IT-Girls - Christiane Noll - E-Book

IT-Girls E-Book

Christiane Noll

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Beschreibung

Technologie – ein Bereich, in dem Frauen noch immer unterrepräsentiert sind. Ein Bereich, der nach wie vor mit Männern assoziiert wird. Zu Unrecht. Es gibt viele außergewöhnliche und inspirierende Karrieren von Frauen in der Technologie-Branche. Frauen rocken die Tech-Welt und treiben vielerorts die digitale Transformation voran. Dieses Buch holt die erfolgreichen Frauen vor den Vorhang, erzählt ihre Geschichten, zeigt ihre ganz individuellen und besonderen Karrieren. Für manche war es eine ganz bewusste Entscheidung, in dieser Branche zu arbeiten, anderen ist es einfach passiert. Pläne umsetzen, Chancen nutzen, Netzwerke aufbauen, hart arbeiten, Visionen entwickeln, Diversität leben – die Konzepte sind so vielfältig wie die Frauen selbst.

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Christiane Noll

IT-GIRLS

{Wie Frauen die digitale Welt prägen}

Für Fabiola & alle neugierigen, motivierten jungen Frauen

Inhalt

{Vorwort}

{Vorbild Steinzeit}

{Die Pionierinnen}

{Sophie Chung; Aus nichts Großes machen}

{Sabine Herlitschka; Wer könnte es denn besser als ich?}

{Ina Wagner; Eine, die nicht dazu passte}

{Lisa-Marie Fassl; Geprobtes Selbstbewusstsein und die Angst vor Zielen}

{Sonja Wallner; Sprechdenkerin und strukturierter Sonnenschein}

{Sarah Spiekermann; Echte Stärke kultivieren}

{Hannah Lux; Lieber Pippi Langstrumpf als Opfer}

{Dorothee Ritz; Dirndln und die Macht des Wortes}

{Martina Mara; Viele Perspektiven und ein Plädoyer für Männerförderung}

{Nina Schmidt; Die Reise ist ein großer Teil des Ziels}

{Francine Beleyi; Die Kraft der ersten Reihe und eine -jährige Schülerin}

{Elena Skvortsova; Sprachlos, unerschrocken und immer besser als die anderen}

{Martina Lindorfer; Karriere dank Computerabsturz}

{Maria Zesch; Wirbelwindig gegen die Frauen-Schublade}

{Christine Antlanger-Winter; Probiere das aus, das ist neu}

{Pam Maynard; Was dich anders macht, macht dich stark}

{Jacqueline Wild; Klare Kante plus Durchboxen, alles selfmade}

{Johanna Pirker; Einen Zehenabdruck hinterlassen}

{Jede auf ihre Art}

{Epilog}

{Danke}

{Impressum}

{Vorwort;

Es war einer dieser großen Technologiekongresse in Wien. Im Programm 70 Keynote-Speaker, Diskussionsteilnehmer und Vortragende. Ich war auch dabei. Ich war eine von sieben Frauen am Podium. Sieben Frauen von 70 Vortragenden – das konnte doch im 21. Jahrhundert nicht wahr sein? Was war die Erklärung des Veranstalters, nachdem ich ihn darauf angesprochen hatte? – „Es gibt ja keine Frauen.“

Es gibt keine Frauen in der Tech-Branche – zuerst hat mich das wütend gemacht, dann zum Nachdenken gebracht. Ich kannte damals schon viele coole, tolle und überaus intelligente Frauen, die Vorreiterinnen in der Branche sind, mutig Digitalisierung gestalten, stetige Veränderungen in der Tech-Branche treiben, nachhaltige Start-ups gründen und die Wissenschaft prägen. Wie konnte es sein, dass ich über all diese Frauen Bescheid wusste und sie dennoch nicht bekannt waren? Dieser Gedanke ließ mich nicht los und motivierte mich schließlich, dieses Buch zu schreiben. Weil es notwendig ist, und richtig.

Wir digitalisieren – heute jetzt und auch in Zukunft.

Mit diesem Buch möchte ich einigen dieser wunderbaren Frauen eine Bühne geben, ihre Geschichten erzählen und ihre Erfolgsrezepte teilen. Damit möchte ich Menschen, vor allem aber junge Frauen, inspirieren, ihnen Ideen mitgeben und aufzeigen, was alles möglich ist und wie es funktionieren kann. Ich hatte Angst vor Plattitüden und wurde überrascht.

Es gibt nicht nur den einen Weg, jede hat ihren eigenen, individuellen. Ich bin selbst ganz zufällig in die IT-Branche gestolpert. Denn ich hatte mich einst bei Unternehmen in der Umgebung meiner Wohnadresse beworben. So habe ich meine Karriere vor mehr als 25 Jahren in einer Software-Company gestartet. Ich bin vielleicht zufällig dazu gekommen, aber absichtlich geblieben. In all den Jahren hatte ich nie das Bedürfnis, meine Industrie zu wechseln, weil das Arbeiten in der Technologie-Branche ein Abenteuer ist. Keine andere Sparte ist so schnelllebig, so fordernd, so abwechslungsreich. Aber als Frau bin ich hier immer noch eine Exotin.

Einmal im Jahr – am Weltfrauentag – diskutieren wir, wie wir mehr Mädchen motivieren können, sich für Technologie zu interessieren, Frauen überzeugen können, hier zu arbeiten.

Die Diskussionen sind seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten dieselben: Wie bringen wir Frauen in die MINT-Fächer? Schnell wird nach Verantwortlichen gesucht: das Bildungssystem, die Schulen, die Politik. Der Schrei nach Initiativen wird laut. Aber hier gibt es offensichtlich keine einfache Antwort. Ich denke, wenn dem so wäre, hätte sie bereits jemand gefunden. Denn es haben viele Expert*innen, Lehrer*innen, Minister*innen und andere kluge Köpfe darüber nachgedacht.

Das zweite Thema, das an jedem 8. März die Debatte beherrscht, ist die Gläserne Decke. Ja, sie ist noch immer da. Sie ist auch nicht dünner geworden und man durchbricht sie nicht leichter als 1990. Die nächste Frage, auf die es keine einfache Antwort zu geben scheint. Viel wird mit dem Argument zu erklären versucht, dass Frauen, wenn sie sich dafür entscheiden – auch – Mutter zu werden, einen Karriereknick erleben, der nicht mehr so leicht aufzuholen ist. Aber: Ist es das allein? Dann könnte man es mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und einem perfekten Ausbau der Kinderbetreuung lösen. Es ist aber nicht das allein! Die Gläserne Decke hat mehr Dimensionen und nach langer Diskussion versucht man sich jetzt mit Quoten zu helfen. Viele, die Quoten abgelehnt hatten – und dafür gibt es viele Gründe – stehen diesen nun offen gegenüber und sehen Quoten als Chance. Quoten als eine Möglichkeit, die hilft. Kein Allheilmittel. Ein Hilfsmittel.

Die Gläserne Decke führt uns zum nächsten Dauerbrenner unter den Gleichberechtigungs-Themen: dem Gender-Pay-Gap. Plakativ wird Ende Oktober jener Tag im Kalender markiert, der zeigt: Ab heute arbeiten Frauen gratis. Dies ist für die Bewusstseinsbildung gut und dennoch irreführend. Wir sollten die Frage zulassen, warum Frauen die weniger gut bezahlten Jobs haben, warum Frauen häufiger in Teilzeitjobs arbeiten und was es braucht, um dies zu ändern. An diesem Punkt kommt ganz stark die Digitalisierung ins Spiel, und die Affinität oder fehlende Affinität von vielen Frauen und jungen Mädchen zur Technik. In einer digitalisierten Welt sind die gut bezahlten Positionen vielfach jene, die technologielastig sind. Finden die nächsten Generationen von Frauen keinen Zugang zur Technologie, werden diese gut entlohnten Berufe und Jobs weiterhin von Männern besetzt werden. Das wird den Gender-Pay-Gap nicht schließen, sondern weiter vergrößern.

Warum scheint nun die Karriere in der IT- und Technologie-Branche wenig attraktiv? Ich denke, weil viele Frauen schlicht ein falsches Bild von den Jobs und der Branche haben. Nein, es sitzen nicht alle als Nerds im Keller vor ihrem Computer mit sieben Monitoren, leeren Pizzaschachteln und Energy-Drink-Dosen, und programmieren den ganzen Tag. Die Tech-Branche, die Digitalisierung ist unglaublich abwechslungsreich und vielfältig. Es muss nicht jeder programmieren können, der in der Branche arbeitet. Ich kann es auch nicht. Es muss nicht jeder an der TU Informatik studieren. Habe ich auch nicht. Was es braucht, ist ein Verständnis fürs Programmieren. Was es braucht, ist die Offenheit der Branche und ihrer Vielfalt gegenüber. Jeder und vor allem jede muss sich in Zukunft mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen. Die Digitalisierung erfasst ausnahmslos jede Branche. Wir werden sie überall brauchen – egal ob als Medizinerin, Anwältin, Buchhalterin, Gastronomin oder Tischlerin. Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung. Die Digitalisierung schafft unglaubliche Möglichkeiten, Dimensionen, von denen wir vor zehn, 20 oder 30 Jahren nie geträumt hätten. Das macht diese Branche zum Abenteuerland, zum neuen Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

| Ich möchte begeistern – für die Technologie, für die Digitalisierung und die digitalisierte Welt.

| Ich möchte motivieren – Einsteigerinnen und Quereinsteigerinnen, eine dieser vielfältigen Karrieren in der Technologie zu wählen.

| Ich möchte aufräumen – mit den Vorurteilen, dass hier nur schräge Nerds zu Hause sind.

Ich möchte das aus zwei Gründen tun: 1., für die Frauen, damit sie so wie ich, und all die wunderbaren Frauen in diesem Buch, die fabelhafte Welt der Technologie kennenlernen und ihre Möglichkeiten darin ergreifen und, 2., für die Unternehmen, denn die Unternehmen brauchen tolle, motivierte, anders denkende Frauen, um weg vom ewig Selben, hin zu mehr Diversität zu kommen. Denn Diversität bedeutet Geschäftserfolg. Diverse Teams bringen Organisationen weiter.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch von möglichst vielen Frauen gelesen wird, von Kindergartenpädagog*innen und Lehrer*innen, von Eltern, von Jugendlichen ... und vielleicht vom Bildungsminister.

Ich wünsche mir, dass die Geschichten dieser Frauen sie so inspirieren, wie sie mich inspiriert haben. Mich haben die persönlichen Gespräche mit diesen ganz unterschiedlichen und jede auf ihre Art herausragenden Frauen unglaublich begeistert. Viele, nein alle, haben mich sogar überrascht. Ihre Gedanken, ihre Karrieren und ihre Persönlichkeiten sind faszinierend. Sie sind Role Models für uns alle. Ich möchte jeder Einzelnen für diese Gespräche danken. Als Community können wir mehr bewegen.

Viel Spaß beim Lesen!

{Vorbild Steinzeit;

Hätten wir doch bloß vor 9.000 Jahren als Jäger und Sammler gelebt, unsere Chancen auf Gleichberechtigung im Job wären wohl größer gewesen. Zumindest, wenn wir uns als Frauen dafür entschieden hätten, Großwildjägerin zu werden. Viel zu gefährlich und aufgrund der körperlichen Vorteile reine Männersache? Von wegen. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass bei den Naturvölkern in der Steinzeit rund ein Drittel der Großwildjäger weiblich waren – eine Quote, die sich im 21. Jahrhundert in kaum einer Chefetage oder einem Aufsichtsrat findet.

Er jagt, sie kümmert sich um Höhle und Heim – dieser Mythos lässt sich nach Grabfunden in Nord- und Südamerika nicht mehr aufrechterhalten. Ins Schwanken gebracht haben die (vermeintliche) Grundlage der heute immer noch weit verbreiteten Arbeitsteilung Grabfunde aus dem Postglazial, der Nach-Eiszeit, auf einer Hochebene in Peru. Dort entdeckten Forscher der University of California in Davis ein Grab, dem Messer, Schaber und mehrere Klingen beigegeben worden waren – typische Grabbeigaben für Jäger. Zu ihrer großen Überraschung stellten die Archäologinnen und Archäologen fest, dass einer der beiden dort bestatteten Jäger eine junge Frau war. Um zu überprüfen, ob es sich dabei um eine Ausnahme handelte – die erste Feministin der Welt und Vorkämpferin für die Gleichstellung im Beruf? – überprüfte das Team um Prof. Randall Haas die Daten von über 400 Toten aus der Eiszeit und Nacheiszeit. Und siehe da: Die Frauenquote bei dem wohl gefährlichsten Job, der damals zu haben war, lag bei rund 30 Prozent.

18 von 100

Vergleicht man diesen Anteil mit der Frauenquote in Technikberufen, bleibt nur ein Fazit: Die Steinzeit war uns in Sachen Diversität voraus. Laut einer Sonderauswertung der Studierenden-Sozialerhebung im Jahr 2019 lag der Anteil der weiblichen Studierenden in den Fächern Informatik- und Kommunikationstechnologie an Österreichs öffentlichen Universitäten bei gerade einmal 22 Prozent, im Ingenieurwesen einen Prozentpunkt höher. Aufgrund der hohen weiblichen Abbrecherquote sind aktuell von 100 Information- und Technikspezialisten in Österreich nur 18 Frauen. International schauen die Zahlen kaum anders aus. Noch schlimmer wird es, je genauer man die Hierarchien von Technologie-Unternehmen unter die Lupe nimmt: Je weiter oben, desto weniger weiblich. Von der starken Präsenz der Großwildjägerinnen sind die IT-, Kommunikations- und Technologiefirmen so weit entfernt wie wir von der Steinzeit – aber in die umgekehrte Richtung.

Man kann das für ein pures Feminismus-Thema halten oder als „rein akademische Diskussion“ abtun, wie etwa das Gendern. Oder man öffnet die Augen und erkennt, worum es wirklich geht: Die mangelnde Präsenz von Frauen in technischen Berufen ist ein gesellschaftliches, volkswirtschaftliches und betriebswirtschaftliches Problem. Ohne Frauen fehlt der Technik etwas; ohne Frauen in den Entscheidungsgremien gehen viele Entwicklungen an den Bedürfnissen der Hälfte der Bevölkerung vorbei; ohne mehr Frauen in den Chefetagen bleibt die Vision einer gleichberechtigten Gesellschaft ein Wunschdenken. Das ist der gesellschaftliche Aspekt.

Ohne mehr Frauen in technischen Berufen werden wir den Mangel an Fachkräften, eines der drängendsten Probleme vieler Unternehmen und die stärkste Wachstumsbremse, nicht beheben können. Ohne mehr Technikerinnen, Ingenieurinnen, Softwareentwicklerinnen und Digitalisierungsspezialistinnen ist der Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit ausgetrocknet. Und ohne die ausreichende Verfügbarkeit von Fachkräften ist eine exportorientierte Wirtschaft wie die österreichische im globalen Standortwettbewerb nicht konkurrenzfähig. Das ist die volkswirtschaftliche Dimension.

Bleibt die unternehmensbezogene Dimension, über den akuten und sich verschärfenden Fachkräftemangel hinaus. Der internationale Wettbewerb wird zunehmen, befeuert durch die Digitalisierung. Innovationen werden in diesem Wettbewerb kein „nice to have“ sein, sondern wesentliche Grundlage zukünftiger Erfolge und Wachstumschancen. Gut gemeinte Ratschläge für die Förderung von Innovationen und die Schaffung eines innovativen Klimas gibt es viele. Sie reichen von der Schaffung der Position eines „Chief Innovation Officers“ bis zum Tipp, über den Tellerrand hinaus in andere Industrien zu schauen oder einfach kreativ zu sein. Vieles davon ist nicht so leicht umgesetzt bzw. eignet sich eher als Spruch für einen Managementkalender an der Wand als für die Praxis. Gerne übersehen wird dabei der zentrale Schlüssel zu Innovationen und damit zur Zukunft: Diversität. Zahlreich Studien belegen, dass diverse Teams bessere Leistungen bringen als homogen zusammengesetzte. Sie belegen, dass Unternehmen, in denen Diversität einen hohen Stellenwert hat, wirtschaftlich erfolgreicher sind.

Je vielfältiger, desto innovativer

Eine der Grundregeln für erfolgreiche Unternehmensführung in der Zukunft lautet daher: Fördere Diversität. Dabei geht es nicht nur um einen gerechten Frauenanteil in Teams und Führungsetagen. Diversität bedeutet mehr: Es bedeutet die Einbeziehung von Menschen verschiedener ethnischer Herkunft, verschiedener sexueller Orientierung, unterschiedlicher Altersgruppen und religiöser Überzeugungen, die Einbeziehung von Menschen mit Handicaps und mit unterschiedlichen Bildungswegen und Qualifikationen. Gemeint ist damit nicht nur deren formale Einbeziehung, also eine Pro-Forma-Beschäftigung, um irgendwelche Quoten oder moralische Verpflichtungen zu erfüllen. Gemeint ist deren echte Gleichstellung im unternehmerischen Alltag.

Wer das für ein regenbogenbunt schillerndes Anliegen für folgenlose Sonntagsreden hält – montags im Büro ist dann eh wieder alles anders –, der irrt gewaltig. Studien des Beratungsunternehmens Accenture belegen, dass eine Kultur der Gleichstellung die Innovationsfähigkeit und das Wachstum von Unternehmen positiv beeinflussen. Konkret bedeutet das, dass eine echte, gelebte Gleichstellungskultur nicht nur ein sozialer Akt ist, sondern eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Zugespitzt formuliert: Je mehr Vielfalt, desto mehr Innovationsspirit. Wollen Unternehmen in der Zukunft erfolgreich sein, brauchen sie eine engagierte Inklusionskultur.

Für die verschiedenen Accenture-Studien zum Thema Gleichstellung und Gleichberechtigung wurden jeweils mehrere tausend Beschäftigte in über 20 Ländern befragt. Über alle Hierarchieebenen und Ländergrenzen hinweg lässt sich dabei feststellen, dass Menschen, wenn sie ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem Unternehmen verspüren, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Beiträge und Meinungen geschätzt werden, viel eher bereit sind, sich zu engagieren, voranzugehen und neue Ideen zu entwickeln – also all das erfüllen, was eine Innovationskultur ausmacht.

Faktor Fünf

Beispiel Deutschland: Hier haben die Accenture-Experten festgestellt, dass die Innovationsbereitschaft und -fähigkeit in einem von einer starken Gleichstellungskultur geprägtem Unternehmen fast fünfmal höher ist als in Betrieben, in denen das Thema Gleichstellung eher weiter unten in der Prioritätenliste liegt oder gar keine Rolle spielt.

Und dieser Gap wird in den kommenden Jahren größer werden. Denn schon jetzt zeigt sich in der Arbeitswelt, dass rein technische Qualifikationen und Kenntnisse zwar wichtig, persönliche Skills, Kreativität und Innovationsfähigkeit und -freude jedoch die entscheidenden Erfolgsfaktoren sind. Und deren Bedeutung wird zunehmen.

Aber was macht eine Kultur der Gleichstellung und Gleichberechtigung eigentlich aus? Woran erkennt man sie? Ein zentrales Kriterium ist, ob besonders Frauen der Weg nach oben im Unternehmen offensteht. Das bedeutet nicht, dass sich die Gleichbehandlung in Unternehmen allein auf Frauen beschränken sollte. Sie muss, um wirkliche Diversität zu erreichen, auch Vielfalt in Bezug auf Bildungswege, ethnische Herkunft, Alter oder sexuelle Orientierung umfassen. Aber es wäre einmal ein Anfang, diese Hälfte der Bevölkerung zu berücksichtigen. Denn wer auf diese weiterhin verzichtet bzw. diese ausschließt, wird weder die benötigten Fachkräfte finden noch ein innovationsfreudiges Klima schaffen, was notwendig ist, um im zukünftigen Wettbewerb zu bestehen.

Vertrauen und Fehlerkultur

Stellt sich die Frage, wie eine Kultur der Gleichstellung und damit der Innovationsaufgeschlossenheit geschaffen werden kann. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass Diversität oben beginnt – sowohl im eigenen Kopf und als auch an der Spitze einer Organisation. Es braucht ein aufgeschlossenes Führungsteam, das Diversitätsziele formuliert und kommuniziert. Weiters sind diskriminierungsfreie Strukturen und ein befähigendes Umfeld notwendig, wie die Accenture-Experten definieren. Wobei der Faktor „befähigendes Umfeld“, auch das zeigen die Studien, den größten Einfluss auf eine Gleichstellungskultur haben. Zu verstehen ist darunter ein von Vertrauen geprägtes Arbeitsumfeld, das die Mitarbeitenden respektiert und ihnen Freiräume für Kreativität schafft – inklusive der Möglichkeit, Fehler machen zu dürfen.

Spätestens an dieser Stelle werden in Diskussionen die ersten Bedenken formuliert: Klingt alles schön und gut, aber in der Praxis sind diverse Teams schwerer zu führen, Entscheidungen sind komplizierter und dauern länger, es gibt mehr Konflikte, die Kommunikation ist aufwändiger, viel mehr Meetings sind notwendig, um zu einem Ergebnis zu kommen – so die häufigsten Einwände. Ja, das kann durchaus zutreffen und sollte nicht weggeredet werden. Entscheidend ist aus meiner Sicht aber, was am Ende als Ergebnis herauskommt. Und hier zeigt sich, dass Teams mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlichen Erfahrungen Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und daher meist mehrere Lösungswege finden. Und unter diesen verschiedenen Wegen ist dann auch der „goldene Weg“.

In einem sich schnell ändernden Businessumfeld, in dem sich Konsumenten und Märkte rasant verändern und morgen schon als veraltet gilt, was es heute noch gar nicht gibt, ist dieses Denken in mehreren Dimensionen und Lösungswegen der eindimensionalen Lösungsfindung deutlich überlegen. Denn es ermöglicht einem Unternehmen, schneller zu reagieren und sich rascher veränderten Marktbedingungen anzupassen, da immer schon die verschiedensten Szenarien mitgedacht worden sind.

Gedankliche Bewegungsenergie

Ein weiteres Bedenken in Bezug auf die Gleichstellung lautet: Wenn Quote mehr zählt als Qualität, leidet die Leistung, das Ergebnis ist schlechter. Ich sehe das genau umgekehrt: Die Quote führt zu besseren Ergebnissen, weil mehr Perspektiven berücksichtigt, mehr Aspekte einbezogen werden, mehr Ideen aufeinandertreffen. Diverse Teams sind wie Teilchenbeschleuniger, in denen gewaltige (gedankliche) Bewegungsenergie entsteht.

Was die Entwicklung zu mehr Diversität in Unternehmen beflügeln sollte: Sie ist leichter zu erreichen als die meisten anderen Managementziele und einfacher umzusetzen als viele Zukunftsstrategien. Die Organisation verschlanken, Entscheidungsprozesse beschleunigen, mehr Kundennähe und Marktführerschaft – all das ist schnell formuliert, aber schwer umgesetzt. Bei der Diversität dagegen reichen schon kleine Schritte, um große Fortschritte zu erzielen. Freie Positionen gezielt mit Branchenfremden zu besetzen, mit Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund oder einer ganz anderen Ausbildung – das kann schnell spürbare Verbesserungen bei der Gleichstellung und dem Innovationsklima bewirken. Das gilt besonders für die Präsenz von Frauen in den Führungsetagen technologiegetriebener Unternehmen. Denn wie junge Mädchen für technische Berufe begeistern, wenn die Chefs dort alle männlich sind und die weiblichen Role Models fehlen? Genau um dieses Defizit auszugleichen, ist ja auch die Idee für dieses Buch entstanden.

Achtung, blinder Fleck!

Was die Entwicklung umgekehrt bremsen könnte: Ein Mangel an Selbsteinschätzung. Viele Führungskräfte überschätzen, wie weit ihr Unternehmen bei der Gleichstellung tatsächlich ist. Das belegt die Studie „Getting to equal“ des Beratungsunternehmens Accenture, für die Mitarbeitende und Führungskräfte in 28 Ländern befragt wurden. Wie getrübt der Blick aus der Chefetage ist, zeigt das Beispiel Deutschland, welches sicherlich mit Österreich vergleichbar ist: Sieben von zehn befragten Führungskräften sind überzeugt, dass in ihrem Unternehmen eine Kultur herrscht, in dem die Beschäftigten sich zugehörig fühlen. Befragt man umgekehrt die Beschäftigten, stimmt aber nur jeder Dritte dieser Einschätzung zu. Hier klafft also eine gewaltige Wahrnehmungslücke.

Leider behindert dieser große blinde Fleck Fortschritte auf dem Weg zu einer echten Diversity-Kultur. Das zeigt sich plakativ bei der Befragung der Führungskräfte zu ihren Prioritäten. Zwar haben die meisten Chefinnen und Chefs Themen wie Vielfalt und Unternehmenskultur auf ihrer TOP-Agenda, was sich allerdings in ihrer Prioritätenliste so nicht widerspiegelt. Drei von vier Befragten sehen Markenbekanntheit und Qualität sowie die finanzielle Performance ganz oben auf ihrer Prioritätenlisten, nur 22 Prozent setzen Vielfalt und Kultur an die Spitze ihrer Aufgaben.

Aber wie aus diesem Dilemma herauskommen? Wie dabei unterstützen, dass Frauen in Tech-Unternehmen präsenter und sichtbarer sind? Einer der kritischen Faktoren liegt in der Schulbildung, das belegt die bereits erwähnte Auswertung der Studierenden-Sozialerhebung. Es zeigt sich, dass die Erfolgsquoten in einem MINT-Studiengang bei denjenigen, die an einer Höheren Technischen Lehranstalt (HTL) maturiert haben gegenüber AHS-Absolventen deutlich höher sind. Das Problem: Nur acht Prozent der Studentinnen, die sich für ein MINT-Studium entscheiden, kommen von einer HTL. Bei den männlichen Kommilitonen sind es 37 Prozent – und damit mehr, als von einer AHS kommen.

Doch selbst wenn junge Mädchen sich für eine HTL entscheiden und dort maturieren, entscheidet sich nur jede Siebte für ein MINT-Studium. Bei den männlichen Mitschülern ist es jeder Zweite.

Mit diesen Analysen ist das Fundament gelegt. Jetzt geht es darum, darauf gemeinsam etwas Neues aufzubauen. Denn was praktisch alle Studien zeigen: Mädchen sind nicht weniger intelligent oder auch nur grundsätzlich weniger technikinteressiert, sie müssen ermutigt werden – und diese Ermutigung kann nicht früh genug beginnen. Und sie brauchen Role Models, Vorbilder, die zeigen, dass es möglich ist, auch als Frau in eine Spitzenposition in der Tech-Branche zu kommen – und auch wie. Denn darin besteht Ermutigung: Das Ziel aufzuzeigen und auch Möglichkeiten, dorthin zu kommen. Dazu möchte ich mit diesem Buch einen Beitrag leisten.

{Die Pionierinnen;

Eine kleine Geschichte großer Frauen

Sie mussten sich als Mann ausgeben oder brauchten einen männlichen Unterstützer, der für sie Bücher aus den Bibliotheken auslieh, weil ihnen der Zutritt grundsätzlich verwehrt war. Sie bekamen Blasenentzündungen, weil das nächste Damen-WC Kilometer entfernt war, wenn es denn überhaupt eines gab. Die Geschichte von Frauen in der Technik ist eine Geschichte der Widerstände und Hindernisse. Widerstände, die im Laufe der Jahrzehnte von mutigen Frauen überwunden wurden, schrittweise, nicht revolutionär. Diese Frauen waren echte Pionierinnen, die unbeirrt ihren Weg durch einen Dschungel von Konventionen und männlichen Vorbehalten gingen.

Was sie alle gemeinsam haben: Sie teilen das Schicksal vieler Künstler*innen, die zu Lebzeiten verkannt und erst posthum geehrt wurden. Ein Paradebeispiel dafür versteckt sich hinter den drei Buchstaben „Ada“ – so benannte das Pentagon die universell einsetzbare Programmiersprache, deren Entwicklung 1975 vom US-Verteidigungsministerium in Auftrag gegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt war Namensgeberin Ada Lovelace, die als erste Programmiererin der Welt gilt, bereits seit 123 Jahre tot.

Spät erst wurde auch die NASA-Pionierin Kathleen Johnson vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama geehrt. Mit 97 Jahren wurde ihr die Presidential Medal of Freedom verliehen, eine der höchsten zivilen Auszeichnungen, die in den USA vergeben werden. Johnson hatte als Mathematikerin über 30 Jahre, von 1953 bis 1986, im NASA-Forschungszentrum gearbeitet und dort komplexe Berechnungen für die Raumfahrtmissionen erstellt. Sie hatte allerdings ein doppeltes „Handicap“, das der Anerkennung ihrer Arbeit im Wege stand: Sie war eine Frau und Afroamerikanerin. Wirklich bekannt wurden Johnson und ihre beiden Kolleginnen Dorothy Vaughan und Mary Jackson erst durch den Spielfilm „Hidden Figures“, der die Geschichte der drei Mathematikerinnen bei der NASA erzählt.

14 Jahre nach ihrem Tod im Jänner 2000 wurde die Österreicherin Hedy Lamarr in die amerikanische National Inventors Hall of Fame aufgenommen. Seit 2018 vergibt die Stadt Wien den Hedy Lamarr Preis an Forscherinnen in Österreich für herausragende Leistungen im Bereich der Informationstechnologie. Mehrere Preisträgerinnen finden sich auch als Gesprächspartnerinnen in diesem Buch. Lamarr wurde als Schauspielerin bekannt, entwickelte aber im Zweiten Weltkrieg auch eine störungssichere Funksteuerung für Torpedos unter Verwendung eines Frequenzsprungverfahrens, welches als Basis der heutigen Bluetooth-Technologie gilt.

Frauen, nein danke!