J.C. - Agent gegen den Rest der Welt - Joe Craig - E-Book

J.C. - Agent gegen den Rest der Welt E-Book

Joe Craig

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Beschreibung

Schnelligkeit, Kraft und tödliche Instinkte

Jimmy Coates wirkt auf den ersten Blick wie ein ganz gewöhnlicher 13-Jähriger. Doch genau das ist er nicht! Er ist ein jugendlicher Superagent mit speziellen Kräften und tödlichem Auftrag. Doch Jimmy folgt seinem Gewissen und entscheidet sich für den Widerstand gegen die korrupte, neoliberale Regierung seines Landes. Dort sollen nun endlich Wahlen stattfinden, doch sie werden durch einen Hackerangriff manipuliert. Jimmy und seine Freunde versuchen das mit allen Mitteln zu verhindern, und wieder einmal findet er sich in einem tödlichen Kampf gegen den Rest der Welt.

Die Abenteuer von Agent J.C. sind atemberaubende actionreich und bieten Spannung der Extraklasse - Lesevergnügen pur für alle Fans von rasanten Szenen und überraschenden Wendungen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 323

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JOE CRAIG

AGENT GEGEN DEN REST DER WELT

Aus dem Englischen von

Alexander Wagner

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© 2019 der deutschsprachigen Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

© 2009 Joe Craig

Die englische Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel:

»Jimmy Coates – Blackout« bei HarperCollins Children’s Books,

einem Imprint der Verlagsgruppe HarperCollins Ltd, London

Übersetzung: Alexander Wagner

Umschlagkonzeption: Isabelle Hirtz, Inkcraft

unter Verwendung der Motive von

© Shutterstock (yanik88; Monkey Business Images; Radek Sturgolewski)

MP • Herstellung: UK

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-23259-7V001

www.cbj-verlag.de

Für Mary-Ann

Vier Kilometer unter der Erde, von massivem Beton umgeben, stand einer der sieben Supercomputer der britischen Regierung. Er war kurz davor, gehackt zu werden. Niemand auf der Menwith Hill Royal Air Force Basis in North Yorkshire, unter der sich der Computer befand, ahnte etwas von der Attacke. Als im Inneren des Rechners ein Schadprogramm flackernd zum Leben erwachte, war die Schlacht in kürzester Zeit verloren.

Der Computerwurm fraß sich durch das System, eine rasend schnelle Folge winziger elektrischer Impulse. Sie waren kaum wahrnehmbar, und sie wären im Grunde ohne größere Auswirkung geblieben, wäre nicht im selben Moment, Hunderte Kilometer nördlich und elf Kilometer über der Erde, ein Aurora Blackbird SR-91 in den britischen Luftraum eingedrungen.

Beide Ereignisse waren perfekt miteinander koordiniert. Der Wurm schlängelte sich wie vorgesehen durch das Computernetzwerk, schuf eine winzige Lücke im britischen Satellitenüberwachungssystem, durch die der Aurora Blackbird wie eine schlanke Fechterklinge stieß. Der punktgenaue Überwachungsausfall machte das Flugzeug praktisch unsichtbar. Es war hoch genug und schnell genug, um den herkömmlichen, bodengebundenen Radarsystemen zu entgehen, seine schwarze Neopren-Titan-Beschichtung schluckte jedes Licht, der Treibstoff auf Cäsium-Basis machte die Abgase absolut transparent.

In kürzester Zeit überquerte das Flugzeug die Inseln im Norden Schottlands und erreichte das Festland. Es flog noch mit 1.900 Stundenkilometern, als sich die Klappen im Boden öffneten. Zwei schwarze Leichensäcke fielen aus dem Bauch des Flugzeugs. Dann machte es sofort kehrt, um den britischen Luftraum ebenso unbemerkt wieder zu verlassen.

Die Pakete taumelten durch die Atmosphäre. Sie erreichten ihre Endgeschwindigkeit, noch bevor sie durch die Wolkendecke stürzten. Der Wind peitschte auf das beschichtete Material ein, sodass sich die Konturen der Körper im Inneren abzeichneten.

Nach einigen Sekunden entfalteten sich automatisch zwei schwarze Fallschirme und bremsten den Sturz. Die Leichensäcke schwebten durch die Luft und landeten schließlich auf einem Stück Heide, sechzehn Kilometer von der nächsten Straße entfernt. Dort lagen sie fast zwei Stunden lang, zehn Meter voneinander entfernt, bewegungslos, bis auf das Flattern des Stoffes im Wind.

Dann begannen sich beide Säcke gleichzeitig zu bewegen. Sie drehten sich, bis ihre Reißverschlüsse nach oben zeigten. Bei einem normalen Leichensack wären die Reißverschlüsse nur von außen zugänglich gewesen. Aber diese hier waren anders.

Beide Säcke öffneten sich und zwei Personen kletterten heraus. Sie richteten sich schwankend auf – ein Mann und eine Frau, beide groß und mit schwarzen Overalls bekleidet. In der Dunkelheit warfen sie sich einen stummen Blick zu. Dann dehnten und streckten sie sich. Der Mann blinzelte und bewegte rasch den Kopf, dass seine strähnigen schwarzen Haare flogen, um die Benommenheit abzuschütteln. Die Frau folgte seinem Beispiel, dann rafften beide ihre Fallschirme zusammen und stopften die schwarze Seide in die schützenden Leichensäcke.

Der Mann zog eine Streichholzschachtel und zwei gekochte Eier aus seiner Tasche. In Sekundenschnelle standen die Fallschirme und Leichensäcke in Flammen und erleuchteten den Hügel. Die beiden warteten schweigend und dämmten das Feuer mit einem Ring aus feuchtem Heidekraut ein, während sie vorsichtig die Eier schälten und verzehrten. Bald drauf traten sie die Glut aus, hinterließen keine Spur der Ausrüstung, die ihnen diesen krassen Sprung aus höchster Höhe ermöglicht hatte.

Immer noch schweigend zog die Frau einen Kompass hervor. Dann marschierten die beiden Gestalten Richtung Süden.

KAPITEL 1

Die beiden Wachmänner schlenderten zurück zu ihrem Pförtnerhäuschen und erzählten sich dabei einen Witz.

»Alles klar«, sagte einer immer noch kichernd in sein Walkie-Talkie.

»Danke, Betastation«, kam es knisternd zurück. »Nächster Patrouillengang um 0400.«

»Gerade genug Zeit für ein Bierchen«, murmelte die andere Wache mit leicht irischem Akzent.

Sie schalteten ihre Taschenlampen aus und schlüpften rasch in ihr Häuschen, um Zuflucht vor dem scharfen Wind zu suchen. Beide Männer hätten aus dem gleichen Lego-Set gebaut sein können: ein quadratischer Block von den Schultern bis zum Boden. Sie trugen blaue Uniformen mit Schirmmützen, unter denen ihre grauen Haare hervorlugten.

Das Pförtnerhäuschen war gerade so groß, dass sie nebeneinander sitzen konnten. Nachdem sie sich niedergelassen hatten, inspizierten sie die Reihe der CCTV-Monitore. Mit deren Hilfe konnten sie das gesamte Gebäude überwachen, das sie gerade bei ihrem Patrouillengang umrundet hatten: ein kleiner gläserner Bürokomplex in der Londoner South Bank, von hohen Mauern umgeben. Von hier aus hatte ein Mann namens Christopher Viggo seinen Wahlkampf geführt – die einzige legitime Opposition gegen die britische Regierung –, und niemand konnte sich dem Haupttor nähern, ohne vom Pförtnerhäuschen aus gesehen zu werden.

»Was ist das?«, murmelte die irische Wache. Er klopfte mit dem Finger gegen einen der Bildschirme. »Welche Kamera ist das?« Das Bild war wegen des Infrarotmodus der Kamera ziemlich grobkörnig, aber innerhalb eines hellen Flecks waren zwei menschliche Silhouetten in einer Hütte zu erkennen.

»Das sind wir«, antwortete die andere Wache.

»Das weiß ich, du Idiot, aber was ist das?« Er tippte erneut mit dem Finger auf die Stelle. »Dieses Pförtnerhäuschen hat normalerweise keine Kuppel.«

Beide lehnten sich vor, um den Bildschirm genauer zu betrachten.

»Hockt da oben jemand?«

Seine Frage wurde mit einem ohrenbetäubenden Krachen beantwortet. Splitter regneten auf sie herab und eine schwarze Gestalt brach durch das Dach. Sie landete auf der älteren Wache, wirbelte herum, fegte die Mütze des Mannes quer durch den Raum. Die harte Kante des Mützenschirms traf die andere Wache genau zwischen den Augen. Sein Körper erschlaffte, sackte zurück in den Stuhl.

Der Angreifer riss den ersten Wachmann zu Boden, nagelte seine Brust mit dem Knie dort fest. Erst jetzt erkannte der Wächter das Gesicht.

»Jimmy!« keuchte er. »Du bist –«

»Ich bin nicht da«, flüsterte Jimmy. Er presste seine Hand auf den Mund der Wache, fixierte ihn mit ruhigem Blick. Seine grünen Augen glitzerten wie in einem Sumpf lauernde Alligatoren. »Ich bin drinnen und schlafe.« Er nickte in Richtung Gebäude. Das oberste Stockwerk war zu einem einfachen Apartment umgebaut worden, in dem er mit seiner Mutter, seiner Schwester Georgie und seinem besten Freund Felix wohnte. Auch Viggo selbst lebte dort, aber die Lichter in den unteren Büros zeigten an, dass er und einige seiner Mitarbeiter noch beschäftigt waren.

»Niemand weiß, dass ich mich rausgeschlichen habe«, flüsterte Jimmy, »und das soll so bleiben. Verstanden?«

Der Wächter nickte, unter Jimmys hartem Griff wurden seine Wangen ganz weiß.

»Ich werde Sie jetzt loslassen«, erklärte Jimmy leise. »Wenn ich das tue, geben Sie keinen Mucks von sich, sofern ich es nicht sage, okay?« Die Wache nickte erneut hektisch. »Sie reparieren das Dach mit dem Brett, das ich hinter dem Häuschen abgestellt habe. In vier Minuten wecken Sie Ihren Kumpel, erklären ihm alles, und wenn es so weit ist, gehen Sie beide wie üblich auf Patrouille.« Jimmy sprach ruhig, aber mit großer Dringlichkeit. »Und ich muss mich darauf verlassen können, dass Sie beide mich heute Abend wieder reinlassen. Verstanden?«

Jimmy lockerte langsam seinen Griff und gab den Mund des Mannes frei.

»Ja, Jimmy«, keuchte die Wache. Jimmys Knie presste seine Lungen zusammen. »Aber sollte ich nicht Mr Viggo informieren?«

Jimmys Augen wurden zu Schlitzen, sein Knie bohrte sich fester in die Brust des Mannes.

»Wenn ich Chris hätte informieren wollen«, zischte er, »hätte ich es ihm in seine Buchstabensuppe geschrieben.«

»Ich habe Anweisungen, die ich befolgen muss. Sonst wird Mr Viggo –«

»Die Anweisungen sind außer Kraft gesetzt«, fauchte Jimmy zwischen zusammengepressten Zähnen. »Sie gelten in dem Falle nicht. Verstanden?«

Jimmy hörte die Härte in seiner eigenen Stimme und lockerte widerstrebend etwas von dem Druck seines Knies. Diese Männer waren schließlich auf seiner Seite. Sie waren da, um ihn zu beschützen. Sie hatten keine Schmerzen verdient.

»Und bitte erzählen Sie Chris nichts davon«, fügte er hinzu.

»Bitte?«, stotterte die Wache. »Bittest du mich, oder befiehlst du es mir?«

»Wie auch immer«, sagte Jimmy mit einem kleinen Lächeln. »Behalten Sie es für sich, sonst erfährt jeder, wie nachlässig Sie beide waren. Was, wenn das ein echter Angriff gewesen wäre? Was, wenn jemand einen neuerlichen Mordanschlag auf Chris unternommen hätte?«

Jimmys Ausdruck wurde finster. Seine Worte riefen lebhafte Erinnerungen in ihm wach. Als die Regierung zum ersten Mal einen Anschlag auf Christopher Viggo verüben wollte, hatte sie Jimmy geschickt. Das schien so lange her zu sein – Jimmy hatte damals gerade erst die Wahrheit über sich selbst herausgefunden: dass er von der Regierung als genetisch konstruierter Agent eingesetzt werden sollte.

Damals wurde durch die Regierung überhaupt keine Opposition zugelassen und Viggos Proteste hatten den Mann zur Zielscheibe gemacht. Seit Jimmy die Seiten gewechselt hatte, hatten er und Viggo einiges erreicht: Die Regierung war durch sie gezwungen worden, ihre Haltung zu ändern.

»Wer sollte Viggo denn angreifen?«, protestierte die Wache. »Er arbeitet jetzt ganz legal. In ein paar Stunden findet eine Wahl statt. Eine richtige Wahl, Jimmy! Die erste seit Jahren. Wenn es eine echte Bedrohung gäbe, hätte Viggo in den letzten sechs Monaten niemals so frei in der Öffentlichkeit sprechen können. Oder an so einem großartigen Ort leben und arbeiten können, ohne sich in der Kanalisation verstecken zu müssen.«

Jimmy schenkte dem Mann kaum Beachtung. Er erhob sich, klopfte die Holzsplitter von seiner Trainingshose und seinem Kapuzenpulli. Er hatte den schlanken, drahtigen Körper eines dreizehnjährigen Jungen, kaum jemand hätte in ihm besondere Fähigkeiten vermutet.

»Wenn Chris’ Aktivitäten jetzt ganz legal sind«, murmelte Jimmy, »warum hat er dann Ex-Militärs als Wachleute? Wovor hat er Angst?« Sein Blick streifte über die blau schimmernden CCTV-Monitore, als könnten sie die Antwort liefern. »Was ist da draußen?«

»Es sind nur Schatten, Jimmy«, erwiderte der Wachmann. »Es ist gefährlicher für dich als für Mr Viggo. Du stehst immer noch ganz oben auf der NJ7-Fahndungsliste. Du hast Glück, dass sie keine Ahnung von deinem Aufenthalt hier haben.«

Bei der Erwähnung des NJ7 stieß Jimmy ein leises, angewidertes Knurren aus. Es war Großbritanniens topmoderner Geheimdienst. Der beste der Welt: der effizienteste und skrupelloseste. Auch Viggo hatte einmal für sie gearbeitet, bevor ihm ihre Maßnahmen zu extrem wurden. Jimmy musterte die beiden Wachen. Auch sie waren Ex-NJ7-Agenten, aber jetzt auf Viggos Seite.

»Sie sind nicht gerade sehr aufmerksam, oder?«, sagte Jimmy mit Blick auf die drei leeren Chips-Tüten am Boden. Der Wachmann öffnete seinen Mund, hatte aber nicht wirklich etwas zu sagen. Er wirkte so verlegen, dass Jimmy den Kopf schüttelte und wegschaute.

»Lassen Sie mich einfach später wieder rein«, seufzte Jimmy. »Und sorgen Sie dafür, dass meine Abwesenheit nicht bemerkt wird, okay?«

»In Ordnung, Jimmy«, sagte der Wächter kleinlaut. »Aber wo willst du hin?«

Er bekam keine Antwort. Jimmy war bereits aus der Tür geschlüpft und in der Dunkelheit verschwunden.

Eva Doren tippte eilig auf der Tastatur. Alle paar Sekunden schaute sie ängstlich über die Schulter. Die Computer des NJ7 waren raffiniert abgesichert, das Eindringen hatte unerwartet lange gedauert. Sie war kein Hacker, aber sie hatte in den Monaten, seit sie hier arbeitete, viel über die Sicherheitsmaßnahmen des NJ7 gelernt, außerdem besaß sie die Freigabe für die meisten der generischen Zugangscodes.

Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und hämmerte weitere Zahlen in die Tastatur. Wieder vergeblich, und die Fehlermeldung schien diesmal noch wütender zu blinken, ebenso wie der vertikale grüne Streifen – das Emblem des NJ7.

Jedes Mal, wenn sie diesen grünen Streifen sah, kroch Panik in ihr hoch. Er stand für die Lügen, die Einschüchterungsmaßnahmen, diese überall lauernde Gewalt. Unter deren Folgen hatte das ganze Land gelitten, auch wenn die meisten nichts davon geahnt hatten. Und noch immer konnte man jederzeit vom NJ7 verhaftet und eingesperrt werden, wenn man irgendetwas tat oder sagte, das nach Kritik an der Regierung roch. Niemand spürte diese Gefahr im Augenblick intensiver als Eva selbst.

Beim NJ7 war man der Überzeugung, Eva hätte Jimmy Coates verraten und ihre Familie verlassen, um als Assistentin für Miss Bennett zu arbeiten, die skrupellose Direktorin des NJ7. Eva lebte in ständiger Angst, jemand könnte die Wahrheit herausfinden: dass sie immer noch loyal zu Jimmy stand. Jimmys Schwester, Georgie Coates, war ihre beste Freundin, und Eva tat alles, was in ihrer Macht stand, um den beiden zu helfen.

Komm schon, flehte sie und blinzelte ein paar Mal, um die Müdigkeit abzuschütteln. Sie war noch nicht bereit aufzugeben. Sorgfältig tippte sie einen weiteren Code ein, und diesmal …

Ja! Triumphierend ballte sie die Faust, richtete sich auf und straffte die Schultern. Habe ich euch, dachte sie stolz. Aber als sie sich durch die Dateien klickte, war jede mit einem unbekannten Programm zusätzlich verschlüsselt. Verärgert verzog sie die Lippen.

»Mist!«, murmelte sie. Die Technikabteilung übertrieb es wirklich, fand Eva, eine komplette Zeitverschwendung. Gleichzeitig wusste Eva, dass niemand in der Geschichte des NJ7 vorsichtiger gewesen war als der Mann, hinter dessen Akten sie heute Abend her war: Dr. Higgins.

Dr. Higgins hatte den NJ7 vor Monaten unter mysteriösen Umständen verlassen, doch sein Schatten schien noch heute über jedem Korridor zu schweben. Als Wissenschaftler war er für die Entwicklung der ersten beiden genetisch veränderten Agenten verantwortlich gewesen: Jimmy Coates und Mitchell Glenthorne.

Eva saß jetzt an seinem früheren Schreibtisch, an dem Computer mit seiner alten Festplatte, der dort zur genaueren Untersuchung bereitstand.

Wenn ich nur mehr Zeit hätte, dachte sie. Und warum ausgerechnet heute Abend? Aber natürlich war das Timing perfekt: Die Wahl morgen war eine super Ablenkung. Eva war seit Monaten undercover beim NJ7, aber zum ersten Mal konnte sie sich völlig unbeobachtet durch die Tunnel des Hauptquartiers bewegen. Um sie herum herrschte überall hektische Aktivität, niemanden interessierte, wohin sie ging oder was sie vorhatte.

Für einen Moment stellte sie sich die Straßen von Central London über sich vor. So spät in der Nacht waren sie zweifellos völlig verlassen, doch im Tunnelnetz direkt darunter, da wimmelte es nur so von Menschen. Deren eiligen Schritte hallten von den kahlen Wänden wider, das Rascheln der Papiere verschmolz mit geflüsterten Gesprächen. Schwärme von schwarzen Anzügen mit grünen Streifen eilten durch die Betonflure. Wie emsige Ameisen in ihrem Bau bereiteten sich die NJ7-Agenten auf die kommende Wahl vor.

Wenn Jimmy ihr nur genauer gesagt hätte, welche Informationen er benötigte. Sie hätte versuchen können, sie woanders zu finden. Aber es hatte keine Gelegenheit zu einem ausführlicheren Austausch gegeben. Am Morgen hatte Eva Miss Bennett zur der Pressekonferenz des Premierministers begleiten müssen. Was die Journalisten fragen durften, wurde immer Monate im Voraus festgelegt, aber diesmal waren auch einige spontane Fragen zugelassen. Da die ersten Parlamentswahlen seit Jahren anstanden, hatten natürlich alle Journalisten drängende aktuelle Fragen, also hatte Eva geholfen, alles möglicherweise gegen die Regierung Gerichtete herauszufiltern.

Jede Frage musste auf ein offizielles Formular geschrieben werden, und Eva hatte keine Ahnung, wie es Jimmy gelungen war, ein weiteres in ihren Stapel zu schmuggeln. Sie spürte immer noch ihre Gänsehaut, die sie bekommen hatte, als sie Jimmys Handschrift erkannte. Sie hatte rasch aufgeblickt, aber nur noch den gebeugten Rücken einer davonhumpelnden Reinigungskraft bemerkt. War das Jimmy gewesen? Oder fantasierte Eva, um sich die merkwürdigen Vorgänge zu erklären?

Auf dem Zettel hatte in Jimmys krakeliger Schrift gestanden, dass sie sich am späten Abend auf dem nahe gelegenen Parkplatz treffen mussten. Eva sollte Jimmy Informationen aus Dr. Higgins’ Computer besorgen – über das genetische Design der jugendlichen Agenten und insbesondere über Jimmys DNA.

In diesem Augenblick ließ ein Geräusch Eva zusammenzucken. Jemand näherte sich, und hier gab es nirgendwo ein Versteck. Beim NJ7 gab es keine Türen, nur ein gewaltiges Netzwerk von Tunneln, mit offenen Bereichen für Schreibtische und Büroräume. Frustriert schlug sie mit der Handfläche auf den Schreibtisch, hinterließ dabei einen feuchten Handabdruck auf dem Leder, den sie sofort mit dem Ärmel abwischte. Die Schritte im Flur vermischten sich mit dem lauten Pochen ihres Herzens. Sie musste an einem anderen Abend wiederkommen, wenn sie alle benötigten Zugangscodes aufgetrieben hatte.

Schnell schaltete sie den Computer aus, wischte die Tastatur sauber und ging zum Aktenschrank. Er war abgeschlossen.

»Wie können die überhaupt arbeiten in dieser blöden Abteilung?«, murmelte sie. Aber sie ließ sich nicht irritieren. Auf dem Aktenschrank befand sich eine gelbe Dokumentenbox. Darauf stand die Zahl 7 untermalt von einem grünen Streifen. Irgendeine Information ist besser als nichts, dachte sich Eva. Jimmy mit leeren Händen zu treffen, war keine echte Option.

Sie öffnete die Dokumentenbox, in der sich ein Stapel dünner farbiger Ordner, alte Computerausdrucke und einige lose handschriftliche Notizen befanden. Auf dem Dokumentenkasten lag eine dicke Staubschicht, weil er vermutlich länger nicht mehr geöffnet worden war. Eva fischte einige der am meisten zerfledderten Akten heraus. Wenn es hier etwas über die genetisch modifizierten Agenten gibt, dachte Eva, dann sicher in den ältesten Dokumenten. Auch die dünneren Ordner nahm sie an sich.

Sorgfältig wischte sie ihre Fingerabdrücke ab, schloss den Dokumentenkasten und schlüpfte mit den Papieren und Ordnern unter dem Arm aus dem Büro. Zwei NJ7-Techniker kamen ihr entgegen, in ein leises Gespräch vertieft. Eva musterte sie im Vorübergehen. Hatten sie bemerkt, woher sie kam? Ihre Mienen spiegelten ruhige Effizienz, doch selbst das steigerte Evas Nervosität.

Nur mit großer Mühe gelang es ihr, sich ganz selbstverständlich zu bewegen. Sie musste den Eindruck erwecken, im Auftrag von Miss Bennett unterwegs zu sein, sonst würde man sie unter die Lupe nehmen. Obwohl sie erst vierzehn war, hatten sich die anderen NJ7-Mitarbeiter an Eva gewöhnt. Entweder sie akzeptierten sie, oder sie hatten zu viel Angst vor Miss Bennett, um ihre Anwesenheit infrage zu stellen.

Die Korridore der NJ7-Technikabteilung waren Eva weniger vertraut als der Rest des Komplexes. Der düstere Schimmer der Energiesparlampen warf orangefarbene Schatten auf den Beton. Eva sehnte sich nach der Helligkeit der echten Glühbirnen in Miss Bennetts Büro. An das fehlende Sonnenlicht hatte sie sich längst gewöhnt.

Eva umklammerte den Papierstapel, hielt den Kopf gesenkt, tat ihr Bestes, um in einem gleichmäßigen selbstbewussten Tempo zu gehen. Jedes Mal, wenn sie um die Ecke bog, erstreckte sich vor ihr ein weiterer endloser Tunnel, oder sie traf auf größere Räume, in denen Agententeams an Computern arbeiteten. Sie überlegte sich bereits verzweifelt Ausreden, falls sie angehalten würde.

Erklär ihnen, dass du Miss Bennett eine Nachricht von William Lee überbringst, beschloss sie. Diese beiden Regierungsmitglieder waren dafür bekannt, dass sie sich gegenseitig hassten. William Lee war der Leiter der Sicherheitsabteilung. Einmal hatte er versucht, Miss Bennetts Führungsposition im NJ7 zu übernehmen – er hatte sogar angestrebt, selbst Premierminister zu werden. Doch Miss Bennett hatte ihn in seine Schranken verwiesen.

Eva konnte die Machtspielchen der beiden jetzt zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Aber welche Botschaft überbrachte sie? Natürlich eine streng geheime. Sie durfte sie niemandem verraten. Genau das würde sie erwidern, wenn ein Agent sie anhielt.

Eva dachte noch immer über ihre Ausrede nach, als sie sich in einem verlassen wirkenden Labor voller Computermonitore und surrender technischer Geräte wiederfand. Erst auf den zweiten Blick bemerkte sie einen Mann, der an einem Computerterminal saß und sie über die Schulter hinweg anstarrte.

Dummerweise war es der einzige Mann, bei dem Evas Geschichte nicht ziehen würde: William Lee.

KAPITEL 2

William Lee sprang so abrupt auf, dass der Bürostuhl hinter ihm schwindelerregend kreiselte. Eva blieb wie angewurzelt stehen, starrte zu dem riesigen, eurasisch aussehenden Mann.

»Eva«, knurrte Lee. Seine hoch aufragende Haartolle schwankte leicht, während er sprach. »Solltest du nicht bei Miss Bennett sein?«

»Ja«, erwiderte Eva eilig. »Natürlich. Ich bin gerade auf dem Weg zu ihr.«

Eine bedrohliche Stille machte sich breit. Eva fand, sie dauere eine gefühlte Ewigkeit. Lee musterte sie von Kopf bis Fuß, fixierte schließlich die Ordner unter ihrem linken Arm.

Seit Miss Bennett ihn ausgetrickst hatte, schien der Mann körperlich schwächer, als wäre er ein paar Zentimeter geschrumpft, doch sein Verstand war immer noch messerscharf. Eva suchte verzweifelt nach einer plausiblen Ausrede für ihre Anwesenheit in diesem Gebäudetrakt, gleichzeitig wusste sie, dass zu viele Erklärungen verdächtig klingen würden. Warum hatte Lee sie noch nicht gefragt, was sie hier tat? Die Stille lastete nun fürchterlich auf ihr.

Endlich ergriff Lee das Wort. Doch es kam etwas anderes, als Eva erwartet hatte.

»Ich habe nur kurz die Satellitenüberwachung überprüft«, murmelte er. »Da gibt es ein Problem.« Er starrte Eva ausdruckslos an. Sie nickte nur. Warum rechtfertigte er sich ihr gegenüber? Hatte Miss Bennett sein Selbstvertrauen wirklich so sehr geschwächt?

»Ich probiere, ob ich es beheben kann«, fuhr Lee fort.

»Soll ich einen Techniker für Sie holen?«, platzte Eva heraus, begierig darauf, so schnell wie möglich zu verschwinden.

»Nein, nein«, beharrte Lee. »Es ist nur eine kleine Störung. Ich habe es unter Kontrolle.«

Eva nickte erneut, versuchte ruhig zu atmen, während sie sich zum Gehen wandte. Dreh dich nicht um, ermahnte sie sich. Und beeile dich nicht. Die Papiere unter ihrem Arm hatten jetzt das Gewicht von Steinen.

Endlich hörte sie das Quietschen von Lees Stuhl, das Klappern seiner Computertastatur. Zügig ging Eva den nächsten Gang entlang. Entspann dich, dachte sie. Er hat keinen Verdacht geschöpft. Er hat dich nichts gefragt.

Aber dann hallte ein Quietschen den Flur entlang. Waren das Lees Schritte, die ihr folgten, oder bildete sie sich das nur ein? Etwa zwanzig Meter vor ihr kam eine Kreuzung. Wenn sie es bis dorthin schaffte, könnte sie möglicherweise verschwinden, und Lee würde ihr nicht weiter folgen – fürs Erste. Aber die Kreuzung war noch zu weit weg. Sie würde es nie schaffen, bevor Lee sie erreichte.

Dann erspähte sie ihre Chance. In der Wand des Tunnels gab es eine schmale Öffnung. Sie war weniger als einen halben Meter breit und völlig dunkel. Eva dankte ihrem Glück – sie hatte einen alten Durchgang gefunden, aus der Zeit, als verschiedene Servicetunnel vereint wurden, um das NJ7-Labyrinth zu schaffen. Sie eilte darauf zu, trat in den Schatten.

Beinahe wäre sie gestürzt. Der Spalt im Beton war eigentlich eine Treppe. Eva konnte ganz unten ein Licht erkennen. Vorsichtig stieg sie hinab, wobei ihre Schultern auf beiden Seiten den kalten Beton streiften.

Sie hielt inne, um auf Lees Schritte zu lauschen. Es war nichts mehr zu hören, bis auf ein leises Gemurmel, das zu ihr heraufdrang. Eva schlich weiter darauf zu, sorgsam im Schatten verborgen. Als sich ihre Augen an das helle Licht des Raumes vor ihr angepasst hatten, sah sie etwas, das ihre Angst vor William Lee schlagartig unbedeutend machte.

Ein halbes Dutzend NJ7-Techniker eilten durch den Raum, reichten sich gegenseitig Unterlagen, murmelten Anweisungen. Ihre weißen Kittel leuchteten in dem intensiven grünen Licht. In der Mitte des Raumes, auf einer großen Metallplatte, lag der vernarbte und geschundene Körper eines älteren Teenagers. Seine Gliedmaßen waren mit Metallklammern fixiert. Direkt in sein Auge zielte ein grüner Laserstrahl, der von einer großen, an einen Computer angeschlossenen Maschine abgefeuert wurde.

Eva konnte den Blick nicht von dem Jungen wenden – nicht wegen des Lasers oder der Verletzungen, sondern weil sich seine Brust hob und senkte.

Dieser Junge war am Leben.

Jimmy nahm eine Zick-Zack-Route durch London, scannte dabei beständig seine Umgebung. Seine Instinkte setzten Millionen von Wahrnehmungsfragmenten zusammen, und er war sich sicher: Da war jemand. Irgendjemand folgte ihm.

Vergiss es, beruhigte er sich selbst. Wenn es jemand vom NJ7 wäre, hätte der schon längst zugeschlagen. Es ist nichts, versicherte er sich und hielt inne, um in einem spiegelnden Schaufenster die Straße hinter sich zu überprüfen. Nur Paranoia. Er rieb sich die Augen. Jeder einzelne Körperteil schmerzte wie nie zuvor – als würde er aus allen Richtungen zusammengepresst und sein Kopf unter einer Waschmaschine im Schleudergang stecken. Er suchte in sich selbst nach seiner besonderen Energie. Sie vibrierte beständig in seinem Innersten, bereit, ihm durch die Adern zu schießen, jede Kontrolle zu übernehmen. Jimmy verließ sich immer mehr auf seine Konditionierung. Die Qual, sie zu unterdrücken, war einfach zu groß.

Er schöpfte Kraft aus dieser brennenden Energie, die irgendwo hinter seinem Magen zu entstehen schien. Sie überschwemmte ihn in einer Welle, die den Schmerz beiseitefegte. Unwillkürlich stieß Jimmy einen erleichterten Seufzer aus, gepaart mit einem wütenden Stöhnen: Beide Anteile seiner Persönlichkeit kämpften jetzt vereint, um ihn am Leben zu erhalten.

Mit neuer Energie sprintete er los.

Die Straßen Londons waren erfüllt von einem aufgeregten Murmeln. Wegen der zahlreichen Kundgebungen bewegten sich viel mehr Menschen in der Stadt als sonst – die letzten Vorbereitungen für die Wahl am nächsten Tag. Jimmy erreichte Trafalgar Square, wo gerade eine Pro-Regierungskundgebung zu Ende ging. Er mischte sich unter die Menge, um mögliche Verfolger abzuschütteln.

Wie können nur all diese Menschen die Regierung unterstützen?, fragte sich Jimmy und musterte die Plakate und Banner. Er überlegte, ob sie für ihre Teilnahme bezahlt oder sogar vom NJ7 dazu gezwungen wurden. Am südlichen Ende des Platzes erhob sich ein großer Bildschirm, von dem Botschaften und Regierungsslogans in die Nacht hinausstrahlten: »Effizienz. Stabilität. Sicherheit.« Jimmy stieß ein verärgertes Grunzen aus. Vor dem Bildschirm stand eine Frau mittleren Alters, die in ein Mikrofon rief, dass die Regierung die Steuern niedrig halten und das Land besser managen würde, als Viggo es je könnte, weil er keine Erfahrung hatte.

»Und warum sollten Sie sich den Stress zumuten, wichtige politische Entscheidungen treffen zu müssen?«, fuhr sie fort. »Regieren ist Regierungssache! Den Menschen ein Mitspracherecht zu geben, schafft nur Verwirrung!« Zustimmendes Gemurmel aus der Menge. »Warum sollten Sie sich den Kopf zerbrechen müssen?« Erneut laute Zustimmung der Versammelten, nur Jimmy schnaubte ärgerlich. Ein glatzköpfiger Mann mit einer wattierten Jacke und einem Regierungsplakat drehte sich zu ihm um, warf ihm einen bösen Blick zu.

Jimmy eilte zum anderen Ende des Platzes, wo eine große Gruppe von Viggo-Anhängern ihren eigenen, etwas kleineren Bildschirm aufgestellt hatte, auf dem sie zur Unterstützung von Freiheit und Demokratie aufforderten. Viggos ansteckendes Lächeln blitzte über den Bildschirm, und Jimmy konnte nicht umhin, ebenfalls zu lächeln. Für ein paar Sekunden verlangsamte er sein Tempo, stolz darauf, dass er geholfen hatte, dies zu ermöglichen.

»Schließen Sie sich mir an, verändern Sie das Land!«, erklärte Viggo. Es liefen Ausschnitte seiner besten Reden der letzten Monate. »Glauben Sie an den Wandel! Glauben Sie an die Demokratie! Glauben Sie an die Freiheit!« Jeder Satz löste Jubel auf der Pro-Viggo-Hälfte des Platzes aus. Viggos Gesicht, auf dem Monitor gewaltig vergrößert, schien die Menge in seinen Bann zu ziehen. Jimmy freute sich über die echte Begeisterung um ihn herum. Ganze Familien waren da, auch viele junge Leute in Jimmys Alter. Zum ersten Mal fühlte sich Jimmy wirklich als Teil von etwas Besonderem, einem historischen Ereignis. Das Land wird sich ändern, dachte Jimmy. Es wird großartig werden.

Ein Schrei ertönte – und riss Jimmy jäh aus seiner Begeisterung. Er schaute sich alarmiert um. Die Regierungskundgebung hatte sich aufgelöst und einige der Anhänger waren zum Pro-Viggo-Ende des Platzes gekommen. Der glatzköpfige Mann mit der wattierten Jacke wedelte mit seinem Plakat und buhte. Jimmy wollte den Vorgang ignorieren und weiterlaufen, da versuchte ein Viggo-Anhänger in einer Ordner-Weste, den kahlen Mann weiterzuwinken. Doch es wurde nicht gut aufgenommen.

Das Gesicht des kahlen Mannes rötete sich vor Wut. Plötzlich rammte er sein Plakat gegen die Brust des Ordners. Der Viggo-Anhänger taumelte ein paar Schritte zurück, dann hob er zur Verteidigung die Fäuste. Jimmy reagierte sofort. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge, schnappte sich dabei eine Wählt Viggo-Mütze vom Kopf eines Teenagers. Er hielt seinen Kopf gesenkt, richtete sich erst in letzter Sekunde auf, zog die Mütze über das Gesicht des Viggo-Anhängers. Gleichzeitig schob er den Mann nach hinten und nahm seinen Platz ein.

Das Plakat des Glatzkopfs zischte knapp über Jimmys Kopf hinweg. Sofort verpasste Jimmy dem Mann mit seiner Linken einen Schlag in den Bauch, dann folgte seine Rechte mit einem kräftigen Kreuzschlag. Die Jacke des Mannes war nicht annähernd dick genug, um die Schläge abzufedern. Seine Augen weiteten sich, er ruderte wild mit den Armen, während er nach Luft schnappte. Schließlich schnellte Jimmys rechter Fuß vor und traf exakt die Kniescheibe des Mannes.

Jimmy fühlte, wie seine Instinkte ihn drängten, einen letzten Schlag zu landen – einen tödlichen. Nein, befahl Jimmy sich selbst, brachte Arme und Beine wieder unter Kontrolle. Erneut schnappte er sich die Wählt Viggo-Mütze und stülpte sie jetzt auf den Kopf des kahlen Mannes.

»Was war das?«, keuchte der Mann, rollte sich auf dem Boden und umklammerte dabei sein Knie.

Jimmy sprintete bereits los, hörte aber in seinem Kopf die Antwort: Das war eine Fouette. Woher wusste er das? Dieser schnelle Tritt war eine Bewegung, die er vorher noch nie benutzt hatte. Unerwartet hatte sich ihm eine völlig neue Welt erschlossen: die französische Kampftechnik des Savate. Seine Konditionierung reagierte stets neu, flexibel, entfaltete sich immer mehr.

Vom Rand des Platzes aus blickte er zurück, sah, wie Männer und Frauen in Ordnerjacken dafür sorgten, dass der kurze Gewaltausbruch endgültig vorüber war. Jimmy schlüpfte in die Dunkelheit eines Hauseingangs. Savate-Kampftechnik, dachte er und streckte sich. Das gefällt mir.

Eva zitterte und zog ihren Mantel fester um sich. Nicht ganz leicht, mit einem Aktenstapel in den Armen. Wie lange muss ich noch warten?, fragte sie sich. Sie befand sich im neunten Stock eines Parkhauses in der Great College Street in Westminster, Central London. Sie wippte auf den Zehenballen, spähte in die Schatten um sie herum.

Es hatte quälend lange gedauert, aber schließlich war sie den NJ7-Laboren unbemerkt entkommen. Nun fiel das Mondlicht in Streifen auf das Parkdeck, schuf mit seinem matten Glanz auf der Betonfläche kleine Inseln. Der Rest war Schwärze. Nur die Silhouetten einiger weniger Autos zeichneten sich ab. Wahrscheinlich sind sie gestohlen oder hier von ihren Besitzern entsorgt worden, dachte sie sich.

Plötzlich spürte sie im Nacken warmen Atem.

»Dreh dich nicht um«, flüsterte Jimmys Stimme.

»Wie hast du …?«

»Bist du verfolgt worden?«

Eva schüttelte kurz den Kopf.

»Bist du sicher?«

»Jimmy!«, sagte Eva streng und drehte sich um. Sie standen sich in der Dunkelheit gegenüber, nur Jimmys Augen funkelten im schwachen Licht.

»Ich wurde nicht verfolgt«, wiederholte Eva. »Ich weiß, was ich tue. Ich bin vierundzwanzig Stunden am Tag undercover. Was glaubst du, wie das ist?«

Sie waren sich so nah, dass Eva die Wärme ihres eigenen Atems spüren konnte, der von Jimmys Gesicht reflektiert wurde. »Ich bin vielleicht nicht genetisch perfektioniert, aber ich habe auch ein paar Dinge gelernt, okay? Also sei nicht so …« Sie verstummte. Sie konnte Jimmys Anspannung spüren, sah, wie sein Blick beständig die Umgebung absuchte.

»Okay«, seufzte er endlich. »Tut mir leid. Du hast recht. Ich muss dir vertrauen. Es ist nur … in mir drin …« Er schloss für einen Moment die Augen und knirschte mit den Zähnen. »Es macht mich so …« Er zuckte mit den Achseln und öffnete die Augen wieder. »Hast du etwas für mich?«

Eva zog den Papierstapel hervor und hielt ihn Jimmy hin.

»Was ist das?«, fragte er. »Ich brauche die Daten von seiner Festplatte. Dr. Higgins hätte das sicher niemals ausgedruckt.«

»Ich kam nicht in seinen Computer rein«, erklärte Eva. »Aber ich schaffe das noch. Wenn ich mehr Zeit habe. Ich besorge mir die Zugangscodes und …«

Jimmy war ein Stück zur Seite getreten, hatte die Papiere auf der Motorhaube eines Range Rovers ausgebreitet. Seine Hände bewegten sich schnell, drehten jedes Blatt einzeln um, scannten es in weniger als einer halben Sekunde. Seine Pupillen bewegten sich in raschem, regelmäßigem Rhythmus und jedes Detail wurde irgendwo in seinem Kopf gespeichert.

Nach kaum einer Minute fegte er die ganzen Papiere von der Motorhaube.

»Die sind nutzlos!«, seufzte er. »Du solltest doch …« Er unterbrach sich, zügelte seine Enttäuschung. Er wollte seine Freundin nicht anschreien.

»Ich hab’s dir doch gesagt!«, protestierte Eva, während sie am Boden herumkrabbelte und die Papiere einsammelte. »Es ist nicht leicht! Ich kann nicht einfach dort eindringen und gleich wieder abhauen. In der ganzen Abteilung sind rund um die Uhr NJ7-Techniker.« Sie hielt inne. Ihre Stimme zitterte. »Jimmy, ich habe dort etwas Schreckliches gesehen.« Die Erinnerung ließ sie erstarren.

»Du wirst nicht glauben, was sie da unten machen«, flüsterte sie. »Sie haben einen Jungen, einen jungen Mann, sicher nicht sehr viel älter als ich. Er lebt, ist aber bewusstlos, und sie schießen mit diesem Laser in seine Augen, als wollten sie sein Gehirn manipulieren oder …« Sie verstummte, versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken.

»Tut mir leid«, sagte Jimmy leise, kniete sich neben sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Ich hätte dir das nicht zumuten dürfen, es ist nur …«

»Jimmy, sag mir …« Eva holte tief Luft und sah Jimmy in die Augen. »Hat man dich auf diese Art … gemacht?«

Jimmy wandte den Blick ab. Es war das erste Mal in dieser Nacht, dass seine Augen nicht nervös umherzuckten. Dann schaute er wieder zu ihr.

»Ich habe den Jungen auch gesehen«, erklärte er, während er sich erhob. »Es ist Mitchells Bruder. Das war vor vielen Monaten, als ich beim NJ7 eingebrochen bin, um etwas über den Aufenthaltsort von Felix’ Eltern herauszufinden. Dr. Higgins hatte Mitchells Bruder auf einem Metalltisch gefesselt. Sein Name ist Lenny. Lenny Glenthorne. Offenbar experimentieren sie immer noch mit ihm.«

»Ist er auch … ein Agent?«

»Nein«, sagte Jimmy schnell. »Er ist nicht wie Mitchell oder ich. Zumindest glaube ich das. Bei Mitchell und mir wurde so ein Laser schon im Mutterleib eingesetzt. Er diente dazu, meine DNA zu manipulieren und neu zu kombinieren. Der Laser, den sie bei Lenny benutzen, muss anders sein. Andernfalls …« Plötzlich verstummte er und alle seine Muskeln spannten sich.

»Was ist?«, flüsterte Eva, aber Jimmy schnitt ihr mit einer knappen Geste das Wort ab. Er machte ihr ein Zeichen, ihm auf die andere Seite des Range Rovers zu folgen, wo sie über die Motorhaube in Richtung Aufzug spähten.

Evas Herz pochte rasend. Sie bekam kaum mehr Luft.

Jimmy machte kleine, entschlossene Gesten, deutete auf sie, dann in Richtung des Aufzugs, machte ihr klar, dass sie die Aufzugstüren beobachten solle. Eva nickte, hatte aber keine Ahnung, wie sie reagieren sollte, falls sie etwas beobachtete. Jimmy ging neben dem Vorderrad des Range Rovers in die Hocke und entfernte vorsichtig die Radkappe.

Wenige Sekunden später blitzte ein Lichtspalt zwischen den sich öffnenden Aufzugstüren. Bevor sie weiter aufgehen konnten, war Jimmy bereits in Aktion. Mit einem Schlenker seines Handgelenks schleuderte er die Radkappe in Richtung Aufzug. Dann packte er Evas Schulter, zog sie mit sich zur anderen Seite des Parkdecks, wo die Schatten am dunkelsten waren und die Rampe nach unten führte.

Jimmy bewegte sich so rasch, dass Eva halb selbst rannte, halb mitgeschleift wurde. Ein Geräusch ließ sie innehalten. Es war die Radkappe, die nicht, wie erwartet, einen NJ7-Agenten traf, sondern scheppernd gegen die Rückwand des Aufzugs knallte. Es folgte ein kurzer, nervöser Lachanfall, dann die Stimme eines Jungen: »Das war so cool!«

KAPITEL 3

Die Stimme hallte durch das Parkdeck und Jimmys Herz machte einen Satz. Er ließ Evas Kragen los und bemerkte kaum, dass sie stolperte und fiel. Dann ertönte ein weiterer Ruf: »Jimmy, warte!«

Es war seine Schwester Georgie. Bei ihr war sein bester Freund Felix, der aus irgendeinem Grund die Hände oben auf seinen Kopf presste. Die beiden traten aus dem Fahrstuhl, grinsten breit.

»Was macht ihr …?«, keuchte Jimmy, wurde aber sofort von Eva und Georgie übertönt, die aufeinander zustürmten, sich in einer Umarmung förmlich erdrückten. Jimmy war so verblüfft, dass er kaum etwas von ihrer fröhlichen Begrüßung mitbekam. Doch dann riss er sich rasch wieder zusammen.

»Geht es vielleicht noch etwas lauter?«, flüsterte er. »Es gibt da in Australien einen stocktauben Wombat, der euch sicher nicht ganz verstanden hat. Wie habt ihr mich überhaupt gefunden?«

»Es war knapp«, schnaufte Felix. »Du rennst zu schnell. Wir haben dich hier reinkommen sehen, aber wir wussten nicht, auf welchem Stockwerk du bist. Wir mussten jedes Level überprüfen!«

Jimmy musste lächeln. Eigentlich sollte niemand seiner Spur folgen können, er war beeindruckt, dass es Felix und Georgie trotzdem geschafft hatten.

»Du hättest mich beinahe enthauptet.« Felix’ Grinsen enthüllte eine endlose Reihe von Zähnen, und jeder stand in einem anderen Winkel. Seine Hände umklammerten immer noch das schwarze Haarbüschel auf seinem Kopf. Jimmy wurde klar, was passiert war.

Er joggte zum Lift, wo die Radkappe in der Rückwand steckte, ein gutes Stück schwarzes Haar einklemmte. »Äh, ja«, murmelte Jimmy. Er hatte auf die Brust eines Erwachsenen gezielt, stattdessen war das Geschoss haarscharf über Felix’ Kopf hinweggesegelt. »Sorry.«

Felix zuckte mit den Achseln. »Ich brauchte sowieso einen Haarschnitt.«

»Was soll das?«, fragte Georgie streng. »Du kannst dich nicht einfach davonschleichen, weißt du.«

»Was du aber offenbar auch getan hast«, entgegnete Jimmy. »Hat Mum nichts bemerkt? Oder Chris? Und was ist mit den Sicherheitskräften?«

»Alle sind so abgelenkt von der Wahl, dass wir unbemerkt eine Viehherde durch das Gebäude hätten treiben können«, erklärte Georgie. »Wir haben gesehen, wie du mit den Sicherheitskräften umgesprungen bist, also sagten wir ihnen, wir gehören zu dir.«

Jimmy schüttelte erstaunt den Kopf.

»Ich dachte, du wärst vielleicht raus, um ein paar Mitternachtssnacks zu holen«, sagte Felix. »Ich wäre wahrscheinlich nicht gekommen, wenn ich gewusst hätte, dass du Eva triffst. Nichts für ungut, Eva, es ist nur, du weißt schon …« Eva funkelte ihn genervt an, also hob er die Hände und zog seine Augenbrauen so hoch, dass sie fast mit seinem Haar verschmolzen. »Was?«, quietschte er.

»Warum hast du uns nicht gesagt, dass du Eva triffst?« fragte Georgie.

»Es ist kompliziert«, antwortete Jimmy kleinlaut.

»Dann erklär’s uns.« Georgie wollte nicht vertröstet werden.

Jimmy fühlte sich plötzlich so wehrlos wie ein ganz normaler Junge. Es gab keine besondere Agenten-Fähigkeit für den Umgang mit einer älteren Schwester. Georgie stand da, die Arme verschränkt, den Kopf zur Seite geneigt, die Lippen geschürzt.

»Du steckst in ziemlichen Schwierigkeiten«, flüsterte Felix. »Den ganzen Weg hierher hat sie mir gesagt, was sie mit dir anstellt, wenn –«

»Halt die Klappe, Felix«, schnappte Georgie. »Lass ihn erklären.«

In Jimmys Kopf baute sich ein gewaltiger Druck auf. Sein ganzes Leben bestand aus Geheimnissen. Zuerst hatten ihm seine Eltern verheimlicht, dass sie NJ7-Agenten waren, die im Auftrag der Regierung einen genetisch optimierten Agenten aufziehen sollten – ihn.

Sobald Jimmy die Wahrheit über sich herausgefunden hatte, war sein Leben implodiert. Sein Vater hatte ihn verraten, indem er dem NJ7