Just married – Plötzlich verheiratet - J.F. Murray - E-Book

Just married – Plötzlich verheiratet E-Book

J.F. Murray

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Beschreibung

Kate ist die ultimative Planerin – egal, ob es um ihre Traumhochzeit mit dem perfekten Norman oder ihren Junggesellinnenabschied in Las Vegas mit ihren besten Freundinnen geht. Bis sie am ersten Abend in Vegas in einem Club ihrem Ex-Freund, dem DJ Trevor Rush, begegnet. Denn als Kate am nächsten Morgen aufwacht, stellt sie mit Entsetzen fest, dass Trevor und sie letzte Nacht geheiratet haben. Kate setzt alles daran, dass Trevor einer Annullierung zustimmt, aber er stellt eine Bedingung: Sie muss sich vorher von ihm auf drei Dates ausführen lassen. Da ihr die Zeit davonläuft, stimmt sie zähneknirschend zu. Jetzt müssen nur noch ihre Gefühle aufhören, in Trevors Nähe verrückt zu spielen …

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Seitenzahl: 511

Veröffentlichungsjahr: 2025

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J.F. Murray

Just married

Plötzlich verheiratet

 

Aus dem Englischen von Tanja Hamer

 

Über dieses Buch

 

 

Kate ist die ultimative Planerin – egal, ob es um ihre Traumhochzeit mit dem perfekten Norman oder ihren Junggesellinnenabschied in Las Vegas mit ihren besten Freundinnen geht. Bis sie am ersten Abend in Vegas in einem Club ihrem Ex-Freund, dem DJ Trevor Rush, begegnet. Denn als Kate am nächsten Morgen aufwacht, stellt sie mit Entsetzen fest, dass Trevor und sie letzte Nacht geheiratet haben.

Kate setzt alles daran, dass Trevor einer Annullierung zustimmt, aber er stellt eine Bedingung: Sie muss sich vorher von ihm auf drei Dates ausführen lassen. Da ihr die Zeit davonläuft, stimmt sie zähneknirschend zu. Jetzt müssen nur noch ihre Gefühle aufhören, in Trevors Nähe verrückt zu spielen …

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Joseph F. Murray ist in Irland aufgewachsen. Mittlerweile lebt er in Los Angeles und arbeitet als Digital Content Creator. Seine Heimat Irland hat er jedoch nicht vergessen, weswegen sie als Schauplatz immer wieder eine Rolle in seinen Büchern spielt.

 

Tanja Hamer, Jahrgang 1980, hat ihr Anglistikstudium in Mainz absolviert und arbeitet seit 2012 als selbständige Übersetzerin. Sie lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf südlich von München.

Impressum

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »Hitched« bei Macmillan, einem Imprint von Pan Macmillan, London.

© 2024 J.F. Murray

German translation rights arranged through Vicki Satlow Literary Agency.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2025 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main

Redaktion: Lisa Caroline Wolf

Covergestaltung: www.buerosued.de, nach einer Idee von Moesha Parirenyatwa/Pan Macmillan Art Department

Coverabbildung: Anna Broadhurst

ISBN 978-3-10-491994-2

 

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Inhalt

[Widmung]

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreißig

Kapitel Einunddreißig

Danksagung

Für alle Swifties

Kapitel Eins

Der perfekte Plan

Kates Hochzeit würde der schönste Tag ihres Leben werden.

Das wusste sie, seit sie ein kleines Mädchen war. Solange sie sich zurückerinnern konnte, träumte sie davon, und jetzt, in weniger als einer Woche, würde ihr Traum endlich Wirklichkeit werden. Sie konnte sich schon vor sich sehen, glücklich lächelnd in ihrem strahlend weißen Kleid, der Schleier elegant auf ihrem kastanienbraunen Haar drapiert, während ihr Verlobter Norman ihr den Ring an den Finger steckte. Doch auch wenn sie fest daran glaubte, dass Träume wahr werden konnten, wusste Kate, dass es nicht ausreichte, sich die perfekte Hochzeit bloß vorzustellen. Sie musste ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, und alles dafür tun, dass am 4. Juli alles wie am Schnürchen lief.

Kate war eine Planerin.

Sie plante alles bis ins kleinste Detail und lebte förmlich für ihre To-do-Listen, Tabellen, Aufstellungen, Pläne, Notizbücher, Zieltagebücher, Post-it-Zettel – das volle Programm. »Versage bei der Vorbereitung, und du kannst dich darauf vorbereiten zu versagen«, hatte ihre Mutter Margaret ihr von früher Kindheit an eingeimpft. Deshalb war es wenig überraschend, dass Kate zwei Jahre damit verbracht hatte, ihren großen Tag penibel durchzuorganisieren, um sicherzustellen, dass wirklich rein gar nichts schiefgehen konnte. Alles war bis ins kleinste Detail durchdacht, von der Hochzeitszeremonie in der Kirche von Donnybrook bis zum Empfang im Fitzpatrick Castle Hotel.

Ungewöhnlich war allerdings, dass Kate noch einen Schritt weiter ging.

Sie hatte nicht nur die perfekte Hochzeit geplant, sondern auch den perfekten Junggesellinnenabschied mit ihren drei besten Freundinnen, Siobhan, Natalie und Chloe. Natürlich wusste sie, dass das eigentlich Aufgabe der Trauzeugin gewesen wäre, doch sie wollte nichts dem Zufall überlassen. Auf keinen Fall sollte jemand anderes die Verantwortung für diese wichtige Tradition tragen.

Jetzt, nach monatelangen akribischen Vorbereitungen, war es endlich so weit. Voller Vorfreude betrachtete sie den detaillierten Reiseplan für ihren Junggesellinnenabschied, den sie sich ausgedruckt hatte.

Kates Junggesellinnenabschied im fabelhaften Las Vegas, Nevada, stand in Glitzerschrift auf dem Titelblatt.

Ein wenig erinnerte er an den Notizblock eines kleinen Mädchens, doch auf den glitzernden Seiten war der perfekte Mädelstrip skizziert. Mit Zeitplänen und farbigen Markierungen für die Aktivitäten an jedem Tag. Sie hatte die gesamte Reise minutiös geplant.

Und Kate wusste, was sie tat, immerhin war sie von Beruf Veranstaltungsmanagerin. Um genau zu sein, die beste auf ihrem Gebiet. Wenn ein Kunde einen absolut reibungslosen Ablauf wollte, wandte er sich an Kate. Jahrelange Erfahrung hatte sie zu einer Expertin in Sachen Krisenmanagement gemacht, und sie hatte immer einen Plan B in petto, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.

Allerdings ging auch nie etwas schief.

Als sie den Reiseplan in ihre Handtasche steckte, überkam Kate allerdings dieses frustrierende Gefühl, das man oft vor einer Reise hatte. Sie war überzeugt, etwas vergessen zu haben, hatte aber keine Ahnung, was es war. Das machte sie wahnsinnig.

»Was zum Teufel habe ich nur vergessen?«, dachte Kate laut.

»Hmm, mal überlegen …«, sagte Norman, der plötzlich im Türrahmen stand. »Wie wäre es mit deinem gesunden Menschenverstand?«

»Normie, bitte, fang nicht wieder damit an.«

»Ich verstehe nur einfach nicht, warum du für einen Junggesellinnenabschied um die halbe Welt reisen musst. Und das auch noch eine Woche vor der Hochzeit!«

Kate seufzte. Norman war von Anfang an gegen den Junggesellinnenabschied gewesen. Er selbst wollte keinen Junggesellenabschied für sich, weil er angeblich »über solchen Dingen stand«, aber Kate war diese Tradition nun mal wichtig. Norman machte sich die ganze Zeit Sorgen um sie. Sie liebte ihn dafür, aber es bestand kein Grund, die Sache zu dramatisieren.

»Normie, die Mädels und ich haben uns schon ewig geschworen, für den ersten Junggesellinnenabschied in die USA zu fliegen. Und in vielen Ländern ist es üblich, dass die Braut erst am Wochenende vor der Hochzeit ihre Party feiert, teilweise sogar am Vorabend«, erklärte Kate.

»Ich mache mir doch nur Sorgen, dass etwas schiefgehen könnte. Zum Beispiel, dass eine ihren Reisepass verliert und dann irgendwo festsitzt, und dann muss die Hochzeit verschob…«

»Normie«, unterbrach Kate ihn, bevor er vollends in Panik verfallen konnte. »Du kennst mich doch, ich habe jede Minute des Trips bis ins Detail geplant. Du weißt, dass ich viel zu gut organisiert bin, um im Ausland meinen Reisepass zu verlieren.«

»Ich mache mir ja auch keine Sorgen um dich, sondern um die anderen drei. Sie können etwas … nun ja, chaotisch sein«, erwiderte Norman.

»Normie, das sind meine besten Freundinnen, und wir sehen uns sowieso schon viel zu selten. Es ist nicht schön für mich, wenn du so über sie sprichst.«

»Tja, tut mir leid, wenn du das so empfindest, Kate, aber mir gefällt es nun mal nicht, wenn sie dich auf ihr Niveau runterziehen.«

»Inzwischen sind wir alle in den Dreißigern und haben dazugelernt.«

»Versprichst du mir, dass du dich nicht betrinken wirst? Du weißt, wie du dann sein kannst. Das letzte Mal hast du dich an nichts mehr erinnert!«

Da hatte Norman allerdings recht. Kate hatte immer mal wieder Blackouts gehabt. Sie war keine Alkoholikerin oder so – ganz und gar nicht. Sie vertrug nur nichts. Zuletzt war es ihr bei den Irish Dentistry Awards passiert, wo Norman als Kieferchirurg des Jahres nominiert gewesen war. Aus purer Langeweile hatte Kate angefangen zu trinken. Mit dem Ergebnis, dass sie sich an den Rest des Abends nicht mehr erinnern konnte. Offenbar hatte sie auf dem Tisch gestanden und Karaoke gesungen, obwohl es nicht einmal ein offizielles Karaokesingen gegeben hatte. Ihr Verhalten war wohl so peinlich gewesen, dass sie froh war, sich an nichts zu erinnern. Norman hatte sein Leben lang auf eine Auszeichnung wie diese hingearbeitet, und obwohl er an jenem Abend gewonnen hatte, machte er ihr immer wieder ein schlechtes Gewissen, weil sie seinen großen Moment ruiniert hatte.

Genau genommen verpasste er keine Gelegenheit, es ihr unter die Nase zu reiben.

»Gut, dass du dafür sorgst, dass ich es niemals vergessen werde«, seufzte Kate.

»Also, in Vegas vergisst man jedenfalls schnell, wer man ist.«

»Ich weiß, wer ich bin, Norman. Und ich weiß, wer ich sein sollte. Ich verspreche, die zukünftige Mrs. Norman Cox wird sich tadellos benehmen«, entgegnete Kate lächelnd. »Ich komme gleich runter, muss nur noch schnell fertig packen.«

»Okay, okay«, sagte Norman und verließ mit erhobenen Händen das Zimmer.

Kate verspürte ein Gefühl der Erleichterung, als sie wieder allein war. Je näher die Hochzeit rückte, desto öfter empfand sie einen seltsamen Druck in der Brust. Immer wenn Norman bei ihr war, fühlte sie sich, als bekäme sie keine Luft. Sie liebte ihn, aber sie brauchte etwas Raum zum Atmen. Sie hatte auf verschiedenen Hochzeitsforen recherchiert, warum das so war, und offensichtlich kam es nicht selten vor, eine Woche vor der Hochzeit vollkommen überwältigt zu sein. Tausenden Frauen erging es genauso kurz vor ihrem großen Tag.

Es war völlig normal.

Das Einzige, was ihr Sorge bereitete, war, dass sie ihr Ehegelübde noch nicht verfasst hatte. Wirklich jeder andere Aspekt der Hochzeit war perfekt vorbereitet, aber wenn auch immer sie sich hinsetzte, um ihr Gelübde zu schreiben, fiel ihr absolut nichts ein. Würde man einen solchen Text in einer Excel-Tabelle verfassen können, dann wäre es längst erledigt. Doch die Unterpunkte in von Herzen kommende Sätze zu verpacken, damit hatte sie ihre Schwierigkeiten.

Doch das waren sicher nur die Nerven, die vor der Hochzeit blank lagen. Sie musste etwas Dampf ablassen, und dafür war Vegas der perfekte Ort. Es gab nichts Schöneres als die Vorstellung, mit ihren drei besten Freundinnen neue Erinnerungen zu schaffen.

Erinnerungen.

Das war es, was sie vergessen hatte.

Kate hatte den Mädels versprochen, ein paar alte Polaroids mitzubringen, von ihrem Work-and-Travel-Sommer in New York City vor neun Jahren. Das J-1-Visum erlaubte es Studenten, einen Sommer in den USA zu arbeiten, und in Irland war es zu einem festen Bestandteil des Studiums geworden. Die Mädchen hatten in einem Irish Pub namens Scallywag’s am Times Square gejobbt. So hatten sie sich damals kennengelernt. Die vier hatten am selben Tag angefangen zu arbeiten, und die Freundschaft, die daraus entstanden war, hielt bis heute an.

Kate besaß eine Erinnerungskiste von ihrer Work-and-Travel-Zeit, und darin befanden sich unter anderem ein paar urkomische Polaroidfotos aus jenem Sommer. Eines der Spiele, die sie sich für ihren Junggesellinnenabschied überlegt hatte, war das Nachstellen alter Fotos von ihnen zu viert, die sie dann neben das ursprüngliche Foto in ein Büchlein kleben konnten. Solche Dinge liebte Kate. Die gleichen Fotos, nur genau neun Jahre später aufgenommen. Es war wie aus einem Taylor-Swift-Song. Kate war seit dem ersten Tag ein »Swiftie«, und das Album 1989 war der Soundtrack ihres Sommers in New York gewesen, vor allem das erste Lied »Welcome to New York«, das die Stimmung perfekt wiedergab.

Kate ging in ihren begehbaren Kleiderschrank und kramte nach der alten Erinnerungskiste. Nach ein paar Minuten, in denen sie sich durch allerlei Krimskrams wühlen musste, fand sie schließlich die Kiste mit der Aufschrift »Work-and-Travel-Sommer New York«. Als sie den Deckel öffnete, stürzten sofort die Erinnerungen auf sie ein. Das Erste, was sie sah, war ihre alte Arbeitskleidung aus dem Scallywag’s. Sie schnupperte an dem ausgewaschenen T-Shirt und fühlte sich in der Zeit zurückversetzt. Sie konnte immer noch die billigen Hotdogs, den verbrannten Kaffee und den verschütteten Alkohol auf dem Stoff riechen. Unglaublich, dass es neun Jahre her war, seit sie das Shirt getragen hatte. Wo war die Zeit nur geblieben? Es fühlte sich an, als wäre es gerade erst gestern gewesen. Unter dem T-Shirt entdeckte Kate, wonach sie gesucht hatte. Ein Stapel Polaroids von den Mädels und ihr, aufgenommen in jenem legendären Sommer in New York. Sie nahm eines der Fotos heraus und musste unwillkürlich grinsen.

Da waren sie alle: Siobhan, Natalie, Chloe und Kate selbst, an dem Abend, an dem sie sich kennengelernt hatten. Auf dem Polaroid hielten sie alle eine unterschiedliche Geschmacksrichtung des alkoholischen Energydrinks mit Namen Four Loko in der Hand – damals die erste Wahl eines jeden Work-and-Travel-Studenten. Sie war sich sicher, jeder Ire, der je einen Sommer mit J-1-Visum in den USA verbracht hatte, konnte von einer verrückten Erinnerung erzählen, die mit Four Loko zu tun hatte – oder eben nicht mehr. Fast jedes Mal, wenn die Mädels damals richtig gefeiert hatten, waren sie am nächsten Morgen mit einem Blackout aufgewacht. Nichts ging über ihr ausgelassenes Gelächter, wenn sie nach diesen wilden Partynächten versuchten, die Ereignisse zu rekapitulieren. Sie waren von dem Teufelszeug so besessen gewesen, dass ihr missbilligender Chef sie nur noch die »Four Lokos« genannt hatte. Bis zum heutigen Tag hatten sie eine Chatgruppe unter dem Namen.

Auf dem Foto lachten die Mädels ausgelassen. Kate vermisste diese Zeit sehr. Sie war immer ein eher zurückhaltendes Mädchen gewesen, nur nicht in jenem Sommer. Damals hatte sie einfach das getan, worauf sie Lust hatte – etwas verrückt vielleicht, aber im positiven Sinne. Sie war nach New York gegangen, um eine gute Zeit zu haben und keine Langeweile, und sie hatte zu jeder schlechten Idee ja gesagt.

Es war vielleicht das einzige Mal in ihrem Leben, dass sie sich wirklich frei gefühlt hatte.

Sie warf einen letzten Blick auf das Polaroidfoto und legte es dann beiseite. Dieses Foto würden sie ganz bestimmt nicht nachstellen. Mittlerweile waren sie alle in den Dreißigern und hielten sich statt an Four Lokos eher an Vino.

Kate sah die anderen Bilder durch, bis ihr plötzlich der Atem stockte. Da war es. Das eine Foto, das sie eigentlich nie wieder in die Finger hatte bekommen wollen. Ein Foto der Person, die sie nie wiedersehen wollte. Sie betrachtete das Polaroid genauer.

Der Mann, den sie einmal geliebt hatte.

Der Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte.

Ihre erste große Liebe.

Trevor Rush.

Kate hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Sie versuchte so zu tun, als hätte sie das Foto vergessen, dabei wusste sie, dass das eine glatte Lüge war. Sie hatte Trevor Rush nicht vergessen, nicht für einen einzigen Tag in den vergangenen neun Jahren. Sie betrachtete sein glänzendes schwarzes Haar, seine gebräunte Haut, die er seinen italienischen Wurzeln verdankte, und seine braunen Augen, die immer direkt in ihre Seele zu blicken schienen. Auf dem Foto standen sie gemeinsam vor der Freiheitsstatue, an dem Abend, als sie sich voneinander verabschiedet hatten. Auch wenn es damals kein Abschied gewesen war.

Es war ein »Fortsetzung folgt« …

Kate legte das Foto weg und versuchte, die Erinnerungen abzuschütteln, die sie in die Vergangenheit zurückziehen wollten. Aber da fiel ihr Blick auf etwas anderes.

Auf die Atombombe an Emotionen.

Das Medaillon.

Nicht bloß irgendein beliebiger Anhänger. Es war das Medaillon, das Trevor ihr an jenem Abend geschenkt hatte.

Es war herzförmig und golden, mit einem Schlüsselloch in der Mitte. Trevor hatte ihr versprochen, dass er ihr den Schlüssel geben würde, der es öffnete, wenn sie im darauffolgenden Sommer zurückkommen würde. Es war eine romantische Geste, die ihr das Gefühl gegeben hatte, das glücklichste Mädchen auf Erden zu sein. Aber aus Gründen, die zu schmerzhaft waren, um sich daran zu erinnern, war Kate im folgenden Sommer nicht zu ihm zurückgekehrt.

Und das Medaillon blieb verschlossen.

Mithilfe von YouTube-Tutorials hatte sie immer wieder versucht, das Schloss zu knacken, aber es wollte ihr nicht gelingen. Und die Verzierungen darauf waren zu schön, als dass sie es hätte zertrümmern wollen, auch wenn sie kurz über diese Möglichkeit nachgedacht hatte. Kate versuchte, sich zusammenzureißen. Es war gut, dass sie das Medaillon nie geöffnet hatte.

Die Büchse der Pandora. Sie wusste nicht, was sich darin befand, und sie wollte es auch gar nicht wissen.

Trevor Rush hatte ihr in der Vergangenheit schon zu viel Schmerz zugefügt, und Kate freute sich nun auf ihre Zukunft mit Norman. Den Spruch, »um über jemanden hinwegzukommen, muss man unter jemand anderen kommen«, hatte sie noch nie leiden können, und er war auch etwas zu vulgär für ihren Geschmack. Aber sie glaubte daran, dass jemand Neues durchaus dabei helfen konnte, ein gebrochenes Herz zu heilen.

Norman hatte genau das getan.

Ein glücklicher Zufall hatte sie zusammengeführt. Kate war eines Tages mit fürchterlichen Zahnschmerzen aufgewacht, die daher rührten, dass ihre Weisheitszähne hervorbrachen, wie sie später erfuhr. Die Schmerzen waren nicht auszuhalten, so etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. Weil Kate nicht in der Lage war zu fahren, brachte ihre Mutter sie zu einer neuen Zahnklinik, die einem sympathischen – und alleinstehenden – Kieferchirurgen gehörte. Norman sagte sofort alle anderen Termine für sie ab und entfernte ihr alle vier Weisheitszähne auf einmal. Als sie aufwachte, fühlte Kate sich wie neugeboren. Er fragte sie nach ihrer Nummer, und der Rest war Geschichte.

Rückblickend betrachtet hatte ihre Mutter wohl Amor gespielt, aber Norman hatte auch wirklich einen guten ersten Eindruck hinterlassen. Er hatte sie wortwörtlich von ihren Schmerzen befreit. Was konnte man sich als Frau Besseres wünschen? Zugegeben, es war nicht wirklich Liebe auf den ersten Blick gewesen, aber mit der Zeit hatte sie festgestellt, dass Norman alle Punkte auf ihrer Wunschliste für einen Mann erfüllte.

Ambitioniert. Check. Loyal. Check. Intelligent. Check. Ehrlich. Check.

Die Liste war natürlich noch viel umfangreicher, aber er erfüllte den wichtigsten Punkt von allen.

Ein Mann, der ihr niemals weh tun würde. Check.

Norman würde ihr nicht in einer Million Jahren das Herz brechen. Trevor Rush dagegen hatte das schon nach wenigen Monaten geschafft. Er war ein Mann wie ein Hammer – Zerstörung in menschlicher Gestalt. Aber Norman war der Kleber, der sie wieder zusammengefügt hatte.

Kate legte das Medaillon zurück in die Kiste und sammelte die Polaroids von den Mädels und ihr zusammen, die sie mitnehmen wollte. Dann schloss sie den Deckel der Erinnerungskiste und verstaute sie in der hintersten Ecke ihres Schranks.

Trevor Rush war Vergangenheit und Norman Cox die Zukunft.

Sie steckte die Fotos zu dem Reiseplan in die Handtasche und zog ihr Handy hervor, um auf die Uhr zu sehen. Sie war noch gut in der Zeit, natürlich, und ihre Mutter sollte sie in fünf Minuten abholen. Sie hätte zwar ein Taxi vorgezogen, aber Margaret bestand darauf, sie zu fahren, damit sie mit ihr ein paar letzte Details für die Hochzeit besprechen konnte.

Kate öffnete den Gruppenchat, um zu sehen, ob die Mädels sich an den Zeitplan hielten, den sie ihnen geschickt hatte. Verzögerungen konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Kate hatte ihnen sogar eine viel frühere Zeit für den gemeinsamen Treffpunkt genannt, um sicherzugehen, dass sie auch rechtzeitig am Flughafen ankamen.

So etwas gehörte zum kleinen Einmaleins der Partyplanung.

Four Lokos

Kate: Sind alle unterwegs?

Natalie: Yep, im Zug. Hatte 2 Wodka Shots zum Frühstück.

Chloe: Versuche noch, alle meine Koffer in den Kofferraum zu quetschen lol

Siobhan:OMG HAB VERSCHLAFEN

Kate:WAAAAS?

Siobhan: Scherz 😉 Bin schon am Flughafen. Also, schwingt die Hufe, Bitches!

Kate: Bis gleich, alle zusammen 😘

Kate steckte das Handy wieder ein und spürte, wie ihre Vorfreude wuchs. Alles lief nach Plan, so liebte sie das.

»Bist du fertig?«, fragte Norman, als sie mit ihrem Koffer die Treppe runterkam.

»Yep. Mam wird jeden Moment hier sein.«

»Versprichst du mir, dass du mir stündlich eine Nachricht schreibst, damit ich weiß, dass es dir gut geht?«

»Ich gebe mein Bestes, Normie, aber wir haben so viel vor, deswegen kann es sein, dass ich es nicht immer schaffe. Du musst dir keine Sorgen machen. Wie gesagt, alles ist perfekt geplant.«

»Okay, okay. Du weißt, dass ich mir nur deshalb Sorgen mache, weil du mir so viel bedeutest«, verteidigte Norman sich. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, das seine blendend weißen Veneers entblößte. Technisch betrachtet hatte er perfekte Zähne, aber insgeheim fand Kate, dass sie einen Ticken zu weiß waren. »Wenigstens werden wir heute in einer Woche unsere Flitterwochen in Limerick genießen können.«

»Wir könnten immer noch nach Paris …«, versuchte Kate es ein weiteres Mal, obwohl sie schon oft genug darüber diskutiert hatten. »Ein leidenschaftlicher Kuss auf dem Eiffelturm …«

»Du würdest Paris hassen, Kate. Und der Eiffelturm ist eine solche Touristenfalle. Glaub mir, du verpasst absolut gar nichts.«

»Ja … Wahrscheinlich hast du recht.«

»Wo bleibt meine Umarmung?«, fragte Norman und streckte ihr die Arme entgegen.

Sofort fühlte Kate sich wieder erdrückt. Als sich seine Arme um sie legten, versuchte sie sich ins Gedächtnis zu rufen, dass es vielen Frauen kurz vor der Hochzeit so erging.

»Wir sind einfach so perfekt zusammen«, sagte er und drückte sie fest an sich. »Deshalb hasse ich es, nicht bei dir zu sein.«

Kate hörte das Hupen eines Autos vor der Tür.

»Oh, das ist Mam!«, sagte sie hastig, froh, der Umarmung entkommen zu können.

Sie trat hinaus in die Einfahrt und erblickte das Auto ihrer Mutter. Kate wohnte in einer Straße namens Ailesbury Grove in Donnybrook, einer behüteten Vorstadtgegend von Dublin, und sie wusste, dass sie Glück hatte, eine solch bilderbuchhafte Wohngegend ihr Zuhause nennen zu dürfen. Das Haus selbst allerdings gehörte Norman. Er hatte es gekauft, bevor sie sich kennengelernt hatten, und es ohne Kredit abbezahlt, eine Tatsache, mit der er sich gern brüstete. Dabei hatten seine Eltern ihm in Wahrheit den halben Betrag geschenkt.

»Hi, Mam«, sagte Kate, als sie mit dem Rollkoffer auf das Auto zuging.

Margaret streckte den Kopf mit dem hageren Gesicht und dem modernen Kurzhaarschnitt aus dem Autofenster. »Wie geht es meinem zukünftigen Schwiegersohn?«, fragte sie an Norman gerichtet, ohne ihre Tochter auch nur eines Blickes zu würdigen.

»Ganz gut, Margaret«, antwortete Norman. »Nur ein wenig besorgt wegen Kate hier und ihrer Reise.«

»Oh, das verstehe ich – ich bin auch besorgt. Aber sie weiß schon, wie man sich benimmt. Ich habe sie gut erzogen.«

»Solange die drei anderen sie nicht auf Abwege führen …«

»Okay, ich bin so weit«, verkündete Kate, nachdem sie ihr Gepäck im Kofferraum verstaut hatte.

»Na, dann. Versprich mir, dass du nicht zu viel Alkohol trinkst, ja? Und bitte, kein Karaoke. Und …«

Kate gab ihm einen Abschiedskuss auf die Wange, damit er aufhörte zu reden. »Ich komme schon klar, Normie«, sagte sie und stieg ins Auto. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich mehr«, erwiderte Norman lächelnd. »Schön, Sie kurz gesehen zu haben, Mrs. O’Connor.«

»Das nächste Mal, wenn wir uns begegnen, werde ich den Hut tragen«, entgegnete Margaret und strahlte dabei vor Stolz.

 

Auf dem Weg zum Flughafen musste Kate feststellen, dass das erdrückende Gefühl nicht ganz verschwunden war. Margaret plapperte in einer Tour über die letzten Details der Hochzeitsplanung, die noch erledigt werden mussten, aber Kate hörte nur mit halbem Ohr zu und dachte stattdessen die ganze Zeit an das verdammte Foto von Trevor Rush. Sie bereute es, die Erinnerungskiste überhaupt geöffnet zu haben. Auch wenn es jetzt neun Jahre her war, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte, löste er immer noch etwas bei ihr aus.

»… und dann musst du die endgültige Anzahl der Gäste beim Hotel bestätigen … und dann …«, plapperte Margaret neben ihr. »Kate, hörst du mir überhaupt zu?«

»Ja … sorry«, murmelte Kate, die aus ihren Tagträumen gerissen wurde. »Keine Sorge, Mam, ich habe die Planung im Griff. Es ist alles seit Monaten fertig. Kein Grund zur Panik.«

»Aber in der Woche vor der Hochzeit gibt es hundert Sachen zu tun. Und es wäre wesentlich einfacher, diese zu erledigen, wenn du dich nicht in Las Vegas herumtreiben würdest.«

»Mam, Norman hat schon versucht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, das kann ich von dir jetzt nicht auch noch gebrauchen.«

»Meine Güte, da ist aber jemand empfindlich.«

»Ich bin bloß ein bisschen nervös, das ist alles«, erwiderte Kate und versuchte, sich zu entspannen. »Als du Dad geheiratet hast, hast du dich in der Woche davor nicht auch ein wenig überwältigt gefühlt?«

»Ach, um Himmels willen, was hat deine Generation nur immer mit diesem Wort? Dieses Wort sollte man nur benutzen, wenn man überwältigt ist vor Freude. Und du bist nicht nervös, sondern aufgeregt.«

»Vielleicht … Es ist nur so, dass mir aus irgendeinem Grund nichts für mein Ehegelübde einfällt. Und ich …«

»Kate«, unterbrach sie Margaret. »Norman ist ein toller Mann, und er kommt aus gutem Hause. Ehrlich gesagt kannst du froh sein, ihn zu haben. Er ist Arzt und besitzt ein eigenes Haus. Ohne Schulden, wenn ich hinzufügen darf. Wenn du dein Gelöbnis schreibst, stell dir einfach vor, wie angenehm deine Zukunft mit ihm aussehen wird. Du wirst nicht einmal arbeiten müssen – du kannst die ganze Zeit zu Hause bleiben und eure Kinder großziehen.«

»Aber ich will arbeiten, Mam«, widersprach Kate. »Und ich weiß noch nicht einmal, ob ich überhaupt Kinder haben will.«

»Ach, hör schon auf.« Margaret winkte ab. Die Möglichkeit, keine Enkel zu haben, wollte sie offensichtlich gar nicht in Betracht ziehen. »Herrgott, du bist dreißig Jahre alt. Deine Uhr tickt.«

Kate verdrehte die Augen. Ihre Mutter stand nun wirklich nicht für ein feministisches Rollenbild. Obwohl sie in den 1950ern noch nicht einmal gelebt hatte, schienen ihre Ansichten noch aus dieser Zeit zu stammen. Aber sie war nun mal eine soziale Aufsteigerin, und soziale Aufsteiger neigten in der Regel zu traditionellen Ansichten. Norman war eine gute Partie aus einer wohlhabenden Familie, und Margaret schien geradezu besessen von ihm. Sie sprachen oft darüber, was für Kate am besten war, selbst in ihrer Anwesenheit, so als wäre sie gar nicht da.

»Also, ob ich Kinder haben möchte oder nicht, ist ja wohl eine Entscheidung, die ich für mich selbst treffen muss«, erwiderte Kate.

»Denk nicht mal dran, das vor der Hochzeit noch zu Norman zu sagen. Wenn du irgendetwas tust, um die Sache zu gefährden, wird das deinen Vater ins Grab bringen. Er wartet schon sein ganzes Leben darauf, dich zum Altar zu führen. Das willst du ihm doch sicher nicht nehmen, oder? Stell dir vor, am Ende kommt noch sein Krebs zurück.«

Margaret schaffte es ganz und gar nicht, Kates Nervosität zu lindern. Ganz im Gegenteil, sie fühlte sich nun erst recht dem Ersticken nahe. Andererseits, dachte Kate, war das von ihrer Mutter auch nicht anders zu erwarten. Bei ihrem Vater, Tom, war vor einigen Jahren Prostatakrebs diagnostiziert worden. Und obwohl er ihn besiegt hatte, lebte Kate in ständiger Angst davor, dass die Krankheit zurückkehren könnte.

»Okay, okay, sorry, Mam«, seufzte Kate. »Ich bin einfach ein bisschen abgelenkt. Ich wollte ein paar Polaroidfotos von den Mädels mitnehmen und habe die Erinnerungskiste von meinem Sommer in New York geöffnet und … ein Bild von Trevor und mir gesehen.«

»Trevor Rush?«, fragte Margaret in angeekeltem Tonfall. »Der Kerl, der dich so fertiggemacht hat?«

»Ja … es hat mich ein bisschen runtergezogen.«

»Grundgütiger, Leute in deinem Alter brauchen echt Hilfe. Immer zieht euch irgendwas runter. Du heiratest einen Arzt, und plötzlich trauerst du irgendeinem dahergelaufenen DJ hinterher? Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie lächerlich das ist.«

»Ich trauere ihm nicht hinterher – ich hasse ihn immer noch genauso sehr. Die Erinnerung war nur kurz schmerzhaft, das ist alles.«

»Gut«, sagte Margaret, offensichtlich erleichtert. »Denn du kannst von Glück reden, dass Norman dich aus dem Loch, in das Trevor dich gestoßen hatte, wieder herausgezogen hat. Vergiss das nicht.«

Es gab nicht vieles, worin sich Kate und ihre Mutter einig waren, aber Trevor Rush zu hassen war so eine seltene Schnittmenge. Ihre Mutter lag richtig, was ihn anging. Er war ein Schleimbeutel, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Und Kate weigerte sich, die Erinnerung an ihn ihren Junggesellinnenabschied ruinieren zu lassen.

»Tut mir leid, dass ich was gesagt habe, Mam«, meinte Kate. »Ich komme mir blöd vor, dass ich es überhaupt erwähnt habe. Du hast recht. Was ich empfinde, ist Aufregung, nicht Nervosität. Norman ist der perfekte Mann für mich, das weiß ich.«

»Na, also«, lächelte Margaret. »Braves Mädchen.«

Margaret parkte den Wagen vor dem Terminal des Dublin Airports. Kate sprang aus dem Auto und holte schnell ihren Koffer aus dem Kofferraum. »Danke fürs Fahren, Mam«, rief sie ihrer Mutter zu.

»Ich hoffe, du hast eine schöne Zeit – aber, was noch wichtiger ist, ich hoffe, du weißt das Leben zu schätzen, das dich zu Hause erwartet. Der perfekte Ehemann, das perfekte Haus, die perfekte Wohngegend. Du wirst das haben, was sich alle anderen wünschen.«

»Ich weiß, Mam«, sagte Kate und umarmte ihre Mutter zum Abschied. »Bis bald.«

Kate spürte, wie ihr klaustrophobisches Gefühl endlich nachließ, als sie die frische Luft einatmete. Es war an der Zeit, alle seltsamen Gefühle abzuschütteln und sich auf den Junggesellinnenabschied zu konzentrieren.

So lautete der Plan.

Kapitel Zwei

Wiedervereint

Als Kate durch die automatische Drehtür den Dublin Airport betrat, hörte sie Siobhan, Natalie und Chloe bereits von weitem vor Aufregung quietschen.

»AHHHHH!«, kreischten sie in einem hohen Ton, der durch den ganzen Flughafen zu schallen schien.

»Hey, Mädels!«, rief Kate, während sie mit ihrem Rollkoffer auf sie zueilte.

»Na, wenn das nicht die zukünftige Braut ist«, empfing Siobhan sie grinsend.

Siobhan war mit Abstand die Wildeste der Gruppe. Sie stammte aus Derry und besaß ein gewaltiges Selbstvertrauen. Die kurvige Brünette sagte immer geradeheraus das, was sie gerade dachte, und war verrückt nach Sex. Siobhans Anzahl an Sexualpartnern überstieg die der anderen drei bei weitem. Viele Leute hatten sie über die Jahre hinweg immer wieder versucht, als Schlampe hinzustellen, doch an Siobhan prallte alles ab. Scham kam in ihrem Vokabular nicht vor. Kate respektierte ihre hemmungslose Natur. Wenn andere sagten, es sei ihnen egal, was die Leute von ihnen dachten, war das oft gelogen, doch bei Siobhan stimmte es. Sie würde Vegas unsicher machen, das stand fest. Die Männer würden nicht wissen, wie ihnen geschah.

»Seid ihr alten Schachteln bereit für das beste Wochenende eures Lebens?«, fragte Natalie.

Natalie war die jüngste von ihnen, aber nur mit einem knappen Jahr Abstand. Trotzdem liebte sie es, ihnen ihr Alter unter die Nase zu reiben. Sie war ein Millennial genau wie die anderen auch, identifizierte sich aber mit der Generation Z, aufgrund ihres politischen Aktivismus’ und ihrer offenen Bisexualität. Ihr schwarzer Kurzhaarschnitt und ihr hageres Gesicht ließen sie aussehen wie eine Verwandte der Addams Family, und dazu trug sie auch noch ausschließlich Schwarz. Ihr Leben spielte sich fast ausschließlich online ab, was wohl auch daran lag, dass sie noch bei ihren Eltern in den Midlands von Irland wohnte. Trotz der wunderschönen Landschaft, die sie dort umgab, war sie selten im Grünen. Kate schätzte ihre Freundin für ihr außergewöhnliches soziales Bewusstsein und ihre brandaktuellen feministischen Ansichten.

»Mädels, wartet, lasst uns schnell ein Selfie machen«, rief Chloe und zückte ihr Handy.

»Natalie, du schuldest mir fünf Euro«, meinte Siobhan lachend. »Wir haben gewettet, wie lange es dauern würde, bis Chloe ein Foto macht.«

»Ach, kommt schon, wir wollen doch hinterher ein paar Erinnerungen an diese Reise haben. Bitte lächeln!« Chloe grinste und schoss das Foto.

Sie war eindeutig diejenige, der Selbstdarstellung am wichtigsten war. Wenn sie von einem Erlebnis kein Foto machte, war es für sie so, als sei es nie geschehen. Sie war nur knappe ein Meter sechzig groß und würde sich niemals in etwas anderem als Designer-High-Heels mit Zehn-Zentimeter-Absätzen sehen lassen. Sie war eine typische Prinzessin aus dem Süden Dublins. Doch trotz ihres wohlhabenden familiären Hintergrunds gab es einen Traum, den sie sich bisher noch nicht hatte erfüllen können – als Social-Media-Influencerin berühmt zu werden. Sie war vielleicht nicht die hellste Kerze auf der Torte, wie Siobhan es ausgedrückt hätte, aber Kate fand das irgendwie sympathisch., besonders wenn Chloe mal wieder unfreiwillig komisch war. Außerdem machte sie es mit ihrer Menschenkenntnis wieder wett – anderen sah sie ihre Gefühle an, manchmal noch bevor diese sie selbst bemerkten. Chloe hatte wippendes blondes Haar, verdächtig volle Lippen, und ihr Solarium-Teint hatte einen leichten Stich ins Orange. Viele Männer hatten sie schon als Tussi bezeichnet, aber für sie bedeutete dieses Etikett nicht zwangsläufig etwas Negatives. Sie fand Bestärkung in der kompromisslosen Zurschaustellung ihrer Weiblichkeit, ganz wie Elle Woods in Natürlich blond. Gerade war sie umgeben von drei Louis-Vuitton-Koffern, was selbst für sie etwas übertrieben war.

»Komm schon, Chloe«, sagte Kate lachend. »Drei Designerkoffer für zwei Übernachtungen?«

»Überrascht dich das wirklich?«, meinte Natalie. »Selbst ihr emotionaler Ballast ist in Louis Vuitton verpackt.«

»Ich kann es nicht glauben, dass der Tag endlich gekommen ist«, seufzte Siobhan. »Die Four Lokos machen sich wieder auf den Weg in die USA!«

Kate war voller Vorfreude. Sie hatte diese Mädels so gern, und sie sahen sich sowieso schon viel zu selten. Es schien immer schwerer zu werden, Freundschaften aufrechtzuerhalten, je älter man wurde. Dieser Mädelstrip war lange überfällig.

Ein unfreiwilliger Zeuge ihrer Gespräche würde vermutlich denken, sie könnten sich nicht ausstehen. Dabei war genau das Gegenteil der Fall. Sie zogen sich zwar immer wieder gegenseitig auf, doch auf liebevolle Art und Weise. Das machte ihre Freundschaft aus. Klar, auf Instagram kommentierten sie zuverlässig die Posts der anderen mit dem üblichen »Wunderschön«, »Queen« und »Zauberhaft«. Doch im echten Leben liebten sie es, sich gegenseitig zu ärgern.

Genau genommen hatten die vier kaum etwas gemeinsam, doch Kate hatte einmal gelesen, dass Freundschaften tatsächlich gar nicht so sehr auf ähnlichen Charaktereigenschaften beruhten, sondern eher auf gemeinsamen Erlebnissen. Sie hatten bereits so viele Erinnerungen geschaffen, dass ihre so extrem unterschiedlichen Persönlichkeiten mittlerweile perfekt harmonierten. Und die großartigste Erinnerung von allen war der Sommer, den sie gemeinsam in New York City verbracht hatten.

Kate war allein zu ihrem Work-and-Travel aufgebrochen, nachdem alle ihre Freundinnen vom Trinity College in der letzten Minute abgesprungen waren. Ein Sommer in den USA war eine Erfahrung, die Kate nicht verpassen wollte, also stieg sie ohne Begleitung ins Flugzeug nach New York. Manche sagten ihr, sie sei verrückt. Margaret ging sogar so weit zu behaupten, sie würde »Ärger heraufbeschwören«. Doch Kate wollte diese Erfahrung unbedingt machen. Und am Ende stellte es sich als die beste Entscheidung heraus, die sie je getroffen hatte.

Sie blieb auch gar nicht lange allein.

Kate, Siobhan, Natalie und Chloe fingen alle am selben Tag im Scallywag’s an. Keine von ihnen kannte eine der anderen vorher, aber sie kamen alle aus Irland, also dauerte es nicht lange, bis sie miteinander warm wurden. Ihr Chef hatte sie ins kalte Wasser geworfen, trotz der Tatsache, dass sie alle keinerlei Erfahrung als Kellnerin mitbrachten. Und genau das schweißte sie zusammen – zumindest hatte Kate es so erlebt. Es war ein regelrechtes Wunder, dass das Scallywag’s den Abend halbwegs unbeschadet überstand, bei all dem Chaos, das sie anrichteten. Bestellungen wurden vertauscht, Essen kam zu spät, Getränke wurden verschüttet, und es gab jede Menge Beschwerden. Ohne ihren irischen Charme und die Personalknappheit wären sie vermutlich alle direkt wieder gefeuert worden.

Als die Mädels in jener Nacht ihre erste Schicht beendet hatten, beschlossen sie, dass es nur einen Weg gab, sich von einem solch katastrophalen ersten Arbeitstag zu erholen, und zwar, sich gnadenlos zu betrinken. Sie fingen an, von Bar zu Bar zu ziehen, wobei sie sich besser und besser kennenlernten. Und auch wenn sie unglaublich unterschiedliche Menschen waren, stellten sie fest, dass es eine Sache gab, die sie alle verband.

Sie waren alle »Swifties«.

Als die Bars schlossen, wanderten sie durch die Straßen von New York und sangen aus vollem Halse die Songs von Taylors Album 1989. An einem geöffneten Kiosk kaufte Siobhan ihnen allen eine Dose Four Loko. Kate hatte vorher noch nie etwas von dem Getränk gehört, doch nach einem Schluck fühlte sie sich wie ausgewechselt und voller Tatendrang. Sie schlichen sich in den eigentlich geschlossenen Central Park, und als sie gemeinsam die Sonne aufgehen sahen, wusste Kate, dass ihre Freundschaft für immer halten würde. Sie beschlossen, gemeinsam eine Wohnung in Brooklyn zu mieten, und das markierte den Beginn eines legendären Sommers.

Die Four Lokos waren geboren.

Es war das erste Mal für Kate, dass sie sich wirklich als Teil einer Gruppe fühlte. Kate hatte natürlich auch andere Freundinnen, aber mit denen hatte sie schon fast zu viel gemeinsam und im Vergleich erschienen sie ihr geradezu langweilig. Sie führten immer die gleichen Gespräche über die gleichen Themen. Siobhan, Natalie und Chloe würden ihre Brautjungfern werden – das stand schon lange fest.

Und jetzt, neun Jahre später, war es endlich so weit.

»Mädels, könnt ihr es glauben, dass wir seit unserem Sommer damals nie wieder zusammen in den USA waren?«, fragte Siobhan.

»Ich kann es, ehrlich gesagt, nicht glauben, dass es schon neun Jahre her ist«, entgegnete Natalie.

»Hört auf, ich fühle mich sowieso schon alt«, meinte Kate lachend. »Aber das erinnert mich daran, dass ich unsere alten Polaroidfotos von damals mitgebracht habe. Uuund ich habe eine Polaroidkamera dabei, damit wir neue Fotos machen können!«

»O mein Gott, das ist die beste Idee, die du je hattest!«, quietschte Chloe, die sich vermutlich schon die perfekte Caption für Instagram ausdachte.

»Okay, lasst uns mal einchecken«, schlug Kate vor und nahm ihren Koffer.

»Wartet, wartet, eins nach dem anderen. Wir müssen doch angemessen gekleidet sein!«, sagte Siobhan und öffnete ihre Tasche. Sie zog vier pinke Schärpen heraus und reichte jeder eine.

Auf Kates stand »I LOVE DR. COX«, und sie lachte laut auf. »Siobhan, du hast für jeden eine eigene Schärpe bedrucken lassen?«

»Na klar«, antwortete Siobhan. »Natalie, das ist deine.«

Auf Natalies stand »ALL BI MYSELF«, und sie war alles andere als begeistert. »O Mann, meine ist nur eine Beleidigung!«, stöhnte sie.

»Nein, ist sie gar nicht! Das ist die perfekte Art und Weise, um zu zeigen, dass du an beiden Ufern fischst, aber auch, dass du furchtbar einsam bist«, erklärte Siobhan.

»Toll, danke«, sagte Natalie mit sarkastischem Grinsen.

Auf Chloes Schärpe stand »SELFIE ADDICT«, was sie schlecht abstreiten konnte. »Oh, ich finde meine super!«, freute sie sich. Wie nicht anders zu erwarten, zückte sie ihr Handy und machte ein Foto davon.

Siobhan legte ihre eigene um – darauf stand »MAID OF DISHONOUR«, und sie trug sie mit Stolz.

»Ein passender Titel«, sagte Kate lachend.

»Ach, Mädels, es ist so schön, dass wir alle wieder zusammen sind«, meinte Chloe lächelnd.

»Ich weiß. Ihr habt mir mehr gefehlt als Männern der gesunde Menschenverstand«, scherzte Natalie.

»Ich kann es kaum erwarten, alle Neuigkeiten von euch zu erfahren!«, freute sich Kate. Sie war die Mama der Truppe, und diejenige, die immer über die Geschehnisse im Leben der anderen Bescheid wusste. Wenn eine der Mädels ein Problem hatte, rief sie Kate an. Doch die Hochzeitsplanung hatte sie so in Beschlag genommen, dass sie seit Ewigkeiten keinen neuen Tratsch mehr von ihren Freundinnen gehört hatte.

Doch das würde sich jetzt ändern.

Sie hatte einen Junggesellinnenabschied geplant, den sie nie vergessen würden.

»Eine letzte Sache noch, zukünftige Mrs. Cox. Ihre Tiara«, sagte Siobhan. Sie holte eine Tiara aus der Tasche, die mit kleinen Penissen dekoriert war und auf der »Wife of the Party« stand. Sie setzte sie Kate auf den Kopf. »Lasst das Wochenende der Ausschweifungen beginnen.«

Kapitel Drei

Vorglühen

Nachdem sie ihre Koffer aufgegeben hatten und Siobhan den Mann von der Sicherheitskontrolle vergeblich angefleht hatte, sie einer Leibesvisitation zu unterziehen, gingen die Mädels schließlich in Richtung Gate.

»Unfassbar, dass die nicht meine Körperöffnungen abgesucht haben, ich könnte da alles Mögliche versteckt haben«, beschwerte sich Siobhan enttäuscht.

»Platz genug ist da sicher«, scherzte Natalie.

»Vielleicht sollte ich zurückgehen und noch mal durch den Scanner laufen.«

»Denk nicht mal dran«, ermahnte Kate sie lachend.

»Na schön«, seufzte Siobhan. »Hat noch jemand Lust auf McDonalds, bevor wir an Bord gehen?«

»Bist du wahnsinnig?« Chloe sah sie entsetzt an. »Ich esse doch kein Fastfood vor einem Urlaub. Das würde mich total aufblähen!«

»Die Kalorien in einem Flughafen-McDonalds zählen nicht, das weiß doch jeder.«

»Mädels, wir haben nur noch eine halbe Stunde bis zum Boarding, und laut meines Reiseplans stehen jetzt Cocktails auf dem Programm«, warf Kate ein.

»Gute Idee. Sowieso besser, auf leeren Magen zu trinken«, stimmte Siobhan zu.

Die vier steuerten zielsicher auf die nächste Bar zu und zogen mit den Schärpen etliche Blicke auf sich, was allerdings auch daran liegen konnte, dass Siobhan jedem Mann hinterherpfiff, an dem sie vorbeikam.

»Warum sind bloß alle Männer in Flughäfen solche Hotties?«, fragte Siobhan.

»Dafür gibt es tatsächlich eine wissenschaftliche Erklärung«, sagte Natalie. »Weil man weiß, dass man sie wahrscheinlich niemals wiedersehen wird, erscheinen sie einem begehrenswerter. Hat was mit Angebot und Nachfrage zu tun. Sie könnten alle der eine sein, den man sonst verpasst hätte.«

»Du hast ja recht, es gibt nichts Heißeres als einen Mann, den man nie wiedersehen wird«, stimmte Siobhan zu und beäugte die Männer um sie herum.

»Himmel, du bist wirklich wie ein wildes Tier.« Kate lachte auf.

»Tja, nicht alle von uns sind kastriert worden, wie du, zukünftige Mrs. Cox«, erwiderte Siobhan. »Es wundert mich immer noch, dass Norman dich fürs Wochenende von der Leine gelassen hat.«

»Er weiß, dass ich bei meinen Brautjungfern in guten Händen bin.«

»Ach, das ist doch glatt gelogen.« Natalie grinste. »Norman hasst uns.«

»Tut er gar nicht!«, widersprach Kate entsetzt.

»Er hat mich als sexuellen Maniac bezeichnet«, meinte Siobhan.

»Tja, wo er recht hat«, warf Chloe grinsend ein.

»Er macht sich bloß Sorgen, das ist alles«, erklärte Kate. »Er findet, wir treiben es etwas zu weit, wenn wir getrunken haben.«

»Um ehrlich zu sein, treiben wir es immer etwas zu weit«, sagte Natalie lachend.

»Aber wir sehen uns nur noch so selten. Immer heißt es ›Norman will auf der Couch kuscheln‹ oder ›Norman will eine neue Serie schauen‹«, sagte Siobhan und imitierte dabei Kates hohe Stimme.

»Also, erstens ist das eine furchtbare Imitation von mir«, sagte Kate. »Und zweitens ist es für Norman völlig okay, dass ich mit meinen Mädels wegfahre. Ich habe ihm versprochen, ihm stündlich eine Nachricht zu schreiben, damit er …«

»STÜNDLICH?«, wiederholte Natalie geschockt.

»Nun, ich schaffe es sicherlich nicht jede Stunde. Wie auch immer, er sieht sowieso immer, wo ich gerade bin.«

»Er hat dir einen Chip verpasst?«

»Natürlich nicht!« Kate winkte lachend ab. »Er kann den Standort meines Handys live verfolgen.«

Siobhan, Natalie und Chloe warfen sich vielsagende Blicke zu.

»Seht mal, Mädels! Da ist die Bar!« Kate zeigte auf den Eingang einer kleinen Flughafenkneipe.

Die Freundinnen setzten sich an die Theke und bestellten eine Runde Cocktails. Nachdem der Barkeeper ihnen vier Espresso Martinis gemixt hatte, prosteten sie sich zu, auf das Wochenende, das sicherlich eines der besten ihres Lebens werden würde.

»Prost, Mädels!«, sagte Kate, als sie ihre Gläser aneinanderklirren ließen.

»Prost!«, riefen die anderen unisono, genauso voller Vorfreude wie die zukünftige Braut.

Gleich nach dem ersten Schluck griff Kate in ihre Handtasche und zog den Reiseplan für den Junggesellinnenabschied hervor.

»Hier ist er, Mädels – der perfekte Plan für den perfekten Junggesellinnenabschied«, sagte sie mit glänzenden Augen.

»Die unheilige Bibel«, sagte Siobhan lachend. »Aber ich bin immer noch sauer, dass du mich nichts hast planen lassen.«

»Siobhan, hast du wirklich geglaubt, du könntest Kate überreden, das hier aus der Hand zu geben?«, fragte Natalie. »Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie sie ihre eigene Überraschungsparty geplant hat?«

»Was wäre denn die Alternative gewesen? Sonst hätte ich an meiner eigenen Geburtstagsfeier womöglich noch grauenhaft ausgesehen. Und fürs Protokoll: Auf den Fotos wirke ich sehr überrascht«, erwiderte Kate.

»Wahrscheinlich hat sie auch ihre eigene Beerdigung schon geplant«, meinte Chloe lachend.

»Habe ich nicht! Aber ich will Lavendel auf meinem Sarg. Und jemand sollte Psalm 23 lesen. Und außerdem …«

»Himmel, du übertreibst es echt.« Siobhan lachte.

»Aber meine Beerdigung hat noch siebzig Jahre Zeit, klopf auf Holz«, sagte Kate. Sie klopfte schnell auf die Holztheke der Bar, um sicherzugehen. Sie war unglaublich abergläubisch und überließ ungern etwas dem Schicksal. Vorsicht war die Mutter der Porzellankiste. »Macht euch nur lustig, Mädels. Aber nachdem wir das beste Wochenende unseres Lebens verbracht haben, werdet ihr mir noch dankbar sein. Ich habe jede Minute perfekt verplant.«

»Aber was, wenn wir auf irgendetwas Lust haben und was anderes machen wollen?«, fragte Natalie.

»Spontane Sachen sind auch geplant, keine Sorge.«

»Organisierter Spaß. Den habe ich am liebsten«, meinte Siobhan sarkastisch, während sie an ihrem Martini nippte.

»Ich hoffe, wir haben trotzdem noch genug Zeit für Fotos«, sagte Chloe. »Wir müssen ein Wandgemälde mit Engelsflügeln finden und …«

»O nein, wir werden nicht an jeder Sehenswürdigkeit eine Stunde stehen bleiben, nur damit du das perfekte Foto schießen kannst. Ich will, dass die Fotos so schlecht sind, dass wir sie unmöglich posten können. Ich werde in diesem Urlaub hässlich sein«, verkündete Siobhan.

»Und du bearbeitest deine Fotos ohnehin bis zur Unkenntlichkeit, Chloe, dann müssen sie doch eigentlich gar nicht so gut sein«, meinte Natalie feixend.

»Ich bearbeite meine Fotos nie!«, verteidigte sich Chloe beleidigt.

»Ach, ich bitte dich, du retuschierst dich doch immer zu Tode. Und du wirst ständig oranger mit diesem künstlichen Teint.«

»Das soll so sein! Das kommt von dieser neuen Marke, die ich ausprobiere.«

»Wie heißt die Marke? Orange-Utan?«

»Haha, sehr lustig«, sagte Chloe sarkastisch. »Es ist ein sich entwickelnder Teint von Bronze Beauty. Er wird dunkler und dunkler, und dann duscht man ihn nach sechzehn Stunden ab. Heute Abend wird meine Haut golden sein, während ihr nur grün werdet vor Neid.«

»Ganz bestimmt«, sagte Siobhan augenzwinkernd. »Also, Kate, ich weiß, dass du alles organisierst, aber ich habe es dennoch gewagt, uns eine Spotify-Playlist für den Junggesellinnenabschied zu erstellen. Ist das für die Braut akzeptabel?«

»Na klar. Lass mal sehen!«, forderte Kate sie begeistert auf. Es war wahrscheinlich das Einzige, woran sie nicht gedacht hatte, und sie freute sich, dass Siobhan sich darum gekümmert hatte.

»Okay, hier ist sie.« Siobhan zeigte ihnen ihr Handy. »Also, natürlich habe ich jede Menge Songs von Miss Swift. Taylors Versionen, natürlich. Außerdem habe ich Musik von Beyoncé. Shania Twain, selbstverständlich. Und meine persönliche Lieblingskünstlerin … Kate O’Connor.«

Kate hatte plötzlich das Gefühl, als hätte man ihr einen Schlag in die Magengrube verpasst.

Wieso musste Siobhan jetzt ausgerechnet Kates gescheiterte Musikkarriere erwähnen? Sie hatte auf dem Trinity College Musik studiert, in der Hoffnung, eines Tages als Singer-Songwriter durchzustarten. Margaret war natürlich dagegen gewesen, weil sie meinte, Musik wäre kein »richtiges Studium«, und dass sie lieber Medizin hätte wählen sollen, vor allem in Anbetracht ihrer hervorragenden Schulnoten. Aber Kate hatte einen Traum, den sie verwirklichen wollte. Sie machte ihren Abschluss, und nach dem College war sie bereit, ihre Karriere als Musikerin zu starten.

Doch sie veröffentlichte nur eine einzige Single.

»Your Scar« von Kate O’Connor.

Geschrieben über ebenjenen Trevor Rush. Es war ein Song über Liebeskummer, und sie hatte gehofft, er würde ihr dabei helfen, ihr gebrochenes Herz zu heilen. Trevor und sie hatten in jenem Sommer davon geträumt, gemeinsam Musik zu machen, aber sie wollte sich beweisen, dass sie es auch allein schaffen konnte. Manche Frauen legten sich nach einer Trennung einen Revenge Body zu, Kate wollte einen Revenge Song. Der Song handelte an sich nicht von Rache, diese hatte in seinem Erfolg liegen sollen. Sie glaubte nicht an Verbitterung. Sie glaubte an Verbesserung. Sie dachte, sie könnte ihr gebrochenes Herz in Kunst verwandeln und so am Ende gegenüber Trevor Rush triumphieren. Sie war sich sicher, dass sie das Karma auf ihrer Seite hatte. Sie hatte alles geplant, genau wie es von ihr zu erwarten gewesen wäre.

Doch der Song war ein totaler Flop.

Nicht mal tausend Aufrufe.

Ihr Versuch, das Loch in ihrem Herzen zu flicken, hatte es nur schlimmer gemacht. Und jedes Mal, wenn jemand den Song erwähnte, wurde sie daran erinnert, was für ein peinlicher Misserfolg er gewesen war. Und was für eine peinliche Versagerin sie war. Unabsichtlich hatte sie ihrer Mutter eine Bestätigung geliefert. Und dann war da noch der Hass-Kommentar, den irgendein Troll unter dem YouTube-Video ihres Liedes hinterlassen hatte:

Noch so eine verblendete Nachahmerin, die es zu nichts bringen wird.

Obwohl Kate wusste, dass hinter dem Hasskommentar irgendein sexuell frustrierter Nerd mit fettigen Haaren steckte, trafen sie die Worte hart. Und es war der Sargnagel für Kates Musikkarriere gewesen. Sie versuchte sich einzureden, dass selbst Taylor Swift negative Kommentare erhielt, aber Kates Selbstvertrauen konnte so eine öffentliche Kritik nicht wegstecken. So sehr sie es sich anders wünschte, sie war einfach nicht stark genug.

Versunken in Liebeskummer und entmutigt von ihren zerstörten Musikerträumen, war es ein Wunder, dass sie überhaupt so jemanden wie Norman gefunden hatte. Er gab ihr ein gutes Gefühl, als sie gerade am Tiefpunkt angekommen war. Er hatte sie aus dem Loch geholt, wie Margaret es ausgedrückt hatte. Er hatte sie ermutigt, sich um einen Job als Veranstaltungsmanagerin zu bewerben, wo sie mit ihrem Planungstalent punkten konnte. Sein Rat war genau das, was sie gebraucht hatte, und sie hatte die Stelle bekommen. Er hatte sie vor einem Leben voller Zurückweisung und Verzweiflung gerettet, und sie hatte nicht vor, sich wieder von diesen negativen Gefühlen einholen zu lassen, die sie vor langer Zeit hinter sich gelassen hatte.

»Mädels, wir hören auf dieser Reise auf keinen Fall meinen Song!«, sagte Kate bestimmt.

»Was? Wieso nicht?«, fragte Siobhan. »Der ist klasse!«

»Ja, das ist eines meiner Lieblingslieder«, stimmt Natalie zu.

»For years now, we’ve been apart but babe you left your mark«, sang Siobhan.

»Siobhan, bitte nicht!«, flehte Kate peinlich berührt.

»Time healed my broken heart but I’ll always have your scar!«, grölten Siobhan, Chloe und Natalie aus vollem Halse.

»Bitte, Mädels, ich zucke jedes Mal zusammen, wenn ich es höre!«, sagte Kate, die sich inzwischen furchtbar schämte. »Nimm es sofort von der Playlist.«

»Na schön. Tut mir leid, dass wir unsere Freundin für talentiert halten«, sagte Siobhan und löschte den Song aus der Liste.

»Wenn ich wirklich talentiert wäre, wäre der Song nicht gefloppt.«

»Hätte Taylor nur einen Song veröffentlich, hätte es 1989 niemals gegeben. Ich sag ja nur«, meinte Chloe achselzuckend.

Kate wollte unbedingt das Thema wechseln. Glücklicherweise hatte sie noch ein Ass im Ärmel. »Ach, Mädels, ich wollte euch doch noch die Polaroids zeigen! Ihr werdet euch totlachen«, sagte sie und zog die Fotos aus der Tasche.

»O mein Gott«, schrie Siobhan, als sie die Bilder erblickte. »Seht euch mal an, was für Babys wir damals waren.«

»Seht nur, wie dünn ich war!«, stellte Chloe fest.

»Und das ganz ohne Photoshop«, feixte Natalie.

Siobhan nahm das Foto zur Hand, das die Mädels am ersten Abend beim Trinken zeigte. Kate hatte gedacht, sie hätte dieses Bild in der Kiste zurückgelassen, aber offenbar hatte sie es aus Versehen doch mitgenommen.

»Okay, also das ist ein Foto, das wir nachstellen müssen!«, befand Siobhan.

»Auf gar keinen Fall«, widersprach Kate. »Wir werden definitiv nicht Four Loko trinken!«

»Kate, das ist doch unser Drink! Der Grund, warum uns die Amerikaner die Four Lokos genannt haben!«

»Wir sind aber nicht mehr einundzwanzig. Wenn wir das getrunken hatten, konnten wir uns danach an nichts erinnern, und an dieses Wochenende möchte ich mich gern erinnern, und zwar an jeden einzelnen Moment.«

»Sich an einen Junggesellinnenabschied erinnern zu können ist aber ein Armutszeugnis für die Party.«

»Nein, Kate hat recht«, meinte Natalie. »Ich glaube, mir würde schlecht werden, wenn ich das jetzt trinke.«

»Ja, und außerdem hat das bestimmt superviele Kalorien«, fügte Chloe hinzu.

»Ach, ihr seid doch ein Haufen Langweiler«, schmollte Siobhan.

»Ich kann es nicht glauben, wie sehr wir uns verändert haben«, stellte Kate mit Blick auf die Polaroids fest.

»Du vielleicht, zukünftige Mrs. Norman Cox«, meinte Siobhan mit gespielt vornehmen Akzent und abgespreiztem kleinen Finger.

»Was willst du damit sagen?«

»Ach, ich weiß auch nicht. Ich schätze, Norman ist derjenige, der nicht will, dass du Four Loko trinkst.«

»So ein Quatsch. Er will einfach nicht, dass ich mich lächerlich mache«, sagte Kate abwinkend.

»Oder er will nicht, dass seine zukünftige Braut sich daran erinnert, dass sie in Wahrheit eine Partymaus ist«, neckte Natalie sie.

»Ich bin keine Partymaus!«

»Ach, bitte!«, meinte Chloe augenrollend. »In jenem Sommer warst du die Verrückteste von uns allen! Wir sind nur gefolgt – du warst die Anführerin.«

»Meinst du das ernst?«, fragte Kate geschockt. »So habe ich das gar nicht in Erinnerung!«

»Weißt du nicht mehr, wie es zu diesem Foto im Central Park gekommen ist? Du hast einem Obdachlosen erzählt, dass du ihm deine Titten zeigst, wenn er ein Foto von uns macht!«, plapperte Natalie los.

»Hab ich gar nicht! Oder doch? Bist du dir sicher, dass das nicht Siobhan war?«

»Nö, das warst nur du.«

»Das Beste war, als wir alle verkatert bei der Arbeit aufkreuzen mussten und Kate sich immer wieder hinter die Bar geschlichen hat, um uns Tequila-Shots zu holen, damit wir wach bleiben.« Chloe lachte.

»Und dann hat sie der Frau, die sich über unseren Service beschwert hat, auf die Jacke gekotzt!« Siobhan brüllte vor Lachen und klatschte mit der Handfläche auf die Theke.

»Mein Gott, ich war wirklich furchtbar damals!«, stellte Kate fest und errötete.

»Quatsch, du warst großartig!«, widersprach Natalie. »Du hast den Sommer zu dem gemacht, was er war. Du bist der Grund dafür, dass wir alle befreundet sind!«

»Ja, und wir wollen diese Kate dabeihaben. Nicht die zukünftige Mrs. Norman Cox«, verlangte Siobhan. »Norman hat dich verändert. Du bist zu einem Menschen geworden, der es immer allen recht machen will. Wir wollen ein letztes Wochenende mit der echten Kate O’Connor!«

»Nun, sonst höre ich immer, dass Norman mich zum Besseren verändert hat«, erwiderte Kate entsetzt.

»Seht ihr, so was macht eine Beziehung aus einer Frau. Sie ist jetzt gezähmt. Sollte ich jemals auf die Idee kommen zu heiraten, erschießt mich bitte.«

»Es wird der Zeitpunkt kommen, wenn das einzige Wort, das du hören willst, Hochzeit ist.«

»Hochzeit ist kein Wort, es ist ein Satz«, widersprach Siobhan. »Ein Mann für den Rest meines Lebens? Ich kann mich noch nicht mal auf einen Vibrator festlegen!«

Kate lachte über Siobhans Offenheit. »Das sagst du jetzt, aber jeder wird irgendwann erwachsen.«

»Ich nicht«, widersprach Siobhan beharrlich. »Ich kann mit Stolz behaupten, dass ich damals eine fette Kuh war, und das bin ich jetzt immer noch.«

»Sag doch nicht fett«, meinte Natalie. »Das heißt curvy.«

»Willst du mir allen Ernstes vorschreiben, wie ich mich selbst zu bezeichnen habe, wo du selbst eine Size-Zero-Frau bist? Ich war schon fett, bevor diese ganze ›Body Positivity‹ aufgekommen ist. Ich kannte Burger King schon, als er noch ein Prinz war!«

Die Freundinnen brachen in Gelächter aus. »Okay, Punkt für dich«, gab Natalie nach.

»Nennt das Kind ruhig beim Namen. Ihr seid ja auch meine Bitches, weil ich euch liebe.«

»Wie nett von dir«, erwiderte Natalie mit ironischem Unterton.

»Tja, ich war lieb genug, dir diese Bi-Schärpe machen zu lassen, oder nicht?«, meinte Siobhan.

»Na, ja … ehrlich gesagt, ist es nicht mehr ganz korrekt. Ich bin nicht mehr bisexuell.«

»War es nur ›eine Phase‹?«, fragte Chloe grinsend.

»Eigentlich …«, Natalie warf Chloe einen Blick zu, »… bin ich pansexuell.«

»Was ist denn der Unterschied?«, wollte Kate wissen. Sie war nicht gerade auf dem aktuellen Stand, was solche Dinge anging, lernte aber immer gern dazu.

»Also, für mich ist das Geschlecht einer Person nicht wichtig. Es geht mir nur um den Charakter.«

»Aber wie hat man Sex mit einem Charakter?«, fragte Siobhan verwirrt.

»Äh, indem man eine Verbindung auf einer tieferen, emotionalen Ebene aufbaut?«

»Ich bin raus.«

»Moment mal, warum ist denn dann kein P in LGBT?«, fragte Chloe arglos.

»Das ist bei LGBTQ+ mit dabei.«

»LGBTQ+? Ist das wie eine Premium-Mitgliedschaft oder so?«

»Ja, für 9,99 Euro im Monat, und das sogar ohne Werbung«, sagte Natalie, wobei der Sarkasmus an der armen Chloe vorbeiging.

»Also, ich glaube eh nicht an solche Labels«, meinte Chloe.

»Du trägst ein Kleid von Prada.«

»An solche Labels glaube ich natürlich. Aber ich finde, die Leute sollten lieben dürfen, wen sie wollen.«

»Das ist doch genau das, was ich gerade gesagt habe.« Natalie schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn.

»Moment mal, Natalie, wann hattest du eigentlich das letzte Mal Sex?«, wollte Siobhan wissen.

»Nicht seit meinem Ex, Mark«, gestand Natalie. »Und das ist gut ein Jahr her.«

»Mann, da unten muss schon alles voller Spinnweben sein!«, meinte Chloe mit schockiertem Gesichtsausdruck.

»Ja, aber das würde ja zu meinem Stil passen, ich stehe auf spooky-chic.«

»Ach, komm schon, Thursday Addams«, meinte Siobhan. »Spooky-chic gibt es nicht. Es ist eine Vagina, kein Geisterhaus.«

»Warte mal«, warf Kate ein, »hast du nicht vor ein paar Monaten in unserer Chatgruppe gesagt, du hättest dauernd Sex?«

»Ich wollte eigentlich schreiben, dass ich Dyslexie habe, aber die Autokorrektur … Ihr wisst schon.« Natalie winkte ab.

»Das ist doch lächerlich«, sagte Siobhan. »Du hast doppelt so viele Möglichkeiten wie wir! Du solltest dauernd Sex haben!«

»Ach, du hast recht«, seufzte Natalie. »Die Olympiade findet öfter statt als mein Sexleben!«

»Vielleicht solltest du dich mit jemandem treffen«, schlug Kate vor.

»Du meinst, mit einem Therapeuten?«

»Nein, ich meine, mit jemandem, mit dem du eine Verbindung hast. Jemand, der dir ein gutes Gefühl gibt.«

»Leichter gesagt als getan, Kate. Man kann sich nicht aussuchen, für wen man etwas empfindet.«

»Doch, kann man! Ich habe mich für Norman entschieden.«

»Aber heutzutage hat doch kaum noch jemand eine ernste Beziehung.«

»Nat, wir unterstützen dich, egal, wie du dich identifizierst. Aber wir werden nicht unterstützen, dass du zur Nonne wirst. Du musst unbedingt mal wieder sexuell aktiv sein.«

»Na gut, na gut. Ich lasse es auf mich zukommen. Aber nur, wenn ich eine Verbindung spüre.«

»Super«, meinte Chloe. »Klingt nach ’nem Pan.«

»Ihr seid alle unmöglich«, sagte Natalie lachend.

»Okay, Operation Natalie braucht Sex ist offiziell ein weiter Punkt auf unserem Reiseplan!« Siobhan hob das Glas. Die anderen taten es ihr gleich und stießen an.

»Was ist mit dir, Chloe?«, fragte Kate. »Gibt es da jemanden, den du besonders magst?«

»Es gibt jemanden, den ich mag, und es gibt jemanden, der mich mag. Die beiden sind nur nicht dieselbe Person«, antwortete Chloe seufzend.

»Was ist denn aus dem süßen Polen geworden? Casper?«

»Er hat mich geghostet.«

»Das habe ich mir gleich gedacht«, meinte Natalie achselzuckend.

»Schon okay, ich hab dafür sein Auto mit dem Schlüssel zerkratzt.«

»CHLOE! Das kannst du doch nicht machen!«, rief Kate entrüstet.

»Was denn? Er hat mich geghostet, also habe ich ihn heimgesucht. Das ist nur fair«, erwiderte Chloe unbeeindruckt.

»Du solltest besser beten, dass er kein rachsüchtiger Mensch ist«, sagte Kate lachend. »Also, da ist wirklich niemand?«

»Nein. Mit dieser Tinder-Sache bin ich durch. Ich habe mir die Finger quasi blutig gewischt. Aber die Typen sagen immer, ich sähe so anders aus als auf dem Foto.«

»Was du nicht sagst«, murmelte Natalie in sich hinein.

»Und sie denken immer, dass sie mich einschätzen können, nur von den Fotos. Ich schwöre euch, wenn mich noch ein Mann als Dramaqueen bezeichnet, spring ich vom Hochhaus.«

»Wie kommen die bloß auf so was?«, fragte Siobhan ironisch.

»Ach, Chloe, komm schon«, sagte Kate aufmunternd. »Da draußen muss es eine Million Männer geben, die dich gern daten würden.«

»Ich würde gern einfach jemanden im echten Leben kennenlernen, ganz romantisch, wisst ihr?«, seufzte Chloe. »So wie, ich sitze im Café und lese, und ein Mann kommt rein und sieht mich und spricht mich an.«

»Chloe, du hasst lesen«, wandte Siobhan ein.

»Na, ja, das weiß er ja nicht, bis … es zu spät ist.«

»Und wenn er dich nach deinem Lieblingsautor fragt, was sagst du dann?«

Chloe sah aus, als würde sie gleich Nasenbluten bekommen, weil sie so angestrengt nachdachte. »Ähh … ähh …«, stammelte sie panisch. »Okay, vergesst die Phantasie mit dem Buch. Aber ich will trotzdem Romantik!«

»Mach dir nicht allzu viele Hoffnungen, Chloe«, sagte Natalie. »Ich habe mal einem Mann gesagt, dass ich mir Romantik wünsche, und er hat mich gefragt, ob ich ihm im Regen einen blasen will.«

»O mein Gott!«, entfuhr es Kate.

»Schick mir seine Nummer«, sagte Siobhan grinsend. »Klingt, als müsste ich ihn kennenlernen.«

»Tja, nicht alle von uns haben so hohe Standards, wenn es um One-Night-Stands geht, Siobhan«, sagte Natalie ironisch.

»Slutshaming, Nat? Das passt gar nicht zu dir.«