Irrlicht 64 – Mystikroman - Judith Parker - E-Book

Irrlicht 64 – Mystikroman E-Book

Judith Parker

0,0

Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Der Mann sah sich noch einmal in dem fensterlosen Raum um, dann zog er leise die Tür zu, drehte den Schlüssel herum und zog ihn ab. Er schob die Bücherwand vor die Tür. Er war sicher gewesen, das alles schneller hinter sich bringen zu können. Er schien sich getäuscht zu haben. Wie viele Morde würden noch geschehen müssen, um endlich das erreicht zu haben, was er erreichen wollte. Er hatte die Leute für ängstlicher gehalten. Aufseufzend sank der Mann in einen Sessel, griff nach dem Glas Whisky und leerte es in einem Zug. Eine Wolke schob sich vor den Mond, ein Windstoß fegte über die Sträucher, die den schmalen Pfad säumten. Der Mann taumelte von einer Seite auf die andere. Ja, er war betrunken. Aber nicht nur das machte seine Schritte unsicher, sondern auch panische Angst trieb ihn voran. Wie hatte es nur passieren können, daß er nicht aufgepaßt hatte und Mitternacht längst vorüber war? Ein neuer Tag hatte begonnen, der 13. Juli. Warum war er nicht früher aufgebrochen? Warum hatte er weiter trinken müssen? Nun war es zu spät. Der Mann blieb plötzlich stehen, lauschte und lachte dann. Es war ein gequältes Lachen, das seine Furcht überspielen sollte. Warum sollte ausgerechnet er heute an der Reihe sein?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 160

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Irrlicht – 64 –

Opfer der Vergangenheit

Hör auf, die Geister zu beschwören, Daisy Lingfield!

Judith Parker

Der Mann sah sich noch einmal in dem fensterlosen Raum um, dann zog er leise die Tür zu, drehte den Schlüssel herum und zog ihn ab. Er schob die Bücherwand vor die Tür. Er war sicher gewesen, das alles schneller hinter sich bringen zu können. Er schien sich getäuscht zu haben. Wie viele Morde würden noch geschehen müssen, um endlich das erreicht zu haben, was er erreichen wollte. Er hatte die Leute für ängstlicher gehalten. Aufseufzend sank der Mann in einen Sessel, griff nach dem Glas Whisky und leerte es in einem Zug. Seine Hand zitterte leicht, als er es wieder auf das Tischchen stellte…

Eine Wolke schob sich vor den Mond, ein Windstoß fegte über die Sträucher, die den schmalen Pfad säumten. Der Mann taumelte von einer Seite auf die andere.

Ja, er war betrunken. Aber nicht nur das machte seine Schritte unsicher, sondern auch panische Angst trieb ihn voran. Wie hatte es nur passieren können, daß er nicht aufgepaßt hatte und Mitternacht längst vorüber war? Ein neuer Tag hatte begonnen, der 13. Juli. Warum war er nicht früher aufgebrochen? Warum hatte er weiter trinken müssen? Nun war es zu spät.

Der Mann blieb plötzlich stehen, lauschte und lachte dann. Es war ein gequältes Lachen, das seine Furcht überspielen sollte. Warum sollte ausgerechnet er heute an der Reihe sein? Gerade er? Er hatte niemandem etwas Böses getan. Nun gut, er trank gerne einen über den Durst. So wie im Devely Inn. Das Wirtshaus lag ziemlich abgelegen. Früher war es ein Umschlagplatz der Beute von Seeräubern gewesen. Auch Percy Talbot soll dort sein Unwesen getrieben haben.

William Durk bekam eine Gänsehaut bei der Erinnerung an die heftige Debatte in der Gaststube. Seine Saufkumpanen hatten sich über die Strandräuber ereifert und Percy Talbot beschimpft, der, wie sie nach wie vor glaubten, für diese unmenschlichen Morde damals im achtzehnten Jahrhundert verantwortlich war. Am 13. Juli 1752 war er dafür auf dem Marktplatz von Frame gehängt worden.

William ging schnell weiter. Die frische Nachtluft tat ihm gut, machte ihn etwas nüchtern. Seine Bewegungen waren nicht mehr so unkontrolliert. Die ersten Häuser von Frame waren zu sehen, eines Dorfes, das ein beliebter Ferienort geworden war. Der Galgen auf dem Marktplatz, wo der Seeräuber Percy Talbot gehängt worden war, war für die Touristen eine echte Sensation, und ein gutes Geschäft für die Dorfleute. Fast in jedem Haus wurden Zimmer vermietet. Auch ein Journalist hatte sich in Frame niedergelassen. Sein Haus war das größte und komfortabelste. Bill Pool war sehr beliebt.

William Durk erreichte die schmale Gasse, die zum Marktplatz führte. Der Mond schien über den Himmel zu fliegen. In Wirklichkeit waren es Wolken, die von dem plötzlich aufkommenden Sturm gejagt wurden. Der Mann schluckte. Das Pfeifen des immer heftiger werdenden Sturmes gellte in seinen Ohren.

Wieder zeigte sich der Mond. Sein geisterhaftes Licht fiel auf den Galgen. Die Schlinge des Strickes bewegte sich.

Gleich bin ich daheim, sagte sich William. Mary wird bestimmt noch wach sein. Sie konnte einfach nicht schlafen, wenn er nicht zu Hause war. Sie würde ihm Vorwürfe machen, aber froh sein, daß er wieder da war.

Der Mann überquerte den Platz. Eine Sturmböe brauste über ihn hinweg. William Durk hörte einen Knall, warf die Arme hoch, taumelte noch einige Meter weiter und fiel wie ein gefällter Baum nach vorne auf das Pflaster. Der dunkle Fleck auf seiner Jacke am Rücken des Mannes wurde größer.

Die Turmuhr der Kirche schlug zweimal. Es war zwei Uhr morgens und der dreizehnte Juli. Die dumpfen Schläge klangen unheimlich durch die Stille der Nacht. Danach war nur noch der Wind zu hören. Die ersten schweren Regentropfen fielen auch auf den Mann am Boden.

Eine Tür öffnete sich knarrend und ein gellender Schrei riß die Bewohner der naheliegenden Häuser aus dem Schlaf.

*

Daisy Lingfield drehte sich im Bett auf die andere Seite. Sie hatte noch keine Lust aufzustehen. Außerdem goß es draußen in Strömen. Der Regen prasselte auf das Dach ihres Hauses, das Wasser lief an den Scheiben der kleinen Fenster herunter.

Der Radiowecker summte. Daisy stellte ihn ab. »Dandy, es hilft uns nichts. Wir müssen uns erheben«, erklärte sie ihrem Hund, einem Mischling. Vermutlich befanden sich unter seinen Vorfahren auch ein Dackel und ein Spaniel. Dandy war kohlschwarz, hatte lange Ohren und kurze Beine. Sein Fell war lang und ein wenig gelockt.

Daisy hatte den Hund vor einem Jahr am Strand gefunden. Damals war er noch ein Winzling gewesen, halb verhungert und hatte herzerweichend gewimmert. Nachdem ihre Erkundigungen nach einem Besitzer ergebnislos verlaufen waren, hatte sie ihn Dandy getauft und behalten. Diesen Entschluß hatte sie keinen Augenblick bereut.

Dandy stieg aus seinem Korb und lief zu ihrem Bett. Daisy lachte. »Schon gut, mein Kleiner, ich stehe ja schon auf.« Sie stieg aus dem Bett und öffnete kurz darauf die Haustür. Ein kleiner Garten umgab das Haus, das aus groben Feldsteinen zusammengefügt war und ein Schindeldach hatte. Es war ein sehr altes Haus, hatte nur ein Stockwerk, eine Bogentür und kleine Bogenfenster mit Butzenscheiben.

Daisy Lingfield hatte das Haus und das dazugehörige Grundstück von einer Großtante geerbt. Vor ungefähr fünf Jahren. Damals war sie zwanzig und begeistert über diese Erbschaft gewesen. Die Veranda hatte sie als Atelier eingerichtet. Die junge Frau übte den Beruf einer Keramikerin aus. Ein glücklicher Zufall hatte ihr geholfen, Aufträge in Hülle und Fülle zu bekommen. Mr. Haller lebte in Hastings, und sie war ihm eines Tages dort begegnet. Ihr gemeinsames Interesse für die Häuser im georgianischen Stil an der Uferpromenade hatte sie zusammengeführt. Sie hatten gemeinsam die Blumenuhr in den Rock Gardens besichtigt, die aus mehr als dreißigtausend Blumen bestand. Schließlich hatte es beide zu dem Miniaturdorf im Stil der Tudorzeit hingezogen.

Mike Haller war Mitte Fünfzig, Witwer, und schien Gott und die Welt zu kennen. Als er Daisy später einmal in Frame besucht und ihre hübschen Keramikarbeiten gesehen hatte, war er sogleich Feuer und Flamme gewesen und hatte erklärt, sie wäre eine große Begabung. Schon vierzehn Tage danach hatte sie ihren ersten großen Auftrag erhalten.

Daran dachte Daisy jetzt, als sie an der Haustür stand. Dandy war naß, als er ins Haus flitzte. Die junge Frau rubbelte ihn ab, dann stellte sie ihm sein Frühstück hin. Hundekekse mit Leberwurst bestrichen.

»Ich gehe jetzt ins Bad«, sagte sie zu dem Tier. »Dann frühstücke ich. Aber ja, mein Junge, ich gebe dir noch etwas Toast mit Leberwurst«, fügte sie hinzu, als sie dem Blick der großen seelenvollen, dunklen Hundeaugen begegnete.

Eine gute Viertelstunde später erschien Daisy wieder in der Küche. Die Spitzen ihres braunen Haare waren noch etwas feucht. Die blauen Augen strahlten vor Lebensfreude. Das hellblaue Sweat-Shirt und die Jeans betonten ihre sonnengebräunte Haut.

»Heute kommt Nelly zurück«, klärte sie den Hund auf, als sie sich das Frühstück zubereitete. Dandy wedelte mit seiner buschigen Rute. »Ich wette, sie wird froh sein, wieder hier zu sein«, fügte sie noch hinzu.

Nelly war eine Frau, die die Fünfzig bereits überschritten hatte. Daisy hatte sie ebenfalls von ihrer Großtante »geerbt«. Als Nelly ihre Stellung bei der alten Dame angetreten hatte, war sie dreißig Jahre alt gewesen. Zwanzig Jahre hatte sie Daisys Tante treu gedient.

»Neunzig zu werden, ist schon toll«, meinte Daisy laut. »Tante Barbara wollte sogar hundert werden.«

Der Hund hörte ihr aufmerksam zu. Daisy war sicher, daß er jedes ihrer Worte verstand.

Nach einem Blick auf die Küchenuhr meinte sie: »Der Bus muß schon da sein. Nelly wird bald kommen.« Sie blickte zum Fenster hinaus. »Was meinst du, Dandy?«

Das Tier bellte voller Freude und lief zur Tür. Daisy ließ den Hund hinaus. »Da kommt sie ja!« rief sie erfreut.

Nelly Masters war groß und schlank, fast hager. Wenn sie ihre Schwester in Pevensy besuchte, was diesmal auch der Fall gewesen war, trug sie stets ihr altes Tweedkostüm mit dem knöchellangen Rock. Ein Kleidungsstück von undefinierbarer Farbe. Das graue Haar war straff nach hinten gebürstet und am Hinterkopf zu einem festen Knoten zusammengesteckt. Sie hatte ein langes Gesicht, gelblich schimmernde Zähne und noch volle Lippen. Als Schönheit konnte man die Frau nicht bezeichnen.

Aber wenn sie die großen, dunklen Augen auf einen richtete, übersah man ihr Aussehen. Diese Augen hatten einen bemerkenswerten Ausdruck, waren voller Güte und Verständnis. Es waren weise Augen, die viel Leid gesehen hatten und dennoch jung geblieben waren.

Daisy war glücklich über Nellys Rückkehr. Ihre Anwesenheit vermittelte ihr ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Nellys fröhliche Stimme, ihr tiefes Lachen und ihre erstaunliche

Energie spornten die junge Frau immer wieder an.

Dandy umsprang Nelly voller Begeisterung über das Wiedersehen.

»Ist schon gut, alter Junge«, sagte die alte Frau ungewöhnlich leise.

Daisy sah sie aufmerksam an. Sie vermißte den heiteren Glanz in ihren Augen, ihr mütterliches Lächeln und die freudige Begrüßung. Nelly machte einen bedrückten Eindruck.

»Was ist los? Ist etwas mit deiner Schwester geschehen?« fragte die Keramikerin besorgt.

»Meine Schwester ist okay, Daisy. Aber…« Sie sprach nicht weiter.

»Nelly, so rede schon. Es ist doch etwas geschehen?« Daisys Blick fiel auf den Kalender in der Diele. Sie hatte heute morgen vergessen, das Kalenderblatt abzureißen. »Der zwölfte? Nein, heute ist der dreizehnte. Der dreizehnte Juli. Am dreizehnten Mai und dreizehnten Juni sind zwei Dorfbewohner erschossen worden. Mit einer Schnappschloßpistole aus dem achtzehnten Jahrhundert, wie die Polizei festgestellt hat. Nelly, doch nicht schon wieder?«

Die ältere Frau legte ihre Tasche auf den Küchentisch und setzte sich. »Ja, heute ist der dreizehnte Juli und William Durk ist tot. Der Mörder hat ihn in den Rücken geschossen. Genauso wie die anderen Männer. Mary Durk konnte nicht schlafen. Sie konnte ja nie schlafen, wenn ihr William nicht zu Hause war. Sie hörte den Schuß trotz des Sturmes und des Regens. Sie stürzte hinaus und sah ihn neben dem Galgen liegen.«

»Mein Gott, das ist ja grauenvoll. William Durk ist bereits der dritte Tote, der auf diese Weise sterben mußte.«

»Im Dorf herrscht große Aufregung. Die Leute sind nun ganz sicher, daß Percy Talbot Rache nimmt, weil man ihn damals gehängt hat.«

»Sie glauben, daß sein Geist die Leute erschießt? Es gibt keine Geister.« Daisy setzte sich nun ebenfalls. Ihre Handflächen waren schweißfeucht vor Erregung.

»Da sind die Leute anderer Meinung. Die Simmons wollen ihr Haus und auch die Felder verkaufen. Nancy Simmons hat ihrem Mann gedroht, ihn zu verlassen, wenn er es nicht tut, sie wolle die Kinder mitnehmen. Jeder in Frame weiß doch, wie sehr Dick seine Nancy liebt. Also verkauft er und zieht weg. Auch die Brendons haben das vor.«

»Das mit dem Geist ist doch Unsinn!« erklärte Daisy und goß Nelly Kaffee ein. »Trink’ erst mal, du siehst ganz blaß aus.«

*

Dandy bellte. »Da kommt jemand«, sagte sein Frauchen. Wenn ihr die Vernunft auch sagte, daß das Gerede über Percy Talbots Geist nichts zu bedeuten hatte, fühlte sie sich trotzdem nicht sehr wohl in ihrer Haut. Sie dachte an ihren Nachbarn Tom Bedlon, der seinen Grund und Boden Hals über Kopf zu einem spottbilligen Preis verkauft hatte. Das war im vergangenen Monat geschehen, eine Woche nach dem zweiten Mord.

Rederic Seeger öffnete gerade die Gartentür, als Daisy zum Fenster hinausblickte. Er war Architekt und wohnte erst ein halbes Jahr in Frame. Das Haus, das er von dem alten Brown gekauft und umgebaut hatte, stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Roderic war mit seinen dichten, braunen Haaren und blaugrünen Augen keineswegs das, was man als einen auffallend gutaussehenden Mann bezeichnen konnte. Er war breitschultrig und wirkte dadurch kleiner, als er war. Daisy schätzte, daß er einmeterachtzig groß war.

Mit seinem lässigen Gang ging er auf das Haus zu. Daisy öffnete ihm die Tür.

»Guten Morgen, Daisy«, grüßte er mit seinem sympathischen Lächeln, das sein Gesicht erstaunlich verschönte. Der Glanz seiner Augen vertiefte sich dann, und zwei Reihen kräftiger Zähne wurden sichtbar.

»Guten Morgen, Roderic«, erwiderte sie. »Hast du schon gefrühstückt?«

»Nein, Daisy. Ich war im Dorf. Dort geht es toll zu. Unbeschreiblich. Die Leute glauben doch tatsächlich, daß dieser Seeräuber, den man im Jahre 1752 am 13. Juli auf dem Marktplatz gehängt hat, jetzt Rache übt. Seltsam ist, daß… aber weißt du überhaupt schon Bescheid?«

»Nelly ist vorhin gekommen und hat mir vom Tod von William Durk erzählt. Ist auch er mit einer alten Schnappschloßpistole erschossen worden?«

»Die Polizei untersucht den Fall noch. Aber ich nehme an, das wird der Fall sein. Die Beamten stehen vor einem Rätsel. Fast habe ich den Eindruck, daß auch einige Kriminalisten an ein Gespenst glauben. Denn trotz zweijähriger Recherchen haben sie nicht den kleinsten Hinweis auf den Mörder finden können. Für mich steht fest, daß der Täter im Dorf wohnt.«

»Das ist ja entsetzlich. Ich kann mir das nicht vorstellen.«

Nelly hatte sich ein wenig von ihrem Schreck erholt und bereitete ein kräftiges Frühstück zu. Sie deckte den Küchentisch und bat Daisy und Roderic sich zu setzen.

Dandy saß voller Andacht neben dem Architekten und beobachtete ihn. Er wußte genau, daß er von ihm hin und wieder einen leckeren Happen bekam.

»Er wird zu dick«, sagte Daisy. »Gib ihm nicht so viel, Roderic.«

»Okay, ich werde es versuchen.« Der Mann grinste, doch dann wurde sein Gesicht wieder ernst. »Du kannst dir also nicht vorstellen, daß es in Frame einen verrückten Mörder gibt? Dann glaubst du an diesen Spuk von Percy Talbots Geist?«

»Nein, Roderic. Aber warum tötet der Unbekannte immer am dreizehnten jeden Monats? Er kann nur einen Tick haben, einen sehr gefährlichen Tick. Die Polizei sollte jedes Haus durchsuchen.«

»Und nach der Schnappschloßpistole aus dem achtzehnten Jahrhundert suchen? Bestimmt hat der Mörder sie nicht in seinem Haus versteckt.«

»Du hast doch Verwandte in London, Daisy?« fragte der Mann plötzlich.

»Ja, das stimmt. Wieso erwähnst du sie?«

»Weil ich möchte, daß du Frame verläßt, solange, bis man diesen Wahnsinnigen gefaßt hat.«

»Bisher hat er nur Männer erschossen!«

»Das hat nichts zu bedeuten. Das nächste Mal kann es eine Frau sein, Daisy. Bitte, fahre nach London.« Er legte das Besteck beiseite und umschloß ihre Hand. »Fahre nach London, Daisy. Nimm Nelly und den Hund auch

mit.«

»Wie stellst du dir das nur vor?« Sie sah ihn eindringlich an. Er schien sich tatsächlich Sorgen um sie zu machen. Daß er für sie mehr als nur Freundschaft empfand, wußte sie längst. Aber sie wollte es nicht. Sie dachte an Thomas Pool, der sehr oft seinen Onkel Bill besuchte. Das Haus von Bill Pool, man konnte es schon fast als Villa bezeichnen, stand am östlichen Rand von Frame.

Bill Pool war Journalist und arbeitete freiberuflich für eine bekannte Londoner Zeitung. Der Mann schien enorm reich zu sein. Er beschäftigte einen Butler, einen Chauffeur und eine Köchin. Es gab auch zwei Hausmädchen, die allerdings nur tagsüber bei ihm arbeiteten.

Thomas Pool war ebenfalls Journalist, fuhr einen schnittigen Sportwagen und besaß viele Kameras, die er stets mit sich herumschleppte.

Thomas hatte schwarze Haare, die er im Nacken ziemlich lang trug. Seine dunklen Augen drückten wache Intelligenz aus. Der Mann war groß und schlank. Daisy fand ihn faszinierend. Und er schien sich auch für sie zu interessieren.

Sie dachte an die vergangene Woche, als er sie in ihrem Atelier besucht hatte. Er hatte ihre Keramikarbeiten fotografiert und sie interviewt. In dem nächsten Magazin, für das er Artikel schrieb, wollte er sie ganz groß herausbringen.

»Ja, wie stellst du dir das nur vor?« wiederholte sie ihre Worte, als sie wieder in der Gegenwart war. »Ich habe eine Menge Arbeit. In London müßte ich mir ein Atelier mieten. Abgesehen davon, daß ich wohl kaum eines finde, das meinen Vorstellungen entspricht, und nicht teuer ist. Außerdem braucht Mike Haller meine Arbeiten in ungefähr einer Woche. Er vermittelt sie an einen Londener Kunstgewerbeladen weiter. Die Inhaberin zahlt sofort und gut. Das alles kann ich nicht im Stich lassen, Roderic.«

»Daisy, ich habe Angst um dich.«

Sie entzog ihm sanft ihre Hand, die er immer noch festhielt. »Und was ist mit dir? Du würdest Frame doch auch nicht verlassen.«

»Natürlich nicht, Daisy! Aber ich fahre auch in jedem Monat am zwölften weg und komme erst am dreizehnten spät wieder. Also gut, dann begleitet ihr mich nächsten Monat!«

»Bis zum nächsten dreizehnten ist es noch lang.«

»Der Mörder wird heute nicht noch einmal zuschlagen«, meinte Nelly.

»Das glaube auch ich nicht«, unterstützte Daisy die Frau in ihrer Auffassung.

»Man kann nie wissen. Jedenfalls ist es mir lieber, ihr würdet im Haus bleiben und dieTüren und Fenster fest verschließen.«

»Ich bin bei Onkel Bill eingeladen, Roderic. Mein Vater und er waren Freunde, ich kann ihm schlecht absagen. Warum auch?«

»Dann begleite ich dich zu Mr. Pool und hole dich auch wieder ab.«

»Roderic, das ist gutgemeint, aber es ist völlig unnötig. Ich fahre mit dem Wagen. Außerdem nehme ich Dandy mit. Onkel Bill liebt den Hund sehr. Er allerdings mag Bill nicht besonders. Aber das Tier ist nun mal so, es bewacht mich eifersüchtig.« Daisy lachte leise. »Bei dir scheint er eine Ausnahme zu machen.«

»Mag er Onkel Bills Neffen?« Roderic ließ Daisy nicht aus den Augen.

»Keine Ahnung. Ich sehe ihn nicht oft. Aber ich habe es mir anders überlegt, ich lasse den Hund heute lieber hier«, versuchte sie abzulenken.

»Aber Thamas ist im Augenblick bei seinem Onkel zu Besuch, Daisy.«

Verflixt, dachte Daisy, als sie spürte, daß sie rot wurde. »Wirklich?« Sie zerschnitt ein Stückchen Käse und belegte den Toast damit. »Mag sein«, sagte sie dann.

»Du magst ihn, nicht wahr?«

»Warum sollte ich ihn nicht mögen? Er ist nett und amüsant«, fügte sie hinzu.

»Dieser Thomas Pool ist sehr von sich überzeugt. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Aber jetzt muß ich gehen. Habe einen großen Auftrag bekommen. Eine Siedlung soll gebaut werden. Ganz in der Nähe von Hastings. Ich glaube, dieser Auftrag ist ein Durchbruch für mich.«

»Ich gratuliere dir von ganzem Herzen«, sagte die Keramikerin erfreut. »Du hast es verdient.« Sie strahlte ihn an.

»Danke, Daisy. Das bedeutet für mich mehr, als du denkst. Doch darüber möchte ich noch nicht sprechen. Aber um jetzt noch mal auf den Geist zurückzukommen. Als ich vorhin im Dorf war, wollte ich wissen, warum man diesen verflixten Galgen nicht abreißt und verbrennt. Aber niemand wollte etwas davon wissen. Sie alle sind sich einig, daß dieser Galgen der größte Anziehungspunkt für die Touristen ist, daß Frame dadurch ein beliebter Ferienort ist. Nun, durch die mysteriösen Morde, ein noch beliebterer«, setzte er hinzu.

Daisy sah ihr Gegenüber ernst an. »Die ersten Dorfbewohner haben ihre Anwesen verkauft und Frame verlassen.«

»Das stimmt wohl, aber bei diesen Leuten handelt es sich nicht um Leute, die etwas von dem Tourismus haben. Die würden wohl kaum Frame verlassen.« Roderic erhob sich. »Mein Angebot gilt noch immer.«

»Ich danke dir, Roderic, aber ich brauche deinen Schutz nicht.«

»Also dann gehe ich. Nelly, ich danke Ihnen für das Frühstück. Dandy, du wirst tatsächlich zu dick.« Er tätschelte den Hund. »Bis bald!« rief er dann.

Die Haustür klappte hinter ihm zu.

»Er brennt vor Liebe zu dir«, erklärte Nelly lakonisch. »Du aber hast nur diesen Thomas im Kopf. Oder täusche ich mich?«

»Nelly, ich weiß nicht, was ich dir darauf antworten soll. Ich mag Roderic sehr. Er ist lieb und… na ja, man fühlt sich bei ihm geborgen. Er würde bestimmt ein guter Ehemann sein.«

»Was man von Thomas Pool wohl kaum behaupten kann. Oder?« Die Frau schmunzelte.