Interspace One - Andreas Suchanek - E-Book + Hörbuch

Interspace One Hörbuch

Andreas Suchanek

0,0

Beschreibung

Platz 2 beim Deutschen Science Fiction Preis 2023! Nominiert für den SERAPH 2023 in der Kategorie »Bestes Buch« Gestrandet auf einem feindseligen Planeten.Kein Kontakt zur Außenwelt.Und ein Mörder in den eigenen Reihen. Nach einer Reise zu einem weit entfernten Sonnensystem erwacht Commander Liam Mikaelsson in seinem Klonkörper, um mit seinem Team die geplante Erkundungsmission aufzunehmen. Doch etwas stimmt nicht. Sein Raumschiff ist auf einem unbekannten Planeten gelandet, zahlreiche Systeme sind ausgefallen. Und im Maschinenraum findet sich eine verkohlte Leiche. Gemeinsam mit der Sicherheitsspezialistin Kendra muss Liam herausfinden, wer die Mission verhindern will und ob ein Mörder unter ihnen ist. Ein Rennen gegen die Zeit beginnt, denn der Planet ist feindselig, und die Rückkehr nach Hause wird immer unwahrscheinlicher.

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:9 Std. 43 min

Sprecher:Richard Barenberg

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Entdecke die Welt der Piper Science Fiction:

www.Piper-Science-Fiction.de

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Interspace One« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Covermotiv: Guter Punkt, München, Andrea Barth unter Verwendung von Motiven von Shutterstock und Creative Market

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Zeitangabe

1. Kapitel

Liam Mikaelsson

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

Miguel Nunes

9. Kapitel

10. Kapitel

Liam Mikaelsson

11. Kapitel

12. Kapitel

Kendra Meisner

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Liam Mikaelsson

16. Kapitel

17. Kapitel

Moira Fournier

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Liam Mikaelsson

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

Kendra Meisner

24. Kapitel

25. Kapitel

Jan Fischer

26. Kapitel

27. Kapitel

Liam Mikaelsson

28. Kapitel

29. Kapitel

Kendra Meisner

30. Kapitel

31. Kapitel

Liam Mikaelsson

32. Kapitel

33. Kapitel

Miguel Nunes

34. Kapitel

35. Kapitel

Liam Mikaelsson

36. Kapitel

37. Kapitel

Miguel Nunes

38. Kapitel

39. Kapitel

Liam Mikaelsson

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

Kendra Meisner

43. Kapitel

44. Kapitel

Noel

45. Kapitel

46. Kapitel

Liam Mikaelsson

47. Kapitel

48. Kapitel

Jan Fischer

49. Kapitel

50. Kapitel

Kendra Meisner

51. Kapitel

52. Kapitel

Miguel Nunes

53. Kapitel

54. Kapitel

Liam Mikaelsson

55. Kapitel

56. Kapitel

Kendra Meisner

57. Kapitel

58. Kapitel

Miguel Nunes

59. Kapitel

60. Kapitel

Liam Mikaelsson

61. Kapitel

62. Kapitel

Akiro Tanaka

63. Kapitel

Jan Fischer

64. Kapitel

65. Kapitel

Liam Mikaelsson

66. Kapitel

Jan Fischer

67. Kapitel

Kendra Meisner

68. Kapitel

Liam Mikaelsson

69. Kapitel

Jan Fischer

70. Kapitel

Moira Fournier

71. Kapitel

Kendra Meisner

72. Kapitel

Liam Mikaelsson

73. Kapitel

74. Kapitel

Jan Fischer

75. Kapitel

Kendra Meisner

76. Kapitel

Moira Fournier

Epilog

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Explorationsdivision

3. Schale, Raumschiff: EXPO-EA-93

1. Oktober 3486, 09:01 GST

1. Kapitel

Liam Mikaelsson

Er öffnete die Augen.

Das war der schlimmste Moment. Obwohl er in zahlreichen Simulationen darauf vorbereitet worden war, kam nichts der Wirklichkeit auch nur nahe.

In einer einzigen Sekunde wurden seine Sinne überflutet – Geräusche, Gerüche, Wärme, Kälte und viel zu viel Licht stürmten auf ihn ein.

Vitalisierungsmedikamente durchfluteten seine Adern, trieben den Puls in die Höhe und das Herz an. Selbst das gedimmte Licht schmerzte in den Augen. Kein Wunder, denn er hatte sie noch nie benutzt, nicht mit diesem Körper.

Ein Surren erklang, wie eine Oszillationssäge, die über Metall riss. Bewegliche Metallgreifer fuhren Injektionsampullen heran. Luftdruck durchstieß die Hautschichten, noch mehr Medikamente flossen durch seine Blutbahn. Sensorlicht flackerte, tastete jeden Zentimeter von dem ab, was er jetzt war. Trotz des absolvierten Trainings und der stetig wiederholten Simulationen kam sein Geist nur langsam in Gang, die körperlichen Reaktionen waren mehr Instinkt als bewusste Entscheidung.

Sein Name war Liam Mikaelsson. Geboren am 1. März 3450 auf Terra. Vor genau 36 Jahren im schwedischen Sektor der Europäischen Allianz.

Und er war zweifellos wahnsinnig.

Anders konnte er es sich nicht erklären, dieses Selbstmordkommando angetreten zu haben.

Dieser Körper war fremd, beherbergte seinen Geist erst seit wenigen Sekunden. Er spürte glatte Haut, Muskeln und geschmeidige Beweglichkeit. Stimulatoren in Kombination mit konzentrierter Nährflüssigkeit hatten dafür gesorgt, dass dieser Klon kräftig war.

Dass er kräftig war!

Perfekt, um eine unwirtliche Umgebung zu erkunden. Der Körper benötigte wenig Nahrung, die Zufuhr von Multinährstoff-Riegeln und Vitamintabletten genügte.

Mit einem Ruck wurde der Beatmungsschlauch entfernt, den er gar nicht bewusst wahrgenommen hatte. Das änderte sich in der nächsten Sekunde. Ein Schwall grüner Flüssigkeit schoss aus seinem Mund. Er krümmte sich, zuckte und würgte. Dann waren die Atemwege wieder frei. Er zog die Luft tief in die Lunge, atmete zum ersten Mal das künstliche Atmosphärengemisch der Explorationseinheit.

Liam wollte aufstehen, rutschte jedoch auf der grünen Schmiere aus und landete auf seinem nackten Hintern im Klontank. Sicherheitshalber blieb er sitzen, atmete weiter tief durch und arbeitete an seiner Konzentration. Die Übertragung hatte offensichtlich funktioniert, ebenso die darauffolgende Implementierung. Während sein eigener Körper Hunderte von Lichtjahren entfernt in einem Stasistank ruhte, war sein Geist digitalisiert und das Bewusstseinsengramm durch die Weiten des Alls geschickt worden. Wofür das Raumschiff mit den Klonkörpern an Bord eine Reisezeit von vierzig Jahren benötigt hatte, waren es für die Engramme nur wenige Stunden.

Seine Gedanken wurden klarer. Ja, er erinnerte sich noch gut an den letzten Eindruck vom Koordinator. Kein aufmunterndes Nicken, stattdessen hatte dieser einen skeptischen Blick zur Schau getragen. Als glaube er sowieso nicht an eine erfolgreiche Mission. Die neblige Wärme hatte Liams Geist umfangen, gefolgt von dem Gefühl, zu fallen. So also war es, digitalisiert und mit einem Interspace-Pointer übertragen zu werden.

Von der Reise selbst hatte er nichts mitbekommen.

Er hob eine Hand. Wie nicht anders zu erwarten, war die Haut bleich, die Finger langgliedrig. Oberarme und Beine bildeten dicke Muskeln aus, am Bauch war kein Gramm Fett zu finden. Sobald er sich an diese Hülle gewöhnt hatte – und mehr war es letztlich nicht –, würde er seiner Aufgabe problemlos nachkommen können.

Er hielt sich am Rand des Klontanks fest und zog sich in die Höhe. Es gelang mit Leichtigkeit, und dieses Mal stürzte er nicht.

Das Metall des Bodens war kalt. Die Sensoren bemerkten den Druck auf den Platten und führten den Bakterien in den Leuchtröhren mehr Stimulationselektrizität zu. Die Biolumineszenz wurde verstärkt. Warmes Licht schwappte in den Raum. Geblendet schloss er die Augen, öffnete sie nur langsam wieder.

Überrascht sprang er einen Satz zurück.

Es war nur ein Spiegel, den die Kabinen-Kontrolleinheit ausgefahren hatte. Keine Gefahr. Seine Reflexe funktionierten ausgezeichnet, nur die Nerven waren überreizt.

Liam betrachtete sich eingehend und nickte zufrieden. Das hellblonde Haar klebte nass an der Stirn. Die Augen im Spiegel erwiderten seinen Blick leicht eingetrübt. Wie üblich besaß der Klon die Gesichtszüge des Originals, dessen Engramm ihn erstmals in Besitz nahm.

Der Körper war entsprechend den Spezifikationen herangereift, die Liam im Hauptquartier hatte einsehen dürfen. Da die Explorationsschiffe viele Jahre unterwegs waren, war das nicht immer der Fall. Manchmal kam es zu einer Unterversorgung mit Nährstoffen, die niemand bei ZENTRUM bemerkte. Nicht selten erreichte einer der Raumer sein Ziel, doch alle Klone waren verendet.

Sofort wandten sich Liams Gedanken dem nächsten Punkt zu: Was war mit den anderen – seinem Team?

Er wollte das Quartier verlassen, doch ein leichtes Glimmen am Schrank machte ihn auf etwas Wichtiges aufmerksam.

Die Türen der Einheit öffneten sich mit einem Zischen und gaben den Blick auf den Inhalt frei. Sauber gefaltete Bordkleidung lag bereit: Stiefel, Unterwäsche und eine multifunktionelle Hose aus schwarzen Spezialpolymeren, dazu eine ebensolche Jacke. An der Brustseite war ein Schild mit seinem Namen und seiner Funktion aufgenäht. Er streifte die Kleidung über. Daneben wartete ein kleines graues Etui. Er öffnete es mit der Berührung des rechten Daumens und entnahm von den vier bereitliegenden Gegenständen den Injektor.

Zwar hatte er von Injektionen genug, doch er folgte dem Protokoll und setzte ihn sich an den Hals. Ein leichter Druck, das Zischen der Druckluft erklang; der Transponder fand seinen Weg in Liams Körper. Ab sofort wurden seine Vitalwerte von der KI des Schiffs aufgezeichnet. Er griff nach der Pille aus dem Etui und legte sie in den Mund. Hauchdünne Tentakel fuhren aus und bohrten sich in seinen Kieferknochen, gruben sich hinein wie ein Wühlbot, der den Untergrund aufbrach. Es knackte.

Damit war auch der Sender implantiert. Eingehende Kontakte wurden über den Knochen direkt in seinen Gehörgang weitergeleitet. Wenn er sprach, konnte er das Gesagte an jedes Teammitglied übertragen.

Er entnahm das Fläschchen aus dem Etui und tropfte sich die enthaltene Flüssigkeit in beide Augen. Ein winziger Film aus Nanomolekülen entstand, verband sich mit dem Sehnerv und bildete ein aktivierbares Anzeigefeld – das EyeSign – aus. Durch Anvisieren verschiedener Icons konnte er Funktionen auslösen oder stoppen.

Er blinzelte.

Außer der Visualisierung seiner selbst als winziger Punkt mit ID war noch kein Teammitglied sichtbar.

Er war allein.

Zum ersten Mal verspürte er eine leichte Unruhe. Sie hätten alle gleichzeitig erwachen sollen.

Schnell entnahm er die hauchdünne Folie aus dem Etui und klebte sie auf seinen linken Handrücken. Der Molekularkleber verband den SmartCom mit der Haut und generierte einen Verschlüsselungsalgorithmus basierend auf seiner DNA. Das Gerät konnte noch keine Verbindung mit der KI des Schiffes herstellen, was jedoch nicht verwunderlich war. Er musste sich zuerst in der Zentrale autorisieren, um Zugriff auf die Systeme zu erhalten. Die Schaltkreise in der Folie waren unsichtbar, bargen ein leistungsfähiges System, das es mit einem Basiscomputer aufnehmen konnte.

Fertig ausgerüstet trat Liam auf die Kabinentür zu.

Mit einem sanften Schleifgeräusch fuhr sie beiseite.

Rotes Licht flutete den Gang.

Ein Blick genügte, und ihm wurde klar, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.

2. Kapitel

Liam berührte den SmartCom, um die rudimentären Daten abzurufen, auf die er auch ohne Kommandoautorisierung zugreifen konnte. Die Ergebnisse erschienen auf dem EyeSign in seinem Gesichtsfeld. Das Atmosphärengemisch innerhalb des Schiffs war in Ordnung, keine Giftstoffe feststellbar. Stellare Strahlung war nicht zu erkennen, die Hüllenpanzerung also intakt. Eine kurze Diagnose ergab, dass der SmartCom ordnungsgemäß funktionierte.

Die biolumineszenten Streifen in der Wand pulsierten tiefrot, doch es gab keine Durchsage über das Interkomsystem, der Kommunikationstransmitter schwieg.

Seine Stiefelsohlen klackten auf dem Metallboden. Die Luft roch sauber, aber abgestanden. Die Konsolen in der Wand waren aktiv, die Touch-Elemente jedoch nicht anwählbar. Die Verbindung zum Hauptcomputer schien unterbrochen zu sein.

Liam verzichtete darauf, den multidirektionalen Lift herbeizurufen. Falls die interne Technik eine Fehlfunktion aufwies, konnte er zur Todesfalle werden. Stattdessen nahm er die Wartungsröhren, was bei einem Raumschiff mit acht Decks und zahlreichen Spezialmodulen viel zu lange dauerte.

Die biometrischen Sensoren erkannten die Signatur seines Klonkörpers und entriegelten das Panzerschott. In der Zentrale erwarteten ihn rot leuchtende Icons auf Konsolen und zwei ausgefallene Displays. Es gelang ihm nach mehreren Fehlversuchen, das Log-in-System zu aktivieren und seinen Zugang freizuschalten. Die Kerndatenbank war in Ordnung. Die DNA-Sequenz wurde akzeptiert, Sensoren im Sitz prüften die Signatur seiner Gehirnwellen, um das digitale Template abzugleichen. Liam erhielt die Kommandoeinstufung und Zugriff auf alle Schiffssysteme.

Ein Abruf der Position ergab, dass die EXPO-EA-93 ihren Zielpunkt erreicht, aber nicht wie vorgesehen eine orbitale Umlaufbahn eingenommen hatte – die Explorationseinheit war gelandet.

»Was ist hier verdammt noch mal passiert?«, flüsterte er.

Ein Blinzeln genügte, und in seinem Sichtfeld erschien die Anzeige des Klonsystems. Es wirkte, als habe die KI ein Hologramm in den Raum projiziert, was natürlich nicht stimmte. Nur wer über ein EyeSign Systemzugriff besaß, konnte die Skalen und Daten, Displays und Symbole als Erweiterung der Realität im Sichtfeld wahrnehmen. Gleiches galt für die Oberflächen der Terminals. Für Besucher des Schiffs waren die Touch-Konsolen nur deaktivierte dunkle Flächen, und es gab kein schwebendes Hologramm mitten im Raum. Marker an den Geräten zeigten an, wo die Elemente der Augmented Reality angezeigt werden sollten.

Ein heißer Schreck durchfuhr Liams Nervensystem, als er die Indikatoren der Klontanks überprüfte. Von den fünfundzwanzig Einheiten waren nur fünf online. Jene, in der er selbst erwacht war, und vier weitere. Das ergab eine Verlustquote außerhalb der normalen Parameter. Der Erfolg der Mission stand auf dem Spiel. Das Protokoll sah für diesen Fall eindeutige Handlungsabfolgen vor.

ZENTRUM konnte digitalisierte Bewusstseinsinhalte der Admiralität übertragen oder hinterlegte KI-Cluster mit Kommandoalgorithmen freischalten. Aufgrund der Kosten und des Energieaufwands geschah meist Letzteres. Liam aktivierte die Notfallprozedur zur Aktivierung des KI-Clusters, erhielt jedoch erneut einen Fehlercode zurückgemeldet.

Gleichzeitig wechselte der Indikator eines weiteren Klontanks von grün zu rot.

»Verdammt!«

Liam schlug mit der Faust auf die Lehne des Kommandantensitzes. Damit war die Mission nicht mehr durchführbar, das Minimum unterschritten. Er musste dafür sorgen, dass die übrigen Teammitglieder ihre Klonkörper bezogen, damit sie gemeinsam die Extraktionsscanner reparieren konnten. Andernfalls schwanden die Chancen auf eine erfolgreiche Rückübertragung zu ZENTRUM. Sie würden hier draußen sterben.

Ein kurzer Abgleich mit der Datenbank ergab, dass das digitale Abbild des Chefingenieurs zu den Verlusten zählte. Sein Klon war aufgrund mangelnder Nahrungszufuhr verendet. Gemäß dem Protokoll war die Übertragung umgehend terminiert worden. Auf der Verlustliste standen auch der Genkonstrukteur, die Sensorspezialistin, der Navigator und die Taktikspezialistin. Die Cyberspezialistin hatte es ebenfalls erwischt.

Liam massierte sich die Schläfen und überlegte, was er als Nächstes tun sollte, was er tun konnte.

Der Zielplanet, auf dem sie sich befanden, stand nicht auf der vom Geheimdienst extrahierten Zielliste der Arktischen Allianz, der Asiatischen Hegemonie oder eines anderen Machtblocks.

Als Liams Blick auf den Namen des sechsten ausgefallenen Klons fiel, fluchte er. MedSpec Miguel Nunes, der Arzt des Teams.

»Aufzeichnung Missionsleiter Liam Mikaelsson, Commander.« Seine Worte aktivierten die Logbuchfunktion im Kommunikationstransmitter. »Beginne Analyse von Explorationsmission XPO-EA-93. Meine Implementierung in den neuen Klonkörper verlief fehlerfrei, konnte jedoch von keinem Gen-Konstrukteur geprüft werden. Aufgrund technischer Fehler betragen die Verluste weit über fünfzig Prozent. Laut Protokoll muss ich die Mission abbrechen, doch aktuell existiert keine Verbindung zu ZENTRUM, der Interspace-Pointer ist beschädigt, eine Rückübertragung somit derzeit unmöglich. Ich werde versuchen, das Modul wieder instand zu setzen, aber meine technischen Fähigkeiten sind begrenzt. Aufzeichnung Ende.«

Er ließ die Hand sinken, die er reflexartig vor den Mund gehoben hatte. Eine sinnlose Geste, schließlich übertrug der Kommunikationstransmitter in seinem Kieferknochen jedes Wort in den Speicherchip des SmartComs.

Für einige Sekunden überfiel ihn Mutlosigkeit. Er war gestrandet auf einer Explorationseinheit Hunderte von Lichtjahren entfernt von der menschlichen Zivilisation. Selbst wenn sich der Planet als perfekt für eine Kolonisierung erwies, würde er die Information nicht übermitteln können. Was also blieb noch zu tun?

Ein Blick auf die Algorithmensequenzen des Implementierungsprotokolls zeigte ihm, dass die verbliebenen vier Klone voll lebensfähig waren, aber schliefen. Er nahm Zugriff auf den Interspace-Pointer und fand den Fehler auf Anhieb. Die digitalen Bewusstseinsinhalte hingen im Übertragungspuffer fest. Dank des Basistrainings konnte er die Schleife lösen, die Implementierung wurde fortgesetzt.

Liam beschloss, einen Blick nach draußen zu werfen. Er wollte die Oberfläche jener Welt sehen, auf der sie außerplanmäßig gelandet waren. Seine Finger glitten über die Touch-Konsole des Kommandodisplays, um die notwendigen Befehle zu erteilen.

Doch ein Geräusch hielt ihn zurück.

Das Schott der Zentrale entriegelte. Es befand sich noch jemand auf dem Schiff!

Liam sprang auf. Mit einem Satz war er am Waffenfach. Die Sensoren erkannten die sich nähernde Hand und gaben den Waffentresor frei.

Er griff hinein.

Der Lauf des NanoJammers fühlte sich kalt an, versprach aber gleichzeitig ein Gefühl von Sicherheit. Das Magazin war gefüllt mit Nanodepots, die einfache Kleidung durchdringen konnten. Je nach Einstellung besaßen sie betäubende, lähmende oder sogar tödliche Wirkung.

Das Panzerschott fuhr zur Seite.

Er wirbelte herum und richtete den Lauf auf jene Person, die soeben die Kommandobrücke betrat.

Und riss entsetzt die Augen auf.

3. Kapitel

Vor ihm stand ein Junge. Er mochte dreizehn Jahre alt sein, keinesfalls älter. Dichtes schwarzes Haar umrahmte ein kindliches Gesicht. Die Hautfarbe war von einem hellen Braun, die Züge wiesen einen südamerikanischen Einschlag auf.

Liam ließ die Waffe sinken.

Es musste sich um eine Psychose handeln, die durch eine Überlastung seines neuronalen Nervensystems in Kombination mit einem hormonellen Ungleichgewicht herbeigeführt worden war. Es war völlig unmöglich, dass ein Kind hier auf der Kommandobrücke einer Explorationseinheit stand.

»Sie sind Liam Mikaelsson?«, fragte der Kleine.

»Korrekt«, erwiderte er mit klarer Stimme, aber nicht weniger verwirrt.

»Schauen Sie nicht so entsetzt«, sagte der Junge patzig. »Ich bin MedSpec Miguel Nunes. Laut Datenbank gab es einen Fehler bei der Klonkonstruktion. Aufgrund des Maschinenversagens wurde ich in eine unfertige Version implementiert, bevor es zu einem endgültigen Versagen meiner Einheit kam.«

Erst jetzt merkte Liam, dass der Junge eine Standarduniform trug. Die Fasern hatten sich automatisch zusammengezogen, um den Stoff der Größe des unausgewachsenen Körpers anzupassen. Auf der linken Brustseite prangte das Emblem mit Namen und Funktion.

»Sie hatten Glück.« Dank seines erhöhten Stoffwechsels und des verbesserten Nervensystems konnte Liam sich umgehend auf neue Situationen einstellen, was minütlich besser funktionierte. »Es gibt einen Ausfall von über fünfzig Prozent.«

»Über fünfzig?«, echote Nunes.

Sofort schlug Liams Beschützerinstinkt an. Er musste sich vergegenwärtigen, dass im Inneren des Kinds ein erwachsenes Engramm wohnte. »Ich bin sogar von einem höheren Wert ausgegangen, als von Ihrem Tank ein Fehler gemeldet wurde. Ein Abbruch der Mission ist unmöglich, aber das wissen Sie vermutlich bereits.«

»Kaum«, gab Nunes zurück. Er kam herbeigeflitzt und starrte auf die nächststehende Konsole. »Für mich nur eine dunkle Fläche, mein EyeSign ist nicht freigeschaltet. Da dieser Klonkörper nicht ausgewachsen ist, stimmen meine Gehirnwellenmuster nicht mit jenen in der Datenbank überein, ich habe keinen Zugriff auf das Basisset bekommen.«

»Wie konnten Sie das Schott der Kommandobrücke öffnen?«

»DNA-Sequenz. Hier drinnen hilft mir das leider nicht weiter.«

Liam ging zur Wand und entnahm aus einem der Tresore ein Basisset für Nunes. Er konnte es problemlos aufklappen und überreichte dem MedSpec die Geräte. Der setzte sich Transponder, Kommunikationstransmitter und EyeSign ein, klebte abschließend den SmartCom auf. Liam aktualisierte das Gehirnwellenmuster mit seinem Kommandozugriff und schaltete den MedSpec für seinen Bereich frei.

»Wie ich sehe, sind die übrigen Implementierungen in Gang«, sagte Nunes, während er auf das nun auch für ihn sichtbare Hologramm blickte. »Besteht unmittelbare Gefahr für das Schiff?«

»Die Nahbereichssensoren sind aktiv und melden keinerlei Bedrohung«, entgegnete Liam. »Sie müssen sich nicht sorgen.«

»Tue ich nicht. Aber wenn keine Gefahrensituation bevorsteht, erwarte ich Sie umgehend zu einem vollständigen Scan auf der medizinischen Station.«

Innerlich fluchte Liam. Der Kleine quatschte nicht nur so hochgestochen daher wie ein typischer MedSpec, seine Stimme ließ auch kein Quäntchen an Autorität vermissen. Laut Missionsprotokoll musste den Anweisungen eines MedSpec stets Folge geleistet werden, falls keine gewichtigen Gründe dagegensprachen.

»Ich sollte zuerst …«

»Fangen Sie lieber gar nicht erst an«, unterbrach ihn Nunes und stemmte seine Fäustchen in die Hüfte. »Wir gehen jetzt zur medizinischen Station!«

Damit wandte er sich ab und verließ die Zentrale.

Liam folgte ihm, immerhin war er Profi. Dass er Nunes innerlich übers Knie legte, spielte keine Rolle. Und dass er bei dem Gedanken schmunzelte, ebenfalls nicht.

Da die internen Systeme funktionierten, nutzten beide dieses Mal den multidirektionalen Lift, der sie zum Ziel brachte: die Krankenstation. Das Schott öffnete sich vor ihnen.

»Was ist hier passiert?« Nunes überblickte entsetzt das Chaos.

Alle möglichen Injektoren lagen am Boden, Saphirglasflächen zur Projektion von Patientendaten wiesen verästelnde Risse auf, Körpersensoren waren zerschmettert worden.

»Diese verdammte KI hätte das Schiff auch sanfter landen können!«, blaffte Nunes. »Ohne einen TecSpec bekommen wir die Geräte nicht wieder einsatzbereit.«

»Geben Sie Ihr Bestes.« Liam hob ein heruntergefallenes MemPad auf und legte es auf den nächsten Touch-Desk. »Vielleicht sollten Sie erst einmal alles aufräumen.«

»Netter Versuch. Setzen Sie sich auf eine der Liegen«, befahl Nunes.

»Überprüfen Sie doch bitte einmal Ihren Hormonhaushalt«, gab Liam gelassen zurück. Er sank auf die zugewiesene Liege, die vollständig intakt war.

»Wozu? Mein Hormonhaushalt ist eine Katastrophe, schließlich bin ich ein heranwachsender pubertärer Junge. Stellen Sie sich gefälligst darauf ein. Und jetzt hinlegen!«

Sensorgreifer fuhren aus der Wand. Lichtflächen tanzten über Liams Körper. Immerhin musste er sich nicht entkleiden. Ein Teil der Daten wurde von den Sensoren auf der Innenseite seiner Uniform an den MedCore übertragen.

»Die DNA Ihres Klons weist keine Off-Target-Mutationen auf, Glückwunsch. Ihr Gehirnwellenmuster ist ebenfalls stabil.«

»Ausgezeichnet.«

Liam erhob sich. Sein EyeSign meldete mit einer kurzen Einblendung, dass sich einer der Klontanks geöffnet hatte. Sein Team erwachte. Oder eben das, was davon übrig war.

»Prüfen Sie die anderen und schicken Sie sie dann in die Zentrale. Sobald alle durch sind, kommen Sie ebenfalls.«

»Natürlich.« Nunes war bereits dabei, Daten über die Konsolen einzugeben, Reparaturbots anzufordern und die Reinigung der Räume einzuleiten.

Liam verließ die medizinische Station mit der Gewissheit, dass wenigstens seine Implementierung korrekt funktioniert hatte. Die interne Infrastruktur und Energieversorgung waren ebenfalls gewährleistet. Das erklärte jedoch nicht, weshalb die Basis-KI der EXPO-Einheit die Landung eingeleitet hatte. Ein derartiger Vorgang durfte nur mit der Zustimmung des Missionsleiters durchgeführt werden. Einzige Ausnahme: unmittelbare existenzielle Gefahr für Schiff oder Crew. Doch nichts deutete auf eine solche Lage hin.

Während der Lift ihn wieder in Richtung Zentrale trug, überprüfte Liam mit seinem EyeSign die Sensoraufzeichnungen. Es gab keine Anomalie. Die EXPO-EA-93 war ordnungsgemäß am 1. September 3486 im Zielsystem eingetroffen. Das Signal zur Anforderung der Engramme hatte ZENTRUM erreicht. Die Admiralität hatte die Spezialisten einbestellt und die Übertragung eingeleitet. Der Abbremsvorgang dauerte einen guten Monat, weshalb das Team am 13. September hätte eintreffen sollen und noch gut zwei Wochen gehabt hätte, um sich einen Überblick zu verschaffen und an die Körper zu gewöhnen.

Doch anders als geplant waren sie am 1. Oktober 3486 erwacht. Irgendetwas hatte ihre Ankunft, die Implementierung und das Erwachen also verzögert. Sensoraufzeichnungen über diese zurückliegenden zwei Wochen gab es keine. Nicht ein Bit befand sich noch in der Datenbank.

Ohne Kontakt zu ZENTRUM würden sie dieses Rätsel nicht lösen können.

Das Schott der Zentrale fuhr zur Seite.

Liam bemerkte unterbewusst, dass es sich hinter ihm wieder schloss, gefolgt vom typischen Geräusch einrastender Sicherheitsbolzen.

Seine Gedanken beschäftigten sich bereits mit einem weiteren Problem. Im Gegensatz zu MedSpec Nunes hatte Liam eine vollständige Sicherheitsausbildung erhalten. Aus diesem Grund war ihm sofort aufgefallen, dass die Zerstörung auf der Krankenstation keinesfalls durch den Absturz erfolgt war. Jemand hatte diesen Schaden verursacht.

Was war in den zwei Wochen, über die es keine Aufzeichnung gab, geschehen?

4. Kapitel

Nunes hatte Wort gehalten, und so trafen die übrigen Missionsspezialisten nacheinander ein. Im an die Zentrale anschließenden Konferenzraum rief Liam sie alle zusammen.

»Das gefällt mir nicht«, meldete sich Kendra Meisner umgehend zu Wort. Die SecSpec war für die Sicherheit der Mission verantwortlich, Nahkampfexpertin und entstammte dem Afrikanischen Bund, der mit der Europäischen Allianz assoziiert war. »Ich habe eine Analyse durchgeführt und jetzt noch mehr Fragen als vorher.«

Als Security Spezialist war Kendras Klonkörper auf maximale Geschwindigkeit und Stärke optimiert. Sie war gertenschlank, die Muskeln ausgehärtet. Das dunkle Haar war kurz, und die Hautschichten waren auf molekularer Ebene verstärkt worden, von ihren Sinnen gar nicht zu reden. Zusätzlich vermochte sie ähnlich schnell wie Liam zu reagieren und zu analysieren.

»Wir wissen nicht, was in den zwei Wochen des direkten Anflugs geschehen ist und weshalb die EXPO-EA-93 landete. Fest steht, dass die Zerstörung umfangreich ist und aktuell keine Kommunikation mit ZENTRUM zulässt. Wir werden die Mission gemäß Protokoll durchführen, bis wir wieder Kontakt herstellen können.« Liam schenkte jedem einen kurzen professionellen Blick.

Nunes nickte eifrig. »Wir haben überhaupt keine Wahl. Es wird dauern, bis wir unsere Engramme zurücktransferieren können. Warum die Zeit also nicht nutzen?«

Liam war klar, dass der MedSpec im Falle eines sofortigen Missionsabbruchs allein hätte hierbleiben müssen. Erst wenn sein Körper ausgewachsen war, war die ursprüngliche neuronale Struktur wiederhergestellt. Vorher war ein Transfer über Interspace-Pointer für ihn mit enormen Risiken verbunden.

»Ich habe die Xenoabteilung untersucht«, meldete sich Jan Fischer zu Wort. Der XenoSpec musste den Zielplaneten auf das mögliche Vorhandensein anderer Kulturen überprüfen. Eine Freigabe für die Besiedlung erteilte der Weltrat nur, wenn die jeweilige Ökosphäre vollständig unbewohnt war. »Die Hälfte der Ausrüstung ist beschädigt, aber die verbliebene reicht aus.« Der Körper von Jan Fischer war drahtig und nicht so muskulös wie der von Liam. Er hatte schwarzes Haar, das länger gewachsen war. Neben den Basiserweiterungen lag der Fokus seines Klonkörpers auf einer Verbesserung der geistigen Kapazität. Er musste verborgene Muster und Strukturen erkennen sowie andere Kulturen analysieren.

»Ist bei mir ähnlich«, ergänzte die Letzte im Bunde. Moira Fournier war die EnviSpec. Früher hätten die Menschen von Terra sie schlicht Anthropologin genannt. Ihre Aufgabe war es, Proben von Flora und Fauna zu entnehmen und in den schiffseigenen Laboren zu untersuchen. Die Ergebnisse landeten normalerweise umgehend bei ZENTRUM. »Eingeschränktes Arbeiten ist aber möglich.« Moira besaß schulterlange rotblonde Haare, die innerhalb kürzester Zeit ausgewachsen waren. Die Wärme in ihrer Stimme bildete einen angenehmen Kontrast zur professionell-unterkühlten Art von Kendra Meisner.

Als Missionsleiter kannte Liam die Spezifikationen der Klone. Durch geschickte Anpassung der Adrenalin- und Noradrenalinausschüttung bekamen sie nicht so schnell Angst. Der Stress hielt sich ebenso in Grenzen. Der Fokus lag auf offensiver Reaktion, kein vorsichtiges Abwarten.

Die Einzige im Bunde, die unruhig wirkte, war Kendra Meisner. Sie hatte ebenfalls begriffen, dass ihre Probleme über das hinausgingen, was in den Sensoren fehlte.

»Doktor Fischer, Doktor Fournier, bereiten Sie alles für eine Probeentnahme vor. Mister Nunes, stellen Sie mir eine Ausrüstung zusammen. Aufgrund der Einschränkung Ihres Körpers nehmen Sie an der ersten Erkundung nicht teil.«

»Aber …«

»Ersparen Sie mir jede weitere Diskussion«, unterbrach dieses Mal Liam den MedSpec.

Fournier, Fischer und ein wütender Nunes zogen von dannen.

Nachdem sich das Schott des Konferenzraums hinter ihnen geschlossen hatte, verschränkte Kendra Meisner die Arme vor der Brust. »Was ist hier los?«

»Während Sie noch implementiert wurden, habe ich eine fraktale Analyse über die Datenbank laufen lassen«, erklärte Liam. »Die Sensoren sind nicht ausgefallen, wie es das Protokoll vermuten lässt. Jemand hat die Aufzeichnungen gelöscht.«

»Sowie die medizinische Station verwüstet und die Drohnen beschädigt«, ergänzte Meisner. »Schauen Sie nicht so überrascht, ich kann menschliches Einwirken erkennen, wo es stattgefunden hat. Aber wie ist das möglich?«

»Ich gehe davon aus, dass die Klontanks nicht aufgrund einer zufälligen Beschädigung ausgefallen sind«, erklärte Liam. »Fehlende Sensoraufzeichnungen beim Anflug, eine nicht genehmigte Landung, gelöschte Protokolle und sabotierte Implementierungen. Zerstörte medizinische Daten und keine Verbindung zu ZENTRUM. Das alles deutet für mich auf Sabotage hin.«

»Aber die könnte nur von extern erfolgt sein«, nahm Meisner den Ball auf. »Hier an Bord kann während des Flugs niemand gewesen sein. Wie lange ist die EXPO mittlerweile im All?«

»Vierzig Jahre.« Liam hatte alle Daten verinnerlicht, bevor sein Bewusstsein übertragen worden war. »Vergessen wir aber nicht das Zeitfenster.«

»Theoretisch möglich«, gab Meisner nach einem Augenblick des Zögerns zu. »Denken Sie an eine xenobiologische Lebensform?«

Liam schüttelte den Kopf. »Wer auch immer diese Sabotage verübt hat, wusste ganz genau, was er tun musste, ist mit menschlicher Technologie also vertraut. Das waren zielgerichtete Aktionen. Nein, mein Gedanke geht in eine andere Richtung.«

»Die Arktische Allianz.« Meisners Stimme klang heiser. »Ihr Vorgehen ist in den letzten Jahren immer aggressiver geworden.«

»Falls ihre KI diese Welt ebenfalls als potenzielle Kolonie errechnet hat, hätten sie ein Schiff auf den Weg schicken können.«

»Ohne dass einer unserer Tiefraumsensoren es bemerkt? Dafür ist ihre Stealth-Technologie nicht fortschrittlich genug, wir konnten jeden bisherigen Versuch, sich vollständig zu tarnen, neutralisieren. Ich habe den letzten Bericht des Geheimdiensts sehr genau studiert.«

»Ich habe keine Antworten«, gestand Liam. »Aber jemand kam von dort draußen herein. Jemand, der sehr genau wusste, wie er uns schaden kann. Unsere Engramme im Puffer festzuhalten, ist brillant. Sie kennen das Protokoll. Falls wir uns innerhalb von zwei Jahren nicht zurückmelden, wird der digitale Tresor geöffnet. Unsere Bewusstseinskopien werden in die Originalkörper eingesetzt, und das war’s. Die EXPO-EA-93 würde als Verlust gelten.«

»Ein Schicksal, das uns durchaus noch blühen könnte«, gab Meisner zu bedenken. »Immerhin können wir bisher keine Verbindung herstellen. Aber konzentrieren wir uns auf das naheliegende Problem: Wenn Ihre Theorie korrekt ist, gibt es dort draußen ein Schiff der Arktischen Allianz. Die werden mitbekommen haben, dass wir gelandet sind.«

»Ich lasse die Nahbereichssensoren bereits nach Drohnen Ausschau halten«, erwiderte Liam. »Doch letztlich wird uns nur eine Expedition Aufschluss bringen. Während wir draußen sind, wird Doktor Nunes das Schiff nach DNA-Rückständen absuchen.«

»Haben Sie an die Möglichkeit gedacht, dass der Saboteur noch hier an Bord ist?«

»Natürlich. Die internen Sensoren haben alles abgesucht. Es gibt keine Biosignaturen außer der des Teams.«

»Sensoren kann man täuschen und Lebenszeichen maskieren.« Meisner erhob sich. »Ich durchsuche dieses Schiff von oben bis unten. Dann können wir uns draußen umsehen.«

Sie hatte das Schott bereits erreicht, als Liam ihr nachrief. »Gute Idee. Erlaubnis erteilt.«

Die SecSpec lachte auf. »Danke, Sir.« Ein kurzes Zwinkern, dann war sie fort.

5. Kapitel

Die EXO-EA-93 hatte sie auf einer erdähnlichen Welt abgesetzt.

Liam fühlte einen Anflug von Stolz, während er sich der inneren Schleuse näherte. Bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts war GJ 1214 b entdeckt worden. Der Planet befand sich fünfzig Lichtjahre von der Erde entfernt – in der dritten Explorationsschale – und gehörte zur Riege der extrasolaren Supererden. Die anfängliche Vermutung, dass es sich wegen der Wasserdampf-Atmosphäre um einen Ozeanplaneten handelte, hatte sich nicht bestätigt. Im Jahre 3187 hatten Wissenschaftler herausgefunden, dass es unter dem Wasserdampf eine dichte, grüne Vegetation gab.

Das Rennen um neue Kolonien war mit der Weiterentwicklung des Ionenantriebs im Jahre 3190 endgültig ausgebrochen. Die schwindenden Ressourcen von Terra trieben die Machtblöcke auf der Erde dazu, das Bestehende zu erhalten sowie neue Planeten zu besiedeln. Die unterschiedlichen politischen Ausrichtungen verhinderten jedoch eine Zusammenarbeit, und so schwelte ein Schattenkrieg um Informationen, Technologien und Ressourcen.

Der Gedanke, als erster Mensch eine neue Welt zu betreten, ließ Liams Puls trotz seines genetischen Designs schneller schlagen.

»Die Nahbereichssensoren haben im direkten Umfeld keine Infrarotsignaturen entdeckt«, meldete Meisner. »Eine vollständige Luftaufklärung wäre mir lieber gewesen, aber da unsere Drohnen zerstört wurden …«

Nacheinander betraten die SecSpec, Fournier, Fischer und Liam die Schleuse. Die ExoSuits bestanden aus programmierbaren Nanopartikeln, die aus einem angelegten Gürtel expandierten und den Körper umhüllten. Die inneren Schichten vermochten sich beim Aufprall kinetischer Energie zu verhärten, die Oberfläche fühlte sich an wie dünnes Plastoplex. In den Halskrausen befanden sich Helme, die sich notfalls blitzschnell entfalten konnten.

Doktor Fischer trug diverse Handsensoren bei sich, die an seinem Gürtel hingen. Moira Fournier hatte Probenbehälter mitgebracht, um eine erste Analyse zu tätigen.

Mit einem »Falls Sie dort draußen sterben, beschweren Sie sich nicht bei mir« hatte Nunes sich verabschiedet. Glücklicherweise hatte er das Grinsen auf den Gesichtern der anderen nicht bemerkt.

»Er ist irgendwie knuffig«, hatte Meisner erklärt und damit endgültig klargemacht, dass sie wenig Wert auf Protokoll legte. Überhaupt schien sie jede Herausforderung sehr locker anzugehen.

Das Außenschott fuhr zischend zur Seite.

Nacheinander verließen sie die Schleuse, Meisner und Liam gingen voran. Sie hatten ihre NanoJammer gezogen und schwenkten die Läufe.

Noch während sein Unterbewusstsein nach potenziellen Gefahren suchte, spürte er einen kurzen Anflug von Entsetzen.

»Was soll das?«, erklang die Stimme von Fischer. »Sollte GJ 1214 b nicht eine Ozeanwelt mit weitläufigen Dschungelgebieten sein?«

»Sollte es«, sagte Liam tonlos.

Weite Ebenen aus brauner Erde erstreckten sich bis zum Horizont, nur durchbrochen von kurzen Einschlägen zäher Pflanzen, die der immensen Sonneneinstrahlung standhielten. Geröll und größere Gesteinsbrocken ragten aus dem Boden.

»Die Atmosphäre ist erdähnlich«, meldete Fischer, nachdem er seine Sensoren geprüft hatte. »Die Zusammensetzung entspricht allerdings nicht der von GJ 1214 b.«

»Vergessen wir dabei nicht, dass die Xenoanthropologen lediglich Hypothesen aufgestellt haben«, warf Meisner ein.

Ein durchschaubarer Versuch, die Wissenschaftler zu beruhigen. Liam kannte die hypothetischen geologischen und atmosphärischen Daten, die auf den Beobachtungen der Tiefraumsensoren basierten. Diese Umgebung wich so gravierend davon ab, dass es sich nicht um einen Fehler handeln konnte.

»Machen Sie sich nicht lächerlich!«, rief Moira Fournier. »Ich bin EnviSpec und kann Ihnen versichern, dass die wissenschaftlichen Daten keinesfalls derart falsch gewesen sein können.«

Liam bewegte sich ein paar Schritte über den braunen Boden und betrachtete die Umgebung eingehend. Sein EyeSign zeichneten alles auf und leitete die Daten an den Chip im SmartCom weiter.

»Möglicherweise hat ZENTRUM uns auf ein anderes Schiff geschickt«, überlegte Fischer. »Falls die EXPO-EA-93 zerstört wurde.«

»So etwas ist ohne Rücksprache verboten«, erklärte Meisner. »Das wissen Sie genau. Außerdem hat die Datenbank des Schiffs uns erkannt und die Klonkörper über mehrere Jahre entsprechend den Spezifikationen entwickelt.«

»Computer kann man täuschen«, gab Fischer zurück.

Anstatt etwas zu erwidern, ging die SecSpec am Rumpf des Raumschiffs entlang. Wie alle Explorationseinheiten wies die EXPO-EA-93 ein ovales Chassis mit diversen angeflanschten Modulen auf. Über meterdicke Leitungen war der Ionenantrieb mit der Haupteinheit verbunden, zumindest normalerweise. Bei Landungen auf Planeten wurde dieser abgekoppelt und mit Gravitationsankern im All zurückgelassen. Der Antigrav genügte, um das Schiff auf der jeweiligen Welt abzusetzen. So war es auch hier geschehen. Dass ein Teil des anthrazitfarbenen Ovals im Erdboden steckte, war ein Zeichen dafür, dass der Antigrav eine Fehlfunktion aufwies.

»Kommen Sie her!«, rief Meisner.

Mittlerweile hatte sie den Rumpf umrundet und war außer Sichtweite.

Die SecSpec erwartete sie mit einem triumphierenden Blick und deutete auf eine Stelle des Rumpfs. In großen Lettern stand dort: EXPO-EA-93. »Damit wäre jede ominöse Verschwörungstheorie hinfällig.«

»Dann gibt es nur eine Erklärung.« Moira Fournier machte eine ausladende Geste, die den Horizont einschloss. »Das hier ist nicht GJ 1214 b. Die Explorationseinheit wurde umgeleitet.«

Eine Theorie, die ein Dutzend weiterer Fragen aufwarf. Doch Liam musste zugeben, dass er den exakten Vektor des Schiffs nicht überprüft hatte; das war normalerweise eine Standardprozedur, die der Navigator oder die Navigatorin durchführte. Sie waren in ein Sonnensystem eingedrungen und hatten sich dort der habitablen Welt genähert.

»Ist das etwa möglich?«, fragte Meisner, die seinen Blick bemerkt hatte.

»Wir müssen das überprüfen«, gab er zurück. »Aber zuerst will ich mir einen Überblick verschaffen.«

»Zweierteam?«, fragte sie.

»Negativ. Zu gefährlich.«

Sie nahm es schweigend zur Kenntnis. Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung. Die SecSpec bildete die Spitze der Gruppe, Liam die Nachhut. Beide Wissenschaftler bezogen Position in der Mitte und konzentrierten sich hauptsächlich auf die umgebenden Faktoren ihres jeweiligen Fachgebiets: Moira Fournier entnahm Gesteins- und Bodenproben, Jan Fischer arbeitete mit seinen Sensoren und überprüfte Umgebungsmuster sowie Atmosphärenzusammensetzung.

Nach einem Marsch von einer halben Stunde, bei dem sie außer Erde, Wurzeln und Gestein nichts Außergewöhnliches fanden, schlugen sie einen Bogen von neunzig Grad. Sie entdeckten kein Tier, kein Lebewesen, nichts.

»Der Boden besitzt keinerlei Nährstoffe mehr«, merkte Fournier nach einiger Zeit an. »Terranische Pflanzen könnten hier nicht wachsen.«

Für die Terraformer wäre das sicher kein Hindernis, doch es gab Liam zu denken. Irgendetwas störte ihn. Am Rande seines Bewusstseins erschien ein Gedanke. Er wollte ihn greifen, aber er entschlüpfte ihm wie ein glitschiger Fisch.

»Nunes hier«, erklang die hektische Stimme des MedSpecs direkt in Liams Gehörgang. »Kommen Sie bitte sofort zurück zum Schiff. Protokoll Omega.«

Die Nachricht war auf dem allgemeinen Kanal erfolgt.

Synchron warfen sie sich herum und rannten in Richtung EXPO-EA-93.

6. Kapitel

Omega-Protokoll, hallte es in Liams Geist wieder. Mission und Leben aller Teilnehmer in Gefahr.

Dank seines verbesserten Metabolismus erreichte er als Erster die Schleuse. Meisner war in Sichtweite, die beiden Wissenschaftler zwei Punkte am Horizont. Es gefiel ihm nicht, sie allein zu lassen, doch das Omega-Protokoll hatte klare Vorgaben.

Ultraviolette Strahlung tötete alle potenziellen Keime ab, die er von draußen hätte einschleppen können. Im Lauf deaktivierte er den ExoSuit, dessen Nanopartikel sich in das Gürtelfach zurückzogen.

Auf seinem EyeSign wurde die Position von Nunes markiert. Der MedSpec befand sich entgegen Liams Vermutung nicht auf der medizinischen Station, sondern im Energieversorgungsmodul. Der Lift brachte ihn auf direktem Weg dorthin. Mit einem pneumatischen Zischen öffnete sich das Schott.

Im Zentrum des kreisrunden Raums pulsierte die Konverterkammer, in der der Fusionsreaktor mit den angeschlossenen Energiebatterien untergebracht war. Direkt daneben kauerte Nunes. Mit seinen kindlichen Händen ließ er einen Sensor über etwas gleiten, das eindeutig menschliche Umrisse besaß. Darüber hinaus ähnelte es jedoch mehr einem Kohlebrikett.

»Wer ist das?«, fragte Liam.

»Ein unbekannter Toter«, erklärte der MedSpec. »Aber deshalb habe ich Sie nicht gerufen.« Er nickte in Richtung der Steuerkonsole des Fusionsreaktors.

Ein Blick genügte, und Liam verstand. Ein hantelförmiges Objekt war mit magnetischer Haftung an die Stabilisatoren für die Eindämmung gehaftet und aufgrund der Position nur zu entdecken, wenn man wusste, wonach man suchte. In den beiden kugelförmigen Enden befand sich explosives Material, wie ihm sein EyeSign verriet, der das Bild längst mit der Datenbank verglichen hatte.

»Molekularfaserbombe«, sagte Nunes tonlos. »Wenn sie hochgeht, pumpt sie radioaktiv geladene Metallfasern in den Fusionskern.«

Die folgende Explosion würde die EXPO-EA-93 vollständig zerstören und mit ihr alles im Umkreis von einem guten Kilometer.

Auf dem länglichen Teil der Bombe war ein Countdown zu sehen; digitale Ziffern, die rückwärts liefen. Laut Anzeige waren sie noch zweiundzwanzig Minuten von der Detonation entfernt.

»Ich gehe davon aus, dass sich diese unbekannte Person während des Anflugs Zutritt zum Schiff verschafft hat und für die Sabotage an den Klontanks verantwortlich ist«, führte Nunes aus. »Darüber hinaus hat er die Bombe hier angebracht.«

»Er?«, fragte Liam, während sein Geist bereits damit beschäftigt war, Auswege zu finden.

»Diverse körperliche Strukturen deuten darauf hin«, erklärte Nunes und wies auf das Becken.

Stiefelschritte erklangen.

Meisner stürmte herein, die Waffe im Anschlag. »Warum Omega?«

»Toter Saboteur und Molekularfaserbombe.« Liam deutete auf das Objekt. »Wollten Sie nicht das gesamte Schiff absuchen?«

»Das wollte ich«, gab sie unbeeindruckt von dem Vorwurf in seiner Stimme zurück. »Aber so etwas benötigt Zeit.«

»Ich brauche eine Lösung, schnell.«

Mit einer abrupten Armbewegung schob die SecSpec ihre Waffe ins Holster und ging vor der Bombe in die Knie. »Ein Modell der zweiten Generation. Falls wir den Antigrav aktivieren, geht sie hoch.«

Womit Liams Idee, das Schiff zu starten und den Fusionskern abzuwerfen, hinfällig war. Die Energiespeicherbatterien hätten sie eine gute Woche mit Energie versorgt und zurück in den Orbit gebracht, doch dann kam das unweigerliche Ende.

»Bei Abschaltung des Reaktors detoniert die Bombe ebenfalls. Und sollten wir versuchen, die magnetische Haftung zu neutralisieren …«

»Geht sie hoch«, vollendete Liam den Satz. »Damit wären die Probleme geklärt.«

»Immer mit der Ruhe«, sagte Meisner. »Ich arbeite daran.«

Ein keuchender Jan Fischer erreichte das offene Schott kurz vor Moira Fournier.

»Evakuierungsprotokoll«, befahl Liam. »Beladen Sie beide die RAUPE. Doktor Nunes, das gilt auch für Sie.«

»Aber ohne das Schiff …«, begann der MedSpec.

»Raus hier, sofort!«, verlieh Liam seinem Befehl Nachdruck. »Die SecSpec und ich folgen Ihnen in Kürze.«

Im Gegensatz zu den beiden Wissenschaftlern begriff Nunes durchaus, dass eine Flucht chancenlos war. Falls sie umgehend aufbrachen, konnten sie mit der RAUPE etwa einen halben Kilometer zurücklegen. Mit viel Glück etwas mehr. Doch für Meisner und Liam gab es keine Chance.

»Los«, sagte er sanfter.

Der SecSpec schenkte ihm einen kurzen Blick, gefolgt von einem Nicken. Dann folgte er seinen beiden Kollegen. Während sich Meisner völlig auf die Molekularfaserbombe konzentrierte, betrachtete Liam die Leiche. Sie bestand vollständig aus Asche, unter der die Knochenschicht sichtbar war. Er fragte sich, wer dieser Mann gewesen war, wie er das Schiff hatte betreten können und was seinen Tod verursacht hatte.

Meisner eilte zum nächststehenden Schrank und entnahm ein Etui mit Feinmechanikwerkzeugen. Ausgerüstet mit einem punktuellen Depolarisierer, Energieflussmesser und weiteren Elementen ging sie wieder vor der Bombe in die Hocke. Das Gehäuse war mit vier Schrauben gesichert. Allein diese zu entfernen war gefährlich, denn sie waren magnetisch. Meisner musste an genau der richtigen Stelle depolarisieren, ohne die Haftflächen zu treffen. In diesem Fall würde die Explosion umgehend ausgelöst werden.

Es war ein seltsamer Gedanke, dass sie möglicherweise in den nächsten Sekunden aufhörten zu existieren. Es würde so schnell gehen, dass keiner von ihnen es begreifen oder verarbeiten konnte. Tröstlich war das nicht. Liam war kein Mensch, der vor einer Herausforderung davonlief oder die Augen verschloss. Er wollte die Dinge bewegen und mitgestalten. Nicht umsonst war er der Explorationsdivision beigetreten.

Meisner hob vorsichtig einen Teil der äußeren Verschalung ab. Ihre Augen waren auf das Innere des Gehäuses gerichtet wie Laserpointer kurz vor einem Schuss. Analytisch betrachtete sie die winzigen Kristalle, Flüssigleitungen und Lichtträger.

»Das ist perfide«, erklärte sie. »Die Struktur stimmt nicht mit der Spezifikation für diesen Typ überein. Jemand hat eine Molekularfaserbombe der dritten Generation in ein Gehäuse der zweiten gesteckt. Dieser Kerl war ein ausgebildeter Infiltrator und Saboteur. Das hier ist höchstes Niveau.«

»Höre ich da so etwas wie Respekt?«

»Kaum, ich bin kein Killer. Im Gegenteil. Meine Aufgabe ist der Schutz von Leben.« Sie seufzte. »Und hier scheitere ich ganz eindeutig.«

»Was soll das heißen?« Liam blickte zwischen ihr und der Bombe hin und her.

»Ich kann sie nicht entschärfen. Nicht in der verbleibenden Zeit.« Meisner erhob sich. »Es tut mir leid, aber diese Mission ist gescheitert.«

Liams Blick erfasste den Countdown.

Noch vierzehn Minuten, dann würde die Explosion sie alle einäschern und die Expedition beenden.

7. Kapitel

Ausgelesener Speichercluster. Aufzeichnungsfragmente unter rekursiver Wiederherstellung.

»Aufzeichnung, Sektor 99. Infiltration erfolgreich. Wie vermutet hat der Schattenrat der Europäischen Allianz die EXPO-EA-93 umgeleitet. Das Schiff hat einen der verbotenen Sektoren erreicht, die Besatzung ist ahnungslos. Das Originalengramm meines Klons wurde eingekapselt, stattdessen bin ich zu einhundert Prozent implementiert. Phase 1 der Infiltration ist geglückt. An Bord gibt es zahlreiche Fehlfunktionen und Systemversagen, die mutmaßlich von einem externen Infiltrator ausgelöst wurden. Möglicherweise haben auch der Australische Block oder die Asiatische Hegemonie ihre Finger im Spiel.«

Pause in der Aufnahme.

»Aktuell verschaffe ich mir einen Überblick, gewinne das Vertrauen eines der Ihren und vervollständige die Infiltration. Der Computerkern ist verschlüsselt, einzig der Missionsleiter hat Zugriff. Liam Mikaelsson. Ich kenne seine charakterlichen Schwachpunkte durch das Missionsbriefing und werde mich darauf fokussieren. Im Falle eines Fehlschlags erfolgt seine Terminierung. Die Mission wird fortgeführt, alle extrahierten Daten gesammelt. Aktuell existiert keine Verbindung zurück zu ZENTRUM. Sobald sich das ändert, übermittele ich diese Aufzeichnung als Trägersignal für den Spiegelcluster.«

Digitale Fragmente. Aufzeichnung nicht auslesbar.

»… Probleme. Ursprüngliche Mission ist nicht ausführbar. Falls diese Datei ihr Ziel erreicht, erbitte ich einen umgehenden Extraktionspointer für mein Engramm. Diese Welt …«

Aufzeichnung nicht mehr lesbar.

8. Kapitel

Miguel Nunes

In seinem EyeSign blinkte das kreisrunde rote Symbol mit dem Omega-Zeichen. Aus rein analytischer Sicht fragte sich Miguel, wieso er überhaupt davonrannte. Selbst wenn es ihnen gelang, der Detonation zu entkommen, konnte das Material des Expeditionsfahrzeugs sie nicht länger als sechs Monate am Leben erhalten. Kein anderes Raumschiff würde sie in der Zeit erreichen, eine Rückübertragung zu ZENTRUM schied ebenfalls aus.

Direkt vor ihm in der Luft hing ein leuchtendes Band, das den schnellsten Weg zum Ausgang wies. Gleichzeitig zählte im rechten oberen Rand seines Sichtfelds eine Zeitangabe herab. Eine, die nicht dazu angetan war, ihn zu beruhigen.

»Wo bleiben Sie?«, erklang die Stimme von Doktor Moira Fournier über den Kommunikationstransmitter.

»Ich besitze den Körper eines dreizehnjährigen Jungen«, blaffte er. »Was denken Sie denn, wo ich bleibe? Meine Beine sind zu kurz.«

Ihre Antwort bestand in Schweigen – gut für sie. Schließlich benötigte es nur eine schnelle Abfrage, und sie konnte seine aktuelle Position einsehen.

Ein paar letzte Schritte, dann hatte Miguel den Hangar der Explorationseinheit erreicht. Das Gefährt vor ihm besaß einen leichten Antigrav und war unterwassertauglich. Aufgrund seiner Länge und der einzelnen Segmente, die durch flexible Nanomoleküle miteinander verbunden waren, wurde es RAUPE genannt.

Kurzerhand sprang er durch die hintere Luke und verriegelte sie. »Es kann losgehen.«

Das Fahrzeug machte einen Satz und schoss aus dem Hangar. Kurz sackte es ab, dann stabilisierte der Antigrav die gesamte Einheit. Über die weite, brackige Ebene glitten sie davon.

Miguel arbeitete sich durch die Segmente nach vorne in die Pilotenkanzel. Fünf multifunktionale Sitze standen dort bereit. Als er in seinem Platz nahm, erfasste der Scanner seinen Transponder und stellte die Armlehnen und Sitzfläche auf die hinterlegten Werte ein.

»Großartig.« Er fluchte lauthals. »Das Ding hat die Maßeinheiten und das Gewicht gespeichert, die der ausgewachsene Körper besitzen müsste.« Er betätigte die angezeigten Icons auf der Armlehne. Es surrte, als die Sitzfläche sich nach hinten schob und die Lehnen kleiner wurden. »Besser.«

»Wir liegen bei einer konstanten Geschwindigkeit von 310 Stundenkilometern«, verkündete Fischer und strich sich fahrig eine Strähne seines dunklen Haares aus der Stirn.

Es war kaum zu fassen, doch seine sowieso bereits helle Haut wirkte noch bleicher. Ob er an einer Durchblutungsstörung litt?

»Vielleicht sollten wir Kontakt mit dem Commander oder SecSpec Meisner halten«, schlug Moira Fournier vor.

»Damit wir live miterleben, wie sie in ihre Atome zerlegt werden?«, fragte Miguel. »Glauben Sie mir, die Explosion ist weithin sichtbar. Außerdem habe ich eine Zeitsynchro auf meinem EyeSign.« Er teilte die Aufnahme, sodass sie auch für die beiden Kollegen einsehbar wurde.

»Sie sind wirklich ein Sonnenschein, was?«, fragte Jan Fischer.

»Dafür wäre jemand anderes zuständig gewesen.« Miguel verschränkte die Arme.

»Oh, wer denn?«, fragte Fournier.

»Meine Erwachsenenversion«, ätzte er.

»Sehen Sie es positiv«, sagte Fischer trocken. »Wenn das Ding hochgeht, haben Sie das Schlimmste hinter sich.«

Unerklärlicherweise löste das in Miguel Angst aus. Vermutlich die dämlichen Hormone. Ein normaler Heranwachsender hatte es schon schwer, doch der Klonkörper war darauf getrimmt, die komplette Phase des Wachstums beschleunigt zu durchlaufen.

Doktor Fischer stellte die RAUPE auf Autopilot und blickte durch die Rundumverglasung hinaus. Sein traurig-schwermütiger Blick hätte vor eine Wüstenkulisse samt Oase gepasst, aber nicht auf diesen toten Gesteinsbrocken.

»Jetzt schauen Sie nicht so«, hörte Miguel sich sagen. »Die holen die Sicherungskopien aus dem Tresor und spielen sie wieder ein. Wir überleben.«

Er wusste, was Fischer erwidern würde, noch bevor der den Mund aufmachte.

»Das sind nicht mehr wir. Es sind Kopien unseres Geists.«

Miguel spürte eine Migräneattacke herannahen. »Bitte ersparen Sie uns diese Diskussion. Wenn Sie zu den Unionisten gehören, wieso haben Sie dann überhaupt eine Digitalisierung mitgemacht?«

Er hielt als ausgebildeter Arzt nichts von dieser geradezu religiösen politischen Gruppe. Dafür hatte er bereits zu oft erlebt, welch schreckliche Konsequenz aus dieser fanatischen Glaubensrichtung hervorging.

»Ich hatte keine Wahl«, sagte Fischer seufzend, den Blick verschleiert. »Aber Sie als Arzt …«

»Als Arzt war ich überall auf der Erde im Einsatz«, erklärte Miguel. »In einer Sekunde noch auf der Liege, in der nächsten öffnet mein Klonkörper die Augen – mitten im Kriegsgebiet. Glauben Sie mir, Doktor Fischer, ich habe gesehen, wie Menschen qualvoll krepiert sind. Wir hatten mobile Digitalisierer bei uns, neuester Quantenkern. Aber sie wollten nicht. Weil ihre Seele ja nicht mitübertragen wird. Stattdessen sind sie gestorben.« Miguel schluckte. Normalerweise konnte er mit der Erinnerung an diese Einsätze umgehen. Doch jetzt stiegen die Bilder vor seinem geistigen Auge empor und schickten alle möglichen Botenstoffe durch seinen Körper. Er ballte die Fäuste.

»Es ist das Recht jedes Einzelnen«, sagte Fischer. »Sie können doch niemand zwingen, zu wechseln.«

Ende der Leseprobe