Keiner rennt für immer - Richard Stark - E-Book

Keiner rennt für immer E-Book

Richard Stark

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Beschreibung

Bankenfusion in der Kleinstadt. Parker erfährt davon von einem Vertrauensmann, dem allerdings nicht wirklich zu trauen ist. Komplizierter wird die Sache noch dadurch, dass die Frau des Bankdirektors ein Techtelmechtel mit dem Tippgeber hat. Außerdem sucht ein Kopfgeldjäger nach dem Spitzel, den Parker verschwinden lassen musste, noch bevor das Unternehmen überhaupt startete. Jeder will an das Geld, aber keiner hält sich an die Abmachungen, sodass der Aktionsplan für den Überfall ständig korrigiert werden muss - ein schwieriger Job für Parker, der für Präzision berüchtigt ist, aber auch dafür, dass er keine Kumpel kennt und kein Erbarmen mit Pfuschern. Nach Parkers glorreichem Comeback mit "Fragen Sie den Papagei" ist dies der zweite Thriller, der den faszinierend coolen Helden in Hochform zeigt. Viele Parker-Romane wurden in den USA verfilmt, darunter "Point Blank" mit Lee Marvin in der Hauptrolle.

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Über das Buch

Auch in einer Kleinstadt ist viel Geld unterwegs, wenn zwei Banken fusionieren. Parker erfährt davon durch einen Vertrauensmann, auf den man sich allerdings nicht wirklich verlassen kann. Komplizierter wird die Sache noch dadurch, dass die Frau des Bankdirektors ein Techtelmechtel mit dem Tipgeber hat. Gefühle, niemand weiß das besser als Parker, sind vor allem bei Geschäften dieser Art gefährlich. Außerdem sucht ein Spezialist für »verschwundene Personen« nach dem Spitzel, den Parker verschwinden lassen musste, bevor das Unternehmen überhaupt startet. Jeder will an das Gel, aber keiner hält sich genau an die Abmachung, und so muss der Aktionsplan ständig korrigiert werden — ein schwieriger Job für Parker, der für seine Präzisionsarbeit berüchtigt ist, aber auch dafür, dass er eine Kumpels kennt und kein Erbarmen mit Pfuschern.

Nach Parkers glorreichem Comeback mit Fragen Sie den Papagei ist dies der zweite Roman, der den faszinierend coolen Helden in Hochform zeigt.

Richard Stark

Keiner rennt für immer

Roman

Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl

Paul Zsolnay Verlag

Zsolnay E-Book

Teil Eins

Eins

Als er sah, dass der Mann, der Harbin hieß, verdrahtet war, sagte Parker: »Gib mir schon mal Karten« und stand auf. Sie waren alle in Anzug und Krawatte zu dieser nächtlichen Verabredung gekommen, Geschäftsreisende, die zur Entspannung ein bisschen Seven Card Stud spielten. Harbin, ein nervöser Typ, der das gestärkte weiße Hemd nicht gewöhnt war, zuckte und zappelte immerzu herum oder beugte sich vor, um einen Blick auf seine Karten zu werfen, und schließlich sah Parker, der um neunzig Grad versetzt links von ihm saß, in der Lücke zwischen den Knöpfen den Lichtreflex auf dem durchsichtigen Klebeband, mit dem das Kabel befestigt war.

Während er um den Tisch herumging, löste Parker seine Krawatte — dunkelblau mit dünnen goldenen Streifen —, nahm sie doppelt und warf sie Harbin über den Kopf. Er zog die beiden Enden durch die Schlaufe und ruckte mit der Rechten kräftig nach hinten, während sein Körper sowohl Harbin als auch den Stuhl, auf dem er saß, gegen den Tisch drückte und er mit der Linken nach vorn langte, um Harbin das Hemd aufzureißen. Die anderen fünf am Tisch, die gerade sprechen, sich bewegen oder auf das reagieren wollten, was Parker da tat, hielten inne, als sie das an Harbins blasse Brust geklebte Kabel, den Rand des an seine Taille geklebten schwarzen Metallkästchens sahen.

Parker drückte Harbin nieder, klemmte ihn am Tisch fest, zog nun mit beiden Händen an der Krawatte, die er zugleich verdrillte. Harbins auf dem Schoß eingezwängte Hände schlugen einen Trommelwirbel gegen die Unterseite des Tisches. Die Arme aufgestützt, hielten die anderen Spieler den Tisch fest und sahen McWhitney an — roter Bart, rotes Gesicht —, der Harbin mitgebracht hatte. McWhitney ließ mit ernster Miene den Blick von Gesicht zu Gesicht wandern und schüttelte den Kopf; er hatte keine Ahnung gehabt.

»Ich glaube, ich bin mit Geben dran«, sagte Dalesia so ruhig wie zuvor und mischte eine Zeitlang die Karten, während die anderen Harbin und Parker beobachteten. Dalesia teilte, sämtliche Karten verdeckt, vor sich aus und sagte: »König.«

»Passe«, sagte Mott.

Es war Stratton, der dieses Hotelzimmer in Cincinnati gemietet hatte. Er zeigte auf McWhitney, zeigte auf Harbin, machte eine Geste mit dem Daumen, wie ein Schiedsrichter, der einen Spieler vom Platz schickt. McWhitney nickte, erhob sich leise und achtete darauf, dass die Stuhlbeine nicht am Boden scharrten.

Mott und Fletcher saßen zu beiden Seiten von Harbin; nun hielten sie ihn aufrecht, während Parker seine Krawatte aus der neuen, tiefen Falte in Harbins Hals pflückte.

»Diese Karten sind tot«, sagte Mott, und Fletcher schälte das Klebeband von Harbins Brust und löste das Antennenkabel und den Sender.

Im Stehen bedachte McWhitney die Anwesenden mit einem übertriebenen Achselzucken, einer Kombination aus Entschuldigung und Unschuldsbekundung, dann kam er um den Tisch herum und hob Harbin vorgebeugt im Schultertragegriff hoch, so dass dessen Unterarme um seinen Hals baumelten.

»Setze zwei«, sagte Parker, der an seinen Platz am Tisch zurückkehrte.

Fletcher hielt den Sender und die Antenne, während Mott ein Polster von dem Sofa an der Wand holte und es auf den Stuhl stellte, auf dem Harbin gesessen hatte. Fletcher legte den Sender auf das Polster, und sie setzten sich alle und machten Bemerkungen zu dem Spiel, das sie nicht spielten, außer Stratton, der ins Nebenzimmer ging, wo seine Sachen waren.

McWhitney trug Harbin zur Zimmertür, warf einen Blick nach draußen und ging, die Leiche über der Schulter, hinaus. Um zwanzig nach eins an einem Werktagsmorgen herrschte da draußen wahrscheinlich nicht viel Verkehr.

Sie setzten ihr Nichtspiel fort, redeten davon, wie kalt die Karten seien und ob sie nicht vielleicht bald Schluss machen sollten. Sie waren noch nicht lange in dem Zimmer zusammengewesen, als Parker seine Entdeckung gemacht hatte, und hatten daher noch nicht angefangen, über irgend etwas zu reden, was die Wanze nicht wissen durfte. Sie waren einander größtenteils fremd und hätten noch eine Weile miteinander warm werden müssen, ehe sie sich ernsthaft hätten unterhalten können.

Stratton kam fünf Minuten später mit einem Koffer aus dem anderen Zimmer zurück. Er nahm seinen früheren Platz wieder ein und sagte: »Gib mir Karten.«

Die anderen redeten davon, zeitig Feierabend zu machen, die Karten seien nicht interessant, man solle es ein andermal wieder probieren. Fletcher, stellte sich heraus, konnte mit seinem ganz ähnlichen Timbre Harbin einigermaßen nachahmen und sagte: »Geht ihr ruhig schon vor, ich räume hier noch ein bisschen auf.«

»Danke, Harbin«, sagte Stratton, und im Hinausgehen sagten alle »Bis dann, Harbin« zu dem Sender auf dem Sofapolster.

Zwei

Parker, Dalesia, Fletcher, Mott und Stratton nahmen zusammen den Fahrstuhl nach unten. Mott sagte: »Wen von uns haben sie im Visier, was meint ihr?«

»Hoffentlich nicht mich«, sagte Stratton. »Ich habe das Zimmer gemietet. Nicht unter meinem Namen, aber …«

Parker sagte: »Höchstwahrscheinlich McWhitney, der hat ihn mitgebracht.«

»Vielleicht auch niemand Bestimmten«, sagte Fletcher. »Sie schmücken ihn wie einen Weihnachtsbaum und schicken ihn los, damit er ihnen noch einen fängt, weil sie ihn ja schon haben.«

»Hört sich einleuchtend an«, sagte Stratton. »Die drehen gern Leute um. Zack, hab ich dich, jetzt bist du auf meiner Seite, dreh noch ein paar von deinen Freunden um.«

»Die sind wie Vampire«, sagte Fletcher, »die neue Vampire schaffen.«

Die Tür zur Eingangshalle öffnete sich, und sie traten in einen großen Raum, der bis auf eine junge Frau in grünem Blazer hinter dem Empfangsschalter menschenleer war. Fletcher und Mutt waren gemeinsam gekommen und gingen auch gemeinsam. Die anderen drei waren allein gekommen. »Bis dann«, sagte Stratton und ging.

Parker schickte sich ebenfalls zum Gehen an, doch Nick Dalesia sagte: »Hast du noch einen Moment Zeit?«

Dalesia, ein dünner Mann mit verkrampften Schultern, war derjenige, der Parker hierher eingeladen hatte, und der einzige Anwesende, den er vorher gekannt hatte, allerdings nicht sehr gut. »Ja«, sagte Parker.

»Suchen wir uns eine Bar.«

An einem Tisch in einer spärlich besuchten Bar, deren wenige andere Gäste entweder gemischte Paare oder männliche Individuen waren, sagte Dalesia: »Das bedeutet, ich bin immer noch arbeitslos.«

»Ja«, sagte Parker.

»Und du auch.«

Parker zuckte die Achseln.

Dalesia sagte: »Ich bin hergekommen, weil die einzige andere Sache, die vielleicht für mich in Frage käme, ein bisschen dubios und eher zweite Wahl ist. Aber jetzt sehe ich sie mir vielleicht doch mal näher an, und vielleicht möchtest du auch mal ein Auge drauf werfen. Immer gut, jemand dabeizuhaben, mit dem man schon mal was gemacht hat.«

»Viel war’s nicht«, sagte Parker.

Nick Dalesia war als Fahrer bei einem Job dabeigewesen, den Parker vor ein paar Jahren erledigt hatte, und aufgetan hatte ihn ein Typ namens Tom Hurley, den Parker besser gekannt hatte. Aber Hurley hatte sich damals in den Arm schießen lassen, hatte sich nie ganz davon erholt und sich irgendwo im Ausland, vielleicht in der Karibik, zur Ruhe gesetzt. Dalesia hatte seine Sache damals gut gemacht, aber Parker hatte ihn nicht wiedergetroffen, bis Dalesias Anruf sie beide hierhergeführt hatte.

»Ein bisschen was reicht schon«, sagte Dalesia, »wenn man das Gefühl hat, man kann einem vertrauen. Die Sache mit dem Gold ist gestorben, denke ich.« Er sprach von Strattons Coup, über den sie nicht mehr hatten reden können: einer Lieferung Zahngold.

»Für mich ist sie das auf jeden Fall«, sagte Parker. »Worum geht es bei der anderen Sache?«

»Um eine Bank«, sagte Dalesia, »im Westen von Massachusetts.«

Parker schüttelte den Kopf. »Eine Kleinstadtbank? Da ist nicht viel zu holen.«

»Nein«, erklärte Dalesia, »es geht da um eine Verlegung von Vermögen. Zwei lokale Banken haben fusioniert, oder eine hat die andere gekauft, deswegen schließen sie jetzt eine von den Zentralen, und deswegen machen sie einen Tresorraum leer.«

»Scharfe Sicherheitsmaßnahmen«, sagte Parker.

»Richtig.«

Parker blickte stirnrunzelnd in Richtung Tresen. »Die Sache ist deshalb dubios«, sagte er, »weil ein Insider mit von der Partie ist.«

»Wieder richtig.«

»Du weißt ja«, sagte Parker, »normalerweise ist der Amateur, der Insider, der Grund dafür, dass eine an sich gute Sache in die Hose geht.«

»Die machen das so«, sagte Dalesia, »dass sie das in einer Nacht durchziehen, vier gepanzerte Wagen, State Police, private Sicherheitsfirma. Da transportieren sie alles, die Bankunterlagen, die Wertpapiere, das Bargeld. Und Mrs. Inside verrät uns nicht nur, in welcher Nacht das stattfindet, sondern auch, in welchem Wagen das Geld ist.«

»Mrs. Inside?«

»Die Frau des Bankdirektors, dessen Laden geschluckt wird«, sagte Dalesia. »Frag mich nicht, was für ein Problem sie hat. Die Sache ist die, kein Mensch kann vier gepanzerte Wagen in einem Konvoi ausschalten, und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man den richtigen erwischt? Aber wenn man den richtigen kennt, kann man ihn aller Wahrscheinlichkeit nach auch herauspicken.«

»Und wenn das passiert«, sagte Parker, »wissen sie nicht nur, dass es einen Insider gegeben hat, sondern ziemlich bald auch, wer das ist.«

»Aber Mrs. Inside kann sie nicht zu uns führen«, sagte Dalesia, »weil sie uns nicht kennt. Sie kennt nur einen Typ, der mal als Sicherheitsmann für die Bank gearbeitet hat, Chef sämtlicher Wachen oder so was — hat ein bisschen zu oft lange Finger gemacht und dafür gesessen. Das hat ihn auf unsere Seite gebracht, und er hat bei ein paar Dingern mitgemischt. Ich habe ihn kennengelernt, Jake Beckham. Sagt dir das was?«

»Nie von ihm gehört.«

»Gut, dann bist du sogar noch weiter weg. Die Frau ist zu Beckham gegangen, hat ihm gegen einen Anteil den Job angeboten, er ist zu mir gekommen, und ich habe genau das gleiche Gesicht gemacht wie du jetzt. Aber Strattons Goldmine fällt flach, deswegen denke ich, ich rufe Beckham an, mal sehen, ob alles noch so ist wie gehabt. Willst du wissen, was er sagt?«

»Zuhören kann ich immer«, sagte Parker.

Drei

Parker nahm den MassPike, der Richtung Osten aus dem Staat New York hinausführte, und bog bei der Raststätte westlich von Huntington ab, die er kurz vor drei erreichte. Es war Mitte September, die Luft frisch, das Sonnenlicht scharf wie eine saubere Klinge. Er parkte seinen Lexus zwischen den Autos der Touristen und stieg aus, um sich die Beine zu vertreten. Er war etwas zu früh dran, aber nach der Fahrt von New Jersey hierher hatte er keine Lust mehr zu sitzen.

Drüben zu seiner Rechten dröhnte der MassPike, in beiden Richtungen herrschte dichter Verkehr. Es war das äußerste östliche Ende der Interstate 90, die an der Atlantikküste in Boston begann und viereinhalbtausend Kilometer weiter westlich in Seattle endete. Dieser Teil der Straße war immer stark befahren, die großen Lastzüge, die Touristen und die Pendler strömten im selben Tempo dahin, alle mit hundertzwanzig, und jeder hielt sich an den ihm zur Verfügung stehenden Raum, sonst wäre der Teufel los gewesen.

Er hatte gerade fünf Minuten gewartet, als sich ein grüner Audi die Spur zwischen den geparkten Autos entlangschob und zum Stehen kam. Parker nickte Dalesia zu, der am Steuer saß, ging um den Wagen herum und stieg auf der Beifahrerseite ein. Dalesia legte den Gang ein und sagte: »Also, auch wenn nichts aus der Sache wird, haben wir wenigstens schönes Wetter dabei.«

Darauf gab es nichts zu sagen, und so sah Parker nur zu, wie Dalesia sie beide in Ostrichtung auf den Highway zurückbeförderte, und meinte dann: »Wo fahren wir hin?«

»Die Ausfahrt liegt ungefähr zwanzig Kilometer von hier, bei Westfield. Dann fahren wir Richtung Norden. War das eben dein Auto oder bloß eins, das du dir besorgt hast?«

»Meins.«

»Dann holen wir es hinterher wieder.«

Sobald sie den MassPike verlassen hatten, nahm Dalesia zunehmend schmale, gewundene Straßen in nordwestlicher Richtung. »Sämtliche richtigen Straßen in der Gegend hier«, erklärte er, als sie wieder einmal an einer größeren Straße hielten und sie dann überquerten, »führen nach Osten, zu den Städten am Connecticut River. Wir dagegen wollen nach Norden, in die Nähe von Vermont.«

Ein paar Minuten lang sprach keiner, dann sagte Dalesia: »Ich habe noch ein bisschen was darüber gehört, was passiert ist, nachdem wir weg waren.«

»Über Stratton und sein Zahngold?« sagte Parker.

»Ja.«

»Stratton war doch derjenige, der dich geholt hat, oder?«

»Ja, es war schließlich seine Party. Ich habe ihn ein paar Tage später angerufen.«

»Wegen der Sache, zu der wir jetzt gerade fahren?« Das hätte Parker gar nicht geschmeckt.

Dalesia schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er sehr bestimmt. »Wenn du dich mit Leuten triffst und einer davon ist verdrahtet, könnte er es auf jeden von ihnen abgesehen haben, angefangen beim Gastgeber.«

»Und einschließlich dir oder mir.«

»Eher nicht«, sagte Dalesia. »Du hast dort keinen gekannt außer mir, und ich habe keinen gekannt außer dir und Stratton. Also wollte ich wissen, ob sie jetzt hinter mir her sind, bloß für den Fall, dass Stratton ihr erstes Ziel war. Laut ihm haben gleich am nächsten Tag, nachdem wir beschlossen hatten, doch nicht Poker zu spielen, ein paar Bullen von der State Police McWhitney hochgenommen.«

»Das ist doch der, der Harbin mitgebracht hat.«

»Genau. Offenbar waren diese Bullen ziemlich sauer. Ihr Spitzel Harbin war nirgends zu finden, und McWhitney muss ihr Ziel gewesen sein, weil sie ihn sofort aufs Korn genommen haben. Aber sie hatten nichts in der Hand. McWhitney wusste, was uns angeht, ein, zwei im wesentlichen falsche Namen, falls er hätte verhandeln wollen, aber eigentlich musste er ihnen nur sagen, dass er überhaupt keine Ahnung hat. Die hatten keinen dringenden Tatverdacht, kein konkretes Verbrechen, nicht mal ein Gespräch. Bloß ein in einem leeren Zimmer zurückgelassenes Abhörgerät. Damit ist er aus dem Schneider.«

»Aber er liegt an der Leine«, sagte Parker.

»Ja, klar.« Dalesia zuckte die Achseln und sagte: »Ich schätze, dass Stratton im Augenblick auch an der Leine liegt, immerhin ist er derjenige, der McWhitney zu dem Treffen geholt hat.«

»Wenn die glauben, dass da irgendwas zu finden ist«, sagte Parker, »werden sie sich nicht mit Stratton zufriedengeben. Sie werden wissen wollen, wer noch in dem Zimmer war.«

»Weißt du, was das Komische ist?« sagte Dalesia. »Auf dich kommen sie nur über mich, weil Stratton überhaupt keine Ahnung hat, wer du bist, und auf mich kommen sie nur über Stratton, weil alle anderen mir neu waren. Aber das hilft ihnen auch nichts, weil ich Strattons Vornamen nicht kenne und er meinen Nachnamen nicht kennt.« Grinsend sagte er: »Ich meine, er kennt ihn wirklich nicht. Du erinnerst dich, im Zimmer hat er mich als Nick vorgestellt.«

»Ich erinnere mich.«

Dalesia nahm eine steil ansteigende Kurve hinauf in die Hoosac Hills, von wo die Straße nach Nordwesten auf die Berkshires zulief. Dann sagte er: »Du würdest dich wundern, wie viele Leute es gibt, die Nick heißen.«

Vier

Die Stadt hieß Rutherford und lag in einer niedrigen, nach Süden gehenden Bodenfalte der Berkshires. Fünfzehn bis zwanzig Kilometer weiter nördlich lag Vermont und ein Stück weiter westlich der Staat New York. Nach den wenigen Fachgeschäften entlang der Hauptstraße zu urteilen, gab es wegen nahe gelegener Skihänge einen bescheidenen saisonalen Tourismus, aber die Saison hatte noch nicht begonnen, und die Stadt machte einen verschlafenen Eindruck.

Während sie langsam auf die einzige Verkehrsampel zufuhren — inzwischen war es gegen halb fünf am Nachmittag —, sagte Dalesia: »Wir suchen nach einer Arztpraxis auf der rechten Seite, einem großen weißen Schild — da ist es schon. Dr. med. Myron Madchen.«

Ein Blick zeigte Parker ein weiteres zweistöckiges Gebäude, das aussah wie die meisten hier, mit einem Laden im Erdgeschoss und Büros oder Wohnungen im ersten Stock. Dieses hier beherbergte unten ein Blumengeschäft, hatte Jalousien hinter den Fenstern oben und das rechteckige weiße Schild mit schwarzen Buchstaben, das neben dem Schaufenster des Blumengeschäfts quer über dem Bürgersteig hing. Er sagte: »Wir treffen uns in einer Arztpraxis?«

»Beckhams Idee«, sagte Dalesia und fädelte sich in eine Parklücke ein paar Häuser weiter ein. »Mir gefällt sie.«

Sie stiegen aus dem Audi, und während sie den menschenleeren Bürgersteig entlanggingen, sagte Dalesia: »Ich habe schon von Jungs gehört, die das bei einem Anwalt machen, sich in seiner Kanzlei treffen, weil die Bullen eine Kanzlei nicht verwanzen dürfen, von wegen Anwaltsgeheimnis, aber bei einem Arzt funktioniert das genauso. Schweigepflicht. Vielleicht ist es sogar noch besser, weil Anwälte ständig daran denken, was legal ist oder nicht, Ärzte dagegen denken nur ans Geld.«

Dalesia öffnete die Tür unter dem Praxisschild, deren mit einer Gardine verhängtes Fenster ein zweites, diskreteres Schild aufwies, und Parker folgte ihm eine steile Treppe mit Teppichbodenbelag und beidseitigem Eichenholzgeländer hinauf. Oben befanden sich zwei fleckige dunkle Holztüren, beide mit einem angeschraubten Messingschild. Auf der unmittelbar vor ihnen stand PRIVAT, auf der rechts davon PRAXIS.

Dalesia stieß die Tür mit dem PRAXIS-Schild auf, und sie traten in ein großes, quadratisches Wartezimmer mit schäbigen Sesseln und einem abgewetzten Teppich. Dort warteten drei Leute, die zu dem Zimmer passten; alle blickten von ihrer Zeitschrift auf und senkten den Blick dann wieder.

In der gegenüberliegenden Wand befand sich ein Fenster ohne Scheibe und dahinter ein kleineres Büro, in dem eine Frau an einem Schreibtisch saß, hinter sich eine Reihe weißer Aktenschränke. Von Parker gefolgt, ging Dalesia zu dem Fenster hinüber und sagte zu der Frau: »Turner, ich habe einen Termin.«

»William Turner? Ja, da haben wir Sie. Waren Sie schon einmal bei uns?«

»Aber ja, ich stehe in Ihren Akten.« Er zeigte mit dem Daumen auf Parker und sagte: »Das ist Dr. Harris, mein Diagnostiker.« Das schien die Frau keineswegs zu überraschen. Sie machte sich eine kurze Notiz und sagte: »Bitte nehmen Sie noch einen Moment Platz, der Doktor hat gleich Zeit für Sie.«

»Danke.«

Sie setzten sich auf nebeneinanderstehende Sessel vor den mit Jalousien versehenen Fenstern und durchblätterten ziemlich alte Zeitschriften. Nach etwa drei Minuten sagte die Frau hinter dem Fenster: »Mrs. Hancock«, und eine der wartenden Patientinnen stand auf und ging durch die Innentür.

Parker sagte: »Anwälte sind schneller.«

Dalesia fand das komisch. »Ja, stimmt.«

Zwei, drei Minuten später kam ein Mann, bei dem es sich um den Doktor persönlich handeln musste, zu der Tür heraus, durch die Mrs. Hancock hineingegangen war. Er war ein kräftig gebauter, gepflegt wirkender Mann um die Fünfzig mit üppigem eisengrauem Haar, das über der hohen Stirn straff nach hinten gekämmt war, und einer großen Brille mit leicht getönten Gläsern, die das Licht reflektierten. In der Hand hielt er einen Hefter, und sein Blick wanderte beiläufig über Parker und Dalesia, während er zu dem offenen Fenster hinüberging, sich dort niederbeugte und kurz mit der Frau sprach. Er gab ihr den Hefter, wandte sich ab, ließ abermals den Blick über Parker und Dalesia wandern und ging zurück in sein Sprechzimmer.

Nun verging weniger als eine Minute, bis die Frau »Mr. Turner« sagte.

Dalesia stand auf. »Ja?«

»Gehen Sie einfach hinein.«

Dalesia und Parker gingen durch die Innentür in einen schmalen, von einer Neonröhre erleuchteten Flur mit geschlossenen Türen zu beiden Seiten. Eine schüchterne junge Frau in Schwesterntracht lächelte sie an, öffnete eine Tür auf der rechten Seite und sagte: »Hier hinein, bitte. Dr. Madchen wird gleich kommen.«

»Danke«, sagte Dalesia.

Sie gingen hinein, und sie schloss die Tür hinter ihnen. Sie befanden sich in einem Untersuchungszimmer mit einer langen Liege und zwei Stühlen aus Chrom und grünem Vinyl. An den Wänden hingen Schränkchen mit Glastüren, die medizinischen Bedarf enthielten, und Poster mit Darstellungen verschiedener Krankheiten.

Auf der Untersuchungsliege saß mit über dem Boden baumelnden Beinen ein stämmiger Mann um die Fünfzig, der eine offene graue Windjacke mit Reißverschluss und formlose Baumwollhosen trug und eine Ausgabe von People las. Er sah aus wie ein Schaustellergehilfe, der nicht gemerkt hatte, dass er zu alt war, um mit dem Zirkus durchzubrennen.

Als Parker und Dalesia hereinkamen, warf er die Zeitschrift auf die Liege, sprang auf den Boden, streckte die Hand in Dalesias Richtung und sagte: »Was meinst du, Nick?«

»Hübsch hast du’s hier«, sagte Dalesia und gab ihm die Hand.

Der Mann lachte, streckte Parker die Hand entgegen und sagte: »Sie sind dann wohl Parker, schätze ich. Ich heiße Jake Beckham.«

Parker ergriff die angebotene Hand, die er kräftig, aber nicht aufdringlich fand, und sagte: »Das ist doch ein Untersuchungszimmer.«

»Allerdings, das ist es«, sagte Beckham. Er war stolz auf seinen Treffpunkt.

Parker sagte: »Warum machen wir dann nicht alle den Oberkörper frei?«

Mit verblüfftem Lachen sagte Beckham: »Bei Gott, Sie haben recht! Nick, der Mann ist gut.«

Sie zogen sich bis zur Hüfte aus und zeigten so, dass keiner von ihnen ein Aufnahmegerät oder einen Sender trug. Während sie sich wieder anzogen, sagte Beckham zu Parker: »Nick hat Ihnen gesagt, worum es geht, schätze ich.«

»Zwei Banken fusionieren, der ganze Kram wird von einer zur anderen transportiert. Sie haben eine Insiderin, die Ihnen sagt, in welchem Wagen das Bargeld ist.«

»Und was für eine Insiderin«, sagte Beckham und grinste, um sie wissen zu lassen, dass er mit ihr geschlafen hatte. »Setzt euch, Leute, dann sage ich euch, was Sache ist.«

Während sich die beiden anderen auf die Vinylstühle setzten, hievte sich Beckham wieder auf die Untersuchungsliege. Er war ein massiger Typ, bewegte sich aber so, als hielte er sich für einen mageren Jüngling. Als er bequem saß, sagte er: »Im ganzen Land werden kleine Banken gefressen. Wenn sie sich nicht vergrößern, indem sie miteinander fusionieren, werden sie von irgendeinem internationalen Monster aus London oder Hongkong geschluckt. Die Bank in dieser Stadt — vielleicht ist sie euch beim Reinfahren aufgefallen: ganz altmodisch, Ziegelstein, mit einem Glockenturm — heißt Rutherford Combined Savings, und das ›Combined‹ bedeutet, dass sie schon ein paar noch kleinere gefressen hat, Läden mit drei Filialen in drei Städten, die fünfzehn Kilometer auseinanderliegen. Und damit hat Rutherford jetzt vielleicht zwanzig Filialen überall in der Westhälfte des Staates, und ein bisschen weiter südlich gibt es die Deer Hill Bank mit vier Filialen. Deer Hill ist der Laden, für den ich gearbeitet habe, bevor sie mich mit der Hand in der Kasse erwischt haben.«

»Nick sagt, Sie haben gesessen«, sagte Parker.

»Hab sieben bis zehn Jahre gekriegt und drei davon abgerissen. Na ja, zwei Jahre, elf Monate und vier Tage.« Mit dem jungenhaften Grinsen, das auf dem massigen Gesicht seltsam wirkte, sagte er: »Sie wissen ja, wie das ist, es gibt ein paar Sachen, die rundet man nicht auf.«

»Ja.«

»Meine Geschichte ist ganz einfach«, sagte Beckham, »aber ich finde, ihr solltet sie kennen. Mit Achtzehn zur Army, dort dann zur Militärpolizei, eine Zeitlang in Deutschland stationiert und dort gelernt, wie man als Militärpolizist sein Einkommen aufbessern kann. Aber so richtig gefallen hat es mir nicht bei der Army, und nachdem sie mich ein paarmal fast erwischt hätten — es kam nie soweit, aber man hat mir ziemlich genau auf die Finger gesehen —, danach also habe ich am Ende meiner zweiten Verpflichtung den Dienst quittiert. War irgendwie naheliegend, es mit Polizeiarbeit zu versuchen, also habe ich das gemacht. Nicht in Großstädten — ich hatte keine Lust, mein Leben damit zu verbringen, dass ich mir Schießereien mit Drogenhändlern lieferte —, sondern in Kleinstädten wie dieser hier. Aber ich glaube, nach meinen Jahren bei der Army war ich ein bisschen zu rauhbeinig für diese Zivilisten, deshalb habe ich nach einer Weile keine Polizeijobs mehr gekriegt, und da habe ich dann als Sicherheitsmann für Deer Hill gearbeitet. Der Präsident war ein alter Knacker namens Lefcourt, Harvey Lefcourt, ein schwerer Trinker, und er und ich sind prima miteinander ausgekommen. Harveys Tochter Elaine war mit einem schmierigen Scheißkerl namens Jack Langen verheiratet, und den hat Harvey ins Geschäft mit reingenommen, Vizepräsident und alles, weil nämlich Jack Langen, wenn man ihn nicht bei der Hand nimmt, in einem Supermarkt verhungern würde, und Elaine ginge dabei mit drauf. Ich war also für die Sicherheit zuständig, habe die Wachen eingestellt und gefeuert, die Firmen beauftragt, die die Tresorräume und die Schließfächer gewartet haben, diesen ganzen Kram habe ich gemacht und ein paar Möglichkeiten gefunden, mich hier und da ein bisschen zu bedienen, aber leider war ich nicht so schlau, wie ich geglaubt habe.«

Beckham grinste und schüttelte den Kopf. Er schien sich vor allem über sich selbst zu amüsieren, als beobachtete er seinen verwegenen kleinen Bruder und nicht sich selbst. Er sagte: »Bei einer Buchprüfung ist man auf meine Fährte gestoßen und hat sie bis zu mir zurückverfolgt. Harvey wollte mich nicht belangen, er hätte mich einfach ohne Empfehlungsschreiben gehen lassen, aber Jack Langen hat Anzeige erstattet. Ich glaube nicht, dass er gewusst hat, dass ich es seiner Frau besorge, ich glaube, es war einfach die angeborene Bösartigkeit eines unfähigen Scheißkerls, dem man ein bisschen Macht verliehen hat. Also bin ich eingefahren und zwei Jahre, elf Monate und vier Tage später wieder rausgekommen, und ich habe Elaine angerufen, und wir haben uns wieder ab und zu gesehen, während ich einen Scheißjob als stellvertretender Geschäftsführer in einem Motel unten am MassPike angenommen habe. Harvey war gestorben, während ich gesessen hatte, und inzwischen war Jack Langen, der Arsch, Präsident, und als Rutherford Combined daherkam, war er mehr als glücklich, für einen Apfel und ein Ei und einen Posten als Frühstücksdirektor an sie zu verkaufen. Deer Hill darf noch nicht mal seinen Namen behalten, sondern wird einfach ein Teil der Combined.«

»Und das passt der Ehefrau nicht«, sagte Parker.

»Der Tochter«, sagte Beckham. »Sie ist eher Harveys Tochter als Jack Langens Frau. Ich glaube, sie hätte ihn schon längst verlassen, nur hatte er eben die Bank, und für sie war die Bank immer Harvey. Also ist sie bei der Stange geblieben und hat auf die Firma aufgepasst, wie es Harvey getan hätte, und wenn Harvey noch am Leben wäre, würde er sich lieber von irgendeinem Schlitzauge aus Hongkong als von den kleinkarierten Spießern von der Rutherford Combined schlucken lassen, so sieht Elaine das, und ich glaube, sie hat recht. Sobald Deer Hill weg ist, ist sie auch weg. Nicht mit mir, so dumm ist sie nicht, sondern irgendwo, wo sie es sich gutgehen lassen kann. Und dafür braucht sie Geld. Sich einfach nur von Jack Langen scheiden zu lassen brächte ihr nicht viel, sie weiß, was sie zu erwarten hätte, also was soll’s. Sie hat mich angerufen, wir hatten ein kleines Bettgeflüster, und das Ergebnis war, ich stelle ein Team zusammen, hole mir das Bargeld von Deer Hill und gebe ihr ein Drittel. Auf die Art legt sie Jack Langen und Rutherford Combined gleichzeitig rein, und sie kann sich trotzdem von der Ratte scheiden lassen und ihr Leben weiterleben. Und zwei Drittel des Bargeldes der Deer Hill wären für uns Jungs ein sehr stattliches Sümmchen.«

Sehr mit sich zufrieden blickte Beckham mit strahlenden Augen von einem zum anderen. »Na, Mr. Parker«, sagte er, »was meinen Sie?«

Fünf

»Die Sache gefällt mir nicht«, sagte Parker.

»Wieso? Was stimmt nicht damit?« fragte Beckham.

»So gut wie alles«, erklärte ihm Parker. »Die Sache steht und fällt mit einer Amateurin. Schon ein ruhiger Amateur bedeutet normalerweise Ärger, und die da besteht nur aus Emotionen. Es geht nicht um Geld, sondern um Rache und Wut und Familienstolz. Das kann ich alles nicht gebrauchen.«

»Ja, Sie haben recht«, sagte Beckham. Er hatte während Parkers Äußerung unentwegt genickt und nickte nun noch eine Zeitlang weiter, als bestätigte er sich in Gedanken die Richtigkeit dessen, was Parker gesagt hatte. Als er mit Nicken fertig war, sagte er: »Kann sein, dass ich mir was vormache, allerdings hoffe ich das nicht. Kann sein, dass Sie mir einen großen Fehler ausreden können, der mich umgehend in den Knast zurückbrächte, wozu ich überhaupt keine Lust habe. Sie haben nämlich recht, was die ganze Sache angeht, Elaine ist stinksauer, und wenn ich bloß ein Clown bin, der auf eine Frau scharf ist und von ihr benutzt wird, damit sie sich an ihrem Mann rächen kann, dann sollte mir das jemand sagen, ehe ich auf die Nase falle.« Er schüttelte den Kopf und wandte sich an Dalesia. »Als ich das letztemal eingefahren bin, lag das daran, dass ich nicht vorsichtig genug war, nicht alles in Betracht gezogen habe. Tue ich das gerade wieder? Ich will’s nicht hoffen.«

»Tja, Jake«, sagte Dalesia, »bis jetzt hört es sich für mich so an, als ob genau das vielleicht gerade passiert.«

»Scheiße«, sagte Beckham. »Mr. Parker, lassen Sie mich mal folgendes versuchen: Ich gehe die Sache mit Ihnen durch, so wie ich sie sehe, wie ich mir die Einzelheiten denke, und Sie sagen mir, ob es überhaupt einen Sinn hat, sobald Sie wissen, was ich mir vorstelle. Wenn Sie dann immer noch sagen, dass es keinen Sinn hat, muss ich neu überlegen, und ich sage Ihnen die Wahrheit, ich habe keinen Plan B.«

»Wie lange können wir in diesem Zimmer bleiben?« fragte Parker.

»Es wird nicht lange dauern. Ehrlich.«

Parker zuckte die Achseln. »Dann legen Sie mal los.«

»Als erstes müssen Sie wissen«, erklärte Beckham, »dass Elaine komplett außen vor ist. Jedenfalls bei dem, was wir tun. Den Transport durchführen und die Deer-Hill-Filiale schließen wird die Bank frühestens heute in zwei Wochen und spätestens bis ersten November, weil sie keine Probleme mit dem Wetter und den Winterurlaubern kriegen wollen. Es hängt alles vom Wetter ab und wann die gepanzerten Fahrzeuge und die privaten Sicherheitsleute verfügbar sind. Genau wissen werden sie das erst ungefähr fünf Tage, bevor der Transport stattfindet. Sobald Elaine über ihren Mann herausgefunden hat, wann das sein wird, sagt sie mir Bescheid, und dann hat sie mit der Sache nichts mehr zu tun. Die Route kenne ich schon, darum brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern. In der fraglichen Nacht schlagen wir zu und verschwinden.«

»Na ja, Sie verschwinden nicht«, erklärte Parker. »Sie sind doch auf Bewährung draußen, oder?«

»Und ich bin ganz brav, glauben Sie mir. Und Dr. Madchen wird dafür sorgen, dass ich in der fraglichen Nacht im Krankenhaus liege. Ich werde irgendwas kriegen, was nicht allzu schlimm ist. Er wird mich in ein Privatzimmer legen, damit ich mich rausschleichen, den Job erledigen und dann zurückkommen kann, und das ist mein Alibi.«

Parker und Dalesia sahen einander ausdruckslos an. Dann fragte Parker: »Beckham, in was für einer Beziehung stehen Sie zu diesem Dr. Madchen?«

»Er hat einen Cousin«, sagte Beckham, »der hatte mit Drogen zu tun und ist im selben Knast gelandet wie ich. Ich habe den Doktor schon vorher gekannt, wissen Sie, einfach als Patient, und er hat mir geschrieben und mich gebeten, ihm bei seinem Cousin zu helfen, er hätte Angst, der Cousin wäre nicht imstande, im Knast selber auf sich aufzupassen, und eins kann ich Ihnen sagen, da hat er völlig recht gehabt. Also hab ich ihm geholfen und auf den Knaben aufgepasst, und nun findet der gute Doktor, er schuldet mir einen Gefallen, und das ist er.« Beckham grinste erneut auf die jungenhafte Art, die so gar nicht zu dem passte, was er war. »Da haben Sie’s«, sagte er. »Das ist mein Alibi. Ich bin im Krankenhaus, wenn es passiert, ich kann also nichts damit zu tun haben.«

Parker schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er.

Nun wirkte Beckham eher frustriert als besorgt. »Immer noch nein? Wieso? Die mit den Emotionen ist außen vor, ich habe ein Alibi, und ihr Jungs seid groß genug, um selber auf euch aufzupassen und für eure Tarnung zu sorgen. Der Job ist gut, Mr. Parker, ich weiß es, das Ziel ist gut, dieser gepanzerte Wagen voller Geld.«

»Ja, das stimmt«, pflichtete Parker bei. »Soweit ist die Sache in Ordnung, deswegen bin ich auch hier. Wenn es nur das wäre, könnten wir es machen, und es gäbe kein Problem.«

»Sie sehen immer noch Probleme«, sagte Beckham.

»Zunächst mal zwei«, sagte Parker. »Erstens werden die Bullen ungefähr zwanzig Minuten brauchen, um hinter die Verbindung zwischen Ihnen und dem Doktor zu kommen.«

Beckham wirkte verwirrt. »Warum werden sie überhaupt danach suchen?«

»Weil Sie von vornherein derjenige sein werden, den die ins Visier nehmen«, erklärte ihm Parker. »Sobald es passiert, werden die nach Ihnen suchen, und Sie liegen im Krankenhaus. Krankenhaus? Wer hat Sie dort eingewiesen? Welche Verbindung besteht zwischen Ihnen und diesem Doktor? Wenn ein anderer Arzt Sie untersucht, weil die Polizei wissen will, was da los ist, was wird der dann feststellen?«

Beckham schüttelte den Kopf wie ein von Mücken Geplagter. »Aber wieso werden die nur an mich denken?«

»Lass mich ihm das erklären«, sagte Dalesia.

»Nur zu«, sagte Parker.

Dalesia sagte zu Beckham: »Parker hat recht, die Sache wird durch Emotionen verkompliziert. Einschließlich deinen, Jake.«

Beckham fuhr auf der Liege zurück, seine Füße schwebten über dem Boden. Er fasste sich an die Brust und sagte: »Meinen?«

Dalesia sagte: »Der Ehemann — wie heißt er doch gleich?«

»Jack Langen, der kleine Scheißkerl.«

»Na bitte«, sagte Dalesia. »Du hast es gerade selbst gesagt.«

Beckham breitete die Arme aus. »Was habe ich gesagt?«

»Jack Langen ist nicht der kleine Scheißkerl«, erklärte Dalesia. »Er ist der wütende Ehemann. Er hat von Anfang an gewusst, dass du es seiner Frau besorgst.«

»Quatsch, er ist so dämlich, dass —«

»Genau deshalb hat er dich beim erstenmal auch angezeigt«, sagte ihm Dalesia. »Sich über seinen Schwiegervater hinweggesetzt, es dir besorgt, weil er gewusst hat, dass du es seiner Alten besorgst. Und sobald du wieder draußen warst und es wieder anfing, hat er es gewusst. Diese Bankenfusion hat zum Teil auch damit zu tun, dass er es seiner Frau heimzahlen und nicht mehr der junge Niemand sein will, der ins Familiengeschäft eingeheiratet hat.«

Parker sagte: »Und sobald die Sache über die Bühne geht, wird er wissen, dass Sie es waren, mit Hilfe seiner Frau. Er wird den Bullen umgehend Ihren Namen flüstern und ihnen sagen, warum Sie es sein müssen und warum seine eigene Frau die Insiderin sein muss. Sie werden der einzige sein, den die sich ansehen, und deshalb werden sie das Alibi mit dem Arzt ruck, zuck durchschauen.«

»Jake«, sagte Dalesia, »alles, was du wolltest, war, Verachtung für den Mann empfinden, als spielte er keine Rolle, als wärst du unendlich viel schlauer als er. Das nennt man seinen Feind unterschätzen, Jake.«

»Scheiße«, sagte Beckham. »Ihr meint also immer noch, es geht nicht?« Er wandte sich an Parker und sagte: »Sie haben doch selbst gesagt, wenn man die Emotionen rauslässt, ist es ein gutes Ding. Ich will das wirklich machen, Mr. Parker, ich brauche das Geld, ich will wieder auf die Beine kommen. Sehen Sie denn überhaupt keine Möglichkeit, wie wir die Sache durchziehen können?«

»Doch, eine«, sagte Parker. »Ich habe darüber nachgedacht, während Nick Ihnen das eben verklickert hat. Es gibt eine Möglichkeit, wie Sie die Bullen vielleicht dazu bringen könnten, Sie nicht aufs Korn zu nehmen.«

»Ich mache es«, sagte Beckham.

»Das wird sich zeigen.«

»Wieso?« Beckham wirkte leicht beunruhigt. »Was soll ich denn machen?«

»Gegen die Bewährungsauflagen verstoßen«, sagte Parker.

Sechs

»Gegen die Bewährungs—« Beckham starrte zuerst Dalesia, dann Parker an. »Was reden Sie da?«

»Wie oft müssen Sie sich melden?«

»Zweimal im Monat. Aber ich verstehe nicht —«

»Wann ist das nächste Mal?«

»Nächsten Dienstag«, sagte Beckham. »Um zehn Uhr morgens. Aber —«

»Sie gehen nicht hin«, sagte Parker. »Statt dessen —«

»Von wegen!« Beckham war so erregt, dass er aufsprang und nun dastand, eine Hand auf die Liege hinter ihm gepresst. Er war nicht wütend; die Vorstellung brachte ihn lediglich außer Fassung. »Seit meiner Entlassung«, sagte er, »mache ich nichts anderes, als mir einen guten Ruf aufzubauen: keinerlei Verstöße. Das war schon im Knast so, ich habe den vollen Strafnachlass wegen guter Führung gekriegt.«

Dalesia sagte: »Hör ihm zu, Jake.«

Beckham hatte keine Lust dazu. Er schüttelte den Kopf, dann verschränkte er die Arme, sah Parker finster an und wartete.

»Sie machen folgendes«, erklärte ihm Parker. »An dem Tag, an dem Sie sich melden sollen, fliegen Sie nach Vegas. Das ist ein Dienstag. Am Samstag stellen Sie sich den Cops in Vegas: Sie hätten gegen die Bewährungsauflagen verstoßen, Sie wüssten nicht, was in Sie gefahren ist, Sie hätten eine Frau kennengelernt, hätten zuviel getrunken, seien mit ihr weggeflogen, Sie wüssten, dass Sie in Schwierigkeiten sind, so was sei Ihnen noch nie passiert, Sie wollten mit dem Gesetz ins reine kommen.«

»Die werden mich einlochen«, sagte Beckham.

»Ja, das werden sie«, sagte Parker. »Bis die Sie dort überprüft, einer Anhörung unterzogen, zurückgeschafft, hier einer Anhörung unterzogen und entschieden haben, was sie mit Ihnen anfangen sollen, vergehen drei Wochen. Wenn der Transport bis dahin über die Bühne gegangen ist, besorgen Sie sich einen Anwalt, Sie reden von Ihrer guten Führung im Knast und seither, Sie reißen sich den Arsch auf, um möglichst schnell wieder draußen zu sein. Wenn der Transport noch nicht stattgefunden hat, geben Sie sich abweisend, verweigern jede Hilfe und kriegen noch mal dreißig Tage drangehängt.«

»Besten Dank«, sagte Beckham.

Dalesia sagte: »Jake, kapierst du das denn nicht? Du kannst nichts mit der Bankgeschichte zu tun haben, weil du zu der Zeit im Knast sitzt, du sitzt in einer Zelle, die Bullen haben dich.«

»Sie sitzen schon in einer Zelle«, hob Parker hervor, »bevor Sie über irgendwelche Details des Transports Bescheid wissen können.«