J.C. - Agent in höchster Gefahr - Joe Craig - E-Book

J.C. - Agent in höchster Gefahr E-Book

Joe Craig

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Beschreibung

Young James Bond meets Jason Bourne

Der 12-jähriger Superagent Jimmy Coates versucht alles, um den Fängen des britischen Geheimdienstes zu entfliehen, aber selbst aus der Ferne scheint der NJ7 Macht über ihn zu haben.

Dank seiner Verbündeten ist es Jimmy und seinen Freunden zwar gelungen, sich in die USA zu retten und in New York Unterschlupf zu finden. Doch Jimmy wird immer wieder von seltsamen anfallartigen Visionen heimgesucht.

Ob es ihm gelingen wird, deren Bedeutung zu entschlüsseln, bevor ihm seine Widersacher auf die Spur kommen? Und wie soll er seine Freunde von einer Wahrheit überzeugen, die sich einzig und allein in seinem Kopf abspielt? Jimmy weiß nur eines: Er ist ein Agent in höchster Gefahr!

Die Abenteuer von Agent J.C. sind atemberaubend, actionreich und bieten Spannung der Extraklasse - Lesevergnügen pur für alle Fans von rasanten Szenen und überraschenden Wendungen!

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Seitenzahl: 308

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JOE CRAIG

AGENT IN HÖCHSTER GEFAHR

Aus dem Englischen von

Alexander Wagner

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© 2017 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten © 2008 Joe Craig Die englische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel: »Jimmy Coates – Revenge« bei HarperCollins Children’s Books, einem Imprint der Verlagsgruppe HarperCollins Ltd, London Übersetzung: Alexander Wagner Umschlagkonzeption: Isabelle Hirtz, Inkcraft unter Verwendung eines Motivs von © Istockphoto (aluxum) und mehrerer Bilder von © Shutterstock

Kapitel 1

Jimmys Augen öffneten sich, noch bevor er richtig wach war. Sein Schädel pochte und ein weiterer unheimlicher Albtraum, an den er sich nicht erinnern konnte, verflüchtigte sich. Wie üblich hatte seine Konditionierung die Kontrolle über sein Gehirn übernommen, während er schlief. Sie flutete jeden Winkel seines Körpers mit hochbrisantem Wissen und unterstützte die Förderung seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten. Jeden Tag wurde Jimmy ein wenig mehr zu einem hochgefährlichen Superagenten.

Er fragte sich, was ihn geweckt hatte. Dem Dämmerlicht nach zu urteilen, war es früher Morgen. Jimmy wagte nicht, den Kopf zu drehen. Möglicherweise wurde er beobachtet. Stattdessen lauschte er aufmerksam, analysierte jedes Geräusch. In seiner Brust regte sich ein vertrautes Gefühl. Es war die Paranoia, die er nicht mehr abschütteln konnte. Sie war zu einem selbstverständlichen Teil seiner selbst geworden. Und er hatte gelernt, ihr zu vertrauen.

Seine rechte Wade zuckte unter der Bettdecke. War das ein Warnsignal? Ebenso gut konnte es völlig bedeutungslos sein. Seit der NJ7, der am besten getarnte und modernste militärische Geheimdienst der Welt, versucht hatte, ihn aus seinem Elternhaus zu verschleppen, lagen Jimmys Nerven blank. Das war nur knapp einen Monat her, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit.

Seither lebte Jimmy in dem Wissen, dass der NJ7 seine Gene manipuliert hatte. Jimmy Coates war dazu bestimmt, eine biologische Kampfmaschine zu werden, die mit dem achtzehnten Lebensjahr voll einsatzfähig sein würde. Das Ganze schien ihm immer noch völlig unglaublich. Jimmy hielt sich nach wie vor für einen ganz normalen Jungen. Doch er war alles andere als normal.

Jimmy stellte sich vor, wie beständig Millionen elektrischer Impulse von seinem Gehirn ausgingen und seinen Körper widerstandsfähiger und kampfbereiter machten. Doch das, was er jetzt spürte, war mehr als die gewohnten Symptome seiner Konditionierung.

Die Zimmertemperatur war gesunken. Von irgendwoher wehte ein leichter Windzug. Und das, obwohl sie die Fenster beim Zubettgehen geschlossen hatten. Jimmy lag dem Fenster abgewandt, daher konnte er es nicht überprüfen. Und wie hätte jemand ein Fenster von draußen einschlagen können, ohne sie alle zu wecken?

Sorgfältig musterte er den Teil des Raums, der in seinem Blickfeld lag. Er registrierte die Silhouetten der in Schatten gehüllten Möbel. Drei Betten standen im Raum, mit dem Kopfteil zur Wand. In dem Bett neben ihm schlief sein Freund Felix tief und fest.

Aus den Augenwinkeln sah Jimmy das Fußende des dritten Bettes. Die Füße seiner Schwester bildeten einen kleinen Hügel unter der Bettdecke. Okay, dachte er, Felix und Georgie sind also nicht entführt worden. Für den Anfang schon mal ganz gut.

Jimmy war sich ständig bewusst, dass nicht nur sein eigenes Leben bedroht war. Auch Georgie, Felix und Jimmys Mutter schwebten in permanenter Gefahr.

Erst am Abend zuvor waren sie in dieser Frühstückspension irgendwo im Nirgendwo eingetroffen, auf der Flucht vor dem NJ7. Felix’ Eltern, Neil und Olivia Muzbeke, versteckten sich schon seit einiger Zeit hier.

Sein eigener Vater – oder besser gesagt, der Mann, den er bisher für seinen Vater gehalten hatte – war nicht bei ihnen. Er hatte sich von Jimmy abgewandt, als ihm klar wurde, dass Jimmy nicht bereit war, seiner Bestimmung zu folgen und für den NJ7 zu töten. Du bist nicht mein Sohn. Diese Worte von Ian Coates hatten Jimmy schwer getroffen und lösten noch immer eine Woge hilfloser Wut in ihm aus. Das und die Tatsache, dass Ian Coates, der neue Premierminister von Großbritannien, ihn eliminieren lassen wollte.

Plötzlich hörte Jimmy etwas. Das Geräusch war so leise, dass es fast von Felix’ gleichmäßigem Schnaufen übertönt worden wäre. Augenblicklich identifizierten seine Agenteninstinkte das Geräusch: Es klang, als streife etwas Hauchzartes über das Parkett. Das verriet ihm zwei Dinge. Erstens: Es war definitiv jemand in den Raum eingedrungen. Zweitens: Wer auch immer es war, er war äußerst gefährlich.

Sie haben mich gefunden, dachte Jimmy. Panik erfasste ihn, und gleichzeitig erwachten die Instinkte, die in ihm angelegt waren. Sie fegten seine Angst einfach beiseite. Und noch bevor er einen Gedanken fassen konnte, handelte Jimmy blitzartig.

Mit seinem rechten Bein schleuderte er die Bettdecke in Richtung Fenster. Sie wickelte sich um die sich nähernde Gestalt. Im gleichen Moment sprang Jimmy im Bett auf – gerade noch rechtzeitig. Der Eindringling schleuderte die Decke zurück auf die Matratze.

Dann federte Jimmy auf der Matratze und stieß sich mit den nackten Füßen kräftig ab. Er schnellte in einen Salto und landete in Verteidigungshaltung direkt vor seinem Angreifer. Beide hatten sich völlig geräuschlos bewegt. Felix und Georgie schlummerten immer noch friedlich. Nun konnte Jimmy zum ersten Mal einen Blick auf den Eindringling werfen. Er war klein – überraschenderweise kaum größer als Jimmy – und sein Körperbau war eher zart. Das Gesicht war unter einer schwarzen Sturmmaske verborgen, ein schwarzer Kampfanzug umhüllte den schlanken Körper. Auf der Brust des Angreifers bemerkte Jimmy drei vertikale Streifen. Obwohl er mit seiner Nachtsichtfähigkeit Farben schwer unterscheiden konnte, war ihm klar, dass sie grün sein mussten. Der grüne Streifen war das Abzeichen des NJ7. Aber warum waren es hier drei? Er schob diese irritierende Beobachtung beiseite, da ihm plötzlich der schreiende Kontrast zwischen dem militärischen Outfit seines Angreifers und seinem eigenen mit Häschen bedruckten Schlafanzug bewusst wurde, den er sich von den Besitzern der Frühstückspension hatte ausleihen müssen. Schlagartig war er sich seiner ganzen Verletzlichkeit bewusst und begann zu zittern.

Jimmy fixierte die Augen des Eindringlings – ihr blasses Blau wurde von seiner Nachtsicht noch intensiviert. Das eisblaue Augenpaar musterte Jimmy von Kopf bis Fuß.

»Der Schlafanzug gehört mir nicht«, bemerkte Jimmy. »Normalerweise schlaf ich in einem T-Shirt und …«

»Was geht ab?«, unterbrach ihn Felix gähnend. Sein Haar stand wild nach allen Seiten und er blinzelte verwirrt. Für seine Augen war es immer noch viel zu dunkel.

Jimmy warf ihm einen kurzen Blick zu, doch das war ein Fehler. Diesen Sekundenbruchteil nützte die maskierte Gestalt und stürzte sich auf ihn. Jimmy wich ihr aus, indem er sich zu Boden fallen ließ. In einer blitzschnellen Bewegung rollte er unter seinem Bett hindurch und tauchte auf der anderen Seite wieder auf.

»Bist du das, Jimmy?«, fragte Felix.

Der Eindringling hechtete über das Bett auf Jimmy zu – direkt vor Felix’ Nase.

»Morgen, Felix«, grunzte Jimmy, wirbelte um die eigene Achse, sprang in die Luft und riss dabei das Bein nach oben. Er erwischte seinen Angreifer mitten im Flug und traf ihn hart. »Bisschen Unterstützung wäre nett.«

Die beiden Kämpfer krachten zu Boden. Das Geräusch weckte nun auch Georgie.

»Jimmy, alles in Ordnung?«, flüsterte sie besorgt. Sie erhielt keine Antwort. Also hüpfte sie aus dem Bett und stolperte zum Lichtschalter.

Jimmy umklammerte den Angreifer mit ganzer Kraft. Die beiden rangen verbissen miteinander und wälzten sich in einem Durcheinander aus Armen und Beinen. Jimmys besondere Kräfte liefen jetzt auf Hochtouren. Er befreite einen Arm, packte den Kopf des Angreifers, drehte ihn und drückte ihn zu Boden. Dann riss ihm Jimmy die schwarze Maske vom Kopf.

Jimmy richtete sich ein Stück auf, wobei er den Eindringling weiter am Boden festhielt. Nur war es – wie er überrascht feststellen musste – gar kein Er. Etwas kitzelte an Jimmys Lippen. Lange Haare streiften sein Gesicht. Er blies sie weg, ohne dabei seinen Griff zu lockern. Ein merkwürdiger Geruch lag in der Luft. War das etwa Kokosnussshampoo?

Inzwischen hatte Georgie den Lichtschalter gefunden – aber er funktionierte nicht. Verzweifelt hämmerte sie darauf herum. Der Raum blieb dunkel. Stattdessen suchte sie nach dem Türgriff. In dem Moment bäumte sich die unbekannte Person plötzlich so heftig auf, dass Jimmy heruntergeschleudert wurde. Sie warf sich auf ihn, presste die Luft aus seinen Lungen und stürzte sich dann auf Georgie.

Georgie hatte gerade die Tür einen Spalt geöffnet, da krachte die Angreiferin gegen ihren Rücken. Die Tür schlug wieder zu und Georgies Gesicht wurde gegen das Holz gepresst. Sie wollte um Hilfe schreien, aber bevor sie einen Ton herausbrachte, wurde sie gepackt und zurück auf ihr Bett geschleudert. Die mysteriöse Gestalt drückte die Bettdecke auf Georgies Gesicht und rollte sie auf den Bauch. Georgie versuchte erneut zu schreien, aber die Bettdecke erstickte jedes Geräusch. Georgie war jetzt so fest darin eingewickelt, dass sie ihre Arme nicht mehr bewegen konnte.

Jimmy schüttelte seine Benommenheit ab und trat fest gegen Georgies Bett. Es knallte gegen seine Angreiferin und brachte sie aus dem Gleichgewicht. Sofort hechtete Jimmy über das Bett hinweg und versuchte erneut, sie zu packen. Doch sie wirbelte herum wie eine Breakdancerin. Und bei jeder ihrer Drehungen landete ihr Fuß voll in Jimmys Gesicht.

Felix war jetzt aus dem Bett und tapste mit ausgestreckten Armen durch den Raum. Als er die Wand erreichte, tasteten seine Hände nach dem Lichtschalter. Er hatte nichts von Georgies vorherigen Versuchen mitbekommen. Diese protestierte wütend in ihrem Bettkokon, strampelte und wand sich, um sich zu befreien.

»Keine Sorge, Jimmy«, verkündete Felix. »Ich bin unterwegs.« Und dann schrie er, so laut er konnte: »Hilfe!«

»Still, Felix«, zischte Jimmy, der zurückwich, um weiteren Tritten zu entgehen. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war die Aufmerksamkeit der Nachbarn. Das würde in null Komma nichts den NJ7 auf ihre Spur bringen. »Geh und hol meine Mum.«

Felix wandte sich der Tür zu, doch die Angreiferin hielt ihn auf. Genau darauf hatte es Jimmy abgesehen. Er glitt unter Felix’ Bett, winkelte seine Beine an, spannte all seine Muskeln und wuchtete die eine Seite nach oben, bis es senkrecht in der Luft stand. Dann ließ er es mit einem gezielten Tritt zur anderen Seite umkippen. Der Bettrahmen zersplitterte in zig Stücke. Das Bett war verkehrt herum gelandet – direkt auf Jimmys Gegnerin.

Jimmy zerrte sie unter den Trümmern hervor. Er setzte sein Knie auf ihren Rücken und bohrte seinen Ellbogen in ihren Nacken. Diesmal würde sie ihm nicht entkommen.

»Ich bin auf eurer Seite!«, brachte sie mit erstickter Stimme hervor. Jimmys innere Spannung ließ ein wenig nach, aber er blieb äußerst wachsam.

»Das ist ein Trick«, warnte ihn Georgie. Sie hatte sich endlich von ihrer Decke befreit.

»Wer bist du?«, wollte Jimmy wissen. Mit jeder Sekunde wurde ihm klarer, dass seine Angreiferin nicht zu einem NJ7-Einsatzkommando gehörte. Statt einer Antwort schob sie ihre Hand in die Tasche. Erneut spannte Jimmy alle Muskeln, doch seine Gegnerin zog nur ein kleines schwarzes Plastikteil hervor. Sie drückte einen Knopf und alle Lichter im Raum gingen an.

Jimmy spürte, wie der Körper seiner Angreiferin unter ihm nachgab. Fast so, als würde etwas Luft herausgelassen. Der Kampf war vorüber. Sie gab auf – zumindest für den Augenblick. Jimmy erhob sich und trat langsam zurück.

Und nun sahen sie alle zum ersten Mal das Gesicht der mysteriösen Gestalt. Jimmy, Georgie und Felix schnappten überrascht nach Luft. Vor ihnen auf dem Boden lag ein Mädchen etwa in ihrem Alter. Eine wilde Mähne kastanienbrauner Haare umrahmte ihr Gesicht. Jimmy war überrascht. Felix war völlig fasziniert.

»Ich bin gekommen, um mich mit dir zu unterhalten«, erklärte das Mädchen. Sie redete leise und ihr leichter Akzent ließ ihre Stimme ein wenig exotisch klingen.

Jimmy verzog keine Miene. »Wenn das für dich eine Unterhaltung war«, erwiderte er, »dann bin ich ziemlich gespannt auf unseren ersten Streit.«

Kapitel 2

»Hab ich dich etwa zu hart angepackt?«, spottete das Mädchen. »Das tut mir aber leid. Ich wollte nur sehen, was du so draufhast.« Sie erhob sich mit überraschender Eleganz.

»Ich hätte dich töten können, Jimmy Coates«, fuhr sie fort. »Aber dann hättest du niemals erfahren, dass es mich gibt.« Sie glitt auf ihn zu, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. »Ich hätte es allerdings ganz schmerzlos gemacht. Du wirkst nämlich nett.« Sie zwinkerte ihm zu. Jimmy schoss das Blut in die Wangen. Er war verwirrt.

»Mein Name ist Zafi Sauvage.« Das Mädchen streckte ihm ihre Hand hin, die in einem schwarzen Lederhandschuh steckte. Jimmy schüttelte sie benommen. Es war merkwürdig. Normalerweise würde er niemandem die Hand geben, der Sekunden vorher versucht hatte, ihm das Genick zu brechen.

Felix drängte die anderen beiseite und hielt Zafi seine Hand hin. »Ja, ähm, hallo«, begann er. »Ich bin entzückt, dich kennenzulernen.«

Jimmy zog eine Grimasse. Entzückt? Was war denn in Felix gefahren?

»Wirklich überaus erfreut. Mein Name ist Felix. Und ich muss sagen, du bist im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend.«

»Aber wenn du nicht hier bist, um mich zu töten …«, unterbrach ihn Jimmy. Doch er beendete seinen Satz nicht. Zu viele Fragen auf einmal drängten sich ihm auf. Für wen arbeitete dieses Mädchen? Was wollte sie? Wie hatte sie herausgefunden, wo Jimmy und die anderen sich versteckten? Doch eine Frage beschäftigte ihn am allermeisten. Ist dieses Mädchen ein Agent, so wie ich?

»Ich fasse es nicht«, keuchte Georgie, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Es gibt noch einen dritten genetisch verändertenAgenten.«

»Wollt ihr mir keinen Sitzplatz anbieten?«, fragte Zafi und zog eine Augenbraue hoch.

Felix offerierte ihr sofort das Ende von Georgies Bett.

»Beachte sie gar nicht«, plapperte er. »Die haben keine Manieren. Hey, schau mal, was ich kann.« Er zog seine Augenlider nach oben, sodass man ihr rotes Inneres sah, und verdrehte die Augen. Mit dieser Grimasse starrte er Zafi an, bis sie kicherte.

»Oh, wie hübsch«, sagte sie und lachte. »Schau mal, was ich kann.« Sie zog ihren Handschuh aus und presste ihre Handfläche auf ein Auge. Dann drehte sie die Hand, wobei ein merkwürdiges Sauggeräusch entstand. Und als sie ihre Hand wegzog, sprang ihr Augapfel heraus. Er baumelte am Ende ihres Sehnervs auf ihrer Wange. Sie strahlte vor Freude.

»Wow«, stammelte Felix.

Zafi ließ ihr Auge seelenruhig wieder zurück in seine Höhle gleiten und strich sich die Haare hinters Ohr.

»Jimmy, hast du das gesehen?«, rief Felix. »Das ist so was von cool.«

Aber Jimmy beachtete ihn nicht. Er war dabei, das Fenster zu untersuchen. Sein Verdacht bestätigte sich: Die Scharniere waren mit einer Art Öl gefettet worden. Jimmy bewunderte Zafis Arbeit. Sie hatte das Fenster völlig lautlos geöffnet.

Jimmy wandte sich wieder Zafi zu. Sie sah aus, als würde sie sich nur mühsam ein Grinsen verkneifen. Betrachtete sie das Ganze hier etwa als Spaß?

Jetzt, bei Licht, erkannte er, dass die Streifen auf ihrer Jacke nicht grün, sondern blau, weiß und rot waren. Es waren die Farben der Tricolore – der französischen Flagge. Das beantwortete zumindest die Frage, für wen sie arbeitete.

Jimmy wurde klar, dass Zafi eine wichtige Verbündete für ihn sein könnte. Der französische Geheimdienst,DGSE, hatte ihm bei seiner Flucht geholfen. Infolgedessen hatten sich die britisch-französischen Beziehungen noch weiter verschlechtert. Die beiden Länder standen kurz vor einem Krieg. Folglich musste Zafi ebenso wie er eine Gegnerin des neodemokratischen England sein. Jimmys Neugierde war jetzt nicht mehr zu bremsen.

»Hey, ihr zwei Turteltauben«, begann er, »hört auf mit dem Quatsch. Ich muss wissen, was hier abläuft.«

»Hast du nicht gesehen, was sie mit ihrem Auge gemacht hat?«, schnaufte Felix.

Jimmy ignorierte ihn.

»Worum sollte es bei dieser Unterhaltung gehen, die du mit mir führen wolltest?«, verlangte er zu wissen. Aber bevor Zafi antworten konnte, marschierte Georgie zur Tür.

»Ich würde mir nicht die Mühe machen, deine Mutter zu holen«, flüsterte Zafi. »Sie ist im Moment ein wenig benommen.«

Georgie fuhr herum. Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben. Jimmys Gefühle waren zwiespältig: Zuerst war da die Angst um seine Mutter, doch dann stieg eine beruhigende Wärme in ihm empor. In der Logik seiner Agenteninstinkte war das alles vollkommen nachvollziehbar. Der ganze Lärm, Felix’ Hilfeschrei, das laut zu Boden krachende Bett – und trotzdem war niemand ihnen zu Hilfe geeilt. Zafi musste die anderen im Haus irgendwie betäubt haben. An Zafis Stelle hätte er genauso gehandelt. Während er noch darüber nachdachte, erklärte Zafi den anderen bereits ihr Vorgehen.

»Ich habe Betäubungsgas durch die Ritzen in den Fenstern gesprüht, bevor ich in eures eingestiegen bin.«

Georgie fixierte Zafi kurz mit einer Mischung aus Misstrauen und Ärger. Dann marschierte sie aus dem Zimmer.

»Vertraut sie mir nicht?«, fragte Zafi mit einem frechen Funkeln in den Augen.

Das war zu viel für Jimmy. Wie kann sie es wagen, darüber Witze zu machen. War ihr nicht klar, dass sie Menschenleben gefährdete? Außerdem hatte sie ihm immer noch keinen Grund für ihre Anwesenheit geliefert. Jimmy packte Zafis Schulter und drückte sie aufs Bett.

»Wie kannst du das nur tun?«, fauchte er, sein Gesicht dicht vor ihrem. Zafis einzige Reaktion war ein kleines Lächeln.

»Dumme Frage«, antwortete sie. »Ich bin genetisch programmiert, genau wie …«

»Nein, ich meine, wie kannst du das alles tun, ohne schlechtes Gewissen?« Jimmy kochte vor Wut. »Ist dir nicht klar, dass es falsch ist, unschuldige Leute anzugreifen, sie zu betäuben oder sogar umzubringen? Es ist falsch.«

»Vielleicht ist es das«, flüsterte Zafi. »Aber ich bin nicht dafür verantwortlich. Es ist meine Konditionierung. Manchmal bin ich traurig darüber, manchmal nicht.«

Jimmy hätte ihr am liebsten ins Gesicht geschrien. Doch stattdessen ließ er sie los und richtete sich auf. Hätte er das Thema vertieft, müsste er sich möglicherweise eingestehen, dass er sie um ihre Einstellung beneidete.

Georgie kam zurück ins Zimmer. Sie sah nicht glücklich aus. »Ich kriege Mum nicht wach«, verkündete sie.

»Und was ist mit meinen Eltern?«, fragte Felix.

»Die reagieren auch nicht. Als würden sie alle einen Winterschlaf halten oder so was.«

»Sie werden alle noch ein paar Stunden brauchen«, erklärte Zafi und strich sich die Haare hinter die Ohren. »Zum Mittagessen sind sie wieder fit.«

Jimmy wäre am liebsten aufgestanden und hätte seine große Schwester beruhigt, aber eine Frage ließ ihn einfach nicht los. Wozu wäre er fähig, wenn er sich wie Zafi für nichts verantwortlich fühlen würde?

Georgie baute sich vor Zafi auf. »Du erzählst uns jetzt besser mal, was hier abgeht.«

Zafi seufzte. »Aber es ist doch gerade so lustig«, zwitscherte sie. »Ich fühle mich wie bei einer Pyjamaparty.«

Felix entfuhr ein nervöses Kichern.

»Ich arbeite für Frankreich«, verkündete Zafi mit einem Schulterzucken. »Meine Regierung rechnet damit, dass England und Frankreich sich bald den Krieg erklären.«

»Was?«, keuchte Georgie. »Wieso?«

Jimmy schaltete sich ein. »Die Franzosen sind mit einem Kampfflugzeug in den britischen Luftraum eingedrungen.«

»Aber erst nachdem der NJ7 ein französisches Bauernhaus bombardiert hatte«, fügte Zafi hinzu.

»Aber das war keine Attacke gegen Frankreich.« Jimmy seufzte. »Dort war unser Versteck. Der NJ7 wollte uns erwischen.«

»Na ja, jedenfalls haben sie sich damit ziemlich in Schwierigkeiten gebracht.«

Zafi und Jimmy starrten einander an.

»Ich bin gekommen, um dich auf die richtige Seite zu holen.«

»Du willst, dass ich für Frankreich und gegen England kämpfe – in einem Krieg?« Jimmy versuchte, ruhig zu bleiben.

Zafi nickte.

»Wer sagt denn, dass es wirklich Krieg gibt?«, fragte Felix. »Ist doch Blödsinn. Niemand kann so bescheuert sein, gleich einen Krieg anzufangen.«

Jimmy hoffte, sein Freund würde recht behalten. Aber er war sich alles andere als sicher. Er trat zum Fenster. Es stand seit Zafis Eindringen offen. Für einen Moment zögerte er. Eine Stimme in seinem Kopf forderte ihn auf, einfach in die Nacht zu fliehen und für immer zu verschwinden. Doch dann schloss er das Fenster, so leise, wie Zafi es geöffnet hatte. Jimmy fühlte sich, als hätte er gerade die Tür seiner eigenen Gefängniszelle hinter sich zugeschlagen.

Erwartete Zafi etwa sofort eine Antwort? Jimmy hatte alle seine Liebsten in Lebensgefahr gebracht, nur um nicht als Killer für den NJ7 arbeiten zu müssen. Da konnten die Franzosen wohl kaum von ihm erwarten, dass er jetzt für sie mit dem Töten anfangen würde.

Warum dachte er überhaupt so lange darüber nach? Und wieso zitterte seine Hand?

»Ich habe mich schon einmal an euch gewandt«, sagte er schließlich. »An den DGSE. Als wir eure Hilfe brauchten. Ich habe angeboten zu kooperieren.«

»Zu kooperieren oder zu uns überzulaufen?«, hakte Zafi nach.

»Ich habe Uno Stovorsky Informationen angeboten. Aber er hat gesagt, er bräuchte sie nicht. Und er hat mir nie vorgeschlagen, für euch zu arbeiten.«

»Damals hat der DGSEdich noch nicht gebraucht«, erklärte Zafi. »Er hatte mich.« Sie grinste listig. »Aber seit gestern hat sich die Lage geändert. Jetzt braucht Frankreich dich.«

Jimmy bekam seine Gedanken nicht in den Griff. »Ich verstehe das einfach nicht«, überlegte er laut. »Ich dachte, es gäbe nur zwei von uns. Mitchell und mich. Wir sind beide Engländer. Wie kommt es, dass du bist wie wir, aber trotzdem Französin?«

»Ich schätze, du brauchst eine kleine Geschichtslektion«, seufzte Zafi. »Also, das Team von Wissenschaftlern, das uns entwickelt hat, hatte vor über zwölf Jahren einen Streit. Einer der Wissenschaftler war Franzose. Und als der Ärger anfing, floh er zurück nach Paris.«

»Und dich hat er mitgenommen?«, japste Felix. Sein Mund stand offen.

»So ähnlich.« Zafi lächelte ihm freundlich zu. »Ich war damals ja noch nicht geboren. Aber er nahm alle Unterlagen mit, die er brauchte, um mich entstehen zu lassen.«

»Also weiß niemand beim NJ7 von dir?«, fragte Jimmy.

Zafi schüttelte den Kopf. »Sie suchen nach etwas, das ZAF-1 heißt.«

Jimmy kannte den Begriff. Er hatte ihn schon einmal im Hauptquartier des NJ7 gehört. Aber seine Bedeutung war ihm bisher schleierhaft gewesen.

»Du bist ZAF-1?«, fragte er.

»Du solltest besser aufpassen, Jimmy Coates.« Zafi blickte auf und klimperte mit den Wimpern. »Ich habe gesagt, sie suchen ein Etwas namens ZAF-1. Sie halten es für einen Geheimdienst. Aber den gibt es nicht. Es gibt nur …«

»Zafi«, vervollständigte Jimmy den Satz.

»Genau. Mich!«

»Sie wissen nicht, dass du existierst«, stellte Jimmy aufgeregt fest. »Ich war dort, beim NJ7.« Sein Blick wanderte von Georgie über Felix zu Zafi. »Ich habe mitbekommen, wie sie über ZAF-1 geredet haben. Sie hatten Angst davor, wussten aber nicht, was es bedeutet …«

»Noch nicht«, schnitt Zafi ihm das Wort ab. »Das werden sie aber schon bald. Dr. Higgins’ Papiere werden es ihnen verraten.«

Dr. Higgins – der Wissenschaftler hinter dem Entwicklungsprogramm für genetisch programmierte Agenten. Der Name löste immer noch ein seltsames Gefühl in Jimmy aus. Er wollte den alten Mann hassen, aber sein Körper ließ es nicht zu. Das Resultat war ein Gefühl, als wäre man seekrank und würde es genießen. Wo der Doktor wohl im Moment steckte? Higgins war geflohen, nachdem er selbst zum Killer geworden war und den Premierminister Ares Hollingdale getötet hatte. Er konnte sich überall auf der Welt verbergen. Aber vielleicht hatte ihn der NJ7 auch längst aufgespürt und sich an ihm gerächt.

»Mir bleibt keine Zeit mehr, Jimmy«, sagte Zafi sanft. Sie stand auf und legte eine Hand auf seinen Arm. »Und dir auch nicht.«

Jimmy straffte sich, ebenso wie Georgie und Felix.

»Ich habe heute Nacht alles in meiner Macht stehende getan, um euch zu helfen«, fuhr sie fort.

»Was meinst du damit?«, fragte Georgie misstrauisch.

»Ich habe sie abgelenkt, sodass sie eurer Spur nicht aus London folgen konnten.« Zafi lächelte verschlagen.

Jimmy konnte es nur schwer ertragen, dass sie alles zu amüsieren schien.

»Du musst jetzt mit mir kommen.«

Jimmy blickte zu seinem Freund und dann zu seiner Schwester. Er konnte ihnen die Gedanken vom Gesicht ablesen. Das Letzte, was sie wollten, war, dass er sie verließ. Aber etwas in ihm drängte ihn, Zafi zu begleiten. Und das, obwohl er bisher alles nur Erdenkliche getan hatte, um nicht töten zu müssen. Und der DGSE würde das ganz sicher von ihm verlangen. Aber wen?

Jimmy schloss die Augen und stellte sich Paduk vor, den riesigen Geheimdienstmann und persönlichen Sicherheitsbeauftragten des Premierministers. Er dachte an Miss Bennett, die jahrelang seine Lehrerin und Beschützerin gespielt hatte; bis sich herausstellte, dass sie in Wahrheit seine schlimmste Feindin und Leiterin des NJ7 war.Diese Leute hatten sein Leben ruiniert. Sie hatten Menschen, die er liebte, gefoltert und getötet. War das hier vielleicht die Chance, auf die er so lange gewartet hatte? Konnte er auf die Art sein altes Leben zurückgewinnen und gleichzeitig einem guten Zweck dienen?

Dann musste er an Ian Coates denken.

»Ich bin dabei«, krächzte er. Es klang, als würde seine Stimme nur widerwillig seine Kehle verlassen. »Ich bin dabei.«

Kapitel 3

»Das kannst du nicht tun!«, schrie Georgie.

Jimmy bewegte sich bereits aufs Fenster zu. Doch Zafi hielt ihn auf.

»Was spricht dagegen, dass wir die Haustür nehmen?«, fragte sie kichernd.

Jimmy musste ebenfalls lachen. Aber es klang seltsam gepresst. Er wandte sich zur Tür.

»Jimmy, nicht!«, bat Felix und packte seinen Freund am Arm.

Doch der wich seinem Blick aus. »Lass mich los«, knurrte er.

»Auf keinen Fall.«

»Lass mich los, Felix«, wiederholte Jimmy. »Du weißt, dass ich dich ohne Probleme umhauen kann.«

»Was redest du da?«, rief Georgie. Sie versperrte ihrem Bruder den Weg zur Tür. Ihr Gesicht hatte die Farbe der Wand angenommen. »Was ist los mit dir?«

»Lasst ihn gehen«, schaltete Zafi sich ein. »Ihr seht doch selbst, dass er es will.«

»Nein, tut er nicht«, widersprach Georgie. »Er ist ja völlig weggetreten.« Sie nahm Jimmys Gesicht in ihre Hände. »Komm schon, reiß dich zusammen!«

Plötzlich explodierte Jimmy vor Wut. »Hände weg!«, brüllte er. Er schüttelte seine Schwester ab und schubste Felix zur Seite. Beide stolperten ein paar Schritte zurück.

»Egal was ihr sagt«, murmelte Zafi, »er hat sowieso keine Wahl. Es ist seine Bestimmung.«

Jimmy fühlte die dunkle Kraft in seinem Inneren emporsteigen. Er hatte gedacht, er könnte sie kontrollieren. Aber jetzt erhob sich in ihm wie ein fauchendes, wildes Tier.

»Warum tust du das?«, flüsterte Georgie. Jimmy sah die Angst in ihrem Gesicht.

»Oder verarschst du uns nur?«, schlug Felix hoffnungsvoll vor.

Jimmy wusste nicht, wie er reagieren sollte. Felix’ munterer Tonfall stand in extremem Kontrast zu den in ihm tobenden Gefühlen.

»Na gut, weißt du was«, fuhr Felix fort, während er nervös auf den Fußballen wippte. »Ich komme mit.« Jimmy seufzte. »Gehen wir«, legte Felix nach. Demonstrativ nahm er eines der Kissen vom Bett. Er zog den Bezug ab und wickelte ihn sich um den Hals. »Zieht euch warm an, es ist schweinekalt draußen.«

»Felix, was machst du da?«, fragte Jimmy.

»Ich, mein Freund, begleite dich und werde ein Agent.«

Niemand wusste, wie er darauf reagieren sollte – am allerwenigsten Jimmy.

»Felix, die Sache ist ernst«, sagte er.

»Ja, todernst«, gab Felix zurück. Er griff nach Jimmys Handgelenk und wollte ihn mit sich ziehen. »Na los, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Wir müssen jede Menge Leute eliminieren.«

»Hör auf damit«, bat Jimmy leise. Er entwand Felix seine Hand. »Du bist total durchgeknallt.«

»Ich bin durchgeknallt?«, spottete Felix. »Ich bin also durchgeknallt? Komisch, denn eigentlich war ich mir sicher, dass du bei uns bleiben und das ganze Kämpfen und Töten hinter dir lassen wolltest. Aber dann kommt so ein französisches Vögelchen hereingeflattert mit ein bisschen technischem Schnickschnack und einem coolen Augapfel-Trick«, er wandte sich an Zafi und grinste, »der war übrigens wirklich ziemlich abgefahren. Und schon willst du nach Paris abhauen und Leute abmurksen. Genau das, wovor du eigentlich weggelaufen bist. Aber du hast natürlich völlig recht – ich bin hier der Durchgeknallte.«

Die anderen waren verblüfft. Wäre Georgie nicht so elend zumute gewesen, hätte sie gelacht.

Zafi war die Erste, die das Schweigen brach.

»Dein Freund ist ziemlich schräg«, flüsterte sie.

»Ich weiß«, murmelte Jimmy zurück. »Er ist …«

»Find ich gut.«

Endlich erschien ein Lächeln auf Jimmys Gesicht.

»Nimm den Kissenbezug ab«, sagte er. »Du siehst bescheuert aus.«

»Also bleiben wir?«, fragte Felix.

Jimmy nickte und seine Schwester schlang die Arme um seinen Hals.

»Du bist so ein Idiot«, schimpfte Georgie. »Wir kommen hier irgendwie raus und dann können wir wieder normal und in Sicherheit leben.«

»Wie schade«, unterbrach Zafi. »Ich habe nämlich den Befehl, dich umzubringen, falls du nicht mitkommst.«

Jimmy gefror das Blut in den Adern. Georgie schnappte nach Luft.

»Ha! War nur ein Witz!« Zafi bog sich vor Lachen. »Ihr solltet eure Gesichter sehen!«

Felix und Jimmy stießen beide einen erleichterten Seufzer aus.

»Ich finde das gar nicht witzig!«, schrie Georgie.

»Aber es hatte was«, versuchte Felix zu schlichten. »Auch wenn es natürlich nicht so ein Brüller war wie meiner.«

»Also ist es in Ordnung, wenn ich nicht mit dir …?« Jimmy verstummte.

»Klar«, antwortete Zafi mit heller Stimme. »Wenn du stattdessen nicht für den NJ7 arbeitest.«

»Das würde ich niemals tun, keine Sorge.« Jimmy begann sich zu entspannen.

»Allerdings solltet ihr so schnell wie möglich das Land verlassen. Ich kann euch jetzt nicht mehr vor dem NJ7 beschützen. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis sie euch finden.«

Zafi öffnete die Tür und ihre Silhouette verschmolz mit der Dunkelheit draußen. »Vielleicht sehen wir uns wieder.«

Überraschenderweise war Jimmy traurig, dass sie ging. Möglicherweise hätte er noch viel Interessantes von ihr lernen können. Er hatte plötzlich den überwältigenden Wunsch, alles über sie zu erfahren. War auch sie in der Annahme aufgewachsen, ein ganz normales Kind zu sein? Oder hatte Zafi von Anfang an gewusst, dass sie nur zu 38 Prozent menschlich war? Sie schien jedenfalls viel besser damit zurechtzukommen als Jimmy. Hatte sie Eltern? Waren diese Agenten so wie Jimmys? Und hatten diese auch lange alles vor ihr geheim gehalten?

Bei all den Fragen, die Jimmy durch den Kopf schossen, fiel es ihm schwer, die richtigen Abschiedsworte zu finden.

Zafi griff in ihre Hosentasche. »Ich bringe noch schnell die Stromanschlüsse wieder in Ordnung, bevor ich gehe«, verkündete sie gelassen. Sie zog die Fernbedienung hervor, mit der sie vorher die Lichter angeschaltet hatte. »Kannst du behalten, als Erinnerungsstück.« Sie warf das Gerät Jimmy zu, der es benommen auffing.

»Brauchst du das denn nicht mehr?«, rief Felix.

Doch Zafi huschte bereits lautlos aus der Tür. Sie warf einen Blick über die Schulter zurück. Ihre kastanienbraunen Haare fingen einen Lichtstrahl auf.

»Ich baue mir ein neues.«

Verblüfft sahen Jimmy, Georgie und Felix ihr hinterher. Zafi war wie ein Wirbelwind hereingefegt und genauso verschwand sie jetzt wieder. Sie war ohne Zweifel eine trainierte und gefährliche Agentin. Trotzdem waren da dieses lustige Funkeln in ihren Augen, ihre zierliche Figur, die hohe und sanfte Stimme und das mädchenhafte Kichern, das Jimmy an seine ehemaligen Mitschülerinnen erinnerte.

Während Jimmy sich über seine Gefühle klar zu werden versuchte, nahm Felix ihm die Fernbedienung aus der Hand. Er klickte das Licht ein paarmal an und aus.

»Cool«, hauchte er. Dann fragte er: »Ob wir sie noch mal wiedersehen?«

Jimmy antwortete nicht. Aber insgeheim hoffte er darauf.

Jimmy, Felix und Georgie versuchten gar nicht erst, sich wieder hinzulegen. An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken. Seit Zafis Besuch standen sie wie unter Strom. Also machten sie es sich im Wohnzimmer gemütlich und Felix schaltete den Fernseher ein.

»Chris wird komplett ausrasten, wenn er erfährt, was heute passiert ist«, stellte er fest.

»Ob es ihm gut geht?«, fragte Georgie, an Jimmy gewandt. »Und Saffron?« Es kam keine Antwort. »Was meinst du?«

Jimmy stöhnte laut. »Woher soll ich denn das wissen? Wie kann irgendjemand das wissen.«

»Ist ja gut, komm runter, du Psycho«, murmelte Georgie beleidigt.

Jimmy brummelte eine Entschuldigung. Er musste an Christopher Viggo denken, der letzte Nacht in die Dunkelheit davongefahren war. Seine Freundin Saffron Walden war bei ihm gewesen, lebensgefährlich verletzt von einer Kugel des NJ7.

Jimmy hatte ihre Optionen schon hundert Mal durchgespielt. In ein Krankenhaus konnten die beiden nicht, weil dort überall Überwachungskameras hingen. Und wenn Viggo nicht irgendeinen Arzt in der Nähe kannte, der mit den Gegnern Englands sympathisierte, hatte Saffron nicht die geringste Chance.

Er rollte sich auf dem Sofa zusammen und versuchte seine dunklen Gedanken zu vertreiben. Saffron und Viggo hatten alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihm zu helfen. Viggo war selbst einmal NJ7-Agent gewesen. Er war vor dreizehn Jahren geflohen, als Ares Hollingdale mithilfe des NJ7 die Macht ergriffen und das demokratische System Großbritanniens in eine Diktatur verwandelt hatte. Und die Menschen im Land hatten es einfach widerstandslos hingenommen.

Manchmal kam es Jimmy so vor, als wären Viggo und Saffron die letzten vernünftigen Menschen in England – zumindest die Einzigen, die noch aktiv für die Demokratie kämpften.

Jimmy wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher zu.

»Der neue Premierminister, Ian Coates, wird in Kürze in Washington landen, um dort Gespräche mit dem amerikanischen Präsidenten Alphonsus Grogan zu führen.« Die Nachrichtensprecherin hatte einen starren Blick und ein aufgesetztes Lächeln. »Das wichtigste Thema auf ihrer Agenda ist die militärische Unterstützung Großbritanniens durch Amerika. Das Land erwägt militärische Vergeltungsschläge gegen Frankreich, nachdem gestern Nachmittag ein französisches Kampfflugzeug unerlaubt in den englischen Luftraum eingedrungen ist.«

Als der Name des Premierministers fiel, spürte Jimmy ein unheilvolles Grummeln in seinem Bauch. Er verdrängte es und schob es auf den Hunger.

»Ian Coates wird den Präsidenten zunächst im Weißen Haus treffen«, fuhr die Nachrichtensprecherin fort. »Anschließend wird er einige Städte an der amerikanischen Ostküste besuchen. In vier Tagen wird Ian Coates dann sein Anliegen bei der UN-Vollversammlung vortragen: Er fordert militärische Sanktionen gegen Frankreich.«

Früher fand Jimmy die Nachrichten langweilig. Doch mittlerweile wollte er ständig auf dem Laufenden sein, was die Pläne der Regierung betraf. Er musste wissen, was der Feind tat.

»Ich kann nicht fassen, dass unser Dad jetzt Premierminister ist«, murmelte Georgie.

Jimmy schwieg. Nicht unser Dad, dachte er. Dein Dad. Plötzlich fühlte er ein Kratzen im Hals und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Als er wieder aufblickte, erkannte er sein eigenes Gesicht auf der Mattscheibe. Es war dasselbe alte Schulfoto, das auch gestern schon in den Medien gezeigt worden war.

»Offizielle Stellen gehen nach wie vor davon aus, dass dies der Mörder Ares Hollingdales ist«, verkündete die Reporterin. »Der Verdächtige ist weiterhin auf der Flucht.« Die Kamera zoomte Jimmys Augen nah heran.

»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ihn Felix. »In Wirklichkeit siehst du viel besser aus als auf dem Bild.«

»Er soll sich keine Sorgen machen?«, stieß Georgie wütend hervor. »Und das obwohl sie überall verkünden, Jimmy hätte den letzten Premierminister umgebracht?«

Jimmy sank in sich zusammen. Er wünschte, die beiden würden das Thema wechseln.

In den letzten Wochen hatte er gelernt, dass man den Nachrichten nicht mehr trauen durfte. Die Reporterin erschien ihm wie eine Marionette. Und irgendwo im Hintergrund stand Miss Bennett und hielt die Fäden in der Hand. Wahrscheinlich diktierte sie ihr jedes einzelne Wort.

»Außerdem«, empörte sich Georgie, »wissen die beim NJ7 genau, dass Jimmy es nicht getan hat. Weil sie es nämlich selbst waren.«

»Was?«, fragte Felix. »Du glaubst, Miss Bennett hat jemanden vom NJ7 losgeschickt, um ihren eigenen Premierminister umzubringen?«

»Vielleicht. Ares Hollingdale war sadistisch, brutal und höchstwahrscheinlich verrückt. Vermutlich hatten sie einfach die Nase voll von ihm und wollten lieber Dad auf seiner Position.«

»Er hatte es nicht anders verdient«, knurrte Jimmy plötzlich.

Erschrocken über Jimmys plötzlichen Ausbruch, starrten die drei einander an. War es seine Konditionierung, die derartig boshafte Gedanken hervorrief oder war es Jimmy selbst? Jimmy konnte es sich nicht erklären und brachte kein weiteres Wort mehr heraus.

Das einzige Geräusch im Raum war jetzt das Rauschen des Fernsehers und das monotone Ticken einer Uhr.

Kapitel 4

Der britische Premierminister trat aus dem Oval Office des Weißen Hauses und versammelte sein Beraterteam und seinen Sicherheitschef Paduk um sich. Er wirkte alles andere als optimistisch.

»Der Präsident will unsere Anfrage überdenken«, verkündete er.

»Was gibt es da groß zu überdenken?«, polterte Paduk. »Entweder er ist auf unserer Seite oder nicht.«

Ian Coates’ Berater begannen angeregt zu diskutieren. Er ignorierte sie und ließ sich in einen roten Sessel unter einem Porträt Bill Clintons fallen. Er stützte den Kopf in die Hände. Die Stille hier im Korridor war bedrückend, und es kam ihm vor, als würden die Wände immer näher rücken. Irgendwo tickte eine Uhr zu laut. Neben ihm kratzte Paduk sich unter dem Hemdkragen.

»Wie lange will er uns denn noch hinhalten«, brummte Paduk. »Das ist doch respektlos.«

Ian Coates schüttelte den Kopf und bemühte sich ruhig zu bleiben. »Es ist ganz normal, dass er sich mit so einer Entscheidung Zeit lässt«, erklärte er. »Immerhin haben wir sie aufgefordert, an unserer Seite gegen Frankreich in den Krieg zu ziehen.«

Paduk grunzte. »Ich erinnere mich noch an Zeiten, da wären die Amerikaner stolz darauf gewesen, Seite an Seite mit uns zu kämpfen. Jetzt haben sie alles vergessen. Die meisten Leute hier wissen nicht einmal, wo Frankreich liegt.«

»Die meisten hier wissen noch nicht einmal, wo England liegt, Paduk.«