It's All About People - Wolf D. Gogoll - E-Book

It's All About People E-Book

Wolf D. Gogoll

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Beschreibung

It's All About People. Fragt man sich, warum wenige Unternehmen lange erfolgreich existieren, heißt die Antwort: Ihre sich in beständigem Wandel befindenden Erfolgstreiber, in Balance zu den verfügbaren Finanzen, waren überdauernd mit dem umgebenden Geschäftsszenario kompatibel. Und die Schlüsselgröße dahinter? Das sind und waren die Führungskräfte und ihr Team, die den Wandel erfolgreich machten. Darüber am Beispiel der beiden Langleber Merck und Continental zu berichten ist Gegenstand des Buchs. In einem Exkurs wird ausführlich beschrieben, welche Maßnahmen für die Kompetenzentwicklung der Menschen ergriffen wurden, um mit den wandlungsbedingten Herausforderungen frertig zu werden.

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Seitenzahl: 383

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1 Continental AG – Reflexionen rund um einen Langleber

2 Suche nach dem genetischen Pool des Langlebers Continental AG

2.1 Innovationskompetenzen

2.2 Wandel im Umfeld geschäftswirksam nutzen

2.3 Strategierelevantes Denken auf allen Unternehmensebenen

2.4 Situationsadäquate Organisationsentwicklung

2.5 Strategieunterstützende Entwicklung durch die

Human Resources

-Funktion

2.6 Umgang mit Allianzen und Übernahmen

3 Ein Blick auf den Langleber Merck GmbH & Co. KG: 350 Jahre Erfolgsgeschichte

4 Zur Ähnlichkeit der Erfolgstreiber von Continental und Merck

5 Gibt es

die

richtigen Erfolgstreiber für einen Langleber?

6 Fazit und Versuch einer Prognose für die beiden Langleber

7 Exkurs: Fokus strategieunterstützende Personalentwicklungs- und Bildungsarbeit für die Continental AG

Dank und Anerkennung

Literatur

Über den Autor

VORWORT

Ein uralter Menschheitstraum und eine der Kernfragen des Menschen war immer und ist heute mehr denn je: „Wie kann ich möglichst lange und gesund leben?“. Langlebigkeit oder „Longevity“ ist ein prominentes Schlagwort dieser Tage und just an dem Tag, den ich mir für das Schreiben dieses Vorworts reserviert hatte, las ich beim Frühstück in der Süddeutschen Zeitung vom 10. November 2024 genau dazu einen längeren Artikel mit der Überschrift „Einmal ein langes Leben, bitte“.

Wenn eine Unternehmerin oder ein Unternehmer heute zu mir käme und fragend sagte „Einmal ein langes Leben, bitte!“ dann würde ich ihr oder ihm antworten: „Einmal lesen, bitte!“. Das Buch, das Sie gerade in Händen halten gibt Auskunft. Und es verkündet nicht die leeren Buzzwords unserer Zeit, sondern ist konkrete „Strickanleitung“ sowie ein am lebenden Fallbeispiel beschriebener Handlungsleitfaden. Nicht mit dem 100-Prozent-Anspruch, das wäre auch vermessen, aber den erfolgskritischen Pareto-Anspruch dürfte es erreichen und der Rest ist sowieso unternehmensindividuell zu gestalten.

Der Menschheitstraum nach einem langen, glücklichen Leben ist der Unternehmenstraum nach langer und erfolgreicher Marktpräsenz, bei der Mehrheit unserer Familienunternehmen in Deutschland damit auch die gesunde Übergabe an die nächste Generation zwecks erfolgreicher Weiterführung der Tradition mit ihren Kernwerten und bewährten Rezepten, aber zugleich auch mit Offenheit für Wandel und Innovationen – ein Aspekt, den Wolf Dieter Gogoll prominent ausführt. Und es war erstaunlich im Zeitungsartikel heute früh zu erkennen, wie viele Parallelen es zwischen dem großen gemeinsamen Ziel von Mensch und Unternehmen nach Langlebigkeit gibt. So startet der Weg zu einem langen Leben für den Menschen bei professionellen Dienstleistern oder Ärzten i.d.R. mit umfangreichen Analysen von Blut, Urin, Genen, dem individuellen Ernährungs- und Bewegungsverhalten und den auf diesen Menschen wirkenden Umweltbedingungen als Basis für eine spezifische medizinische Diagnose und die später daraus abgeleitete Therapie.

Was ein Unternehmen tun muss, um lange gesund und erfolgreich zu leben, sagt Wolf Dieter Gogoll. Er ist – um im Bild zu bleiben – der Arzt, der am Ende seines langen Berufslebens seine gemachten Erfahrungen auf den Punkt bringt, kompakt, fundiert, in vorzüglich lesbarer Sprache. Es ist Diagnose und Therapie in einem, ausgiebig erklärt an den beiden Unternehmens-Fallbeispielen und Langlebern Continental und Merck, aber auch in Kenntnis vieler anderer erfolgreicher sowie explizit nicht erfolgreicher (kurzer) Lebensläufe von Unternehmen.

Damit folgt er der bewährten Methodik der sogenannten „Erfolgsfaktorenforschung“ in den Wissenschaften, traditionell und Jahrtausende alt in der Medizin mit der Leitfrage „was unterscheidet den Gesunden vom Kranken und woran liegt das?“. Sehr viel später auch übernommen u.a. in der Betriebswirtschafts- und Managementlehre-Klassiker wie „In Search of Excellence“ von Peters & Watermann aus den 1980er Jahren haben ebenfalls empirisch aus der Analyse einzelner Unternehmen nach den übergreifenden Erfolgsfaktoren gefragt, Gogoll nennt sie Erfolgstreiber, bei ihm sind es sechs. Und seiner am Ende mit bescheidener Zurückhaltung formulierten Hypothese, diese könnten auch den Anspruch erfüllen, generell als heiße Kandidaten für langfristigen Unternehmenserfolg schlechthin zu gelten, kann ich nur mit Ausrufezeichen zustimmen.

Wolf Dieter Gogoll hat 1962 an der TU Berlin seine Diplomarbeit geschrieben, knapp 30 Jahre später sollte ich das – Koinzidenz – an gleicher Stelle auch tun. Was ich in meinem Studium in den Lehrbüchern las, hat Wolf Dieter Gogoll in seinem Berufsleben live miterlebt und mitgestaltet und er hat mit Managementgrößen seiner Zeit aktiv und persönlich zusammengearbeitet – etwa Peter Drucker, Edgar Schein, Lutz von Rosenstiehl -, die 30 Jahre später in meinem Studium schon Pflichtlektüre waren und über die ich Hausarbeiten und Klausuren schrieb. In seiner Diplomarbeit setzte er sich mit der Rolle des Menschen in Unternehmen auseinander, zu einer Zeit, da materielle Vermögenswerte als das „A&O“ in der Betriebswirtschaftslehre galten und Humankapital (übrigens das Unwort des Jahres 2004) als einer von vielen Produktionsfaktoren eine nur untergeordnete Rolle spielte. Für mich hoch interessant zu lesen, dass es z.B. in den 1960er Jahren in den Unternehmen heute gängige Begriffe wie „Mitarbeiter“ oder „Personalentwicklung“ noch gar nicht gab. Wolf Dieter Gogoll kann mit seinem Interessenfokus zu Recht als Vordenker bezeichnet werden, der die Bedeutung des heute Selbstverständlichen frühzeitig erkannte und der – nachdem das Feuer in seiner Diplomarbeit entfacht war – sich zeitlebens mit der Rolle des Menschen im Unternehmen beschäftigte, es war und ist seine Leidenschaft. Wenn man einen unter den zentralen betriebswirtschaftlichen Erfolgsfaktoren hervorheben wollte, dann diesen: „It’s All About People“. Wolf Dieter Gogoll hat es schon früh gewusst.

Die Herleitung und Beschreibung der Erfolgstreiber in seinem Hauptkapitel 2 liest sich spannend, mit krimitesken Zügen, es ist sowohl Lehrbuch wie auch ein bisschen Roman und Zeitgeschichte, plastisch und anschaulich geschildert. Dieser Mix ist etwas ganz Besonderes, diese Einblicke erhält man sonst nicht, als säße man zusammen bei einem Kamingespräch und lauscht den Berichten aus dem Inner Circle eines Insiders. Und er beschreibt auch die kritischen Seiten und Fehler, die gemacht wurden – nicht mit allen Conti-Vorständen lag er fachlich auf einer Wellenlänge. Mein ganz persönliches Lieblingskapitel ist das letzte, Kapitel 7. Wer wissen möchte, wie man HR und insbesondere Personalentwicklung gut macht, bekommt hier eine Praxissteilvorlage.

Zum Schluss zwei letzte Bemerkungen. Die erste ist eine persönliche. Danke Wolf Dieter Gogoll! Er hat sich jahrzehntelang auch aktiv dafür engagiert, dass junge Menschen bei uns in der Hochschule Hannover eine hervorragende Ausbildung erhalten. Zuerst als einer der Gründungsväter des Fachbereichs Wirtschaft (heute Fakultät IV Wirtschaft und Informatik) und fortan als Lehrender für Unternehmensführung in verschiedenen Studiengängen stellte er all seine Kompetenz dem Nachwuchs zur Verfügung. Er war gefragter Ratgeber für uns im Kollegium und persönlicher Coach für viele Studierende, die seine Berufs- und Lebensberatung in Einzelgesprächen genossen – Personalentwicklung in Praxis. Ich kann mir keinen Geeigneteren ersten Honorarprofessor unserer Fakultät vorstellen.

Dieses Buch ist für unterschiedliche Zielgruppen nur zu empfehlen: Für HR-Praktiker und -Studierende wäre es für mich „Pflichtlektüre“. Der breite Fundus praktischer Erkenntnisse ist daneben für Entscheider und Führungskräfte in Unternehmen jedweder Branche eine Ideenquelle und Blaupause für die eigene adaptierte Umsetzung – checken Sie die sechs Erfolgstreiber samt Handlungsanleitung auf Anwendung im eigenen Bereich oder Unternehmen! Für Studierende aller Fachrichtungen, die wissen wollen, worauf es wirklich ankommt, wenn man erfolgreich mit anderen Menschen zusammenarbeiten möchte. Für alle sind zudem die nach Erfolgsfaktoren getrennten Literaturempfehlungen am Ende des Buches ein hervorragender Filter im Dschungel der Fachliteratur.

Für mich persönlich war das Lesen eine spannende Lernreise angewandten Managements und der Buchtitel eine volle Bestätigung meiner „mit aktuell 60 Jahren vergleichbar jüngeren“ Lebensüberzeugung.

Michael Leonhard Bienert

Prof. Dr. rer. oec., Dekan der Fakultät IV Wirtschaft und Informatik der Hochschule Hannover

EINLEITUNG

Es gibt nicht viele langlebige Organisationen. Schon gar nicht unter den 150-Jährigen. Die meisten starben vorher. Sie waren nicht in der Lage, sich auf den sich verändernden externen Bedingungsrahmen einzustellen. Meist machten sie zu lange das, was sie immer gemacht hatten. Natürlich gibt es auch ganz alte – die „wirklichen Langleber“. Da ist zum Beispiel der äußerst erfolgreiche Mittelbetrieb – die Benediktiner.1 Fast 1.500 Jahre. Geschäftsziel: Kultivierung Europas, Landwirtschaft, Gartenbau, Medizin, Literatur, Musik, Kunst und Philosophie auf einen annähernd so hohen Stand zu bringen, wie er im römischen Reich vor der Völkerwanderung bestanden hatte. Und sie arbeiten immer noch daran. Auch finanziell erfolgreich. Vielleicht lässt es sich auch daraus lernen …

Langleber müssen natürlich so etwas haben wie eine entsprechende genetische Disposition, die so viel Attraktivität ausstrahlt, dass sie möglichst viele gleich disponierte Menschen anzieht, denen dann, sobald sie über Handlungskompetenzen verfügen, ihrer Aufgabe entsprechende Handlungsfreiräume eingeräumt werden können.

Genetische Disposition – woraus dürfte sie im Wesentlichen bestehen?

Ganz sicher gehört dazu, Freude am Erbringen von Leistungsergebnissen zu haben. Ergebnisse, die andere nicht erbringen, aber vielleicht erbringen möchten – Leistungsergebnisse aus denen dann sichtbar wirtschaftliche Erfolge entstehen. Dazu gehört es natürlich, über die dafür erforderlichen Ressourcen zu verfügen, die es letztlich ermöglichen, die Ergebnisse potenziellen Nutzern durch geeignete Organisationsmaßnahmen zugänglich zu machen. Dauerhaft, effektiv und effizient.

Ganz sicher geht es auch um die Fähigkeit, die Erneuerungsnotwendigkeit der Leistungsergebnisse vorhersehen zu können und diese Notwendigkeit in die Unternehmung hineinkommunizieren zu können, damit die Organisation „richtig“ auszurichten – also adäquate Führung im weitesten Sinne – d.h. strategisches Denken und Handeln.

Erneuerungsfähig zu sein impliziert bekanntermaßen die Fähigkeit lernen zu können – anwendungsorientiert! Gelernt werden muss notwendigerweise natürlich immer, wenn es darum geht, noch nicht vorhandenes Wissen und grundlegend neue Anwendungs-möglichkeiten erwerben zu müssen. Den Blick ständig offen zu halten: Was ist State-of-the-Art? Was machen Wettbewerber anders? Was bieten neue Erkenntnisse wissenschaftlicher Art? Wie verändert sich der Bedingungsrahmen? Anwendungsorientiertes Lernen hat einen immensen Stellenwert. Da steht stets das Tun im Fokus: Es nützt gar nichts zu wissen was geändert werden muss, wenn sich daran nicht sogleich Änderungsmaßnahmen anschließen.

Und dann gilt sicher, überragend… It’s all about people!

Zunächst sind diese genannten Bestandteile noch nicht viel mehr als Überschriften und Selbstverständlichkeiten. Den Geheimnissen des Gen-Pools von Langlebern kommt man meines Erachtens erst auf die Spur, wenn man das tatsächliche Geschehen, unterhalb dieser Überschriften, genauer betrachtet. Empirisch. Vielleicht gelingt es ja dabei zu verstehen, worauf Langleber achteten. Möglicherweise haben sie ja anders agiert, mit anderen Prioritäten als diejenigen, die nach einem kurzen Strohfeuer wieder verschwanden... Lohnt da nicht ein Blick auf den Langleber Continental, für den der Autor viele Jahre arbeitete? Über ihn lagen wissenschaftliche Arbeiten zur Unternehmensgeschichte vor; gut geeignet, um Vor- und Nachteile der Sichtweise eines Augenzeugen zu balancieren. Passte dazu nicht der Langleber Merck, der vor nicht allzu langer Zeit seinen 350sten Geburtstag feierte? Viele Berichte in der Presse; wissenschaftliche Arbeiten ebenfalls vorhanden und keine Störungen durch die Ansichten eines Augenzeugen?

Versuchen wir es einmal…

1 Schütz, Christian/Rath, Philippa (Hrsg.): Der Benediktinerorden. Gott suchen in Gebet und Arbeit, 4. Aufl., Ostfildern 2009.

1 CONTINENTAL AG – REFLEXIONEN RUND UM EINEN LANGLEBER

Unternehmensgeschichtliche Fakten2 und It’s All About People

Wie begann alles? Geburts- und Ausgangspunkt war eine Innovation, nämlich endlich weg von hartem Gummi, nunmehr mit elastischem Material, ein Leistungsangebot verfügbar zu machen, das man zunächst manufakturell, ohne größere technische Probleme herstellen konnte. Das Leistungsangebot wuchs schnell; es entstand eine Vielzahl sehr nützlicher Produkte.

Als dann immer mehr Menschen solche Produkte haben wollten, die Nachfrage viel schneller wuchs als die Angebotskapazitäten, viele der Start-up-Unternehmen es mit der Innovation Gummi wirtschaftlich nicht schafften, wurden sie zur Continental Caoutchouc & Gutta Percha Companie in Hannover eingesammelt.

Erfolgstreiber des Beginns waren also, unter der Überschrift „attraktive Leistungen zum Verbrauchernutzen“, das rechtzeitige Erkennen des Nutzens einer Innovation, deren Entwicklung und Herstellung und deren Bereitstellung für Interessenten.

Und was dabei schon früh gelernt wurde? Andere Unternehmen erfolgreich akquirieren und integrieren können. Ja, danach sogar weniger erfolgreiche Unternehmen, evtl. mit schweren Defekten, erfolgreich zu machen. Dies hatte zweifellos mit dem Erwerb von Wandlungskompetenzen zu tun. Erste zarte Lernsprossen hinsichtlich der erfolgreichen Integration anderer Organisationskulturen – darauf werden wir noch zurückkommen!

Es dürfte Konsens sein, dass es in der Phase ihres Erstehens bei allen Langlebern ähnlich war. Da gab es stets eine vielversprechende Idee und deren Entwicklung. Und dass in den ersten Jahren des Bestehens Pragmatismus dominiert ist Lebenserfahrung und dürfte ebenfalls Konsens sein.

Continental begann mit dem Ausbau von Forschung und Entwicklung, insbesondere um führend in der Gummi-Chemie zu werden – in diesem Fach wurden auch die ersten akademisch ausgebildeten Mitarbeiter eingestellt. Sodann begann das Unternehmen recht bald mit der Entwicklung und Herstellung von Maschinen und Anlagen in einer eigenen Formen- und Maschinenfabrik, deren Produkte später sogar am Markt öffentlich verkauft wurden.

Pfiffige Mitarbeiter entwickelten schließlich aus dem neuen, nun elastischen Werkstoff Gummi, unter Nutzung textiler Festigkeitsträger, einen elastischen, luftgestützten Pneu. Continental sogar einen schlauchlosen! Er gestattete völlig neue Baukonzepte für Fahrzeuge. Dies galt nicht nur für Deutschland, sondern weltweit. Weltweit waren es nicht wiederum gar so viele, die mit der Innovation Reifen gleichgut umgehen konnten.

Weltweit – jeder wollte auto-mobil werden. Beste Voraussetzungen, dass sich die Reifenindustrie als eine der ersten Industrien so frühzeitig internationalisierte, um nicht zu sagen – globalisierte. Keine Frage – für Continental konnte das nicht ohne Folgen bleiben: Schon frühzeitig in der Unternehmensgeschichte wurden Erfahrungen angesammelt, man könnte sagen, die Kompetenz, im internationalen Kontext handeln zu können.

Autos überall in der Welt – da brauchte es in der Wertschöpfungskette Reifenhändler, oft entschied man sich für eigene Handelsniederlassungen, natürlich schon bald mit Service- und Reparaturfunktionen ausgestattet. Reparaturtätigkeiten? Das war bereits deutlich fertigungsnah Herausforderung also sehr früh – Fertigen können im internationalen Kontext.

Und ganz generell gilt schließlich … Auslandsgeschäfte zu betreiben ist ein exzellentes Lernfeld. Jeder, der längere Zeit in einer anderen Kultur gearbeitet hat und auf sein Land zurückblickt, tut das mit verändertem Blick – sein „Gen-Pool“ hat sich verändert. Ja, einschränkend muss konstatiert werden – dies ist nur gültig mit der Ergänzung...wenn es der in der fremden Kultur eingesetzten Person „Spaß macht“! Wenn nicht – verhärtet es die mitgebrachten Einstellungen – und möglicherweise auch den hergebrachten Gen-Pool der eigenen Organisation auf Dauer und vermindert sein Wachstumspotenzial! Dafür gibt es jedenfalls Beispiele in Hülle und Fülle. Manchmal sind ganze Nationen davon betroffen. So sagen amerikanische Sozialwissenschaftler selbstkritisch, ihr Land sei ein Musterbeispiel für Ethnozentrismus – es fände so gut wie kein international induziertes Lernen statt.

Die weitere Geschichte von Continental zeigt – da wurde gelernt! Der gesamte „Unternehmens-Gen-Pool“ erweiterte sich – zunächst als zartes Pflänzchen, im Laufe der Jahrzehnte erheblich, was aus der weiteren Beschreibung dieses Langlebers noch deutlich werden wird.

Man hüte sich davor zu glauben, alles sei mit kluger Planung entstanden. Eine ganz, ganz wichtige Rolle spielte und spielt Unvorhergesehenes und Zufall. Manchmal sogar Schreckliches – zum Beispiel Krieg. Und zwar in diesem Falle schon recht bald der Erste Weltkrieg, der alles Dagewesene in den Schatten stellte.

Werten wir nicht, sondern schauen auf Fakten, die die neue, aber schon ordentlich gewachsene Organisation durchschüttelten. Logistik über große Entfernungen bewältigen zu können, wurde zum Erfolgsfaktor der Kriegtreibenden. Krieg ist zu Ende, wenn keine Munition an die Front kommt. Das geschieht mit Fahrzeugen – die sich auf Reifen bewegen. Einsatzfähige Reifen, in genügender Anzahl, beschleunigt bereitzuhalten wurde eine der Schlüsselgrößen. Welch Treibsatz für die Entwicklung einer Organisation…

Der Ausgang des Krieges mit den bestens bekannten Folgen: Für Continental – vollständige Enteignung des gesamten ausländischen Besitzes.

Länder, bisherige Märkte, die es sich einigermaßen leisten konnten, bauten nun eine eigene Reifenindustrie auf. Wie etwa die britische Dunlop genierten sich Wettbewerber nach den dem ersten Weltkrieg nicht, das Knowhow der Continental unter dem Schutz der Sieger zu plündern.

Und wieder geschah etwas unternehmerisch Ungeplantes: Nach 20 Jahren brach der nächste Weltkrieg aus. In gesteigertem Format. Noch mehr Beschleunigung, Zwang zur Übernahme und zum Betrieb der in den eroberten Gebieten gerade aufgebauten Reifenfabriken. Zur Erinnerung: Das hieß zu Beginn des Krieges „Blitzkrieg“. Beispiel Frankreich: Sechs Wochen – und die in der Nähe von Compiègne gelegene Reifenfabrik musste von Continental-Managern übernommen werden. Nicht viel anders in den anderen Ländern. Reifen mussten von dort aus für den weiteren schnellen Krieg gebaut und bereitgestellt werden. Management-Training der etwas anderen Art. Aus Erzählungen zur Unternehmensgeschichte ist bekannt, dass Continental diese Übernahmen sensibel behandelte. Man war sich total im Klaren, dass nach dem Kriege, die – beispielsweise – französischen oder belgischen Reifenfabriken, wieder an Michelin bzw. Englebert zurückgehen würden. Eine kluge Überlegung, die sich sehr viel später noch auszahlen sollte.

Kenntnis, Erfahrungen, Verhaltensmaximen gewinnen, wie man mit Abhängigen umgeht – ein nicht zu unterschätzender „weicher“ Erfolgstreiber, zuzuordnen der „Ethik der Akquisitionskultur“, was in späteren Jahren noch eine immense Bedeutung gewinnen sollte.

Wie heißt der fundamentale Erfolgstreiber in der Überschrift? It’s All About People. Dazu gleich zu Beginn wieder ein Blick in die Unternehmensgeschichte: Da stößt man auf einen glücklichen Umstand… In den 30er Jahren, nach dem wirtschaftlichen Nachkriegs- und Weltwirtschaftsdesaster, gelang es, einen ganz jungen Vorstandsvorsitzenden an Bord zu holen, Fritz Könecke. 1938 wurde er Vorsitzender des Vorstands und entwickelte sich zu einer genialen Führungspersönlichkeit. Er managte die schreckliche Kriegszeit des Unternehmens mit großer Kunst, ohne sich vor der herrschenden Politiker-Elite mehr als erforderlich zu verbiegen. Ja, ja,… zugegeben – es zuckt einen schon, diesen Bedingungsrahmen als Lernfeld zu bezeichnen. Aber es ist nun mal ein Lernfeld, ob einem das gefällt oder nicht. Jedenfalls schafften es er und das Management bis Kriegsende, die geforderten Aufgaben zu leisten. Wie das geschah? Sicher eine andere spannende Geschichte,3 nicht hier zu behandeln, vor allem, wenn man sich die Trümmerlandschaften der Reifenfabriken auf alten Fotografien anschaut und dabei erinnert, dass der Produktionsausstoß bis Kriegsende Jahr für Jahr wuchs.

Unter allerhöchstem Druck eine Unternehmung so ausrichten zu können, dass die gewollten (befohlenen, da Kriegswirtschaft) Ergebnisse erzielt werden – auch das dürfte sich ins Unternehmensgedächtnis eingraviert haben.

Hier nur ein kleines Beispiel… Nachfrage-Explosion. Wichtig die Fähigkeit zum Aufbau einer industrieller Großfertigung. Prozessorganisation eingeschlossen. So war Continental die erste industrielle Unternehmung, die in den 20er Jahren eine eigene Abteilung für Prozessorganisation einrichtete, einem frühen Vorgänger des Industrial Engineering, die als erste in Deutschland mit dem Bedeaux-System der Arbeitswissenschaft, einem Vorgänger von Refa, arbeitete. Vor diesem Hintergrund wird manches Ergebnis während der Kriegszeit verständlich.

Die Unternehmensgeschichte muss hier unbedingt weitererzählt werden, gerafft. Sie hätte auf eine Katastrophe für Continental hinauslaufen können, was letztlich ja verhindert werden konnte – nicht ohne Schmerzen und mannigfaltige Pirouetten. Immerhin vollzog sich dieser Niedergang von 1945 bis zum Ende der 70er Jahre. Doch der Reihe nach:

Verlorene Kriege haben für das Führungsteam kriegswichtiger Industrien immer die gleichen, wenig überraschenden Folgen: Es wird geschlossen bestraft. Im mildesten Falle vom Hof gejagt. Die Folgen führen dann erst zu den wirklichen Schäden: Im Falle von Continental fanden die Siegermächte im Vorstand nur eine Person, die bleiben durfte, die wohl weniger „auf dem Kerbholz hatte“, – keine einzige Führungsperson mit Format blieb. Ein interessantes Aperçu…der geniale, ebenfalls gechasste Vorstandsvorsitzende wechselte alsbald zum größten Kunden und führte diesen über viele Jahre zu Weltruhm. Bei Continental übernahmen Erhalter und, was langfristig wichtig war, wie sich noch herausstellen sollte, brave Arbeiterführer die Führung.

Das neue Nachkriegs-Management versuchte, den Wettbewerbsvorsprung aufzuholen, den die amerikanischen Big Five: Good Year, Goodrich, General Tire, Firestone und US Rubber, letztere später als Uniroyal bekannt, während des Krieges erworben hatten. Bei Continental war man überzeugt, dass dieser Vorsprung technologischer und technischer Natur war. Wie anders bei dem bis dahin dominanten Erfahrungshorizont. Schließlich besagte dieser, wer nicht technologisch und technisch fit ist, kann sich verabschieden. Und wie anders sollte das wohl für den ehemaligen Technologieführer gehen als aus eigener Kraft? Darauf konzentrierte man sich zunächst primär.

Man scheiterte kläglich. Der stolze europäische Technologieführer musste sich hilfesuchend an die US-Reifenindustrie wenden. Und diese überließ den nach Akron, dem amerikanischen Mekka der Reifenindustrie, pilgernden Vorständen, Kautschukchemikern und Entwicklungsingenieuren, vorteilhafte Lizenz- und Kooperationsabkommen, großzügig die Rezepturen, Maschinen, Konstruktionsunterlagen für die damaligen State-of-the-Art-Produkte. Technologie und Technik! Auch kam es zu Kooperationsabkommen, zunächst mit General Tire, später mit Good Year. 1953 glaubte man, den Vorsprung aufgeholt zu haben. Und so versuchte man weiterhin mit massiven eigenen Anstrengungen Anschluss an den Weg darüber hinaus zu finden.

Aber die bittere Wahrheit war – die Reifentechnologie war inzwischen für alle Wettbewerber verfügbar, deutschland- und weltweit gleichermaßen. Aus heutiger Sicht: Totalverlust des strategischen Durchblicks. Neuer Erfolgstreiber konnte unmöglich etwas sein, über das die gesamte Branche verfügte. Es lag auf der Hand, dass sich kein Wettbewerbsvorsprung daraus mehr würde ableiten lassen.

Dennoch setzte die Unternehmung darauf. Die boomende Nachkriegswirtschaft deckte die strategischen Mängel lange zu: Man hatte zu lange das gemacht, was man immer gemacht hatte; bis das Unternehmen den Anschluss an den Wettbewerb vollständig verloren hatte. Das war Ende der 60er Jahre. Continental stand hauchdünn vor der Pleite: Produktivität gegen Null bei explodierenden Personalkosten. Zudem entpuppte sich die Übernahme des von den amerikanischen Partnern bevorzugten Reifenkonstruktionskonzepts als dramatische Fehlentscheidung gegenüber dem europäischen, von Michelin bevorzugten: Deren Produkte verfügten nämlich über eine doppelte Lebensdauer bei gleichzeitig wesentlich besseren Rundlauf-eigenschaften.

Es gehört definitiv zum Gen-Pool eines „Langlebers“ mit solchen Situationen umgehen zu können? Schließlich verschwinden ja die meisten Unternehmen bei einem ähnlichen Szenario. Wie versuchte das Unternehmen die Krise zu überstehen, was machte es anders? Dazu weiter mit geraffter Unternehmenshistorie:

Zunächst einmal war der Bedingungsrahmen günstig – das Wirtschaftswunder ermöglichte noch eine zeitlang profitables Agieren. Hinzu kam, dass der Mehrheitseigner, die Familie von Opel, sich der dramatischen Entwicklung bewusst (zum großen Glück), ihre Anteile am Unternehmen an das Zentrum der „Deutschland AG“ verkaufte, an die Deutsche Bank. Die sog. Deutschland AG, letztlich ein nicht formalisierter Zusammenschluss der deutschen Wirtschaft mit dem Ziel, den im Krieg verlorenen Wettbewerbsvorsprung wiederzuerlangen, durfte keinesfalls auf ein Unternehmen verzichten, das auf einem der größten Weltmärkte führend agiert hatte und nach wie vor bestand und zudem größter Zulieferer der neuen deutschen Schlüsselindustrie rund ums Auto war. Und so bekam Continental mit Deutscher Bank, Bayer und Münchener Rück „einen“ neuen Mehrheitsaktionär.

Selbst bei einem günstigen Bedingungsrahmen wie diesem: Gelingt es in einer Krisensituation nicht, die richtige Führung einzusetzen, vor allem rechtzeitig, gibt es keinen Erfolg. It’s all about people!

Wenn man so will, und wenn man sich die Geschichte vom Ende her betrachtet, haben die damals im Westen Deutschlands bestehende „Glasglocke des Wettbewerbsschutzes“ und die „Deutschland AG“ das Unternehmen gerettet. Es war nicht der Führungs- und auch nicht der Mitarbeiterpool des Unternehmens! Der Wettbewerbsschutz und – wie bereits gesagt – das Wirtschaftswunder brachten Zeit und die Deutschland AG brachte „fähige Führung“.

Was man keinesfalls verkennen sollte – es kamen auch in der Tat „glückliche Umstände“ ins Spiel, Zufälle, auf die man keinen Einfluss hatte.

Beispiel „fähige Führung“: Weil gleich nach dem Verkauf der Opel’schen Anteile, der Aufsichtsratsvorsitzende Georg von Opel gehen musste und durch das AR-Mitglied Klasen ersetzt wurde. Er wurde aber gleich darauf zum Bundesbank-Präsident ernannt. Der Deutschbänker Janberg übernahm. Er verstarb aber kurz darauf. Nun hatte man niemand anderes als einen jungen Mann aus der Deutschen Bank, namens Herrhausen – ein völlig unbeschriebenes Blatt. Vier AR-Vorsitzende in einem Jahr –wie sollte das gutgehen? Es war ein unglaublicher Glücksfall, weil Herrhausen „zufällig“ genau der richtige Unternehmensführer für diese Phase war. Mit ihm gab es eine dramatische und dringend erforderliche Zäsur in der Unternehmensentwicklung. Reset auf null. Neubeginn – aber andersartig, ohne den laufenden Betrieb zu zerstören! Es gelang.

Abrupt endete Herrhausens Tätigkeit dann im November 1989 mit seiner Ermordung durch die RAF. Wie sollte es nun weitergehen? „Die Trockenlegung des Sumpfes unter der Führung von Fröschen“ kann nicht funktionieren – das leuchtet ein. Rettung konnte nur von außen kommen. Und was Unternehmensfremde, wieder am Beispiel der Continental geschildert, dann initiieren müssen und initiierten – hier wieder gerafft: Mehreres lief parallel.

Erstens, als wichtigstes zu nennen, eine Unternehmensanalyse durch eine mit amerikanischem Erfahrungs-Knowhow arbeitende Unternehmensberatung – McKinsey.

Zweitens: Parallel dazu … energische Versuche, die deutschen Reifenwettbewerber zur Fusion zu bewegen, was aber an der stolzen Harburger Phoenix und am charismatischen Harburger Bundestagsabgeordneten Herbert Wehner scheiterte (Interessant: Es war nur eine Verschiebung des Untergangs von Phoenix, dessen verbliebenen Anlagen und Funktionen schließlich von Continental übernommen werden mussten).

Drittens: Rigoroses Kosten-Management.

1971 legte McKinsey das ernüchternde Ergebnis vor: Continental sei eine in Tradition und Vergangenheitserfolgen erstarrte, sklerotische Organisation, hochfunktional, mit keinem zeitgemäßen internen, funktionsübergreifenden Berichtswesen, unfähig hinsichtlich der Bereitstellung der relevanten betriebswirtschaftlichen Ergebnisse. Stattdessen ein Rechnungswesen, das nur Rückspiegelbetrachtungen lieferte, statt Zusammenarbeit. Offen ausgetragene Konflikte zwischen den Funktionen. Überaltertes Führungsteam. Ein atemberaubend umfangreiches Sortiment – neben Reifen rund 30.000 andere Gummiprodukte. Totale Abhängigkeit vom zyklischen Automobilmarkt – Reifenvertrieb entweder zur Erstausrüstung und dann ausschließlich über einzelne große Händler. Kein eigener Weg zum Verbraucher. 77 Tochtergesellschaften, deren Verluste den Cashflow der Muttergesellschaft auffraßen. Fehlende mittelund langfristige Planungen. Erhebliche Schwächen im Personalmanagement, zwar hatte man sich bemüht, akademisch ausgebildetes Personal zu rekrutieren, das dann aber – da nur spezifisch funktional eingesetzt – als Führungsnachwuchs verkümmerte, was zu unerträglicher, fast hundertprozentiger Fluktuation dieser Kohorte führte. Gänzliches Fehlen von ganzheitlicher unternehmerischer Verantwortlichkeit – vom Vorstand ausgehend bis in die Funktionen hinein.

McKinsey schlug vor:

Berufung eines neuen Vorsitzenden, für einen grundlegend geänderten Führungsstil, bei diesem Vorsitzenden sollten drei Konzernfunktionen angesiedelt werden: Personal, Finanzen/Information, Konzerntechnik/Logistik,

Einrichtung von zwei Konzern-Projektteams, zur Erarbeitung einer Strategie und Beseitigung der dramatischen Probleme bei Reifen.

Reifen und Technische Produkte divisional trennen, TP sofort in selbständige unternehmerische Einheiten sub-divisionalisieren, Profit Centers genannt.

Reifen weiterhin funktional organisieren (leider blieb es bei drei „funktionalen“ Reifen-Vorständen: F & E, Produktion, Marketing).

Was zu erwarten war – der bestehende Vorstand widersprach heftig, weil der Berater McKinsey strategische Erfolgstreiber vorlegte, denen man nicht vertraute. Folge war, dass man sich in den Führungsteams, hinter vorgehaltener Hand, über die Vorschläge belustigte. Besonders der Begriff „Profit Centers“ wurde als amerikanischer Mode-Schnick-Schnack niedergemacht.

Die Lehre bis dahin: Ist eine Unternehmung auf Grund krisenhafter Entwicklungen gezwungen, das Portfolio der Erfolgstreiber kurzfristig zu verändern, weil sonst Untergang droht – ist das nur durch Einsatz externer Führungskompetenz möglich. Ausnahmen gibt es natürlich!

Krisenbedingter Wandel kann in einer Aktiengesellschaft so gut wie nie von innen heraus erfolgreich sein! Aus unteren Ebenen der Organisation: Das würde dann nämlich als Revolution eingestuft. Erfolg kann nur über eine starke, zentrale Führungsfunktion erreicht werden, mit dem richtigen Handlungskonzept für die kurzfristige Bewältigung der Krise und einer Vorstellung hinsichtlich der langfristigen Gestaltung des Gesundungsprozesses. Wobei eine Einzelperson definitiv nicht ausreichend ist. In einer Aktiengesellschaft sollten der gesamte Vorstand und die Führungskräfte der Schlüsselfunktionen die Gewollte Neue verinnerlicht haben und mit Überzeugung vorantreiben. Der Teil der McKinsey‘schen Ursachendiagnose, dass es keinen vernünftigen Führungsnachwuchspool gebe und der Führungsstil sich in Richtung Unternehmertum zu entwickeln habe, war besonders vom mittleren Management akzeptiert. Wieso? Seit den 1950er Jahren war im Unternehmen eine Bildungsinitiative begonnen worden – weg von autoritativer, hin zu partizipativer Führung (Stichwort Führungsakademie Bad Harzburg als Lehr- und Lerninstanz der damaligen Zeit). Damit war zumindest ein nicht unbeträchtlicher Teil der operativen Führungsmannschaft intellektuell bereit, diesen Weg zum Neuen mitzugehen.

Zurück zur faktisch weiteren Entwicklung: Die Suche nach einem neuen Vorstandsvorsitzen-den schlug zunächst fehl. Und so kam es nur zu einer Zwischenlösung. Mit Ausnahme der drei zentralen Ressorts, von Vorständen geführt, wie vorgeschlagen – blieb alles andere wie gehabt: Nämlich funktional. F & E, Produktion und Marketing, letzteres immerhin schon einmal geteilt in Marketing TP und Marketing Reifen, was zumindest entfernt an eine Divisionalisierung erinnerte. Dieses Organisationsprovisorium hielt 2 ½ Jahre, bis 1973 Carl Hahn gewonnen werden konnte (vorher hatten vier Kandidaten abgesagt, weil die Situation des Unternehmens mehr als dramatisch und sich dabei zu verbrennen nahezu programmiert war). Er soll nur unter der Bedingung zugesagt haben, den gesamten Vorstand umgehend austauschen zu dürfen. Wofür er vom Betriebsrat die ausdrückliche Zustimmung bekommen haben soll. Und diese Bedingung wurde erfüllt.

Immer wieder der wichtigste Erfolgsfaktor – It’s all about people. Für Hahn lohnt es diesbezüglich, ein paar Persönlichkeitsmerkmale zu nennen, die auffielen: Kurz gesagt – er war eine Person mit Charisma, eher leise, aber besonders präzise und zupackend – Machen initiierend. Sobald er die Kompetenz von Menschen erkannte, ließ er sie handeln. Er verfügte über ein extrem weites Netzwerk zu exzellenten Institutionen und Personen. Da er seine Kindheit als Sohn eines Auto-Unternehmers verbrachte, der Automobile fertigte und vertrieb, einem Unternehmen, das später in der Autounion aufging, verwundert diese Netzwerk-Mitgift sicher nicht. Es wurde erzählt, als Kind habe er auf den Schößen von Mr. Toyoda und Henry Ford gesessen. Als Chef von Volkswagen USA war er für deren erste Erfolgsstory verantwortlich und wusste somit sehr genau, was dazugehörte, um in der Branche „Leading Edge“ zu werden. Er kannte aus persönlicher Anschauung die weltweit führenden Führungskräfte-Schmieden und deren Ziele. Und dafür, dass seine Internationalität nicht etwa ethnozentrisch deutsch war, dafür sprach auch – er war mit einer Italienerin verheiratet, zweisprachige Erziehung der Kinder, und alles was damit zusammenhing.

Hahns immer wieder in das Unternehmen kommuniziertes Erfolgscredo lautete „Straffung der Führungsfunktionen, Abkehr von der funktionalen bzw. bereichsbezogenen Organisation und Hinwendung zur artikel- bzw. spartenbezogenen Organisation.“ Bereits im Frühjahr hatte er neue Vorstände engagiert: Horst Urban von Ford, erster Controlling-Experte in Deutschland, Julius Peter, ehemals Chef-Chemiker von Semperit, einem Unternehmen, das ja als damals einziger Michelin-Lizenznehmer eng mit dem französischen Marktführer zusammenarbeitete, Hans Georg Wenderoth, Vater des VW Golfs und Chef der VW-Produktion, Wilhelm Schäfer, vormals Verkaufsleiter bei Dunlop, und etwas später Norbert Dahlström, vormals bei Monsanto aktiver Vertriebsmanager. Auch richtete er einen kleinen, ihm direkt berichtenden vierköpfigen Führungsstab ein. Sein Office sollte dabei nicht unterschlagen werden. Dort wirkte eine selbständig agierende Assistentin, was eine immense Vorbildfunktion für die klassischen Sekretärinnen-Büros darstellte. Dieser Personenkreis entsprach seinem Credo für wandlungsaffinen Personen, egal ob extern gewonnen oder intern. Wichtig auch, dass er die strategische Unternehmensplanung durch die Besetzung mit dem BWL Professor Tumm, einem Strategie-Experten, besonders herausstellte. Als Schwerpunktsetzung nicht zu unterschätzen, die direkte Anbindung der Qualitätssicherung an ihn: Wegen der eklatanten Produktmängel bei Reifen besetzte er die Funktion mit dem internen Siegfried Nebe.

Und für alle diese Personen galt das It’s all about people! – sie tickten einfach richtig, ohne beständige Kontrollen und Anweisungen.

Damit stand das Grobkonzept für die zukünftige Organisation: Zwei operative Divisionen, Reifen und Technische Produkte, mit eigener Ergebnisverantwortung und vier Zentralfunktionen, Finanzen und Controlling, HR, Einkauf und Logistik und Produktionsdienste (wie gesagt – heute würde man das Industrial Engineering nennen). Der Zeitgeist der 70er und 80er Jahre für die bestmögliche aller Organisationsformen war die Matrix-Organisation. Damit war Continental endlich in der neuen Zeit angekommen. Zusammen mit der gemeinsamen Grundhaltung des genannten Führungsteams hinsichtlich des Gewollten, waren wichtige Voraussetzungen für den Erfolg gegeben.

Leider blieb die nächste Ebene weitgehend unangetastet – noch Jahre kursierte dafür der Begriff „Lähm-Schicht“ durch das Haus. Dies galt besonders für die Personalfunktion, die in ihren Schlüsselbestandteilen des HR-Managements weiterhin just aus den Personen bestand, die seit Jahren dafür verantwortlich gewesen waren, dass es zu der von McKinsey an die erste Stelle gerückten Ursachen für die krisenhafte Entwicklung aller Schäden, Kompetenzschwächen bei den Human Resources und Führungsqualifikation, gekommen war. It was all about people! Hier griff Hahn zu spät ein!

Der erste größere Schritt, der Notwendigkeit zur Internationalisierung nachzukommen, war die komplette Übernahme der europäischen Teile von Uniroyal. Umsatzwachstum plus 650 Mio. DM, Marktanteilswachstum in Europa auf 10%, Fertigungskapazitäten in Niedriglohnländern, Erwerb einer Zweitmarke für Länder außerhalb der USA. Möglicherweise als wichtigster Faktor: Chance zur Erweiterung des eigenen Gen-Pools: Continental eher Technik orientiert, Uniroyal eher marktorientiert, dennoch technologisch hervorragend aufgestellt, ein durch das Arbeiten im internationalen Kontext erfahrenes Management. Fließend Englisch sprechend. Erhebliche Differenzen in der strategischen Ausrichtung: Während sich Uniroyal im jeweiligen Land als nationaler Player mit internationalem Hintergrund verstand, was eine hochgradig dezentrale Organisation erforderte, hatten bei Continental Investitionen in Gewinnmaximierung und Ertragssicherung Priorität, was eine eher zentrale Organisation erforderte. Es sollte viele Jahre dauern, bis es endlich zu einer ausgewogenen Balance und zu wirklich neuem Handeln mit diesen beiden strategischen Erfolgsfaktoren kam.

Für die Organisation und die Menschen keine leichte Zeit: Zum ersten Januar 1980 wachten die Continentäler auf und waren plötzlich international. Sie waren Eigentümer der europäischen Standorte der US-amerikanischen Uniroyal geworden, mit vielen Beteiligungen. Damit nicht genug – eine Woche später wurde Englisch als Konzernsprache eingeführt. Konzerngestaltungs-Innovationen wurden nötig, die die alte Continental fast überfordert hätten.

Zunächst verzichtete Hahn auf eine Integration der Neuerwerbung – langwierige Kabbeleien wären programmiert gewesen. Gemeinsam wollte und sollte man, unter Beibehaltung der jeweils anderen strategischen Erfolgsfaktoren, nach vorne schauen. Continental blieb so etwas wie eine Holding, mit Horst Urban als einer Art Aufsichtsrat; Uniroyal wurde vom belgischen Herstal aus, unter der Leitung von Helmut Werner, koordiniert.

Hahn hielt kategorisch Kurs. Immer wieder „verordnete“ er Wachstumsimpulse – nicht nur für die Organisation, sondern auch für solche Personen, von denen er nachhaltiges Wachstum(smanagement) und neue Impulse für die Organisation erwartete. Innerhalb der Matrix-Organisation, die nun bestand, waren das primär Führungskräfte der Zentralfunktionen. Die Schwachpunkte der alten Organisation, wir erinnern uns, waren deutlicher Rückstand zum Wettbewerb hinsichtlich Produkt- und Prozessqualität und fehlende unternehmerische Kompetenzen; im Grunde genommen auf allen Führungsebenen. Finanzen und Controlling waren unter dem Vorstandskollegen in besten Händen. Das Einkaufs- und Logistikressort dümpelte noch mehrere Jahre vor sich hin und befasste sich vorrangig mit Konsolidierungen, bevor es dann sehr viel später unter Hubertus von Grünbergs zu, so muss man das sagen, höchstem, auch internationalem, Leading Edge entwickelt wurde: Durch Berufung von Frau Dr. Bernadette Hausmann, einer funktionalen Quereinsteigerin, die sich die Führungskräfteentwickler als erstes großes Erfolgserlebnis an die Brust hefteten.

Hier Beispiele des Autors als Zeitzeuge zur Ära Hahn: 1976 delegierte er den Autor als Beiratsmitglied in die europäische Manager-Schmiede INSEAD, in Fontainebleau, nahe Paris. Ziel war es, die dort auf Welt-Niveau vermittelten Führungslehren zu studieren und daraus eine Basis der Führungskräfteentwicklung bei Continental aufzubauen. Als einziger Deutscher in diesem Gremium, bis Mitte der 90er Jahre(!), hatte das für den deutschen Beirats-Exoten nur Vorteile. Einer der wichtigsten: Als Kundenvertreter einer bedeutenden Business School, einem Image, das INSEAD besaß, wurde er zusammen mit INSEAD Mitglied in der US-amerikanischen UNICON (University Directors Conference). Hier trafen sich jeweils 25 der weltweit stärksten Universitäten bzw. Business Schools mit ihren, wie sie es nannten, 25 Counterparts of Industries, um die richtigen Talente und Unterrichtsthemen für die nachwachsenden Führungskräfte-Generationen zu beschreiben bzw. zu entwickeln. Von dort aus war es kein weiter Weg zum festen Partner in die ebenfalls US-amerikanische ICEDR, berufen zu werden, einem Zusammenschluss von Unternehmen und wiederum Business Schools zur „Führungskräfte-Entwicklungsforschung“, International Consortium for Executive Development Research, wo eben wie es der Name sagt, Methoden der Führungskräfte-Entwicklung erforscht und anwendungsreif gemacht wurden – zur ausschließlichen Nutzung für die Partner. Neben Continental gelang es dem Autor später, dass Bayer und die Deutsche Bank als weitere Mitglieder aufgenommen wurden.

Insgesamt eine einzigartige Erfolgsstory, weil daraus aufbauend die bis heute wirksame Führungskräfte-Entwicklung der Continental entstand.

Ein anderes Beispiel: Hahn schickte 1981 Siegfried Nebe, den Qualitätsverantwortlichen und den Autor für 3 Wochen nach Japan. Sie sollten herauszufinden, wodurch die Japaner, die weltweit die Führung hinsichtlich der Qualitätssicherung bei Produkten und Prozessen übernommen hatten, dies erreichten, verbunden mit der Zielsetzung, gewonnene Erkenntnisse ins eigene Unternehmen zu transferieren. Letztlich ging es primär um eine andersartige Qualitäts-philosophie – Qualität muss zu Beginn des Prozesses entstehen und nicht hinten bei der Kontrolle – und das Verstehen der zu diesem Zwecke genutzten Methoden, Strukturen und Formen. Die Adaption des von den Japanern so erfolgreich eingesetzten Kanban-Systems war, bei Continental eingeführt, gerade „knallend in die Hose“ gegangen und hatte weder zu effizienterer Fertigungssteuerung noch zu geringeren Kosten geführt.

Um nicht zu sehr ins Einzelne zu gehen – es ging also um arbeitsmethodische Themen wie Kanban und Just-in-Time, und dann natürlich hochgradig um Gruppenarbeit, bekannt unter dem Namen Quality Circles. Was da aus Japan mitgebracht wurde, war zum Glück für die bei Continental gepflegte deutsche Arbeitskultur nicht vollständig fremd und zumindest nach intelligenter Transformation relativ einfach in Teilen einzuführen. Dabei ging es fast nie um das „Ob“, sondern um das „Wie“. Kanban setzte sich langfristig jedoch nicht durch, da es nicht bei Kunden und Zulieferern gleichermaßen als gemeinsam genutztes System eingeführt werden konnte und am Schluss nur zu höheren Lagerhaltungskosten bei den Zulieferern führte.

Erheblich weniger spektakulär verliefen durchaus bemerkenswerte Initiativen hinsichtlich der Verbesserung des Kernprodukts Reifen. Dafür ein Beispiel, das zeigt, worauf Nebe mit seiner Strategie aufsetzen konnte, nämlich der Innovationskraft der Continental-Ingenieure: Klug und systematisch arbeiteten sie daran, Reifentest-Ergebnisse, die wichtigsten Daten für Reifendesign und –produktion von menschlichen Einflüssen (Versuchsfahrer) unabhängig zu machen und zudem diese zuverlässigeren Ergebnisse schneller zu erhalten – Qualitäts- und Kapazitätserweiterung der F&E also.

1968 – das Contidrom in Jeversen war mit seiner 2,4 km langen Versuchsstrecke und seinen Aquaplaning-Testmöglichkeiten bereits in Betrieb – begannen die F&E Ingenieure mit fahrerlosen Autos zu arbeiten, die in der Spitze auf 120 km/h beschleunigt und faktisch mit jeder Geschwindigkeit die ovale Rundstrecke befahren konnten. Als Partner hatte man Siemens und Westinghouse, sowie die TUs München und Darmstadt gewonnen. Fahrerlose Tests mit 120 km/h fahrenden Autos – eine Riesensensation damals; allerdings noch meilenweit von dem entfernt, was Continental seit 2018, als einer der Protagonisten von autonomem Fahren, im Contidrom und anderswo in der Welt macht. Die damalige Innovation bestand darin, elektrisch geladene Kabel in oder auf der Fahrbahn zu verlegen; das entstehende Magnetfeld wurde von zwei Messspulen unterhalb des Fahrzeugs erfasst; sobald die Randbereiche des Magnetfeldes erreicht wurden, griff ein Regler ein und lenkte das Auto zurück auf seine Spur. Fahrbefehle, Geschwindigkeits- und Bremsbefehle kamen elektronisch. Sicher, das war noch kein autonomes Fahren…aber die Enkelgeneration dieser Ingenieure schaffte das ja dann doch.

Dies Beispiel zeigt, dass die Protagonisten der kategorischen Qualitätsverbesserung des Kernprodukts Reifen, die Hahn dringend brauchte und vorantrieb, durchaus auf vorhandenem, strategieorientiertem Verhalten aufbauen konnten.

Die Zentralfunktion Finanzen unter Horst W. Urban, war zielgerichteter Fortschritt schlechthin. Hier wurde laufend innoviert: Ein besonders schönes Beispiel ist die Gestaltung der Finanzierung der Übernahme von Uniroyal Europa mit der Ausgabe privat platzierter Wandeldarlehen – ein Meisterstück. Ein Instrument, das man danach auch zur Verbesserung der gesamten Finanzstruktur des Unternehmens einsetzte – Schuldverschreibungen gegen ein Aktienbezugsrecht. Nicht zu vergessen – von ihm eingeführt – ein alle Konzerngesellschaften übergreifendes Cash-Management. Urban gelang es, perfekt auf der Klaviatur des internationalen Finanzmarktes zu spielen; viel früher als in anderen deutschen Unternehmen. Die für seine Zentralfunktion gewonnenen Experten waren diesbezüglich erstklassig! It’s all about people!

Eine bemerkenswerte Entwicklung also durch Carl Hahn initiiert – bevor er 1982 als Vorstandsvorsitzender zu Volkswagen wechselte.

Ihm folgte Helmut Werner. Er war im Zuge der Akquisition der europäischen Uniroyal-Aktivitäten ins Unternehmen gekommen. Und, vormals Chef der „ETTO“, wie die europäischen Uniroyal Aktivitäten hießen, wurde er zum Vorstandsvorsitzenden ernannt.

Werner führte die Übernahme der Semperit Reifen GmbH, die Hahn bereits ein Dutzend Jahre vorher durch unterschriftsreife Verhandlungen ins Spiel gebracht hatte, 1985 zum Erfolg. Wobei sich dies strategisch – ein Weltmarkt war im Entstehen – nicht ohne weiteres erschloss: Semperit fuhr Jahr für Jahr höhere Verluste ein, zwei österreichische Werke mussten restrukturiert werden, das Dubliner Werk war vollständig heruntergekommen und…man kaufte keinen großen Markt, keinen internationalen Markennamen. Positiv, aber sicher nicht strategisch, waren allenfalls die folgenden Überlegungen: Aus Semperit möglichst schnell, neben Uniroyal, eine zweite Billigmarke zu machen; was aber von Semperit heftig bekämpft wurde. Einige Vorteile kurz herausgestellt: Die Nutzung der Mitgliedschaft Österreichs im GATT, mit guten Geschäftsmöglichkeiten in die dazu gehörenden Märkte hinein, eine gute technologische Kompetenz bei Lkw Reifen, eine durch österreichische Subventionen weitgehend investitionsfreie Übernahme, mit zwei Unternehmenskulturen, die völlig anders als bei Uniroyal gut zueinander passten, …

Schon sehr bald wurde klar, dass ohne eine nachhaltige Präsenz auf dem amerikanischen Markt, die Zukunft eines ernstzunehmenden Wettbewerbers im Weltmarkt Reifen nicht möglich war. Mehr zufällig kam es zur Akquisition von General Tire. Deren Holding, GenCorp, sah sich feindlichen Übernahmeversuchen ausgesetzt und entschloss sich zum Verkauf der Reifendivision. Aus der Zeit des technologischen Aufholprozesses nach dem zweiten Weltkrieg und des Technologietransfers zu General Tire Südafrika gab es stabile Beziehungen und eine vergleichsweise ähnliche Reifentechnologie und Fertigungsstruktur.

Werner und Urban hatten den Vertrag ausgehandelt, bevor Werner zu Daimler Benz wechselte und Urban neuer Vorstandsvorsitzender wurde und nun den neuen Konzern aufbauen musste. Man entschloss sich, General Tire als amerikanisches Unternehmen selbständig fortzuführen. Letztendlich hatte man in Hannover allenfalls marginale Erfahrungen auf dem amerikanischen Markt. Gemessen an europäischen Maßstäben waren Produktivität und Qualität nicht akzeptabel – insbesondere bei Lkw Reifen. Urban musste also GT „an die Kandare nehmen“. Nun prallten die total unterschiedlichen Managementkulturen harsch aufeinander; mit der Konsequenz, dass Urban die strikt marketingorientierte GT-Führung komplett austauschte. Zu einer gemeinsamen strategischen Ausrichtung kam es jedoch erst nach vielen Jahren und Effizienz und Effektivität kostender Maßnahmen. Die Unternehmensleitung musste (fast zu) spät erkennen, dass man sich strategisch übernommen hatte. Die in den Grundzügen von Hahn entworfene Expansions- und Wachstumsstrategie, von Werner und Urban den sich wandelnden Branchenbedingungen nicht angepasst, sondern lediglich konsequent weitergeführt, war an ihre Grenzen gekommen.

Die strategischen Maßnahmen lassen sich am besten damit beschreiben, dass Marketing eine größere Bedeutung einnahm. Stichwort – Mehrmarkenstrategie. Vor dem zweiten Weltkrieg war Continental eine Marke mit Weltgeltung – danach, mit dem Nazi-Image behaftet – war das anders. Somit mussten die internationalen Marken Uniroyal und General Tire einen entsprechenden Platz einnehmen.

Hinzu kam, dass der Wettbewerb in der Automobilindustrie kritische Formen annahm. Vor allem versuchte diese, die inzwischen zu 40% auf Zulieferer verlagerte Komponentenfertigung auf 60% zu erhöhen, wie das die japanischen Hersteller vorexerzierten. Das führte zu einer enormen Einkaufsmacht der Erstausrüster – mit erheblichen Verlusten für Continental im Vertriebskanal Erstausrüstung. Das Ersatzgeschäft konnte die Verluste gerade noch abdecken.

Wobei nicht vergessen werden sollte, dass nun Reifenhersteller zu einem strategischen Partner der Automobilfirmen bei der Neuentwicklung von Fahrzeugen wurden. Von Zyklus zu Zyklus wurde Continental kompetenter in ihrem Fahrzeug-Knowhow, auf dem der Vorsitzende Hubertus von Grünberg mit seinem kategorischen Wandlungskonzept Ende der 90er Jahre aufbauen konnte.

Natürlich versuchte sich Continental dieser neu entstehenden Rolle eines Partners der Autohersteller durch das zu nähern, was sie in ihrer Geschichte am besten gekonnt hatte – ingenieurgetriebene Produktinnovation. Etwa pannensichere Reifen zu bauen. Technologisch hoch innovativ, bekannt unter dem Namen CTS, Conti Tire System, wurde daraus dennoch nichts, weil zu wenige Wettbewerber bereit waren, in die anspruchsvolle und kostenintensive Fertigung zu investieren.

Was allerdings in den 80er Jahren, bis in die 90er hinein gelang – das waren grundlegende Qualitätsverbesserungsschritte bei Reifen, sodass man die darin führende Michelin schließlich einholen konnte.

Festzuhalten bleibt: Dies war eine gewaltige Berg- und Talfahrt. Alles in allem gelang es, die Grundlagenforschung – Reifenmechanik, EDV-Anwendung, Prüfverfahrensentwicklung und Industrialisierung, Analyse von Wettbewerbsprodukten und F & E Planung – im Forschungszentrum Hannover zusammenzuziehen. Die Produktentwicklung erfolgte dagegen markenspezifisch dezentralisiert. „Gemeinsam forschen – getrennt entwickeln“ wurde zur Philosophie. Dies alles führte das Unternehmen bei Reifen zurück zur Exzellenz in einer ihrer Kernkompetenzen.

Im Konzernbereich Technische Produkte lief es nach Einführung der Profit-Center-Politik längst nicht so gut wie erwartet. 1982 wurde der Verlust beträchtlich, alle Wettbewerber konzentrierten sich von Reifen auf TP, was zu wachsenden Kapazitäten mit heftigem Preisverfall führte. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben wurden auf ein Minimum begrenzt Spitzenreiter war die Einheit Profile. Eine Vielzahl von Maßnahmen wurde ergriffen: Neue Fertigungen entstanden in Korbach, Northeim und Dannenberg, im hannoverschen Werk Limmer eine moderne Mischanlage, gleiche Produkte wurden in homogenen Fertigungen zusammengeführt, Konzentration auf hochwertige Spezialprodukte. Und es erfolgte eine Fülle von Restrukturierungsmaßnahmen, sodass wettbewerbsfähig gefertigt werden konnte.

!983 konnte man nach 1978 erstmals wieder schwarze Zahlen präsentieren. Der von Carl Hahn ins Unternehmen geholte Julius Peter, jetzt für TP verantwortlich, verabschiedete sich 1982 in den Ruhestand; nunmehr führte Peter Haverbeck, ein Continental Eigengewächs, TP allein. Da es besonders an Internationalisierung mangelte, schloss man Kooperationsverträge mit Toyoda Gosai, Kléber, Firestone und mit General Tire, sehr viel früher als mit deren Reifeneinheit. Mit Anoflex erwarb man ein französisches Unternehmen, mit Hycop ein schwedisches, mit Elastorsa ein spanisches, mit Ages ein italienisches, man beteiligte sich an einem Schlauchhersteller in der Türkei, und auch die teilweise noch in Tochtergesellschaften beheimateten Fertigungen wurden in das jeweilige Profit Center integriert.

Die außerordentliche Erfolgsstory von TP hatte begonnen. Unternehmergeist bekam die Chance „zu erblühen und Früchte zu tragen“.

Der Konzern war damit organisatorisch auf einem komplett anderen Weg – weg von einer Standardorganisation, hin zu einer Organisationsphilosophie, die man „structure follows markets“ nennen könnte. Und die Markendominanz der Produkte ließ Continental früher als viele Wettbewerber zu einer Ergänzung kommen, die man mit „think globally act locally“ beschreiben könnte. Oder anders ausgedrückt – das von Beginn an eher produkt-, material-, technik- und technologieorientierte Unternehmen wandelte sich nun, seine frühere Kernkompetenz ergänzend, zu einem marktorientierten.

1980 hatte der Aufsichtsratsvorsitzende Alfred Herrhausen dem Aufsichtsrat gesagt, drei Ziele müssten erreicht werden, um in der Zukunft im internationalen Wettbewerb bestehen zu können: Qualität der Leistungen, Internationalität und finanzielle Stabilität und Ertragskraft. 1983 konnte er die geschilderten Fortschritte melden.

Primär waren also bisher Produkte, Technik und Technologie und die diesbezüglichen Experten die Erfolgstreiber gewesen; die Kunst des Marketings war hinzugekommen. Sie sollten das, wie wir noch sehen werden, in hohem Maße auch weiterhin bleiben. Mit fortschreitender Internationalisierung, um noch nicht von Globalisierung zu sprechen, was jedoch für die gesamte Reifenbranche durchaus zutreffend war, kam als neuer Erfolgstreiber hinzu (auf keinen Fall jedoch an Stelle von…), die modernen Instrumente rund um Finanzen zu beherrschen. Nicht nur Kostenrechnung und Controlling, auch nicht nur Cash-Management…Es erforderte Kapital! Um in den internationalen Märkten vertreten zu sein, Marken weltweit zu entwickeln, markt-spezifische Produkt zu entwickeln, u.v.m. Kapital musste rund um die Welt eingesammelt werden, und zwar von Kapitalgebern, die eine hohe Wertsteigerung forderten. Viel Kapital suchte nach Anlagen, mit denen man Wertschöpfungen erzielen konnte. Continental musste deshalb die Professionalität und das Umgehen damit erlernen. Das war ein weiterer komplementärer Erfolgstreiber.

Der Vorsitzende Horst Urban, gerade mit diesen Themen von Beginn an befasst, schien genau damit fertig werden zu können.

Das erste Lernerlebnis sollte schon bald kommen…

Die Aktienkurse explodierten und die „Deutschland AG“, Bayer, Deutsche Bank und Münchener Rück verkauften 1983 ihre Aktien, womit Continental zu einer reinen (internationalen) Publikumsgesellschaft wurde. Die damit verbundenen Gefahren von feindlichen Übernahmen versuchte man mit einer Begrenzung der Stimmrechte auf jeweils 5% einzufangen, wie andere deutsche Unternehmen es ebenfalls machten. Eine neuerliche Analyse des Aktienbesitzes ergab 1984, dass die Deutsche Bank wieder größter Aktionär mit 13,8% geworden war, dass weitere 22% von Aktionären in ihren Stimmrechten durch Banken vertreten wurden und Kleinaktionäre, vertreten von Schutzgemeinschaften, 5,5% besaßen. Mehr und mehr gewannen internationale Aktionäre an Bedeutung, nicht zuletzt durch eine Art Finanzmarketing mit der „Tag Line“ Shareholder Value, was 1986 zu einer Quote von ca. 53% für internationale Aktionäre führte. Also alles in allem – eine sehr beruhigende Entwicklung des Finanzgeschehens des gewachsenen Unternehmens. Schon bald munkelte die internationale Aktionärs-Community über Aktienaufkäufe; was Continental dementierte und, wie man sagte, nach eigenen Aussagen, nicht bekannt war. Aber es stimmte dennoch.

Pirelli steckte dahinter. Hier soll nicht der gesamte, letztlich feindliche Übernahmeversuch durch Pirelli4 erzählt werden. Nur vielleicht so viel…