It's a match – Ein Update für die Liebe - J.F. Murray - E-Book
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It's a match – Ein Update für die Liebe E-Book

J.F. Murray

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Beschreibung

Das nächste Match ist näher, als du denkst – die Rom-Com des Jahres aus Irland Tara und Colin sind füreinander bestimmt – das wussten sie von dem Moment an, als sie sich zum ersten Mal trafen. Aber nach einigen Jahren ist die Luft raus, und ihre Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft driften ziemlich auseinander. Gerade ist eine neue App in aller Munde: Fling. Sie ermöglicht es unglücklich Verheirateten, diskret und ohne Verpflichtungen eine Affäre einzugehen. Erst zögern Tara und Colin, doch dann melden sie sich unabhängig voneinander heimlich bei der App an. Und schneller als gedacht beginnt eine Achterbahnfahrt der Gefühle …

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Seitenzahl: 445

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Joseph F. Murray

It's a match

Ein Update für die Liebe

 

Aus dem Englischen von Tanja Hamer

 

Über dieses Buch

 

 

Der Dating-Dschungel, das Gefühlschaos nach einer unbeantworteten Nachricht – all das ist für Tara und Colin schon lange kein Thema mehr. Die beiden sind füreinander bestimmt – das wussten sie von dem Moment an, als sie sich zum ersten Mal trafen. Doch nach einigen Jahren ist die Luft raus, eine gemeinsame Zukunft scheint nicht mehr verlockend. Gerade ist eine neue App in aller Munde: Fling. Sie ermöglicht es unglücklich Verheirateten, diskret und ohne Verpflichtungen eine Affäre einzugehen. Erst zögern Tara und Colin, doch dann melden sie sich heimlich an und finden das perfekte Match. Eine turbulente Affäre beginnt …

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Joseph Murray ist in Irland aufgewachsen. Mittlerweile lebt er in Los Angeles und arbeitet als Digital Content Creator. Seine Heimat Irland hat er jedoch nicht vergessen, weswegen sie als Schauplatz immer wieder eine Rolle in seinen Büchern spielt.

 

Tanja Hamer, Jahrgang 1980, hat ihr Anglistikstudium in Mainz absolviert und arbeitet seit 2012 als selbständige Übersetzerin. Sie lebt mit ihrer Familie in München.

Impressum

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »Fling« 

bei Macmillan, einem Imprint von Pan Macmillan, London.

© 2023 J.F. Murray

German translation rights arranged through Vicki Satlow Literary Agency.

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2024 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

Redaktion: Lisa Caroline Wolf

Covergestaltung: Cornelia Niere, nach einer Idee von Moesha Parirenyatwa/Pan Macmillan Art Department

Coverabbildung: Anna Broadhurst

ISBN 978-3-10-491606-4

 

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Inhalt

[Motto]

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreißig

Kapitel Einunddreißig

Kapitel Zweiunddreißig

Kapitel Dreiunddreißig

Kapitel Vierunddreißig

Kapitel Fünfunddreißig

Kapitel Sechsunddreißig

Kapitel Siebenunddreißig

Kapitel Achtunddreißig

Kapitel Neununddreißig

Kapitel Vierzig

[Inhaltshinweis]

Synchronizität

(NOMEN)

Das Korrelieren zweier oder mehrerer Ereignisse, die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft sind, jedoch als miteinander verbunden, aufeinander bezogen wahrgenommen und gedeutet werden.

(nach Carl Gustav Jung)

Ein unerklärlicher und äußerst bedeutungsvoller Zufall, der die Seele in Aufruhr bringt und einen Einblick auf das eigene Schicksal gewährt.

(nach Phil Cousineau)

Kapitel Eins

»Lass uns nach Hause gehen«, sagte Tara. Sie fühlte sich, als wäre ihr Leben mit einem Schlag vorbei.

Auf dem Stuhl rechts neben ihr saß ihr Ehemann Colin wie versteinert da und versuchte offenbar, die niederschmetternde Nachricht zu begreifen, die Dr. White ihnen gerade mitgeteilt hatte. Der Embryonentransfer war missglückt, und damit der bereits dritte Versuch einer künstlichen Befruchtung fehlgeschlagen.

Für Tara schien die Zeit stillzustehen. Alles, was sie hören konnte, war ein seltsames Klingeln in den Ohren, als wäre gerade eine Bombe explodiert. Sie konnte Dr. Whites Worten nicht mehr folgen, die Niederlage lastete zu schwer.

Aber sie wusste ohnehin, was gesagt wurde. In dem Moment, als sie auf Dr. Whites Gesicht wieder diesen müden, mitleidigen Blick gesehen hatte, war ihr klargeworden, dass ihr Traum, Mutter zu sein, genau das bleiben würde.

Ein Traum.

»Nach Hause gehen?« Colin drehte sich zu ihr um. »Wir sind doch gerade erst gekommen.«

»Ich weiß, Sie müssen enttäuscht sein, Tara, aber es besteht immer noch Hoffnung.« Dr. White klang nicht sehr überzeugend, als läse er von einem Teleprompter ab.

»Es tut mir leid, aber ich kann das einfach nicht mehr«, erwiderte Tara und hängte sich ihre Handtasche um. »Es soll nicht unhöflich klingen, aber ich will gerade einfach nur nach Hause.«

»Tara, wir müssen doch erfahren, wie die nächsten Schritte aussehen«, wandte Colin ein, sichtbar verärgert.

»Colin, das wissen wir doch längst. Alles geht wieder von vorne los. Zurück auf Anfang.«

»Nun ja, bei vielen Paaren ist die künstliche Befruchtung erst beim vierten oder fünften Versuch erfolgreich. Wir hatten sogar mal ein Paar, bei dem es erst im achten Durchgang geklappt hat.«

Bei der Vorstellung zuckte Tara zusammen. Sie fand den Gedanken unerträglich, die gesamte Tortur ein weiteres Mal zu durchlaufen, geschweige denn noch mehrere Male. Nach dem ersten und auch dem zweiten gescheiterten Versuch war es ihr noch gelungen, sich einen Funken Hoffnung zu bewahren, aber irgendwann war es genug. Colin hatte ihr immer wieder versucht einzureden, dass es beim dritten Mal klappen würde. Und doch fand sie sich nun in dieser Situation wieder und musste das alles erneut durchleiden.

»Dr. White, wir müssen uns wohl einfach damit abfinden, dass ich nicht dazu bestimmt bin, Mutter zu werden«, erklärte Tara schweren Herzens.

»Tara, hör auf, so zu reden«, fuhr Colin sie an.

»Ach, komm schon, ich bin fast siebenunddreißig. Meine Eierstöcke gleichen inzwischen vermutlich diesen vertrockneten Ballen, die in den Western über die Straße geweht werden.«

Dr. White musste schmunzeln, wurde dafür aber von Colin mit einem missbilligenden Blick gestraft.

»Tara, es ist doch erst unser dritter Versuch. Komm schon, aller guten Dinge sind vier!«

»Das sagst du jedes Mal, Colin. In ein paar Jahren ist es laut dir dann das fünfzehnte Mal, dass uns garantiert Glück bringen wird. Das Ganze hat uns jetzt schon dreißigtausend Euro gekostet. Wir müssen aufhören, das Geld aus dem Fenster zu schmeißen«, erwiderte Tara und warf einen sehnsüchtigen Blick Richtung der Tür. Sie fühlte sich, als müsste sie gleich ersticken.

»Tja, vielleicht gibt es ja ein Treuepunkte-Programm oder so was in der Art«, meinte Colin und warf Dr. White einen hoffnungsvollen Blick zu.

»Ja, genau, wir holen uns beim Rausgehen einfach einen Stempel, und das nächste Mal geht dann aufs Haus. Wir reden hier von meinen Eizellen, nicht von einer Tasse Kaffee.« Tara verdrehte die Augen. »Ich meine, für zehntausend Euro pro Schuss hätte es ja wohl wenigstens eine verdammte Stofftasche dazu geben können. Oder ein Shirt, auf dem steht: Ich habe es mit In-vitro versucht, und alles, was ich bekommen habe, war dieses lausige T-Shirt«, schnaubte sie frustriert.

»Tara, das ist eine ernste Angelegenheit.« Colin war sichtlich entsetzt.

Tara wusste, dass sie die Sache ins Lächerliche zog. Aber sie stand kurz davor loszuheulen, wenn sie sich nicht ablenkte. Und sie hatte es satt zu heulen. Dieses ganze Theater hatte sie nun schon oft genug mitgemacht, um zu wissen, dass es eine Farce war. Sie hatte jedes Recht, Witze darüber zu reißen, denn genau so fühlte es sich für sie an. Wie ein einziger Witz.

»Ich kann Ihre Frustration durchaus nachvollziehen, Tara«, meinte Dr. White. »Aber manchmal braucht es eben ein paar Versuche.«

»Bitte entschuldigen Sie uns, ich möchte wirklich nur noch nach Hause.« Tara wandte sich zum Gehen und verließ das Zimmer. Ihre Entscheidung war gefallen.

 

Auf dem Heimweg versuchte Tara, die Nachricht in Ruhe zu verarbeiten. Sie wollte nicht darüber sprechen, sie wollte nur nach Hause. Als sie den Kopf gegen das Fenster auf der Beifahrerseite lehnte, sah sie, dass der Himmel in endlosem Blau erstrahlte. Es nervte sie. Natürlich war der Himmel blau, an einem Tag, an dem sie sich Regen wünschte. Sie wollte, dass der Himmel weinte, weil sie selbst keine Tränen mehr übrig hatte. Wären wenigstens ein paar Wolken zu sehen, hätte sie sich etwas von wegen Silberstreif am Horizont einreden können.

Nach der ersten fehlgeschlagenen künstlichen Befruchtung war Tara ein emotionales Wrack. Auch wenn sie noch nie schwanger gewesen war, trauerte Tara um die vielen Millionen Möglichkeiten, um die man sie gebracht hatte. Bei der zweiten Enttäuschung erging es ihr ähnlich, aber dieses Mal waren es Tränen der Wut, nicht der Verzweiflung, die sie vergoss. Und nun, beim dritten Mal, war es ganz anders. Da war weder Wut noch Trauer. Genau genommen fühlte sie gar nichts. Es war, als klaffte in ihrer Brust ein Loch, eine überwältigende Leere. Sie musste sich eingestehen, dass sie auf einmal ihr gesamtes Weltbild in Frage stellte. Denn wenn es etwas gab, das sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zog, dann war es der Glaube an das Schicksal.

Tara war überzeugt davon, dass jedes Leben vorherbestimmt war. Wenn man annehmen würde, alles wäre nur ein zufälliges Chaos, hätte nichts eine Bedeutung. Immerhin hatte das Universum als Chaos begonnen, das sich irgendwie zu einer spontanen Ordnung gefügt hatte. Das war ihr Beweis genug, dass es da draußen eine Macht gab, die größer war als sie selbst. Ihr Vater, Paddy Fitzsimmons, war bis zu seinem Ableben ein gläubiger Katholik gewesen, und ihre Mutter Shannon kannte man über die Stadtgrenzen hinaus als esoterische Heilerin. Tara war also eine ungewöhnliche Mischung aus Religiösem und Spirituellem. Sie glaubte an eine höhere Macht, aber diese war für sie mehr eine Energie im Fluss als ein bärtiger Mann im Himmel. Sie wusste, dass sie nicht alle Antworten kannte, aber dafür war sie sich sicher, dass es etwas gab. Ob man es nun Schicksal nannte, Gottes Plan, Kismet, Vorbestimmung oder Fügung, es lief alles auf das hinaus, was ihre Mutter ihr immer gesagt hatte.

Alles passiert aus einem bestimmten Grund.

Aber was war der Grund hierfür? Warum verhinderte das Universum, dass ihr Traum Wirklichkeit wurde? Für Tara gab es nur eine mögliche Erklärung. Das Universum sagte ihr ziemlich deutlich, dass es nicht ihr Schicksal war, Mutter zu sein, und sie hatte keine andere Wahl, als darauf zu hören. Es war eine bittere Pille, die sie zu schlucken hatte, aber Tara wusste, dass es ihr nichts bringen würde, es zu leugnen. Es ein viertes Mal mit der künstlichen Befruchtung zu versuchen, wäre so, als würde sie gegen die Strömung des Schicksals anschwimmen. Sie konnte sich dieser Tortur nicht noch einmal unterziehen. Aber auch wenn sie Colin von Anfang an gesagt hatte, dass sie es maximal dreimal versuchen würde, wusste sie, dass er ihre Entscheidung nicht akzeptieren würde.

Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Abend, als sie Colin das erste Mal getroffen hatte. Sie war damals Studentin am Trinity College in Dublin, kehrte jedoch am Wochenende immer in ihre Heimatstadt Galway zurück, um dort bei O’Malleys Pub zu arbeiten. An einem schicksalhaften Abend betrat ein junger Mann den Pub, als sie gerade hinter der Theke arbeitete, und bestellte ein Pint Guinness. Sie hatte mit einem wesentlich älteren Mann gerechnet, doch als sie aufsah, war da er.

Der Mann ihrer Träume.

Viel zu gutaussehend, kurze braune Haare und ozeanfarbene Augen, in denen man sich verlieren konnte. Es war das erste Mal, dass Tara etwas erlebte, das sie als Synchronizität bezeichnen würde, ein seltsames Bauchgefühl, wie eine Mischung aus Déjà-vu und Intuition. Sie hatte Schmetterlinge im Bauch, Gänsehaut auf den Unterarmen und spürte ein Kribbeln im Nacken. Es fühlte sich an, als hätte sie sich in eine verborgene Frequenz des Universums eingeklinkt und wäre plötzlich mit den tieferen Schwingungen des Lebens verbunden. Es war ihr spiritueller Kompass, der ihr zeigte, dass sie auf dem richtigen Pfad des Schicksals war. Als wäre sie mit der richtigen Person am richtigen Ort.

Sie verliebte sich auf den ersten Blick in Colin. Als sein Guinness geleert war, gehörte sie schon ihm. »Von all den Pubs in allen Städten Irlands musstest du ausgerechnet in meinen reinspazieren«, hatte sie zu ihm gesagt und dann alle Bedenken über Bord geworfen und war zu ihm aufs Motorrad gestiegen. Als er sie im schimmernden Mondlicht küsste, schmolz sie in seinen Armen dahin und verlor sich in süßer, einvernehmlicher Hingabe. Später hatte sie ihn in ihr Zimmer geschmuggelt. Obwohl sie sich gerade erst kennengelernt hatten, war sie bereit, sich ihm ganz und gar hinzugeben, so wie sie es für den Rest ihres Lebens tun wollte. Ihre Gefühle waren damals nicht logisch, sie hatte sich voll und ganz auf ihr Bauchgefühl verlassen und wusste, dass sie auf dem richtigen Weg war.

Doch während der ganzen Prozedur der künstlichen Befruchtung hatte sie nicht ein einziges Mal dieses Bauchgefühl gehabt. Insgeheim wusste sie, dass es nicht sein sollte. Und auch wenn Taras Traum vom Muttersein ausgeträumt war, wusste sie doch, dass sie sich wieder aufrappeln und einen neuen Traum finden würde. Das gesamte Erlebnis des ständigen Versagens hatte ihr die Lebensgeister geraubt. Sie brauchte etwas, das ihr wieder neuen Lebensmut schenkte. Es war an der Zeit, das Blatt zu wenden und ein neues Kapitel aufzuschlagen.

***

Colin schaltete das Radio an. Die Stille im Auto war ihm unangenehm geworden. Er entschied sich für Radio Nova, den Sender, den er am liebsten hörte. Als würde das Radio ihn verhöhnen, dröhnte »Enjoy the Silence« von Depeche Mode aus den Lautsprechern.

»Wie wäre es mit ABBA, um wenigstens ein bisschen die Stimmung aufzulockern?«, meinte Tara.

»Das Thema ist noch nicht beendet«, sagte Colin und schaltete das Radio wieder aus.

»Und schon geht’s los.« Tara richtete sich seufzend in ihrem Sitz auf.

»Es ist erst unser dritter Versuch. Erfolg baut auf Misserfolg auf.«

»Colin, ich habe wirklich keine Nerven für so einen Psycho-Quatsch.«

»Aber nur so erreicht man etwas, Tara. Niemand war erfolgreich, nachdem er einfach aufgegeben hat.«

»Ich weiß, du hast das Herz am rechten Fleck, Colin, aber es gibt eine Grenze, wie viel Misserfolg eine Person ertragen kann. Wenn man als Student eine Prüfung einmal verhaut, lernt man noch mal und wiederholt sie. Aber wenn man die gleiche Prüfung dreimal nicht schafft, glaubst du nicht, dass es dann vielleicht ein Zeichen des Universums ist, dass man besser etwas anderes studieren sollte?«, erklärte Tara.

»Ach, bitte, fang nicht wieder mit diesem Schwachsinn über Zeichen des Universums an, Tara.«

»Das ist kein Schwachsinn, Colin. Wenn man so kämpfen und leiden muss, soll es offensichtlich einfach nicht sein. Wenn etwas für dich bestimmt ist, wird es nicht an dir vorbeiziehen. Alles kommt so, wie es vorherbestimmt ist.«

»Nein, Tara. Im Leben geht es darum, für das zu kämpfen, was man möchte«, widersprach Colin, in der Hoffnung, sie zu inspirieren. »Es lohnt sich, es einfach immer wieder zu probieren.«

»Aber es ist eben nicht einfach, Colin. Es bedeutet, wieder Dutzende von Spritzen, Nadeln, Hormoneinnahmen. Das Einzige, was mir gerade einfach erscheint, ist ein Glas Tequila.«

»Aber das ganze Prozedere wird es wert gewesen sein, sobald es funktioniert.«

»Dann sind da noch diese Medikamente, die mich in eine Wahnsinnige verwandeln. Und jeden Morgen muss ich zwanzig verschiedene Vitamine schlucken. Für dich ist es einfach zu sagen, lass es uns noch mal probieren. Du musst ja nur einen Becher füllen.«

»Wow, das ist für dich also mein einziger Beitrag?« Colin zog beleidigt die Augenbrauen hoch. »Wer gibt dir denn immer die Spritzen? Wer muss deine Stimmungsschwankungen ertragen, wenn deine Hormone verrücktspielen?«

»Überleg besser genau, was du jetzt sagst …«, warnte sie ihn.

»Ich meine damit doch nur, dass wir da gemeinsam drinstecken. Ich war von Anfang an für dich da«, beschwichtigte er.

»Colin, das weiß ich doch. Aber für mich ist es anders. Es ist mein Körper. Ich kann das alles nicht noch einmal durchmachen. Seit dieser Sache haben wir uns immer weiter voneinander entfernt. Ich will unser altes Leben zurück. Ich will, dass wir wieder wir sind«, erklärte Tara.

»Warum kannst du nicht sehen, dass sich am Ende alles auszahlen wird? Es gibt immer noch eine fünfzehnprozentige Erfolgschance.«

»Ja, was bedeutet, dass es eine fünfundsiebzigprozentige Chance gibt, dass es nicht klappt, Colin«, seufzte Tara.

Mathe war noch nie Taras Stärke gewesen, aber Colin wusste, dass es ihre Argumentation nur unterstützen würde, wenn er sie jetzt korrigierte. »Egal, wie die Chancen stehen, wir können trotzdem gewinnen«, sagte er.

»Meine Gebärmutter ist kein Spielautomat, Colin«, entgegnete Tara.

»Es gibt immer noch so viele Optionen, die unsere Chancen verbessern könnten. Zum Beispiel, wenn du offen dafür wärst, eine Eizellenspende in Betracht zu …«

»Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich die biologische Mutter meines Kindes sein möchte«, unterbrach ihn Tara.

»Du würdest das Kind zur Welt bringen. Das macht es doch quasi zu deinem eigenen. Wen interessiert es am Ende noch, ob es deine Eizellen waren?«

»Also, nur fürs Protokoll, deine Schwimmer gewinnen auch nicht gerade olympisches Gold. Ich stimme einer Eizellenspende zu, wenn du einer Samenspende zustimmst«, erwiderte Tara.

»Du machst wohl Witze. Dann wäre ich doch nicht der Vater!«, empörte sich Colin.

»Okay, dann mischen wir dein Sperma mit dem zweier anderer Spender. Zwanzig Jahre später laden wir euch drei zur Hochzeit des Kindes nach Griechenland ein und finden heraus, wer der Vater ist«, schlug Tara vor.

»Verkauf mich doch nicht für dumm, Tara. Ich weiß, dass das die Handlung von Mamma Mia ist. Du hast mich oft genug gezwungen, den Film mit dir zu schauen«, entgegnete Colin genervt. »Ich habe keine Ahnung, wie du so darüber scherzen kannst.«

»Weil meine Tränen alle aufgebraucht sind, Colin. Ich will wieder lachen. Wir können nicht immer wieder das Gleiche tun und ein anderes Ergebnis erwarten. Das ist die wörtliche Definition von Wahnsinn. Bald bin ich siebenunddreißig«, seufzte sie.

»Ach, komm mir nicht mit dieser Ausrede. Deine Mutter hat dich mit achtunddreißig bekommen.«

»Das liegt daran, dass es ihr Schicksal war. Aber es ist ganz offensichtlich nicht meines. Wir versuchen es jetzt seit sechs Jahren. Das Universum hat andere Pläne für mich, so viel ist klar. Vielleicht sollte ich meinen Master-Abschluss machen oder mein eigenes Unternehmen gründen oder die Welt bereisen oder …«

»Du solltest eine Mutter sein«, unterbrach sie Colin.

***

Tara sah rot. Es war nicht so sehr das, was er sagte, sondern mehr die Art, wie er es gesagt hatte. Sie versuchte gerade, sich selbst zu versichern, dass sie eine Million andere Optionen hatte, was sie mit ihrem Leben anfangen konnte, und jetzt tat Colin so, als hätte sie eine Art weibliche Pflicht, ihm ein Kind zu schenken. Immer wenn Colin einen solchen Kommentar abgab, auch wenn es nicht absichtlich war, legte sich bei ihr ein Schalter um.

»Oh, weil es das ist, was alle Frauen tun sollten, richtig? Mein einziges mögliches Schicksal ist es, meinem Mann ein Kind zu schenken, richtig?«, fuhr sie ihn wutschnaubend an.

»So habe ich das doch nicht gemeint. Jetzt klingst du wieder, als wärst du eine Person, die ich kaum kenne.«

»Ich bin Zwilling, Colin. Das wusstest du, als du mich geheiratet hast«, meinte Tara.

»Du kannst nicht immer die Sternzeichen vorschieben, um dich zu rechtfertigen, Tara«, seufzte Colin.

»Das ist typisch Stier, so etwas zu sagen«, erwiderte sie augenrollend.

»Können wir bitte einfach darüber reden, wie wir …«

»Colin, ich weiß, du willst weiterdiskutieren«, unterbrach ihn Tara. »Aber meine Entscheidung steht fest«, entgegnete sie emotionslos.

Tara spürte in diesem Moment so intensiv wie noch nie, dass sie sich voneinander entfernt hatten. Schon seit einiger Zeit lebten sie sich immer weiter auseinander, aber jetzt, ohne das gemeinsame Ziel, eine Familie zu gründen, fürchtete sie, dass sich etwas an den grundlegenden Mechanismen ihrer Ehe verschoben hatte.

Wieder herrschte Schweigen im Auto

***

Während er nach Hause fuhr, musste Colin feststellen, dass ihn Taras Sichtweise zutiefst beunruhigte. Er konnte einfach nicht verstehen, warum sie so schnell aufgab und ihn überhaupt nicht in ihre Entscheidung miteinbezog. Als wäre ihm das Recht, eine Meinung zu dem Thema zu haben, abgesprochen worden, dabei betraf es ihn doch genauso. Der Großteil seiner Ersparnisse war für die künstliche Befruchtung draufgegangen. Doch so teuer es auch war, für ihren gemeinsamen Traum zahlte er den Preis gern. Er konnte nur nicht mitansehen, wie sie das nun aufgab, wegen irgendeinem albernen Glauben an das Schicksal.

Colin sah das alles ganz anders als Tara. Er machte oft Witze darüber, dass er ein ›wiedergeborener Atheist‹ sei und die Menschen nur winzige Staubkörnchen, die auf einem Felsen lebten, der durchs All schwebte. Viele empfanden seine Einstellung als zynisch, aber Colin selbst hätte sie eher als inspirierend bezeichnet. Wenn das Leben bedeutungslos war, dann lag es schließlich an einem selbst, ihm Bedeutung zu geben. Wenn es irgendein Gesetz gab, dem das Universum unterworfen war, dann Murphys Gesetz. Alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen. Es gab immer Hindernisse zu überwinden, aber das machte das Gewinnen nur umso lohnenswerter. Seine Träume zu verwirklichen, war bedeutungslos, wenn man nicht dafür gekämpft hatte.

Darum ging es im Leben.

Aber eine Familie zu gründen, war eine Teamleistung, und seine Mitspielerin hatte gerade das Feld verlassen, nur weil sie drei Niederlagen hatten einstecken müssen. Dabei war ihr Spiel noch nicht zu Ende. Wo war nur Taras Kampfgeist geblieben, in den er sich damals verliebt hatte?

Colin und Tara hatten schon immer viel gestritten. Tatsächlich war es ein Insiderwitz ihrer Ehe, dass Tara an die Liebe auf den ersten Blick glaubte und Colin an die Liebe auf den ersten Streit. Nachdem sie ihm vor achtzehn Jahren dieses Bier im Pub gezapft hatte, hatte er sofort angefangen, zu argumentieren, dass das Guinness in Dublin viel besser sei als das in Galway. Während sie sich darüber ausließ, was für ein Opportunist er sei, konnte er kaum mehr die Augen von dem rothaarigen Mädchen mit den smaragdgrünen Augen abwenden. Es war der erste in einer langen Serie von Streits über Belanglosigkeiten. Aber immer gab es da diesen ironischem Unterton, immer war es spielerisch. Jahrelang war das Streiten für sie praktisch ein Teil des Vorspiels gewesen. Colin ertappte sich manchmal dabei, wie er einen Krach über etwas Dummes initiierte, nur wegen des umwerfenden Sex, der darauf folgen würde.

Aber diese Verspieltheit war ihnen über die Jahre abhandengekommen. Sex war zu einer Pflichtübung geworden, einem reinen Mittel zum Zweck, ohne Emotion oder Spontanität. Tara hatte ihren Eisprung im Kalender notiert, und ihr Liebesspiel bekam dadurch etwas Gezwungenes. Das ganze sexuelle Erlebnis war irgendwie entsexualisiert. Es fühlte sich mehr danach an, als würden zwei Säugetiere sich paaren und nicht zwei Menschen sich lieben. Es war, als würden sie, während sie Sex hatten, vergessen, Sex zu haben. Colin hatte sogar schon manchmal auf seinen geheimen Vorrat an Viagra zurückgreifen müssen. Der Druck, seine Frau zu schwängern, hatte ihn fast impotent gemacht.

Aber nun, da Tara davon redete, die Familiengründung aufzugeben, gab es wohl gar keinen Grund mehr für Sex. Vor einiger Zeit hatte sie sich die Haare in einem langweiligen Dunkelblond gefärbt, und ihre grünen Augen hatten das verführerische Glänzen verloren. Ihre voreilige Entscheidung bedeutete für Colin, dass das Licht am Ende des Tunnels mit einem Mal erloschen war. Er wusste, durch die Geburt eines gemeinsamen Kindes, würden sie wieder zueinander finden. Aber wenn Tara nun aufgab, wie sollten sie diesen illusorischen Funken jemals wieder entzünden?

Wie würde der Rest seines Lebens wohl aussehen? Es war ihm unbegreiflich. Das Leben, dass er sich mit ihr vorgestellt hatte, war von einer Sekunde auf die andere wie ausradiert. Sie wollte dem Schicksal das Ruder überlassen, aber er befürchtete, dass es sie auf eine Klippe zusteuerte. Colin fröstelte unwillkürlich, als er an das Leben dachte, das er sich aufgebaut hatte, und an dessen unsichere Zukunft.

***

Als sie zu Hause ankamen, dämmerte es bereits. Tara richtete sich im Beifahrersitz auf, als Colin in die Hillcrest Grove einbog, die bilderbuchhafte Sackgasse in Dublins Southside, dem wohlhabenden Süden, wo sie wohnten. Hillcrest war ein perfektes Wohnviertel. Zu perfekt. Der Rasen überall frisch gemäht, die Range Rover immer gewaschen und die Zähne hell gebleicht. Da Tara in Galway in ländlicher Umgebung aufgewachsen war, fühlte sie sich in Hillcrest wie eine Außenseiterin. Sie war an Mauern aus Stein gewohnt, nicht an weiß gestrichene Gartenzäune. Es war eine unheimliche Fassade von Perfektion, hinter der nichts lag. Dennoch musste es irgendwie weitergehen.

Als sie auf ihre Einfahrt zuhielten, erblickte Tara ihre Nachbarin Celine Loftus, die gerade ein Selfie von sich bei der Gartenarbeit im Vorgarten schoss. Celine hatte zehntausend Follower auf Instagram und hielt sich deshalb für eine »Influencerin«. Tara erkannte einen Narzissten auf Anhieb, und Celine war eingebildeter als ein Pfau. Sie fühlte sich allen überlegen, die nicht gutsituierte Southsider waren, und Tara hatte sie die böse Hexe des Südens getauft, so versnobt war sie.

Dummerweise sah Celine gar nicht aus wie eine Hexe. Ganz im Gegenteil, sie war geradezu ekelhaft perfekt. Wippendes blondes Haar, hohe Wangenknochen und ein paar Doppel-D-Brüste, die praktisch eine eigene Postleitzahl verdient hatten. Die Frauen in Hillcrest vergötterten Celine, weil sie so viele Followers hatte, und arbeiteten alle als Markenbotschafterinnen für deren Vitaminprodukte, die sich Yummy Mummy nannten. Obwohl Tara es nicht beweisen konnte, sagte das Bauchgefühl ihr, dass Celines Geschäftsstrategie nur ein verstecktes Schneeballsystem war. Unglücklicherweise steckten die Yummy Mummies zu tief drin, um ihre charismatische Anführerin in Frage zu stellen, und so wurden die Schneebälle immer weiter verteilt. Celine hatte schon vor Jahren versucht, Tara zu rekrutieren, aber sie hatte die sektenartigen Taktiken sofort durchschaut. Seitdem gifteten Celine und Tara sich an, beschossen sich mit gutgetarnten Bösartigkeiten, sobald sich ihre Wege kreuzten.

Celine bemerkte Tara und Colin, als sie an ihrem Haus vorbeifuhren, und winkte ihnen hektisch zu, als hätte sie wichtige Neuigkeiten zu verkünden.

»O Gott«, sagte Tara zu Colin. »Celine will was von uns. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du ihr erzählt hast, dass wir es mit künstlicher Befruchtung probieren.« Tara ließ die Scheibe runter und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf.

»Hallo, ihr zwei, ich habe gerade ein paar Blumen ausgesät. Tara, du siehst furchtbar aus, ist alles in Ordnung?« Celine lehnte sich nach vorne, um ihr Gesicht genauer betrachten zu können.

»Ja, ja. Mir geht es gut. Wir waren nur kurz einkaufen, und ich habe mir nicht die Mühe gemacht, mich zu schminken«, log Tara. Sie hatte keine Lust, Celine neuen Stoff für ihren Tratsch zu liefern.

»Na, dann. Schön für dich, dass es dir egal ist, was die Leute denken. Ich habe dich schon immer für dein Selbstbewusstsein bewundert«, erwiderte Celine.

Das Einzige, was noch schlimmer war als Celines Beleidigungen, waren ihre Komplimente. Immer wenn sie etwas Schmeichelndes sagte, kam es mit einem boshaften Unterton.

»Ist etwas passiert, Celine?«, kam Tara zur Sache.

Celine beugte sich zum Auto. »Ich wollte nur, dass ihr es erfahrt, bevor ich es heute Abend auf Instagram verkünde … Ich bin schwanger!«

Tara verspürte einen Stich ins Herz. Musste das Schicksal ihr auch noch Salz in die Wunde reiben?

»Glückwunsch, Celine«, sagte Colin, der sich über Tara lehnte.

»Danke, euch beiden. Schon im vierten Monat, auch wenn es schwer zu glauben ist. Ich wollte unbedingt ein drittes Kind, ehe ich fünfunddreißig werde. Ich konnte meine biologische Uhr regelrecht ticken hören«, lachte sie.

Tara wusste genau, dass das ein Seitenhieb auf sie war. Celines Taktlosigkeit war immer beabsichtigt. Sie ahnte auch bereits, was als Nächstes kommen würde.

»Was ist mit euch beiden? Ein kleines Vögelchen hat mir gezwitschert, dass ihr mit der künstlichen Befruchtung noch kein Glück hattet«, sagte Celine mit gespielter Sorge. »Wisst ihr, einer der besten Fruchtbarkeitsspezialisten des Landes ist einer meiner geschätzten Follower.«

»Ich denke, es heißt, geschätzte Freunde«, murmelte Tara.

»Wie auch immer. Er würde jedenfalls alles für mich tun. Und bisher waren immerhin neunzig Prozent seiner In-vitro-Fertilisationen erfolgreich. Ihr müsst nur ein Wort sagen, und ich sorge dafür, dass ihr auf seiner Kundenliste steht.«

Tara hatte so etwas schon kommen sehen. Wie alle Sektenführer verwendete Celine die Regel der Gegenleistung. Wenn sie etwas für dich tat, würde sie eines Tages vor der Tür stehen, um zu kassieren. Bei Celine hatte alles einen Preis, und Tara war nicht interessiert daran, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen, egal, wie engelsgleich er auch daherkam.

»Das wäre super, Celine«, schaltete sich Colin ein.

Tara verpasste ihm einen diskreten Stoß mit dem Ellenbogen in die Rippen.

»Nein, danke, Celine«, lehnte Tara ab. »Wir kommen schon zurecht.«

»Natürlich, Tara. Aber bitte, sagt Bescheid, wenn ihr eure Meinung ändert. Es gibt doch nichts, was ich für eine liebe Nachbarin nicht tun würde. Und hör nicht auf das, was die Leute sagen. Du hast deine besten Jahre noch vor dir«, sagte Celine mit strahlend weißen Zähnen und einem hinterhältigen Lächeln.

Tara ließ das Fenster wieder hoch und drehte sich zu Colin um, der Celine hinterherstarrte.

»Ach, mach doch den Mund zu, dir fliegt noch eine Mücke rein«, sagte Tara, irritiert von Colins Gaffen.

»Dieser Fruchtbarkeitsexperte klingt doch vielversprechend. Vielleicht kann sie uns wirklich helfen, Tara«, meinte Colin, während er in die Auffahrt einbog.

»Sie will uns nicht helfen. Sie will uns besitzen. Das ist bloß ein Trick, um mich in eine Yummy Mummy zu verwandeln, die dann in ihrem Schneeballsystem gefangen ist wie alle anderen. Vertrau mir, wenn du Celine um Hilfe bittest, wirst du es bitter bereuen.«

»Sie wollte doch nur nett sein, Tara«, seufzte er.

Es erstaunte Tara immer wieder, wie wenig Männer über Frauen wussten. Andererseits wirkte Celines Täuschungsmanöver bei allen außer Tara.

Als sie aus dem Auto stieg, betrachtete Tara Hillcrest Grove Nummer drei. Die untergehende Sonne warf ein warmes blutorangefarbenes Licht auf die Fassade ihres Hauses, als wäre es Teil eines impressionistischen Gemäldes. Es erinnerte Tara an den Moment, als sie es zum ersten Mal gesehen hatte. Genau wie in dem Moment, als sie Colin kennengelernte, hatte Tara diese Synchronizität gespürt, die ihr sagte, dass das Haus eines Tages ihr gehören würde.

Die äußeren Mauern aus Stein sahen aus wie gezackte kleine Puzzleteile, die sich zum Haus ihrer Träume zusammenfügten. Der Bauernhausstil im Innern erinnerte sie an das Häuschen, in dem sie aufgewachsen war, auch wenn dieses Haus viel größer war. Es wirkte wie ein Koloss, aber sie wusste, dass sie es mit Leben füllen würde, mit Lachen und Liebe, obwohl Colin ihr verboten hatte, irgendwelche Dekorationen mit der Aufschrift »Leben lieben, lachen« zu kaufen. Immerhin hatte er ihr erlaubt, eine Plakette mit dem irischen Spruch »Is glas iad na cnoic i bhfad uainn« über der Haustür anzubringen, was so viel bedeutete wie »Die Hügel in der Ferne sind immer grüner«. Es sollte sie daran erinnern, das zu schätzen, was sie hatten.

Aber jetzt, als sie die Haustür öffnete, wich das warme Licht, das die Außenseite des Hauses erleuchtete, der kalten, nackten Realität. Die Größe des Hauses bedeutet auch, dass es immer kühl war, als könnte nichts das unersättliche Monster befriedigen. Sie hatte gedacht, dass irgendwann Kinderlachen durch die viel zu langen Flure tönen würde. Doch da hatte sie sich ja offenkundig getäuscht.

Als sie an diesem Abend zu Bett ging, verspürte Tara eine unbändige Leere in der Brust. Mit sechsunddreißig Jahren und ihren zerplatzten Träumen, Mutter zu werden, fragte sie sich, ob sie nicht irgendwo auf dem Weg einen Fehler gemacht oder eine falsche Abzweigung genommen hatte, die sie von ihrem Schicksal wegführte.

Colin zu begegnen, ihr Traumhaus zu finden, alle diese Dinge waren ohne große Anstrengung passiert. Es war schon fast so, als würde sie das Kind viel zu sehr wollen. Sie fühlte sich, als stünde sie an einer Kreuzung ohne Beschilderung, bei der sie nicht wusste, welche Straße sie wohin führen würde, und ohne inneren Kompass, der ihr half, ihren Weg intuitiv zu wählen.

Sie war immer überzeugt gewesen, dass die Vorherbestimmung sie auf den richtigen Pfad zum Leben ihrer Träume führen würde. Sie glaubte immer noch an das Schicksal, aber sie hatte nicht mehr das Gefühl, dass es auf ihrer Seite war. Als hätte es sie im Stich gelassen. Vielleicht musste sie es einfach akzeptieren. Am Ende gelangte sie zu einer bitteren Erkenntnis. Sie hatte den Glauben an das Schicksal verloren.

Kapitel Zwei

Sechs Monate später

An einem Morgen Mitte September erwachte Tara mit einem Gefühl der Leere, das ihr nur allzu vertraut geworden war. Sie sah zu Colin, der immer noch tief und fest schlief und laut vor sich hin schnarchte. Ihr Sieben-Uhr-Wecker klingelte dicht neben ihrem Ohr, und sie dachte darüber nach, einfach die Schlummertaste zu drücken. In letzter Zeit gab es immer wieder Momente, in denen sie bereit war, ihre Karriere für ein paar zusätzliche Minuten im Bett zu vernachlässigen.

»Mach den Wecker aus«, stöhnte Colin.

Er fing erst um 9.30 Uhr mit der Arbeit an, was es ihm ermöglichte, jeden Morgen eine halbe Stunde länger liegen zu bleiben. Dafür hätte Tara alles gegeben. Aber Jammern half nichts. Der Tag hatte begonnen, ob sie es wollte oder nicht. Sie stand auf und gönnte sich eine schnelle, heiße Dusche. Ihr war bewusst, dass sie eigentlich mal wieder die Haare waschen sollte, aber der Gedanke, sie danach föhnen zu müssen, schreckte sie ab, also entschied sie sich stattdessen für das bewährte Trockenshampoo. Obwohl sie sich dabei ertappte, jedes Mal mehr davon zu benutzen, je öfter sie das Haarewaschen aufschob. Danach putzte sie sich die Zähne und legte einen unsichtbaren Hauch Make-up auf, ehe sie sich eine weiße Bluse und einen grauen Hosenanzug anzog.

Als sie in die Küche ging, um sich einen Kaffee zu machen, musste sie feststellen, dass keine Tassen im Schrank standen.

Es standen nie Tassen im Schrank.

Zu Taras Aufgaben im Haushalt gehörte es, jeden Abend das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine zu räumen, während es Colins Job war, am Morgen das saubere Geschirr auszuräumen. Das Problem war, dass Colin seit drei Tagen die Maschine nicht ausgeräumt hatte. Und wenn die Spülmaschine voll war, konnte Tara sie auch nicht neu beladen, was dazu führte, dass sich das benutzte Geschirr in der Spüle stapelte. Sie wusste, dass sie auch einfach selbst die Maschine ausräumen konnte, aber sie weigerte sich aus Prinzip. Das war jetzt ihr Leben.

Sie seufzte und nahm eine saubere Tasse aus der Spülmaschine. Sie brauchte wirklich unbedingt einen Kaffee.

Die vergangenen sechs Monate waren wirklich anstrengend gewesen. Inzwischen hatte sie sich damit abgefunden, keine Kinder zu bekommen, aber Colin weigerte sich, das zu akzeptieren. Immer wieder versuchte er, das Thema neu aufzurollen. Aber für Tara gab es nichts mehr zu besprechen. Sie hatte sich entschieden, und es war ihr extrem wichtig, dass er diese Tatsache akzeptierte, damit sie wieder zu ihrem normalen Leben zurückkehren konnten. Sie wollte, dass alles wieder so wurde, wie es vor den missglückten Versuchen der künstlichen Befruchtung gewesen war. Ihre Beziehung musste heilen, aber Colin kratzte immer wieder am Schorf.

Während die Tage zu Wochen wurden und die Wochen zu Monaten, wuchs die Kluft zwischen ihnen immer weiter, bis sie schließlich ein ganzes Meer zu trennen schien, wenn sie abends nebeneinander im Bett lagen. Sie verstand seinen Schmerz, aber sie verabscheute die Art und Weise, wie er ihr die Schuld für etwas zuschob, dass nicht in ihrer Macht stand. Es brach Tara das Herz, dass sie nie Mutter werden würde, aber was half es ihnen, immer wieder zu scheitern? Sie wollte sich lieber auf die schönen Dinge im Leben konzentrieren, nicht auf die, die schiefgingen. Aber in Colins Augen war ihre Entscheidung egoistisch. Als könnte eine Frau kein anderes Schicksal haben, als ein Kind auf die Welt zu bringen.

Colin kam im Morgenmantel die Treppe herunter, ein Kleidungsstück, das sie zu hassen gelernt hatte. Ohne etwas zu ihr zu sagen, begann er, im Gefrierfach zu kramen.

»Wonach suchst du?«, fragte sie.

»Ich dachte, wir hätten noch zwei Steaks hier drinnen«, antwortete er. »Ich wollte sie fürs Abendessen auftauen.«

»Oben rechts im Fach.«

»Ah«, machte Colin und nahm die Steaks heraus. Er legte sie auf den Küchentresen. »Wir hatten in letzter Zeit zu oft Mikrowellen-Gerichte. Wäre schön, mal wieder eine richtige Mahlzeit zu essen.«

Tara wusste, dass das ein Seitenhieb war. Es stimmte, sie hatte sich zunehmend auf die Mikrowelle verlegt, wenn es ums Kochen ging, aber wenn Colin nicht bereit war, einen Finger krumm zu machen, warum sollte sie sich dann verausgaben?

»Hast du vor, die Spülmaschine heute auszuräumen?«, wollte Tara wissen.

»Klar, ich räume sie aus, wenn du zur Arbeit gehst«, antwortete Colin.

»Kannst du sie nicht gleich ausräumen? Sie ist seit Freitag schon voll.«

»Brauchst du eine Tasse?«

»Nein, ich habe mir schon eine genommen.«

»Oh, super. Dann räume ich sie aus, bevor ich zur Arbeit gehe.«

Tara zuckte innerlich zusammen. Sie wusste, dass er es nicht tun würde. Aber sie hatte auch keine Lust zu streiten. Dafür fehlte ihr mittlerweile die Energie.

»Cool«, sagte sie stattdessen und nahm ihre Handtasche. »Dann bis heute Abend.«

»Bis dann.«

 

Auf dem Weg zur Arbeit steckte Tara im allmorgendlichen Stau fest. Der Sommer hatte sich von seiner unberechenbaren Seite gezeigt, voller falscher Aussichten auf Sonnenschein, der dann doch vom Platzregen vertrieben worden war. Aber der September war ungewöhnlich warm dieses Jahr. Als hätte sich die Hitze des Sommers verspätet.

Wie jeden Morgen nutze Tara die Zeit im Berufsverkehr, um über die Zukunft nachzugrübeln. Sie war schon immer eine Tagträumerin gewesen, und auch wenn sie das Schneckentempo hasste, mit dem sie in ihrem Nissan Micra vorankam, gelang es ihr, die Umgebung auszublenden und sich im Nebel ihrer eigenen Gedanken zu verlieren.

Im Juni war sie siebenunddreißig geworden, hatte allerdings nicht gefeiert. Seit die große Vierzig immer näher rückte, hatte sie das Gefühl, Geburtstage waren etwas, das man verstecken und nicht groß feiern sollte. Aber trotz der Tatsache, dass die missglückte künstliche Befruchtung sich anfühlte, als wäre ihrem Lebensziel ein tragisches Ende gesetzt worden, war Tara wild entschlossen, sich selbst zu beweisen, dass noch Spannendes auf sie wartete. Vor ihr breiteten sich so viele unterschiedliche Wege aus, die sie einschlagen konnte, und doch steckte sie hier fest, mitten in einer Autokolonne. Wenn sie bloß wüsste, welche Spur sie schneller zu ihrer Bestimmung führen würde. Sie hatte nun schon so viele Jahre auf ein weiteres Erlebnis der Synchronizität gewartet, auf ein Zeichen des Universums, dass sie auf dem richtigen Weg war.

Aber ein solches Zeichen war ausgeblieben.

Was hätte sie nicht alles darum gegeben, die Zeit zurückzudrehen, bis zu dem Moment, wo ihre Ehe noch nicht aus den Fugen geraten war. Tara machte es nichts aus, dass Colin sich an ihrem siebenunddreißigsten Geburtstag nichts Besonderes für sie überlegt hatte. Was ihr allerdings zu schaffen machte, war die Tatsache, dass ihm auch ihr Hochzeitstag offenbar völlig egal geworden war. Normalerweise besorgte er jedes Jahr eine Karte, eine Flasche Wein, Pralinen und einen Strauß Blumen. Dieses Jahr hatte er nur eine Karte mitgebracht, und nicht einmal eine besonders originelle, mit einer kurzen seelenlosen Botschaft, die ihr alles sagte, was sie wissen musste.

Es war ihm offensichtlich einfach egal.

Taras Mutter hatte einmal gesagt, dass es in jeder Beziehung eine Blume gab und einen Gärtner. Colin war immer derjenige gewesen, der sich um sie gekümmert, ihre Bedürfnisse befriedigt hatte, ohne dass sie ihn darum hatte bitten müssen, aber seit ihrer Entscheidung, es nicht weiter mit künstlicher Befruchtung zu versuchen, hatte sich die Dynamik in ihrer Beziehung verändert. Colin hatte immer so eine positive Einstellung zum Leben gehabt, und sie hatte sich zu seinem Licht hingezogen gefühlt. Jetzt schien es so, als hätte das Leben ihm diese Kraft genommen. Sie vermisste ihren Ehemann oder zumindest den Mann, der er früher gewesen war. Es gab Momente, da wünschte sie sich, er würde sie hassen. Es war seine Gleichgültigkeit, die sie nicht ertrug. Ihre alte feurige Schlagfertigkeit war von einer kalten passiv-aggressiven Grundstimmung abgelöst worden. Colin ließ sie einfach jeden Streit gewinnen. »Gut, du hast recht, ich habe unrecht«, sagte er dann unterwürfig. Aber Tara wollte nicht recht haben, sie wollte nicht gewinnen. Sie wollte, dass er sie in seine Arme zog und sie mit einem Kuss zum Verstummen brachte. Sie wollte, dass er sie wie im Sturm nahm, so wie in ihrer ersten gemeinsamen Nacht.

Wie sehr sie das vermisste.

Sie waren schon immer gegensätzlich gewesen, aber das hatte einst die Anziehung zwischen ihnen ausgemacht. Jetzt schien es ihr, als hätte irgendeine Macht den Magnetismus umgekehrt, der sie immer zueinander hingezogen hatte. Sie entfernten sich immer weiter voneinander, bis sie vergessen hatten, was sie früher zum perfekten Paar gemacht hatte. Es war natürlich nicht über Nacht passiert, aber auf eine Art machte es das noch schlimmer. Es war, als würde sie zusehen, wie ihre Ehe in Zeitlupe auseinanderbrach. Sie hatte Angst davor, was die nächsten sechs Monate mit ihnen anstellen würden.

Vielleicht fand Colin sie einfach nicht mehr attraktiv. Sie strotzte nicht gerade vor Sex-Appeal, das war ihr bewusst. Sie hatte das Gefühl, ihre Libido-Batterie verharrte seit Jahren bei einem Prozent Ladung, und Colin schien null Interesse daran zu haben, sie wieder aufzuladen. Er gab sich keinerlei Mühe mehr, dass sie sich von ihm begehrt fühlte, und dadurch hatte sie auch immer weniger Interesse an ihm.

Ihre sexuelle Durststrecke war nicht nur metaphorisch, sondern sogar physischer Natur. Manchmal fühlte sie sich da unten trockener als die Sahara. Niemand hatte ihr je gesagt, das so etwas passieren konnte. Sie hatte im Internet nachgesehen und war danach überzeugt, dass sie irgendeine tödliche Krankheit haben musste. Tara war schon immer ein Hypochonder gewesen und befürchtete bei einfachen Kopfschmerzen gleich eine Hirnblutung, wenn sie erst mal anfing, im Internet zu recherchieren. Ihr Arzt hatte ihr jedoch versichert, dass das, was sie erlebte, nur eine natürliche Erscheinung des Alterns war, besonders bei Frauen, die nicht sexuell aktiv waren. Aber Tara wollte gern sexuell aktiv sein. Sie war erst siebenunddreißig, um Himmels willen.

Sie brauchte Leidenschaft.

Sie sehnte sich danach, wieder mitgerissen zu werden. Klar, dachte sie, die meisten Frauen mochten die Vorstellung von Monogamie, aber keine Frau mochte die Vorstellung von Monotonie. Abwechslung war die Würze des Lebens. Nichts würde Tara mehr erregen, als dass Colin etwas Initiative zeigen würde. Früher war er immer so hungrig nach neuen Erfahrungen. Wie damals, als er sie zu ihrer Studentenzeit mit den Interrail-Tickets überrascht hatte und sie durch ganz Europa gereist waren. Sie hatten jeden Abend in einer anderen Stadt Sex gehabt. Oder wenn er etwas Gutes über ein neues Restaurant gehört und einfach einen Tisch reserviert hatte, ohne dass sie ihn darum bitten musste.

Doch wenn sich Tara jetzt etwas von ihm wünschte, musste sie ihm die Idee wochenlang in den Kopf träufeln. Wo war nur seine Spontanität geblieben? Sie war keine Frau mit hohen Ansprüchen. Selbst ein kleiner Ausflug mit dem Auto würde ausreichen. Auf dem Beifahrersitz zu sitzen, ein bisschen ABBA zu hören, während Colin eine Hand am Steuer und die andere zärtlich auf ihrem Oberschenkel liegen hatte.

ABBA war schon immer ihre Lieblingsband gewesen, obwohl die meiste Musik von ABBA lange vor ihrer Zeit entstanden war. Die Vergangenheit erschien ihr einfacher. Für die Grunge-Musik der Neunziger hatte sie noch nie viel übriggehabt. Der Rhythmus der Siebziger dagegen sprach ihr aus der Seele.

Aber ihr derzeitiges Leben hatte keinen ABBA-Gold-Soundtrack verdient. Ihr innerer Soundtrack bestand aus einem traurigen Missklang aus melancholischen Moll-Akkorden. Sie wollte wieder Musik in ihrem Leben haben. Die Leere in ihrer Brust wuchs zusehends, wie ein schwarzes Loch, das seine eigene Schwerkraft entwickelte. Sie brauchte ein Gegenmittel zu der Tristesse in ihrem Leben.

Sie musste sich wieder lebendig fühlen.

Tara hörte ein lautes Hupen hinter sich, das sie aus ihren Tagträumen riss. Die Ampel vor ihr war grün, und sie beschleunigte bis zur nächsten Stoßstange, die vor ihr wartete.

Ihr fiel auf, dass sie zu spät dran war, und dachte kurz darüber nach, die Busspur zu benutzen, um den Stau zu umfahren. Doch so etwas würde sie nie tun. Tara spielte oft mit dem Gedanken, etwas Verbotenes zu tun, zog es dann aber nie durch. Am Ende des Tages blieb sie doch immer in ihrer Spur. Sie entspannte sich und erinnerte sich daran, dass sie jeden Tag zu spät kam, also war sie irgendwie doch pünktlich.

Da sie immer noch eine Dreiviertelstunde zu fahren hatte, schaltete Tara das Radio ein, um sich davon abzuhalten, wieder in ihre Gedankenwelt abzudriften. Sie klickte die Sender durch, bis sie eine aufgebrachte Frauenstimme bei The Line hörte, einer morgendliche Talkshow, bei der Leute anriefen, um aktuelle Themen zu diskutieren. Die Frau war mitten im Satz, als Tara anfing, zuzuhören.

»… da wird mir wirklich schlecht, Joe«, jammerte sie.

Tara spitzte die Ohren. Was auch immer dieser Frau passiert war, es musste schlimm gewesen sein.

»Das ist furchtbar, Mary«, sagte Joe, der Radiomoderator. »Und für alle, die uns gerade erst auf dem Weg zur Arbeit eingeschaltet haben, wir sprechen heute über die neue Dating-App namens Fling, mit der verheiratete Menschen auf diskrete Weise eine Affäre beginnen können.«

Taras Neugier war geweckt, und sie drehte die Lautstärke auf, um die ganze Geschichte zu hören.

»Joe, die Tatsache, dass diese App überhaupt existiert, ist eine absolute Schande für dieses Land. Als ich das erste Mal davon hörte, wäre ich fast vom Stuhl gefallen. Ich hatte quasi ein Schleudertrauma nur vom Schock, Joe. Und dann auch noch herauszufinden, dass mein Mann Jim hinter meinem Rücken bereits dabei war?«, zeterte Mary.

Tara musste einfach lachen über Marys entsetzten Tonfall. Sie versuchte gar nicht lustig zu sein, aber sie war so aufgebracht, dass es unabsichtlich komisch wirkte.

»Mary, ich lese hier, dass Tausende von Menschen schon Fling heruntergeladen haben. Warum, denken Sie, besteht eine so große Nachfrage nach einer solchen Plattform?«, bot Joe eine unvoreingenommene Perspektive an.

»Also, Joe, das zeigt doch nur, wie sehr Irland vor die Hunde gegangen ist. Zu meiner Zeit hatten wir noch etwas, das man Anstand nennt, aber es scheint, heutzutage sind die Leute absolut schamlos! Ich bin kurz davor, auf die Knie zu gehen und für die Seele dieses Landes zu beten. Nicht zu fassen, dass mein Jim nach dreißig Jahren Ehe mich derart zum Narren hält«, fuhr Mary fort, wobei sie zwischen den Sätzen kaum Luft zu holen schien.

»Wir haben noch einen Anrufer in der Leitung, der gern seine Seite der Geschichte darlegen würde«, unterbrach sie Joe. »Jim, du bist jetzt live bei The Line.«

Tara drehte das Radio noch lauter, gespannt zu hören, wie die Situation eskalieren würde. Sie meinte sogar, die Sendung aus anderen Autos im Stau um sie herum hören zu können. Sie war offenbar nicht die Einzige, die unbedingt wissen wollte, was als Nächstes passierte.

»Mary Muldoon, hier ist dein Ehemann, Jim. Leg sofort das Telefon weg!«, verlangte Jim.

»Jim!«, rief Mary, als sie die Stimme ihres Mannes erkannte. »Du bist derjenige, der auflegen sollte. Hast du mir nicht schon genug Schande bereitet?«

»Du bist es doch, die uns zu einer Lachnummer macht, indem du unsere schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit wäschst! Das halbe Land hört diese Sendung!«, polterte Jim.

Tara war geschockt. Sie fand die Sendung meistens interessant, aber das hier war Unterhaltung der Spitzenklasse.

»Darüber hättest du nachdenken sollen, bevor du dir Fling runtergeladen hast!«, keifte Mary.

»Nun, du hast mir nie gesagt, dass wir mit unserem Ehegelübde gleichzeitig auch ein Keuschheitsgelübde abgelegt haben! Ich könnte genauso gut ein Priester sein! Hätten wir tatsächlich mal Sex, hätte ich die App gar nicht runterladen müssen!«, schrie Jim zurück.

»Ich würde mich lieber begraben lassen, als eine Schlange wie dich jemals wieder anzurühren, Jim Muldoon! Und du erntest, was du säst, denn ich werde dich aus dem Haus werfen, und zwar genau jetzt!«, rief Mary und legte auf.

In Jims Leitung konnte Tara einen Schmerzensschrei hören, gefolgt von einer Tür, die zugeschlagen wurde. Es schien, als wäre Jim tatsächlich rausgeflogen, kurz bevor seine Leitung verstummte.

»Mary? Jim? Offenbar haben wir die Leitung zu Mary und Jim Muldoon verloren. Auf wessen Seite stehen Sie, liebe Hörerinnen und Hörer? Ist ein Seitensprung je gerechtfertigt? Werden die Leute durch diese App dazu gebracht, fremdzugehen? Die Meinungen sind offensichtlich geteilt. Wir sprechen dazu jetzt mit dem Erfinder der App, Richard Mulligan. Herr Mulligan, willkommen in der Sendung«, sagte Joe.

»Vielen Dank, dass ich dabei sein darf, Joe«, erwiderte Richard. Seine Stimme war erstaunlich dunkel, und Tara fragte sich unwillkürlich, wie er im echten Leben aussah.

»Also, Richard, alle Welt redet über Ihre App, Fling, und wie ich höre, hatten Sie damit einen sehr erfolgreichen Start, richtig?«

»Das stimmt genau, Joe. Wir haben soeben die Marke von einer Viertelmillion Downloads geknackt«, erklärte Richard selbstbewusst.

»Zweihundertfünfzigtausend Menschen? Das ist ein beachtlicher Anteil an verheirateten Leuten dieses Landes. Aber ich bin mir sicher, dass sie wissen, wie die öffentliche Meinung darüber auseinandergeht«, spielte Joe den Advokat des Teufels.

»Ja, ich habe Mary und Jim gehört, die vor mir in der Sendung waren. Ich weiß, viele werden sich auf Marys Seite schlagen, genauso wie viele andere Jims Meinung sind, aber wenn zwei Menschen unglücklich sind, kommt es zwangsläufig zur Untreue«, sagte er und klang sehr von sich überzeugt.

»Aber was entgegnen Sie den Leuten, die argumentieren, dass sie den heiligen Bund der Ehe zerstören, indem sie dem Ehebruch begünstigen und sogar noch davon profitieren, dass Beziehungen in die Brüche gehen?«, fragte Joe.

»Nun, Joe, wir haben im vergangenen Jahr eine anonyme Umfrage durchgeführt und Verheiratete gefragt, ob sie sich auf eine Affäre einlassen würden, wenn kein Risiko bestünde, dass sie erwischt werden. Zweiundneunzig Prozent der Befragten gaben an, dass sie durchaus Phantasien über einen Seitensprung hätten, und sechsundachtzig Prozent sagten, sie würden einen haben, wenn sie wüssten, dass er geheim bliebe. Es ist immer eine Sache von Angebot und Nachfrage, Joe. Und mit einer Viertelmillion Downloads ist die Nachfrage auf jeden Fall da«, erklärte Richard, wobei seine Stimme eine ruhige, männliche Sicherheit ausstrahlte.

Tara war geschockt über die hohen Prozentsätze, aber wenn sie ehrlich war, hatte sie sich selbst auch schon ab und zu gefragt, wie es wäre, mit jemand anderem als Colin zu schlafen. Die Statistik milderte ihre Schuldgefühle ein wenig. Es fühlte sich an, als wäre es normal.

»Wenn die Menschen Bedürfnisse und Sehnsüchte haben, die nicht erfüllt werden, kann man ihnen doch nicht vorwerfen, dass sie mehr wollen«, fuhr Richard fort. »So viele fühlen sich gefangen in ihrem Leben und würden diesem gern entfliehen, auch wenn es nur für eine Weile ist. Jeder Mensch trägt den Impuls in sich, etwas Verbotenes zu tun. Nur um zu sehen, ob wir damit durchkommen.«

Spätestens jetzt hatte Richard Taras Aufmerksamkeit. Genau so fühlte sie sich. Es war, als spräche er ihr aus der Seele.

»Fling wird manchmal als Tinder für Verheiratete bezeichnet. Halten Sie das für einen zutreffenden Vergleich?«, wollte Joe wissen.

»Nicht unbedingt, denn das Erlebnis der Benutzer ist ein ganz anderes. Fling ist völlig anonym und damit absolut diskret. Keine Fotos vom Gesicht, keine echten Namen, keine persönlichen E-Mail-Adressen, nichts, was auf die Person zurückgeführt werden kann. Unser Algorithmus findet ein passendes Match, nicht basierend auf Aussehen, sondern darauf, wonach die Personen suchen«, führte Richard aus.

»Aber wie sicher ist es, jemanden online zu treffen, wenn man nicht weiß, wer derjenige wirklich ist?«, fragte Joe besorgt.

»Eine berechtigte Frage, Joe. Eine Regel von Fling lautet, dass ein erstes Treffen niemals an einem privaten Ort stattfinden darf. Wenn sich eine Sache weiterentwickelt und es zu einem persönlichen Treffen kommt, ist es essenziell, sich an einem öffentlichen Ort wie einem Restaurant zu verabreden.«

»Und Sie bringen dann zwei völlig fremde Menschen für die perfekte Affäre zusammen?«

»Ganz genau.«

»Also sind Sie so eine Art böser Amor«, meinte Joe scherzend.

»Das ist eine Art, es zu sehen. Aber wir haben alle nur ein Leben, Joe. Die meisten Menschen geben sich zu schnell mit ihrem Leben zufrieden. Fling ist für die Menschen, die sich lebendig fühlen wollen.«

Tara spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Richard Mulligan wusste jedenfalls, wie er Leute ansprach.

»Ich werde mal ein paar Texte vorlesen, die wir hier gerade reinbekommen, Richard. Paul aus Donegal schreibt: ›Ich bin für #TeamJim. Wenn jemand unglücklich ist, wird er so oder so fremdgehen, macht nicht die App dafür verantwortlich.‹ Maureen aus Meath schreibt: ›Die Regierung sollte eingreifen und diese App verbieten, sie macht Fremdgehen viel zu leicht! #TeamMary.‹ Und Cathy aus Cork meint: ›Jemand sollte diesem Richard-Mulligan-Typ den Schlag ins Gesicht verpassen, den er verdient hat.‹ Irgendwelche Reaktionen darauf, Richard?«

»Ich verstehe, warum die Leute gern der App die Schuld an ihrer unglücklichen Ehe geben würden. Aber die App für den Seitensprung verantwortlich zu machen, ist ein wenig so, als würde man der Sturmhaube die Schuld für den Banküberfall geben«, erwiderte Richard unbeeindruckt.

»Und bereiten Ihnen diese heftigen Reaktionen auf die App irgendwelche Sorgen?«, fragte Joe.

»Absolut nicht. Es ist gut, dass die App so im Gespräch ist. Bisher musste ich nicht einen Cent für Werbung ausgeben. Aber ich garantiere Ihnen, die Leute, die sie am vehementesten verdammen, sind die, die sie am meisten benutzen. Heuchelei ist das Rückgrat der Gesellschaft«, meinte Richard.

»Und hätten Sie denn irgendwelche Schuldgefühle, sollte Ihre App zu einem Anstieg der Scheidungsrate führen?«, fragte Joe.

»Es gibt nur einen einzigen Grund für Scheidung, Joe.«

»Und der wäre?«

»Die Ehe.«

»Richard, wir bedanken uns sehr, dass Sie sich die Zeit genommen haben«, beendete Joe höflich das Gespräch.

»War mir ein Vergnügen«, erwiderte Richard, ehe er auflegte.

»Also, werte Hörerinnen und Hörer, was denken Sie über die neue Fling-App? Würden Sie eine diskrete, anonyme Affäre haben, wenn Sie damit durchkommen würden? Ist es unmoralisch, oder gehört Monogamie womöglich sogar der Vergangenheit an? Teilen Sie Ihre Meinung mit uns, indem Sie entweder zu #TeamMary oder #TeamJim auf unseren Social-Media-Kanälen posten«, forderte Joe zum Ende der Sendung auf.