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Fragen, die das Leben stellt Die Radiosendung »Frühstück bei mir« gehört bei vielen Österreichern zum Sonntags-Ritual. Eine Tasse Kaffee, ein Kipferl mit Butter und Marmelade und die Stimme von Claudia Stöckl. Die Radio-Moderatorin bringt seit 20 Jahren prominente Gäste aus Kultur, Politik und Sport zu ihren Hörern an den Frühstückstisch. Dazu zählen Persönlichkeiten wie Herbert Grönemeyer, Udo Jürgens, Adele Neuhauser, Niki Lauda, Helene Fischer und Felix Neureuther. Die Gesprächsthemen sind vielfältig: Aufbruch und Abschied, Liebe und Verrat, Erfolg und Scheitern, Glaube und Krisen. Aus der Vielzahl der Geschichten, aus Zitaten und Gesprächspassagen, aber auch aus persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen der Moderatorin ist nun dieses außergewöhnliche Buch entstanden. Highlights aus 20 Jahren »Frühstück bei mir« »Wenn Claudia Stöckl etwas kann, dann Fragen stellen. … [Ihr gelingt es,] in Interviews eine Atmosphäre der Geborgenheit herzustellen, dass man als Interviewpartner Dinge von sich hergibt, die man nicht einmal in seinen Memoiren schreiben würde«, schreibt der Kabarettist und Schauspieler Michael Niavarani, der selbst schon bei Stöckl zu Gast war, im Vorwort zum Buch. Stöckls Fragen zielen nicht nur auf Promi-News und Klatsch und Tratsch ab, sondern ermöglichen Unterhaltungen mit Tiefgang: - Wo beginnt das Glück? - Wie gelingt die Liebe? - Was macht Erfolg? - Was lerne ich aus Scheitern? - Wo finde ich Gott? Claudia Stöckl beleuchtet in ihrer Talkshow alle Bereiche des Lebens, entlockt ihren Gästen überraschende Bekenntnisse und sammelt Einsichten in das Leben. Lassen Sie sich von dieser Sammlung von klugen Gedanken und facettenreichen Ansichten zu neuen Sichtweisen auf das Leben inspirieren!
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Seitenzahl: 280
Veröffentlichungsjahr: 2018
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INTERVIEW MIT DEM LEBEN
CLAUDIA STÖCKL
Interview mit dem Leben
Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.
1.Auflage© 2018 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Lektorat: Arnold Klaffenböck
Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT
Gesetzt aus der Minion Pro, Halis R, MrsEaves
Umschlaggestaltung: b3K design, Andrea Schneider, diceindustries
ISBN 978-3-7110-0152-8eISBN 978-3-7110-5219-3
Für meine Eltern, deren Liebe die Antwort auf so vieles ist
Hä …? Ein Geleitwort von Michael Niavarani
Vorwort
Wie startet die Expedition?
Bogdan Roščić, Attila Dogudan, Uli Brée, Klaus Maria Brandauer, Harald Schmidt, Marina Hoermanseder, Pizzera & Jaus, DariaDaria, Florian Gschwandtner, Nele Neuhaus
Wo beginnt das Glück?
David Steindl-Rast, Udo Jürgens, Gerlinde Kaltenbrunner, Thomas Gottschalk, Richard David Precht
Wodurch geschieht Entwicklung?
Georg Fraberger, Rolando Villazón, Thomas Stipsits, Christina Stürmer, Campino, Gottfried Helnwein, André Heller
Wie beschreite ich den Weg nach innen?
Matthias Strolz, Ursula Karven, Ha Vinh Tho
Wie gelingt die Liebe?
Katharina Straßer, Gert Voss, Senta Berger, Dagmar Koller & Helmut Zilk
Wann hilft Humor?
Gerda Rogers, Peter L. Eppinger, Wolfgang Puck, Stermann & Grissemann, Rainhard Fendrich, Josef Hader, Nina Proll, Gregor Bloéb, Karl Wlaschek, Karlheinz Hackl, Michael Ostrowski, Michael Niavarani
Was macht Erfolg?
Robert Palfrader, Tobias Moretti, Veronica Ferres, Christoph Waltz, Nena, Klaus Maria Brandauer, Marcel Hirscher, Elisabeth Gürtler, Helene Fischer, Peter Simonischek, Marco Michael Wanda
Was lerne ich aus Scheitern?
Elyas M’Barek, Jamie Oliver, Harald Krassnitzer, Josef Zotter, Felix Neureuther, Thomas Bubendorfer
Wie akzeptiere ich das Älterwerden?
Manfred Deix, Georg Danzer, Robbie Williams, Natascha Kampusch, Iris Berben, Nadja Bernhard, Sarah Wiener, Niki Lauda, Andreas Vitásek
Wie verkraftet man den letzten Abschied?
Erika Pluhar, Ursula Karven, Herbert Grönemeyer, Adele Neuhauser, Ulli Ehrlich, Maria Köstlinger
Wo finde ich Gott?
Markus Hengstschläger, DDr. Wolfgang Graninger, Samuel Koch, Kardinal Christoph Schönborn, Jürgen Fliege, Pater Georg Sporschill
Was bleibt in Erinnerung?
Markus Rogan, Wolfgang Ambros, Nina Proll, Reinhold Mitterlehner, Peter Pilz, Margit & Heinz Fischer, Christian Kern, Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache, Arik Brauer, Lorenz Gallmetzer, Eveline Wild, Falco
Danksagung
Nein, das ist kein Druckfehler, das ist tatsächlich die Überschrift meines Vorwortes zu diesem Buch. Normalerweise halte ich ja Vorwörter für entbehrlich. Also ganz ehrlich, was erwartet sich eine Autorin davon, außer exzessive Lobhudelei und die Möglichkeit, damit angeben zu können, dass Österreichs beliebtester Komiker sich für ihr aus verschiedenen Interviews zusammengestoppeltes Buch mühsam ein Vorwort aus den Fingern gesogen hat? Normalerweise hätte ich ja abgesagt, dankend, mit Tränen in den Augen vor Rührung, dass man da an mich gedacht hatte – aber leider, die Zeit, der Stress, der Urlaub … und außerdem muss ich mir noch die Zehennägel schneiden. Normalerweise! Aber bei einer großartigen Journalistin wie Claudia Stöckl ist nichts »normalerweise«.
Alles an ihr ist eine Ausnahme. Man findet nicht alle Tage eine Frau, die zu den bekanntesten und beliebtesten Menschen des Landes gehört und die in ihrer Genialität bescheiden und, wie man sagt, am Boden geblieben ist. Und die es wie niemand anderer auf diesem Planeten beherrscht, in Interviews eine Atmosphäre der Geborgenheit herzustellen, dass man als Interviewpartner Dinge von sich hergibt, die man nicht einmal in seinen Memoiren schreiben würde.
Wenn Claudia Stöckl etwas kann, dann Fragen stellen.
Aber kommen wir zurück zu meiner Überschrift: Hä? »Hä« ist die Mutter aller Fragen, die Urfrage sozusagen, die Essenz des Menschseins. Alle Menschen, die heute leben, stammen von einer Population von 200.000 Individuen ab. Das ergibt der weltweite Vergleich unseres Genoms. Wenn dem so ist, dann muss es auch einen kulturellen Beweis dafür geben, nicht nur einen biologischen. Nun, jetzt kann man sagen, wir alle bauen Häuser, haben eine Sprache, verhalten uns im Grunde sehr ähnlich, wenn nicht überhaupt komplett gleich, nur eben auf unterschiedlichen kulturellen Oberflächen. Das heißt, es muss auch in unseren verschiedenen Sprachen mindestens ein Element geben, das universell ist. Einen Satz, den alle Menschen auf der ganzen Welt verstehen, ohne ihn übersetzen zu müssen. Denn wenn diese 200.000 Individuen in irgendeiner Form miteinander kommuniziert haben – und das müssen sie, sonst hätten sie nicht überlebt –, dann muss etwas aus dieser Zeit übriggeblieben sein. Ein Wort, eine Phrase, ein Satz, der uns alle miteinander verbindet und beweist, dass wir Brüder und Schwestern sind. Und ich habe nach langem Forschen diesen Satz gefunden. Ein Satz, der ohne Übersetzung in China, England, Afghanistan, Schweden oder sonst wo auf der Welt verständlich ist. Und dieser Satz lautet: »Wie bitte?« Allerdings nicht in dieser komplexen Form, sondern in seiner ursprünglichen Erscheinung: »Hä?« Dieses »Hä?« ist es, das uns zu Menschen macht.
Von Urzeiten an laufen wir durch diese Welt und fragen uns, was das alles soll, wie das alles funktioniert und warum alles so ist, wie es ist, und ob es denn nicht doch vielleicht ganz anders ist, als es scheint. Fragen zu stellen ist es, was uns von allen anderen Tieren dieser Erde unterscheidet. Und niemand ist so sehr Mensch wie Claudia Stöckl. Ist »Hä?« der Beginn der Evolution des Fragens, dann ist Claudia Stöckl die Krone der Interview-Schöpfung.
Ich selbst hatte achtmal das Vergnügen, mich im Dschungel von Claudia Stöckls Fragen gemeinsam mit meinen Emotionen und Erinnerungen verlaufen zu dürfen. Aber sind es nicht ebendiese Umwege, die wir manchmal machen, die uns zu neuen Gefilden unseres Selbst bringen? Ich saß da vor dem Mikrofon, eingebettet in liebevolles Verständnis und zärtlich fordernde Neugier, und hörte mich über Intimstes sprechen. Plötzlich habe ich die Wahrheit nicht mehr mit einem Scherz, einer Pointe verkleidet, sondern ließ sie nackt und ehrlich durch den Raum gleiten. Schließlich waren wir ja allein, nur Claudia und ich … ach ja, und dann auch noch fast eine Million Zuhörer.
Keine Frage, dass man nach den zwei bis drei Stunden, die diese Operation an der offenen Seele dauert, verunsichert ist, sich denkt, man hat eigentlich nur dummes Zeug geredet, zu viel von sich preisgegeben und war komplett unlustig, außerdem wird es sich allen offenbaren, was für ein bedeutungsloses Mitglied der Gesellschaft man ist. Aber dann, wenn dann der Sonntagvormittag, an dem man »gesendet« wurde mit der Stöckl, wenn der dann vorbei ist – dann erhält man eine Woche lang ausschließlich Komplimente. Wie toll das Interview war. Was man für g’scheite Sachen gesagt hat. Wie sympathisch man rübergekommen ist.
Und wir alle, die wir bei ihr in der Sendung waren, wir alle wissen, das ist nicht unser Verdienst, dass ist die Fähigkeit von Claudia Stöckl, das klare Wasser unserer Antworten in edlen Wein zu verwandeln.
In diesem Sinne: Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, viel Vergnügen bei der Lektüre.
Und Dir, Claudia, tausend Dank.
Dein Nia!
Mein Entschluss, dieses Buch zu schreiben, ist das Resultat einer Bewegung. Nein, nicht einer solchen, wie sie in der Politik immer öfter aufkommt. Nicht jener, wie sie Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz im Wahlkampf für sich beanspruchten.
Es war im Jänner 2017, zum 20-Jahr-Jubiläum von »Frühstück bei mir«: In einer dreistündigen Spezialsendung präsentierte ich die berührendsten, emotionalsten, aufregendsten Passagen aus den zwei Sendungsjahrzehnten. Wochenlang hatte ich Interviews durchgehört, um die Highlights zu finden: Falco sprach da über Krise und Entwicklung, Udo Jürgens über Glück oder Alex und Angela Pointner über den langen Abschied von ihrer Tochter. Mein lieber Kollege Andi Knoll führte durch diese Spezial-Sendung, damit auch ich einmal die Befragte sein und das Erlebte einordnen konnte – tausende »Radio-Frühstücke« lagen hinter mir, ein langer Weg mit zehntausenden Tassen Kaffee und hunderttausenden klugen, bereichernden, witzigen Sätzen, Ansichten über das Leben, die ich bei großen Persönlichkeiten erfragen und Sonntag für Sonntag mit einer Million Ö3-Hörern teilen durfte.
Die Bewegung rund um dieses Jubiläum entstand für mich dann innen drin, eine Form der Rührung und auch des Staunens bei diesem ausführlichen Blick zurück. So oft erlaube ich mir die Betrachtung der Vergangenheit ja nicht, geht es doch Woche für Woche schnurstracks weiter, Augen und Gedanken klar nach vorn gerichtet, immer den nächsten Sonntag als Ziel im Blick. Aber diesmal, rund um das Jubiläum, wurde mir wieder bewusst: So viel Wichtiges ist in »Frühstück bei mir« gesagt worden. So viel, das verdient, erinnert zu werden. So viel Wertschätzung, die ich auch immer wieder rund um die Sendung erfahre. So viele Hörer, die mich wissen lassen, dass ihnen der Sonntagvormittag auf Ö3 etwas bedeutet, ein besonderes Ritual voll Neugierde, was heute wieder kommt. Hörer, die meinen, dass die Gespräche am Frühstückstisch mehr sind als ein Geplaudere im Radio, während die Kaffeemaschine läuft. Dass viele Sätze hängen bleiben und oft auch Wegweiser sind für eine neue Richtung, die es einzuschlagen gilt, oder einfach helfen, manches zu verstehen.
Die Fülle des Lebens begegnet mir in jedem meiner Gäste, deshalb heißt dieses Buch »Interview mit dem Leben« – ihre Erzählungen schildern das, was uns das Leben sagen will. So wie der große Psychiater und Philosoph Viktor E. Frankl meinte: Nicht wir stellen Fragen – wir erleben uns als die vom Leben Befragten. Es liegt an uns, die Antworten zu finden, zu übersetzen, was wir erfahren. Auch meine Erlebnisse haben mir dabei geholfen. Diese persönlichen Aspekte sollen in dem Buch nicht fehlen, und ich schildere für jede Lebensfrage auch meine Gedanken und Schlüsse.
Das Buch zu schreiben, neben den vielen Stunden, die nötig sind, die wöchentlichen Sendungen entstehen zu lassen, und meiner ehrenamtlichen Arbeit für mein Hilfsprojekt »ZUKI – Zukunft für Kinder«, war eine große Herausforderung, es hat viel länger gedauert als angenommen. Das kommt davon, wenn man zu viel will im Leben, hat Ex-Politiker Matthias Strolz vor kurzem am Ö3-Frühstückstisch zu mir gesagt. Er sprach eigentlich über sich, aber auch ich fühlte mich erkannt in diesen dutzenden Ideen, die täglich im Kopf schwirren und auf Verwirklichung warten, auch das ist ein Satz, der bei mir hängen geblieben ist. Nicht zu viel wollen, sondern das Richtige wollen, darum geht es. Und das Richtige ist dieses Buch zweifellos.
Jetzt will ich allerdings nur noch eines: dass es Ihnen Freude bereitet, in die Erzählungen des Lebens einzutauchen. Dass Sie besondere Sätze erkennen, möglicherweise auch Ihre Antworten finden. Dass vielleicht auch eine Form der inneren Bewegung bei Ihnen entsteht.
Was sollen Ihre letzten Worte sein? Diese Frage steht immer am Ende von »Frühstück bei mir«, und ORF- Generaldirektor Alexander Wrabetz meinte da: Ich möchte nicht wie Simón Bolívar sagen: »Ich habe das Meer gepflügt.« Ich würde mir wünschen, dass etwas von dem, was ich gemacht habe, bleibt.
Hier ein paar Seiten, die vielleicht bleiben, als Erinnerung an meinen langen Weg. Ich bedanke mich bei allen meinen »Frühstücks«-Gästen (auch jenen, die aus Platzgründen nicht im Buch vorkommen), die eine, oft auch mehrere Etappen mit mir darauf zurückgelegt haben. Die mit mir und uns geteilt haben, wie das Leben zu ihnen spricht. Und natürlich bei Ihnen allen, die zuhören.
Ihre Claudia Stöckl
BOGDAN ROSCIC:»Nicht das Falsche zu wollen ist – fast – alles im Leben.«ULI BREE:»Du kannst dich entscheiden, ob dein Leben ein Sofa ist oder eine Expedition.«KLAUS MARIA BRANDAUER:»Meine Eltern haben mich immer liebend überschätzt. Daraus resultierte mein unerschütterliches Selbstbewusstsein, und das war sehr hilfreich für meinen Weg.«HARALD SCHMIDT:»Akzeptiere Kritik nur von den Allerbesten ist ein guter Rat für den Start.«MARINA HOERMANSEDER:»Ich poste vor dem Einschlafen, nach dem Aufwachen, auch viel in der Nacht.«NELE NEUHAUS:»Das Schreiben hat mir den Mut für den neuen Anfang gegeben und die Perspektive: › Ich kann was. ‹ Ich kann auf eigenen Beinen stehen, ich bin mehr als nur die Ehefrau.«
Der Tisch war rund und mit dunkelgrünem Leder verkleidet. An dem saß ich, ahnungslos und neugierig, was auf mich zukommen würde, an diesem Septembertag 1996. Ich war 29 und hatte mein Arbeitsbienen-Dasein mit zwei Jobs, als »NEWS«-Leute-Redakteurin bei Tag und Ö3-Society-Reporterin bei Nacht, schon erstaunlich lange durchgehalten. Jetzt hatte mich also Bogdan Roščić, der neue Chef von Ö3, in sein Büro gebeten. Er blickte mich vielsagend an.
Es geht um den Ö3-»Wecker«, ließ er sofort die Bombe platzen, wohl wissend, dass diese Sendung bei Ö3 nicht an Bedeutung zu überbieten war, und das ist bis heute so geblieben. Die Wucht der Ansage wurde etwas gemildert, als Roščić präziser wurde: Es ist der »Wecker« am Sonntag, über den ich mit dir sprechen möchte. Die Reichweiten an einem Sonntag waren natürlich geringer als die zwei Millionen täglicher »Wecker«-Hörerinnen und -Hörer unter der Woche. Trotzdem klang das alles aufregend, und noch aufregender war, dass ich ein Teil davon werden sollte. Mein neuer Chef spannte mich nicht lange auf die Folter: Wir wollen den »Wecker« am Sonntag umgestalten und eine Interviewsendung daraus machen. Und hier kommst du ins Spiel: Ich möchte gerne, dass du sie gestaltest und moderierst. Ich war überrascht, mode-riert hatte ich ja noch nie, Interviews geführt natürlich schon hunderte, große wie kleine, für Print wie Radio, und war von dieser Aufgabe immer fasziniert gewesen. Roščić holte aus, erklärte die nächsten Schritte, dass ich Schulungen bekommen würde und mich zuerst als Moderatorin in der Nacht beweisen müsste. Er zeichnete sein Bild dieser Sendung in den Raum, nämlich dass ich diesen Gesprächen meinen persönlichen Stempel aufdrücken sollte, und er verriet mir den Titel, der ihm vorschwebte: »Frühstück bei mir«. Ich war mäßig begeistert. Das klang mir dann doch etwas zu intim, wer war mit dem »bei mir« jetzt genau gemeint? Die Idee, mit dem Gast das Frühstück zu teilen, fand ich dann doch sehr gut, und es hat sich als wunderbar nützlich er wiesen, um eine besondere, oft herzliche und gelöste Atmosphäre aufzubauen.
Interessiert dich diese Aufgabe?, fragte Roščić. Ja!, sagte ich entschlossen. Möchtest du es probieren?, fragte er weiter. Ja natürlich!, war ich mir sicher, ich wusste, es war einer dieser Momente, in denen es nur »Ja« als Antwort gab. Jetzt war der Moment, einen Schritt weiter zu gehen, Neues auszuprobieren, und zum geglückten Start gehörte dieses entschlossene »Ja« . So wie mir Attila Dogudan später in »Frühstück bei mir« erzählen sollte, als ihn Niki Lauda in den Achtzigerjahren bei ihrer ersten, zufälligen Begegnung in der Disco »Take Five« fragte, ob er das Catering seiner neuen Airline übernehmen wollte, gab es für ihn auch nur dieses »Ja«. Dogudan, damals Leiter eines kleinen Delikatessengeschäfts in der Wiener Innenstadt, das er am Anfang nur mit einem Darlehen von seinem Vater finanzieren konnte, hatte zu jenem Zeitpunkt natürlich keine Ahnung von der Logistik einer Flugzeugküche, doch er sagte zu mir: Es gibt Chancen, die man einfach ergreifen muss. Und so war es bei mir damals im Büro des Ö3-Chefs im Wiener Funkhaus auch. »Frühstück bei mir« lief dann auch ein halbes Jahr im Zuge des Sonntags-»Weckers« von sieben bis neun Uhr, bis es im Sommer 1997 in die eigentliche Sonn-tags-Primetime, von neun bis elf Uhr verschoben wurde, und dort darf ich bis heute besondere Begegnungen wiedergeben.
Jetzt, im Zuge des Verfassens dieses Buches, also fast 22 Jahre später, rief ich Bogdan an und fragte ihn, was ihn damals eigentlich bewogen hatte, mich auszusuchen. Es ist interessant, dass ich mir die Frage damals so gar nicht gestellt habe. Es war die Zeit des Aufbruchs, ich galoppierte gleich los, und sobald ich mittendrin in dieser Aufgabe war, ging es darum, Woche für Woche etwas Besonderes zu liefern, und an diesem Anspruch hat sich über all die Jahre nichts geändert. Ein Telefonat war das zwischen Wien und Berlin, ein Beamen in einen anderen Lebensabschnitt, mehr als zwei Jahrzehnte zurück, und trotzdem kam die Antwort des »Frühstück bei mir«-Erfinders sofort, klug und tiefgründig wie immer:
Ich glaube, ich habe vor allem gespürt, dass du ein wirkliches Interesse an anderen Menschen hast. Das ist ja nicht selbstverständlich, die meisten sehen andere eher als Mittel zum Zweck oder als Hindernis. Spannender wird es, wenn man es schafft, zu verstehen, dass wir alle sozusagen ein Schluck aus derselben Flasche sind. Jeder muss die Aufgabe des Lebens irgendwie lösen, und viele deiner Gäste tun das auf besonders interessante oder sogar lehrreiche Art und Weise. Das bekommt man aus ihnen aber nur heraus, wenn man mit hoher Qualität arbeitet und wirklich etwas über sie wissen will, mit dem Voyeurismus einer sogenannten »Prominentensendung« hat das nichts zu tun. Das war jedenfalls das Ziel damals.
Der relativierende Nachsatz ließ nicht lange auf sich warten, Roščić betrachtete gern alles aus den verschiedensten Perspektiven: Ob du es schaffen würdest, wusste ich damals natürlich nicht. Doch warum schafft es der eine und der andere nicht?, fragte ich da gleich, schließlich war aus dem ehemaligen Ö3-Chef ein erfolgreicher Musikmanager geworden und wird in zwei Jahren der Direktor der Wiener Staatsoper werden. Wie ist seine Expedition gelungen? Bogdan meinte zurückhaltend: Das kann man an den Stationen eines Lebens ja nicht unbedingt ablesen, ob die Expedition gelungen ist oder nicht. Aber was das Berufliche betrifft, habe ich nicht über Dinge wie »Karriere« nachgedacht, sondern wollte immer etwas ganz Konkretes machen. Oft aus der Überzeugung heraus: So geht das nicht, ich mache es anders. Und auch hier folgte die Relativierung auf den Fuß: Vielleicht habe ich aber auch oft missverstanden, was ich wirklich will. Und noch eine Wahrheit schenkte er mir da: Nicht das Falsche zu wollen ist – fast – alles im Leben.
Der Startschuss für ein großes Abenteuer war für mich dieses Gespräch 1996 im Chefbüro, und ich möchte mich in diesem Kapitel eben dem Anfang, dem Aufbrechen, dem Gefühl zu Beginn widmen, dessen Natur den weiteren Weg bestimmt. Meistens ist es eine Mischung aus Mut und Zweifel, doch wenn alles dominiert wird von der Leidenschaft und inneren Überzeugung für diesen Weg – diese Antwort hat mir das Leben bereits gegeben –, wird ein Gelingen der Mission sehr wahrscheinlich.
Der beherzte Aufbruch ist immer Konsequenz einer Entscheidung. Uli Brée, Autor der ORF-Erfolgsserie »Vorstadtweiber«, der als Jugendlicher von seiner Heimat in Nordrhein-Westfalen aufgebrochen, per Autostopp nach Amsterdam und weiter nach Wien gekommen war, formulierte das so treffend bei mir:
Ich hatte das Gefühl, ich versaure im Ruhrpott, und wusste bereits mit 17 ganz stark, dass mein Leben ein Abenteuer werden sollte. Für mich ist ein großes Thema: Du kannst dich immer entscheiden, ob dein Leben ein Sofa ist oder eine Expedition, jeder von uns kann das ganz klar entscheiden, und ich habe mich eben für die Expedition entschieden. Ich weiß, die Expedition ist schwierig und anstrengend, aber du kommst auch an Orte in deinem Leben, die du nie erlebt hättest, wenn du am Sofa geblieben wärst.
Auch ich startete mit »Frühstück bei mir« eine Expedition, die viele Abenteuer in sich barg, in Wahrheit ist jedes Interview ein Zusammentreffen mit ungewissem Ausgang. Der Anfang ist ähnlich, im Leben wie am Frühstückstisch: Man setzt sich hin, mit seinen Talenten, mit seiner Kraft und den besten Vorsätzen. Dann drückt man auf »Record«. Und die Sache nimmt ihren Lauf.
Wer hat bei mir also besonders beeindruckend diese Zeit des Aufbruchs beschrieben, mit Erkenntnissen, die wir übernehmen können? Wir reisen nach Köln, in ein nobles Hotel mit Blick auf den mächtigen Dom. TV-Star Harald Schmidt gehörte zu der Gattung jener Gäste, die auf meiner Wunschliste immer ganz oben waren, sich aber besonders lange bitten ließen – noch einige davon werden Ihnen in diesem Buch begegnen, auch Hartnäckigkeit gehört zu meinem Beruf. Auch im April 2001, als ich die ROMY-Gala in der Wiener Hofburg für das ORF-Fernsehen moderierte, steuerte ich auf Schmidt zu, der als Laudator gekommen war, mit der Einladung in meine Sendung. Klar, für Sie mache ich das, sagte Schmidt sofort in der Rolle des »good cop«, wie so oft bei Stars gab es dann aber auch den anderen Part. Seine Managerin fungierte als »bad cop«, die mir weitere 13 Jahre lang Absagen lieferte. Erst anlässlich von Schmidts Abschied als Late- Night-Talker im Jahr 2014 kam es zu unserem längst fälligen Zusammentreffen. Ich fühlte im Vorfeld eine gewisse Anspannung: So einen scharfen Denker, der gleichzeitig ein schamloser Pointenschleuderer war, am Frühstückstisch zu haben war eine Herausforderung. Auch Comedian Michael Mittermeier hatte bei mir gesagt: Harald Schmidt ist definitiv der spontanste und intelligenteste Mensch, der je auf deutscher Bühne gestanden ist. Wahrlich eine Vorgabe, mit so einem Wort-Kapazunder ein Interview zu führen.
Der 1,94 Meter große Deutsche kam allein und war von Beginn an herzlich, stand geduldig mit mir am Balkon für Fotos mit dem Kölner Dom im Hintergrund, bewunderte das delikate Frühstücksmenü am Tisch und staunte ehrlich, als ich ihn gleich zu Beginn wissen ließ, dass »Frühstück bei mir« – zum damaligen Zeitpunkt – bereits 17 Jahre lief. Das ist internationales Standing, wirklich, meinte er anerkennend, und als ich lachend einwarf: Da kann ich doch wirklich schon mit den Großen mithalten, sagte er charmant: Sie sind selber eine. Er wusste ja am allerbesten, was es hieß, Woche für Woche ein solches Sendungsprodukt »rauszuhauen«, wie er es nannte. 19 Jahre lang war er der Late-Night- Talker Deutschlands, auf verschiedensten Sendern, auch als die Quoten bereits im Sinkflug waren, sorgten seine Gags weiter für Gesprächsstoff. Doch was hat seinen Anfang, zuerst als Kabarettist und Schauspieler auf Kleinstbühnen, dann begleitet von Auftritten beim Fernsehen, ausgezeichnet?
Ich war mit einem Zitat aus einem Zeitungsinterview gekommen und legte es Schmidt auf den Frühstückstisch. Er hatte gesagt: Ich habe vor dem WDR gezeltet und der Redakteurin in der Tiefgarage aufgelauert mit meinen Sketchen in der Hand. Ist das eine wahre Geschichte, Herr Schmidt?
Schmidt: Nahezu, jedenfalls habe ich Klinken geputzt bis zum Gehtnichtmehr. Und jede Chance ergriffen, die sich mir geboten hat. Und eines war klar: Ich wusste, ich werde der große Entertainer! Das klingt unerträglich, aber ich kann’s nur sagen, es war so. Der Glaube an mich war unerschütterlich.
Eine Ansage, die sich durch meine Interviews zieht. Der Glaube an sich und das, was man kann, ist ein Grundstock für das gelungene Unternehmen. Auch Klaus Maria Brandauer hatte bei mir gesagt: Meine Eltern und Großeltern haben etwas gemacht, was mir von Vorteil war: Sie haben mich immer liebend überschätzt. Daraus resultierte mein unerschütterliches Selbstbewusstsein, und das war sehr hilfreich für meinen Weg.
Schmidt bezeichnete sein Selbstbewusstsein als pathologisch, aber was soll’s und verspeiste mit Genuss den Räucherlachs mit Krenobers, der auf dem Frühstückstisch hübsch in einer Etagere angerichtet war. Sein komisches Talent hatte er bereits als Jugendlicher entdeckt:
Wenn ich zu Hause Witze gemacht habe, beim Kaffeetrinken mit 14, hat immer der ganze Tisch gelacht. Und wenn es Ihnen dann gelingt, das Zimmer, den Saal immer größer werden zu lassen, dann sind Sie mittendrin im Beruf des Comedians, mehr ist es ja nicht.
Wann war Ihnen klar, dass Sie von Ihrem Talent auch beruflich profitieren und draus eine Karriere machen können?
Schmidt: Ich wusste sehr bald, dass ich großer Kabarettstar werden wollte und dass ich das Fernsehen als PR-Plattform brauchen würde. Ich brauchte es, um bekannt zu werden, damit die Leute ins Kabarett kommen. Und dann hat sich daraus eine eigenständige Fernsehlaufbahn entwickelt. Ich meine, ich hab ja dann im silbernen Spencerjäckchen die Show »50 Jahre deutscher Schlager« moderiert aus der Sporthalle Böblingen mit dem Stargast Roy Black. Ich habe alles moderiert: Naturschutzsendungen, Blumenschauen, alles. Und ich wurde fürchterlich mit Häme zugekübelt von den Kabarettisten, aber es ging natürlich ganz schnell weiter, weil ich einfach frei reden konnte. Ich brauchte keinen Autor, der mir die Sachen aufschrieb, ich brauchte keinen Teleprompter und nix. Ich bin einfach komplett angstfrei und frech reingegangen, bei »Verstehen Sie Spaß?« habe ich ganz schnell die Zuschauerzahlen halbiert, aber niemals gezweifelt, was mach ich falsch, sondern ich wusste einfach, dieses Publikum ist noch nicht reif für einen Umerziehungsprozess, ich muss weiter.
Schmidt enttäuschte bei unserem Frühstück nicht. Rasant legte er mir die Pointen auf den Tisch und bestätigte mir wieder einmal, dass hohes Tempo eine häufige Qualität bei den Besten ist, schnelles Denken, schnelles Begreifen, schnelles Antworten. Wir sprangen leichtfüßig und schnell durch die Themen, er erzählte über Erfahrungen in seiner Late-Night-Show: Zickig wird es immer, wenn das deutsche Stadttheatertalent kommt mit Managerberater und Pressechef . Und welche Frau Erotik für ihn ausstrahlen würde: Sicher nicht die Tittenmonster. Mein Job ist ja voll von Tittenmonstern. Wir haben sie eingeladen in die Show, weil wir wussten, beim trainingsbehosten Single kommen sie gut an, aber für mich selber würde ich Isabelle Huppert vorziehen: 61 Jahre alt und ein Quell der Fantasie.
Der damals 57-Jährige stand gerade am Anfang eines neuen Lebensabschnitts, seine Late-Night-Show auf Sky war gerade abgesetzt worden, angstfrei blickte er nach zweieinhalbtausend Sendungen mit guter Gage in die Zukunft. Und es gab viele Learnings, die er denen, die anfangen, weitergeben konnte – zum Beispiel Kritik nur von den allerbesten zu akzeptieren. Schmidt sagte:
Ich habe 3000 Auftritte als Kabarettist hinter mir,bin seit 35 Jahren durch jedes Hinterzimmer gekrochen. Theater die Gurke, Theater in der Pfeffermühle, Theater in der Kaffeemühle, Theater in der Malzmühle. Es gibt wirklich, glaub ich, in Deutschland kein Damenklo, wo ich nicht ’ne Pappnase aufhatte. Wie’s schlecht geht, weiß ich selber. Das muss mir keiner sagen, der einmal beim Kar neval eine Feder im Popo hatte und glaubt, dass er Gags kritisieren kann.
Also was würden Sie heute einem 18-Jährigen sagen, der vorhat, der neue Harald Schmidt zu werden?
Schmidt: Ich würde sagen: »Glaub an dich! Leg los, und du wirst es früh genug merken, wenn die Wand kommt, gegen die du rast.« Was anderes gibt’s nicht! Der Glaube an sich selbst ist so wichtig. Und der Glaube an das, was ich mache, kam immer daraus, dass ich auf jedem Gemeindefest die Bestätigung hatte, wenn ich anfange, die Leute nachzumachen, wird gelacht. Wenn gelacht wird, hat der Comedian recht! Und dann kommt es dahin, dass Sie auch recht haben wollen, wenn nicht gelacht wird. Das führt dann dazu, dass Ihre Sendung eingestellt wird, aber das ist dann auch okay. Dann müssen Sie halt was anderes machen.
Über drei Stunden saßen wir da, der Entertainer dachte noch über seine Zukunft nach, er war entspannt und hatte Zeit, man merkte, dass der Stress des tagesaktuellen TV-Betriebs gewichen war. Doch wie sehr unterscheidet sich ein Karrierestart heute von dem vor 35 Jahren, also damals, als Schmidt begonnen hat? Fernsehredakteurinnen in Tiefgaragen aufzulauern ist schon lange nicht mehr notwendig, um eine PR-Plattform zu bekommen, das Internet hat neue Möglichkeiten geschaffen, um der Welt von seinen Ideen und Projekten zu berichten. So nehmen schon längst Menschen mit neuen Berufen an meinem Frühstückstisch Platz – Start-up-Gründer, Bloggerinnen – und erzählen, wie ihr Start glückte. Manches ist neu dabei, anderes wird immer so bleiben.
Wir reisen zu Marina Hoermanseder, einer jungen Designerin aus Wien, die 2013 in Berlin ihr eigenes Label gründete, im Herbst 2015 bekam sie bereits den Modepreis der Stadt Wien, eröffnete die Vienna Fashion Week mit einer großen Show, und wir vereinbarten kurz darauf ein Interview bei ihr zu Hause in Berlin- Kreuzberg. Für unser Gespräch musste ich nach meiner Ankunft in Berlin-Tegel noch eine unliebsame Situation bewältigen: Mein Trolley, in dem Aufnahmegerät und Mikrofone waren und den ich ausnahmsweise eingecheckt hatte, um die langwierigen Sicherheitskontrollen nicht absolvieren zu müssen, war nicht am Förderband, und kurzzeitig sah es so aus, als könnte ich das Interview gar nicht machen. Nach einer unruhigen halben Stunde in der Warteschlange des Lost & Found tauchte er Gott sei Dank auf, man hatte ihn zum falschen Terminal geliefert. Erleichterung! Auch hier zeigt sich, dass jede Sendung ein neuer Anfang, ein eigenes Projekt ist – manchmal mit unerwarteten Hürden.
Marina hatte geduldig und sehr verständnisvoll zu Hause auf mich gewartet. Ihre Wohnung passte zu der Gegend des Künstlerbezirks Berlin-Kreuzberg, Vintagemöbel, viel Rosa überall, und das große Faible der Designerin für den »Hello Kitty«-Look war deutlich zu sehen: Vom Toaster bis zu den Hausschlapfen war alles verziert mit dem Katzengesicht. Es ist vielleicht auch die Sehnsucht, seine Kindheit immer bei sich haben zu wollen, auch in einem Erwachsenenleben, kommentierte die damals 29-jährige Designerin das Styling ihrer Wohnung, das sie mit »Barbie-Look« zusammenfasste. Um den Anfang als Mode-Unternehmerin zu wagen, hatte sich Hoermanseder eine solide Basis geschaffen: das Studium der Betriebswirtschaftslehre auf Wunsch ihrer Eltern erfolgreich an der WU Wien absolviert und, weil die Arbeit in der Modebranche immer ein Ziel war, sich dann im Londoner Atelier von Modestar Alexander McQueen für ein Praktikum beworben. Prompt wurde sie genommen. Ein ziemlich harter Start: Wir arbei teten jeden Tag 18 Stunden, fünf Monate lang. Und wenn etwas nicht ganz perfekt war, mussten wir alles wieder auftrennen – bis man dort zufrieden war. Das war selbstverständlich. Da habe ich gelernt, wirklich genau zu arbeiten.
Nach der Lehrzeit in London ging es Schlag auf Schlag: Hoermanseder zog nach Berlin, gründete im November 2013 ihr erstes Modelabel, 2014 präsentierte sie ihre erste eigene Kollektion auf der Berliner Fashion Week, der Lederstriemen-Rock war schon bald ihr »Icon Piece«, also das Kernstück ihrer Kollektion, die Schnalle das für sie typische Detail. Ich bekomme immer wieder die Nachricht: Wer die Schnalle sieht, denkt an das Label Marina Hoermanseder, freute sich die taffe Modemacherin bei mir: Das ist toll! Denn: Karl Lagerfeld hat gesagt: Um erfolgreich zu sein, braucht man ein gutes Logo – und ein Wiedererkennungsmerkmal.
Eine starke Marke zu werden – das ist das Ziel. Wie auch Madeleine Alizadeh, die als Bloggerin den Namen DariaDaria gewählt hatte, bei mir verriet: Ich wollte einen Namen, den sich die Menschen sofort merken. Wir bleiben aber bei der besonderen Atmosphäre des Anfangs, die Marina Hoermanseder so feurig beschrieb. Wie erklärte sie sich, dass ihr der Durchbruch so schnell gelungen war?
Hoermanseder: Es war der totale Sprung ins kalte Wasser, als ich die erste Kollektion für die Berliner Fashion Week gemacht habe; auch ziemlich ohne Mittel. Da gab’s kein Atelier, da gab es keine Mitarbeiter, wir haben wirklich alles in der Wohnung, in der Küche, wo wir sitzen, gemacht, hier am Boden sind wir gesessen, wirklich nächtelang mit Freunden von mir, die untertags normal gearbeitet haben und in der Nacht gekommen sind und mit mir hier kilometerlange Lederstriemen poliert haben. Wir haben alle daran geglaubt, das war besonders wichtig, mein Vater hat mich ja mit einem Leitsatz geprägt, der bis heute zählt: »Der Meister brilliert in der Knappheit der Ressourcen.«
Was zählt für diesen Aufbruch noch? Risikobereitschaft, Mut, eine gute Idee, ein bestimmtes Kapital und ein tolles Team waren die Ingredienzien von Florian Gschwandtner, der mit der Fitness- App »Runtastic« ein weltweit erfolgreiches Unternehmen schaffen konnte. Außerdem zählt auch hier das richtige Tempo, das fügte Hoermanseder noch hinzu:
Das Feedback war so gut und die Nachfrage nach dieser ersten Kollektion so groß, wir konnten gar nicht anders, als zu produzieren. Man muss das Eisen schon schmieden, solange es heiß ist. Deswegen haben wir da seit der ersten Kollektion alle Register gezogen und durchgehauen Tag und Nacht. Am Anfang haben die meisten auch gearbeitet, ohne etwas zu verdienen, alles, was reinkam, wurde so-fort wieder investiert. Ich sagte mir: Bevor ich mir etwas kaufe, kaufe ich mir eine Nähmaschine fürs Atelier. Also man muss auch sich selbst zurückstellen können. Für mich war von Anfang an klar: Ich mach das jetzt, ich hau jetzt für ein paar Jahre rein und bin mir selbst nicht das Wichtigste.
Social Media – ein wichtiger Faktor für den Durchbruch der Designerin. Wie auch beim Pop-Duo Pizzera & Jaus, deren Video zu ihrem Song »Jedermann« bereits zehntausende Male geklickt worden war, bevor er ins Radio gekommen ist. Weil wir viel Kreativität und auch Geld in das Video gesteckt haben. Und unser YouTube-Kanal war dann unsere erste Plattform. So ist es möglich, eigenständig ein großes Publikum zu schaffen, hat Paul Pizzera bei mir beschrieben. Neue Medien zu nützen macht Karrieren. Hoermanseder verbreitete die Looks ihrer Kollektion via Instagram, und als der Stylist von Pop-Superstar Lady Gaga einige Teile bestellte, war ihr Durchbruch endgültig da. In ihrer hellen Küche, mit Blick auf einen liebevoll gedeckten Tisch, wo selbst winzige Marmeladeportionen in eigenen Schälchen angerichtet waren, erinnerte sich Hoermanseder daran:
Für mich war das einfach nur dieser Name – Lady Gaga hat bestellt. Also, als ich diese E-Mail bekommen hab, war das für mich so: »Oh mein Gott! Der Wahnsinn!«, und ich habe die Teile nach New York geschickt. Und dann ist es schon so ein Dominoeffekt. Also Lady Gaga trägt’s, und dann hat’s Rihanna gesehen, und Rita Ora hat bestellt, die Stylisten untereinander – da kennt sich ja auch jeder. Das geht dann irgendwie Schlag auf Schlag, das ist unglaublich viel wert. Die Stylisten der Celebrities schicken mir mittlerweile Screenshots von Instagram mit den Teilen, die sie haben wollen.
Eines ist klar, auch das von Anfang an: Wer sich der sozialen Medien bedient, darf schon gar nicht auf die Uhr blicken. So »füttert« Hoermanseder ihren Instagram-Account selbst – jenseits normaler Arbeitszeiten: vor dem Einschlafen, beim Aufwachen, ich poste auch viel in der Nacht, um den amerikanischen Markt zu erreichen. Es ist auch nicht unwichtig, private Sachen dazwischen zu posten, den Hund oder ein Selfie von sich selber, das hab ich mir auch sagen lassen von einem Social-Media-Profi. Das neutralisiert diese Werbeplattform, die’s für uns eigentlich ist.
Nicht immer ist es aber die Vision einer großen Karriere, die zu einem neuen Anfang bewegt. Manchmal ist es auch in einer Rebellion begründet, einer Unzufriedenheit. So möchte ich mich abschließend der Geschichte von Nele Neuhaus widmen, der derzeit erfolgreichsten Krimiautorin Deutschlands, die viele Jahre hauptberuflich in der Fleischwarenfabrik ihres ersten Mannes arbeitete. Ich traf sie zum ersten Mal als Moderatorin der großen Messe »Buch Wien«, ihr Verlag hatte mich engagiert, Neuhaus dort auf der Bühne zu interviewen, sofort war ich von ihrer Herzlichkeit und Offenheit begeistert.