Ist es Liebe? Nein – es ist … Unmöglich - Sarah Lotz - E-Book
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Ist es Liebe? Nein – es ist … Unmöglich E-Book

Sarah Lotz

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Beschreibung

Was wäre, wenn alles stimmt zwischen zwei Menschen – und die Liebe trotzdem unmöglich ist?  Eine fehlgeleitete E-Mail führt zwei Fremde zusammen: Bee ist Schneiderin und arbeitet Hochzeitskleider zu neuen Kreationen um. Nick ist Krimiautor (eigentlich) und Ghostwriter (um die Miete zu zahlen). Zwischen den beiden entsteht schon nach wenigen Zeilen eine Verbindung, ihre Mails werden rasch immer persönlicher. Schnell wird klar: Die beiden wollen – müssen – einander sehen. Nick setzt sich in den Zug, um Bee in London zu treffen. Bee macht sich auf den Weg zum Bahnhof. Und was dann passiert, ist so unvorhersehbar wie ... unmöglich. Eine Liebesgeschichte für unsere Zeit: Wenn das Leben zu kompliziert ist. Wenn die Welt aus den Fugen geraten ist. Und wenn wir trotzdem daran glauben, dass die Liebe alles überwinden kann. 

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Seitenzahl: 570

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Sarah Lotz

Ist es Liebe? Nein – es ist … Unmöglich

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Katharina Naumann

 

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel «Impossible» bei HarperCollins Publishers, Ltd., London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg Copyright © 2022 by Sarah Lotz

Redaktion Nadia Al Kureischi

Covergestaltung FAVORITBUERO, München

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-01073-4

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

TEIL EINSSie haben Post

Von:[email protected]

An: [email protected]

Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Hör mal, du geiziger, hirnloser, flintenwütiger, Tweed tragender Landadels-Großkotz, dir gehört vielleicht die halbe Gegend hier, aber ich gehöre dir nicht. Meinst du etwa, ich laufe dir gern ständig hinterher? Meinst du, das macht mir Spaß? Aber wenn du glaubst, dass ich mich einfach zurücklehne und mich von dir verarschen lasse, wie du zweifellos alle verarschst, die im privilegierten Umkreis deiner feucht hechelnden Köter, Oldtimer-Landrover und posttraumatischen Belastungsstörungen durch jahrelangen Internatsaufenthalt in Eton auftauchen, dann bist du massiv auf dem Holzweg.

TU GEFÄLLIGST EINMAL IN DEINEM BESCHISSENEN FUCHSJAGD-DACHSHETZ-LEBEN DAS RICHTIGE.

Von: [email protected]

An:[email protected]

Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Hallo.

Vielleicht sollten Sie die Empfängeradresse noch einmal überprüfen. Soweit ich weiß, habe ich noch nie einen Landrover besessen und war auch ganz eindeutig nie in Eton (dazu habe ich als Frau und Otto-Normal-Bürgerin gar nicht das richtige Rüstzeug). Oder ist das ein verteufelt kreativer Betrugsversuch und Sie benutzen meine Antwort, um mir Schadsoftware auf den Computer zu schleusen? Wenn das so ist, dann hat es geklappt. Viel Spaß!

Von:[email protected]

An: [email protected]

Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Du meine Güte. Es tut mir ja so leid. Habe einen neuen Account benutzt und die Adresse falsch abgeschrieben. Danke, dass Sie geantwortet und mich darüber aufgeklärt haben. Tut mir leid, dass Sie das lesen mussten, wer auch immer Sie sind.

Von: [email protected]

An:[email protected]

Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Um ehrlich zu sein, hätte ich beinahe gar nicht reagiert, aber das war so ein Malcolm-Tucker-artiges Fluchen, das Sie da von sich gegeben haben. Fand es faszinierend. Hat der Empfänger Ihre Katze umgebracht oder so?

Von:[email protected]

An: [email protected]

Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Schlimmer. Er hat mir meine Arbeit nicht bezahlt. Und die Mail ist noch die handzahme Version, ob Sie es glauben oder nicht. Habe im letzten Moment noch alle «Sch…»-Wörter rausgenommen. Und davon gab es wirklich eine Menge.

Von: [email protected]

An:[email protected]

Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Was denn für eine Arbeit? Das müssen Sie natürlich nicht beantworten, ich versuche nur, ein wenig Zeit totzuschlagen. Normalerweise fange ich keine Unterhaltungen mit fremden Leuten an, das schwöre ich!

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Ich bin Ihnen eine Antwort schuldig – ich habe Sie einen Großkotz genannt. Ich bin freier Lektor, und mein konservatives Arschloch von einem Kunden hat mich damit beauftragt, seinen Roman zu redigieren. Musste das ganze Ding neu schreiben, so ziemlich von Grund auf. Habe es ihm vor zwei Monaten geschickt. Keine Reaktion. Keine Bezahlung. Nada.

Von: [email protected]

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Das tut mir wirklich leid. Worum ging es denn in dem Roman? «Das Mädchen auf der Moorhuhnjagd»?

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

HA! Nah dran! Wollen Sie es wirklich wissen?

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Klar. Sie würden mich damit vor den Gefahren des Online-Shoppens bewahren. Ich habe bereits einen Bettbezug mit David Bowies Gesicht darauf gekauft, den ich nicht brauche.

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Von David Bowie kann man nie genug haben. Ich würde sofort unter ihm schlafen, dabei bin ich so hetero, wie man nur sein kann. Krimi. Kein übler Plot. Die Überreste einer Leiche, die auf einem Landsitz ausgegraben werden. Stellt sich heraus, dass es ein gewalttätiger Jagdgegner war, der in den 80ern verschwand. Erzählt von einem Großgrundbesitzer, der ihn vielleicht umgebracht hat. Oder auch nicht …

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Jetzt spannen Sie mich nicht auf die Folter. HAT er ihn umgebracht?

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Ja. Zufällig absichtlich. Wie man das so macht, wenn man Waffen zur Hand hat und die Unterschicht versucht, dich an deinem blutigen Sport zu hindern. Sollte eigentlich moralisch uneindeutig sein, bin aber nicht sicher, ob ich das herausarbeiten konnte. Ist ein bisschen schwierig, den Leser dazu zu bekommen, eine Hauptperson sympathisch zu finden, deren Vorstellung von Spaß darin besteht, Tierbabys umzubringen.

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Ist der Text autobiografisch? Wenn das so ist, sollten Sie vielleicht den Ton Ihrer Mail noch ein bisschen überarbeiten …

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Das würde ich ihm sogar zutrauen. Nee. Das ist nicht fair. Er hat gesagt, so was täte er nicht mehr.

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Was von beidem? Jagen oder morden?

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Beides (hoffe ich). Die Sache ist die, trotz seiner reaktionären Arschgesichtigkeit mochte ich ihn eigentlich, als wir uns kennenlernten. Ein alter Sack, der ordentlich dem Alkohol zuspricht und in einem dieser halb verfallenen Herrensitze wohnt, die direkt aus einem historischen Film über emotional verkrüppelte Adelige stammen könnten. Er sagte, er wolle einen Roman schreiben, bevor er stirbt, «habe aber nicht die Zeit dazu». Das sagen sie immer. Habe mir an seinem Manuskript wirklich den Arsch abgearbeitet, es ihm dann geschickt. Aber abgesehen von einem «Danke, werde es so bald wie möglich lesen» habe ich noch kein Wort gehört.

Aber das wollen Sie bestimmt nicht alles wissen.

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Ich teile Ihren Schmerz. Kunden, die nicht bezahlen, kommen direkt aus der Hölle und sind der Fluch der Freiberufler.

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Das sind die Worte einer Mitleidenden. In welcher Branche arbeiten Sie denn?

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Ich könnte jetzt im Genre bleiben und sagen: «Wenn ich Ihnen das verriete, müsste ich Sie umbringen.»

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Damit würden Sie mir einen Gefallen tun, so wie es gerade läuft. Wenn Sie Menschen für Geld umbringen, könnte ich Sie vielleicht engagieren. Nur … dürfte ich dann vielleicht in Raten bezahlen?

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Haha. So aufregend ist das auch nicht. Ich arbeite in der Modebranche. Sozusagen.

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Sozusagen? Erzählen Sie mir mehr. Nur dass Sie es wissen, meine Vorstellung von Mode sind Hosen, die nicht mit Hundehaaren vollgeflust sind.

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Ich bin mehr so etwas wie eine bessere Schneiderin. Habe einen kleinen Laden und funktioniere alte Hochzeitskleider um.

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Zu was funktionieren Sie sie denn um? Leichentücher? Spitzendeckchen?

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Tut mir leid. Das war unhöflich. Ich bin ein Arsch. Es klingt cool. Und sehr nachhaltig.

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Verarschen Sie mich ruhig! Ich mache das auch ständig. Hmm. Leichentücher. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich könnte ja eine neue Kollektion starten: «Bis dass der Tod uns scheidet».

Ich funktioniere sie zu allem um, was die Kundin möchte. «Schenken Sie dem teuersten Kleid, das Sie je gekauft haben, ein neues Leben» sozusagen. Ich habe übrigens eine Menge geschiedener Kundinnen.

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Aha. Ein «Scheiß auf dich, Ex-Ehemann/Ehefrau»-Kleid?

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Ganz genau. Ich warte gerade darauf, dass sich eine Kundin meldet, damit wir eine Anprobe vereinbaren können. Um ehrlich zu sein, ist sie ganz schön nervig, weshalb ich mich als Gegenmittel mit den Bowie-Merchandise-Artikeln beschäftigt habe.

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Erzählen Sie weiter. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

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Sie kann sich einfach nicht entscheiden. Ist drei Mal zurückgekommen. «Ich habe überlegt, ob es vielleicht asymmetrisch sein sollte? Oder mit einem Schößchen? Mit Jacke vielleicht? Können wir es schwarz färben? Nein, streichen Sie das, pfirsichfarben?»

Jetzt jammere ich schon vor Fremden. Ich höre mich wie eine dumme Kuh an. Sie hat jedes Recht dazu, pingelig zu sein. Immerhin bezahlt sie.

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Es ist einfacher, sich bei einem Fremden auszukotzen. Und Sie haben sich schon mein Gejammer über meinen eigenen beschissenen Kunden angehört. Warten Sie kurz. Bin gleich wieder da.

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Tut mir leid, musste kurz den Hund rauslassen. Wenn sie rausmuss, muss sie raus.

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Was für eine Art?

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Ich glaube, das große Geschäft.

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Sehr witzig. Was für eine Art Hund!!

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Promenadenmischung. Genau wie ihr Besitzer. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie der Pfirsichfrau eine E-Mail mit vielen Beschimpfungen schicken müssen. Ich würde sogar ein paar «Sch…»-Wörter gratis drauflegen.

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Und ich könnte Ihnen dabei helfen, den Tweed-Anzug Ihres Kunden schlecht abzuändern. Wir könnten die Billig-Ausgabe von Zwei Fremde im Zug sein!

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Zwei Fremde im Zug?

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Der Roman? Den MÜSSEN Sie doch kennen! Es gibt auch einen Film davon. Zwei Fremde treffen sich und beschließen, jeweils die Feinde des anderen um die Ecke zu bringen. Patricia Highsmith.

Von:[email protected]

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

AH – das kenne ich als «Schnittpunkte». Muss wohl die US-Version sein. Manchmal ändern sie die Titel.

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Sie sind in den USA?

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Nee. Viel glamouröser. Leeds.

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Okay, die Kundin hat gerade eine Textnachricht geschickt und ist auf dem Weg. Erzählen Sie mir, wie es mit dem Tweed tragenden Großkotz weitergeht, Fremder. Ich muss unbedingt wissen, wie das zu Ende gegangen ist. Und es steht mir zwar nicht zu, aber ich würde doch raten, die Nachricht im Ton etwas herunterzufahren. Sie dürfen niemals wissen, dass sie einem an die Nieren gehen.

Von:[email protected]

An: [email protected]

Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Sie haben recht. Sie haben mir wirklich einen Gefallen damit getan, dass Sie die Mail zuerst bekommen haben. Und erzählen Sie mir, wie es mit der Pfirsichfrau weitergeht.

Sollten wir uns eigentlich einander vorstellen?

Von: [email protected]

An:[email protected]

Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Ich heiße Bee. Sie heißen N.B.

Fremde im Internet. Auf diese Weise können wir immer alles abstreiten, falls wir das je müssen ;-)

Sie ist da! Wünschen Sie mir Glück.

Von:[email protected]

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Betr.: Was zum TEUFEL ist los mit dir?

Okay, Bee. Und danke schön. Sie haben mich heute gerettet. Wirklich.

Bee

Es ist schon erstaunlich, wie viele Warnsignale es gab, gleich von Anfang an. Zwei Fremde im Zug war nur eines davon. Wären die Dinge anders gelaufen, wenn wir weniger selbstzufrieden gewesen und den Hinweisen gefolgt wären? Vielleicht. Vielleicht hätte uns das sofort in den Irrsinn katapultiert, der uns bevorstand. Vielleicht hätte einer von uns beiden den anderen für verrückt gehalten und den Kontakt abgebrochen. Und dann ist da diese eine Sache: Ich weiß immer noch nicht, warum ich an jenem Tag in meinen alten Gmail-Account geschaut habe. Ich hatte ihn seit Wochen nicht mehr benutzt. Und wer antwortet überhaupt auf verirrte E-Mails von Fremden? (Nur Vollidioten.)

N.B. war derjenige, der sich zuerst wieder meldete («Wie lief es denn so mit der Pfirsichfrau? Hat sie Sie schon gebeten, einen Catsuit mit Leoprint für sie zu nähen? Bitte sagen Sie Ja.»), aber ich war diejenige, die den nächsten Schritt wagte, der uns Fremde, die einen albernen Schlagabtausch miteinander hatten, auf eine andere, eine tiefere Ebene führte. Ich tat es nicht absichtlich. Damals träumte ich nicht davon, von London nach Leeds zu ziehen, sonntags die Zeitung im Bett zu lesen und lange Spaziergänge durchs Moor zu unternehmen (oder wo auch immer die Leute aus Leeds spazieren gehen). Aber schon von Anfang an war das zwischen N.B. und mir etwas Gutes: Wir waren sofort entspannt miteinander und verloren jedes Urteilsvermögen, was sich lustig und befreiend anfühlte. Zwischen uns herrschte die unausgesprochene Übereinkunft, heikle Themen und allzu Persönliches nicht zu erwähnen – also keine Beziehungs- oder Sexsachen. Was es umso ironischer erscheinen lässt, dass die Saat für den nächsten Schritt ausgerechnet zu dem Zeitpunkt gesät wurde, als ich mit einem weiteren Fremden eine Verabredung hatte. Damals tat ich so etwas noch, wobei daraus selten mehr wurde als ein One-Night-Stand. Meine beste Freundin Leila sagte, ich sei süchtig nach dem Roulettespiel der Dating-App, nach der Spannung, ob ich auf AUF GAR KEINEN FALL, auf VIELLEICHT oder VÖGELN landen würde. «Klassisches Beziehungsvermeidungsverhalten», sagte sie immer, wenn sie herausfand, dass ich wieder einmal nach rechts gewischt hatte. «Du benutzt seelenlosen Sex mit Fremden dazu, um ein Loch damit zu füllen» (Leila ließ nie eine Zweideutigkeit aus. Und sie hatte natürlich recht, was mich anging).

Das Date («Matt 36») hatte vorgeschlagen, dass wir uns in einem dieser mit Aktienpaketen finanzierten Bistros in White City treffen sollten. Schon die Wahl dieses Treffpunkts hätte bei mir sofort die Alarmglocken schrillen lassen müssen. Falsche Jagdtrophäen an den Wänden, Vintage-Gemälde, die mit Sprühfarbe individuell verziert waren, Nischen mit Lederbänken, die eher für Instagramfotos als zum Sitzen gedacht waren, und Kellner, die von Kopf bis Fuß mit ironischen Tattoos bedeckt waren und vor Selbstgefälligkeit nur so strotzten. Wir hatten kaum Textnachrichten miteinander ausgetauscht – ich hatte viel zu viel Arbeit; er hatte gesagt, dass er es hasse, online zu kommunizieren. Daher wusste ich abgesehen von seinem beschissenen Restaurantgeschmack nur sehr wenig von ihm. Seine Profilfotos wirkten professionell, und seine dreizeilige Vita war so unverbindlich, wie es nur ging: Stark. Schweigsam. Selbstbewusst. Nicht, dass ich das hätte beurteilen können. Mein Profil – Ein bisschen crazy. Habe Seele. Bringe Snacks mit – war sowohl beschissen als auch banal, und ich benutzte es nur, weil Leila immer lachen musste, wenn sie es sah.

Ich war früh angekommen, mein Haar war noch feucht vom Duschen, und ich suchte mir eine Nische, von der ich einen guten Blick auf den Eingang hatte. Trotz der Nervosität, die ich immer spürte, wenn ich den Zeh in Tinders trübe Gewässer tunkte, war ich an jenem Abend ganz heiter. Ich hatte am Tag zuvor das Kleid an die Pfirsichfrau ausgeliefert (ja, pfirsichfarben, und ja, asymmetrisch; es zu nähen, war ein Albtraum), und sie hatte Fotos gepostet, auf denen sie es zu einem Mädelsabend trug (Hashtag: Verwandlung). Sie wirkte glücklich – beinahe triumphierend. Für sie war das Kleid ein Symbol dafür, dass sie eine Ehe hinter sich gelassen hatte, die schon lange zu Ende war, und das ließ all die Mühen, die ich darauf verwendet hatte, plötzlich nicht mehr so sinnlos erscheinen (und ja, ich hatte Gewissensbisse, weil ich mich über sie so beschwert hatte). Kurz überlegte ich, den Link dazu an N.B. zu schicken, aber weil sie meinen Namen getaggt hatte, hätte er in Sekundenschnelle herausfinden können, wer ich war, und man weiß ja, dass man Fremden im Internet nicht zu viel preisgeben soll.

Matt 36 kam nur fünf Minuten zu spät, als ich gerade mitten in meinem zweiten «Chocalotini» war. Auf den ersten Blick war er eindeutig ein Vielleicht: hatte einen Hauch von einem Nordengland-Akzent, sah seinen Profilfotos überraschend ähnlich, bestellte einen Jack Daniels on the Rocks, also kein Gesundheitsfanatiker. Aber von da an ging es bergab. Nach einem höflichen Lachen, weil ich einen Witz über die lustige Grimasse eines Elefantenkopfs über der Bar gemacht hatte, begann er einen Monolog über die fallenden Londoner Immobilienpreise und kam immer wieder darauf zurück. Erst erklärte ich mir das unablässige Gefasel damit, dass er vermutlich nervös war – aber das half nicht, weil es bedeutet hätte, dass zwei Drittel seiner Tinder-Bio Blödsinn waren.

Mein Handy summte in meiner Tasche, und ich lachte, als ich unter dem Tisch einen Blick darauf warf. Noch eine Mail von N.B.: «Also, wärst du lieber ein umgedrehter Zentaur oder eine umgedrehte Meerjungfrau?» Wir waren inzwischen zum Du übergewechselt und hatten schon den ganzen Tag lang kindische «Was wärst du lieber»-Albernheiten ausgetauscht.

Matt 36 hielt mitten im Wort inne. «Habe ich etwas Lustiges gesagt?»

«Nein. Tut mir leid. Ich bin nur nervös. Ich mach das hier nicht so oft.»

Er ließ mich mit der Lüge davonkommen, lächelte und legte den Arm auf das rutschige Leder der Rückenlehne der Bank. «Ich auch nicht. Du hast gesagt, du seist Designerin?»

Ich hatte vor N.B. den Erfolg meiner kleinen Schneiderei heruntergespielt – Angeber mag nun mal niemand –, und um ehrlich zu sein, konnte ich selbst immer noch nicht glauben, wie gut es lief. «Himmel, Stoff und Zwirn» (der Name war mir im betrunkenen Zustand eingefallen) war geboren worden, als ich Leilas Hochzeitskleid zu einem Geburtstagsgeschenk umfunktioniert hatte, mehr zum Scherz. Sie hatte es überall auf Instagram gepostet, und fast über Nacht waren die Aufträge und Bestellungen hereingeströmt. Mein kleines Unternehmen war gewachsen, bis ich eine sechsmonatige Warteliste hatte, die es mir erlaubte, meinen nervtötenden Job als Sportswear-Designerin in einem Mode-Outlet zu kündigen. Zugegeben, Matt 36 hörte sich diese Kurzfassung meiner Geschichte an, ohne einen glasigen Blick zu bekommen, und dann fragte er nach meinen Kunden.

«Zu meinen Lieblingskunden gehörte dieses Paar, das seine Hochzeitsanzüge in Kissen verwandelt haben wollte.» Ich hatte diesen Auftrag für charmant und geistreich gehalten, und als ich N.B. davon erzählt hatte, fand er das auch («Hoffentlich haben Sie die Nadeln herausgeholt»).

Matt 36 sah mich verwirrt an. «Kissen? Im Ernst?»

Und so wurde er von einem schwachen Vielleicht zu einem Auf-gar-keinen-Fall. Wenn nicht in genau diesem Moment der Kellner mit den Speisekarten aufgetaucht wäre, hätte ich die Verabredung in diesem Moment abgebrochen. Aber in meiner Wohnung wartete nichts auf mich: Ich hatte vergessen, die Tesco-Bestellung aufzugeben, und die köstlichen Düfte, die aus der Küche drangen, ließen mich die beschissene Deko beinahe vergessen. Ich entschied mich für die Poutine, und Matt 36 nahm das Gleiche. Als der Kellner außer Hörweite war, beugte er sich über den Tisch und gab zu, dass er gar nicht wisse, was eine Poutine sei. Das stimmte mich ihm gegenüber ein wenig milder.

«Das ist eigentlich nur ein großer Haufen Pommes mit Bratensoße und Käse. Alles gute Dinge.» Ich wusste das nur, weil ich es in einer Kochsendung gesehen hatte.

Er lachte, diesmal klang es ehrlich.

Mein Handy zitterte erneut, und ich entschuldigte mich und ging zur Damentoilette. Die Spiegel hatten die Form von Augen, und im dämmrigen Licht konnte ich nicht erkennen, ob schon der Punkt des Abends erreicht war, an dem meine Mascara zu den Wangen übergelaufen war.

«Tut mir leid, N.B. Kann nicht richtig reden.» Dann dachte ich eine Sekunde lang nach und fügte hinzu: «Bin auf einem Date» Das überschritt die «Nichts Persönliches»-Grenze, an die wir uns bisher gehalten hatten, aber hey, das lag bestimmt am Alkohol.

Zum ersten Mal antwortete er nicht sofort. Eine Minute verging. Dann noch eine. Ich überlegte schon, eine weitere Nachricht hinterherzuschicken, als er plötzlich antwortete: «Okay. Dann vielleicht später. Viel Spaß!»

Ich zögerte, ihn ziehen zu lassen, zumal ich ja wusste, was mich im Restaurant erwartete. «Eigentlich habe ich doch ein paar Minuten zum Plaudern, wenn es recht ist?»

«Hat dein Date nichts dagegen?»

«Ich bin im Damenklo.»

«Willst du dich verstecken? Oder nimmst du Koks?»

«Ich trinke eher Coke. Ich mache nur eine kurze Pause.»

«Klingt ja nicht besonders vielversprechend …»

«Hatte schon Schlimmere.»

«Hat er denn noch alle Zähne?»

«Glaube schon. Jedenfalls hat er für sie bezahlt.»

«Was macht er denn so?»

Mr. Einigermaßen Selbstsicher hatte es mir gesagt, aber ich konnte mich nicht erinnern. «Weiß nicht. Irgendwas in einem Unternehmen? Trägt einen Anzug, hat eine schicke Aktentasche oder so ;-)»

«Eine schicke Aktentasche? Vielleicht ist er ein sehr alt aussehender Schüler. Oder ein Briefträger. Oder beides.»

«Haha. Ein sehr stylischer Schüler/Briefträger.»

«Nicht dein Typ?»

«Ich habe gar keinen.»

«Jeder hat einen Typ.»

«Ich nicht. Ich bin mehr für gleiches Recht für alle beim Daten.»

«Ah. Großzügig.»

Ich tippte: «Das ist eine nette Art, ‹verzweifelt› auszudrücken», löschte es aber dann wieder. «Sagen wir einfach, dass ich nicht so wählerisch bin.»

«Wirklich? Also gibt es für all die alleinstehenden Neonazis mit Hunde-Massenzuchtbetrieben noch Hoffnung?»

«Kommt drauf an. Bekomme ich einen Gratis-Welpen?»

«Nein, aber denk mal an all die Vorteile. Demos, Aufmärsche, Nazi-Haarschnitte, Abhängen mit großen Gruppen halb nackter Männer, Nächte in Gefängniszellen …»

«Mmmm, sexy. Okay, also: keine Nazis, ob nun Neo oder nicht, keine Bauunternehmer, Tierversuchsanhänger, Homöopathen, Sektenmitglieder, Konservative, Fossilverbrenner, Klimawandelleugner, Golfer, Swinger, Hedgefonds-Manager.» Und dann fügte ich hinzu: «Und keine verheirateten Männer.»

Das war seine Gelegenheit zurückzuschreiben: «Dann bin ich wohl raus!», aber er schrieb nur: «Gute Auswahl». Es wäre das Einfachste auf der Welt gewesen, ihn zu fragen, ob er verheiratet, verlobt oder mit jemandem zusammen war, aber irgendetwas hielt mich zurück. Im Ernst? In diesem Stadium wollte ich es nicht wissen. Wenn er tatsächlich eine Beziehung hatte, hatte er die letzten Wochen eindeutig viel zu viel Zeit damit verbracht, mit einer fremden Frau zu chatten, was, obwohl es nicht wirklich unter Betrug lief, mir trotzdem nicht recht gepasst hätte.

«Wie haben sich du und der Aktentaschentyp denn kennengelernt?»

Ich überlegte, die Wahrheit ein wenig zurechtzubiegen, aber warum hätte ich das tun sollen? Daran war ja nichts Peinliches. «Tinder.»

«?????»

«Die Dating-App?»

«Nie davon gehört. Trauriger alter Sack, der keine Ahnung mehr von nichts hat.»

Wieder ein Warnhinweis: Wer hat noch nicht von Tinder gehört? Aber ich überging das. Wie ich alles überging, bis es zu spät war. «Wie alt ist der alte Sack denn? Musst du mir natürlich nicht sagen. Ich bin nur neugierig …»

«Ungefähr 315 in Hundejahren. Auf dem Höhepunkt einer Midlifekrise. Oder kurz vor dem Freitod.»

«Hundejahre. Also durch sieben teilen, oder?» Ich rechnete das aus – natürlich tat ich das. Wenn er die Wahrheit sagte, war er Mitte vierzig. Akzeptabel.

«Nicht immer. Es kann sich ändern, wenn man kastriert ist oder einen Stammbaum hat. Und du?»

«273 Jahre jung. Aber ohne Stammbaum. Muss jetzt wirklich zurück. Er glaubt sonst, dass ich abgehauen bin.»

«Viel Glück. Halt mich auf dem Laufenden.»

Zurück im Restaurant wartete mein Essen schon auf mich. Aktentaschenmann hatte noch nicht angefangen zu essen, weil er von dem Riesenberg Kohlehydrate auf seinem Teller etwas verstört zu sein schien. Ich haute rein, weil ich viel zu viel Hunger hatte, als dass ich mich hätte schämen können.

Er betrachtete mich gönnerhaft. «Ich mag Frauen, die richtig essen können.»

«Jeder kann essen.»

«Meine Ex nicht.»

Ich seufzte innerlich. Immerhin war eine schlechte Beziehungsgeschichte noch besser als der Immobilienmarkt, sicherer als Religion oder Politik, und er brauchte keinerlei Aufforderung, um in die Einzelheiten zu gehen, die er mit einer ordentlichen Portion Bitterkeit servierte. Eine sechs Jahre lange Beziehung, keine Kinder, man lebte sich auseinander, hatte Vertrauensprobleme, es endete schlimm. Sie verkauften gerade ihre Wohnung in Brixton, was vermutlich seine Besessenheit von Immobilienpreisen erklärte.

Ich aß, er erzählte, aber ich musste wie eine ganz schlimme Social-Media-Süchtige immer wieder auf mein Handy schauen. Halt mich auf dem Laufenden. «Was hast du gerade gesagt, was du beruflich machst?», fragte ich, als er kurz Atem holen musste.

«Versicherungskaufmann.»

Ich tippte heimlich: «Habe herausgefunden, was er macht. Er ist beim MI5. Verdeckte Operationen.»

«Hat er die Lizenz, eine lächerliche Tasche zu tragen?»

Wenn Aktentaschenmann es merkte, dass ich ihn mit meinem Handy betrog, dann war es ihm offenbar egal. Er schob den Teller von sich und winkte nach der Rechnung. «Wollen wir die Summe teilen, oder …»

«Oder was? Natürlich teilen wir sie.»

Er zuckte die Achseln. «Ich habe nichts dagegen zu bezahlen, wenn wir vögeln.»

Ich lachte in der Annahme, dass er einen Scherz gemacht habe. «Deal. Solange du noch einen Nachtisch drauflegst.»

«Wirklich?»

«Nein. Das machen wir natürlich nicht», antwortete ich irritiert.

Er beugte sich unangenehm nah zu mir herüber, und ich roch seinen sauren Atem. «Hätte wissen müssen, dass du eine Schlampe bist, die nur meine Zeit verschwendet. Mein Rat an dich: Wenn du das hier weitermachen willst, dann solltest du besser auf Nahkampfgewicht runtergehen, ja?»

Er hatte seine Stimme nicht erhoben, aber der gemeine Unterton nahm mir den Atem, als hätte er mich in den Magen geboxt. Mit einem Grinsen stand er auf, ging und ließ mich mit der Rechnung sitzen. Meine Hände zitterten, als ich die Karte durch das Lesegerät zog, und zwar so sehr, dass sogar der ansonsten nur mit sich selbst beschäftigte Kellner fragte, ob es mir gut gehe. Ging es mir gut? Nein, nicht im Mindesten. Bisher hatte ich es geschafft, die üblichen Dating-Horrorgeschichten zu vermeiden, und war so naiv zu glauben, ich hätte das im Griff.

Auf dem Nachhauseweg machte ich aus medizinischen Gründen einen Umweg zu Tesco, um Pringles zu kaufen, und als ich wieder in meiner Straße war, brannte meine Zunge von all dem Salz. Ich hatte ein Licht angelassen, aber nicht einmal Clarice’ Umriss hinter dem vorderen Fenster tröstete mich. Ich duschte und ging zum Küchentisch, dem Mittelpunkt meines provisorischen Studios, wo mein aktueller Auftrag lag, ein Kleid aus den Neunzigern, dem ich einen französischen Saum nähen sollte. Die Arbeit war immer schon meine Zuflucht; man kann sich nicht in seinem Elend suhlen, wenn man einen Workaholic-Anfall hat und im Hintergrund einen Podcast hört, aber ich war nicht mit dem Herzen dabei. In den Reihenhäusern gegenüber – die meisten lieblose Airbnb-Wohnungen oder Geldanlageobjekte – war alles dunkel wie immer, und das apokalyptische Verlassenheitsgefühl, das von ihnen ausging, half nicht dabei, meine Stimmung aufzuhellen. Ich schob meinen Stuhl näher an Clarice heran, die stur neben ihren praktischeren, individuell einstellbaren Schneiderpuppen-Schwestern stand. Als Nate noch hier wohnte, hatte er darauf bestanden, sie in den Kellerraum zu verfrachten («Sie macht mir eine Heidenangst»), und das Erste, was ich tat, als er ging, war, sie wieder in den vorderen Raum zu schieben. Früher hatte Clarice meiner Mutter gehört, und sie war schon so lange in meinem Leben, wie ich mich erinnern konnte – eine kopflose Muse aus Holz und Plastik.

Es war eigentlich zu spät, um N.B. noch eine Nachricht zu schicken, aber ich tat es trotzdem, damit er sie sich am Morgen ansehen konnte. «Tut mir leid, dass ich verschwunden bin.»

Er antwortete sofort, und ich zuckte zusammen. «Kein Problem. Wie lief es denn?»

Bin gerade von einem Arschloch verbal missbraucht worden, und bei dir? «Rohrkrepierer. Ein Arschgesicht.»

«Das tut mir leid. Geht es dir gut?»

Nein. Um die drohenden Tränen herunterschlucken zu können, wechselte ich das Thema. «Kannst du nicht schlafen?»

«Ich leide unter Schlaflosigkeit.»

«Ich auch.»

«Warum vergeht die Zeit so spät in der Nacht langsamer?»

Es ist unmöglich, einen Tonfall aus einer Online-Nachricht einzuschätzen, aber ich spürte, dass wir uns langsam in tiefere Gewässer vorwagten. Jetzt bot sich vielleicht die Gelegenheit, ein wenig nachzubohren. Wo führt das hier hin? Warum redest du um diese Zeit mit einer fremden Frau? Stattdessen schrieb ich: «Bist du manchmal einsam?» Ich dachte kurz nach und klickte dann auf Senden.

«Ja.» Kein Zögern, kein «das ist aber eine komische Frage». «Du?»

Eigentlich war ich vom Glück gesegnet und privilegiert: hatte einen Beruf, den ich sehr mochte, keine gesundheitlichen Probleme, keine schwerwiegenden Süchte (wenn man mal von indischem Imbissessen und Tinder absah), eine Freundin, die mich liebhatte und unterstützte. Aber. Aber. Egal wie oft ich mir selbst sagte, dass ich im Grunde nicht mehr brauchte als hin und wieder mal mit jemandem in die Kiste zu springen – das Gespenst, allein alt werden und allein sterben zu müssen (vielleicht aufgefressen von Katzen – oder Schlimmerem), kam von Jahr zu Jahr näher. Ich hatte versucht, Leila diese Angst zu erklären, aber sie verstand sie nicht ganz. Wie hätte sie auch? Leila hatte zwei Jahre alte Zwillinge, beneidete mich um meine Freiheit, und natürlich konnte ihr Mann Lev hin und wieder unglaublich nerven, aber er war immer da. Um noch Salz in meine Wunde zu streuen, kam von der Wohnung über mir ein Krachen, gefolgt von leiser klassischer Musik. Meine Vermieter, Magda und Jonas, waren wieder spät auf.

Ich sah sie jeden Morgen, wie sie Arm in Arm am Fenster vorbei zum Laden spazierten. Jonas litt unter früh einsetzendem Alzheimer, und ich passte auf ihn auf, wenn Magda etwas zu besorgen hatte. Jonas war nicht schwierig. Er blieb meistens in seinem Sessel sitzen und summte vor sich hin. Ihre Wohnung war mit Musikinstrumenten vollgestopft, mit alten Büchern, Kunst und Fotos: die Überbleibsel eines reichen geteilten Lebens. Natürlich hörte man auch hin und wieder erhobene Stimmen und seltsame Geräusche von oben (aus irgendeinem Grund meistens donnerstagabends), aber trotz der Last, die sie schulterte, hatte Magdas Zuneigung zu Jonas nie nachgelassen; man sah es in ihrem Blick. Tief im Innersten war es das, was ich mir wünschte: eine Magda. Jemanden, der an meiner Seite blieb, wenn mein Verstand und mein Körper verfielen. Einen Seelenverwandten, wobei ich an dieses Konzept eigentlich nicht glaubte (oder mir einredete, dass ich nicht daran glaubte).

Das Handy vibrierte: «Bist du noch da?»

«Ja.» Und übrigens, wie heißt du eigentlich wirklich? Wo bist du gerade? Was willst du vom Leben? Und was willst du von mir? Und dann war da die größte und dümmste Frage von allen, die ich eintippte und abschickte, weil ich immer noch halb betrunken und genervt von mir selbst war, dass ich mich so jämmerlich benahm: «Bist du glücklich?»

Eine Minute verging, dann eine weitere. Dann: «Mein Leben ist beschissen. Ich habe das Gefühl, mit einer Fremden zu leben. Ich schaue in einen Tunnel und sehe weitere dreißig Jahre Not und Qual. Beantwortet das deine Frage?»

Keine hingeworfene Antwort. Keine Selbstironie. Kein Sarkasmus. Ein kurzer Rausch der Begeisterung – jetzt kommen wir endlich weiter –, sofort gedämpft durch Bestürzung: Er ist verheiratet?

Nick

Bist du glücklich?

Es fiel mir gar nicht ein, zu lügen oder mit einer dieser nichtssagenden Antworten zu kommen, die wir normalerweise ausspucken, wenn wir mit einer derart dümmlichen Frage konfrontiert werden und tief im Inneren wissen, dass es dem Fragesteller vollkommen egal ist. Er will nichts von unserer Schleimbeutelentzündung, unseren alten Eltern, die langsam gebrechlich werden, oder dem todkranken Hund wissen. Und ich antwortete so ehrlich, nicht weil ich an jenem Abend zu viel Alkohol getrunken und das Visier heruntergelassen hatte. Nein, ich wollte ehrlich sein, wollte diesen Furunkel des Selbstekels aufschneiden. Den Furunkel des Selbstekels. Meine Güte. Und das ist der Grund dafür, wenn es noch eines solchen bedurft hätte, dass ich in näherer Zukunft wohl keinen Buchpreis gewinnen werde.

Am Morgen, nachdem ich den Furunkel aufgeschnitten und mein Herz ausgeschüttet hatte, oder welche Metapher auch immer passt, wachte ich mit steifem Nacken und dickem Kopf auf dem Sofa auf und fühlte mich gleichzeitig leichter und schwerer: leichter, weil ich endlich vor mir selbst (und jemand anderem) zugegeben hatte, dass ich ein Versager war. Poll hatte mich zugedeckt, vermutlich, als sie zur Arbeit ging, und in der Geste lag sowohl etwas Fürsorgliches als auch etwas Passiv-Aggressives. Rosie beäugte mich böse von ihrem Korb aus, wütend darüber, dass mein Egoismus ihr Morgenritual gestört hatte. Normalerweise hielten wir beide uns an einen Tagesplan, in dem es darum ging, die Zeit möglichst gut zu füllen:

1. 6.30 Uhr: Aufstehen. Poll eine Tasse Tee machen. Rosie hinauslassen. So tun, als wäre ich wach und heiter.

2. 7.30 Uhr: Zurück ins Bett, um ein Stündchen zu schlafen, nachdem Poll zur Arbeit gegangen ist.

3. 8.30 Uhr: Aufstehen. Koffeininjektion. Eine Dreiviertelstunde Morgenfernsehen. (Man weiß, dass man ein Problem hat, wenn man sich dabei ertappt, wie man in Unterwäsche Die Tierbabyretter schaut und ein wenig vor sich hin weint.)

4. Die Wäsche in die Maschine stecken. Schnell staubsaugen, wenn es nötig ist.

5. Den Geschirrspüler ausräumen, dabei Radio  1 hören, um sich wieder jung zu fühlen.

6. Die Selbstgerollten für den Tag vorbereiten, dabei die Nachrichten auf BBC hören, nur um sich wieder schlau zu fühlen.

7. Mit Rosie zur Morgenrunde/Waschung rausgehen.

Da es schon nach elf war, beschloss ich, die Punkte 1–6 auszulassen und direkt die Hunderunde anzugehen. Ich zog mir die erste Jacke an, die mir in die Hände fiel, aber das Handy auf dem Couchtisch schien mich dabei ebenso vorwurfsvoll anzusehen wie der Hund. Reue stieg in mir auf und erstickte die Leichtigkeit nach der Beichte. Was hast du getan, Nick? Zum Glück war der Akku leer, sodass ich mir den selbstmitleidigen Mist nicht ansehen musste, mit dem ich Bee in den frühen Morgenstunden gelangweilt hatte. Was als Spiel begonnen hatte, als Versuch, eine Fremde zum Lachen zu bringen, war inzwischen so groß geworden, dass ich Stunden damit verbrachte, mir «geistreiche» Bemerkungen für sie zurechtzulegen. Bee sah etwas in mir. Sie verstand meinen Sinn für Humor. Es war ihr egal – tatsächlich mochte sie es sogar –, wenn die Themen dunkler wurden. Das wollte ich nicht verlieren.

Ich steckte das Handy an seine Nabelschnur, leinte Rosie an und ging mit ihr nach draußen. Der Himmel hatte die Farbe von Abwasser, aber selbst sein trübes Dämmerlicht blendete meine verkaterten Augen. Wir machten unsere übliche Runde: durch die neue Siedlung am Ende unserer Straße (orangefarbene Als-ob-Ziegelverkleidung, geleaste E-Autos, die an ihren eigenen – meist illegalen – Nabelschnüren hingen); um den kahl werdenden Park herum (mit dem passenden Spitznamen «Hundescheiße-Wiese»), am Supermarkt und dem Kreisel vorbei, dann wieder zurück zur Dreadnought Street. Rosie war noch nicht bereit, mich vom Haken zu lassen. Ich folgte ihr wie ein dienstbeflissener Scheißhaufen-Sammler, und sie spielte mit mir, schnüffelte am Bordstein, tat so, als wollte sie weitergehen – und ging dann listigerweise ganz langsam weiter. Es war sinnlos, ungeduldig zu werden. Rosie war eine Hunde-Rentnerin und sehr eigensinnig. Wir hatten sie als Welpe für Dylan aus einem Tierheim geholt, direkt nachdem Poll mich gefragt hatte, ob ich zu ihr ziehen wolle, und sie sollte eigentlich meinen Weg in sein Herz ebnen: Die schlechte Nachricht ist, dass deine Mummy einen neuen Freund hat. Die gute Nachricht ist: Wir haben dir einen Hund gekauft. Nur dass der Hund aus irgendeinem Grund an mir hängen blieb. Über die Jahre hinweg – «Die Dreadnought-Jahre», würde ich sie nennen, wenn ich je meine Lebenserinnerungen aufschreiben würde (was ich gar nicht vorhatte) – sind wir irgendwie Verbündete geworden.

Wir schlurften weiter, und ich formulierte im Kopf Nachrichten an Bee. Entschuldige, dass ich so ein hemmungsloses Verlierer-Arschloch bin. Du hättest dir das alles nicht anhören müssen. Sorry, sorry, sorry. Immerhin war ich gut darin zu versagen. Darin war ich sogar ganz herausragend:

1. Verkrachter Schriftsteller: ein einziger veröffentlichter Roman, und zwar das, was sie früher Dick-Lit genannt haben. Ich hatte ihn in meinen Zwanzigern geschrieben. Es war ein typischer halb autobiografischer Wichserroman, der viel zu gewollt komisch war. Ein Rezensent fasste es so zusammen: «selbstzufrieden, wichtigtuerisch und voller Anbiederung». Diese Worte brannten sich in jenen Teil des Hirns ein, der einen morgens um ein Uhr weckt und «Scheiiiiiiiße» schreien lässt, und sie trieben mir jeden Ehrgeiz aus. Vor ein paar Jahren, in meinem zweiten Jahr am College, wo ich Englisch unterrichtete, hatte ich ein paar Kinder dabei erwischt, wie sie darüber die Köpfe zusammensteckten, kicherten und sich gegenseitig die Sexszenen daraus vorlasen. Davon gab es in dem Text viele. Poll hatte es natürlich gelesen («Es ist ganz amüsant», mehr darüber zu sagen brachte sie nicht zustande), aber vor Dylan hatte ich es versteckt. Ich wollte nicht, dass er mich verurteilte.

2. Verkrachter Lehrer: Mit den Kindern kam ich ganz gut zurecht – ich wusste, wie ich ihre Aufmerksamkeit aufrechterhalten und sie zum Lachen bringen konnte. Ich mochte die Arbeit sogar – aber ich hatte keine Geduld für die Bürokratie, die mit dem Job verbunden war. Diese Karriere endete, als ich einem Schulinspektor während der Beurteilungswoche sagte, er solle sich verpissen.

3. Verkrachter Ernährer: Hin und wieder eine befristete Stelle als Lehrer, die mich in den Suff trieb. Ein Kurzauftritt als Assistenzmanager in einer Blue-Bay-Coffee-Filiale (ein sehr kurzer Kurzauftritt – ich hätte die Mitarbeiter auch mit Mord davonkommen lassen). Und jetzt eine fragwürdige Karriere als Lektor selbst verlegter Romane. Im letzten Monat hatte ich damit die riesige Summe von insgesamt vierhundert Kröten verdient.

4. Verkrachter Ehemann. Genug gesagt.

5. Einigermaßen okayer Stiefdad, aber das konnte ich selbst natürlich nicht beurteilen. Dylan hatte sicher seine eigene Meinung dazu.

6. Guter Hundebesitzer. Aber das war keine große Leistung, oder? Man muss die kleinen Scheißer nur nicht treten.

All das hätte Bee in die Flucht schlagen müssen. Vielleicht hatte es das auch. Wer will schon einen Verlierer mittleren Alters? Die Fünfzig winkte mir mit altersfleckigen Händen zu und lud mich in ein weiteres Jahrzehnt der Wertlosigkeit ein. Weshalb das Schweigen des Tweed tragenden Großkotzes umso mehr wehtat, denn aus irgendeinem Grund hatte dieses Projekt einen Funken entfacht, der von meinem früheren Versagen längst erstickt worden war.

Peinlicherweise hatte ein Teil, ein kleiner Teil von mir dem reaktionären Arschgesicht gefallen wollen. Ich hatte beeindruckt, ja, verdammt noch mal beeindruckt, den Hut vor dem Pesthauch alten Geldes gezogen. Ich hatte Poll gebeten, sein Buch zu lesen, aber sie war zu kaputt, als dass sie nach der Arbeit noch zu mehr in der Lage gewesen wäre, als sich eine sinnbefreite Kochshow im Fernsehen anzusehen. Ich hatte mich mit dem Text gequält, hatte Fehler ausgemerzt, ewig lange Sätze umgeschrieben und das Chaos – eigentlich Müll, der zugegebenermaßen einen guten Kern hatte – in etwas Lesbares verwandelt. Und dann das Formatieren. Das verdammte Formatieren … Als ich auf Senden klickte, musste ich weinen. Ich musste verdammt noch mal weinen. Diesen Teil hatte ich Bee verschwiegen.

Gott sei Dank hatte ich der Versuchung widerstanden, zu viele Einzelheiten über meine kaputte Ehe mit ihr zu teilen. Ich spürte immer noch genügend Loyalität Poll gegenüber, um das nicht zu tun. Abgesehen natürlich von dem «Mit einer Fremden leben»-Schocker. Und ehrlich gesagt, war das überhaupt wahr? Sie war immerhin noch dieselbe Poll. Ich war der Fremde. Ein Fremder, der kurz davor stand, eine emotionale Affäre zu beginnen. Die nicht die Gewissensbisse hervorrief, die sie verdiente hätte, weil jämmerlicherweise allein der Umstand, dass irgendjemand, und sei es eine Fremde, meine Gesellschaft schätzte, alles andere in den Hintergrund geraten ließ. Vor langer Zeit hatten Poll und ich das Fremdgehgespräch geführt, gemütlich im Bett aneinandergeschmiegt, in dem Wissen, dass es niemals geschehen würde: Wenn du das jemals tun willst, Nick, dann will ich nichts davon wissen.

Ich überquerte die Straße, um einer Frau auszuweichen, die von einem Staffordshire-Terrier hinter sich hergezogen wurde, und versuchte, die schwarzen Gedanken zu verdrängen. Rosie machte endlich ihr Geschäft, wofür sie natürlich die saubere Einfahrt eines Ahnungslosen benutzte. Bücken, Knie knacken lassen, aufsammeln. Manchmal schwang ich den Kackibeutel wie eine Prada-Handtasche: Schaut mal alle her! Diese Hundehaufen, die ihr auf dem Bürgersteig seht? Ich war das nicht. Ich bin ein verantwortungsvoller Hundebesitzer.

Auf der Zielgeraden. In der Sekunde, in der wir an ihrem Gartentor vorbeikamen, flitzte meine Nachbarin Lily aus der Haustür und streckte uns ein Vanilleteilchen entgegen. Rosie wusste, was zu tun war: mit dem Schwanz wedeln, die Pfote heben, die Leckerei sanft aus der Hand nehmen.

«Vermutlich willst du Tee, Junge», sagte Lily widerwillig zu mir, als täte ich ihr nur einen Gefallen. Wir beide wussten, dass ich das tatsächlich tat. Manchmal schlug ich extra einen Haken, um ihr aus dem Weg zu gehen, aber abgesehen von der Pflegerin, von mir und von Rosie hatte Lily niemanden mehr. Ich kaufte auch für sie ein, was jetzt so klingt, als wäre ich ein Heiliger, aber eigentlich war es nur wieder eine willkommene Gelegenheit für mich, Zeit totzuschlagen. Lilys Geschmack konzentrierte sich auf das Essen ihrer Kindheit – Walnüsse in Ahornsirup, Dosenlachs und Nachtische aus der Dose –, und ich mochte die Jagd auf Essen aus der Zeitschleife. Und diesmal war ich froh, sie zu sehen.

Ihr Reihenhaus war genau wie unseres, nur dass Poll und ich auf protzig machten, während Lilys Haus eine überheizte Höhle war, die in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts feststeckte. Rosie liebte sie: Es roch darin nach Jahrzehnten gebratenen Fleisches, und jede Oberfläche war mit irgendeinem Stoff bedeckt. Lilys Augen waren nicht mehr so gut, und während sie den Tee kochte, putzte ich ein wenig, kratzte die fettige Kruste an den Rändern der Arbeitsfläche weg und schrubbte die braunen Teeflecken im Ausguss sauber.

Während die Teebeutel zogen, um dem Tee die von Lily bevorzugte Industriestärke zu verleihen, beäugte sie mich misstrauisch. «Sie kommen heute zu spät.»

«War die ganze Nacht wach.»

«Liegt dir was auf der Seele, Jungchen?»

«Nee. Alles gut.»

«Du siehst aber anders aus.»

«Hab mich nicht rasiert.»

«Das ist es nicht allein.»

«Vielleicht habe ich etwas in den Knochen. Jedenfalls, wie geht es Ihnen?»

Es war leicht, sie abzulenken – sie konnte eine selbstbezogene alte Kuh sein, eine Eigenschaft, die teilweise aus ihrer Einsamkeit erwuchs. Sie begann sofort, über ihre neue Pflegekraft herzuziehen, die die unverzeihliche Sünde begangen hatte, Mandelmilch statt Kuhmilch zu kaufen, als sie für Lily einkaufen ging («Sehe ich etwa so aus wie jemand, der diesen Dreck trinkt, Junge? Ich weiß genau, was ich will.»). Ich hatte es auf die harte Tour gelernt, dass sie ihre Schimpftirade nur noch verstärken würde, wenn ich die arme Sau verteidigte, die Lilys Opfer des Tages war, daher ließ ich sie weiterschimpfen und stellte mich taub. Der Tee linderte meinen Kater etwas.

Ich entkam Lilys Fängen, ließ Rosie auf dem Sofa ihr Nickerchen nach dem Gassigehen machen und ging in meinen Schreibschuppen, der hinten im Garten verfiel, umwuchert von Brennnesseln. Wo auch immer ich war, sah ich jede Einzelheit vor mir, wenn ich an ihn dachte. Den klapprigen Heizlüfter, den Aschenbecher in Totenschädelform, den mir Dylan zu Weihnachten geschenkt hatte, als er seine «alternative» Phase durchmachte, den großen kaputten Rasenmäher, den schiefen Bücherturm, genügend Spinnen, um den Mars zu bevölkern, eine alte Spanplatte, aus dem Sperrmüll gerettet, die auf wackeligen Beinen stand und billige Schrauben verlor, und das wie lungenkrank klingende Schnaufen der Lüftung meines alten Laptops, einer Maschine, die sich mit der Zähigkeit eines russischen Bergarbeiters hartnäckig an ihr Leben klammerte, trotz der Mengen an Zigarettenrauch und Staub, die sie inhalieren musste. Es war hier drin im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß, und das ganze Jahr über roch man die Ergebnisse der schrecklichen Kochkünste der Nachbarn, außerdem hörte man ständig Lilys Fernseher im Hintergrund, der immer voll aufgedreht war. Poll hatte die Schwelle des Schuppens noch nie übertreten; sie verstand nicht, warum ich nicht einfach Dylans Zimmer übernommen hatte, als er aufs College ging. Der Grund war ganz einfach: Der Schuppen gehörte mir.

Ich setzte mich und rauchte noch eine Selbstgedrehte. Dann öffnete ich den Laptop, fasste mir ein Herz und loggte mich ein. Was war es, was Bee und mich verband? Ich stellte mir ein unsichtbares Band im Cyberspace zwischen ihrem und meinem Herzen vor. Total unrealistisch, klar, aber es passte irgendwie. Ich war eifersüchtig gewesen, als sie sagte, sie sei auf einem Date (Scheinheiligkeit ist nicht unter meiner Würde), weshalb ich nicht schlafen konnte. Weshalb ich mit Rosie aufblieb und Wiederholungen von Die Gerichtsvollzieher schaute und den Gin trank, den Poll für die Besuche ihrer Mutter aufbewahrte.

Ich riss mich zusammen, öffnete den E-Mail-Account und klickte auf unser Gespräch, wobei ich gegen jede Logik hoffte, dass Bee mir eine Nachricht geschrieben hatte, während ich draußen ge-Rosie-t und ge-Lily-t hatte. Aber der Nachrichtenverlauf war genau so, wie ich ihn am Abend zuvor verlassen hatte – er hing sozusagen in der Luft –, also erlebte ich statt des Dopamin-Rausches, der jeder Nachricht von Bee folgte, den schweren Aufprall in der Realität. Offenbar hatte ich sie mit meinem selbstmitleidigen Mist doch in die Flucht geschlagen. Also, was tust du nun dagegen? Schmollst du oder unternimmst du etwas? Dieses Mal gewann etwas unternehmen, und nachdem ich fünf Minuten über die richtige Wortwahl nachgedacht hatte (na gut – zehn), schrieb ich: «Hey! Tut mir leid, dass ich dich gestern mit so schwierigen Themen belastet habe. Das war sicher das Letzte, was du hören wolltest. Ich würde die Schuld ja auf den Gin schieben, aber das wäre nicht wahr (und auch nicht fair dem Gin gegenüber, obwohl es das eklige billige Zeugs war). Jedenfalls, ich verstehe es absolut, wenn du dich lieber langsam zurückziehen willst (oder davonlaufen).»

Ich ließ mich gegen die Rückenlehne des Stuhls fallen und begann, mir eine weitere Kippe zu rollen, damit ich etwas zu tun hatte, und sagte mir, ich sollte lieber nicht zu große Hoffnungen haben, konnte aber nicht umhin, ständig auf den Nachrichtenverlauf zu linsen. Als eine Minute später Bees Antwort kam, setze ich mich so abrupt auf, dass ich eine halbe Packung losen Tabaks über die Tastatur verstreute.

«Du solltest vielleicht wissen, dass ich wirklich schlecht im Laufen bin. Das ist also keine Option ;-) Außerdem, wenn sich hier jemand entschuldigen sollte, dann bin das wohl ich, zumal ich damit angefangen habe und du nicht der Einzige warst, der schwierige Themen angeschnitten hat … Wollen wir später weitermachen? Muss den ganzen Tag eine Anprobe nach der anderen erledigen :-( Ab ungefähr acht bin ich frei.»

Ich stieß die Faust in die Luft wie ein Zwölfjähriger. «Dann haben wir ein Date! Wir treffen uns um 20.30 hier? Ich mach Kaffee. Du brauchst mich nicht noch einmal alkoholisiert zu erleben. Viel Glück bei den Anproben.» Das würde reichen. Mein Hirn war noch zu träge, als dass ich mir etwas Besseres hätte einfallen lassen können. Die Erleichterung, sie nicht verjagt zu haben, ließ mich ein wenig lüstern werden, um ehrlich zu sein, welches Klischee könnte schlimmer sein als ein trauriger alter Verlierer, der sich in einem Schuppen einen runterholt? So ein Typ bist du nicht. Du kannst ein besserer Mensch sein.

Durch Bees Nachricht ermutigt, rettete ich den verstreuten Tabak und scrollte durch die restlichen Mails. In der Junkmail versteckt war eine Nachricht von Tweedy-Großkotz. Ich hatte Bees Rat angenommen und die Pöbel-E-Mail doch nicht abgeschickt, sondern nur noch einmal die Rechnung angehängt. Er schrieb:

Lieber Nicolas,

 

bitte nehmen Sie meine überbordende Entschuldigung für mein langes Schweigen an. Ich bin sehr unglücklich gefallen und habe mir dabei die Hüfte gebrochen, daher bin ich mit meiner Korrespondenz nicht hinterhergekommen. Ich bin aber jetzt wieder auf dem Weg der Besserung!!! Sie haben großartige Arbeit mit meinem Buch geleistet, tatsächlich weit mehr, als ich erwartet hatte. Ich habe die Zahlung jetzt zusammen mit einem Bonus veranlasst, weil mir klar ist, wie viel Arbeit Sie in diesen Text gesteckt haben. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. Ich habe es sehr genossen, beobachten zu können, wie Sie meine Gedanken zum Leben erweckt haben. Meine Enkelin Poppy hat versprochen, das Buch zum Verkauf ins Intranet zu stellen.

 

Hochachtungsvoll

Bernard Eldridge esq.

Ich las die Mail noch einmal und schaute dann in mein Konto. Fünftausend (minus die Überziehung, die mein bedingungsloses Grundeinkommen nie ausgleichen zu können schien). Er hatte also keinen Scherz gemacht, was den Bonus anging. Das hier war das Doppelte von dem, was ich berechnet hatte.

Es war nicht Poll, der ich als Erstes davon erzählen wollte, sondern Bee. Ich ging sogar so weit zu tippen «HEILIGE IN TWEED GEWICKELTE SCHEISSE, BEE, DU RÄTST NIE, WAS PASSIERT IST» und speicherte das dann in dem Ordner für Entwürfe ab. Sie arbeitete – und das hier konnte bis später warten. Stattdessen schrieb ich Bernie eine überbordende Antwort, in der ich ihm für die Bezahlung dankte und ihm gute Besserung wünschte. Schmierig, aber scheiß drauf.

*

Der Rest des Nachmittags verlief in einer Art erwartungsfrohem, fröhlichem Nebel. Ich ging auf und ab, ließ Bowie laufen – das «Silent»-Album, das ich am meisten mochte – und vollführte dazu ein kleines Siegestänzchen. Ich wollte unbedingt raus, dachte sogar über eine kurze Joggingrunde nach. Die Geldspritze war wie ein neues Kapitel. Eine neue Hoffnung. Ich konnte atmen. Es brachte mich fast um, Bee nicht zu schreiben, und Polls Reaktion auf die Neuigkeit per Messenger machte es nur noch schlimmer: ein schnödes «Toll», gefolgt von «Proben heute Abend, komme spät». Diese karge Reaktion tat mir mehr weh, als sie es hätte tun sollen. Weiß der Himmel, warum – ich hätte schon froh sein sollen, dass ich überhaupt eine Antwort bekommen hatte, zumal a) Poll ihr Handy normalerweise ausgestellt hatte, wenn sie bei der Arbeit war, und b) unsere Kommunikation dazu neigte, angespannt und unpersönlich zu sein, als versteckten wir uns hinter unserer Höflichkeit, und c) war ich mir ziemlich sicher, dass für Poll dieses winzige bisschen Glück, so ungewohnt es auch war, nicht ausreichte, um die Jahre auszugleichen, die sie mich dabei beobachtet hatte, wie ich das schmierige Ausgussrohr des Versagens hinuntergeglitten war, auf eine Zukunft zu, die im besten Fall das Äquivalent des metaphorischen Fettpfropfens in der Kanalisation war. Und da Poll es vorzog, dass die Dinge (und die Menschen) ordentlich und vorhersehbar waren, war es kein Wunder, dass sie sich vom Ausguss zurückgezogen und ihre Energien in die Teile ihres Lebens gesteckt hatte, die nicht so unordentlich waren, wie zum Beispiel ihre Lehrerkarriere.

Am Ende rief ich Jez an, einen alten Kumpel aus meinen Lehrertagen. «Pub?»

«Niemand geht heutzutage noch in den Pub, Nick.»

«Ich hab das Geld, das ich dir schulde.»

«Mach dir darum keine Gedanken. Ich habe das schon abgeschrieben, um ehrlich zu sein.»

«Na, komm schon. Lass mich dich einladen. Du hast mich aus einem Loch gezogen.»

«Ich weiß nicht, Kumpel. Ich muss Aufsätze korrigieren. Und ich habe eine Lehrprüfung.»

«Umso mehr Grund, um ein paar zu kippen. Lässt dich die Qual besser ertragen.» Es war mir egal, dass ich verzweifelt wirkte.

Ich nahm Rosie mit. Die Unterhaltung zwischen Jez und mir war ungewohnt stockend, aber ich war zu begeistert, um darüber nachzudenken, ob das etwas bedeutete. Jez war nie ein Partylöwe gewesen. Vermutlich führte ich sein Zögern auf die Tatsache zurück, dass ich ihn nicht mehr angerufen hatte, seit er mir das Geld geliehen hatte. Nach drei Pints entschuldigte sich Jez aufs Klo. Alkohol macht einen normalerweise nur deprimierter, aber an dem Abend schenkte er mir die Illusion, dass alles möglich war. Selbst der längst vergessene Drang zu schreiben – für mich selbst, und nicht für irgendjemand anderen – kam wieder in mir auf. Auf ihrem Platz unter dem Tisch schnaufte Rosie und furzte sanft, als spottete sie nicht nur über meinen untypischen Optimismus, sondern als ahnte sie auch, dass mir bald eine Menge Scheiße um die Ohren fliegen würde. Jez’ Handy gab blechern den Song von Frey Fights Fear von sich, und ich warf einen Blick darauf, erstaunt, einen Schnappschuss von Poll auf seinem Display zu sehen. Ich hatte ihr gar nicht gesagt, dass ich ein paar Pints mit Jez trinken gegangen war, ich schaute dennoch auf meinem eigenen Handy nach. Vielleicht hatte sie ja versucht, mich anzurufen, und mich nicht erreicht. Nichts. Jez’ Handy klingelte erneut, als er gerade von der Toilette zurückkam. Ich musste ihn nicht fragen, warum ihn meine verdammte Ehefrau anrief. Die Antwort stand ihm ins Gesicht geschrieben.

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Kennst du das Gefühl, wenn man noch Stunden nach einer Begegnung denkt, warum habe ich das bloß nicht gesagt? Im Französischen gibt es dafür einen Ausdruck. L’esprit de l’escalier (habe ich gerade nachgeschaut). Siehst du? Selbst, wenn ich auf dem Tiefpunkt angelangt bin, kann ich noch ein nerviger Mistkerl sein.

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Noch mal, es tut mir SO LEID, N.B. Was hast du denn zu ihm gesagt?

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Nix. Bin einfach aufgestanden und gegangen. Habe den Hund vergessen, also musste ich noch einmal zurück. Ich hätte den Typen schlagen sollen oder so. Und ich fühle mich scheiße, dass ich dir das alles aufbürde. Es ist nur … ich weiß nicht, wie ich mich jetzt fühlen soll.

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Hey, es ist immer einfacher, so etwas einer Fremden zu erzählen, nicht wahr? Und bitte fühle dich nicht scheiße, dass du mir das erzählst. Ich kann das vertragen. Du bist verletzt. Und du hast das Recht dazu. Betrug ist das Allerschlimmste.

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Hast du das auch schon erlebt?

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Willst du darüber reden?

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Nein! Du bist derjenige mit der Krise.

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Da wir gerade von Krisen sprechen – ihre Mitfahrgelegenheit ist gerade vorgefahren. Wünsch mir Glück.

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Ich bin hier, falls du mich brauchst. Jederzeit. Mitternacht. Drei Uhr morgens. Egal.

Von:[email protected]

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Danke. Herrgott noch mal. Du bringst mich noch zum Weinen.

Von:[email protected]

An: [email protected]

Sie ist gerade gegangen. Sie hat mir alles gestanden. Es läuft wohl schon seit einem Jahr, seit sie sich zufällig bei einem Lehrgang getroffen haben. Ich komme mir so verdammt dumm vor. Sie hat gesagt, dass sie es immer wieder hinausgeschoben hat, mit mir zu reden, weil ich eine schwierige Zeit hatte und sie mich nicht «vollkommen zerstören» wollte.

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Willst du reden? Persönlich, meine ich.

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So verlockend das ist, besser, wir lassen es, wie es ist. Du musst mein unkontrolliertes Geflenne wirklich nicht mit anhören.

Die Sache ist, dass ich eigentlich wütender auf mich selbst bin als auf Poll. Ich hätte schon vor Jahren Schluss machen sollen.

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Und warum hast du es nicht getan?

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Aus vielen Gründen. Trägheit. Wegen meines Stiefsohns Dylan.

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Du hast einen Stiefsohn?? Wie alt ist er? Warum hast du mir davon nicht früher erzählt?

Von:[email protected]

An: [email protected]

Vielleicht, weil mein Leben auch so schon chaotisch genug ist, und ich wollte nicht, dass du denkst, «meine Güte, gibt’s bei dem Kerl denn nur Dramen im Leben?». Er ist 24. Er war zwölf, als Poll und ich zusammenkamen. Er war ein bisschen empfindlich, als ich aufgetaucht bin. Es kam mir falsch vor, sein Leben noch einmal auf den Kopf zu stellen, als er noch kleiner war. Bin aber geblieben, als er aus dem Haus war. Wie ich schon sagte. Trägheit.

Von: [email protected]

An:[email protected]

Wir machen das doch alle so. Ich wohne immer noch in der Wohnung, die ich mir mit meinem Ex geteilt habe. Wann hat es eigentlich angefangen, bergab zu gehen?

Von:[email protected]

An: [email protected]

Gute Frage. Weiß nicht, ob es da einen genau zu bezeichnenden Zeitpunkt gibt. Am Anfang war alles gut. Ich glaube, dass wir dann irgendwann angefangen haben, einander als selbstverständlich zu sehen. Wir haben nicht mehr miteinander gelacht. Nicht darüber geredet. Aufgehört, Sex zu haben. Darüber haben wir auch nicht geredet. Sind in den Trott gefallen, dass wir auf dem Sofa gesessen und die Glotze angeschaltet haben. Einmal im Jahr Ferien in Tenby, Weihnachten mit ihrer beschissenen Familie, auf der Stelle treten. Wir haben das Leben als etwas gesehen, das man hinter sich bringen muss, nicht als etwas, das man … ich weiß auch nicht … leben muss.

Von:[email protected]

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Okay, ich habe mir das Letzte jetzt noch einmal durchgelesen. Vielleicht einen Hauch prätentiös, moi?

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Ich verstehe genau, was du sagen willst.

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Ich glaube, wenn du Poll kennenlernen würdest, würdest du sie wirklich mögen. Vielleicht wärst du dann sogar auf ihrer Seite. Nicht, dass es bei einer solchen Sache überhaupt Seiten geben sollte.

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Es gibt immer Seiten.

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Ich weiß. Ich will nur sagen, dass ich kein Heiliger bin, Bee. Das kannst du mir glauben. Jedenfalls kotze ich mich selbst an. Ich will auf keinen Fall, dass du das Gefühl bekommst, meine Therapeutin sein zu müssen.

Erzähl mir von deinem gebrochenen Herzen.

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Uh. Das ist wirklich eine jämmerliche Geschichte.

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Warst du mit ihm verheiratet?

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Nein. Beinahe. Verlobt.

Er war Einkäufer bei Marks & Spencer, und ich war eine kleine Designerin. Es passierte alles ganz schnell. Zwei Wochen nach unserem Kennenlernen sind wir schon zusammengezogen.

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Zwei Wochen. Wow. Liebe auf den ersten Blick?

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Muss wohl so gewesen sein.

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Eine Frage: Wie weiß man eigentlich, ob man verliebt ist? Ich will nicht die langweilige wissenschaftliche Antwort, die jeder kennt – Dopamin, Serotonin usw. Sondern das andere, weniger fassbare Zeug.

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Man kann nicht aufhören, an den anderen zu denken. Man will immer mit ihm zusammen sein.

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Man fühlt sich mit dem anderen nicht mehr einsam.

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Er steht einem zur Seite.

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Der andere vervollständigt einen.

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Okay. Ich hab noch eins: Es ist wie nach Hause kommen.

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Ha! Okay, du gewinnst in Sachen Zynismus. Aber jetzt WEITER im Text. Warum habt ihr euch getrennt, und wie heißt er?

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Nate. Jetzt kann ich ihn mir vorstellen. Gesichtsbehaarung? Hochgewachsen? Tattoos? Hasst Fußball, aber mag Rugby? Redet hochgestochen daher? Eltern in der Unterhaltungsindustrie?

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Haha! Nein. Klein. Etwas über 1,70, so wie ich. Hatte mal einen Bart, aber damit sah er so aus, als verberge er etwas (Spoiler: Das tat er auch). Hochgestochen ja. Eltern beide Beamte!

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Und die Trennung? Hat er dich betrogen?

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Ja. Nur einmal, sagte er, aber wer weiß?

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Wie hast du es herausgefunden?

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Genau wie du. Übers Handy.

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Diese beschissenen Handys.