Planet der Zehnwortdiktatur (Teil 2) - Michael Häusler - E-Book

Planet der Zehnwortdiktatur (Teil 2) E-Book

Michael Häusler

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Beschreibung

In ferner Zukunft: Deutschland verfügt über seine erste Auswandererkolonie auf einem fernen Planeten. Dieser wird jedoch von fast allen Deutschen wie die Pest gemieden, denn er gilt als tabu. Nur ganz wenige trauen sich da hin, denn keiner weiß, was dort vorgeht. Ein junger Historiker schließlich wagt den Hinflug: Und wird zerrieben im Räderwerk einer höchst kuriosen, unbarmherzigen Diktatur, in der alle Lebensgrundlagen auf die Zahl 10 genormt sind. Eine unsichtbare Macht treibt ein wirres Spiel mit dem Fremden, von dem er nicht weiß, wo es ihn hinführen soll. Der Fremde, der bis zum Schluss namenlos bleibt, erlebt die albtraumhafte Monotonie des Planeten, seine durchweg unheimlichen, seltsamen Bewohner, erfährt Gehirnwäsche und Psychoterror. In tiefster Verzweiflung will er sich völlig aufgeben. Doch da trifft er in der Hauptstadt Zehnwortsatzingen völlig unerwartet die große Liebe seines Lebens: Die junge, aparte Sängerin Tamara Hope. Doch diese ist fanatisch dem Zehn-Wort-System ergeben, und ausgerechnet auch noch eine enge Vertraute des zwielichtigen Diktators Meereszorn; denn sie ist staatlich beauftragte Propagandasängerin für Zehnwort-Lyrik!

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Von Michael Häusler erschien bisher im Verlag

Books on Demand GmbH (BoD) Norderstedt:

(Heli)opolis –

Der verhängnisvolle Plan des Weltkoordinators,

Utopisch-satirischer Roman, Paperback, Kartoniertes Taschenbuch, 688 Seiten,

ISBN 978 3844 800 302

2012

Keiner spricht mehr von Schimmeling

Ein Münchner Gesellschaftsdrama, 164 Seiten, 210 mm, 245 g, Paperback, Kartoniertes Taschenbuch,

ISBN 978 3 84820486-1

2012

Die Zeitfälscher

Ein außerirdisch cooler (Anti) Science--fiction--Roman, 170 Seiten, Kartoniert, Eine vergnügliche, utopische Erzählung.

ISBN 978 384 822 536 1

2012

Alle Bücher sind auch als eBook erhältlich.

In ferner Zukunft: Deutschland verfügt über seine erste Auswandererkolonie auf einem fernen Planeten. Dieser wird jedoch von fast allen Deutschen wie die Pest gemieden, denn er gilt als tabu.

Nur ganz wenige trauen sich da hin, denn keiner weiß, was dort vorgeht.

Ein junger Historiker schließlich wagt den Hinflug: Und wird zerrieben im Räderwerk einer höchst kuriosen, unbarmherzigen Diktatur, in der alle Lebensgrundlagen auf die Zahl 10 genormt sind.

Eine unsichtbare Macht treibt ein wirres Spiel mit dem Fremden, von dem er nicht weiß, wo es ihn hinführen soll. Der Fremde, der bis zum Schluss namenlos bleibt, erlebt die albtraumhafte Monotonie des Planeten, seine durchweg unheimlichen, seltsamen Bewohner, erfährt Gehirnwäsche und Psychoterror.

In tiefster Verzweiflung will er sich völlig aufgeben. Doch da trifft er in der Hauptstadt Zehnwortsatzingen völlig unerwartet die große Liebe seines Lebens: Die junge, aparte Sängerin Tamara Hope.

Doch diese ist fanatisch dem Zehn-Wort-System ergeben, und ausgerechnet auch noch eine enge Vertraute des zwielichtigen Diktators Meereszorn; denn sie ist staatlich beauftragte Propagandasängerin für Zehnwort-Lyrik!

Kann eine Liebe unter solch unheilvollen Umständen überhaupt gedeihen?

Können Tamara und der Fremde jemals eine gemeinsame Zukunft haben?

In seiner Not schmiedet der Fremde fieberhaft Pläne, die ebenfalls ihn heftig gegenliebende Tamara heimlich zur Erde zu entführen.

INHALT:

11. Kapitel: Weit ist der Weg zu Tamara – Oder:Was lange währt, ist auch nicht schlecht

12. Kapitel: Ein neues Zuhause

13. Kapitel: Wie alles anfing

14. Kapitel: Seine Exzellenz – Der große M. (Vorspiel)

15. Kapitel: Das Los der Gefangenen von Zehnbuchen

16. Kapitel: Große, zehnwortlose Ratlosigkeit

17. Kapitel: Ein Fest gerät außer Kontrolle

18. Kapitel: Traumtagebuch des Fremden

19. Kapitel: Auf geht´s zu den Zehnwortgeschädigten! – Oder: Zehnwortgeschädigte? - Nanu, was ist denn das?

20. Kapitel: Das Zehnpersonenfest und eine unheimliche, parallele Gedankenwelt: Was soll das nun wieder? (Keine Bange; bei totalem Unverständnis: Dieses Kapitel kann man getrost beiseite lassen).

21. Kapitel: Das triste Los des reichen Kaufmanns

22. Kapitel: Auf dem Schloss des großen M.

23. Kapitel: Enttarnung

24. Kapitel: Kriegsrat

25. Kapitel: Traumhochzeit und Ende einer Ära

26. Kapitel: M- Eine Stadt sucht ihren Herrscher – (Oder einfach: Das traurige Ende vom Zehnwortlied)

11. KAPITEL:

WEIT IST DER WEG ZU TAMARA

Oder:

Was lange währt, ist auch nicht schlecht.

Wann aber habe ich Tamara denn nun endlich wirklich getroffen?

Einmal musste es ja geschehen. Es geschah auch, ganz plötzlich. Gänzlich unerwartet, wie es eben so oft im Leben kommt. Fast nie passiert etwas so, wie man es erwartet; noch weniger so, wie man es sich vorstellt.

Wie kam es nun zu der Begegnung?

Eines Tages erhielt ich in meinem, mir inzwischen von den Lingufaschisten eingerichteten Privatzimmer in der Uni von Zehnwortsatzingen einen Anruf: Eine bekannte Frauenstimme meldete sich. Ob ich nicht Lust hätte, mich mit ihr zu treffen, fragte sie lapidar, aber fröhlich.

War das wirklich Tamara, oder nur ein Scherzanruf?

Ich zuckte zusammen. So lange hatte ich ihrer Ankunft entgegengefiebert, und auf einmal kam meine ferngeliebte Zehnwort-Propagandistin so blitzartig wie ein Wirbelwind über mich!

Vorerst aber leider nur maschinell, per Telefon.

Ich war in einzigartiger Hochstimmung, konnte es gar nicht glauben, dass sich die Zehnwortherrscher endlich anschickten, ihr Versprechen einzulösen!

Es war abgemacht, dass der erste Kontakt zwischen mir und Tamara gleich erfolgen sollte, sobald ich meine Arbeit aufgenommen hätte. Nun hatte ich schon länger angefangen, mein Werk zu schreiben, allerdings war das, was ich bisher geleistet hatte, kaum der Rede wert, das gebe ich unumwunden zu.

Aber was soll ich noch sagen – nun war der große Augenblick gekommen!

Mein Herz raste vor Aufregung. Wir verabredeten uns im Park von Zehnwortsatzingen, unter dem Wahrzeichen der Stadt, einem riesigen „Z“; das war ein aus Granit gehauenes Ungetüm. Genau zehn Meter hoch ragte der nachts silbern leuchtende Buchstabe in den Himmel, weil er funkenumsprüht, farblich changierend, angestrahlt wurde.

Auf höchst banale Weise kamen wir zwei Wesen aus zwei verschiedenen Welten also zusammen: Kein romantisches Vorgeplänkel nach dem Vorbild der billet-doux-Schreiber aus Balzacscher Zeit. Nur durch den geheimen Treffpunkt war mir ein letzter Rest von romantischem Zauber verblieben, wenn ich Tamara wirklich im Park treffen würde.

Ich fragte mich zuerst, was sie sich wohl dabei gedacht hatte. Oder vielmehr: Was diejenigen sich dabei dachten, die sie auf diese Weise zu mir schickten.

Doch letzten Endes mahnte ich mich selber, dass man bereit sein musste, vorgefertigte, irdische Denkmuster zu verlassen, wollte man mental wirklich ganz und gar in die Gedankenwelt der Zehnwortianer eindringen, und vor allem auch: Darin bleiben.

Ich hatte mich als Erster unter dem auf einem terrassenförmig erhöhten Marmorsockel thronenden, großen „Z“ eingefunden, ein Ort, den ich überraschenderweise vorher nie besucht hatte.

Um Punkt 10 Uhr mittags war unsere Verabredung, und weit und breit war noch keine Tamara zu sehen. Kein Wunder, es war ja auch noch keine zehn Uhr. Fremde Zehnwortianer flanierten um mich herum. Die süße Stimme in meinem zehnwortgeschulten Ohr vorhin am Telefon hatte es mir wieder einmal angetan: Am ganzen Körper zitternd wartete ich ungeduldig auf unsere erste Begegnung. Ein bisher künstliches Fabelwesen würde nun zum ersten Mal Gestalt für mich annehmen. Unruhig trat ich wie ein armer Zehnwortsünder von einem Fuß auf den anderen und vollführte dabei das reinste Fußballett.

Würde sie wirklich so aussehen wie auf dem Foto, das ich von ihr gesehen hatte?

Allmählich wurde ich schon von argwöhnischen Zehnwortianern gemustert, die mich vermutlich für einen Straßenkünstler hielten. Einige fingen dann auch wirklich damit an, mir für meine vermeintlichen Darbietungen Münzen zuzuwerfen. Ich hob sie dankend auf und kam auf diese Weise zu meinem ersten zehnwortianischen Geld.

Eine Frau, die nur fünf Münzen mir zu Füßen hat gleiten lassen, wurde gleich von einem herbeieilenden Parkwächter am Arm gefasst und ermahnt, fünf weitere folgen zu lassen.

„Das hat man nun von seiner Gutmütigkeit, Sie ... komischer Clown!“, rief die arme Frau mir verächtlich zu, als die Nachzahlung klimpernd auf meinem Marmorsockel eintraf.

Sie tat mir Leid, so wie sie dastand wie ein begossener Pudel, und dem Parkwächter zischte sie zu: „Jetzt übertreiben Sie es aber wirklich mit Ihrer pedantischen Zehnergenauigkeit“, und sie streckte ihm einen Zeigefinger vor.

Der Parkwächter zog die Stirn kraus.

„Bitte strecken Sie mir zehn Finger entgegen oder gar keinen“, ermahnte er die Frau missbilligend.

Glotzende Passanten lachten. Endlich gab es mal was Kurioses zu sehen, das nicht vorprogrammiert war von der staatlichen Propagandamaschine.

„Bei den anderen Spendern haben Sie nicht so genau hingeschaut“, warf sie ihm klagend vor.

„Warum haben Sie nur mich so martialisch ins Visier genommen?“, fragte sie schimpfend.

„Die anderen Spender haben alle nicht so viele Münzen gegeben“, sagte sie. „Wenn schon, dann muss dieses komische Zehnergesetz für alle gelten“, führte sie ihre Beschwerde zu Ende, und wollte sich einige Münzen wieder nehmen, die mir zu Füßen gepurzelt waren.

Ich konnte die Frau gut verstehen, und hielt ihr sogar hilfsbereit einige extra hin, doch daran hinderte mich der pedantische Parkwächter.

„Wagen Sie es nicht, unser Zehnwortgesetz in Frage zu stellen!“, riet mir der polizeiliche Fanatiker, und fasste mich drohend am Arm. Dadurch ließ ich die Münzen wieder zu Boden fallen, und die Frau hob sie schnell auf und machte sich gehetzt davon. Sofort setzte ihr der Parkwächter heftig fluchend nach und schwang im Lauf seinen langen Knüppel.

War ich gefasst auf ein baldiges, gewaltsam unterdrücktes Ende der kühnen Flucht meiner aufsässigen Spenderin, so trat unversehens das Gegenteil ein: Kleinere Gruppen anderer aufgebrachter Bürger formierten sich unmerklich zu einem größeren Cluster von Widerstand Leistenden, welche ihre neue Protesthaltung an dem brüsk gestoppten Parkwächter ausprobierten, auf den sie sich drohend zu bewegten. Schon sah er sich zu seinem Leidwesen von einer Buh rufenden Meute umringt und wusste nicht, nach welcher Seite ausbrechen.

Das Gesehene gab mir zuerst einen freudigen Stich im Herzen, gefolgt von einem wohligen Kitzel im Gaumen: Sollte sich da etwa am Horizont der so lange eingeschüchterten Bürgerseele eine geheime Widerstandsbewegung gegen die seltsamen Zehnwortallüren der Herrscher zusammenbrauen, von der ich gerade Zeuge war?

Könnte ich in meiner Winzigkeit zum Beginn eines eigenen Bürgersinns samt nachfolgenden Aufstandes der Massen beigesteuert haben? Sollte ich mir wirklich Derartiges wünschen? Sollte ich mich darüber nicht eigentlich freuen?

Seltsamerweise war dem plötzlich nicht so, vor allem, weil ich das Zurückschlagen der Staatsgewalt fürchtete, mit schrecklichen Folgen für die Aufsässigen.

So unglaublich das klingen mag für die Leser dieses einzigartigen Berichts, wünschte ich mir spontan eine allseitige, friedliche Beilegung des schwelenden Konflikts. Vermutlich schon um meiner eigenen Sicherheit halber. Außerdem stand meine Erstbegegnung mit meiner geliebten Tamara Hope auf dem Spiel, wenn jetzt alles zusammenbrechen sollte. Diese wenig zufriedenstellende Mutmaßung mochte mein Urteilsvermögen entscheidend beeinflusst haben, vielleicht sogar getrübt, das gebe ich offen zu.

Aber vielleicht handelte es sich bei dieser Protestgruppe nur um einen Einzelfall, der keineswegs richtige Aufstände gegen die Regierung nach sich ziehen würde? Das immerhin wollte ja auch bedacht sein!

Dem Parkwächter, dem in der Zwischenzeit von der wütenden Menge vielerlei Vorhaltungen gemacht worden waren, ging schnell die Puste aus, die er gebraucht hätte, um an die staatliche Ordnung zu gemahnen, und sie notwendigenfalls auch unter Einsatz seiner ganzen Autorität aufrechtzuerhalten.

„Wieso müssen wir uns eigentlich von euch alles gefallen lassen?“, nahm ein Protestierender den Parkwächter, immerhin noch im korrekten Zehnwortsatz, ins Gebet. Der Uniformierte war schon zu bedrängt und eingeschüchtert, um sich zur Wehr zu setzen.

„Ja, wir haben allmählich eure Tyrannei mit dem Zehnwortsatz satt!“, sprach mit viel Verbitterung in der Stimme, ein anderer auf den Parkwächter ein. Dass auch er dabei nicht vom korrekten Zehnwortsatz Abstand nahm, war ein Beleg dafür, dass der Respekt vor der staatlichen Autorität nicht völlig geschwunden war.

Ich, befangen in meiner feigen und schändlichen Begierde für Tamara Hopes Anwesenheit, war eher bereit, einen möglichen, spontanen allgemeinen Aufstand doch lieber meinen Privatinteressen zu opfern, wie ich beschämend und konsterniert konstatieren musste.

So zog ich es vor, die Menschen zur Vorsicht und zur Umsicht zu ermahnen. Die mich erkannten, begrüßten mich freundlich und hörten auf meine Stimme, und zerstreuten sich. Der andere, martialischere Belagerungspulk hielt sich auch nicht viel länger; bald lösten sich die Proteste in alle Winde auf.

Bestimmt war es besser so, dachte ich opportunistisch.

Nervös blickte ich auf meine Uhr, dann in der Gegend umher. Bestimmt hatte Tamara die Zeit ihrer geplanten Ankunft, bedingt durch den Zwischenfall, längst überschritten. Ich konnte das mit meiner irdischen Uhr nicht recht entscheiden, denn sie hatte ja kein Zehnzifferblatt.

So ganz allein stand ich daher wieder unter dem großen „Z“, eine weiße Rose in der Hand, meinem Erkennungszeichen. Machte unaufhörlich meine Runde um immer denselben Buchstaben: Z,Z,Z,Z,Z,Z...

Bis das „Z“ vor meinen Augen zu tanzen begann.

Bis eine ganze Horde von wild gewordenen, durchgehenden „Zetts“ zu tanzen anfingen, sich ineinander verschlangen, und einen wilden Foxtrott tanzten. Im Geiste vermeinte ich schon zehn „Zetts“ auszumachen.

Ob ich nicht von allen guten Zehnwortgeistern verlassen worden wäre, fragte mich kopfschüttelnd ein junger Mann, der mich anhielt, indem er zu diesem Zweck extra den Sockel erklomm.

„Nein“, antwortete ich, aber ich wäre froh, wenn mich endlich alle diese lästigen „Zetts“ verlassen würden, denn das wären bestimmt keine guten Geister, eher Quälgeister.

„Denn mit derart vielen Zetts kann man sich schon mal ganz leicht verzetteln“, meinte ich lächelnd.

Der junge Mann bedauerte mich aufrichtig, was ihn nicht daran hinderte, mir vor seinem Abgang noch einmal zehn Münzen zuzustecken.

„Vielen Dank, mein edler Spender, von dem Geld werde ich gleich eine „Entzettungskur“ machen“, bedankte ich mich winkend, aber noch mehr schwankend, denn von den vielen Zettrunden war mir etwas schwindelig geworden.

Dennoch lief ich in Abständen weiter einige Runden um das „Z“ herum, wie in Trance, bis ich mich völlig verzettelt hatte. Aber auf einmal stand eine Gestalt vor mir, die ich nicht kommen sah:

Sie!

Gekleidet wie eine mythische Götterbotin, ganz in enganliegendem Schwarz, das ihr wie ein Kampfanzug anlag; quasi in die Haut eingeschweißt, sodass man die geschmeidigen Bewegungen ihrer zarten Glieder optisch reizvoll in Gedanken nachvollziehen konnte.

Tamara Hope!

Meine Güte, wie klein sie war, wie sie jetzt unbedarft vor mir auf dem Sockel des „Z“ stand! So klein und zierlich, obwohl sie Stiefel mit riesigen Absätzen trug ... Braunäugig, mit Pagenkopf, ihr unsichtbarer Hals mitsamt den Schultern von einem lila Cape eingehüllt, stand sie fröhlich, aber mit ergriffener Miene da, den Mund halb geöffnet, die Lippen geschürzt. Langsam, wie in Zeitlupe, begann sie, die Hände nach mir auszustrecken, als ob sie mit mir tanzen wollte – indem sie sie mit unendlicher Langsamkeit von den Hüften wegführte, zum Oberkörper hin, bis sie sich in Brusthöhe zu falten begannen. Eine Pose, die sie sich wahrscheinlich über einen langen Zeitraum während ihrer Lehrjahre der Gefühle mühsam angelernt und angeeignet haben mochte, wie eine ganz persönliche Note.

Dann sagte sie, ganz unpassend in dienstlichem Tonfall: „Ich heiße Tamara Hope, staatlich Beauftragte für Zehnwortlyrik und Zehnwortfragen ...“

„Ich hörte, Sie suchten bereits seit geraumer Zeit nach mir. Und hoffe, ich habe Sie nicht zu lange warten lassen!“, krähte sie fröhlich wie ein Kind drauflos.

So nüchtern ihre Ansprache auch war, so enttäuschend trocken ihr Ton klang, fand ich dennoch keine Worte vor seelischer Überwältigung – ich schmolz dahin.

Sie sprach mit einer Stimme, wie ich sie nie zuvor im Leben gehört habe, und so wohl auch nie wieder hören würde, so hell und klar, so zauberhaft und geheimnisvoll entrückt in höhere Zehn-Wort-Sphären. Sie betonte alles so, als wisse sie um alle Geheimnisse dieser Welt, als kennte sie alle Gefühle der Freude und Trauer zugleich; Schmerz, Kummer, Liebe, Lebensfreude und Hoffnung waren alle in eins zusammengeschmolzen in diesem lebhaft stürmischen, romanischen Gesicht mit dem vollen, eingerollten Haar ...

So erregend melancholisch und doch so unendlich warmherzig war diese Stimme, die nur zwei Mal zehn Worte gesagt hatte, dennoch vermeinte ich, alle Weisheit dieser Welt, alle Freuden und Sorgen der gesamten Menschheit in dieser Stimme vereinigt zu hören. Tamara Hope schien alle Gefühle des Universums in sich aufgesogen zu haben.

Es war mir nicht möglich, länger an mich zu halten: Amors glühende Pfeile schossen aus meinen Augen und bohrten sich wie feurige Säulen in ihre Augäpfel, oder war es genau umgekehrt?

So genau kann ich das nicht mehr sagen, aber das konnte mir ja auch egal sein. So unglaublich kitschig und verklärt meine Gefühle auf den neutralen Betrachter auch wirken mögen, so wären sie jedenfalls ein gefundenes Fressen für den kritischen, „Zehnwortianischen Bürgerbeobachter“. Ich bin mir fast sicher, dass uns ein Reporter dieses Blattes gerade heimlich knipste, oder Filmaufnahmen machte.

So leidenschaftlich, wie ich sie umschlang, sie wild und feurig küsste, so ungestüm und rücksichtslos, wie ich ihr den schönen Pagenkopf raufte und in wilde Unordnung brachte, wobei ich Tamara erregt immer wilder und immer enger an das große „Z“ drückte, bis ihr der Atem wegblieb, daran ließ sich wohl das ablesen, das Liebe oder Wahnsinn sein musste.

Meine Erregung potenzierte sich ins Unendliche, sagen wir mal, so um 10 hoch 10 hoch 10, um bei den hiesigen Zahlenverhältnissen zu bleiben.

Jetzt gab sogar das „Z“ seufzende Geräusche von sich, wie ich jedenfalls vermeinte, zu erlauschen, als ich die stöhnende Tamara um den schlanken Pfeiler des Buchstabens herumgedrückt und –geknetet hatte. Wenn wir so weitermachten, würde sie bald wie ein Kaugummi daran kleben bleiben, befürchtete ich schon.

„Liebe geht durch den Magen“, hieß es früher, bei uns geradewegs durchs „Z“. Auch so kann sich der bravste Mann verzetten, aber all das war noch nicht der Höhepunkt, wenn man nunmehr beobachtete, wie ich die Zehnwortelfe immer energischer um das große „Z“ herum presste, weil sie mir immer weniger Widerstand leistete.

Das konnte sie auch gar nicht, denn sie war mindestens schon eineinhalbmal um das „Z“ herum geschlungen. Bitte, fragen Sie mich nicht, wie so etwas möglich ist, ich selbst kann es heute noch kaum glauben. Aber Sie ahnen ja vielleicht längst selbst, zu welchen Taten und Untaten die Zehnwortianer fähig sein können, wenn man sie dazu zwingt, oder auch nicht, oder sie sogar ganz in Ruhe lässt. Doch was sage ich da: Ich fange schon an, reichlich Unsinn zu reden, doch ich tue es halt so gerne...

Am Ende hatte ich Tamara in einer endlosen Zehnwortschleife aufgerollt, die immer enger geworden war. Bald würde auch ihre natürliche Elastizität nachgeben, und am Ende würde ich dann wohl gar zehn Tamaras in meinen Armen halten? Und dann würde die Bescherung erst richtig anfangen: Welche würde die Richtige sein? Aber ehe es soweit war, kam die Rettung: Durch irgendein physikalisches Gesetz bedingt, ich will mich da als Historiker auf keinen Fall festlegen.

Also, ehrlich gesagt, mit der Physik habe ich nicht viel am Hut. So würde ich meinen Hut, selbst wenn ich einen hätte, auch keinesfalls einem Physiker zur Aufbewahrung anvertrauen.

Wann jedoch ergibt sich schon mal die Notwendigkeit, dass man einem Physiker seinen Hut zur Aufbewahrung überantworten muss? Höchst selten, zum Glück, würde ich sagen, und auch nur dann, wenn der Physiker arbeitslos geworden ist und eine neue Stelle als Garderobier im Theater gefunden hat, und daher auch für die Hutaufbewahrung der Besucher zuständig ist. Und auch nur dann, wenn ich zufällig in dieses Theater gerate, und einen Hut aufhabe, und falls es Pflicht sein sollte, diesen zur Aufbewahrung bei ihm abzugeben.

Ehe ich in diese Lage komme, ziehe ich es sogar vor, mein ganzes Leben lang lieber in Zehnwortsatzingen zu bleiben ... Moment mal? Was sage ich denn da? Nein, so wollte ich das nicht ausdrücken ... Oje, Liebe macht eben wirklich blind, man faselt und faselt und macht die blödesten Sachen...

Und man schweift ab und äbber, und man hat noch nichts Vernünftiges gesagt ... Nur soviel noch: Irgendein Gesetz der Physik ist schuld daran, dass Tamara unwiderruflich zurückschnellte in meine Arme.

Tamara stieß einige unverständliche Worte hervor, und klammerte sich wie schlaftrunken an mich.

Ich schleppte sie verlegen zur nächsten Parkbank und ließ ihre zusammengesunkene Gestalt sanft darüber gleiten. Einige neugierige Zehnwortianer musterten uns argwöhnisch.

Ein kleiner Junge, der extra sein Spiel mit einem kleinen Mädchen unterbrach, das darin bestand, dass er versuchte, ihrer Puppe die Zähne zu putzen, mit echter Zahnpasta und richtiger Zahnbürste, kam zu uns vor die Parkbank und fragte: „Sag, mal, Großer: Hast du auch versucht, deiner großen Schaufensterpuppe da die Zähne zu putzen?“

„Nein, ich habe ihr nur die Haare gebürstet, damit sie schöner glänzen, doch das ist ihr nicht bekommen“, erklärte ich dem Jungen.

Unsicher blickte der Kleine mir ins Gesicht, dann sah er sich nach seiner kleinen Spielkameradin um, die wütende Blicke auf den kleinen Schelm warf, der ihre Puppe so entweiht hatte, indem er ihren Mund mit Zahnpasta bestrichen hatte. Daher machte sich die Puppenbesitzerin nun eifrig daran, die Puppe im Gras abzuwischen.

Offensichtlich hatte ich es mit Tamara auch etwas übertrieben, denn sie schien nun mehr bewusstlos als bewusst auf der Parkbank zu dämmern. Daher griff ich mir ihre Hand. Dann fächelte ich ihr Luft zu.

Der Junge drehte sich wieder ruckartig zu uns um, und auch das Mädchen kam zur Parkbank zurückgelaufen. Interessiert betrachteten sie die ruhende Tamara.

„Schläft sie?“, fragte das Mädchen.

„Ja, aber ich kenne einen Zaubertrick, mit dem ich sie wieder aufwecken kann“, sagte ich zu der Kleinen.

„Passt mal auf!“

Ich klatschte in die Hände, dabei zuckte Tamara tatsächlich ganz leicht zusammen, aber sowenig, dass sie mit dieser Bewegung nicht einmal eine Fliege verscheucht hätte.

„Oh, sie hat sich bewegt“, sagte das Mädchen aufgeregt und hüpfte auf und ab.

„Ja, aber man hat kaum etwas gesehen“, beklagte sich der Junge.

Ich beugte mich über Tamara: Sie machte ein glückliches, schlafendes Gesicht.

„He, Onkel“, sagte der kleine Junge ungeduldig und zerrte an meiner Jacke, „kannst du die schöne kleine Frau nicht mal ganz schnell aufwecken, mit viel Lärm, oder sowas ... Sodass sie ganz schnell aufwacht und erschrickt, das macht Spaß!“, erklärte mir der Kleine mit Kennermiene.

„Nanu, wie kommst du denn auf so etwas?“, fragte ich lachend, „sowas tut man doch nicht – hast du das schon öfter gemacht?“, fragte ich lächelnd den kleinen Schelm.

„Ja, mit meiner großen Schwester“, gab der Kleine voller Stolz preis, und beugte sich zu Tamara hinab.

„Und dabei ist sie erschrocken aus dem Bett hochgefahren und hat sich vor Scheck ganz toll bepisst! Mann, das war vielleicht lustig, das kann ich dir sagen!“, sagte der kleine Rotzbube voller Schadenfreude.

„Das hier ist aber nicht deine große Schwester, du kleiner Schelm!“, sagte ich lachend, und hinderte ihn daran, Tamara zu berühren. „Siehst du nicht, dass sie müde ist? Sie muss sich erst mal ausschlafen, die Gute“, sagte ich zu dem Jungen.

„Weißt du überhaupt, wer sie ist?“, fragte ich nun.

„Nein“, gestand der Kleine. „Ist das wichtig?“

„Na ... So wichtig nun auch wieder nicht“, sagte ich lachend. War ich froh, dass der Steppke Tamara nicht erkannt hatte.

„Bitte, Onkel, lass mich ihre Zähne putzen!“, bat der Junge jetzt.

„Sonst noch was?“, fragte ich und grinste.

„Nein, ihre Zähne scheinen mir ganz in Ordnung, das würde sie nur beim Schlafen stören“, erklärte ich dem Jungen.

„Aber hier – wenn ihr jetzt brav nach Hause geht, dann gebe ich euch eine Belohnung“, sagte ich zu den Kindern und gab ihnen einige Zehnwortmünzen.

Diese immerhin nahmen sie freudig dankend an, und danach verschwanden sie im Laufschritt.

Tamara bewegte sich jetzt leicht, fiel aber sofort wieder in seligen Schlaf. Sie musste schon sehr müde gewesen sein, als sie bei mir ankam; wer weiß, was für einen anstrengenden Tag sie hinter sich hatte!

Sich auf transzendental-sexueller Dezimalebene mit einer Zehnwortianerin zu vereinigen, das dürfte das höchste aller Glücksgefühle sein, dachte ich berauscht. Langsam begann ich, mein stereotypisches Fremdbild über diese Menschenspezies abzubauen, das größtenteils auf einer unreflektierten, anthropozentrisch-evolutionistischen Vielwort-Perspektive basierte.

Es musste einem gelingen, sich einfach völlig aus den irdischen Denkmustern auszuklinken, um diese Menschen zu begreifen... In diesem betörenden, vor mir liegenden Zehn-Wort-Luxusweibchen befand sich höchstwahrscheinlich eine Schaltstelle der planetenweiten Menschenkonditionierung. Würde es mir nun gelingen, diesen perfekten Zehnwortroboter zu deregulieren, dann hätte ich wahrscheinlich den ersten Schritt dazu getan, den zehnwortianischen Bann zu brechen. Dann könnte ich Tamara befehlen, mich zum großen M. zu führen, falls es ihn gab; sei er nun eine reale Person oder eine Maschine.

Und dann bliebe für mich nur noch die Kleinigkeit übrig, diesen Zehn-Wort-Titanen ebenfalls auszuschalten, beziehungsweise abzuschalten! Und dann musste ich nur noch den Planeten unter meine Kontrolle bringen ... So einfach konnte das Leben sein!

12. KAPITEL: EIN NEUES ZUHAUSE

Irgendwann wurde Tamara wieder munter und sah mich lächelnd an. Nicht mal die vielen blauen Flecken, die sie durch meinen Umschlingungsakt um das große „Z“ herum davongetragen hatte, und wer weiß, was noch an Verrenkungen und Blutergüssen, nahm sie mir übel, denn sofort schlang sie ihre Arme um mich und liebkoste mich. War sie wirklich so liebestoll, oder spielte sie nur ihre Rolle so gut? Über diese Frage geriet ich in mächtige Verlegenheit. Hier auf diesem Planeten musste man auf alles gefasst sein. Nichts, was hier geschah, hatte für mich bisher etwas mit der Realität zu tun.

Wir verließen unsere Bank und schlenderten im Park umher, ich immer mit meinem Arm um ihren Hals. Meine Güte, wie klein sie war! Schließlich kamen wir an einem Schwanenteich vorbei. Tamara jedoch machte einen Bogen um die Schwäne; für sie waren die Tiere Symbole des Unheils, gestand sie mir. Elefanten wären ihr viel lieber. Leider gab es keine Elefanten im Park von Zehnwortsatzingen: Wahrscheinlich, weil man noch keine Elefanten mit zehn Rüsseln züchten könne, neckte ich Tamara. Da knuffte sie mich in die Seite: „Reden Sie eigentlich immer solchen Unsinn?“, sagte sie amüsiert zu mir.

„Die Monomanie der Zehnwortianer, einseitig vom Gedanken an ständige Optimierung der Zehnwort-Sprechfertigkeiten besessen zu sein, dieses Unterwerfungsritual wird nur von den unteren gesellschaftlichen Chargen angestrebt“, sagte sie verächtlich, „aber diese Sprechweise schickt sich doch nicht für zwei besondere Kapazitäten unserer Art“, sagte sie juxend, und sprach weiter im Vielwortsatz.

Ich sah verwundert zu ihr hin.

„Sie müssen diese staatlich verordnete Maxime, wonach absolute Sprache absolute Herrschaft bedeutet, absolute Herrschaft wiederum absoluten Gehorsam, und so fort, von sich schieben“, sagte sie heiter. „Das ist für die kleingeistigen Bürger; aber unser beider Horizont ist weiter gesteckt, nicht wahr?“, fragte sie strahlend und sah verliebt zu mir auf. „Auch bei uns wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird – Sie werden sehen!“

„Aber warum verzetteln wir uns eigentlich gleich in einer unsäglich komplexen, politischen Debatte, anstatt das Wunder unserer ersten Begegnung voll auszukosten?“, hauchte ich Tamara träumerisch zu. Sie stimmte mir voll zu.

Dann drehte sie ihr schönes Gesicht ruckartig zu mir herum, lächelte versonnen und sagte: „Aber Sie irren sich, wenn Sie meinen, das hier sei unsere erste Begegnung gewesen...“ Danach wand sie sich wieder in geheimnisvolles Schweigen.

Ein Stich fuhr mir ins Herz.

Also doch: Tamara hatte mich über einen längeren Zeitraum schon heimlich beobachtet! War vermutlich immer in meiner Nähe – wie ich es vermutet hatte!

„Was sagen Sie, meine Liebe?“, fragte ich mit zitternder Erregung. „Wann ... war denn unsere erste Begegnung?“, fragte ich voller Anspannung und Neugier. Sie lächelte mich wieder unergründlich an.

„Haben Sie das denn noch gar nicht mitbekommen?“, fragte sie rätselhaft.

„Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen, ich meine ... Sie sind so rätselhaft wie ein Fabelwesen, wie eine Sphinx! ...“, sprach ich vorwurfsvoll, ohne das beabsichtigt zu haben. Ich steigerte mich in eine ärgerliche Erregung hinein, blieb stehen, umfasste hart Tamaras Handgelenke.

Sie schien es gar nicht zu spüren, sondern fragte nur: „Ach, bin ich wirklich so?“

„Ja! ... Und noch viel ... viel mehr! Sie behandeln mich so, als wollten Sie sich konstant über mich lustig machen! Sie ... Sie ... sind ... eine richtige Hexe! Ja, Sie haben mich richtig verhext!“, stieß ich erregt hervor.

Aufgebracht ließ ich spontan ihre Hände los und sprang etwas zurück von ihr.

„Ach, und dennoch war es Ihr sehnlichster Wunsch, mit solch einem Menschen, der sich so benimmt, wie Sie mich eben beschrieben haben, zusammen zu sein?“, fragte sie mit mokantem Lächeln und tänzelte wieder auf mich zu.

„Ja“, sagte ich schwitzend, „denn Sie haben mich irgendwie total verhext, ich sagte es ja gerade schon!“, warf ich ihr vor.

„Aha, und wie habe ich Sie verhext? Durch meine Stimme? Wohl durch den Klang meiner Singstimme, nicht wahr?“, fragte sie genüsslich, indem sie ihre Seelenfolter durch konstante Beibehaltung ihres mokanten Tons unbarmherzig fortsetzte. „Offenbar haben es Ihnen doch wohl meine Lieder angetan, meine Zehnwortlieder sind der Auslöser für Ihren Erregungszustand; das ist es, was mich für Sie so anziehend macht!“, sagte sie im Brustton der Überzeugung.

„Geben Sie es doch zu, mein sinnverwirrter, schöner Fremder!“, forderte sie mich triumphierend auf, und fing an, sich enganschmiegend mit ihrer kleinen Gestalt neckisch an meinem Körper empor zu ranken. Wie ein Klettergewächs schnürte sie mich ein.

„Ja, das muss es sein“, brachte ich kläglich hervor, „und doch ist das alles für mich noch so unbegreiflich, meine liebe Tamara! Ich war noch nie im Leben in solch einem Erregungszustand, glauben Sie mir! ... Sie kleine Teufelin!“, sagte ich zärtlich keuchend und kraulte ihr das Kinn.

„Freut mich, das zu hören, doch bin ich vielleicht noch in einer anderen Weise für Sie interessant?“, fragte sie weiter. „Tamara, warum quälen Sie mich? Warum tun Sie das nur, wieso sind Sie so bohrend unbarmherzig? Wo ich Sie doch so liebe!“, platzte es aus mir heraus.

„Aha, nun endlich kommen wir zum interessanten Teil unserer Unterredung, mein schöner, fremder Mann von der Erde“, sagte sie und ergriff langsam meine beiden Hände.

„Tamara, Sie halten mich schon wieder zum besten“, sagte ich anklagend und keuchte.

Ich wühlte zerstreut in ihren Haaren herum.

„Meine Stimme hat Sie offenbar ganz kirre gemacht, mein armer Freund!“, sagte sie mitleidig.

„Und dadurch sind Sie der irrigen Annahme verfallen, in mich verliebt zu sein! Anders kann es gar nicht sein, denn ich bin weiß Gott keine Schönheit!“, sprudelte sie lachend hervor.

„Denn ich bin klein, nur 1 Meter dreiundfünfzig groß, habe keine großen ausdrucksvollen Augen, sondern ziemlich kleine, und auch noch einen übergroßen Mund. Und dann diese gelbliche Gesichtsfarbe, nichts von einem rosigen Teint! Ich vertrete nun wirklich in keinster Weise das von euch Männern an einer Frau ersehnte Schönheitsideal!“, sagte sie keck und machte einen kleinen Sprung in die Luft.

Ich blieb mit offenem Mund in der Landschaft stehen. „Sie leiden an der klassischen Psychose eines Mannes, dem eine Frauenstimme gefällt: Die vermeintliche Liebe zu mir geht nur über meine Stimme!“, sprach sie sachlich wie ein Psychiater.

„Und wenn es so wäre, Tamarachen?“, fragte ich, wieder närrisch verliebt.

„Bitte – singen Sie für mich! Für mich allein! Hier im Park!“, bat ich inständig. Und ergriff berauscht ihre kleinen Hände.

Diese unerwartete Bitte machte Tamara offenbar verlegen.

Ein neuer Verdacht keimte in mir auf.

„Oder war Ihre unvergleichlich schöne, prächtig geschulte Stimme, die ich im Wald und im Fernsehen gehört habe, auch nur Gaukelei, Betrug, eine Illusion?“, fragte ich scharf.

Barsch ließ ich ihre Hände los und lugte ihr anklagend ins Gesicht.

„War das etwa eine geliehene Stimme? Können Sie überhaupt so singen, wie die Stimme, die mich schon bis in meine Träume verfolgt?“, insistierte ich ungehalten.

„Sind Sie überhaupt die echte Tamara Hope oder nur ein Lockspitzel?“, fragte ich scharf.

„Doch, doch, die Stimme ist von mir, sie ist echt“, antwortete Tamara plötzlich stotternd und tief im Inneren verletzt. „Ich frage mich nur, ob ich hier so einfach in der Öffentlichkeit singen darf; ich habe mich schon sehr gewundert, dass die Behörden mir überhaupt die Erlaubnis erteilt haben, mich mit Ihnen zu treffen“, sagte Tamara hastig und lief schneller vor mir her, dass ich Mühe bekam, sie einzuholen. „Ich weiß daher nicht, ob es auf ihre Zustimmung träfe, wenn ich hier meine Sangeskunst preisgäbe ...“

Nun wurde ich immer misstrauischer, und böse obendrein.

„Wem gehört wirklich diese Stimme, Tamara, die mich so willenlos, und schwerelos macht?“

Tamara antwortete nicht und lief mir fort.

„Ist überhaupt noch etwas auf diesem unglückseligen Planeten real?“, rief ich ihr voller Bitterkeit nach.

„Geben Sie es doch zu, Sie können überhaupt nicht singen, und schon gar nicht sind Sie Tamara Hope!“

Schließlich holte ich sie mit Mühe wieder ein, die Geheimnisvolle, die sich unter einem Baum niedergelassen hatte. Als ich mich neben sie setzte, sah sie mich nicht an und schloss träumerisch die Augen, faltete die Hände wie eine Gottesanbeterin.

Die Sonne durchflutete ihre dichten, flauschigen Haare und erhellte ihr leicht gelblichbraun romanisches Gesicht.

Im Herzen voller Fragen, sah ich sie stumm an. Da fing sie zu singen an – so lieblich klagend, dass der Wald vibrierte und die Vögel verstummten. Elegische gurrende Laute bahnten sich schwirrend ihren Weg durch das Unterholz, dass ich im Inneren erbebte.

Also doch! Es war tatsächlich die altbekannte Stimme, die ich schon so gut kannte, es war wirklich Tamaras Stimme! Voller Freude darüber, dass sie mich wenigstens in dieser Hinsicht nicht getäuscht hatte, lauschte ich ergriffen dem lieblichen Klang der Zehnwortelfe. Sie ließ eine Art Heimatlied erklingen, das den Zauber der Wälder pries, mythisch erhöhte. Mit Staunen erfüllten mich ihre Sangeskünste, die mich in alle Höhen und Tiefen der menschlichen Gefühle führten. Sie fing erst ziemlich tief zu singen an und kam immer höher, sodass ich glaubte, auf Wolken zu schweben. Es war herrlich! Schließlich rühmte sie in ihrem Lied die Sangesqualitäten der Waldbewohner, der einheimischen Vögel, der Nachtigallen und der Eichelhäher, ihre „Kolleginnen“. Ich war hingerissen wie noch nie von ihrem ganzen Wesen.

Wie scheu und zart sie doch war, die kleine Tamara Hope!

Und in der Überzeugung, dass mich nichts mehr von ihr trennen könnte, wartete ich den Augenblick ab, in dem der letzte Ton ihres meisterhaften Naturliedes verklungen sein würde, was bald der Fall war, sodass ich zuschlug und sie leidenschaftlich packte und küsste.

„Oh, Tamara, Tamara, du Wunder der Natur!!!“

Sie ließ alles mit sich geschehen und schien meine Liebkosungen eher als Belohnung für ihre musikalische Darbietung zu genießen, genauso, wie ich es auch gemeint hatte.

„Tamara, Liebling – und jetzt erzähl mir doch endlich mal: Wann ... war unsere erste Begegnung?“, fragte ich stammelnd, als ich mit den Fingern ihr Kinn umklammert hielt.

„Du sagtest doch vorhin, meine Zehnwortelfe, wir seien uns schon einmal nahegekommen, wo war das?“, wollte ich unbedingt erfahren.

„Übrigens“, schob ich nach, noch ehe sie antworten konnte, „hast du was dagegen, wenn ich dich fortan „Tammy“ nenne? Der Name „Tamara“ macht mich ehrlich gesagt unbehaglich, weil er so russisch klingt, und das lässt in mir sofort schwer verdauliche Gedanken aufkeimen, die mich erinnern an „Gulag“, „Geheimpolizei“, oder „Lubjanka“, ...“

Sie sah mich erstaunt an.

„„Lubjanka“?“, wiederholte sie fragend. „Wer ist das? Deine russische Ex-Freundin?“, fragte sie ganz naiv, ohne Hintergedanken.

„Nein“, sagte ich lachend, „das ist ... war...“

„Du kannst mich getrost „Tammy“ nennen, das finde ich süß“, versprach sie mir mit dunkler Stimme, während sie sich erhob und wir unsere Runde durch den Park fortsetzten, „das tun ja eh´ alle Leute“, behauptete sie.

„Jedenfalls alle, die meine Freunde sind ...“

Sie seufzte tief, so als ob sie noch ein dunkles Geheimnis hätte, das sie nicht preisgeben könne.

Ja, so ein tiefes, russisches Heimwehseufzen war es, das sie von sich gab. Ich sprach sie darauf an.

„Ja, genau so fühle ich mich jetzt auch“, sagte sie lachend, „aber meine Eltern sind keine Russen, sondern französische Einwanderer von der Erde; aber im Augenblick fühle ich tatsächlich die Einsamkeit einer ethnischen Minderheit in mir, denn die meisten Planetenbewohner hier auf diesem Stern sind

Deutsche ... So wie du! - Obwohl ich natürlich hier geboren und nur hier aufgewachsen bin ...“ Ich zweifelte.

„Französische Einwanderer?“, fragte ich erstaunt.

„Danach klingt dein reichlich englischer Name „Hope“ aber gar nicht, nach französischer Herkunft, meine ich!“, sagte ich misstrauisch.

Sie blieb abrupt wieder stehen und sah zu mir hoch.

„Sag bloß - du hast die ganze Zeit über tatsächlich geglaubt, „Tamara Hope“ sei mein richtiger Name?“, fragte sie lachend und blieb wieder stehen. „Das ist doch nur ein Kunstname, ein reiner Propagandaname, wenn du so willst“, erläuterte sie mir, fasste mich mit überlegenem Gehabe am Arm und führte mich weiter durch den Park. Nun erschrak ich wirklich gewaltig.

„Also auch dein Name ist falsch!“, lamentierte ich enttäuscht.

„Richtig, aber er hat immerhin eine humanitäre Funktion“, murmelte sie verlegen.

„“Hope“ heißt schließlich „Hoffnung“, und ich bin die Hoffnung für die Unzulänglichkeiten dieses Außenseiter-Planeten“, erklärte sie mir mit resigniertem Unterton.

„Denn meine Stimme verbreitet Freude im Volk und hält es als Ganzes zusammen, durch meine Propaganda-Lieder, das verstehst du doch, mein kleiner Fremdling, nicht wahr?“, fragte sie treuherzig und sah erwartungsvoll zu mir auf.

„Aha. Und dafür haben sie dir also diesen Kunstnamen verpasst, dieses Pseudonym einer Zehnwortsängerin“, schnarrte ich resigniert.

„Aber wenn du Französin bist, dann hast du doch sicher auch einen französischen Namen, meine kleine Zehnwortelfe; sag ihn mir!“, bat ich inständig.

„Bitte: Sag mir deinen richtigen Namen, … Tammy!“, sagte ich mit verkorkstem Lachen.

„Das geht nicht, das darf ich leider nicht – die Oberen würden es mir übelnehmen!“, sagte Tamara, atmete tief aus und seufzte.

„Aber ich kann dir zum Trost soviel sagen: Es ist ein ganz ähnlicher Name wie mein Künstlername „Tamara Hope““, gab sie zur Erklärung ab.

„Was soll das nun wieder heißen?“, schimpfte ich ungeduldig.

„Find es heraus!“, sagte sie verrätselt.

„Nur soviel: „Tamara Hope“ ist teilweise die englische Übersetzung meines echten, französischen Namens“, sagte sie lächelnd.

„Aha. Nun ist ja alles klar!“, brummte ich verstimmt.

Sie bat mich, nicht weiter um Erklärung zu fragen, und ich stimmte zu. Ich versprach ihr, sie auf ihren dringlichen Wunsch weiterhin „Tammy“ zu nennen.

Dann gingen wir wortlos weiter.

Danach besann ich mich wieder auf meine eigentliche Frage, die ich mir vorhin selber durch Abschweifung verbaut hatte zu stellen, und ich schalt mich insgeheim einen Narren.

„Tammy, was ... ich dich vorhin fragen wollte; aber bitte, weich mir jetzt nicht wieder aus, ja?“

Ich nötigte sie sogar dazu, für einen kurzen Moment wieder stehen zu bleiben, so ernst war mir die richtige Beantwortung der Frage.

„Jetzt sage mir doch endlich, wo wir uns zum ersten Mal begegnet sind?“

„Wer weicht denn hier aus, na, na ...“, sagte sie lachend.

„Das bist doch du, der immer Angst hat, die Wahrheit über mich zu erfahren, nicht wahr?“, fragte sie mit einem durchschauenden Lachen.

Ich erschrak. Ja, sie hatte mich durchschaut, voll und ganz, Regel und recht, oder wie man es nimmt oder gibt ... „Aber jetzt sag mir doch endlich: Wo? Wo? Wo!“, forderte ich mit eisernem Nachdruck.

„Wir haben uns schon mal gesehen, das ist richtig, oder besser gesagt: Ich zumindest habe dich gesehen“, sprach Tamara verrätselt, blieb stehen, sah mich frontal an.

„Tammy, Tammy ... so kommen wir doch nicht weiter!“, mahnte ich, „was willst du mir denn damit schon wieder sagen?“

Als Antwort zoomte Tamara mein Gesicht mit ihren wunderschönen, kleinen Augen ganz nahe an das ihrige heran, und fuhr fort: „Ich aber fürchte, mein schöner Fremder, du wirst dich gar nicht mehr so recht an unsere letzte Zusammenkunft erinnern können, schlaftrunken wie du warst, völlig erschöpft, als du in meinem Haus übernachtet hast...“

Sie lächelte, zog mich zu sich herunter, damit sie mich leichter umschlingen konnte.

„Oh, mein süßer, kleiner Vielwortsatzling!“, raunte sie mir säuselnd zu.

Zuerst begriff ich gar nichts, so perplex war ich. Dann dämmerte es mir schließlich.

„Nein! Das Haus! ... Dieses Haus, dieses schöne, schlossähnliche Häuschen an der Peripherie von Zehnwortsatzingen!...“, stammelte ich. „Das gehört dir?“

„Jawohl, dieses schöne Haus ist meins“, bekräftigte sie.

„Das Haus, in dem ich voller Verwunderung aufgewacht bin, weil ich überhaupt nicht wusste, warum und auf welche Weise ich da hinein gelangt bin?“, fragte ich ungläubig.

Sie nickte.

„Sag bloß: Dann warst du es also auch, die mich dorthin gebracht hat, nach dem entnervenden Presseabend?“, fragte ich erstaunt.

Sie lächelte wieder.

„Alleine hätte ich das nicht zuwege gebracht, mit meinen schwachen Kräften“, röhrte sie mir dunkel zu, „einige Herren von der Lingufaschistischen Fakultät haben mir dabei geholfen, dich ins Haus zu verfrachten; dann haben wir dich zu Bett gebracht ...“

Plötzlich war mir unbehaglich zumute.

„Dann wart ihr es also auch, die mich ausgezogen haben ...“, begann ich unsicher. „Beruhige dich, das habe ich alleine gemacht; die anderen Herren waren da längst schon wieder gegangen; und ich habe dich auch wieder angezogen, den Schlafanzug, meine ich“.

„Nicht zu fassen – du warst das!“, sagte ich lachend und grinste albern.

„Es war keine leichte Arbeit, das garantiere ich dir, aber du kannst mir glauben – es hat mir wirklich Spaß gemacht“, versicherte mir Tamara kichernd.

„Soso“, sagte ich. „Dir scheint ja überhaupt allerhand viel Spaß zu machen, wenn ich mir so die Spielchen betrachte, die ihr allesamt bisher mit mir gespielt habt“, sagte ich leicht pikiert und löste mich langsam von Tamaras Umarmung.

„Dann hast du mir also auch dieses schmackhafte Frühstück zubereitet, das ich in mich hineingeschaufelt habe, während ich dich nebenan schnarchen hörte“, sagte ich fröhlich, wieder gut gelaunt und drückte Tammy fester an mich denn je.

„Ja, deine Annahme ist richtig, auch das geht auf mein Konto“, sagte sie gutgelaunt.

„Irgendjemand musste doch für dich sorgen, in deiner Einsamkeit und Verlassenheit auf einem fremden Planeten“, sagte sie.

„Ich hätte doch gleich darauf kommen müssen, dass es nur eine Frau fertigkriegen kann, solch ein gutes, ausgewogenes Frühstück zuzubereiten, und als logische Folgerung hätte ich als nächsten Gedankengang den Bogen zu dir spannen müssen, der schlafenden Dornröschen-Schönheit im Zimmer nebenan“, sprach ich aufgekratzt, „aber wie du siehst, sind wir Historiker eben langsame Denker, die nur epochenweise schalten; wir brauchen ewig, bis wir eine Epoche in ihrer Gesamtheit erfasst haben ... Und das kann manchmal ganz schön lange dauern, haha...“

„Oh, mit dir zusammen würde ich gerne die Geduld aufbringen, noch einige Epochen gemeinsam zu verbringen“, versicherte mir Tammy verschmitzt.

„Ja, Tammy, das ist doch nicht etwa eine Liebeserklärung?“, fragte ich halb verwundert, halb belustigt, und drehte mich vor Freude um 180 Grad, denn soviel brauchte ich in etwa, bis ich sie wieder frontal vor mir im Visier hatte.

„Nun, sagen wir mal so: Vorerst einmal eine epochale Erklärung“, wich sie mir neckisch aus, und ich presste mich an ihren zarten Körper, dass ich alle möglichen Knochen in meinen Fingern spürte, so grazil und anmutig wie eine Gazelle war sie.