Jagd auf die Tochter eines Schwarzkünstlers - Michael Häusler - E-Book

Jagd auf die Tochter eines Schwarzkünstlers E-Book

Michael Häusler

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Beschreibung

Mirella di Cagliostro ist 22 und hemmungslos genusssüchtig. Im politisch unruhigen Frankreich des Jahres 1796 sucht die wortgewandte aparte Degenfechterin und Luxuskokotte nach dem Schatz ihres Vaters, des falschen Grafen Alessandro di Cagliostro, der von der Inquisition als Ketzer verurteilt wurde. Der junge Gauner und Tagedieb Francois Vidocq hilft ihr dabei, wird von ihr ausgenutzt und betrogen. Die skrupellose falsche Adelige Mirella schreckt vor keinem Mittel zurück, um ihre Ziele zu erreichen. Selbst der junge Revolutionsgeneral Napoleon Bonaparte verfällt ihr. Das junge Mädchen voller Heimtücke und ohne Gewissen aber verbündet sich mit geflohenen Adeligen, Sektenanhängern, Räuberbanden, Staatsspitzeln, Geheimbünden und Revolutionären aller Art, und lässt ihre Verbündeten jeweils wieder fallen, wenn diese es nicht zuwege bringen, sie dem Schatz des Cagliostro näher zu bringen, der sich angeblich in einer alten Schlossvilla in der Nähe von Mailand befinden soll. Ein umtriebiger Roman, in dem tödliche Intrigen gesponnen werden, halsbrecherische Flussfahrten stattfinden und Verrat von Liebe und Freundschaft an der Tagesordnung sind. Ein fesselndes Kolossalgemälde des Frankreichs des zu Ende gehenden 18. Jahrhunderts, als die mörderische Diktatur Robespierres überwunden ist, aber der zukünftige Kaiser der Franzosen Napoleon Bonaparte politisch noch nicht fest im Sattel sitzt.

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MIRELLA di CAGLIOSTRO: oder: Das geheime Leben der Mirella Isabella di Cagliostro, angebliche Tochter des bekannten, verstorbenen Magiers, könnte das Buch heißen, das auf diesen Aufzeichnungen beruht.

Oder:

„Die schlüpfrige Existenz der Mirella di Cagliostro“. Aber vielleicht ist es angemessener, den neutraleren Titel zu wählen: „Jagd auf die Tochter eines Schwarzkünstlers“; denn dieser wird mehr der Opferrolle gerecht, welche die arme Verfolgte ja immerhin auch einnimmt, denn Mirella ist durchaus auch das Opfer der vielfältigen Betrügereien ihres umstrittenen Vaters, den sie beerben will, und dessen Abenteurerkarriere sie unbedingt fortsetzen will. Denn das wilde unstete Leben voller Luxus in Saus und Braus, ohne dafür arbeiten zu müssen, liegt auch der Tochter im Blut. Sie kann gar nicht anders, als in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, des gejagten Betrügers, dreisten Diebes und Gauklers.

Denn beide sind vom gleichen Schlag, und der Preis für Mirella Isabella dafür ist, ebenso wie ihr Vater ein Leben lang von der Justiz verfolgt zu werden. Sie lebt jetzt schon das gehetzte Leben ihres Vaters ohne Garantien, von heute auf morgen, ohne eine sichere Zukunft oder gesicherte Existenz. Sie, die Ausgestoßene aus allen Gesellschaften, schlägt sich in einer rauen Männerwelt durch wie eine gemeine Verbrecherin. Noch lebt Mirella aber äußerst angenehm und lebensfroh zur Zeit der Ersten Republik in Frankreich, im Directoire, und befriedigt ihre Luxus- und Vergnügungssucht in den Salons der Pariser Gesellschaft des Jahres 1796. Sie ist äußerst apart und hübsch, spricht ein exzellentes und gepflegtes Französisch und Italienisch. Außerdem ist sie mit ihren 22 Jahren bereits eine kunstvolle und gefürchtete Degenfechterin.

Dennoch sollte die junge Dame sich vorsehen: Die größten Schrecken der Französischen Revolution sind zwar vorbei, aber Robespierre ist noch nicht lange tot, vor allem sein zerstörerischer (Un)Geist nicht - und das Schafott ist auch noch nicht abgeschafft … Die Guillotine glänzt noch feucht vom Blut der vielen Revolutionsopfer und könnte am Ende auch vor Mirellas hübschem Kopf nicht haltmachen, wenn sie nicht gewaltig auf der Hut ist, und ihre wildesten Triebe nicht endlich zu zügeln lernt.

Doch wie kam es überhaupt zur Existenz der angeblichen Tochter von Alessandro di Cagliostro? Auch Giuseppe Balsamo genannt, Acharat, Graf Phoenix - Hexenmeister; er hatte viele Namen und viele Gesichter.

Um das zu klären, müssen wir einige Seiten im Geschichtsbuch zurückblättern.

Cagliostro, Erzzauberer, Hochstapler, Magier, Heilkünstler, Prophet, Goldmacher, Wunderheiler, Scharlatan, Spiritist, Schwarzkünstler, Mysterienschwindler? Oder einfacher, schlichter Betrüger, Wahrsager?

All dies waren die Berufsbezeichnungen eines außergewöhnlichen Mannes, von dem ich vorab berichten möchte, ehe ich mich auf das Wagnis einlasse, das Leben seiner angeblichen, unehelichen Tochter zu durchleuchten. Ständig waren wir beide auf der Flucht. Ich notgedrungen immer mit ihm zusammen, denn beide standen wir in einem totalen Abhängigkeitsverhältnis zueinander, einer konnte nicht ohne den anderen sein.

Mein Herr wurde in seiner Zeit, in unserer Zeit, dem 18. Jahrhundert, dringend gebraucht, denn die Menschen aller Gesellschaftsschichten waren wundergläubig und wollten betrogen werden. Allerdings nur bis zu einem gewissen Grad, bis es an ihren Geldbeutel ging.

„Lorenza, mein Täubchen, pack schnell das Nötigste zusammen, wir müssen ganz rasch fort von hier!“.

Endlich war es mal wieder soweit! Ich seufzte.

„Denn Paris ist zur Zeit voller Intriganten, Meuchelmörder und Spione.“

„Da haben Sie leider nur zu recht, verehrter Maestro“, sagte ich bestätigend.

Lorenza schrak hoch: Lorenza Feliciani, des Magiers Ehefrau, deren schöner, geschmeidiger Körper nicht selten als Lockspeise für seine Schurkereien diente, für seine ausgekochten Betrügereien herhalten musste. Fasziniert betrachtete ich die herumhetzende Amazone, welche die vollendete Schönheit einer patrizischen Römerin besaß, und die das gelegentliche Medium von meinem Herren war.

Wie oft in seinem Leben hatte der unwürdige Graf nicht schon seine Frau ohne Skrupel verkuppelt, um anschließend Geld von seinen vielfältigen Opfern zu erpressen?

Aber zu mir war er gut bis gütigst, in dieser Hinsicht konnte ich mich wirklich nicht beklagen.

Klein von Statur war er, fett, schielend, ohne wirkliche Eleganz; er hatte aber auch so gar nichts von einem gebildeten Edelmann an sich. Dafür trug er das Kainsmal des internationalen Vagantentums, das sich unter anderem in seinem gehetzten Leben kundtat; es bedeutete, dass wieder einmal die Aufdeckung seiner Betrügereien kurz bevorstand.

Dem falschen Grafen war daher oft der Boden unter den Füßen zu heiß geworden!

Immer, wenn solch ein prekärer Zustand in seinem Leben eintritt, strebt der falsche Graf schleunigst einen Ortswechsel an, der dreiste Glücksritter, um seine Opfer anderweitig zu suchen, der Taschenspieler, Quacksalber und Kuppler, der Spekulant, Lebemann und Lebenskünstler.

Ich, Michel Bertrand, sein viel zu treuer Domestik, hatte diesen Tag schon lange kommen sehen und mich entsprechend vorbereitet.

So hatte ich unter Anderem die Flucht-Kutsche für meine eitle Herrschaft schon tagelang unten im Hof reisefertig bereit gehalten. Jederzeit abfahrbereit. Ich lachte still in mich hinein.

Ohne jegliche Eleganz war mein Arbeitgeber, welche in der galanten Scheinwelt gemein ist. Er war ohne eigentliche Kenntnis der Wissenschaften, verkaufte nur gefärbte Wässerchen als Wundertinkturen an Leichtgläubige und pries sie als Wundermedizin an. In der Tat war Cagliostro wirklich aller Vorzüge beraubt, welche es vermocht hätten, Liebe gegenüber seiner Person zu erwecken.

Wie hat nun ein solcher Mann, wird sich hier an dieser Stelle der konsternierte Leser fragen, sich bei dem weiblichen Geschlecht derart in Gunst setzen können, und zwar noch auf eine solche Weise, dass er von ihnen noch, nachdem er die Frauen vom Pfade der Tugend abgeführt hatte, reichliche Geschenke und Belohnungen erhielt? Seltsam – ein Mysterium der besonderen Art, auch für meine Person, wie ich gestehen muss.

Zwar war mein Herr durchaus auch ein geistreicher Hochstapler, neben Casanova vermutlich der geschickteste im achtzehnten Jahrhundert, der seine Bedeutung neben zweifellos vorhandenen, okkulten Fähigkeiten der Leichtgläubigkeit und dem mystischen Bedürfnis des Adels seiner Zeit verdankt. Denn den müßigen, gelangweilten Adeligen gedürstete es beständig nach „Wundertaten“. In diese Bresche sprang Cagliostro nur zu bereitwillig.

(Und später auch seine Tochter Mirella Isabella).

Cagliostro galt daher als Gegenpol zu der Sachlichkeit der „Aufklärung“, als „Schwarzkünstler“; und er hatte angeblich eine schöne und kluge Tochter: Mirella di Cagliostro.

Wenn sie wirklich seine Tochter war …

Fest steht, dass wir 1774 überstürzt aufbrachen und mit den Koffern hastig in die wartende Kutsche stiegen. Die 20jährige Lorenza schnappte sich ihr wenige Wochen altes Kind, das Mädchen Mirella Isabella im Körbchen, und los fuhren wir.

Dieses Baby also hatte angeblich meinen Herren Cagliostro als Vater, doch ich meinte eher, es handele sich um ein uneheliches Kind aus einem von Lorenzas Seitensprüngen.

Auch die Kinderschwester fuhr in der Kutsche mit, mein Herr, Lorenza di Feliciani und ich. Das Baby weinte und es ging holprig über klapperndes Kopfsteinpflaster. Wir schlängelten uns durch enge Gassen des Pariser Untergrundes. Angeblich waren diesmal die Freimauer hinter meinem Herren her. Und tatsächlich nahm sogleich hinter uns eine andere Kutsche rasant an Fahrt auf und folgte unserem Fluchtweg.

Cagliostro trieb den Kutscher an, schneller zu fahren.

Unser Ziel war das Versteck des Grafen in den Katakomben von Paris, denn Alessandro di Cagliostro hatte überall Notunterkünfte, für alle Fälle. Denn er war öfter auf der Flucht als andere Menschen nur eben mal in den Nachbarort fuhren.

Von der anderen Kutsche heraus wurde tatsächlich von jemandem auf uns geschossen, doch unser Kutscher war sehr geschickt, lenkte so, dass wir den Musketen-Schüssen geschickt auswichen, und auch dieses Mal hatten wir die Gegner bald abgehängt und landeten sicher in unserem Geheimversteck.

Denn wir kannten jede Fluchtroute, jeden noch so fadenscheinigen Schlupfwinkel in dem verwinkelten Paris.

Damals, nach dieser letzten Eskapade Cagliostros, fragte seine zarte, gebeutelte Lorenza, als wir irgendwo in den Katakomben von Paris in momentaner Sicherheit waren: „Und in dieser Kutsche, die uns so unnachgiebig und akribisch verfolgte, saßen wirklich Freimaurer?“ Cagliostro seufzte tief.

„Wer denn sonst, mein Täubchen? Von Anbeginn meiner Beschwörungsseancen habe ich immer nur die meisten Scherereien mit diesem verdammten, verschworenen Verein gehabt!“, giftete der Graf schlechtgelaunt.

„Ja, aber nur, weil Ihr die Freimaurer nach Strich und Faden betrogen und ausgenommen habt, Herr!“, stichelte ich lächelnd.

„Nun, das stelle ich durchaus nicht in Abrede, mein werter Michel; aber das beruht auch auf Gegenseitigkeit“, sagte der Magier mit einem gleichmütigen Lächeln zu mir hin, während er sich an der hastig improvisierten Abendtafel an Wein und gespicktem Rehrücken gütlich tat. „Diese Heuchler von Weltverbesserern haben doch auch reichlich von meinem spiritistischen Genius profitiert“, behauptete der Graf ordinär schmatzend. „Meiner Kunst, hohe Geistliche, Kaiser und Könige und Minister mit Taschenspielereien in den Bann zu ziehen, haben die Freimauer es doch zu einem großen Teil zu verdanken, dass ich sie aus ihrem elenden, erbärmlichen und geächteten Nischendasein ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt habe“, behauptete er doch tatsächlich keck und rülpste laut.

Privat konnte er sehr ordinär sein und er genoss das auch.

„Na, na!“, wagte ich da einen zaghaften, humorvollen Protest und lachte leise.

Da drehte er sich empört nach mir um, und säuselte beleidigt steifzüngig daher: „Was heißt hier „Na, na?“ – „Nana“, das ist höchstens der Name einer billigen Kurtisane, in die ich gestern oder vorgestern meinen Zauberstab eingeführt habe“, lästerte er gelassen und leutselig. Lorenza lachte herzhaft.

„Aber eins ist doch wahr: Ich allein habe diesen trüben Hinterstubenverein von Freimaurern erst salonfähig gemacht in Paris! Allein mit meinen gelungenen und aufsehenerregenden Zukunftsprognosen, Geisterbeschwörungen und Goldmachereien“, wetterte der Graf unbeherrscht und haute ungeschlacht auf den Tisch.

„Ja, das ist allerdings wahr: Die Goldbarren der Barone und Grafen habt Ihr euch gegriffen, jeweils am Ende der Seancen, und den illustren Herrschaften die Eisenbarren dagelassen, worauf Ihr Euch empfohlen habt“, lästerte Lorenza.

Wir alle lachten.

„Was tun eigentlich diese Freimaurer den ganzen lieben, langen Tag, mein guter Gemahl?“, fragte Lorenza amüsiert.

„Oh, vorgeblich haben sie eine altruistische, humane Mission“, ließ sich mein Herr herab, zu dozieren. Er zog eine Art Broschüre hervor und begann zu lesen: „Also hört mir mal kurz gut zu, was sie sich mit so stolzgeschwellter Brust zugute halten“:

„Die Freimaurerei ist eine weltbürgerliche Bewegung mit dem humanitären Ideal des nach Vervollkommnung strebenden Menschen. Jeder Freimaurer ist verpflichtet, nach Wahrheit, Menschenliebe, Selbstkritik und Duldsamkeit zu streben. Die Freimaurer verehren Gott im Symbol des Allmächtigen Baumeisters aller Welten. Sie setzen sich für eine allgemeine humanitäre Ethik ein, bekämpfen Totalitarismus, Chauvinismus, Fanatismus, Aberglaube, Kastengeist und treten für ein friedliches, sozial gerechtes Zusammenleben ein“, beendete er befriedigt seinen kurzen Diskurs.

„Oh, weiter wollen sie nichts?“, fragte Lorenza vorwitzig und lächelte. Wir alle lachten.

„Nein, höchstens noch die Weltherrschaft!“, witzelte dann der falsche Graf Cagliostro.

Wieder wurde gelacht.

So oder so ähnlich liefen die unterhaltsamen Gespräche im Hause Cagliostros ab, sei es im Königsschloss, oder in einer bescheidenen Bauernhütte, wo wir oft genug gerade noch glücklich unterkommen konnten.

Das Baby Mirella Isabella schlief zu solch heiteren Anlässen mit ernstem Hintergrund derweil stets unschuldig und noch unwissend im Hinterzimmer. Doch bald reifte es selbst zu einer ausgekochten Betrügerin heran, wie wir bald sehen werden …

Das war damals, 1774, diese kuriose Szene. Doch was bleibt nun heute, 1796, von dem einst so unschuldigen Charme des Kleinkindes, der Mirella Isabella di Cagliostro?

Wie passt die Schöne in dieses schräge Bild?

Ganz einfach: Sie ist hinter der Beute ihres toten Vaters her!

Denn Cagliostro hat sich tatsächlich auch bei den Freimaurern rücksichtslos bereichert, deren Logenwesen er nur beigetreten ist, um Vermögen zu veruntreuen, und deren humanitäre Ideale er schnöde verraten hat.

Denn eines müssen wir uns unbedingt immer vor Augen halten: Bei Cagliostro hat jede Handlung nur einen Selbstzweck!

Dasselbe gilt auch für die Tochter.

Der Verbleib der vielen von Cagliostro zusammengerafften Vermögen ist allerdings unsicher, wenn nicht unbekannt.

Mirella di Cagliostro (M.d.C.) ist ebenso hinter dem Diebesgut her, wie auch die betrogenen Freimaurer, und ebenso die Geheimpolizei (Sûreté). So auch Staatsspitzel, Königstreue (Royalisten), und die Revolutionäre um Robespierre. Und auch noch einige zwielichtige Abenteurer wie Fouché und Vidocq suchen fieberhaft nach dem geheimnisvollen Schatz des Cagliostro.

Sie alle arbeiten teils zusammen, verbünden sich miteinander, wechseln bei ausbleibendem Erfolg dann die Seiten, und konspirieren teils gegeneinander, dann wieder miteinander, doch alle verfeindeten Gruppen haben zeitweilig noch ein anderes, gemeinsames Ziel: Die gnadenlose Jagd auf die Tochter des Schwarzkünstlers Cagliostro!

Denn jeder Verschwörer ist auf Anhieb bereit zu glauben, dass nur Mirella über den Verbleib des Schatzes Bescheid wissen kann! Wenn nicht sie, wer sonst?

Auch die skrupellose, junge M.d.C. mit ihrem schlüpfrigen Lebensstil findet heute nichts dabei, sich mal mit der einen, mal mit der anderen Clique zu verbünden, um ihre egoistischen Ziele durchzusetzen: Die Beute ihres Vaters und die dadurch erträumte materielle Unabhängigkeit locken die junge Frau gar zu sehr. Dafür ist sie bereit, jede Gefahr auf sich zu nehmen, kein Komplott ist ihr zu niederträchtig, keine Schandtat zu schade, um an das Vermögen zu kommen.

So verbündet sie sich mal mit der einen Partei, zum Beispiel den Freimaurern, dann geht sie wechselnde Koalitionen ein:

Nacheinander mit den Revolutionären um Joseph Fouché, dem Führer der Schreckensherrschaft von 1793/1794, dann verbündet sie sich auch gerne mal mit den Royalisten, wenn es angebracht scheint, oder auch mit Vidocq, dem Gründer der Pariser Sûreté; der Geheimpolizei, oder auch streunenden Räuberbanden. Nur, um bei der erstbesten Gelegenheit alle Gruppierungen wieder gegeneinander auszuspielen.

Auch mit diversen Sekten oder religiösen Splittergruppen verschwörerisch zu paktieren, ist sich Mirella keinesfalls zu schade.

Die okkulte Vereinigung der Rosenkreuzer unterstützt M.d.C. ebenso eifrig, wie sie von der umtriebigen Degenfechterin wieder verleugnet und verraten wird, wenn Mirella wieder einmal in die Fänge einer anderen Gruppierung gerät.

Auch den im Jahre 1776 von Adam Weishaupt gegründeten Geheimbund der Illuminaten benutzt MdC für ihre schmutzigen Zwecke.

Vor allem geht es M.d.C. aber darum, das Vermögen der vielen Freimaurerlogen aufzuspüren, die ihr verstorbener Vater einst mitgegründet und betrogen und ausgenommen hat.

Doch wo hat der falsche Graf „Alessandro di Cagliostro“ das Diebesgut versteckt?

Wo sind die vielen Goldmünzen geblieben, das Geld, die Diamanten, die Colliers der bestohlenen Gräfinnen, die silbernen Kerzenleuchter?

„Vermutlich irgendwo im europäischen Ausland!“.

Diese Vermutung wurde soeben von Joseph Fouché mit Kennerblick geäußert, welcher mit der konspirierenden Mirella gerade verschwörerisch in seinem Versteck im Jahre 1796 zusammen saß: Irgendwo in den Katakomben von Paris, während des Ersten Koalitionskrieges, und im zweiten Jahr der Herrschaft des sogenannten „Direktoriums“. Mit den beiden zusammen fachsimpelte kein Geringerer als der junge Napoleon Bonaparte aus Korsika, der sich auch einen Beuteanteil aus dem Schatz des Cagliostro erhoffte, um damit seine weiteren Feldzüge zu finanzieren. Denn der noch kleine Korse ist nahezu pleite.

Zu diesem Zweck wurde er von Mirella und Fouché in diesen verwegenen Plan eingespannt. Mit seinem Anteil des Schatzes wollte der erst 27-jährige, junge Revolutionsgeneral Napoleon Bonaparte seinen nächsten, geplanten Feldzug in Oberitalien finanzieren.

Die Schmugglerbanden um den jungen Abenteurer Francois Vidocq sollen Napoleon, Mirella di Cagliostro und Fouché helfen, das von Cagliostro geraubte Vermögen aufzuspüren, und dann sicher über die Grenzen außerhalb Frankreichs zu schleusen. Oder im Gegenteil aus dem Ausland heraus nach Frankreich, sollte sich der Schatz dort befinden.

Ein einflussreicher Logenmeister einer Freimaurergilde soll den Verschwörern dazu den Weg ebnen.

„Aber wo genau könnte sich dieser ganze, sagenhafte Schatz befinden?“, fragte Mirella Isabella grübelnd in die verwegene Runde. „Ich verfüge lediglich über einen vagen, rätselhaften Plan meines Vaters, auf dem die angebliche Verteilung seiner Reichtümer verklausuliert notiert sein soll“, sagte sie entmutigt.

„Auch im Kloster von Montmorency soll sich ein Teil des Schatzes befinden“, memorierte die zu allem entschlossene Degenfechterin. „Das jedenfalls ist die einzige Angabe, die zu entschlüsseln ich bisher selber imstande war, jedenfalls wenn ich die ganze Sache richtig deute“, sagte sie mit trüber Miene.

Ein Raunen der Enttäuschung machte sich daraufhin in der Runde breit. Was Wunder!

„Bah, für mich, in meinen Augen, ist der gesamte, angebliche Lageplan des Schatzes ein einziger Humbug“, schnaubte der junge, ungeduldige Revolutionsgeneral Bonaparte hitzig und brummig, „ich glaube, hier verschwende ich nur meine Zeit!“.

Und seine dünne, lange Haarmähne flatterte ondulierend, als er sich ungehalten von seinem Tischchen erhob, wobei sein zinnener Trinkbecher klirrend zu Boden fiel.

„Meiner Meinung nach existiert dieser Phantom-Schatz überhaupt nicht! Ich fange bereits an zu bedauern, mich mit euch einfältigen Schnattergänsen eingelassen zu haben!“, schimpfte der Korse zornig.

Mirella glotzte ihm pikiert hinterher.

„Meiner Meinung nach existiert auch dieser Napoleon Bonaparte gar nicht, bei ihm handelt es sich wohl auch nur um eine lebensuntüchtige, großmäulige Fabelgestalt aus dem Märchenbuch!“, rief sie dem jungen Hitzkopf hinterher. Alle lachten darüber und klatschten ihr gutmütig Beifall.

Aufbrausend drehte sich der junge Bonaparte daraufhin zu Mirella Isabella um, nahm sie zornig in Augenschein und blaffte verächtlich: „Weibervolk! Wenn man sich erstmal auf ihr Gewäsch einlässt…“ Babeuf, ein stiller Revolutionär, der bisher noch gar nichts gesagt hatte, lächelte erhaben und stichelte gegen die junge Mirella: „Ja, das ist richtig, Herr General! Denn ein flinker Degen und eine flinke Zunge bringen uns noch lange keinen Geldsegen!“

Es gab wieder ein großes Gelächter. Denn auch die Frühkommunisten um Babeuf zeigten lebhaftes Interesse an dem angeblichen Schatz des Cagliostro. Nunmehr erhob sich ebenfalls der mit den Verschwörern tagende legendäre französische Revolutionär hitzig von seinem Tischchen, an dem er bisher lediglich passiv schweigend zugehört hatte: „Ja, auch ich tendiere zu der für Euren Vater wenig schmeichelhaften Ansicht, Mademoiselle di Cagliostro, dass dieser Schwarzkünstler und Lebemann von Eurem Vater zwar sehr wohl beträchtliche Reichtümer von den Freimaurern abgezweigt hat, aber zweifelsohne hat er sie durch seinen verschwenderischen Lebensstil längst alle wieder durchgebracht. Denn Cagliostro hat, wie allgemein bekannt ist, in Saus und Braus gelebt, alle Kurtisanen von Paris durchprobiert und diese und haufenweise falsche Freunde mit Geld und Schmuck überhäuft und ausgehalten, und sich verschwenderisch in Seide gekleidet“, schimpfte der Volkstribun Babeuf, und schwenkte einen anklagenden Zeigefinger zu Mirella hin, die ruhig an ihrem Tisch saß und eine gleichgültige Miene aufsetzte.

„Bestimmt hat dieser selbstsüchtige Hexenmeister nicht in selbstloser Manier einen Spargroschen für sein uneheliches Töchterchen dort drüben gespart, wovon er angeblich mehrere in diversen Klöstern verwahrt haben soll – Spargroschen, nicht weitere uneheliche Töchter“, sagte Babeuf verächtlich und ließ wieder seinen anklagenden Finger über Mirella kreisen, auf die er unablässig zuschritt und sich nervös wieder entfernte.

„Diese verwöhnte Luxusgöre behauptet doch schon seit Jahren so großspurig, ihr Vater wäre auch ein großer Verehrer der Wissenschaften gewesen und hätte deren Fakultäten stets großzügig mit Geld- und Goldspenden unterstützt. Mir ist aber niemals etwas davon bekannt geworden“, redete der Revolutionär hitzig auf die Degenfechterin ein und blieb abrupt vor ihr stehen: „Sie ist genauso eine Aufschneiderin wie ihr Vater, ihr einziges hedonistisches Streben ist das nach Vergnügen und Luxus um jeden Preis in den Salons der Pariser Gesellschaft, wo sie sich von dekadenten Adeligen als Edelkokotte aushalten lässt, diese Luxushure!“, versprühte er seinen giftigen Anti-Adel-Charme über die junge Frau.

Gelächter am Tisch.

„Rokokokokotte!“, schmetterte Babeuf abschließend verächtlich zur Cagliostro hin.

„Ja, aber auch eine ganz schön flotte!“, feixte auch Napoleon Bonaparte leise reimend seinen Kameraden zu und haute auf den Tisch.

Da sah die düpierte Adelige den Revolutionsführer Babeuf pampig an und sprang vom Tisch auf und zog ihren Degen, machte ein paar Ausfallschritte und bohrte ihre Degenspitze leicht in das verwegene Kinn des Rüpels: „Wer hat Euch eigentlich erlaubt, solch ein ganz und gar nicht zutreffendes Charakterbild über meine unschuldige Person zu entwerfen, Marquis de Babeuf?“, fragte sie spitz und ließ gutgelaunt und spitzbübisch ihre braunen Augen aufblitzen. Die Männer am Tisch erschraken tüchtig über die dramatische Wendung in ihrer heiteren Streit-Konversation und sprangen alle auf. „Ich, ein Marquis? Ihr wollt mich wohl mit Mutwillen beleidigen, unwürdige Mademoiselle Nichtstuerin aus der Gosse?“, fragte Francois-Noel Babeuf mit Abscheu vor dieser Titulierung.

„Ich bin kein Marquis, werde es niemals sein, ich bin Kommunist aus tiefster Überzeugung. Genaugenommen kommunistischer Revolutionstheoretiker. Und als Revolutionär und Freund der Gleichheit aller Menschen habe ich ein Leben lang dafür gekämpft, solche müßigen Adelstitel abzuschaffen und zu ächten, und das wisst Ihr auch ganz genau, dass ich für die Abschaffung der ungerechten Privilegien des dekadenten Adels mein Leben aufs Spiel gesetzt habe! Ich fühle mich von Euch aufs Schärfste in meiner Ehre verletzt!“, schwadronierte der Beleidigte und sah Mirella furchtlos ins Gesicht.

„Wenn dem so ist, warum fordert Ihr mich dann eigentlich nicht bei dieser passenden Gelegenheit jetzt sofort zum klärenden Duell, verehrter Chevalier Sire de Saint-Babeuf?“,

fragte Mirella Isabella mokant den Aufschneider, indem sie ihn lachend mit noch mehr provokanten Adelstiteln schmückte.

„Euren Degen habt Ihr ja dazu parat, wie ich sehe“, erklärte Mirella di Cagliostro sachlich. „Wie praktisch, dass Ihr ihn noch nicht versetzt habt, um mit dem Geld Eure Revolutions-Freunde im Untergrund zu finanzieren, damit sie auch noch die letzten versprengten Adeligen aufspüren“, scherzte sich Mirella durch die aufgewühlte Gesellschaft. „Denn ich weiß durch meine Informanten, dass Ihr im März dieses Jahres heimlich eine kommunistische Untergrundfraktion gegründet habt, die „Conspiration des Egaux“, die „Verschwörung der Gleichen“, auch genannt „Club der Gleichen“, der jetzt die republikanischen Tyrannen verjagen soll“, dozierte Mirella.

„In dieser Hinsicht seid Ihr offenbar besser informiert als ich!“, sagte der streitbare Revolutionstheoretiker spitz und zog seinen Degen, kreuzte die Klingen mit Mirella. „Denn mir ist nichts bekannt von solch einer angeblichen, abstrusen Verschwörung, die ihr soeben erfunden habt, dieses lächerliche Lügengebäude, das keinerlei Fundament in der realen Welt hat, sondern nur in der Fantasie eines koketten, vergnügungssüchtigen Weibes Gestalt angenommen hat!“, giftete Babeuf und begann, mit Mirella zu fechten.

Napoleon Bonaparte schaute indigniert und amüsiert drein.

Der ehemalige Anhänger der Schreckensherrschaft von Robespierre, Fouché, schaltete sich in das Duell ein.

„Mein lieber Babeuf – lassen Sie sich bitte nicht dazu verleiten, die junge Demoiselle di Cagliostro mit Ihren Degenhieben am Ende noch in mehrere Teile zu zerspalten!

Wir brauchen sie nämlich noch für die Aufspürung des Schatzes“, sagte er vorwitzig und jeder lachte wieder.

„Nur für den Fall, dass Ihr das vergessen haben solltet!“, schob Fouché süffisant nach.

Der geheimnisvolle Logenmeister, der bisher ebenfalls schweigend und teilnahmslos in seiner Ecke gesessen hatte, raunte Mirella spontan und abgeklärt folgende Bitte zu, so beiläufig, als bestünde überhaupt kein Aufruhr der Meinungsverschiedenheiten: „Wenn ich Euch nochmals um dieses geheimnisvolle Dokument bitten dürfte, mein liebes Kind … Mademoiselle? Natürlich nur, wenn Sie beide mit Ihrer Zirkusnummer fertig sind?“, fragte er hämisch und lächelte. Und schon streckte er sanft die lange, dürre, knochige Hand danach aus.

Der Alte besaß solch eine selbstverständliche, starke, gebieterische Autorität, dass die Cagliostro und Babeuf verschämt sofort ihre Degenprobe einstellten. Sie verbeugten sich voreinander und nahmen dann wieder Platz am langen Verhandlungstisch. Mirella nahm das Dokument wieder aus ihrem Mieder hervor, und zögerte argwöhnisch. Jetzt presste sie das geheimnisvolle Papier an ihre Brust.

„Soll es dort für ewig bleiben, holde Jungfrau?“, fragte der bärtige Logenmeister lässig lächelnd.

„Jungfrau?“, kiekste Mirella im schrillen Diskant. „Mir deucht, Ihr hegt da wohl einen maßlos übertriebenen Wunschtraum aus Euren ungestillten, unausgelebten und geheimen Liebessehnsüchten, ehrwürdiger alter Herr?“, erwiderte M.d.C. mit hysterischem Gelächter.

Napoleon Bonaparte schaute finster zu M.d.C. hin. Der alte Logenmeister überhörte die Schmähung geflissentlich.

Schließlich übergab ihm Mirella doch das Dokument mit den geheimnisvollen Zeichen.

„Nun, was meint Ihr dazu, ehrwürdiger Meister?“, fragte Fouché erwartungsvoll den Logenmeister.

Dieser war dermaßen in die Prüfung der Scharade des Rätselpapiers vertieft, dass er lange keine Antwort geben konnte. Mirella wandte sich nun zum mürrischen Bonaparte, dem es in dieser Gesellschaft gar nicht geheuer war: „Ich versichere Euch, mein kleiner Revolutionsgeneral – das Dokument ist echt. Nur sind die Hinweise auf die Aufenthaltsorte der verschiedenen Preziosen und Schätze leider gut verschlüsselt. Wenn Ihr nun mit Eurem militärischen Genie rasch die Eroberung der Lombardei bewerkstelligen könntet, dann können wir zusammen die Schätze heben, die mein Vater dort versteckt hat“, erläuterte Mirella mit großem Eifer. Napoleon aber schnaubte nur verächtlich.

„Das könnte Euch so passen, mein kleines, naives Kindfräulein“, tadelte der stolze Korse hämisch. „Außerdem ist Eure Argumentation reichlich schief; gerade andersherum wird erst ein Schuh draus: Denn zuerst benötige ich die angeblichen Schätze Eures Vaters, das Silber und das Gold, und erst wenn ich einen Teil davon in meinem Besitz habe, dann kann ich dafür neue Waffen für meine erschöpfte Armee kaufen, und erst danach kann ich vielleicht die Lombardei im Handstreich erobern“.

„Also beschafft mir erst einige Preziosen Eures Vaters, Mademoiselle, meinetwegen auch Diamanten und Kerzenleuchter, oder Perlenketten, dann sehen wir weiter!“.

„Wie soll ich das machen, wenn ich nicht mal genau weiß, wo der Mammon versteckt ist?“, fragte Mirella patzig.

„Ah, ich sehe: Ihr wollt, dass Euch alles wie von allein in den Schoß fällt, durch mich!“, polterte der Korse los. „Seid gewiss, dass auch ich bestens über Euren liederlichen, verlotterten Lebensstil unterrichtet bin.“ „Während Ihr und Euresgleichen Eure Luxus- und Vergnügungssucht in der mondänen und dekadenten Pariser Gesellschaft ungehemmt in den Salons auslebt, wo ihr ach so feinen Damen den klassizistischen Modestil des Directoire entwickelt habt, da muss ich mich als gefeierter und verdienter Revolutionsgeneral mit dem schwachen Direktorium herumschlagen! Einer Übergangsregierung, die gefährlich zwischen Nach-Revolution und beginnender Stabilität pendelt“, schimpfte Napoleon laut.

„Die blutige Schreckensherrschaft von Robespierre und Konsorten ist zwar vorbei, die brutale erste Diktatur Frankreichs beseitigt, die vielen willkürlichen, täglichen Hinrichtungen gehören der Vergangenheit an, doch viele unentdeckte Revolutionäre und intrigante Royalisten rumoren immer noch im Untergrund, und das bedeutet: Ich sitze mitsamt meinen politischen Mitstreitern noch nicht fest im Sattel meiner neuen Regierung“, stöhnte Napoleon.

„Unsere Herrschaft ist alles andere als gesichert: Überall grassieren Anarchisten und Meuchelmörder, und zwar auf allen politischen Etagen!“, klagte Napoleon.

„Während Sie also nur an Ihr Vergnügen denken, Mademoiselle di Cagliostro, schöne Kleidung, und eitles Geschwätz im Munde führen über Mode und Politik mit Ihren gelackten Affen in der Pariser Hautevolee, wovon Sie ja doch nichts verstehen, derweil machen sich verantwortungsbewusste Zeitgenossen wie Marschall Fouché und verdiente Generäle wie hier unser Babeuf ernsthafte Sorgen um unser Vaterland. Denn unsere geliebte Grande Nation Frankreich wird immer noch von Unruhen von rechts, nämlich den Royalisten, bedroht, ebenso von links, von den Frühkommunisten, die sich im „Club der Gleichen“ organisiert haben, und deren Führer wir auch noch nicht aufgespürt und enttarnt haben“, wetterte Napoleon indigniert.

Ebenso indigniert zuckte da Francois Noel Babeuf zusammen.

„Jetzt fangt also Ihr auch noch an mit dieser abstrusen Verschwörungstheorie von diesem angeblichen „Club der Gleichen“, der im kommunistischen Untergrund wühlen soll“, tadelte Babeuf aufgebracht Napoleon Bonaparte. „Ich sage Euch, das alles sind törichte Gerüchte von Salon-Revolutionären! Es gibt keinen solchen Club! Wir Kommunisten kämpfen ehrlich mit offenem Visier!“

Napoleon beschwichtigte den aufbrausenden Revolutionär mit beschwörenden Handbewegungen. „Ruhig, ruhig, mein guter Babeuf. Wer sagt Euch eigentlich, dass ich gegen solch einen „Club der Gleichen“ wäre? Auch ich bin schließlich Revolutionär und als solcher positiv gegenüber diesen neuartigen Bestrebungen eingestellt. Auch meine Heere kämpfen in ganz Europa für eine gerechtere Welt, in der jeder gleiche Rechte und Pflichten erhalten soll. Genau wie ihr Kommunisten kämpfe auch ich für die Abschaffung der ungerechten Privilegien des Adels und der Geistlichkeit. Das Feudalsystem muss endgültig weg! Jeder Bürger soll die gleichen Chancen im Leben erhalten, egal, wie niedrig oder erhaben seine Herkunft ist. Rang ist fürderhin ohne Bedeutung.

Sozialer Aufstieg wird demnächst nur noch nach Leistung, Begabung und Können gefördert, jedenfalls in meinem Direktorium“, versprach der Korse feierlich. „Und einen neuen König an der Spitze des Staates wird es in Frankreich nie wieder geben, darauf gebe ich Euch allen mein Wort!“, bekräftigte Napoleon Bonaparte feierlich.

„Non tutti i francesi sono bugiardi, ma buona parte“, erschallte es schnippisch von Mirella di Cagliostros Seite:

„Nicht alle Franzosen sind Lügner, aber ein guter Teil!“, rief die kühne Degenfechterin dem Korsen zu, diesen doppelzüngigen, giftigen Satz, denn „buona parte“ kann ebenso unterschwellig auf „Bonaparte“ hindeuten und soll es auch.

Die hohen Männer am Tisch lachten. „NICHT ALLE FRANZOSEN SIND LÜGNER, ABER BONAPARTE“, nicht schlecht, wiederholte der alte Logenmeister auf Französisch und grinste.

Da nahm sich der verhohnepipelte Bonaparte die schöne Schein-Adelige vor: „Und woher wollt Ihr vorlautes, freches kleines Persönchen übrigens eigentlich so genau wissen, dass ich angeblich beabsichtige, die Lombardei zu besetzen?“,

lenkte Napoleon hochnäsig ab und fügte indigniert hinzu:

„Und Ihr sollt weiterhin wissen, Ihr unwissendes Luxusweib:

Ich schätze es mitnichten, von Euresgleichen als „Mein kleiner Revolutionsgeneral“ betitelt zu werden!“

„Keiner verlangt von Euch, das zu schätzen!“, parierte Mirella den Hieb, nahm Anlauf und sprang auf den Tisch. Dann fauchte sie degenschwingend und aufbrausend über Napoleon hinweg wie ein plötzlicher Sturmwind: „Aber die Hilfe eines nichtswürdigen Verschwörers vom Typus neben Euch, eines finsteren Revoluzzers, der Anhänger der blutrüstigen jakobinischen Schreckensherrschaft Robespierres war, mit solcherlei zweifelhaftem Umgang verbündet sich der „Kleine Korporal“ dann doch ganz gerne und ungeniert, wie mir scheint?“, tobte M.d.C. ungebärdig los. „Denn aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass Euer sauberer Verbündeter, Herr Babeuf insgeheim einen Aufstand gegen das Direktorium vorbereitet, dasselbe Gremium, dem auch Ihr untersteht, in dessen Auftrag Ihr erst im letzten Jahr den Royalisten-Aufstand der Pariser Sektionen vom 13.

Vendémiaire niederschlagen ließet!“, tönte die Cagliostro und zeigte mit dem Degen auf den Missetäter, danach stieg sie vom Tisch herunter und nahm wieder in der Runde Platz.

Ein aufgeregtes Gemurmel erhob sich, das gar nicht mehr verstummen wollte.

„Der gute Babeuf hier gehört also zu Euren erklärten Feinden, ebenso wie er ein Feind des Direktoriums ist, das er unter allen Umständen vernichten will!“, beschleunigte die muntere Degenfechterin M.d.C. ihren anklagenden Redefluss.

„Was für eine ungeheuerliche, und unverschämte Verleumdung, die Euer loser Weibermund da vom Stapel zu lassen sich erdreistet!“, tobte der vielgeschmähte Babeuf da endlich los, stand auf und machte seinerseits ungestüm einen geschickten Satz auf den Tisch, mit dem er seinen schweren Körper nach oben wuchtete, um sich besser Gehör zu verschaffen. Mirella tat es ihm nach; wenige Sekunden nach Babeuf befand die junge Lebedame sich auch schon wieder auf der Tischplatte, um mit ihrem Gegner auf Augenhöhe zu sein. Noch hatte keiner der beiden Kontrahenten seinen Degen gezückt. Mirella lächelte ihren Widersacher aufmunternd und spöttisch an. Babeuf sprang zu MdC hin, die er brutal an ihrer Chemisette zerrte.

Napoleon Bonaparte gab sich einem heiteren Lachanfall hin, als er die grobschlächtige Tirade der Demoiselle fröhlich in sich aufsog, doch jetzt steuerte er beschwichtigend dagegen:

„Aber, aber, mein gute kleine, furiose Mademoiselle: Lasst ihn nur munter gewähren, meinen lieben, blutigen Revolutionär Babeuf. Ich wäre im Gegenteil heilfroh, würde er mir nur die undankbare Bürde von den Schultern nehmen, diesen unfähigen, wirren, politischen Haufen, der sich „Direktorium“ schimpft, aus Frankreich hinauszujagen!“

Mirella Isabella zog einen Flunsch und richtete sich auf der Tischfläche abrupt zu ihrer vollen Höhe auf.

„Aha, damit Ihr selber bald die absolute Macht im Staate übernehmen könnt – das also ist Euer verwegener Plan, Ihr angeblicher Friedensstifter! Nun habt Ihr Euch verraten, in der Hitze Eurer Argumentation, mein kleiner Korporal! Ich sagte es ja immer schon: Lügen haben halt doch kurze Beine! Gebt es doch endlich offen zu: Statt Frieden zu stiften, wollt Ihr eine neue Revolution anfachen, oder schlimmer noch: Eine neue, absolute Ein-Mann-Diktatur wie einst Robespierre wollt Ihr in Frankreich errichten! Anstelle von Robespierre heißt der neue Diktator von Frankreich dann halt bald NAPOLEON BONAPARTE, oder irre ich mich da?“, fragte MdC kichernd.

„Unfug! Wir werden gemeinsam regieren, Babeuf und ich – und Fouché! Sobald die letzten Royalisten vernichtet worden sind!“, polterte Napoleon Bonaparte los.

„Denn Ihr solltet nicht vergessen, dass wir drei, Babeuf, Fouché und ich allesamt ehemalige Jakobiner sind, Anhänger einer neuen, sinnvollen Ordnung, nur sind wir drei nicht so radikal und so mörderisch, so sinnlos grausam wie Robespierre es war!“, behauptete der kühne Napoleon frech.

„Wir werden andere Köpfe rollen lassen als Maximilien Robespierre, doch eine verschwenderische Monarchie wie unter Marie Antoinette wird es in Frankreich künftig nicht mehr geben“, brüstete sich Napoleon erneut. „Wir streben einen Staat der völligen Gleichheit aller Menschen untereinander an, ohne Unterdrückung der Volksmassen, wo jeder einzelne zu den höchsten Ämtern aufsteigen kann, ohne Ansehen der Person oder des Standes … Befördert wird fürderhin also nur noch nach Leistung und Verdienst, und nicht mehr nach den Privilegien des Adels, wie im Ancien régime; die Privilegien des Adels werden wir ganz abschaffen“, versprach Napoleon vollmundig.

„Wie wahr, gut gesprochen – richtig!“, stimmte Fouché begeistert ein. „Jawohl, so sei es, meine Freunde!“, gelobte auch Babeuf. „Und General Fouché wird mein Polizeiminister“, erklärte Bonaparte ekstatisch. „Sehr gerne, mein guter Bonaparte!“, lobte Fouché und bekräftigte noch einmal: „Unter Napoleon Bonaparte wird künftig befördert nach Tapferkeit und Leistung, nicht mehr nach dem adligen Geburtsstand eines Offiziers!“, tönte er und trank, schon schwer beschickert, seinen nächsten Zinnbecher Wein aus.

Mirella und Babeuf auf ihrer erhöhten Aussichtsplattform auf der Tischplatte beruhigten sich, steckten ihre Degen weg, die sie in der Zwischenzeit wieder einmal gegeneinander gezückt hatten und verließen die Tischplattform, setzten sich missmutig wieder in die unruhige Runde.

Babeuf stimmte begeistert und angeheitert ein, doch Mirella ahnte Ungutes in großer Zahl: „So weit, so gut, meine Herren“, sagte sie neckisch, während der alte Logenmeister der Freimaurer immer noch still in seiner Ecke saß und Mirellas seltsames Dokument begutachtete. Dabei blieb der alte Mann völlig unberührt von all den hitzigen Diskussionen der politischen Feuerköpfe.

Mirella Isabella blickte die Diskutierenden scharfsichtig und prüfend an. Mit viel Skepsis sagte sie, sobald es ihr gelungen war, wieder das Wort zu ergreifen: „Sollte es Euch also tatsächlich gelingen, eine neue Ordnung in Frankreich und vielleicht sogar in Italien zu etablieren, und falls Ihr danach sogar an die Vermögenswerte meines Vaters gelangen solltet:

Wer garantiert mir eigentlich in diesem Falle, dass nicht alles Gold und Silber von Euch drei Herrschaften konfisziert wird, und für mich bleibt dann als Belohnung am Ende nur die Guillotine?“, wandte sich MdC wehmütig lächelnd vor allem an Napoleon Bonaparte.

„Aber Madame!“, sagte dieser entrüstet und erschrocken, und fuchtelte wild mit seiner dürren Spinnenhand in der Luft herum. „Die Guillotine ist ein unwürdiges, terroristisches Machtinstrument aus der Gott sei Dank untergegangenen Epoche der jakobinischen Diktatur Robespierres, ein Überbleibsel seiner Schreckensherrschaft! Die habt Ihr bei mir nicht zu befürchten. Ich gebe Euch mein Ehrenwort: Unter meiner Herrschaft werdet Ihr höchstens standrechtlich erschossen – mit allen militärischen Ehren, mit Ehreneskorte und an einem Tag Eurer Wahl, chère Madame!“, deklamierte Napoleon elegant mit zynischem Witz. „Großes Ehrenwort von Napoleon Bonaparte, liebe Mirella!“, fügte er noch hinzu.

„Und ich verspreche Euch überdies, dass Ihr nur bei schönem Wetter hingerichtet werdet, bei strahlendem Sonnenschein“.

Babeuf und Fouché lachten heiter, dann brachen sie plötzlich ab.

„Für diese hohe Ehre werde ich mir jedoch das Privileg vorbehalten, das gesamte Vermögen von Mademoiselle Mirella di Cagliostro zu einem guten Zweck einzuziehen“, sagte der Korse genüsslich mit eiskaltem Lächeln.

Mirella lachte wie befreit auf, doch den anderen Herren der Tischgesellschaft blieb das Lachen immer mehr im Halse stecken.

„Sehr gut gesprochen, Herr General!“, lobte Mirella ironisch.

„Ich erkenne mit Freuden, Ihr habt Witz und Verstand, und eine gehörige Prise schwarzen Humors“, sagte sie lächelnd.

„Das will ich meinen, Mademoiselle, den habe ich von meinem Großvater geerbt, der war nämlich Neger“, bemerkte Napoleon trocken.

Jetzt lachten Babeuf und Fouché schon wieder etwas befreiter.

Auch Mirella grinste. „Ferner verfügt Ihr über Klasse und Selbstbewusstsein von einem beneidenswerten Rang“, fuhr die Degenfechterin vergnügt fort. „All diese Vorzüge heben Euch wohltuend ab von diesen übrigen, lächerlichen Figuren hier am Tisch, die sich großmäulig Revolutionäre nennen und dennoch in ihrer kleinmütigen Kleingeistigkeit feststecken!“,

tadelte sie eifrig und unwirsch.

„Aber Madame … Wie können Sie nur so …“, wagte Babeuf, der Frühkommunist vom „Club der Gleichen“, einen zaghaften Einwand zu erheben.

„Er möge schweigen!“, herrschte MdC ihn an.

Widerwillig zuckend fügte sich Babeuf augenblicklich in seine Schweigerolle.

„Verwöhnte Salonhure!“, zischte ihr Marschall Fouché leise zu. Mirella achtete gar nicht erst darauf.

„Meine werten Herren Pseudo-Revolutionäre, lassen Sie mich Ihnen mitteilen, in aller Deutlichkeit: Dass ich es bei weitem vorziehe, einem größenwahnsinnigen, ehrlichen Betrüger und Usurpatoren wie Napoleon Bonaparte zuzuarbeiten, als zwei Schleimscheißer und Speichellecker wie Babeuf und Fouché in meinem Club zu dulden“, erklärte Mirella genüsslich und sah absichtlich schwärmerisch zu Napoleon auf. Die beiden Gescholtenen protestierten wieder heftig.

„Vielen Dank für so viele freundliche Worte, Mademoiselle!“, deklamierte Bonaparte sarkastisch.

„Keine Ursache“, gab Mirella kühl zurück.

„Auch wenn der kleine Möchtegern-Welteroberer doch reichlich kurze Beinchen hat“, stichelte sie trotzdem weiter geringschätzig, dass Bonaparte rot wurde.

„Madame!“, protestierte er schwach und erhob sich barsch zu seiner vollen Größe.

Als er jedoch gewahrte, dass selbst Mirella ihn fast um eine halbe Haupteslänge überragte, nahm er schnell wieder Platz.

„Wie aber wollen Herr General im Übrigen das Vermögen meines Vaters konfiszieren, das er in England gebunkert hat, falls es Euch doch gelingen sollte, mich vor die Flinten eines Exekutionskommandos zu bekommen?“, fragte die Cagliostro listig. „Denn England werden Euer Majestät kaum zu besetzen und zu unterwerfen vermögen, die Insel ist uneinnehmbar.

Auch für einen Bonaparte, für einen so genialen Feldherren wie Euch“.

„Bah, wir werden auch England bezwingen. Und wenn wir vielleicht auch nicht die Insel selber erobern können, dann werden wir Großbritannien wenigstens indirekt im Mittelmeer vernichtend treffen: Indem wir Malta besetzen und in Alexandria landen, und wenn wir dann in Kürze final mit Karacho in Kairo einmarschieren, dann haben wir zumindest die englische Herrschaft über Ägypten zerschlagen“, brüstete sich Napoleon. „Dann haben wir Franzosen auch die lebensnotwendige Verbindung zwischen England und Indien durchschnitten“.

„Schön und gut. Damit habt Ihr aber immer noch nicht meine Frage beantwortet, wie Ihr an das Vermögen meines Vaters in London zu gelangen gedenkt“, unterbrach Mirella Napoleons aufgeblasenen Redeschwall. „Pah, sollten tatsächlich noch irgendwelche Vermögensreste vom unseligen Cagliostro in London versteckt sein, wie Ihr so keck behauptet, dann werden meine Heere auch bald in der britischen Hauptstadt vorstellig werden! Denn unser Frankreich hat nach den glorreichen Siegen meiner Revolutionsheere bereits jetzt schon eine Vormachtsstellung in Europa gewonnen. Und sind erst Italien und Ägypten niedergeworfen, dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass meine Revolutionäre auch ganz England besetzen“.

„Ziemlich große Worte für so einen kleinen Mann!“, äußerte Mirella provozierend.

„Denen auch bald die entscheidenden Taten folgen werden!“,

zischte Napoleon donnernd und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Womit eigentlich verbürgt Ihr Euch so selbstsicher über die angebliche Existenz dieses Vermögens Eures Vaters in London?“, fragte Bonaparte scharf.

„Ihr vergesst wohl, dass es Cagliostro bei seinem zweiten Aufenthalt in London geschafft hatte, Aufnahme in der dortigen ägyptischen Freimaurerloge „Espérance“ zu finden, und dabei hat er sich einen großen Anhang geschaffen“, erklärte Mirella gelassen. „Da legte er sich auch den Namen „Cagliostro“ zu, wirkte als Goldmacher und Wunderdoktor, führte ein Leben in Saus und Braus, hielt sich Kuriere und Kammerdiener, und beschäftigte Domestiken in prächtigen Uniformen“, dozierte die entfesselte Mirella munter drauflos, als sie von Napoleon barsch unterbrochen wurde: „Madame – Mademoiselle; all diese blumigen Schilderungen passen sehr wohl zu Cagliostros´ verschwenderischem Lebensstil, doch wage ich stark zu bezweifeln, dass der Graf dabei etwas gespart haben soll: Alles, was Cagliostro verdiente, oder sich an Geld ergaunerte, glitt ihm in der Laune des Augenblicks gewöhnlich schnell wieder durch die Finger, eben bei den erwähnten Dienern und Domestiken, und vor allem durch Lorenza Felicianis Prasssucht … Wo also soll da noch Geld in London versteckt sein?“, fragte Bonaparte abermals nach.

„Denn es ist nie die Kunde zu meinen Ohren gekommen, dass der Graf jemals was gespart hätte für Notzeiten…“ „Das ist ja eben die Crux!“, sprudelte es aus Mirella begeistert heraus.

„Mein Vater musste ja Hals über Kopf aus London fliehen, weil er die Freimaurer in Großbritannien betrogen hat. Er hat nämlich ein beträchtliches Vermögen aus ebendieser ägyptischen Loge „Espérance“ veruntreut und die Kassette mit den erwirtschafteten Profiten und gespendeten Mitgliedsbeiträgen mitgehen lassen. Doch bei seiner überstürzten Flucht konnte er sie nicht mehr aus London herausbugsieren“, behauptete Mirella kühn.

„Bah, wer soll denn diesen Humbug glauben?“, fragte Napoleon indigniert. „Das klingt mir zu fadenscheinig, das hört sich alles eher nach Seemannsgarn und Abenteuerromanen à la Robinson Crusoe an, und erinnert mich an in Höhlen verborgene Piratenschätze!“

„Ja, und wo soll sich dann diese ominöse Kassette Eurer Meinung nach jetzt im Augenblick befinden?“, fragte auch Marschall Fouché Mirella mit beträchtlichen Zweifeln.

„Das hat mir mein Vater in verschlüsselten Mitteilungen in lateinischer Sprache in jenem Dokument mitgeteilt, das unser ehrwürdiger Logenbruder dort drüben gerade bestrebt ist, zu entschlüsseln“, behauptete Mirella di Cagliostro nunmehr allen Ernstes.

Alle Köpfe drehten sich zu dem alten Logenmeister hin.

„Das Pergament enthält in der Tat einige typische Freimaurerzeichen und Symbole. Die verwendete Sprache ist allerdings nicht nur Latein“, gab der alte Meister endlich mit brummender Stimme preis. „Eine Stelle hier ist sogar in sizilianischem Dialekt abgefasst, und diese scheint tatsächlich auf eine Privatvilla in Mailand hinzudeuten, wo besagte Geldkassette aus London verwahrt sein soll, wie ich gerade entziffern konnte“, murmelte der Alte versonnen.

Erregtes Stimmengewirr in den Gewölben folgte dieser überraschenden Ankündigung.

„Was sagt Ihr da, Ehrwürdiger Meister?“, fragte Napoleon elektrisiert. Auch Mirella sprang erregt in die Höhe.

„Sizilianischer Dialekt!!! Das war die Geheimsprache meines Vaters! Er hat es demnach also doch geschafft, diese Geldkassette der Freimaurer aus London herauszubringen und nach Mailand zu schaffen!“, rief sie lebhaft aus.

„Und wo genau soll diese Privatvilla in Mailand liegen?“,

fragte Babeuf mit lebhaftem Interesse.

„Hm, das steht anscheinend … hier … in einer kodierten Zahlenfolge verschlüsselt“, sagte der alte Logenmeister grübelnd, ohne den Blick von dem Dokument zu erheben.

„Könnten Euer Gnaden diesen Code eventuell für uns entschlüsseln?“, fragte Mirella ungestüm.

„Bestimmt!“, meinte der alte Herr kategorisch und lächelte geheimnisvoll.

„Ausgezeichnet – nun müsst Ihr aber wirklich die Lombardei für mich erobern, mein kleiner Korporal, damit ich sicher in diese Villa in Mailand gelangen kann, um die Geldkassette meines Vaters ausfindig zu machen!“, schmeichelte Mirella dem jungen Revolutionsgeneral, lief zu ihm hin und schmiegte sich katzenhaft und ironisch an ihn. Er wich verlegen etwas zurück.

„Wenn ich solch einen Unsinn glauben würde, dann könnte ich das vielleicht tun“, antwortete Napoleon grimmig.

Mirella ließ sich nicht beirren und stakste zielstrebig zum alten Logenmeister hinüber.

„Auch Euer Herrlichkeit wird eine fürstliche Belohnung für Eure Dechiffrierarbeit zuteil werden, solltet Ihr Erfolg haben und mir sagen können, wo genau sich diese Privatvilla in Mailand befindet“, stellte sie ihm hochmütig in Aussicht. Da blickte der Logenbruder von seinem Tischchen geringschätzig zu Mirella hoch. „Mein liebes Fräulein!“, begann der Alte mit kalt lächelnder Miene zu intrigieren, „im eigentlichen Sinne gehört besagte, veruntreute Geldkassette ja unteilbar den Freimaurern, also uns. Denn wir hätten als einzig berechtigte Partei einen Anspruch darauf“, sagte der Alte nörgelig und seine Gesichtszüge nahmen einen moralisch überlegenen Ausdruck an.

„Jetzt übertreibt aber bitte nicht mit Eurem überzogenen Besitzanspruch, ehrwürdiger Meister“, kanzelte Mirella ihn ab. „Ihr seid schließlich kein Logenbruder aus England, sondern Franzose“, wetterte MdC.

„Sehr richtig!“, pflichtete Napoleon eifrig bei.

„Die Freimaurer waren mir sowieso von jeher immer irgendwie suspekt; nicht zu Unrecht stehen sie ja auch schon lange in dem Ruch, die Weltherrschaft erstreben zu wollen … Sowohl politisch, wie auch in geistiger Hinsicht“, bekräftigte der Anhänger vom „Club der Gleichen“, Francois Noel Babeuf, der Frühkommunist. „Jawohl, das ist richtig, nieder mit der Gier der Freimaurer!“, verstieg sich jetzt sogar der Marschall Fouché zu der unerwarteten Schmähung. Der alte Logenbruder verzog kraus die Stirn, gab aber keinen Kommentar von sich.

„Meine Dame, meine Herren Verschwörer!“, beschwor Napoleon indigniert die Gemüter: „Mit solcherlei kleinlichen Sticheleien und Streitereien kommen wir nicht weiter. Ich schlage daher vor, die außer Rand und Band geratene Versammlung bis auf Weiteres zu vertagen, und erst wieder aufzunehmen, wenn wir uns alle beruhigt haben und bereit sind, vernünftig zu diskutieren“, schlug der Korse barsch vor.

„Ich für meinen Teil habe jedenfalls genug von diesem Humbug. Und ich habe ja sowieso nie an dieses Schwindel-Dokument geglaubt, und habe wirklich Wichtigeres zu tun:

Der Italien-Feldzug erwartet mich, meine Lieben. Ob mit oder ohne Goldschatz! - Adieu, werte Mitstreiter!“, sagte er und schon entschwand er erhobenen Hauptes.

Fouché und Babeuf schlossen sich der Meinung an, brachen murmelnd auf. Nur die unerschütterliche Mirella blieb mit dem alten Logenbruder zu einem ernsten, vertraulichen Gespräch zurück an dieser geheimnisvollen Verschwörerstätte, in den Katakomben einer nicht näher bezeichneten Kathedrale.

VIDOCQ TRITT AUF

Die nächste Versammlung der ehrgeizigen Schatzsucher wurde wieder in den Katakomben derselben Kathedrale abgehalten, aber erst gut einen Monat später, als alle endlich wieder zum selben Zeitpunkt zusammenkommen konnten.

Eine Neuerung war, dass die heutige Versammlung um ein zusätzliches Mitglied bereichert wurde: Ein junger, gutaussehender, schwarz gelockter Jüngling war zu den Verschwörern gestoßen, Francois Eugène Vidocq aus Arras, 21 Jahr alt. Ein einfacher Landstreicher, der sich als Dieb, Schmuggler, und Mitglied von Räuberbanden durchs Leben schlug. Daher wurde er auch in ganz Frankreich von der Polizei gesucht und kreuz und quer durchs Land gejagt. Das Geheimversteck in der Krypta der Kathedrale von Reims kam dem rauen, aber herzlichen Gesellen daher auch augenblicklich persönlich gut zupass, denn er war wieder einmal auf der Flucht. Geld konnte er jederzeit gut gebrauchen, und sollte er sich einen Anteil an dem Schatz des Cagliostro sichern können, dann wäre Vidocq genau der richtige Mann für Mirella und ihre Bande, um die ganze Bagage auf Schleichwegen mitsamt dem Vermögen sicher aus dem zurzeit noch sehr unruhigen Frankreich herauszuschleusen.

Jetzt aber sah es erstmal so aus, dass der pfiffige Lebenskünstler zunächst seine Lebenserfahrung und seine umfangreichen Kenntnisse über alle Schmugglerpfade einsetzen musste, um überhaupt eventuell auch nur an ein kleines Stückchen des Vermögens von Cagliostro heranzukommen. Wenigstens an die angeblichen Schätze in Reichweite, in Frankreich selbst.

Als die Verschwörer durch einen Geheimgang in die Krypta eintraten, sahen sie MdC schon an dem runden Verhandlungstisch sitzen. Napoleon, Babeuf und Fouché machten den Neuling Vidocq, den sie mitbrachten, mit ihr bekannt. Der Schmugglerkönig machte große Augen und ergriff galant ihre Hand, indem er sich zu ihr hinunterbeugte, denn die junge Abenteurerin blieb reglos blasiert am Tisch sitzen.

„Das ist also die Überraschung, die unsere drei Herren Revolutionäre für mich hier vorbereitet haben, wie sie mir versicherten“, sagte Vidocq fröhlich lächelnd.

„Freut mich, Euch endlich persönlich kennenzulernen, Mademoiselle, denn ich habe schon so viel von Euch gehört“, sagte Vidocq, der sichtlich sehr angenehm überrascht war von der weiblichen Präsenz.

„Ich freue mich ebenso, so lange Zeit bisher nicht Eure Bekanntschaft gemacht zu haben müssen“, erwiderte Mirella knapp und sah den Abenteurer argwöhnisch an.

Vidocq lachte amüsiert.

„Das fängt ja gut an. Wie es scheint, haben sich da zwei vom gleichen Schlag gefunden – zwei Abenteurer und Herumtreiber!“, sagte Napoleon flüsternd zu seinen Kameraden.

„Ja, zwei Parasiten, Nutznießer genau von der Sorte Gesellschaft, die wir abschaffen wollen“, brummte der 36jährige Revolutionär und Frühkommunist Babeuf angewidert.

„Ja, noch brauchen wir die beiden, aber bald vielleicht schon … Hähä, wer weiß?“, sinnierte der forsche, 37jährige Militär Fouché und grinste vielsagend.

„Wie ich hörte, seid Ihr ein Meister aller Klingen, Säbel und Degen?“, fragte Mirella den Tagedieb Vidocq, indem sie ihn einlud, sich neben sie an den Tisch zu setzen. Er nahm dankbar an und ließ sich auch sofort in ihrer unmittelbarsten Nähe nieder.

Mirella zog die Stirn kraus und erwiderte patzig: „Man kann es auch ein wenig übertreiben mit der ersten freundschaftlichen Nähe, Meister des stumpfen Schwertes!“,

sagte sie hochnäsig und rückte wieder etwas von Vidocq ab.

„Aber wieso denn nur ein wenig?“, fragte Vidocq arrogant und treuherzig zugleich und grinste Mirella anzüglich an.

Babeuf rümpfte die Nase, doch Napoleon lachte diesmal ersatzweise für ihn. Vidocq nickte beifällig. „Es tut meiner bescheidenen Person übrigens jede Menge Ehre an, dass liebreizende Mademoiselle mich überhaupt zu kennen belieben“, sagte Vidocq artig und galant.

„Oh, zu reden vermögt Ihr immerhin schon wie ein dekadenter Adeliger, lieber Vidocq, wie ich erfreut feststellen muss“, erwiderte Mirella vergnügt. „Da übrigens auch ich in der Kunst des Degenfechtens leidlich bewandert bin, Sire, so lasst mich Euer Gnaden vorschlagen, dass wir bald mal einen Waffengang wagen und demnächst bei Gelegenheit die Klingen kreuzen, natürlich nur so zum Spaß“, schlug MdC neckisch vor.

„Was halten Euer Merkwürden von meinem Vorschlag?“

„Oh, es wird mir ein Vergnügen sein, in den Genuss von Mademoiselles Fechtkünsten zu kommen“, sagte der Schmeichler Vidocq erfreut.

„Schluss jetzt mit diesem Schmus! Wir haben weitaus ernsthaftere Dinge zu bereden“, erhob der korsische Revolutionsgeneral die herrische Stimme. „Mein Direktorium ist fast bankrott und meine Revolutionsarmee ist in einem erbärmlichen Zustand“, klagte Napoleon. „Das Heer ist schlecht ausgerüstet und disziplinlos. Um meine Soldaten aber weiterhin zu Zucht und Ordnung zu zwingen und begeistern zu können, reicht es nicht, mit ihnen wie bisher Not und Gefahr zu teilen. Auch der Sold der Soldaten will ab und an aufgebessert sein, und dazu benötige ich endlich einen Voraus-Anteil von Eurem angeblichen Schatz“, bellte der Revolutionsgeneral.

„Dann lasst mich doch gleich mit Eurem Revolutionsheer nach Oberitalien mitziehen“, forderte Mirella dreist erneut von Napoleon. „Sobald Ihr dann die Regierung in der Lombardei gestürzt haben werdet, und dort eine Republik errichtet, dann müssen die „befreiten“ Italiener dafür einen Tribut entrichten an Euer klammes Direktorium. Dann haben wir ein probates Druckmittel gegen das italienische Volk zur Hand, damit uns seine Abgesandten – unter anderem - die Geldkassette der englischen Freimaurer aus der Mailänder Villa übergeben, die mein Vater dort deponiert hat“, schlug Mirella lässig vor.

„Hah! Nicht schlecht ausgedacht für ein Weib!“, lobte Napoleon Bonaparte sarkastisch.

„Aber Ihr wisst ja bis jetzt nicht einmal, wo genau in Mailand sich diese Villa befindet“, tadelte der Korse das Mädchen.

„Doch, der Logenbruder hat es herausgefunden; er hat den geheimnisvollen Zahlencode aus dem alten Pergament meines Vaters entschlüsselt, ich weiß nun genau, wo die Villa steht“, triumphierte Mirella frohlockend. „Und auch, wo der Schatz darin verborgen liegt“, schob sie selbstsicher nach.

„Was denn, ehrlich?“, fragte Babeuf zweifelnd und sah MdC scharf an.

„Ja, und wo bleibt überhaupt der alte, ehrwürdige Meister dieser Freimaurerloge solange?“, fragte Marschall Fouché verwundert. „Er sollte doch eigentlich heute wieder zusammen mit uns allen hier anwesend sein bei unserer Versammlung!“.

„Keine Bange, meine Herren; er ist schon längst hier“, sagte Mirella selbstsicher und lächelte geheimnisvoll. „Er … äh … ruht sich nur ein bisschen aus“, fügte sie glucksend hinzu.

„Ach? Wo denn?“, fragte Napoleon pikiert.

„Kommen Sie, meine Herren, am besten, ich führe Sie jetzt gleich mal zu ihm hin“, versprach die junge Abenteurerin lässig und erhob sich. Indem sie Napoleon couragiert bei der Hand nahm, und ihn durch einen Seitengang hinunter zu den Katakomben führte, erreichte Mirella ohne Mühe, dass ihnen die drei Herren Babeuf, Fouché und Vidocq neugierig nachfolgten.

„Aha, ich ahne es schon: Wahrscheinlich schlummert der alte Logenmeister in einem Geheimzimmer in seinem Himmelbett, bis wir kommen und ihn wecken“, äußerte Napoleon die Vermutung. „Er ist ja schließlich auch schon ziemlich betagt. - Ach, ich bin wirklich begierig darauf, mit ihm zu sprechen“, ergänzte er befriedigt.

Ganz so, wie von Napoleon vermutet, verhielt es sich dann doch nicht: Denn das Gewölbe, in welches Mirella die Männer führte, enthielt nur einen einzigen, steinernen Sarkophag, der bei geöffnetem Deckel eine lange, hagere Gestalt mit gefalteten Händen beherbergte. Und diese deutlich sichtbar für die Blicke der Betrachter preisgab. Bestürzt wich Marschall Fouché als erster zurück und erstarrte. „Das ist ja der olle Logenmeister – aber anscheinend mausetot!“, rief der Revolutionär verständnislos mit fahrigen Augen in das dumpf grollende Gewölbe hinein.

„Sehr richtig bemerkt, meine Herren!“, sagte Mirella selbstsicher frotzelnd.

In den gefalteten Händen hielt der Alte ein Stück Dokument.

Mit einem treffsicheren Stich ihres Floretts, das sie geschickt durch die Luft schwirren ließ, entwand Mirella es ihm, indem sie es mit der Degenspitze aufspießte und Napoleon präsentierte. Dieser entfernte das Dokument erstaunt von der Degenspitze und begutachtete es.

„Das ist der entschlüsselte Text mit der genauen Beschreibung und Ortsangabe der Mailänder Villa, die unser verblichener Bruder hier für mich angefertigt hat“, sagte Mirella freudig und schnalzte enthusiastisch mit der Zunge.

„Aber wieso ist der Alte tot? Die Aufregung war wohl zuviel für den ehrwürdigen Logenbruder?“, fragte Babeuf mit ratloser Miene.

„Quatsch, was seid Ihr doch für ein Trottel! Wenn Ihr euch nur ausnahmsweise einmal die Mühe machtet, etwas genauer hinzusehen, dann würde Euch auffallen, dass der gute Mann ein Loch in der Stirn hat“, schmetterte Napoleon ihn ab. Er zeigte auf die Wunde. „Aber warum? War das etwa Euer Werk, Mademoiselle?“, fragte Napoleon streng.

Mirella bejahte lächelnd.

„Absolut zutreffend, mein kleiner General von der kurzen Beinigkeit. Unser ehrwürdiger Meister wurde leider etwas zu gierig – und dann vor allem zu mörderisch! Schließlich wollte er mich sogar umbringen, deshalb nimmt er jetzt auch den ursprünglich mir zugedachten Platz ein“, bestätigte Mirella feierlich, zeigte mit dem Florett auf den Logenbruder und machte einen Knicks vor dem Toten.

Alle Männer stöhnten laut auf.

„Wie habt Ihr ihn ins Jenseits befördert? Etwa mit einer Kostprobe Eurer erdrückenden Liebe?“, fragte Vidocq mit liebenswürdigem Zynismus.

Alle lachten.

„Aber nein!“, wehrte MdC die Unterstellung ab und lachte kieksend auf.

„Also dann mit Eurem berühmten Degen!“, wagte Napoleon Bonaparte die Vermutung.

„Auch nicht“, säuselte die schöne Abenteurerin mit unschuldigem Gebaren. „Jetzt solltet Ihr Euch alle aber doch allmählich mal die Mühe machen, etwas genauer hinzuschauen, denn dann würdet Ihr erkennen, dass die tödliche Wunde nicht von einem Floretthieb herrührt, Herr Revolutionsgeneral“, empfahl die schöne Degenfechterin dem grimmigen Napoleon.

Dieser räusperte sich unangenehm und verstimmt.

„Als er mir gestern hier am selbigen Ort die Entschlüsselung des kostbaren Dokumentes überreichte, da war unser nichtswürdiger Logenbruder doch glatt der Meinung, ich sei ein albernes, törichtes Mädchen, unreif, gierig und voller Flausen. Außerdem eine Gefahr für die Menschheit; vor allem eine Religionsfrevlerin, welche die ehrwürdigen Statuten der Freimaurer entweihen wolle, um mich unwürdig zu bereichern …“

Die Männer lauschten wie gebannt.

„Das alles stimmt ja auch!“, flüsterte Babeuf frostig.

Allgemeines Gelächter erschallte.

„Und weiter, was geschah dann?“, drängte Napoleon.

„Eine derart liederliche Person wie ich verdiene daher eher den Tod, als einen Schatzanteil, meinte unser orakelnder Logenbruder, und so zog er dementsprechend auch eine kunstvolle Duellpistole aus der Rocktasche seines Umhanges und richtete den Lauf mit feierlicher Zeremonie auf mich.

Daraufhin riet er mir dringend, mein letztes Gebet zu sprechen, um mich hernach auf das Jenseits vorzubereiten“, referierte Mirella in lebenslustiger Manier.

„Pfui! Weiß Gott eine Haltung, die sich nicht gerade mit dem weltbürgerlichen Ideal der Freimaurer nach Selbstkritik, Menschenliebe und Duldsamkeit verträgt“, entgegnete Napoleon mit vergnügtem Grinsen.

„Nicht wahr?“, fand auch die aufgekratzte Mirella, die weiter berichtete: „Ich sagte also so ruhig wie möglich zu unserem wenig ehrwürdigen Logenbruder: „Aha, ich verstehe, Ehrwürdiger Logenbruder; Ihr habt da eine schöne, antike Duellpistole in der Hand. Ihr wollt also ein Duell um den Besitz des Schatzes mit mir ausfechten; wie nobel – ich bin bereit, gab ich ihm begeistert meine Zustimmung.“ „Daraufhin grinste mich der Logenmeister überlegen an und begann erst dann, seinen gesamten Charme zu entfalten.“ „Bekomme auch ich so eine schöne alte Duell-Pistole?, fragte ich ihn gemütlich, obwohl ich innerlich mächtig zitterte, wie ich gestehen muss“.

„Bedauerlicherweise nicht, denn Ihr müsst wissen, meine einfältige Tochter: Das hier ist eine besondere Art von Duell, nämlich ein ziemlich einseitiges; alle Handlungen dazu gehen allein von mir aus. Das heißt also im Klartext: Ich bin der einzige Schütze, und mir steht als Beleidigtem auch der erste Schuss zu, übrigens auch der zweite und der dritte, falls sich das als notwendig erweisen sollte – könnt Ihr mir folgen? Ihr versteht, was ich meine?“, erläuterte mir gestern unser Logenbruder liebenswürdigerweise genauestens seine ureigensten Spielregeln“, erklärte Mirella mit überschäumender Spielfreude ihrer illustren Zuhörerschaft.

„Faszinierend, einfach faszinierend, diese Art von Spielregeln!“, bekannte Napoleon feinsinnig und zog einen Flunsch.

„Allerdings würde es mich nun noch wesentlich mehr faszinieren, zu erfahren, wie Ihr die eigennützigen Spielregeln unseres vorwitzigen Logenbruders überlebt habt, Demoiselle Mireille“, fragte Napoleon wissensdurstig nach.

„Oh, das!!! - Das war mehr ein Zufall“, bekannte Mirella schelmisch.

„Aha, ich verstehe, sagte ich zu dem Logenmeister, das ganze Duell soll also zu einer todsicheren Sache für Euer Exzellenz werden.“ „Genau richtig erfasst, meine unwürdige Tochter, bestätigte mir unser Logenbruder“, referierte Mirella lachend. - „Denn nach seinem Ausgang besteht Eure einzige Aufgabe darin, tot zu sein, schnarrte mir der Logenmeister süffisant und dünkelhaft entgegen“. - „Ganz wie Ihr eben schon richtig bemerkt habt: Für Euch den Tod, schönes Kind, für mich die sichere Sache … Das zusammen ergibt doch erst eine todsichere Sache, nicht wahr, hähähä?“, fragte mich der Freimaurer arrogant und schnöselig“, erklärte Mirella.

„Eine gute Verteilung der Rollen, vor allem sehr praktisch für Euch, lobte ich ihn sarkastisch, und da befiel den guten Logenbruder auf einmal ein hässlicher Niesreiz, in diesem alten, staubigen Gewölbe hier. Ich nutzte meine Chance, zog meinen Degen und schlug ihm damit seine Pistole aus der Hand; er stand dafür günstig nahe bei mir, eine enge Mensur war mir somit möglich – das heißt also, es war mir möglich, meinen Gegner durch bloße Streckung des Arms zu treffen“, erläuterte Mirella sachkundig.

„Seine Duellpistole fiel also zu Boden, doch leider löste sich beim Aufschlagen der Waffe auf den Steinboden ein Schuss, den der Logenbruder genau in die Stirn abbekam, als er sich hurtig bückte, um der entwundenen Waffe mit einem geschickten Sprung nachzusetzen, um sie wieder zu fassen zu bekommen“, beendete Mirella schalkhaft ihre Schilderung.

„Und der Schuss war leider sofort tödlich!“, behauptete sie, und wurde nun doch ganz blass.

Für einen Augenblick hatte sie der Ernst der Lage wieder.

Doch Mirella fand sofort wieder zu ihrer unglaublichen Gewitztheit zurück: „Es blieb mir danach nur noch die traurige Aufgabe, den Logenmeister zur letzten Ruhe zu betten – er befand sich dafür ja gerade so schön passend im richtigen Raum“, grunzte sie verlegen und lachte schräg.

„Eine reichlich abenteuerliche Schilderung ist dieses abstruse Erlebnis, fürwahr!“, meinte Napoleon und grinste. „Ja, genau, ich hoffe nur, Ihr habt nicht auch demnächst vor, Euch auf ähnliche Weise Eurer übrigen Geschäftspartner zu entledigen?“, fragte Babeuf mit ernstlicher Besorgnis.

Vidocq lachte. „Ja, wer von uns ist als Nächster dran?“, war auch Marschall Fouché begierig, zu erfahren.

„Aber nicht doch, meine Herren“, schaltete sich der junge Vidocq schmunzelnd ins Gespräch ein, „wenn unser fechtfreudiges Fräulein hier wirklich solch finstere Absichten hegen würde, hätte Mademoiselle Mirella uns doch wohl nicht freiwillig zum Grabmahl des unwürdigen Logenbruders geführt. Vielmehr hätte sie uns in diesem Fall seinen Tod verheimlicht“, versuchte der junge Abenteurer die Besorgnis der drei Herren Bonaparte, Fouché und Babeuf zu zerstreuen.

„Ja, das leuchtet irgendwie ein“, gab auch Napoleon zu, der die Aufmerksamkeit wieder auf das entschlüsselte Dokument lenkte, das er noch immer in den Händen hielt.

„Was soll mit dem Wisch hier nun geschehen?“, fragte er gedehnt.

„Ich habe für jeden von uns eine Abschrift von dem Dokument meines Vaters in französischer Sprache anfertigen lassen“, erklärte Mirella forsch und griff in eine Nische in der Krypta. „Hier!“

Und sie überreichte jedem der Männer eine Kopie. Auch Vidocq bekam eine davon.

„Ihr habt an alles gedacht, verwegene Demoiselle!“, lobte der Schmugglerkönig Vidocq anerkennend.

„Außer an unsere tote Leiche hier“, wandte Napoleon bärbeißig ein.

„Was sollen wir denn Eurer Meinung nach nun mit unserem mumifizierten Freund anfangen?“, fragte er Mirella interessiert.

„Ich schlage vor, wir lassen ihn erst einmal hier, bis uns was Besseres einfällt“, sagte Mirella nachdenklich. „Hier stört er doch niemanden, und die Freimaurer werden ihren Logenbruder bestimmt nicht vermissen: Die haben genug Sorgen damit, den Nachstellungen der Royalisten, sowie der Revolutionäre zu entgehen. Ganz zu schweigen von der Katholischen Kirche“, meinte Mirella di Cagliostro augenzwinkernd.

Alle ihre Zuhörer ließen ein unbehagliches Murmeln erklingen.

Mirella jedoch lachte alle Unannehmlichkeiten kurzerhand einfach weg.