Irgendwann gibt jeder auf - Richard Stark - E-Book

Irgendwann gibt jeder auf E-Book

Richard Stark

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Beschreibung

In Palm Beach, Stadt der Superreichen und der Polizisten, will Parker im Alleingang einer Bande ehemaliger Kumpel das Geschäft vermasseln. Sie wollen an den Schmuck, der bei einem Wohltätigkeitsfest versteigert werden soll. Eine Frau, die Parker auf die Schliche kommt, verdirbt ihm beinahe seinen nahezu perfekten Plan. Im neuen Thriller von Richard Stark, dem Kult-Krimi-Autor aus den USA, führt Parker, der einsame Wolf, einen Kampf an drei Fronten. Am Ende sind es - aparte Variante - die Bullen, die ihn retten.

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Über das Buch

Das ist Parker noch nie passiert: Nach einem erfolgreichen Raubzug verweigern ihm die Kumpel seinen Anteil, um damit den nächsten Coup vorzufinanzieren: In Palm Beach, der Halbinsel vor Florida, auf der es von Millionären und folglich von Polizisten wimmelt, wollen sie an den Schmuck, der bei einem Wohltätigkeitsfest versteigert werden soll. Parker lehnt den Auftrag als zu riskant ab, aber seinen noch ausstehenden Anteil will er natürlich trotzdem. Zunächst besorgt er sich mit einem Bulldozer Waffen, mit den Waffen Geld, mit dem Geld einen guten gefälschten Ausweis. Als er den Ausweis abholt, begeht er einen Fehler, der ihm teuer zu stehen kommen wird. In Palm Beach findet er mit Hilfe einer Immobilienmaklerin das künftige Versteck seiner alten Bande, die nach dem Juwelenraub dort untertauchen will. Aber die Frau ist smart und merkt, dass Parker nicht das an pure Luxusleben gewöhnte Ölmagnat ist, als der er sich ausgibt. Sie muss er also entweder umbringen oder in seinen Plan einweihen …

Richard Stark

Irgendwann gibt jeder auf

Roman

Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein

Paul Zsolnay Verlag

Zsolnay E-Book

Teil Eins

Eins

Als die Uhr im Armaturenbrett 2:40 anzeigte, fuhr Parker vom Parkplatz des Drugstores über die sonnenbeschienene Straße zu der Tankstelle, zu der ein Supermarkt gehörte. Er hielt neben den Zapfsäulen, drückte auf die Entriegelung für den Kofferraumdeckel und stieg aus. Sonst war kein Kunde da. Ein heller Julitag, die Temperatur knapp über zwanzig Grad, eine mittelgroße Stadt, keine dreihundert Kilometer von Omaha entfernt, ein paar Autos, die in beiden Richtungen unterwegs waren. Zehn, zwölf Blocks weiter betraten Melander, Carlson und Ross in diesem Moment die Bank.

Der Wagen, ein unscheinbarer dunkelgrauer Honda Accord, schluckte siebenunddreißig Liter Benzin. Die dünnen weißen Chirurgenhandschuhe, die Parker beim Tanken trug, wirkten wie blasse Haut.

Als der Tank voll war, schraubte er den Deckel wieder zu und öffnete den Kofferraum. Darin lagen ein paar alte Lumpen und eine leere Jim-Beam-Flasche mit einem Fassungsvermögen von knapp zwei Litern. Er füllte die Flasche mit Benzin, stopfte einen der Lumpen in die Öffnung, zündete ihn mit einem Zippo-Feuerzeug an und schleuderte die Flasche gegen die Schaufensterscheibe des kleinen Supermarkts. Dann stieg er in den Honda und fuhr davon, wobei er darauf achtete, dass er die Höchstgeschwindigkeit nicht überschritt.

2:47. Parker bog nach rechts in die Tulip Street ab. In der Bank hielt jetzt Ross die Kunden und die Angestellten in Schach, während Melander und Carlson die schwarzen Plastikmüllsäcke mit Bargeld vollstopften. Näher zur Innenstadt würde die Feuerwehr auf die Explosion und den Brand reagieren und zwei Löschfahrzeuge losschicken, rote Ungetüme, die wie gereizte Dinosaurier aus ihrer Backstein-Feuerwache hervorschießen würden.

Der weiße Bronco stand am Bordstein, wo Parker ihn zurückgelassen hatte, vor einem Haus mit heruntergelassenen Rolläden und einem »Zu verkaufen«-Schild auf dem Rasen. Parker bog in die Zufahrt ein, stieg aus und ging zu dem Bronco hinüber. Inzwischen mussten Melander und Ross die Geldsäcke schon an die Tür gebracht haben, und die Bankangestellten und -kunden mussten mit dem Gesicht nach unten hinter der Theke auf dem Boden liegen, während Carlson ihren Wagen holte, ihren ganz speziellen Wagen, den sie gleich um die Ecke abgestellt hatten.

Bei einem größeren Brand rückt die Feuerwehr mit Lösch- und Hubrettungsfahrzeugen aus; der Kommandant kommt in seinem eigenen Fahrzeug, meist einem Kombi oder einem Geländewagen, der im selben Kirschrot wie die großen Autos lackiert und mit rotem Blinklicht und Sirene ausgerüstet ist. Einen solchen Kombiwagen hatten Parker und die anderen in der Nacht zuvor in einer hundertfünfzig Kilometer entfernten Stadt gestohlen, und jetzt würde sich Carlson gerade hinters Steuer setzen und darauf warten, dass die Feuerwehrautos vorbeirasten.

Parker stieg in den Bronco, streifte die Chirurgenhandschuhe ab und steckte sie in die Hosentasche. Dann ließ er den Motor an, fuhr zwei Häuserblocks näher an seinen Ausgangspunkt heran und hielt vor einem verwilderten unbebauten Grundstück. Ganz in der Nähe der Bank würden die Feuerwehrautos vorbeirasen, und Carlson würde dicht hinter ihnen herfahren und vor der Bank anhalten, aus der Melander und Ross mit den vollen Plastiksäcken herausrennen würden.

Parker stellte den Scanner des Bronco auf den örtlichen Polizeifunk ein und hörte, wie die gesamten Einsatzkräfte der Stadt angewiesen wurden, sich auf dem schnellsten Weg zu der Tankstelle mit dem Supermarkt zu begeben. Jetzt würden alle kommen, Feuerwehrautos, Krankenwagen, Polizeifahrzeuge; auch der Kombi des Feuerwehrkommandanten mit kreischender Sirene und hektisch rotierendem Rotlicht.

2:53 auf der neuen Uhr im Armaturenbrett. Jetzt musste es passieren. Parker schaute in den Rückspiegel. Der Kombi, in der grellen Sonne rot wie ein Feuermelder, kam dort hinten dezent um die Ecke gefahren, Lichter und Sirene ausgeschaltet.

Parker war nicht der Fahrer; Carlson fuhr. Er ließ den Motor des Bronco laufen, stieg aus und ging nach hinten, um die Heckklappe zu öffnen, während der Wagen des Kommandanten neben ihm hielt. Ein strahlender Melander reichte vier prall mit Papier gefüllte Plastiksäcke heraus, und Parker warf sie hinten in den Bronco. Dann fuhr Carlson weiter und hielt vor dem Bronco, während Parker die Heckklappe schloss und auf der Straßenseite hinten einstieg.

Vor ihnen stiegen die drei aus dem Kommandantenfahrzeug aus, legten ihre schwarzen Cowboyhüte, die langen beigen Staubmäntel und die weißen Chirurgenhandschuhe ab, die sie bei dem Job getragen hatten, damit die Augenzeugen sie hinterher alle drei gleich beschrieben. Sie warfen alles auf den Rücksitz des Kombis und kamen angetrabt. Grinsend wie große Kinder. Wenn es gut läuft, sind alle obenauf, alle jung, alle ein bisschen schwindlig. Geht es schief, sind alle alt, und keiner freut sich.

Carlson setzte sich ans Steuer, Melander auf den Beifahrersitz, Ross auf den Rücksitz neben Parker. Ross war ein wuseliger kleiner Typ mit einer Haut wie trockenes Leder; wenn er, wie jetzt, grinste, sah sein Gesicht aus wie eine khakifarbene Straßenkarte. »Na, ist doch super gelaufen«, sagte er, und Carlson legte den Gang ein.

Sie fuhren Richtung Stadtmitte, und Parker fragte: »Also keine Probleme dadrin?«

»Man hätte meinen können«, antwortete Carlson, »die hätten vorher geprobt.«

Melander, ein kräftiger Typ mit einem großen Kopf und dichtem, welligem schwarzem Haar, drehte sich zu Parker um, grinste ihn an und sagte: »Weg vom Alarmknopf! Sie gehen weg vom Alarmknopf. Hände hinter den Kopf! Sie nehmen die Hände hinter den Kopf.«

Carlson warf im Rückspiegel einen raschen Blick auf Parker und sagte: »Auf den Boden, Gesicht nach unten. Rate mal.«

»Wir mussten nicht mal ›Simon sagt‹ sagen«, bemerkte Ross abschließend.

Carlson bog nach rechts in die Hyacinth ab. Sie sah aus wie die anderen Straßen in diesem Wohnviertel, doch während die anderen alle an oder vor der Stadtgrenze endeten, ging die Hyacinth Street in eine durch Ackerland führende Landstraße über und mündete schließlich in eine Staatsstraße, auf der man bald danach eine Interstate erreichte. Bis hinter ihnen in der Stadt die Polizei mit dem Brand einerseits und dem Raubüberfall andererseits klarkam und sich Gedanken darüber machte, wohin die Banditen sich abgesetzt hatten, würde der Bronco schon mit hundert Sachen ostwärts fahren.

Carlson war mager, wie die meisten Fahrer. Außerdem sah er immer ein bisschen gereizt aus und hatte Henkelohren. Wieder grinste er Parker im Rückspiegel an und sagte: »Ein nettes Feuerchen hast du da geamcht.«

»War nicht zu übersehen«, stimmte Parker zu.

Mit einem breiten Lächeln zu den Hinterköpfen vor ihm fragte Ross: »Na, Boyd? Hal? Sind wir zufrieden?«

Melander drehte sich erneut um. »Klar«, sagte er, und Carlson sagte: »Sag’s ihm.«

»Wem soll er was sagen?« fragte Parker. »Mir?« Was war hier faul? Er trug seine Knarre unter dem Hemd, aber seine Position war ungünstig. »Was soll er mir sagen?« fragte er. Carlson würde er als ersten erledigen müssen. Den Fahrer.

Aber Ross nahm keine bedrohliche Haltung ein; die anderen ebensowenig. Immer noch breit lächelnd, sagte Ross: »Wir mussten wissen, ob wir mit dir klarkommen. Und wir mussten wissen, ob du mit uns klarkommst. Aber jetzt finden wir alle, dass es okay ist, wenn du es auch okay findest. Deshalb werde ich dich jetzt über den Job aufklären.«

Parker sah ihn an. »Den haben wir gerade erledigt«, sagte er.

»Doch nicht den.« Ross tat den Bankraub mit einer Handbewegung ab. »Das war nicht der Job. Weißt du, was das war? Das war die Vorfinanzierung für den Job.«

»Der Job«, fügte Melander hinzu, »der richtige Job ist kein Kleinkram. Wie das hier.«

»Der richtige Job«, sagte Ross, »ist unseren Fähigkeiten angemessen.«

Parker sah von einem zum anderen. Er kannte diese Leute nicht. Gab es da etwas Handfestes, oder war es nur Schall und Rauch? War es das, was Hurley fast ausgeplaudert hatte? »Ich finde«, sagte er, »ihr solltet mich jetzt über den Job aufklären.«

Zwei

Angefangen hatte es mit einem Anruf über einen Mittelsmann. Parker rief von einem Münztelefon aus zurück und erkannte Tom Hurley an der Stimme, als er fragte: »Hast du viel zu tun?«

»Es geht«, sagte Parker. »Was macht die Schwinge?« Als sie das letztemal zusammengewesen waren, in einer Stadt namens Tyler, hatte Hurley nämlich eine Kugel in den Arm abbekommen und war von einem Freund namens Dalesia aus der Gefahrenzone gebracht worden.

Hurley lachte, aber nicht belustigt, sondern ärgerlich. »Macht mir ganz schön zu schaffen«, sagte er. »Ich spür sie, wenn’s kalt wird.«

»Dann bleib da, wo’s warm ist.«

»Mach ich ja. Deswegen hab ich dich überhaupt angerufen.«

Parker wartete. Nach einer kurzen Pause lachte Hurley genauso wie vorher und sagte: »Smalltalk war noch nie deine Stärke.«

Parker wartete weiter. Nach einer kürzeren Pause räusperte sich Hurley und sagte: »Es geht um ein Ding mit ein paar Leuten, die du wahrscheinlich nicht kennst.«

»Ich kenne dich.«

»Das ist es ja. Ich werde nicht dabeisein. Wenn du willst, kannst du meinen Platz übernehmen.«

»Warum?«

»Ich hab was Besseres in Aussicht, offshore. Ich werde jetzt Strandguträuber. Ein reicher Strandguträuber.«

»Wegen dem Arm«, mutmaßte Parker.

»Das auch«, gab Hurley zu. »Die drei sind gute Jungs. Die wissen, wie man am Ende des Tages zählt. Du weißt, was ich meine.«

Parker wusste, was er meinte: Sie würden nicht versuchen, alles selbst zu behalten, am Ende des Tages. Er sagte: »Warum kenne ich sie nicht? Sind das Amateure?«

»Nein, sie arbeiten nur an anderen Orten, mit anderen Leuten, du weißt ja, wie das ist. Andererseits könnte es sich ja lohnen mit ihnen, und dann kennst du sie, und wer weiß.«

»Wer weiß was?«

»Was noch alles draus wird«, sagte Hurley.

Parker ließ das auf sich beruhen. »Wo sind sie jetzt?«

»Bald hier und bald da, wie andere Leute auch«, sagte Hurley. »Zur Zeit sind sie irgendwo im Nordwesten oder vielleicht in Vancouver. Irgendwo da drüben.«

»Und da soll die Sache auch steigen?«

»Nein, sie arbeiten lieber fern von zu Hause.« Das galt auch für Parker. »Aber nicht in meiner Nähe«, sagte er.

»Nein, im Mittleren Westen, in einem von den platten Staaten da draußen. Ich hab ihnen von dir erzählt. Wenn du interessiert bist, geb ich dir eine Nummer.«

So hatte eins zum anderen geführt, und hier saß er mit Melander, Carlson und Ross in dem Bronco und sollte nun doch das erfahren, worüber Hurley nicht hatte reden wollen.

Drei

»Es geht um Schmuck«, sagte Ross.

Parker war nicht beeindruckt. »Das macht zehn Cent pro Dollar, wenn’s hoch kommt.«

»Stimmt«, sagte Ross, »soviel werden wir kriegen.«

»Wir haben drei Abnehmer«, sagte Melander. »Die stehen Gewehr bei Fuß. Und die geben uns soviel, alle drei.«

»Drei?« fragte Parker.

»Es ist zuviel für einen einzigen Hehler«, erklärte Ross.

Parkers Interesse war geweckt. »Worüber reden wir hier?«

Carlson fuhr die Rampe zur Interstate hinauf, und Ross sagte: »Wenn wir heimgehen —«

»Heimfahren«, korrigierte ihn Melander. »In einer Limousine.«

»Stimmt«, sagte Ross. »Wenn wir vier heimfahren, hat jeder von uns dreihundert Riesen in der Tasche.«

Parkers Blick ging von Ross zu Melander und wieder zurück.

Sie wirkten beide ernst, wenn auch aufgekratzt. Keiner von ihnen nahm irgendwelche Stimmungsaufheller. »Also Schmuck im Wert von zwölf Millionen?« fragte er.

»Das ist die Untergrenze«, sagte Ross. »Der Schätzwert. Es handelt sich um einen Benefizverkauf. Wenn wir die Finger davon lassen, geht’s noch höher. Aber den Schätzwert kriegen wir.«

»Ein Benefizverkauf. Wo?«

»Palm Beach«, sagte Ross.

Parker schüttelte den Kopf. »Ich passe.«

»Du willst keine Einzelheiten wissen?« fragte Ross.

»Hab ich doch schon gehört«, sagte Parker. »Schmuck im Wert von zwölf Millionen an einem einzigen Ort zieht allerhand Aufmerksamkeit auf sich. Polizei, Sicherheitsdienste, Wachmänner, Posten, wahrscheinlich Hunde, mit Sicherheit Hubschrauber, Metalldetektoren, die ganze Latte. Und das dann noch in Palm Beach, wo es mehr Polizei pro Quadratzentimeter gibt als irgendwo sonst auf der Welt. Die sind alle reich in Palm Beach, und sie wollen alle reich bleiben. Außerdem ist es eine Insel, mit drei schmalen Brücken; den Ort kann man absolut dichtmachen, wie in Folie eingeschweißt.«

»Stimmt alles«, sagte Ross. »Aber wir wissen, wie wir reinkommen, wie wir rankommen und wie wir rauskommen.«

»Trotzdem weiß ich immer noch, was das für ein Job ist«, sagte Parker, »und ich will ihn immer noch nicht haben.«

»Nur mal so aus Neugier: warum nicht?« fragte Melander.

»Weil man, um auch nur dran zu denken, dieses Ding zu drehen, noch dazu in Palm Beach, zweierlei haben muss. Erstens einen Insider — der ist der Amateur, und der bringt einen zu Fall. Und zweitens ein Boot, weil das die einzige Möglichkeit ist, von der Insel wegzukommen, und das ist noch schlimmer als eine Insel, weil man von einem Boot überhaupt nicht wegkommt.«

»Ja und nein«, sagte Ross. »Stimmt, wir haben einen Insider, aber der tritt nur vor dem Job auf den Plan. Am Tag X ist er nicht mal in der Nähe von Palm Beach, und Amateur ist er genaugenommen auch keiner.«

»Er ist einer unserer Abnehmer«, erläuterte Melander, »wir haben schon mit ihm gearbeitet.«

»Von Beruf«, sagte Ross, »ist er Kunstsachverständiger, er macht Vermögensgutachten, sagt einem, was die Bilder wert sind, was die Teppiche wert sind, was der Schmuck wert ist, fürs Finanzamt und für die Erben.«

Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, sagte Carlson: »Er hat ein kleines Problem mit Nasenpuder, also braucht er Kohle nebenbei. Aber er passt auf, dass er dadurch nicht zum Problem wird, jedenfalls nicht für uns.«

»Er ist drauf spezialisiert«, sagte Melander, »Sachen auszubaldowern.«

»Und dann gibt er euch Tips«, sagte Parker.

»Genau.«

»Und dann geht ihr rein und holt euch das Beste davon. Und wie lange dauert es, bis jemand merkt, dass, wenn dieser Typ das Zeug schätzt, der nächste Schritt ein Raub ist?«

»So machen wir das nicht«, erwiderte Ross. »Unsere Abmachung lautet, dass wir nie etwas anrühren, bevor nicht mindestens zwei Jahre vergangen sind, nachdem er in Aktion getreten ist. Und diesmal, in Palm Beach, hat er gar nicht als Sachverständiger fungiert.«

»Aber er kann auf die Schätzungen zugreifen«, ergänzte Melander, »wie jeder andere in der Branche.«

»Er hat schon andere Sachen in Palm Beach erledigt«, sagte Ross, »deshalb kennt er die Örtlichkeiten und die Abläufe, weiß alles darüber, aber er ist keiner von denen, die sich speziell diesen Schmuck angesehen haben.«

»Er war dort schon tätig«, sagte Melander, »aber bei anderen Anlässen, anderen Vermögenswerten.«

»Wenn die nach einem Insider suchen«, sagte Ross, »werden sie ihn nicht beachten, weil er gar nicht drin war.«

»Möglich«, sagte Parker. »Und das Boot?«

»Kein Boot«, versicherte Melander. »Ich bin hundertprozentig deiner Meinung, was Boote angeht.«

»Aber wie kommt ihr dann von der Insel weg?«

»Gar nicht«, sagte Ross.

»Ihr bleibt dort? Wo? Das ist euch doch klar: Ihr mietet eine Wohnung, und die Polizei lässt sich als erstes die neuesten Mietverträge zeigen.«

»Keine Mietwohnung«, sagte Ross.

»Wo dann?«

»Bei mir zu Hause«, sagte Melander und grinste wie ein Bär.

Parker versuchte durchzublicken, aber es gelang ihm nicht ganz. »Du hast da eine eigene Wohnung?«

»Fünfzehn Zimmer«, sagte Melander, »am Strand. Wird dir, glaub ich, gefallen.«

»Du hast eine Fünfzehn-Zimmer-Villa am Strand in Palm Beach?« sagte Parker. »Wie kommt’s?«

»Na ja, ich hab sie vor ein paar Wochen gesucht und gefunden«, sagte Melander.

»Aber er kauft sie erst heute«, sagte Ross. »Die Anzahlung haben wir von der Bank, in der wir heute waren.«

Vier

Das Motel und das Auto, das Parker benutzen würde, befanden sich in Evansville. Als sie dort angekommen waren, zählten Melander und Ross auf dem Bett das Geld, während Carlson und Parker an dem runden Tisch einander gegenübersaßen, in den beiden einzigen Sesseln, die es in dem Zimmer gab.

»Das Haus ist billig. Für Palm Beach, meine ich«, erklärte Carlson.

»Warum?«

»Vor vielleicht acht Jahren ist es an dieses Filmstar-Ehepaar verkauft worden, du weißt schon, er ist ein Star, und sie ist ein Star, und wenn sie einen Film drehen, kriegt er zwanzig Millionen und sie zehn Millionen —«

Vom Bett aus sagte Melander: »Immer noch kein gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ist dir das klar?«

Carlson und Parker beachteten ihn nicht, und Carlson sagte: »Die haben das Anwesen gekauft und gedacht, sie würden Stars in Palm Beach sein, aber Palm Beach hat sie geschnitten. Sie sind Stars, aber sie sind Prolos, und in Palm Beach darf man kein Prolo sein. Oder wenn man einer ist, lässt man es sich nicht anmerken und wirft mit Geld um sich.«

»Wohltätigkeit«, sagte Melander.

»Wohltätigkeit ist in Palm Beach große Mode«, stimmte Carlson zu. »Aber die beiden haben es nicht richtig gemacht. Die dachten, sie gehören schon dazu. Sie haben große, protzige Partys veranstaltet und sogar Rockbands eingeflogen, das muss man sich mal vorstellen, aber kein Schwein ist hingegangen.«

»Na ja, es sind schon viele auf diese Partys gegangen«, sagte Ross.

»Aber nicht die richtigen Leute«, sagte Carlson. »Außerdem sind die Partys dem Haus nicht gut bekommen, es ist in ziemlich schlechtem Zustand. Dann sind die Stars weggezogen, um woanders Stars zu sein —«

»Wo man zu Stars aufschaut«, sagte Melander.

»Also hat das Haus leergestanden«, sagte Carlson, »und die Alarmanlage ist andauernd kaputtgegangen, und Penner haben sich vom Strand her eingeschlichen, und es hat ein paar kleine Brände gegeben, und schließlich haben die Cops gesagt, wir können nicht jeden Tag vierundzwanzig Stunden einen Mann vor diesem Haus postieren, Sie müssen einen eigenen Sicherheitsdienst engagieren, und die Stars haben gesagt, scheiß drauf und haben es zum Verkauf angeboten.«

Melander lachte: »Ein renovierungsbedürftiges Haus in Palm Beach zu verkaufen. Was für Do-it-yourself-Freaks.«

»Diese Stars haben nichts auf die Reihe gekriegt«, sagte Carlson. »Wenn sie die Renovierung übernehmen, können sie das Haus viel teurer verkaufen. Aber sie sind nicht interessiert, sie sind längst woanders, und das Haus steht da, bis Boyd aufkreuzt.«

Melander stand vom Bett auf und stellte sich in Positur: die Schultern gestrafft, der massige Körper entspannt, ein breites Lächeln, das Gesicht von vollem, gewelltem Haar umrahmt. Mit starkem texanischem Akzent sagte er: »Ich mag eure kleine Stadt, ich würde gern was beitragen, wenn ich könnte, damit sie noch schöner wird. Ich mag den Ozean, den ihr habt, er ist größer als der Golf, mir gefällt die Vorstellung von diesem ganzen Ozean da draußen und dass Europa auf der anderen Seite ist, nicht Mexiko. Nicht dass ich etwas gegen die Mexikaner hätte, das sind hart arbeitende kleine Kerle, die meisten jedenfalls.«

Melander setzte sich wieder zu dem Geld, und Carlson sagte grinsend zu Parker: »Boyd passt dort prima hin. Und mit dem ganzen Erdölgeld von seiner Familie wird er das Haus so herrichten, dass es wieder wie neu wird. Besser. Und wenn er mit dem Haus fertig ist, will er dort die große Benefizveranstaltung für die Bibliothek organisieren.«

Parker nickte. »Ja, er wirkt glaubwürdig.«

Carlson schien zufrieden. »Also bist du dabei?«

»Nein«, sagte Parker.

Die drei waren enttäuscht, schauten ihn an, als hätte er sie auf eine unerwartete Art im Stich gelassen. »Darf man fragen, warum?« fragte Carlson.

»Ihr habt ein Haus, in dem ihr euch aufhalten könnt. Wenn ich euch frage, werdet ihr mir sagen, dass von dem Haus keine Spur zu einem von euch führen wird, wenn alles vorbei ist.«

»Klar«, sagte Carlson.

»Aber das ist nicht der Job«, sagte Parker. »Das ist nur ein sicheres Haus. Der Job, das ist nach wie vor ein großer Haufen Schmuck, Klunker für zwölf Millionen Dollar, dicht umstellt von Leuten mit Waffen, die nicht wollen, dass ihr das Zeug in die Finger kriegt. An der Idee von heute — als Ablenkungsmanöver ein bisschen weiter draußen was in die Luft jagen — sehe ich, dass ihr Jungs es gern knallig habt. Nichts dagegen, Brände und Explosionen haben ihre Berechtigung, aber ich glaube, ihr wollt es auch in Palm Beach knallig haben, und damit werdet ihr genauso baden gehen wie die Filmstars.«

Carlson wollte etwas sagen, aber Parker hob die Hand. »Sag’s mir nicht«, sagte er. »Ich mach nicht mit, also will ich auch nicht wissen, wie euer Plan aussieht, und ihr wollt auch nicht, dass ich es weiß.«

Die drei sahen einander an. Parker beobachtete sie, um festzustellen, wie er reagieren sollte, aber anscheinend wollte keiner irgendeine Drohung loslassen. Schließlich sagte Carlson: »Wie weit seid ihr mit dem Zählen?«

»Fertig«, sagte Ross. »Fünfundachtzig und ein paar Zerquetschte.«

»Das ist wenig«, sagte Carlson.

»Na ja, wir wussten, dass es möglicherweise nicht viel sein würde«, sagte Melander.

Carlson wandte sich wieder an Parker. »Die Anzahlung für das Haus beläuft sich auf hundert Riesen. Die haben mehr verlangt, Boyd hat sie runtergehandelt, aber das ist die absolute Untergrenze. In zwei Tagen wird das Bargeld hier als elektronischer Impuls eine Bank in Austin verlassen, aber es ist nicht genug. Nach Lage der Dinge werden wir uns den Rest schwarz borgen müssen.«

Parker wartete.

Vom Bett her sagte Ross: »So sieht’s aus, verstehst du? Wir müssen uns fünfzehn borgen, das heißt, wir müssen dreißig zurückzahlen. Mann, wenn wir dir deine« — er schaute auf einen Zettel, der vor ihm auf dem Bett lag — »einundzwanzigtausenddreihundertneunzehn Dollar geben, müssen wir uns fast vierzig leihen, und das ist ein Rückzahlbetrag von achtzig, da fängt’s an weh zu tun.«

»Außerdem«, sagte Carlson ganz ruhig und vernünftig, »brauchen wir immer noch einen vierten Mann, so wie die Sache geplant ist, also muss irgendwer diesen vierten Anteil kriegen. Deshalb sollst du es sein.«

»Nein«, sagte Parker.

Wieder sahen sie einander an, und wieder wartete Parker darauf, dass sie etwas unternahmen, aber es passierte auch jetzt nichts. Melander sagte nur: »Der ändert seine Meinung nicht.«

»So ein Mist«, sagte Carlson.

Melander meinte: »Wir haben gewusst, dass es so kommen könnte.«

»Trotzdem.«

Unterdessen zählte Ross einen kleinen Stapel Geldscheine aufs Bett, und Carlson stand auf und trat an den Wandschrank. Er öffnete die Tür und zog zwei der drei Koffer heraus — den von Parker ließ er drin. Ross stand vom Bett auf, kam herüber, legte Parker ein kleines Bündel Scheine hin und sagte: »Tut mir leid, dass es nicht geklappt hat. Wir melden uns wieder bei dir.«

Parker schaute das Geld an. Es war nicht genug, bei weitem nicht. »Was ist das?« fragte er.

»Das sind zehn Prozent«, sagte Ross. »Gut zwei Riesen. Wenn wir in Palm Beach fertig sind, kriegst du den gesamten Rest; das hier sind also quasi die Darlehenszinsen.«

»Ich gebe euch kein Darlehen«, sagte Parker.

Melander und Carlson stopften das übrige Geld in die beiden Koffer. Melander sagte: »Tut mir leid, aber du musst. Du hast keine Wahl, und wir haben keine Wahl.«

Ross zeigte Parker eine Pistole, ohne sie direkt auf ihn zu richten. »Du stehst besser nicht auf«, sagte er, »und lässt die Hände besser auf dem Tisch.«

»Tom Hurley hat gesagt, ihr wärt keine Halsabschneider.«

»Sind wir auch nicht«, sagte Ross mit schlichter Aufrichtigkeit. »Du kriegst dein Geld. Der Job läuft in zwei Monaten, und dann gehört das Geld dir. Mit Zinsen.«

Melander sagte: »Tut mir leid, Kumpel, dass wir so vorgehen müssen, aber was bleibt uns anderes übrig? Wir dachten, du würdest mitmachen, dann wäre alles in Butter gewesen. Tut mir leid, dass du dich anders entschieden hast, aber da kann man nichts machen.«

Carlson sagte: »Du kannst dich drauf verlassen, dass wir dich auszahlen. Ich hab noch nie einen Kollegen gelinkt.«

Jetzt linkst du mich, dachte Parker. Aber wozu noch viel reden?

Die drei wechselten Blicke, als dächten sie, es könnte noch mehr zu sagen geben, und dann wandte sich Melander an Parker und breitete die Hände aus: »Du weißt, wo wir demnächst sind.«

»In Palm Beach.«

»Wenn wir Halsabschneider wären, würden wir dich jetzt umlegen.«

Das einzig Richtige, dachte Parker und wartete.

»Aber das ist nicht unser Stil«, sagte Carlson.

Dann seid ihr tot, dachte Parker und wartete.

»Es ist nur, wir möchten, dass du die beiden nächsten Monate zu Hause bleibst. Wir werden dich ab und zu anrufen, um uns zu überzeugen, dass du da bist«, sagte Melander.

Parker zuckte die Achseln. Mit diesen Leuten war nicht zu reden.

Offenbar fanden sie jetzt auch selbst, dass sie genug geredet hatten. Sie bewegten sich Richtung Tür, Ross steckte die Pistole weg und ging hinaus, ohne sich nach ihm umzudrehen.

Parker saß da, die Hände mit den Handflächen nach unten auf dem Tisch, die paar Geldscheine dazwischen. Sein Geld war weg, es war im Begriff, ein elektronischer Impuls in Texas zu werden. Das war so nicht vorgesehen, und es würde auch nicht so kommen.

Er stand auf, ging zum Telefon und rief Claire in dem Haus oben in New Jersey an. Als sie sich meldete, fragte er, ohne seinen Namen zu sagen: »Erinnerst du dich an das Hotel mit dem Haialarm?« Er meinte ein Hotel in Miami Beach, in dem sie einmal gewohnt hatten.

»Ja.«

»Fahr hin und bleib die nächsten zwei Monate dort. Ich ruf dich an.«

»Gleich?«

»Du kannst noch zwei Tage warten, bis das Telefon klingelt, aber geh nicht ran«, sagte er und legte auf.

Fünf

Er startete in Evansville, und er musste zwei Monate später in Palm Beach sein. In dieser Zeit waren Vorbereitungen zu treffen, und Vorbereitungen kosteten Geld. In den nächsten sechs Wochen musste er also vor allem eins tun: Geld sammeln.

An Bargeld kommt man heute schwerer ran als früher. Es gibt keine Lohntüten mehr. Im Sportstadion, beim Reisebüro und in Kaufhäusern bezahlt man überwiegend mit Kreditkarte. Man kann einen gepanzerten Geldtransporter nicht knacken, wenn man allein arbeitet. Eine Bank kann man als einzelner überfallen, aber dann bekommt man nur, was ein einzelner Kassierer in seinem Käfig hat, und das ist bei dem Risiko nicht genug. Es ist also schwer, an nennenswerte Mengen Bargeld zu kommen. Aber nicht unmöglich.

Einschließlich der »Zinsen«, die seine drei ehemaligen Partner ihm gegeben hatten, besaß er etwas mehr als dreitausend Dollar in bar. Der Wagen, den er fuhr, ein gelbbrauner Ford Taurus mit Nummernschildern aus Oklahoma, war sauber genug für eine Verkehrskontrolle, aber zu riskant für eine genaue Überprüfung der Wagenpapiere. In einer Halterung unter dem Armaturenbrett, rechts von der Lenksäule, hatte Parker einen 38er Special Colt Cobra, in einem schmalen Wildlederholster auf der linken Seite unter dem Hemd trug er einen gedrungenen 22er Sentinel, der aber nur auf ein, zwei Meter einsetzbar war. Außerdem hatte er mehrere Garnituren Arbeitskleidung, in denen er aussah wie einer, der von seiner Hände Arbeit lebte, und das war’s.

Was er zuerst brauchte, waren bessere Waffen, dann mehr Geld, dann bessere Kleidung und besseres Gepäck und schließlich ein besserer fahrbarer Untersatz. Er musste auch sein Äußeres verändern, nicht für die drei Kerle, die er umlegen würde, sondern für die Polizei von Palm Beach; er musste jemand sein, bei dem die Polizei nicht zweimal hinsah.

Melander hatte das Motelzimmer mit einer Kreditkarte bezahlt, die sich wahrscheinlich spätestens morgen selbst zerstören würde, also musste er vor allem schnell hier raus. Parker trug seine Reisetasche, die leichter war als vorgesehen, zu dem Taurus hinaus. Fünf Minuten später war er auf der Interstate 164 und fuhr südwärts nach Kentucky.

Überall im Süden gibt es mehr Waffengeschäfte draußen an den großen Highways als in den Innenstädten oder Einkaufszentren, und zwar aus mehreren Gründen. Die Geschäfte brauchen gute Parkmöglichkeiten, sie wollen sich nicht mit quengeligen Nachbarn, nervigen Vermietern oder der falschen Art von Laufkundschaft herumärgern, und die meisten ihrer Kunden sind eher Land- als Stadtbewohner.

Also siedeln sie sich auf dem Land an, sind deswegen aber keineswegs hinterwäldlerisch. Sie haben erstklassige Sicherheitssysteme mit erstklassigen Schlössern, mit der nächsten Polizeiwache verbundene Alarmanlagen, bruchsichere Schaufensterscheiben, Eisengitter und teilweise sogar Bewegungsmelder.

Parker entschied sich für einen Laden mit dem Namen »A-Betta-Deala — GUNS«, vor allem deshalb, weil es dort keinen Wachhund gab. Es war ein breiter ebenerdiger Bau an einer Staatsstraße in der Mitte von Kentucky, und der Name stand in roten Lettern auf einem riesigen weißen Schild auf dem Dach. Beiderseits der zweiflügeligen, vergitterten und alarmgesicherten Ladentür befanden sich jeweils zwei große Schaufenster, drei mit Gewehren und Schrotflinten und eines mit Handfeuerwaffen.

Dreieinhalb Kilometer südlich von dem Waffengeschäft waren die Garage und das Lagergrundstück der Straßenmeisterei des County, und sechseinhalb Kilometer weiter lag die nächste Staatspolizeikaserne. Morgens um Viertel nach drei stellte Parker den Taurus neben A-Betta-Deala ab, wo man ihn von der Straße aus nicht gleich sah. Dann ging er auf der hügeligen, kurvenreichen Straße, die überwiegend durch Buschwald führte, die dreieinhalb Kilometer nach Süden. Viermal kamen ihm Scheinwerfer entgegen, dann trat er von der Straße zwischen die Bäume, bis das Fahrzeug vorbei war.

Die Sicherheitsvorkehrungen an der Garage der Straßenmeisterei waren vergleichsweise lax — die beiden Flügel des Maschendrahttors waren nur mit einer Kette mit Vorhängeschloss gesichert. Parker zog sich zuerst die Chirurgenhandschuhe an, kletterte dann über das Tor und machte im Dunkeln einen gelben Bagger mit einer gut einen Meter breiten Schaufel ausfindig. Er knipste kurz seine Taschenlampe an, las die Nummer von der Seite der Führerkabine ab und ging dann zur Garage hinüber. Die Seitentür hatte nur ein einfaches Schloss und keine Alarmanlage; er ging hinein und fand mit Hilfe der Taschenlampe das Sperrholzschränkchen an der Wand, in dem die Schlüssel aufbewahrt wurden. Eine herumstehende Schaufel bot sich als Brechstange an; er hebelte die Tür des Schränkchens auf und fand den Baggerschlüssel. Außerdem nahm er einen gelben Schutzhelm mit, um als Fahrer echt zu wirken.

Der Bagger machte viel Krach, hatte aber einen starken Motor. Er musste ihn rückwärts aus der Parkbucht fahren, und die Maschine piepte mehrmals, bis er den Wählhebel auf Drive stellte. Dann schwang er herum, fuhr die Schaufel aus, drehte sie so, dass die Öffnung nach hinten zeigte, und fuhr durch das verschlossene Tor.

Die Höchstgeschwindigkeit der Maschine lag bei dreißig Stundenkilometern, und in Kurven musste er noch langsamer fahren. Parker brauchte elf Minuten für die Fahrt zurück zu A-Betta-Deala. In dieser Zeit kam ihm nur ein Pick-up entgegen, der mit lauter Country Music aus den offenen Fenstern Richtung Süden fuhr.

Es waren in beiden Richtungen keine Scheinwerfer zu sehen, als Parker das Waffengeschäft erreichte. Ohne anzuhalten, senkte er den Baggerarm mit der Schaufel nach vorn ab und fuhr direkt in das Schaufenster mit den Handfeuerwaffen. Er schaufelte den gesamten Fensterinhalt auf und setzte dann zurück, wobei der Bagger erneut Pieptöne von sich gab. Als er weit genug von dem Gebäude weg war, in dem jetzt die Alarmanlage ohrenbetäubend schrillte, drehte er die Baggerschaufel und kippte den Inhalt auf den asphaltierten Parkplatz; dann schaltete er den Motor des Baggers aus, nahm den Schutzhelm ab, kletterte aus der Kabine und durchsuchte mit Hilfe der Taschenlampe den Haufen. Er wählte vier Pistolen, ging zu dem Taurus, legte die Waffen unter eine Moteldecke auf dem Rücksitz, streifte die Handschuhe ab und fuhr nach Norden, weg von dem Waffengeschäft, der Garage der Straßenmeisterei und der Staatspolizei.

Sechs

Sechs Tage später saß Parker um halb neun Uhr morgens in Nashville auf der Orange Street in dem Taurus, schräg gegenüber von AAAAcme Check Cashing. Es war noch geschlossen, deshalb sah man im Erdgeschoss des schmalen dreistöckigen Gebäudes, eines in einer Reihe ähnlicher Bauten, nur das graue Metall des Rollgitters, das bei Nacht vor der Fassade heruntergelassen war. Wurde es hochgezogen, sah man dahinter lediglich eine Eisentür mit einem kleinen Fenster in der Mitte einer Backsteinmauer und zwei kleinen, breiten Fenstern auf beiden Seiten, in denen in roter Neonschrift »Scheckeinlösung« stand.

Parker war schon den vierten Morgen hier, und inzwischen kannte er den Ablauf genau, wenn AAAAcme öffnete. Die Geschäftszeiten waren Montag bis Samstag von neun bis achtzehn Uhr. Jeden Morgen gegen acht Uhr fünfundvierzig hielt vor dem Geschäft ein roter Jeep Cherokee mit zwei Männern auf dem Vordersitz. Der Fahrer, ein massiger Typ, der bei jedem Wetter einen Anorak trug, was auf eine kugelsichere Weste darunter schließen ließ, stieg aus, schaute sich aufmerksam um und ging hinüber, um das Rollgitter aufzuschließen und hochzuschieben. Dann schloss er die Vordertür auf, machte sie auf und hielt sie offen, während er die Straße hinauf- und hinunterschaute. Der andere Mann, ebenfalls massig und im Anorak, stieg aus, öffnete die Hecktür des Jeeps, nahm zwei schwere Metallkisten mit Metallgriffen auf der Oberseite heraus und schleppte sie über den Bürgersteig zu dem Laden. Der erste Mann wartete, bis die Tür zugefallen war, ging zu dem Jeep zurück, schloss die Hecktür, die sein Partner offengelassen hatte, und fuhr zweihundert Meter zu einem Privatparkplatz, der für Pfandleiher, Secondhand-Musikalienhändler, Spirituosenhändler, Zahnärzte und Passfotografen reserviert war, die sich hier niedergelassen hatten. Nachdem er den Jeep auf seinem gekennzeichneten Platz abgestellt hatte, ging er zum Laden zurück, klopfte an und wurde eingelassen. Eine Viertelstunde später machte das Geschäft auf.

In dem Viertel war spätnachts mehr los als frühmorgens. Um diese Tageszeit herrschte fast kein Verkehr, und vor zehn sah man auch nur selten einen Passanten. In den drei Tagen, die Parker das Geschäft nun schon beobachtete, hatte AAAAcme vor halb zehn keinen einzigen Kunden gehabt; offenbar öffneten sie nur als alter Gewohnheit so früh.

An dem Morgen lief alles genauso ab wie an den anderen Tagen. Als Parker im Rückspiegel den Cherokee herankommen sah, stieg er aus, schloss den Taurus umständlich ab und ging die Straße hinunter Richtung AAAAcme. Der Cherokee fuhr an ihm vorbei und hielt am Bordstein, und er ging zwischen dem Cherokee und dem Laden hindurch. Er ging weiter und passte seine Schritte dem normalen Tempo ihrer alltäglichen Routine an. Der Cherokee überholte ihn erneut, unmittelbar bevor er die Einfahrt zu dem Parkplatz erreichte.

Er trug ein graues Sweatshirt über schwarzen Chinos. Den Sentinel hatte er in der rechten Hosentasche, und vorn im Hosenbund unter dem Sweatshirt steckte ein 45er Colt aus Kentucky. Als er auf den Parkplatz abbog, steckte er die rechte Hand in die Hosentasche.

Der Fahrer stieg aus dem Cherokee aus. Er sah Parker ohne Neugier an, drehte sich um und schloss den Wagen ab. Parker machte ein paar rasche Schritte auf ihn zu, zog den Sentinel aus der Tasche und zielte noch im Gehen mit gestrecktem Arm. Er feuerte einmal, und das .22er Geschoss durchschlug den linken Oberschenkel des Fahrers und prallte dann an der Tür des Cherokee ab, wo es eine sternförmige schwarze Delle hinterließ.

Der Mann sackte überrascht zusammen, fiel gegen den Cherokee und sah über die Schulter Parker an: »Was ist? Was ist los?«

Parker trat ganz nahe an ihn heran und zeigte ihm den Sentinel.

»Ich hab auf dich geschossen«, sagte er. »Die Weste schützt dein Bein nicht. Und dein Auge auch nicht. Willst du eine Kugel ins Auge?«

»Wer zum Teufel sind Sie?« Der Mann stand unter Schock, und alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen. Er betastete sein linkes Bein.

Parker hielt ihm den Sentinel unter die Nase. »Antworte gefälligst.«

»Was hab ich Ihnen getan? Ich kenn Sie ja nicht mal.«

»Ich bin dabei, Sie zu berauben«, sagte Parker.

»Mein Gott! Sie wollen meine — verdammter Mist!« rief er und schaute auf seine blutrote Hand. »Wegen einer Scheiß-Brieftasche?«

»Das Geschäft«, sagte Parker. »Wir gehen da hin, und wir gehen zusammen rein.«

»Mein Partner —«