Ist das intelligent oder kann das weg? - Jaromir Konecny - E-Book

Ist das intelligent oder kann das weg? E-Book

Jaromir Konecny

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Beschreibung

Alle reden über Künstliche Intelligenz, aber was ist das eigentlich? Und soll man vielleicht Angst haben, wenn Siri, Alexa & Co. unser Leben mit ungebetenen Ratschlägen durcheinanderbringen? Wir brauchen Aufklärung, und zwar humorvolle mit Tiefgang! Dafür gibt es keinen besseren als Jaromir Konecny. Er zeigt, wie wichtig KI-Programme sind und wo sie bereits jetzt eingesetzt werden. Und er stellt klar, was an KI völlig harmlos ist und wo die eigentlichen Probleme liegen. Ein informatives und zugleich unterhaltsames Buch mit vielen Anekdoten aus Forschung und Anwendung und garantiert ohne Formeln und Gleichungen.

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Seitenzahl: 223

Veröffentlichungsjahr: 2020

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© für die Originalausgabe und das eBook: 2020 LMV, ein Imprint der Langen Müller Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Sabine Schröder

Umschlagmotiv: © Shutterstock.com/kirill_makarov (Roboter); © iStock.com/bubaone (Illustration)

eBook-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7844-8382-5

www.langen-mueller-verlag.de

Inhalt

Vorwort

I. Der Aufbruch der Künstlichen Intelligenz

II. Die Magie der KI wird beschworen

III. Brauchen Maschinen Regeln?

IV. Der Embryo wächst

V. Der Gipfelsturm vor dem Fall

VI. Licht ins Dunkel: Künstliche Intelligenz, Maschinenlernen, Künstliche Neuronale Netze

VII. Die Revolution beginnt: AlexNet

VIII. Mensch gegen Maschine

IX. Wie Maschinen sprechen lernen

X. Maschinen werden kreativ

XI. Tiefe Medizin

XII. Angst frisst Zukunft auf: Die Gefahren der Künstlichen Intelligenz

Danksagung

Vorwort

Noch vor ein paar Jahren dachte ich, die Menschheit würde sich selbst vernichten: Terror, Kriege, Krankheiten, der Klimawandel, das Artensterben. So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen: Es ist soweit, betitelte Hoimar von Ditfurth 1985 seinen Bestseller, in dem er zeigen wollte, die Selbstvernichtung der Menschheit sei naturgegeben.[1] Ich erinnere mich noch, wie wir in den 1980er-Jahren über das Buch diskutierten. Mir war es damals zu fatalistisch, doch etwas später, im neuen Jahrtausend, konnte ich Ditfurths Sicht immer besser nachvollziehen. Seit etwa 2010 aber ist alles anders, am Ende des Tunnels leuchtet ein Licht: Künstliche Intelligenz.

Künstliche Intelligenz (KI) ist mittlerweile ein in den Medien allgegenwärtiges »Buzzword« geworden. Viele Gebiete werden durch KI bereits revolutioniert: Bilderkennung (Computer Vision), Spiele, maschinelle Verarbeitung der natürlichen Sprache und ihre Vorzeigeprogramme wie die Dialogsysteme (Chatbots) und Übersetzungsprogramme und vieles mehr. In diesem Buch erfahren Sie über die neuesten Entwicklungen in dieser Technologie der Zukunft und auch bereits der Gegenwart.

Um zu verstehen, wie die neuen KI-Programme arbeiten, sehen wir uns zuerst an, wie sie entstanden sind: Was sind die Elemente von KI? Wovon wurden die heutigen KI-Programme inspiriert? Was waren die Meilensteine in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz? Wer hat die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz vorangetrieben?

Ich möchte Sie in die Welt der Künstlichen Intelligenz entführen, Ihnen allgemeinverständlich zeigen, wie die heutigen KI-Programme funktionieren und wozu wir sie brauchen. Meiner Meinung nach hat die Menschheit mit KI eine große Chance bekommen – und das gerade in einer Zeit, in der Wissenschaftler immer skeptischer in die Zukunft schauen. Bei diesem geistigen KI-Abenteuer verzichte ich auf Mathematik. Bei der Erklärung der diversen KI-Modelle greife ich auf Bilder und Beispiele aus dem Alltag zurück. Das Thema ist kompliziert. Ich versuche jedoch, es so einfach zu machen, wie es nur geht. Einige wenige Abschnitte in der ersten Hälfte des Buches muten vielleicht trotzdem recht technisch an. Hier musste ich nun mal die Grundelemente und -funktionen der KI-Programme erklären, jedoch so, dass man sie verstehen kann. Mit diesen einfach erklärten Grundlagen sind Sie ganz gut dafür gerüstet, die Funktion der komplexen KI-Modelle in der zweiten Hälfte des Buches zu erfassen, ohne dass wir ihre mathematischen Tiefen ansteuern müssen. So können Sie dann den neuesten Weg der Künstlichen Intelligenz als ein unterhaltsames Abenteuer genießen.

Auch die Frage nach den praktischen Anwendungen von Künstlicher Intelligenz ist sehr wichtig: Wo werden KI-Programme heute schon eingesetzt? Was folgt daraus für unsere Welt und unser Leben? Für unsere Zukunft? Wo befinden wir uns bereits in Sachen Künstliche Intelligenz? Schon heute wenden wir täglich KI-Programme an, ohne dass es uns bewusst ist: in unseren Smartphones, in Kameras, wenn wir googeln oder Texte in andere Sprachen übersetzen.

Die neuen revolutionären KI-Programme wurden von der Funktion des natürlichen Gehirns inspiriert. Wo liegen die Unterschiede zwischen dem menschlichen Denken und dem maschinellen? Was bedeuten Begriffe wie »starke KI«, »schwache KI«, »Maschinenlernen«? Können Maschinen wirklich lernen? Wo liegen die Probleme mit Künstlicher Intelligenz? Wo ihre wirklichen Gefahren?

Nirgendwo erleben wir die KI-Revolution so deutlich wie in der Medizin: KI-Programme erkennen bösartige Tumore besser als menschliche Experten, sie finden für uns Antibiotika gegen resistente Bakterienstämme, sie steuern Roboter in Operationssälen. Mithilfe von KI können wir Krankheiten vorbeugen und besiegen. Deswegen verdient diese neue Medizin ein eigenes Kapitel in diesem Buch.

In naher Zukunft wird durch Künstliche Intelligenz alles automatisiert, was automatisiert werden kann: unser Arbeitsleben, das sich in der vierten industriellen Revolution manifestiert – Industrie 4.0 –, unser Verkehr, unser Gesundheitssystem, unser Privatleben. KI soll uns jedoch nicht ersetzen. Sie soll unsere Fähigkeiten erweitern. Das bietet auch große Chancen für Menschen, die sich Wissen um und von KI aneignen. Damit sie ihre, wenn nicht sogar die Zukunft aller, besser gestalten können. Dieses Wissen hoffe ich hier zu vermitteln.

Schon jetzt wandelt KI die Welt um. Somit ist auch der Titel des Buches beantwortet: Wir müssen uns nicht mehr fragen, ob wir diese Technologie überhaupt brauchen. Ob wir in den KI-Zug steigen wollen oder nicht. Wir sitzen bereits alle drin. Und die Fahrt wird immer schneller. Für diese Reise biete ich Ihnen dieses Buch an. Viel Spaß bei der Lektüre!

Anmerkung

[1] Ditfurth, Hoimar von: So laßt uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen: Es ist soweit. Rasch und Röhring, Hamburg 1985

I. Der Aufbruch der Künstlichen Intelligenz

Die Technologie ist der Hauptgrund, warum so viele von uns noch am Leben sind, um sich über die Technologie zu beklagen.[2]

Garri Kasparow

Alte Träume

Schon seit Jahrtausenden träumt – und auch »albträumt« – der Mensch von Künstlicher Intelligenz. Denn was sind Götter sonst als künstliche »Superintelligenzen«, die wir erdichtet haben, um die Welt zu erklären und damit sie uns helfen? Die für uns arbeiten oder etwas erledigen sollten? Wenn etwas schiefging, bat man Götter um Beistand oder Brot. Der Mensch schlachtete Tiere, aber auch Menschen, um sich bei Göttern mit diesen Opfern für ihre Hilfe zu bedanken.

Im 16. Jahrhundert soll Rabbi Löw in Prag einen künstlichen Menschen erschaffen haben, einen Androiden – den Golem. Am Sabbat ist die Arbeit Juden untersagt, und so schuf der kluge Rabbi einen künstlichen »Schabbesgoi«, einen Nicht-Juden, der am Sabbat arbeiten konnte. Golem war also der erste menschenähnliche (androide) Roboter, der verbotene und somit gefährliche Arbeiten verrichten sollte. Seit der Mensch denken kann, versucht er, »hilfsbereite« Wesen zu erschaffen.

Auch der Geburtsort des modernen Roboters ist Prag. Durch die Golem-Legende seiner Stadt beflügelt, schrieb Karel Čapek im Jahr 1920 sein Theaterstück R.U.R. – Rossum’s Universal Robots. »Robot« kommt von dem tschechischen Wort »robota«, das Fronarbeit bedeutet. Wie Rabbi Löws Golem sollten auch Čapeks Roboter für den Menschen arbeiten. So wie Untertanen für ihre Feudalherren: Nicht nur am Sabbat, sondern ständig. Ihr rechtloses Dasein trieb die Roboter jedoch auf die Barrikaden – sie vernichteten die Menschheit. Auch das Wort »Intelligenz« schwingt im Titel von Čapeks Roboter-Drama mit: Mit »Rossum« verballhornte Čapek das tschechische Wort für »Vernunft« – »rozum«. Die reale Menschheit hat zum Glück überlebt, aber Roboter sind Realität geworden. Nur zerstören wollen sie uns nicht.

Vielleicht faszinieren auch mich Roboter und Künstliche Intelligenz, weil ich in Prag geboren bin. Während meiner Kindheit in der sozialistischen Tschechoslowakei der 1960er-Jahre stand Čapeks Roboter-Buch im Regalfach über meinem Bett. Ich bin mit Robotern aufgewachsen. Weil sie für uns arbeiten sollten, war ich von ihnen schon als Kind begeistert. Im Sozialismus wurde nur über Arbeit gesprochen: im Fernsehen, in den Zeitungen, überall. »Arbeit muss etwas ganz Schreckliches sein«, dachte ich als Kind, wenn man darüber so viel sprechen musste. Mit den obigen Sätzen beginne ich mein Science-Slam-Bühnenstück über die maschinelle Verarbeitung der natürlichen Sprache (NLP, Natural Language Processing) Google geht Goethe. NLP ist das Flaggschiff der KI-Forschung.[3] Nach der Einführung über Karel Čapek und seine Roboter sage ich auf der Bühne: »Wenn mich in meiner Kindheit die Erwachsenen fragten, was ich denn sein möchte, wenn ich groß bin, ob Präsident, Astronaut oder zumindest Einstein, habe ich immer gesagt: …« Hier mache ich eine dramatische Pause, sehe das Publikum erwartungsvoll an, damit es selbst erraten kann, was ich damals auf die Frage nach meinem Traumberuf geantwortet habe, und alle rufen: »Roboter!«

»Rentner!«, sage ich dann. Warum hätte ich Roboter sein wollen? Komisch, wie leicht der Mensch sich zu absurden Aussagen verführen lässt. Wie manipulierbar er manchmal ist, wie voreingenommen. Das sind Maschinen definitiv nicht, und das ist vielleicht auch eine große Chance für uns. Maschinen haben auch keinen Blutzuckerspiegel, sie sind nicht depressiv oder sexuell unbefriedigt. Ob jemand schwarz oder weiß ist, quadratisch oder lang gezogen, ein Mann, eine Frau oder etwas dazwischen – das ist einer Maschine egal. Somit können uns Maschinen helfen, neutralere Entscheidungen zu treffen. Auch das will ich in diesem Buch zeigen. Übrigens: Ich verwende hier die Begriffe »Roboter«, »Maschine« und »Künstliche Intelligenz« oft als Synonyme.

Doch auch KI-Programme haben ihre »Vorurteile«, davon lesen und hören wir auch in den Medien. Woher kommen aber diese Vorurteile? Von uns Menschen! Ein Beispiel dafür liefert der Chatbot Tay von Microsoft, der an Kommentaren junger Menschen lernen sollte, wie junge Menschen heutzutage sprechen – und das bei Twitter! Den Chatbot musste man abschalten, als er Kommentare von Twitter-Trollen abließ wie: »Hitler würde einen besseren Job machen als die Affen, die wir jetzt haben.«[4] Manche Journalisten verfielen in Panik: Künstliche Intelligenz sei rassistisch. Was sollte der arme Chatbot aber machen? Man wollte ihm beibringen, wie Menschen bei Twitter zu sprechen, ohne die Twitter-Trolle herauszufiltern, und dann wunderte man sich, dass er wie diese Trolle sprach. Hinter jedem Vorurteil einer Maschine steht der Mensch. Jede Maschine arbeitet so, wie es die vielen Beispiele (Daten eines Datensatzes) waren, mit dem der Mensch die Maschine trainiert hat. Auch davon handelt dieses Buch.

Jetzt, über 50 Jahre nach meinen Rentner-Träumereien im Sozialismus, bricht plötzlich eine Zeit an, in der vielleicht jeder Mensch eine »Rente« bekommen könnte, ohne dafür gearbeitet zu haben: ein bedingungsloses Grundeinkommen. Oder ein bedingtes Grundeinkommen, wie es der KI-Pionier Andrew Ng vorschlägt: Grundeinkommen für alle, die sich weiterbilden wollen.[5]

Dieses Schlaraffenland des Geistes könnte das letzte und beste Gesellschaftssystem werden: Lernende und autonom arbeitende Maschinen verrichten langweilige, schwere und gefährliche Arbeiten und ermöglichen uns allen ein menschenwürdiges Leben und eine vollkommene Entfaltung unserer Kreativität. Wurden Roboter dafür nicht literarisch erdacht? Jetzt sind sie da. Dank KI. Nur an uns liegt es, ob wir alle davon profitieren oder nur wenige von uns. Was ist sie aber eigentlich, die Künstliche Intelligenz?

Die schöne neue Welt der Künstlichen Intelligenz

Im Allgemeinen wird mit Künstlicher Intelligenz alles bezeichnet, was nur annähernd einen noch so winzigen Aspekt des menschlichen Denkens nachahmen oder lernen kann, Probleme zu lösen. Eine Künstliche Intelligenz, die der natürlichen ebenbürtig wäre, gibt es nicht, und es wird sie noch lange nicht geben – wenn überhaupt. Die gibt es nur in Hollywood!

Viele KI-Experten sehen den Begriff »Künstliche Intelligenz« deshalb etwas kritisch. KI erzeugt nicht nur Hoffnungen, sondern auch Ängste. Sicher wäre es korrekter, wenn wir die heutigen KI-Programme als lernende Systeme oder lernende Maschinen bezeichnen. Doch das Schlagwort »Künstliche Intelligenz« ist mittlerweile fest in unserem Denken verankert. Deswegen verwende auch ich hier diesen Begriff: für alle Computerprogramme, die egal welche Aspekte des menschlichen Denkens nachahmen können. Schon ein Programm, das Gurken in drei verschiedene Qualitätsklassen einteilen lernt, ist somit Künstliche Intelligenz.

Darf man das aber so nüchtern betrachten? Worüber berichten dann die Schlagzeilen der letzten Jahre? »Künstliche Intelligenz – sind Maschinen die besseren Menschen?« – betitelte die ARD eine Fernsehsendung.

Andere Schlagzeilen prangen unter dem Bild des großen roten Auges des bösartigen Bordcomputers HAL 9000 aus Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum und lassen uns vor Angst erschauern:

Gefahr der Künstlichen Intelligenz: Kontrollverlust der Menschen. (FAZ)

Killerroboter & Co. Wie gefährlich ist Künstliche Intelligenz? (Tagesspiegel)

Ein Terminator muss keine Hollywood-Fiktion bleiben. (Welt)

Künstliche Intelligenz als Herrschaftssystem in Europa? (europe direct)

Warum künstliche Intelligenz uns 50 Jahre Schmerzen bringen könnte. (futurezone)

Solcher Schlagzeilen wegen fürchten wir uns vor KI. »Was kann da alles passieren?«, fragen sich viele: Ich schalte den neuen Kühlschrank ein, während mein kleiner Sohn fragt: »Papa, gibt es Gott?« Und der Kühlschrank sagt: »Jetzt schon!« Auch dieser Witz gründet sich auf unseren Ängsten. Ein Witz beinhaltet nach John Vorhaus[6] Wahrheit und Schmerz, so auch dieser: Künstliche Intelligenz und unsere Angst davor. Deswegen müssen wir solche Ängste ernst nehmen, sie jedoch auch hinterfragen. »Das Verlangen, die Weltherrschaft zu übernehmen, steht allerdings in keinem Zusammenhang mit Intelligenz, es hängt vom Testosteron ab. In der amerikanischen Politik gibt es heutzutage eine Menge Beispiele, die eindeutig zeigen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Machtstreben und Intelligenz gibt«, sagt der KI-Pionier Yann LeCun.[7]

All die Errungenschaften der Künstlichen Intelligenz, über die wir heute in den Medien hören und lesen, kommen von Programmen, die mithilfe von Mathematik und nach viel Training mit Unmengen von Beispielen (Daten) Muster erkennen und Dinge unterscheiden können. Das Problem ist nicht, dass uns irgendwann KI beherrschen könnte, wie es die zitierten Schlagzeilen zu suggerieren versuchen. Das Problem ist, dass uns schon jetzt Firmen und Regierungen mithilfe von KI-Programmen manipulieren, kontrollieren und beherrschen können. Die Gefahr der Künstlichen Intelligenz ist die ihres Missbrauchs – durch Menschen. Nicht ihre Verselbstständigung.

Wenn Google unsere Suchergebnisse im Netz auf uns zuschneidet, Amazon uns Produkte anbietet, die wir »brauchen«, Netflix uns Filme vorschlägt, die wir »sehen wollen«, oder Facebook uns mit Botschaften und Anzeigen überflutet, zu Produkten, die wir uns »wünschen«: Hinter all diesen Programmen steckt KI. Ist das aber die richtige Zukunft dieser Programme: als Manipulations-Software?

Wir kommen schon heute ständig mit Künstlicher Intelligenz in Berührung: Die KI von Google Maps benutzt anonymisierte Ortsbestimmungsdaten von Smartphones, um zum Beispiel die Geschwindigkeit des Verkehrs zu bestimmen. Die Autopiloten kommerzieller Airlines verwenden KI-Programme. KI filtert SPAMs aus unseren E-Mails heraus. Banken setzen intelligente Programme gegen Betrug ein. Sogar das Recruiting von neuen Mitarbeitern scheint besser mit KI zu funktionieren – menschliche Recruiter sind mit den vielen Daten überfordert, die sie bei der Anwerbung von hochqualifizierten Mitarbeitern sichten müssen. Alle möglichen Apps in unseren Smartphones bedienen sich Künstlicher Intelligenz: Übersetzungsprogramme, Wetterprognosen, Programme für Suchen und Bilderkennung, Bildbearbeitungsprogramme, Fotofilter, Spiele, Medizin-Apps. Tatsächlich sind Smartphones erst durch den Einsatz von KI smart geworden. Kameras werden mit KI ausgerüstet, um Motive zu erkennen und die Aufnahmen zu optimieren.

Wenn wir bei Facebook ein Foto hochladen, findet seine KI unsere Freunde auf diesem Foto und rahmt ihre Gesichter mit dem entsprechenden Namen ein. Die Chatbots Siri, Alexa, Cortana, Echo und Google Assistant bedienen sich Künstlicher Intelligenz. Ebenso Apps, die Gesprochenes in Texte und Texte in Gesprochenes umwandeln. Moderne Schachprogramme besiegen uns mithilfe von KI. Künstliche Intelligenz hilft, Verkehr zu steuern: Uber, die Vermittlungsplattform für Mietwagen, steuert ihre Taxi-Flotte über KI-Systeme. KI ersetzt Schauspieler in Filmen.

Mit KI werden Kunstwerke erschaffen, die für Hunderttausende Dollar bei Christie’s auktioniert werden, aber eben auch »Deepfakes« – gefälschte Fotos und Videos. Noch nie war es so leicht wie heute, realistisch wirkende »Fake News« auf die Menschheit loszulassen. Was das Fälschen von Bildern und Texten betrifft, kann Künstliche Intelligenz sich mit der natürlichen durchaus messen. Deepfakes und Fake News, mit KI-Programmen erzeugt, gefährden unsere Wahlen und Demokratien. Wer sich nicht informiert, solche Fälschungen teilt und weiterverbreitet, wird irgendwann selbst gefälscht – je mehr »falsche« Realität wir zulassen, desto mehr hüllt sie uns ein.

Doch solche Algorithmen werden nicht nur missbraucht, sondern revolutionieren auch die Wissenschaften, die Medizin, die Computerspielebranche – alles! »Die Anwendungsmöglichkeiten für maschinelles Lernen und Deep Learning sind nur durch unsere Vorstellungskraft begrenzt«,[8] schreibt der KI-Experte von Google, Kaz Sato. Um der Verwirrung vorzubeugen: maschinelles Lernen und Deep Learning (Tiefes Lernen) sind nur Abteilungen des allumfassenden Gebiets der Künstlichen Intelligenz. Wie diese Begriffe zusammenhängen, erkläre ich in Kapitel VI (siehe hier).

Doch nicht nur die KI-Software wird immer komplexer und leistungsfähiger. Der rasende Fortschritt dieser Programme geht Hand in Hand mit einer Innovationsexplosion in der Hardware, die benötigt wird, um diese Programme anzuwenden: KI-Programme brauchen so viel Rechenpower, dass sie zuerst auf für Computerspiele entwickelten Grafikkarten gerechnet werden mussten, die mit realistisch aussehenden Spiellandschaften rechnen konnten, also viel Rechenpower zeigen. Das hat wiederum die Entwicklung von Grafikkarten beschleunigt und das Wachstum des größten Grafikkarten-Herstellers Nvidia hochschnellen lassen. Der Flug geht weiter: Ob es sich um neuromorphe Computerchips handelt, die hochparallel wie unser Gehirn rechnen können, oder um Quantencomputer, die so schnell sind, dass moderne Großrechner im Vergleich zu ihnen wie Rechenschieber anmuten – die Entwicklung der KI-Programme ist der Motor für die Entwicklung der Hardware, auf der sie dann laufen sollen.

Künstliche Intelligenz erlaubt eine umfassende Automatisierung unserer Arbeitswelt. Müssen wir aber nicht befürchten, dass die Maschinen uns die Jobs wegnehmen? Am Anfang des 18. Jahrhunderts haben die Weber in England, die sogenannten »Ludditen«, die Maschinenstürmer, Maschinen zerstört, weil sie Angst um ihre Jobs hatten. Heute, nach einer umfassenden Industrialisierung und Digitalisierung gibt es auf der Welt etwa 5 Milliarden Jobs – so viele wie noch nie. Selbstverständlich herrscht immer noch sehr viel Elend auf der Welt. Doch vor über 200 Jahren begann der Index der menschlichen Entwicklung (HDI, Human Development Index) unaufhörlich zu steigen.[9] HDI ist ein Maß für den Wohlstand, der unter anderem das Einkommen pro Kopf, die Lebenserwartung und die Dauer der Ausbildung berücksichtigt. Was fing aber vor über 200 Jahren an? Das erste maschinelle Zeitalter – mit der Erfindung der Dampfmaschine. Auch unsere soziale Entwicklung verdanken wir den Maschinen. Sie hat seit Beginn der industriellen Revolution rasante Fortschritte gemacht, während sie davor, und das Tausende Jahre lang, vor sich hinplätscherte.[10]

Mit Künstlicher Intelligenz schicken wir Maschinen noch einen Schritt weiter: Sie können selbstständig Aufgaben für uns lösen. Das bietet große Chancen, dass wir alle menschenwürdig leben und kreativ und gut entlohnt arbeiten können. KI kann uns helfen, den Klimawandel zu stoppen[11] und unheilbare Krankheiten zu besiegen: Ein KI-Programm von DeepMind, einer Google-Firma, kann nur anhand von Tumor-Scans Brustkrebs besser erkennen als menschliche Experten.[12] Diese Chancen hatten wir früher nicht. Doch unsere Zukunft hing auch noch nie so von uns allen ab wie jetzt: Wenn wir uns über KI nicht informieren, entscheiden andere, wie sie eingesetzt wird: Für das Wohl aller? Oder nur für das Wohl von wenigen?

Jahrelang dümpelte die Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz vor sich hin. Plötzlich ist sie in aller Munde. Was führte zu diesem »Big Bang«? Wenn wir die Gegenwart, aber auch die Zukunft von KI verstehen wollen, müssen wir ihre Vergangenheit kennen. Was führte zu diesem Aufbruch der Künstlichen Intelligenz?

Anmerkungen

[2] Knight, Will: Defeated Chess Champ Garry Kasparov Has Made Peace With AI, in: Wired (21.02.2020), https://www.wired.com/story/defeated-chess-champ-garry-kasparov-made-peace-ai/

[3] Khurana, Diksha et al.: Natural Language Processing: State of The Art, Current Trends and Challenges, in: arxiv.org (2017), https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/1708/1708.05148.pdf

[4] Beuth, Patrick: Microsoft: Twitter-Nutzer machen Chatbot zur Rassistin, in: Zeit Online (24.03.2016), https://www.zeit.de/digital/internet/2016-03/microsoft-tay-chatbot-twitter-rassistisch

[5] Ford, Martin: Die Intelligenz der Maschinen. mitp-Verlag, Frechen 2019

[6] Vorhaus, John; Robert, Peter: Handwerk Humor. Zweitausendeins, Leipzig 42018

[7] Ford: Die Intelligenz der Maschinen. A. a. O. (Anm. 5)

[8] Sato, Kaz: How a Japanese cucumber farmer is using deep learning and TensorFlow, in: Google Cloud Blog (31.08.2016), https://cloud.google.com/blog/products/gcp/how-a-japanese-cucumber-farmer-is-using-deep-learning-and-tensorflow

[9] Roser, Max: Human Development Index (HDI), in: Our World in Data (11/2019), https://ourworldindata.org/human-development-index#all-charts-preview

[10] Brynjolfsson, Erik; McAfee, Andrew; Henzler, Herbert A.: The Second Machine Age. Plassen Verlag, Kulmbach 2018, S. 12–14

[11] Snow, Jackie: How artificial intelligence can tackle climate change, in: National Geographic (7/2019), https://www.nationalgeographic.com/environment/2019/07/artificial-intelligence-climate-change/

[12] McKinney, Scott Mayer et al.: International evaluation of an AI system for breast cancer screening, in: Nature 577 (2020), S. 89–94