. Weidemann 2013). In der internationalen Zusammenarbeit müssen deshalb unterschiedliche Wissenschaftskonventionen und Handlungsformate erst miteinander in Einklang gebracht werden. Angesichts dieser Zusammenhänge erscheint es geboten, die hieraus resultierenden Herausforderungen transnationaler Wissenschaftskooperation näher zu untersuchen.

Für unsere Überlegungen sind Erfahrungen von Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen von Interesse. Dabei gehen wir davon aus, dass sich in den Sozial- und Geisteswissenschaften andere Schwierigkeiten einstellen als im Bereich der Naturwissenschaften. Dies liegt in dem Umstand begründet, dass sich Sozial- und Geisteswissenschaftler*innen mit Forschungsgegenständen beschäftigen, die unauflösbar mit spezifischen gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten verwoben sind. Zudem sind sie, anders als Naturwissenschaftler*innen, die häufig zur Formulierung ihrer Theorien auf abstrakte Formeln zurückgreifen können, zur Konzeptualisierung ihrer Forschung auf natürliche Sprachen angewiesen. Wir erwarten deshalb, dass Probleme der Begriffsklärung, Mehrsprachigkeit, Übersetzung und heterogener Kommunikationskulturen in diesen Disziplinen besondere Herausforderungen transnationaler Forschungskooperation darstellen. Die Kontrastierung überzeichnet jedoch zweifellos Unterschiede zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften und dient hier lediglich zur Explikation von Vorannahmen, die in der Definition von Analysekategorien ihren Niederschlag gefunden haben. In den letzten Jahren hat sich der Standpunkt, dass auch Forschungsergebnisse der Naturwissenschaften „unterdeterminiert“ sind und zu ihrem Verständnis – ähnlich wie Ergebnisse der Sozial- und Geisteswissenschaften – (ein gewisses Maß) der Interpretation bedürfen, zunehmend durchgesetzt. Die Kontrastierung läuft ferner Gefahr, die jeweils innerhalb der Naturwissenschaften bzw. innerhalb der Sozial- und Geisteswissenschaften bestehende Heterogenität der Disziplinen, Schulen und Anliegen auszublenden und wird auch Fachgebieten nur schwer gerecht, die sich, wie z.B. die Psychologie, gerade an der Schnittstelle beider Bereiche verorten. Allein im Bereich der sozialwissenschaftlichen Methoden existiert eine große Bandbreite der Untersuchungsverfahren, deren Spektrum von hermeneutischen Analysen bis hin zum Einsatz experimenteller Verfahren reicht. Die Unschärfe der Kollektivbezeichnungen Naturwissenschaften, bzw. Sozial- und Geisteswissenschaften wird hier aus Gründen der Akzentuierung zunächst in Kauf genommen, in der Datenanalyse von uns aber auf Gültigkeit geprüft werden.

Die Analyse der Erfahrungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der chinesisch-deutschen Zusammenarbeit ist vor diesem Hintergrund auf zwei Ziele gerichtet: Während sie einerseits die Spezifika deutsch-chinesischer Forschungskooperation beleuchten soll, wird sie uns auch exemplarisch zur Erörterung der weiter gefassten Fragen nach den interkulturellen Herausforderungen transnationaler Forschungsprojekte im Allgemeinen dienen. Im Einzelnen gehen wir in diesem Buch den folgenden Fragen nach:

Welche interkulturellen Herausforderungen hält die Kooperation in transnationalen Forschungsprojekten generell bereit? Welche Schwerpunktsetzungen der Wissenschaftsforschung sind erkennbar und welche Forschungsdesiderate werden deutlich?

Welche Erfahrungen machen Wissenschaftler*innen in der deutsch-chinesischen Forschungszusammenarbeit? Mit welchen konkreten kulturellen Unterschieden und mit welchen interkulturellen Herausforderungen sehen sie sich konfrontiert? Von welchen Strategien erfolgreicher Projektsteuerung berichten die Befragten? Welche Empfehlungen lassen sich hieraus für künftige Projekte ableiten? Und, schließlich:

Welche Schlussfolgerungen lassen sich für die Konzeption empirischer Untersuchungen transnationaler Projektarbeit und interkultureller Kommunikation in der Wissenschaft ziehen?

Der Aufbau des Buches folgt den genannten Zielsetzungen: Das erste Kapitel ist der Darstellung der allgemeinen interkulturellen Herausforderungen transnationaler Forschungsprojekte gewidmet. Das Kapitel skizziert den Stand der Forschung sowie die zahlreichen weiterführenden Fragen, die sich aus den erkennbaren Forschungslücken ergeben. Das zweite Kapitel geht auf die wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen ein, die deutsch-chinesische Kooperationen politisch ermöglichen und inhaltlich konturieren. Im dritten Kapitel beschreiben wir die Datenbasis unserer Untersuchung, bevor wir im vierten Kapitel die Methode der Datenerhebung und im fünften Kapitel die Ergebnisse darlegen.

Ein schmales Buch wie dieses lässt zwangsläufig viele Fragen unbeantwortet. Das größte Manko unserer Studie ist dabei zweifellos die Begrenztheit unserer Datenbasis sowie der starke Fokus auf Erfahrungen deutschsprachiger Wissenschaftler. Die Erhebung belastbaren qualitativen und quantitativen Datenmaterials sowohl auf deutscher als auch chinesischer Seite zählt zu den offenkundigen Desideraten einer für interkulturelle Thematiken sensiblen Wissenschaftsforschung.

 

1 http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/gefaehrliche-darmerkrankung-wie-china-dem-ehec-erreger-auf-die-spur-kam-a-766481.html

2 Diese Nachrichten wurden willkürlich ausgewählten Presseartikeln entnommen (in der o.a. Reihenfolge: welt.de am 18.11.15, sueddeutsche.de am 9.10.15, spiegel.de am 16.12.16, heise.de am 30.9.2014 und 21.4.16)

3 Eine Ausnahme ist Thomas (1999)

2. Transnationale Forschungsprojekte

2.1 Merkmale von Forschungsprojekten

Forschungsprojekte stellen eine heute weit verbreitete Organisationsform wissenschaftlicher Arbeit dar. Sie sind durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet, zu denen etwa die zeitliche Befristung, die Orientierung an einer vorab entworfenen Zielstellung und Projektplanung sowie die Zuordnung eines festen Budgets zählen (Besio 2009). Forschungsprojekte bündeln materielle und intellektuelle Ressourcen mit dem Ziel, eine definierte Forschungsfrage in einem festgelegten Zeitraum zu bearbeiten und zu lösen. Dabei setzen sie in der Regel auf die Zusammenarbeit mehrerer Wissenschaftler*innen, wobei die Größe des Forschungsteams und die Organisationsform der Zusammenarbeit variieren. Sie werden häufig eingerichtet, um innovative Fragestellungen zu bearbeiten und stellen im Vergleich zu Einrichtungen wie Instituten oder Fakultäten eine recht flexible Organisationsform wissenschaftlicher Kooperation dar (ebd.). Andererseits setzen die vorab festgelegte Budgetierung und Zeitplanung, die in der Regel auch einzelne Zwischenschritte definieren, der Flexibilität der Projektdurchführung wiederum enge Grenzen.

Als transnationale Forschungsprojekte werden von uns Vorhaben mit den genannten Merkmalen bezeichnet, die von einem multinational zusammengesetzten Team in Angriff genommen werden, und die durch die Multinationalität spezielle Erkenntnisse oder Synergieeffekte anstreben. Im Bereich der Sozial- und Kulturwissenschaften verfolgen transnationale Projekte in der Regel komparative (z.B. kulturvergleichende) Zielsetzungen. Im Bereich der Technikforschung zielt transnationale Zusammenarbeit häufig auf internationalen Know-how-Transfer und die Integration unterschiedlicher Wissensbestände ab. Vor allem im Fall von Großprojekten verfolgt sie auch das Ziel, Ressourcen zu bündeln und Vorhaben zu ermöglichen, die das Budget einzelner Institutionen oder Nationen übersteigen. In jedem Fall beinhalten transnationale Forschungsprojekte die Generierung und/oder den Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse und sind auf das Erreichen eines (zumindest teilweise) geteilten Ziels gerichtet. Sie sind ferner durch eine gewisse Kontinuität sowie durch ein Mindestmaß an Kohäsion des zusammenarbeitenden Teams gekennzeichnet (Cornish/Zittoun/Gillespie 2007; Weidemann 2010, 2011).

Mehr oder weniger sichtbar sind transnationale Projekte dabei mit kultureller Differenz konfrontiert, die sich entlang unterschiedlicher Identitätskategorien einstellen mag. Unterschiedliche Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, disziplinäre Orientierung, Geschlecht oder Alter, entweder innerhalb des Forschungsteams oder im Bereich des Forschungsgegenstandes, können relevant werden. Der Begriff des „transnationalen Projekts“ bleibt für kulturelle Grenzziehungen verschiedener Art explizit offen, hebt jedoch – in Abgrenzung zum Begriff des „interkulturellen Projekts“ − die Bedeutung des nationalstaatlichen Kontexts hervor, da Forschungshandeln in bedeutsamer Weise durch nationale Gesetze, politische Zielsetzungen, Infrastruktur oder Förderinstrumente konturiert ist (siehe auch Kapitel drei). (Gerade) Wissenschaft und Forschung eröffnen den Beteiligten andererseits aber auch grenzüberschreitende Identitäts- und Handlungsräume, die inter-nationale Differenz und Konkurrenz hinter sich lassen. Der Begriff des „transnationalen Projekts“ erscheint uns geeignet, um, einerseits, die Macht der Nationalstaaten angemessen hervorzuheben, ohne, andererseits, die Bedeutung des Nationalen auf der Ebene des Forschungshandelns zu überschätzen.1

Zentrales Merkmal eines Forschungsprojektes ist die ‚Projektierung‘ bzw. die mit dieser verbundene Trennung von Planung und Durchführung, von „Idee und Verwirklichung“ (Besio 2009, S. 28). Wie alle Projekte sind auch transnationale Forschungsprojekte deshalb durch eine typische Verlaufsstruktur gekennzeichnet, die folgende Phasen umfasst: Planung (einschließlich der Suche nach Kooperationspartnern und des Verfassens eines Förderantrags), Durchführung (in der Regel unter Einhaltung vorab eingeplanter Zwischenschritte), Abschluss und Berichtlegung. Transnationale Projekte sind in allen Phasen von spezifischen Problemen betroffen, die aus dem grenzüberschreitenden Charakter des Forschungsvorhabens resultieren (s.a. Weidemann 2007). Während die allgemeinen interkulturellen Herausforderungen transnationaler Projektarbeit weiter unten ausführlich dargestellt werden, dienen uns die nachfolgenden Überlegungen insbesondere zur Verdeutlichung der spezifischen Problemfelder sowie der verschiedenen Zielsetzungen und Aufgaben, die mit den einzelnen Projektphasen verbunden sind.

2.2 Projektphasen

Vor dem Beginn der eigentlichen Projektarbeit liegt die Phase der Planung und Antragstellung. Da Forschungsprojekte in der Regel auf externe Geldmittel angewiesen sind, spielen die Ausschreibungsprogramme und Richtlinien der Förderinstitutionen für die inhaltliche und organisatorische Ausrichtung eine große Rolle. Antragsteller*innen, die ein transnationales Projekt planen, sind daher bereits in der Planungsphase in verschiedener Hinsicht mit den Konsequenzen nationaler und internationaler Förderpolitik konfrontiert: So definieren die Förderinstitutionen die Liste möglicher Partnerländer und geben durch ihre Ausschreibungen Forschungsthemen und ungefähre Fragestellungen vor. Auch bezüglich der akzeptierten Methoden machen Förderprogramme explizite oder implizite Vorgaben. Festlegungen der Größe und Organisationsform von Projekten wie auch explizite Vorgaben bezüglich der Qualifikationsprofile der Antragsteller*innen regulieren überdies, welche Forscher*innen bzw. Institutionen sich überhaupt an den Ausschreibungen beteiligen können.

Da die Förderung transnationaler Wissenschaftskooperation in die größeren Zusammenhänge außenpolitischer Erwägungen eingebunden ist, sind Forschungsvorhaben mit politisch unerwünschten Kooperationsländern und Forschungsvorhaben schwierig zu realisieren. Häufig kritisiert wird, dass internationale Ausschreibungen von den Forschungsinteressen der reichen Industrieländer dominiert sind, aus deren Mitteln die Forschungsprogramme bezahlt werden. Themen, die „periphere“ Forschungsgemeinschaften und Gesellschaften bewegen, bleiben hingegen häufig ausgeblendet. Dies ist nicht nur ein strukturelles, sondern für Wissenschaftler*innen, die an internationalen Kooperationen interessiert sind, auch ein ganz konkretes Problem, denn um Aussicht auf Projektförderung zu haben, muss die eigene Forschungsarbeit den Ausschreibungsprogrammen angepasst werden. Insbesondere für Antragsteller*innen aus Schwellenländern bedeutet dies, dass sie der Forschungsagenda der fremden Drittmittelgeber folgen müssen, selbst wenn diese den eigenen Interessen widerspricht (z.B. Alatas 2003, S. 603).

Die Ungleichgewichte, die aus der unterschiedlichen Finanzkraft einzelner Staaten entstehen, werden durch die globalen Strukturen des wissenschaftlichen Feldes, die einseitig auf die Verbreitung ‚westlicher‘ Wissenschaft ausgerichtet sind, weiter verstärkt. So unterscheidet z.B. Alatas (2003) für die Sozialwissenschaften zwischen Ländern, die als „social science powers“ ihren Einfluss weltweit geltend machen können, und „peripheral science communities“, die den internationalen Diskurs kaum mitgestalten (können). Den „peripheren“ Forschungsgemeinschaften bescheinigt Alatas eine Abhängigkeit „von den Institutionen und Ideen westlicher Sozialwissenschaft, so dass die von ihnen untersuchten Forschungsthemen, Problemdefinitionen, Forschungsmethoden und wissenschaftliche Standards durch den Westen bestimmt oder vom Westen entlehnt sind“ (ebd., S. 603, Übersetzung der Verf.). „Abhängigkeit“ ist dabei kein passives Verhältnis: Die Ausrichtung auf die akademischen „Zentren“ wird von den „peripheren“ Forschungsgemeinschaften auch selbst aktiv betrieben, indem wissenschaftliche Forschung vorrangig auf die Anerkennung durch die „Zentren“ hin ausgerichtet wird: Ein Studium in den USA oder Europa, Veröffentlichungen in amerikanischen Zeitschriften oder die Einbindung in ‚westliche‘ Forschernetzwerke gelten in Ländern der „Peripherie“ oft als besondere Auszeichnung. Internationale Wissenschaftskontakte sind mithin häufig von der Peripherie allein auf das (jeweilige) Zentrum ausgerichtet. Das führt nicht nur dazu, dass Kontakte zwischen Forschenden derselben Region häufig weniger ausgeprägt sind als solche in die USA und nach Europa, sondern auch dazu, dass die Federführung bei Projekten in der Regel bei den Angehörigen der reicheren Staaten liegt. Für Wissenschaftler*innen, die ein internationales Projekt planen, sind die konkreten Auswirkungen dieser globalen Strukturen deutlich spürbar und nur schwer überwindbar: Die Wahl ihrer Forschungspartner und die Definition ihrer Forschungsfragestellungen findet im Kontext der genannten Rahmenbedingungen statt und trägt zur Festigung dieser Strukturen bei (s.a. Hwang 2008).

Im internationalen Kontext werden Anpassungsleistungen jedoch nicht nur von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern „peripherer“ Staaten gefordert: Auch deutsche Forschende erleben bei der Antragstellung, dass sie sich die angelsächsisch geprägten Wissenschaftskonventionen internationaler Forschung erst aneignen müssen. Nicht nur muss der Projektantrag häufig in der Fremdsprache Englisch verfasst werden, sondern Anpassungsleistungen sind auch im Hinblick auf die womöglich fremden Vorgaben für die Projektkonzeption (z.B. die Anforderung, Projektarbeit in „work packages“ aufzuteilen) oder die geforderte Argumentationsstruktur bei der Projektdarstellung notwendig.

Die Beispiele verdeutlichen, dass Wissenschaftler*innen während der Planungs- und Antragsphase in verschiedener Hinsicht mit mehr oder weniger expliziten nationalen und kulturellen Unterschieden konfrontiert sind. Die impliziten Annahmen und Strukturen, die auf das wissenschaftliche Feld ebenso Einfluss haben, sind hingegen weniger deutlich sichtbar. So täuscht die große Verbreitung von Forschungsprojekten leicht darüber hinweg, dass auch diese spezifische Organisationsform wissenschaftlicher Arbeit auf bestimmten, kollektiv geteilten (kulturellen) Annahmen beruht. Die grundsätzliche Vorstellung, Forschung könne in Form von Projekten organisiert werden, ist, wie Besio (2009) betont, keineswegs voraussetzungsfrei, sondern bedarf folgender fundamentaler Vorannahmen:

Bevor Forschung in Projekten wahrscheinlich wird, müssen sich einige kardinale semantische Veränderungen des Wissenschaftsbegriffs etablieren: die Einführung einer Wissensproduktion, die sich an einzelnen begrenzten Problemen orientiert; eine Präferenz für Neuheiten statt der Konservierung überlieferten Wissens und die damit verbundene Bedeutung der Empirie als unerschöpfliche Quelle neuer Erkenntnisse; der hypothetische Charakter der Forschung und seine Abhängigkeit von Theorien, die eine Definition der Fragestellungen, des experimentellen Settings und/oder der Datensammlung vor der Forschung erlauben. (Besio 2009, S. 92)

Inwieweit unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der Berechtigung, der Leistungsfähigkeit oder der inhaltlichen Ausgestaltung von ‚Forschungsprojekten‘ zu Konflikten transnationaler oder interdisziplinärer Projekte führen, bleibt zu erkunden. Der Umstand, dass Forschungsprojekte mit den genannten Merkmalen in den Geisteswissenschaften weniger verbreitet sind als in den Sozial- oder Naturwissenschaften, deutet auf die Existenz diesbezüglicher kultureller Unterschiede zumindest zwischen den Disziplinen hin.

Ab dem Zeitpunkt der Bewilligung geht die Projektarbeit von der Phase der Planung in die Phase der Durchführung über. Praktische Probleme der Projektorganisation und der Koordination der Forschungsarbeit treten nun in den Vordergrund. Zu den unmittelbaren und höchst sichtbaren Begleiterscheinungen internationaler Forschungsprojekte zählen die Notwendigkeit zur Kommunikation in der Fremdsprache sowie in der Regel ein erhöhter Reiseaufwand, um Treffen mit den Projektpartnern zu ermöglichen. Weniger sichtbar sind die interkulturellen und methodologisch-methodischen Herausforderungen, die die internationale Projektarbeit begleiten (Kuhn/Remoe 2005). Die genannten Problematiken werden im nächsten Abschnitt etwas ausführlicher dargestellt.

Bedeutsam ist, dass es bisher kaum wissenschaftliche Untersuchungen der interkulturellen Aspekte internationaler Forschungskooperationen gibt. Die wenigen publizierten Analysen stammen zumeist von Sozialwissenschaftler*innen, die ihre eigenen Erfahrungen in internationalen Projekten reflektieren (z.B. Cornish et al. 2007, Jertfelt/Blanchin/Li 2016, Mack/Loeffler 2003, Somekh/Pearson 2002, Thomas 1999), was der Reichweite und Systematik der Forschung zugleich Grenzen setzt. Eine der wenigen Arbeiten, die sich explizit der Praxis transnationaler Forschungsprojekte widmet, stammt von Kuhn und Remoe (2005), ist jedoch auf Forschungsprojekte begrenzt, die den spezifischen Kontextbedingungen des Forschungsrahmenprogramms der Europäischen Kommission unterliegen.

Zwar gibt es zahlreiche wissenschaftsethnografische Arbeiten, die sich dem Produktionsprozess wissenschaftlicher Erkenntnis im Detail widmen (exemplarisch: Knorr-Cetina 2002) sowie Studien zur interdisziplinären Zusammenarbeit von Wissenschaftlern (z.B. Laudel 1999, Loibl 2004, Röbbecke/Simon/Lengwiler/Kraetsch 2004, Röhlig 2018, Waag 2012), doch bleibt in diesen Arbeiten die Problematik transnationaler Zusammenarbeit ohne Beachtung. Bezüglich der Erkundung der konkreten Gestaltung von internationalen Wissenschaftskooperationen besteht daher bis heute erheblicher Forschungsbedarf.

Mit Projektende sind der Förderinstitution in der Regel sowohl ein Abschlussbericht als auch eine abschließende Dokumentation der Mittelverwendung vorzulegen. Zudem resultieren aus dem Projekt zumeist Publikationen, die die Projektergebnisse einem breiteren Publikum präsentieren. Die Endphase des Projekts ist deshalb in mehrfacher Hinsicht eine Bilanzierungsphase, in der Erträge sichtbar gemacht und Rechenschaft über das Geleistete abgelegt werden muss. Sind während der Durchführungsphase Konflikte aufgetreten, die nicht behoben werden konnten, erschwert dies die Koordination der Aktivitäten während der Abschlussphase. Doch selbst bei einem reibungslosen und erfolgreichen Projektverlauf ist die letzte Phase häufig von hohem Zeitdruck begleitet: Berichte und Belege sind termingerecht einzureichen, was eine gute Kooperation der beteiligten Wissenschaftler*innen und Verwaltungsabteilungen erfordert. Unerwartete Komplikationen sind dennoch häufig und können unterschiedlichste Aspekte betreffen: So wird eventuell erst in dieser Phase offenbar, dass die Berichtlegung Nachweise erfordert, die in einzelnen Partnerländern gar nicht ausgestellt werden (können); oder die Dokumentationen einzelner Institutionen bleiben aus, weil bei der Koordination nationale Feiertage und Ferienphasen einzelner Projektpartner nicht berücksichtigt wurden.