J.C. - Agent in geheimer Mission - Joe Craig - E-Book

J.C. - Agent in geheimer Mission E-Book

Joe Craig

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Beschreibung

Agent in tödlicher Gefahr

Jimmy Coates, der geflohene 12-jährige Superagent des Britischen Geheimdienstes, hat es geschafft: Seine Feinde halten ihn für tot, seine Freunde sind in Sicherheit und die eigene Freiheit scheint in greifbarer Nähe. Doch als seine Verbündeten beim CIA ihn um Hilfe bei einem letzten brandgefährlichen Auftrag bitten, willigt er aus Dankbarkeit ein. Denn ein Agent, der offiziell gar nicht existiert, ist natürlich die Idealbesetzung für einen Agenten in geheimer Mission!

Die Abenteuer von Agent J.C. sind atemberaubende actionreich und bieten Spannung der Extraklasse - Lesevergnügen pur für alle Fans von rasanten Szenen und überraschenden Wendungen!

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Seitenzahl: 338

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JOE CRAIG

Agent in geheimer Mission

Aus dem Englischen von

Alexander Wagner

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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© 2018 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten © 2008 Joe Craig Die englische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel: »Jimmy Coates – Sabotage« bei HarperCollins Children’s Books, einem Imprint der Verlagsgruppe HarperCollins Ltd, London Übersetzung: Alexander Wagner Coverkonzeption: Isabelle Hirtz, Inkcraft unter Verwendung der Motive von © Shutterstock (guteksk); © Stockbyte (Thinkstock) MP • Herstellung: CM Satz und Reproduktion: KompetenzCenter, Mönchengladbach ISBN 978-3-641-22023-5V004
www.cbj-verlag.de

ACHT JAHRE ZUVOR …

Zwölf schwarze Punkte krochen über den nächtlichen Himmel. Sie waren nur zu erkennen, weil die Nordsee relativ ruhig war und die Lichter der Ölbohrinsel sich im Wasser spiegelten.

Die Krawatte des wachhabenden Ingenieurs flatterte ihm ins Gesicht. Er zog sein Jackett fester um sich, doch es war zu eng und spannte sich über seinem beträchtlichen Bauch.

»Sind das …?«, keuchte er. Seine Worte gingen im beständigen Dröhnen der Maschinerie der Bohrinsel unter.

»Höchstwahrscheinlich Helikopter, Sir!«, schrie der untersetzte Mann neben ihm. »Waren denn welche angekündigt?«

Der wachhabende Ingenieur schüttelte so heftig den Kopf, dass ihm beinahe sein Plastikhelm heruntergeflogen wäre. Er konnte den Blick nicht vom Horizont und den zwölf schwarzen Schatten abwenden. Wie ein Rudel fliegender schwarzer Panther jagten sie durch die Wolken. Der Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Packt euren Kram zusammen!«, schrie er. »Sag allen Bescheid!«

»Was?«

»Sie kommen direkt auf uns zu! Siehst du das denn nicht?« Der Ingenieur packte den Kollegen am Kragen seiner grellgelben Arbeitsjacke. »Ich dachte, wir wären hier in Sicherheit. Aber sie wagen es tatsächlich! Sie kommen!«

Er wirbelte auf dem Absatz herum und rannte keuchend zurück zu seinem Büro. Als er es erreichte, schwebten die zwölf Helikopter bereits über der Plattform. Ihr Dröhnen übertönte beinahe den Lärm der Bohrinsel. Der wachhabende Ingenieur starrte zu ihnen hinauf und Panik schnürte seine Brust zusammen.

Aus jedem der zwölf Helikopter fiel nun ein Seil herab und gemeinsam bildeten sie eine Phalanx schwarzer Linien. Sekunden später rutschte an jedem Seil eine schwarze Gestalt herab. Die breiten Rücken der dunklen Gestalten wurden von den horizontalen Linien ihrer Maschinenpistolen gekreuzt.

Der wachhabende Ingenieur sackte zitternd vor seiner Bürotür zusammen. Nur Sekunden später erhob sich der bedrohliche Schatten eines riesigen Mannes über ihm.

Der Mann schob seine Maschinenpistole hinter den Rücken, zog seine schwarze Skimaske vom Kopf und streckte eine Hand aus. Sein Gesicht wirkte, als hätte man eine dünne Schicht Haut stramm über einen kantigen, stählernen Schädel gespannt.

»Aufstehen!«, bellte er. »Ich bin der Kommandant dieser SAS-Spezialeinheit. Die Ölbohrinsel ist ab sofort Eigentum der britischen Regierung und steht vorübergehend unter meinem Befehl. Informieren Sie Ihre Mannschaft, dass sie Punkt 7 Uhr die Plattform zu verlassen hat und gegen eine neue Belegschaft ausgetauscht wird.«

Der wachhabende Ingenieur nahm seine ganze Kraft zusammen, richtete sich auf und schlug die Hand des Soldaten beiseite.

»Dazu sind Sie nicht befugt!«, schrie er. »Diese Bohrinsel gehört einem Privatunternehmen! Das ist Piraterie!«

»Diese Bohrinsel ist hiermit verstaatlicht!«

»Ist ›verstaatlicht‹ der neue Ausdruck der Regierung für gemeinen Diebstahl?«

Der Soldat trat dem Ingenieur gegen das Kinn und streckte ihn so zu Boden. »Dann ruf doch die Polizei«, grunzte er.

Er stieg über den Ingenieur hinweg und betrat das Büro. Neugierig betrachtete er die Regale mit den exotischen Objekten, die offensichtlich aus den unterschiedlichsten Gegenden der Welt zusammengetragen worden waren. Er strich mit dem Finger über den Rand eines Brettes, auf dem glänzende schwarze und weiße Steine angeordnet waren.

»Nicht anfassen!«, flehte der Ingenieur und richtete sich wieder auf. »Bitte! Ich bin gerade mitten in einem Spiel.«

»Ein Spiel? Für mich schaut das wie ein zufälliger Haufen Steinchen aus.«

»Ja, schon, aber es ist ein Padukp’an-Brett. Ein altes chinesisches Spiel.«

»Ein Paduk-was?«

»Padukp’an.« Der wachhabende Ingenieur keuchte jetzt noch heftiger und wischte sich immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht.

Der Soldat dachte einen Augenblick nach, dann verkündete er: »Das Teil gefällt mir. Ich behalte es.«

»Was?«, quiekte der Ingenieur. »Das dürfen Sie nicht. Es gehört mir!«

Der Soldat ließ sich hinter dem Schreibtisch auf den Bürosessel fallen. »Die Ölbohrinsel befindet sich nun im Besitz der britischen Regierung«, verkündete er. »Und dieses Spiel gehört ab sofort mir.«

»Aber Sie wissen doch nicht mal, wie man es spielt!«

»Das bringe ich mir schon noch bei«, erwiderte der SAS-Mann. »Und jetzt verschwinden Sie aus meinem Büro.«

KAPITEL 1

Es ist ziemlich schwer, zur Ruhe zu kommen, wenn es der britische Geheimdienst auf einen abgesehen hat. Trotzdem tat Jimmy Coates sein Bestes. Und mit jedem Kilometer, den er sich von New York entfernte, fiel es ihm ein bisschen leichter. Keine Faust krachte durch ein Wagenfenster, um ihn herauszuzerren. Keine kreischenden Sirenen übertönten das leise Motorengeräusch. Er hatte es geschafft. Er hatte den NJ7, den mächtigen britischen Militärgeheimdienst, an der Nase herumgeführt. Sie hielten ihn tatsächlich für tot.

Laut NJ7-Berichten war Jimmy Coates – der Junge, der ursprünglich als genetisch veränderter Agent in den Dienst des Geheimdiensts hätte treten sollen – von Maschinengewehrkugeln durchsiebt im New Yorker East River verschwunden. Die Fahndung nach ihm war abgeblasen worden. Aber noch gestattete sich Jimmy kein entspanntes Lächeln. Noch war es zu früh. Das alles lag bei Weitem nicht lang genug hinter ihm.

»Willkommen auf der Blackfoot-Airbase«, verkündete Agent Froy, der CIA-Mann, der Jimmy ein paar Stunden zuvor mit festem Griff aus dem East River gezogen hatte.

Die schwarze Limousine verlangsamte ihr Tempo und Froy bog in eine Einfahrt. Wie von Geisterhand öffnete sich das stählerne Tor vor ihnen.

Jimmy richtete sich in seinem Sitz auf, neugierig, welche Art von Sensoren den Wagen identifiziert hatten. Er studierte den Bewuchs am Straßenrand. Und sofort sprang es ihm ins Auge: Diese Hecke war gar nicht echt. Es war eine stählerne Wand, sechs Meter hoch und mindestens einen Meter dick. Aber sie war kunstvoll dunkelgrün bemalt und so gestaltet, dass sie einer Reihe von Zypressen ähnelte.

Dann bemerkte Jimmy in der falschen Hecke vier Sicherheitskameras und einen Laserscanner. Nicht einmal eine Küchenschabe hätte hier eindringen können, ohne erfasst zu werden.

Er drehte sich um, als sie durch das Tor fuhren. Es glitt wieder zu und die normale Welt blieb hinter ihnen zurück. Sie waren nun im Inneren von Blackfoot, einer hermetisch abgeriegelten, streng geheimen Militärbasis am Rande eines Städtchens in New Jersey.

Jimmy fühlte sich schlagartig unendlich allein. Er hatte seine Schwester Georgie und seinen besten Freund Felix Muzbeke bei Felix’ Eltern in New York zurückgelassen. Auch sie standen unter dem Schutz der CIA. Jimmy malte sich aus, wie sie in ihrem Versteck über einem koreanischen Restaurant in Chinatown hockten. Er hatte keine Ahnung, wann die CIA sie in einen neuen sicheren Unterschlupf bringen würde, aber hoffentlich würde es bald geschehen.

In der Zwischenzeit war seine Mutter unterwegs, um ihren Verbündeten Christopher Viggo zu finden, den ehemaligen NJ7-Agenten, der Jimmy zur Flucht nach Amerika verholfen hatte. Viggo war voller Wut und Rachegelüste in ihre Heimat England zurückgekehrt. Jimmy malte sich aus, wie der Oppositionelle dort im Alleingang die britische Regierung zu stürzen versuchte.

Jimmy konnte nur hoffen, dass er all seine Freunde und Verbündeten gesund und wohlbehalten wiedersehen würde. Vielleicht würde es Jahre dauern, trotzdem würden sie in Gedanken immer bei ihm sein.

Jimmy hatte keine Ahnung, wie er sich in der kommenden Zeit verändern würde. In seinem Inneren war eine mächtige genetische Veränderung am Werk. Sie verlieh ihm erstaunliche Fähigkeiten, aber zugleich wurden die Killerinstinkte in ihm mit jedem Tag stärker und verdrängten seine menschlichen Empfindungen. Wären diese eines Tages bloß noch ein fernes Echo in seiner Erinnerung? Würden sie vielleicht sogar vollständig seinem neuen Agenten-Bewusstsein weichen?

Eine schreckliche Minute lang malte Jimmy sich aus, wer er an seinem achtzehnten Geburtstag in ein paar Jahren wohl sein würde. Zu dem Zeitpunkt wäre seine genetische Veränderung vollständig abgeschlossen. Was würde er dann fühlen, wenn er ein Bild seiner Mutter betrachtete? Oder eines seiner Schwester Georgie? Wären die beiden für ihn nur noch vergessene Dateien in den Tiefen seiner emotionalen Festplatte? Jimmy versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, ihre Gesichter ohne jede Gefühlsregung, wie die zweier Unbekannter zu betrachten. Dabei wurde ihm ganz übel. Rasch schloss er die Augen und ließ seinen Kopf zurück gegen die Kopfstütze sinken.

Wenige Sekunden später blieb der Wagen abrupt stehen. Jimmy richtete sich auf. Die lange Einfahrt mündete in einer riesigen betonierten Fläche, die sich mehr als zwei Kilometer vor ihnen ausdehnte. In der Mitte des Areals stand ein flaches Bunkergebäude, auf dessen Dach ein Wirrwarr aus Antennen und Satellitenschüsseln seine Fühler in den Himmel reckte.

Der Wind fegte über den Asphalt und ließ den Wagen schaukeln. Hier war nichts von dem üblichen Lärm und der Hektik eines kommerziellen Flughafens zu spüren. Der Ort wirkte verlassen.

»Wo sind die Flugzeuge?«, fragte Jimmy.

Froy war damit beschäftig, Zahlen in sein Handy zu tippen. »Das würde ich auch gerne wissen«, brummte er. Dann raunzte er in sein Handy: »Wo ist unsere Maschine?!«

Jimmy beugte sich vor, konnte aber nicht hören, was die Person am anderen Ende sagte.

»Schicken Sie sofort eine Maschine! Mir egal, welche!«, fuhr Froy fort. »Die Wetterbedingungen interessieren mich einen feuchten Dreck. Oberst Keays persönlich leitet diese Operation. Und es gibt nur zwei Personen über Oberst Keays: den Präsidenten und Gott persönlich. Hat einer von beiden Sie angerufen? Nein? Gut, dann beordern Sie gefälligst die nächste Militärmaschine hier runter auf diese Landebahn.«

Froy klappte sein Handy zu und schob es zurück in die Tasche. »Tut mir leid, Jimmy. Üblicherweise wird so eine Operation von langer Hand geplant. Wie du dir vorstellen kannst, läuft das Ganze hier auf den letzten Drücker ab.«

Jimmy fühlte, wie Panik in ihm aufstieg. Er musste so weit und so rasch wie möglich aus der Reichweite des NJ7 gelangen. Jede Sekunde, die er auf dem Rücksitz dieses Wagens hockte, war eine Sekunde zu lang.

»Keine Sorge«, beruhigte ihn Froy. »Unser Flugzeug wurde wegen Turbulenzen nach McGuire umgeleitet. Aber so eine kleine Brise macht uns keinen Strich durch die Rechnung. Ich habe sie angewiesen, das Wetter zu ignorieren. Sie werden eine Maschine für uns finden.«

Jimmy suchte den leeren Himmel ab. Aber wie lange wird das dauern?, fragte er sich, ohne es laut auszusprechen. Und jetzt, wo ihn nichts mehr ablenkte, richteten sich seine Gedanken wieder auf dieses eine Thema, dass er für den Augenblick so dringend zu vergessen wünschte: auf jenen Mann, den er jahrelang für seinen Vater gehalten hatte. Jimmy konnte es immer noch nicht richtig fassen, dass Ian Coates seit Neustem der Premierminister von Großbritannien war.

Gleich von Anfang an hatte der Mann deutlich gemacht, dass auch er keine öffentlichen Wahlen zulassen würde. Er nannte es Neodemokratie. Und je mehr Jimmy über diese Art seine Politik herausfand, desto schlimmer fand er sie. Die Regierung beanspruchte die absolute Kontrolle, ließ keine Opposition zu und alle Fäden wurden im Hintergrund vom Geheimdienst gezogen.

Aber was noch schlimmer war: Ian Coates drohte mit einem Krieg gegen Frankreich und das wegen eines kleinen Missverständnisses. Einzig der amerikanische Präsident bremste ihn noch. Dieser knüpfte seine militärische Unterstützung an die Bedingung, dass England für mehrere Milliarden Dollar amerikanische Rüstungssysteme kaufte.

Was Jimmy im Augenblick allerdings vordringlich beschäftigte, war Ian Coates Offenbarung, er sei gar nicht Jimmys biologischer Vater. Jimmy atmete tief durch. Im Grunde kann mir das jetzt alles egal sein, wiederholte er stumm. Ich habe nichts mehr mit diesem Mann zu tun. Vergiss seine Lügen.

Zu gerne hätte Jimmy seinen eigenen Worten Glauben geschenkt. Doch tief in seinem Innersten fühlte er sich zerrissen. Er würde England nie mehr als sein Zuhause betrachten können, solange dort die neodemokratische Regierung und sein vermeintlicher Vater an der Macht waren.

Plötzlich fühlte Jimmy, wie sich alle seine Muskeln anspannten. Er konnte etwas hören. Ein tiefes Dröhnen.

»Sie sind da«, verkündete Froy.

Der Lärm war jetzt gewaltig und wurde mit jeder Sekunde ohrenbetäubender. Ein Schatten senkte sich drohend über sie herab. Und dann entdeckte Jimmy die Maschine – wie ein Projektil bohrte sich der EA-22G Growler durch den Wind. Der schlanke graue Rumpf bot vor dem Himmel eine perfekte Tarnung, nur die Flügelspitzen waren rot und leuchteten wie Flammen. Und als die Maschine donnernd landete, fiel ein Strahl Sonnenlicht auf das Abzeichen an der Seite des Cockpits – ein Seeadler in einem Kreis. Das Emblem der US-Navy.

Jimmy staunte nicht schlecht. Zum ersten Mal war er wirklich beeindruckt von der Macht der Organisation, unter deren Schutz er jetzt stand. Oberst Keays gebot offenbar nicht nur über sämtliche CIA-Ressourcen – jetzt hatte er sogar noch die US-Streitkräfte mobilisiert. Ein Lächeln schlich sich auf Jimmys Gesicht. Nun war er zuversichtlich, dass sie ihn sicher an jeden beliebigen Ort der Welt eskortieren würden.

Aber wohin eigentlich? Jimmy musste über seine eigene Dummheit lachen. Während der aufregenden Flucht vor dem NJ7 und dem ganzen Schmerz, seine Familie zurücklassen zu müssen, war er noch gar nicht auf die Idee gekommen, zu fragen, wo in aller Welt man ihn hinbringen würde.

»Wohin fliegt die …?«, begann er und verhaspelte sich dann vor Aufregung. »Ich meine, wohin werde ich …?«

Froys Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.

»Ich hoffe, du magst mexikanisches Essen.«

KAPITEL 2

Felix krümmte sich und presste eine Hand auf seine Taille, um das Seitenstechen zu lindern.

»Warte«, keuchte er.

»Mach schon«, rief Georgie, die ein paar Schritte voraus war. »Wir können uns keine Pause leisten.« Besorgt schaute sie sich um. Es war inzwischen fast hell. Die Dunkelheit bot ihnen kaum noch Schutz.

»Wir wissen ja nicht mal, wohin wir laufen«, wandte Felix schnaufend ein.

»New York ist riesig«, erwiderte Georgie. »Wir können irgendwo untertauchen. Aber unser alter Unterschlupf ist inzwischen alles andere als sicher.«

»Aber wo sollen wir schlafen? Wo etwas zu essen herbekommen? Ich brauche demnächst unbedingt ein Frühstück. Und das nicht nur jetzt, sondern für den ganzen Rest meines Lebens.«

»Keine Ahnung«, erwiderte Georgie. Sie wischte sich den Schweiß vom Gesicht und Felix bemerkte, dass ihre Hände zitterten. »Sie dürfen uns nicht erwischen. Wir können ihnen nicht vertrauen.«

»Aber wir können doch nicht einfach blindlings weiterrennen, oder?«, fragte Felix. »Wir haben es mit der CIAzu tun. Wenn die uns kriegen wollen, dann kriegen sie uns. Wir haben keine Chance.«

Georgie ignorierte ihn. Sie studierte die Straßenschilder.

»Wir brauchen ein Hotel oder sowas«, sagte sie leise.

»Vielleicht helfen die uns sogar«, fuhr Felix fort. »Jimmy haben sie schließlich auch geholfen, oder etwa nicht?«

»Wir glauben, dass sie Jimmy geholfen haben.« Georgie sah Felix an und in ihren Augen spiegelte sich Angst. »Aber uns hätten sie schließlich auch beschützen sollen. Also woher wusste der NJ7 dann, wo unser Versteck ist? Wenn die CIA ihren Job anständig erledigt hätte, wären deine Eltern niemals vom NJ7 entführt worden.«

Darauf wusste Felix keine Antwort. Es war das Letzte, woran er jetzt denken wollte. Dass Georgie das Thema wieder aufgebracht hatte, war einfach nur gemein von ihr. Vor seinem inneren Auge sah Felix, wie seine Mutter von diesen muskulösen Männern in schwarzen Anzügen zu Boden geworfen wurde. Er sah ihr Gesicht vor sich, wie sie ihm einen beruhigenden Blick zuwarf und ihn damit gleichzeitig zum Weglaufen aufforderte. Er bildete sich ein, seinen Vater rufen zu hören. Auch wenn das nicht Teil seiner Erinnerung sein konnte. Als die Agenten seine Eltern in den Wagen gestoßen hatten, waren Felix und Georgie bereits unbemerkt in einem Lieferwagen geflohen.

Eine kalte Meeresbrise fegte durch Manhattan. Felix schauderte.

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Georgie, als sie das traurige Gesicht ihres Freundes bemerkte. »Ich wollte dich nicht …«

»Schon in Ordnung. Man hat die beiden ja schon mal verschleppt.« Felix versuchte zu lächeln, obwohl in seinen großen braunen Augen tiefe Besorgnis stand. »Wahrscheinlich ist es ihr neues Hobby.«

»Moment«, sagte Georgie. »Wo ist dieser Stadtplan, den dir dein Dad gegeben hat, kurz bevor … du weißt schon.«

Felix’ Gesicht hellte sich auf. Er griff in die Gesäßtasche seiner Jeans und zog ein zerknittertes Stück Papier heraus.

Hektisch versuchten die beiden, es zu entfalten. Es war einer der Touristenstadtpläne von Manhattan aus dem Lokal unter ihrem Unterschlupf. Darauf waren alle wichtigen Sehenswürdigkeiten hervorgehoben, und was noch besser war, auch sämtliche Hotels.

»Das ist perfekt«, sagte Georgie. »Lass uns dorthin gehen.« Sie deutete mit ihrem Finger auf das nördliche Ende von Manhattan, mitten ins Zentrum von Harlem.

»Aber das ist kilometerweit weg«, wandte Felix ein.

»Je weiter wir uns von dem alten Unterschlupf entfernen, desto besser. Hast du Geld?«

Felix tastete seine Taschen ab, dann schüttelte er den Kopf.

»Egal«, sagte Georgie. »Uns fällt schon irgendetwas ein.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, versicherte ihr Felix mit einem gerissenen Grinsen.

Sie trabten wieder los, durch Nebenstraßen und enge Gassen, wobei sie sich beständig umblickten. Manhattan war um diese Zeit noch menschenleer, nur ein paar gelbe Taxis waren unterwegs. Aber schon innerhalb der nächsten Stunde würden sich die Straßen mit Menschen und Autos füllen. Sollten sie dann noch draußen herumlaufen, könnten ihre Verfolger sich ihnen unbemerkt in der Menge nähern und sie schnappen. Sie mussten so rasch wie möglich ein sicheres Versteck finden.

Sie rannten um eine weitere Ecke, Georgie immer ein paar Schritte voraus. Bei jedem Geräusch befürchteten sie, gleich den harten Griff eines Agenten in ihrem Nacken zu spüren. Der Fahrer jedes vorbeifahrenden Taxis schien sie anzustarren. Am Ende einer Gasse stießen sie auf eine breite Hauptverkehrsstraße. Sie mussten stehen bleiben und Georgie tastete nach der Karte. Schutzsuchend schlüpften sie zwischen eine Reihe von Müllcontainern. Der Gestank war überwältigend, aber das war im Augenblick ihre kleinste Sorge.

»Wo sind wir hier?«, fragte Georgie schwer atmend.

Felix lehnte sich aus dem Schatten und spähte nach einem Straßenschild.

»Sieht nicht mehr aus wie Chinatown«, begann er. »Aber ich bin mir nicht sicher …«

Irgendetwas packte ihn unter dem Arm. Er wollte schreien, doch eine Hand presste sich auf seinen Mund.

Georgie blickte entsetzt auf. Ihr Atem stockte. Felix war in der Dunkelheit des Hauseingangs gegenüber verschwunden. Dann griff ein weißer Arm auch nach ihr.

Georgie wich zurück, doch der Müllcontainer versperrte ihr den Weg. Sie saß in der Falle. Sie wollte schreien, aber ihre Kehle war wie zugschnürt. Die Hand kam näher, die weißen Finger kamen ihr vor wie eine Klaue.

Dann bemerkte Georgie, dass ihr Atem ruhiger wurde, und ihr Herz nicht mehr so heftig pochte. Sie spürte keine Angst mehr, ohne genau zu wissen, warum. Doch dann wurde es ihr klar – es lag an dem Ehering. Er blitzte am Ringfinger der Hand vor ihr. Und sie kannte diesen Ring.

»Komm rasch hier rein!«, ertönte eine Frauenstimme aus dem Hauseingang.

»Mum!«, flüsterte Georgie und sprang auf den Durchgang zu.

»Geht es dir gut?«, fragte Helen Coates und schlang die Arme um ihre Tochter. »Was ist passiert? Und wo steckt Jimmy?«

»Ihm geht’s gut«, begann Felix, der vor lauter Aufregung kaum Luft bekam. »Er muss diese ganze Nummer zusammen mit der CIAgeplant haben, ohne uns darüber zu informieren. Und dann haben wir gesehen, wie er erschossen wurde, aber natürlich nicht richtig erschossen. Er ist rückwärts in den Fluss gefallen, aber wir wussten, dass er gar nicht richtig tot war, ich meine, dass er nicht tot ist, denn er hat uns vorher eine Nachricht geschrieben, und wir haben zwei und zwei zusammengezählt. Das war eine ziemlich coole Aktion, um sie zu täuschen.«

»Moment, langsam, langsam«, sagte Helen. »Er wurde erschossen?«

»Klar«, erwiderte Felix. »Aber es muss mit irgendwelchen falschen Kugeln oder so gewesen sein.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Wenn wir mit unseren Vermutungen richtig liegen«, sagte Georgie, »dann ist er bei der CIA.«

»Natürlich vermuten wir richtig«, bekräftigte Felix.

»Aber warum rennt ihr beiden dann vor der CIA davon?«

Georgie und Felix zögerten und blickten einander an.

»Hast du sie gesehen?«, fragte Georgie. »Sind sie wirklich hinter uns her?«

Helene fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Langsam nickte sie. »Ich habe euch von unserem alten Versteck aus verfolgt.«

Georgie wusste zwar, dass ihre Mutter vor vielen Jahren selbst eine NJ7-Agentin gewesen war, doch deren Fähigkeiten versetzten sie immer wieder in Erstaunen.

»Auch hinter euch sind zwei Agenten her gewesen«, fuhr Helen fort. »Und wenn sie so gut sind, wie ich glaube, dann haben sie inzwischen Zugang zur Satellitenüberwachung. Sie müssten jede Minute hier sein.«

»Was sollen wir tun?«, stöhnte Felix.

»Rasch«, flüsterte Georgie. »Weg hier!« Sie wollte schon wieder zurück in die Gasse preschen, aber ihre Mutter hielt sie am Arm zurück.

»Warte«, sagte Helen entschlossen. »Warum rennst du weg? Weißt du etwas, von dem ich nichts ahne?«

»Der sichere Unterschlupf«, antwortete Georgie. »Diese Männer kamen und wir mussten flüchten. Aber sie haben Felix’ Eltern.«

»Ich weiß«, erwiderte Helen. »Ich habe alles mitverfolgt.«

»Du warst da?«

»Als ich Chris am Flughafen nicht finden konnte, bin ich zum sicheren Unterschlupf zurück. Und als ich in die Straße bog, habe ich gerade noch gesehen, wie die Männer Neil und Olivia verschleppt haben. Tut mir leid, Felix.« Sie legte eine Hand auf seine Schulter und beugte sich herab, um ihm in die Augen zu schauen. »Es wird ihnen nichts zustoßen. Wir werden sie finden und alles in Ordnung bringen. Es kann nur ein bisschen dauern, das ist alles.«

Felix blickte beiseite. Er wollte gar nicht daran denken.

»Wenn die CIAauf unserer Seite ist«, fragte er mit ein wenig heiserer Stimme, »wieso wusste dann der NJ7, wo unser Unterschlupf ist?«

»Keine Ahnung«, erwiderte Helen. »Dafür könnte es eine Million Gründe geben. Möglicherweise war es nicht der NJ7.«

»Was?«, japste Felix.

»Ich habe diese Männer beobachtet. Ihre Methoden waren …« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »Anders. Außerdem hat der NJ7 nur wenige Agenten hier in Amerika. Höchstwahrscheinlich hat der MI6 diesen Job übernommen. Oder …« Sie zögerte einen Augenblick. »Oder es könnten auch die Franzosen gewesen sein.«

»Was?«, rief Georgie. »Wieso denn die Franzosen?«

»Sie tun alles, um Amerika davon abzuhalten, den Engländern zu helfen.«

»Aber was haben meine Eltern mit der ganzen Sache zu tun?«, wunderte sich Felix.

»Gar nichts«, seufzte Helen. »Aber die Franzosen wissen über Jimmy Bescheid. Vielleicht wollen sie es so aussehen lassen, als hätte die CIAseine Freunde verraten, damit er sich gegen Amerika und wieder den Franzosen zuwendet.«

Felix’ Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Warum kann denn nichts einfach mal so sein, wie es scheint?«, flüsterte er.

»Du hast recht«, stimmte Helen zu. »Also, was wissen wir mit Bestimmtheit?« Während sie fortfuhr, zählte sie an den Fingern ab: »Erstens, der sichere Unterschlupf ist nicht sicher. Zweitens, die ganze Gegend wimmelt von Agenten aller Art. Drittens, die CIAist vermutlich die einzige Organisation, die uns schützen kann.«

»In Ordnung«, murmelte Georgie nachdenklich. »Vermutlich sollten wir uns also an die CIA halten. Ich vertraue ihnen nicht, aber zumindest kommen wir über sie an Informationen. Wir könnten sie nach Jimmy fragen. Auf die Art haben wir wenigstens Gewissheit.«

»Wir haben Gewissheit«, brauste Felix auf. »Jimmy hat sich ganz sicher nicht erschießen lassen, sondern einen Plan damit verfolgt.«

»In Ordnung, Felix«, beruhigte ihn Helen. »Du hast sicher recht. Aber wir können nur herausfinden, ob wir Oberst Keays und seinen Agenten vertrauen können, wenn wir uns in ihrer Nähe aufhalten. Wenn wir wegrennen, werden wir niemals erfahren, ob sie uns schützen oder uns töten wollen.«

Georgie holte tief Luft und blickte Felix lange an.

»Vermutlich werden sie uns sowieso bald schnappen«, sagte sie. »Zwei Kids haben wohl wenig Chancen, sich lange vor der CIA zu verstecken.«

»Da möchte ich widersprechen.« Eine Männerstimme mit einem breiten New Yorker Akzent unterbrach sie.

Georgie und Felix fuhren herum und entdeckten einen schlanken, sehnigen Mann, der lässig an einem der Müllcontainer lehnte. Er trug einen schlichten schwarzen Anzug. »Ich finde, ihr beiden habt euch bisher ziemlich gut geschlagen.«

Dann senkte er den Kopf und murmelte in das winzige Mikrofon an seinem Revers: »Wir haben sie.«

KAPITEL 3

Wenn man mit über achthundert Stundenkilometern unterwegs ist, funktioniert Verständigung manchmal nicht ganz so reibungslos. Jimmy schob den Ohrhörer in seinem Helm zurecht. Dieser war ganz offensichtlich nicht für den Kopf eines Zwölfjährigen entwickelt worden. Zudem produzierten Wind und Flugzeugmotoren ein gewaltiges Dröhnen. Und Jimmy war ohnehin vollauf damit beschäftigt, nach einer Lücke in den Wolken unter ihnen zu spähen. Denn dort bot sich ein unglaublicher Anblick: Amerikas Ostküste aus dreizehnhundert Metern Höhe. Aber der Growler war nicht dafür eingerichtet, dass die Passagiere irgendeine Aussicht genießen sollten. Bei all den Schaltern und Anzeigen um ihn musste Jimmy sich mächtig verrenken, um überhaupt etwas zu sehen.

Das Flugzeug hatte nur vier Sitze, die paarweise angeordnet waren. Jimmy saß angeschnallt direkt hinter Agent Froy und dem Piloten, ein weiterer CIA-Agent, dessen Namen Jimmy nicht kannte. Von seinem Sitzplatz aus konnte er nicht einmal das Gesicht des Mannes sehen, nur ein paar Strähnen seines schwarzen lockigen Haars, das sich unter seinem Helm hervorschlängelte. Der Sitz neben Jimmy war leer.

Seitdem der Pilot sie aufgelesen hatte, hatten er und Froy permanent gestritten.

»Ich habe es Ihnen doch gesagt«, schnauzte Agent Froy entnervt in sein Headset, »es waren im Augenblick keine anderen Maschinen verfügbar.«

»Und nur weil die Hangars leer waren, haben Sie mich eben mal so als Mitfahrgelegenheit aus dem Himmel herunterbeordert?« Die Stimme des Piloten war rau, und seinem Akzent nach zu urteilen, kam er wohl aus den Südstaaten. »Das hier ist nicht die American Airlines. Mein Job ist es nun wirklich nicht, Sie und diesen Jungen in den Urlaub zu fliegen.«

Jimmy schwieg. Er wollte sich nicht einmischen – er war einfach nur froh, dass sie sich endlich von New York entfernten. Aber Froy war stinksauer.

»Soll ich Oberst Keays berichten, dass Sie uns hier Schwierigkeiten machen?«, schrie er.

»Haben Sie’s nicht kapiert?«, schoss der andere Agent zurück. »Dieses Flugzeug ist in einem geheimen Auftrag unterwegs! Ich habe meinen Auftrag noch nicht erfüllt!«

»Ach, spielen Sie sich doch nicht so auf, Bligh«, seufzte Froy. »Sie befinden sich auf dem Heimweg, mussten ohnehin tanken und waren nach dem kurzen Zwischenstopp sofort wieder in der Luft. Wo liegt Ihr Problem?«

»Mein Problem? Erstens mal bin ich nicht auf dem Weg ›nach Hause‹. Ich bin unterwegs zum Datenanalysezentrum in Miami. Und Sie beide über dem sonnigen Mexiko abzuwerfen, bedeutet einen Umweg von über zweitausendfünfhundert Kilometern.«

»Entschuldigen Sie«, meldete sich Jimmy kleinlaut zu Wort. »Haben Sie gesagt, sie wollten uns absetzen oder abwerfen?«

»Ich habe gesagt abwerfen, und das habe ich auch so gemeint, Junge. Das da auf deinem Rücken ist ein Fallschirm.«

Jimmy fühlte, wie der rechteckige Rucksack gegen seine Schulterblätter drückte und kam sich wegen seiner Frage für einen Augenblick ziemlich dämlich vor.

»Und da ist noch etwas.« Bligh holte tief Luft und wetterte dann weiter. »Das hier ist ein Spionageflugzeug. Ich habe den Auftrag, über der normalen Flughöhe zu bleiben. Also über Radarhöhe, über den Wolken, über allem. Eigentlich hätte ich während des Fluges auftanken sollen. Und jetzt muss ich wieder runtergehen, damit ihr abspringen könnt. Aber Runtergehen ist ein Riesenproblem! Denn dann braucht der Gegner nicht einmal Radar, um mich zu entdecken. Bei meiner Zwischenlandung vorhin hätte uns meine eigene Großmutter sehen können – und die ist blind wie ein Maulwurf!«

Je mehr Jimmy hörte, desto überraschter war er, wie wenig durchdacht die Vorkehrungen zu seiner Flucht waren.

»Okay, okay«, seufzte Froy. »Gehen Sie mir nicht auf die Nerven mit …«

BUMM!

Es gab einen lauten Schlag und das Flugzeug wurde gründlich durchgerüttelt. Jimmy wurde nach links geschleudert und sein Helm krachte gegen die Seitenwand des Cockpits. Er hörte die beiden Agenten in seinem Kopfhörer schreien, aber er verstand nicht, was sie sagten. Das ganze Flugzeug vibrierte massiv. Sein Magen krampfte sich zusammen. Dann hörte er die ersten deutlichen Worte.

»Dort ist es!«, schrie Bligh. Seine raue Stimme klang erschrocken.

Jimmy lehnte sich in seinem Gurt nach vorne, um zu sehen, was der Mann meinte.

»Es ist auf dem Radar!«, sagte Froy drängend. »Auf deinem Display!«

Jimmy blickte auf den Bildschirm vor sich. Der Farbmonitor zeigte eine gezackte grüne Linie, umgeben von einer Art blauer Schraffur. Jimmy vermutete, dass es sich um die Küstenlinie unter ihnen handelte. Der ganze Bildschirm war kreuz und quer von dünnen blauen und roten Linien überzogen, doch wegen der gewaltigen Erschütterungen des Flugzeugs war kaum etwas zu erkennen.

»Es ist wie aus dem Nichts aufgetaucht«, schrie Bligh. »Nächstes Mal werden sie uns nicht verfehlen.«

Und dann entdeckte Jimmy, was der Mann meinte – zuerst den schwarzen Balken, der für das Flugzeug stand, in dem er selbst saß. Und dann bemerkte er, keine zwei Zentimeter davon entfernt, einen blinkenden roten Punkt, der nichts anderes bedeuten konnte, als dass sie in massiven Schwierigkeiten steckten.

»Sie haben mich gefunden«, keuchte Jimmy. »Wie haben sie das geschafft?«

»Festhalten!«, rief Bligh.

Eine Sekunde lang hatte Jimmy das Gefühl, als wäre das Flugzeug unter ihnen weggesackt. Seine sämtlichen Innereien schienen sich plötzlich dicht unter seiner Kehle zu drängen. Bligh war in den Sturzflug übergegangen.

»Dich?«, fragte der Mann plötzlich. »Wieso glaubst du, dass die hinter dir her sind?«

Die Maschine wurde aus dem Sturzflug wieder hochgerissen. Die massive Umkehrung der Fliehkräfte presste Jimmy tief in seinen Sitz. Und der Blutstau in seinem Kopf gab ihm das Gefühl, als würde gleich sein Schädel platzen.

»Keine Ahnung, wie sie uns aufgespürt haben«, schrie Froy und spähte hinter sich aus dem Cockpit. »Tut mir leid, mein Junge.«

Auch Jimmy schaute nach hinten. Bei den intensiven Vibrationen und der eingeschränkten Sicht war das andere Flugzeug nur für den Bruchteil einer Sekunde erkennbar. Doch das reichte. Es folgte ihnen, es war schnell und es konnte sich nur um den NJ7 handeln.

»Das hier hat nichts mit dir zu tun!«, schrie Bligh, der immer noch hektisch das Flugzeug unter Kontrolle zu bekommen versuchte.

»Das ist der NJ7«, erwiderte Froy. »Die sind hinter Jimmy her. Sehen Sie genau hin, das Flugzeug hat einen grünen Streifen auf der Seite. Das ist ihr Emblem. Ihr Engländer seid einfach zu verdammt arrogant, um irgendetwas wirklich heimlich zu tun, habe ich recht, Jimmy?«.

Jimmy blendete ihre Stimmen aus. Jetzt mussten seine Instinkte die Kontrolle übernehmen. Jimmy schloss die Augen und suchte nach seiner inneren Kraft. Er musste vergessen, dass er Angst hatte – das war nur sein menschlicher Anteil, diese achtunddreißig Prozent normaler, verängstigter Junge in ihm.

»Nein«, verkündete Bligh plötzlich. »Das ist unmöglich. Woher hätten sie wissen sollen, dass du in diesem Flugzeug sitzt? Außerdem hätten die Briten niemals so schnell einen Angriff koordinieren können. Wir sind nur ein paar Kilometer außerhalb des amerikanischen Luftraums. Die sind nicht wegen dir hier, Jimmy, sondern meinetwegen. Als ich runtergegangen bin, um dich aufzusammeln, konnten sie uns ohne Probleme ausmachen.«

Endlich fühlte Jimmy einen heißen Wirbel seitlich an seinem Hals. Die Energiewelle schoss nach oben, flutete sein Gehirn und aktivierte jeden einzelnen Muskel. Sein Atem verlangsamte sich. Die Panik in seiner Brust zog sich zu einem kleinen Knäuel zusammen. Jetzt erst konnte er richtig verarbeiten, was Bligh da gesagt hatte.

»Was meinen Sie damit?«, rief er, und seine Stimme strahlte eine neue Souveränität aus. »Warum sind die hinter Ihnen her? Sie haben vorhin einen Auftrag erwähnt – was bedeutet das? Worin besteht Ihre Mission?«

Jimmy erhielt keine Antwort, obwohl Bligh ihn gehört haben musste. Er konnte sehen, wie der Mann die Schultern zusammenzog.

Ihre Maschine donnerte weiter, nun wieder über den Wolken. Die Vibrationen ließen etwas nach, und Bligh ergriff alle erdenklichen Maßnahmen, um den Kurs zu stabilisieren.

Instinktiv wusste Jimmy, dass als Nächstes der Hochenergielaser zum Einsatz kommen würde, der den Suchkopf einer infrarotgesteuerten Rakete blenden konnte, und dann die Täuschkörper ausgestoßen würden, um die auf massive Objekte ausgerichteten Raketen abzulenken.

»Können wir das Feuer nicht erwidern?«, rief Froy.

Jimmy wartete nicht auf die Antwort des Piloten. Stattdessen ertönte seine eigene Stimme nun klar und gelassen: »Dies ist ein mit elektronischen Abwehrmaßnahmen ausgestattetes Flugzeug, kein Kampfflugzeug. Unsere Projektile können Anti-Radar-Artilleriesysteme und Boden-Luft-Raketen unschädlich machen. Aber wir haben keine Waffen, um ein anderes Flugzeug anzugreifen.«

Jimmy wandte sich erneut Bligh zu. Seine Augen fixierten die Rückseite seines Helmes. »Wenn Sie überleben wollen, dann brauche ich sämtliche Informationen«, verlangte er. »Sie haben gesagt, die müssen Sie verfolgt haben. Von wo aus? Worin bestand ihre Mission? Ich brauche diese Informationen. JETZT!«

Erneut wurde das Flugzeug massiv erschüttert.

»Wir verlieren die Kontrolle!«, rief Froy über das Rattern und Knirschen der Metallverstrebungen hinweg, die das Cockpit kaum mehr zusammenhalten konnten.

»In Ordnung«, schrie Bligh endlich. »Du hast recht – ich muss dich informieren. Aber nicht um zu überleben, sondern um meine Mission zu Ende zu führen.« Hektisch drückte er einige Knöpfe auf dem Kontrollpanel. »Gott, ich hoffe, dass der Bordcomputer noch funktioniert. Kannst du was sehen?«

Jimmy blickte auf seinen eigenen Monitor. Vor ihm tauchten in rascher Folge Luftaufnahmen auf. Jimmy war überrascht über ihre Schärfe – sie mussten aus einem schnell fliegenden Flugzeug aus Tausenden Metern Höhe aufgenommen worden sein.

»Das ist Neptuns Schatten«, verkündete Bligh hastig. »Die zweitgrößte Bohrinsel der Welt.« Seine Stimme zitterte wegen der Vibrationen des Flugzeugs, aber Jimmy fragte sich, ob es nicht auch vor Angst war. »Sie befindet sich in der Nordsee, zweihundertfünfzig Kilometer vor der englischen Ostküste.«

Die Bilder folgten immer rascher und rascher aufeinander. Jimmy versuchte verzweifelt, sich zumindest etwas davon einzuprägen. Immer noch vibrierte und ratterte ihre Maschine. Jimmy konnte kaum mehr hören, was Bligh sagte.

»Ist das etwa Ihr wertvoller Auftrag?«, brüllte Froy. Er war fuchsteufelswild. »Was ist daran so wichtig, dass Sie uns deswegen nicht aufsammeln wollten? Eine verfluchte Ölbohrinsel?«

»Es ist gar keine Ölbohrinsel«, schnappte Bligh. »Das habe ich bei meiner Mission herausgefunden. Und der NJ7 versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass ich mit dieser Information zurückkehre. Neptuns Schatten ist eine als riesige Ölbohrplattform getarnte geheime Raketenbasis. Und diese Bilder zeigen, dass die dort stationierten Raketen auf Frankreich gerichtet sind. Die Briten bereiten einen Angriff auf Paris vor.«

Jimmy fühlte, wie sich seine Eingeweide zusammenkrampften.

»Weiß sonst noch irgendjemand davon?«, keuchte er.

»Nur wir drei und die Regierung von Großbritannien«, erwiderte Bligh. »Wir sind zu weit entfernt und zu hoch, um eine Funkbotschaft zu schicken. Der einzige Ort, an dem diese Informationen und Luftaufnahmen gespeichert sind, ist der Hauptprozessor dieses Flugzeuges. Und um ehrlich zu sein, es sieht nicht danach aus, als würde es diese Maschine noch lange machen. Falls irgendetwas geschieht …« Er zögerte und räusperte sich. »Wenn wir abstürzen, dann muss, wer auch immer überlebt, diese Information zu Oberst Keays bringen. Er muss das wissen. Er muss sie aufhalten.«

KRACH!

Es fühlte sich an, als wäre das Flugzeug von einem gigantischen Vorschlaghammer getroffen worden. Ein Volltreffer.

Jimmy wurde zur Seite geschleudert und sein Kopf donnerte erneut gegen die Cockpitwand. Hätte er keinen Helm getragen, wäre sein Kopf zerschmettert worden.

Ihr Flugzeug schmierte ab und stürzte trudelnd in die Tiefe.

KAPITEL 4

Vor Jimmys Augen verschwammen sämtliche Farben. Das Universum wirbelte um ihn herum, als wäre er in einer Wäschetrommel gefangen, die mit über hundert Metern pro Sekunde zur Erde herabstürzte.

Ein einziger Gedanke beherrschte ihn – Bligh hat die Kontrolle verloren. Der Mann riss verzweifelt am Steuerknüppel und hämmerte auf die Schalter des Kontrollpanels ein.

Jimmy sah nach vorne aus dem Cockpitfenster. Der Anblick ließ ihn erstarren. Das Meer schoss direkt auf sie zu. Es war bereits nah genug, um den Abfall zu sehen, der auf den Wellen schaukelte.

Dann starrte er auf das Kontrollpanel. Es wirkte wie die allerkomplizierteste Spielkonsole der Welt. Doch plötzlich schien Jimmy durch die Armatur zu schauen, direkt in das Innenleben des Flugzeugs. Blitzartig konnte er die Drähte zu jedem Schalter und jeder Anzeige weiterverfolgen – Tausende gleichzeitig.

»Tun Sie genau, was ich Ihnen sage!«, schrie Jimmy, der hart gegen eine Ohnmacht ankämpfte.

»Was?«, rief Bligh ungläubig.

»Motoren ausschalten!«, befahl Jimmy. Seine Stimme besaß solche Autorität, dass Bligh sofort gehorchte. Die beiden P450-Turbotriebwerke verstummten und jetzt hörte man im Cockpit nur noch das schrille Pfeifen des Luftstroms.

Jimmy riss an seinem Gurt. Er löste seinen Fallschirm, zog ihn vom Rücken und schnallte ihn an die Displaystation vor dem leeren Sitz neben ihm. Dann löste er den Auswurfmechanismus des Schleudersitzes aus. Sofort öffnete sich ein Teil der Cockpitabdeckung und der Sitz wurde aus dem Flugzeug gerissen. Erleichtert stellte Jimmy fest, dass weder Bligh noch Froy sich ebenfalls in Panik hinauskatapultiert hatten.

»Was hast du vor?«, schrie Bligh.

Jimmy antwortete nicht. Stattdessen zog er die Reißleine seines an der Displaystation befestigten Fallschirms. Der schwarze Seidenschirm wurde aus dem Cockpit gerissen und blähte sich im Himmel hinter ihnen auf.

Der Luftwiderstand würde ihren Sturz nur minimal abbremsen – der Schirm war entwickelt worden, um einen einzelnen Menschen zu tragen, kein ganzes Militärflugzeug. Doch er würde ihnen eine Extrasekunde gewähren, die möglicherweise ausreichte. Und der geblähte Schirm hinter ihnen diente noch einem weiteren Zweck.

»Öffnen Sie die interne Treibstoffzufuhr!«, kommandierte Jimmy. Bligh zögerte keine Sekunde. Eine Fontäne schwarzer Flüssigkeit schoss hinter ihnen aus den Tanks, machte das Flugzeug mit jeder Sekunde leichter und füllte den Fallschirm mit Kerosindämpfen.

Es blieb keine Zeit für weitere Befehle. Jimmy übernahm jetzt selbst die Kontrolle über die Instrumente. Er klappte die Schutzabdeckung über den Auslösern für die Raketen auf und hämmerte seinen Daumen auf einen orangefarbenen Knopf.

Er brauchte nicht zu zielen. Ohne ein speziell programmiertes Ziel würde die AGM-99 automatisch das größte feste Objekt in ihrer Reichweite suchen. Jimmy hoffte, dass einer der Täuschkörper, die im Wasser unter ihnen trieben, groß genug war.

Eine einzelne Rakete zischte durch den Himmel vor ihnen und bog dann in Richtung ihres Zieles ab. Doch sie konnten auf dem Radar mitverfolgen, wie es den Täuschkörper genau in der Mitte traf. Eine gewaltige Stichflamme schoss empor, heizte die Luft in ihrer Umgebung sofort um mehrere hundert Grad auf und entzündete die Dämpfe im Fallschirm.

Der plötzliche Auftrieb reichte aus, um den Growler aus seiner Abwärtsspirale zu tragen.

»Jetzt!«, schrie Jimmy. Bligh wusste genau, was Jimmy meinte. Sofort startete er die Motoren. Ihr vertrautes Dröhnen setzte wieder ein. Der seidene Fallschirm hinter ihnen ging in Flammen auf und sie schossen nun dicht über dem Wasser dahin.

Jimmy konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»Cooles Manöver, Junge«, knurrte Bligh, während sie mit mehreren hundert Stundenkilometern wieder hinauf in die Wolken schossen. »Aber es ist noch nicht vorbei.« Er tippte auf seinen Monitor. Der rot blinkende Punkt war immer noch da und kam näher.

Jimmy war verblüfft, dass der Mann nach wie vor so ruhig klang.

»Wir steigen besser aus«, sagte Jimmy. »Die Maschine ist schwer beschädigt und wir haben keinen Treibstoff mehr. Selbst wenn wir nicht getroffen werden, stürzen wir in Kürze ab.«

Bligh blickte hinüber zu Froy.

»Froy!«, schrie er und rüttelte seinen CIA-Kollegen am Arm. »Er hat das Bewusstsein verloren, Jimmy! Ohne ihn steige ich nicht aus.« Bligh langte zu Froy hinüber, um seinen Puls zu fühlen. »Hier, nimm das.« Er löste seinen Fallschirm und reichte ihn Jimmy nach hinten.

Jimmy zog die Gurte des Fallschirms über seine Arme.

»Ich schnalle mich an Froy fest«, fuhr Bligh vor und tastete nach einem Haken an seinem Gürtel. »Dann steigen wir zusammen aus und ich ziehe die Reißleine seines Schirms.«

Jimmy wollte gerade den Anweisungen des Agenten folgen, doch dann zögerte seine Hand über dem Auslösemechanismus für den Schleudersitz. Erneut warf er einen Blick auf den roten Punkt auf seinem Monitor. Komm schon, befahl er sich selbst. Raus hier. Aber eine dunkle Kraft lähmte seine Muskeln.

»Sie werden mich erkennen«, keuchte Jimmy plötzlich. »Ich darf nicht aussteigen. Wenn ein NJ7-Pilot einen Jungen aus diesem Flugzeug kommen sieht, wird er diese Information sofort an Miss Bennett weiterleiten. Und sie wird wissen, dass ich es bin. Damit wäre die ganze Operation ein Fehlschlag.«

»Wer ist Miss Bennett?«

»Sie ist die Chefin des NJ7. Sie darf auf keinen Fall wissen, dass ich am Leben bin.«

»Dafür ist es jetzt zu spät!«, schrie Bligh. »Wir müssen hier raus. Ich kann den Schleudersitz nicht auslösen, bevor du raus bist – ich fliege dieses Ding!«

Aber Jimmy war noch immer unschlüssig. In seinem Kopf verlangten all seine menschlichen Instinkte, sich sofort aus dem Flugzeug zu katapultieren. Doch seine Konditionierung unterdrückte jeden dieser Impulse.

»Nein«, verkündete er. »Wir können sie loswerden.«

Sein Gesicht war in Entschlossenheit erstarrt.

»Unmöglich!«, schrie Bligh. »Sie haben …«

Er verstummte.