(Heli-)opolis - Der verhängnisvolle Plan des Weltkoordinators - Michael Häusler - E-Book

(Heli-)opolis - Der verhängnisvolle Plan des Weltkoordinators E-Book

Michael Häusler

0,0

Beschreibung

Die „Welthauptstadt“ Berlin, kurz vor der 3. Jahrtausendwende: Die politische Gefangene Herlinde Kopter wird nach langwierigen Verhandlungen im Jahre 2999 freigelassen und von der Weltraumkolonie TERRA NOVA 1 in ihre Heimat abgeschoben. So kehrt sie zurück auf die Erde, in die „Welthauptstadt“ Berlin“, und muss enttäuscht und ernüchtert feststellen, dass dort inzwischen die maschinelle Computer-Diktatur des „Gewissens“ durch eine menschliche des Gewaltherrschers Gorsky abgelöst wurde. Aller Hoffnungen beraubt, als auch noch ihre beste Freundin, die Programmiererin und Sicherheitsexpertin Annamaria Dappermann sie verrät und zur engsten Vertrauten Gorskys wird, zieht sich Herlinde völlig in sich selbst zurück. Als sie mit ihrem Geliebten, dem Computerexperten Waldemar Koslowski, als Prestigeobjekt für Gorskys Diktatur missbraucht wird, indem beide zum „Weltpräsidentenpaar“ ernannt werden, beschließt das Liebespaar, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch dann kommt alles ganz anders: Heli und Waldo fliehen schließlich ins moralisch völlig verkommene Amerika, das als ehemalige Weltmacht glanzlos in völliger Bedeutungslosigkeit dahinvegetiert. Dann folgt der finale politische Schlag: Norddeutschland wird vom imperialistisch und gleichzeitig kommunistisch regierten Kaiserreich China besetzt, und das Land wird zum zweiten Mal in seiner Geschichte in zwei politisch verfeindete Lager geteilt: Im Norden Deutschlands herrscht die Diktatur der chinesischen Oligarchen, während der freie, demokratische Süden von den allmählich wiedererstarkenden Amerikanern kontrolliert wird. Auch die „Welthauptstadt“ Berlin wird wieder geteilt: Es entsteht das kommunistische Nordberlin, und das freie Südberlin, und durch die Stadt verläuft wieder eine neue Berliner Mauer.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 513

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ZWEITES BUCH:

Fatales Dilemma zwischen Mensch, Maschine und Alien

Politischer Zukunftsthriller

Vom Autor überarbeitete und völlig korrigierte Neufassung

von

Michael Häusler

2. Teil der völlig überarbeiteten Neuauflage

Inhalt

Die „Welthauptstadt“ Berlin, kurz vor der 3. Jahrtausendwende:

Die politische Gefangene Herlinde Kopter wird nach langwierigen Verhandlungen im Jahre 2999 freigelassen und von der Weltraumkolonie TERRA NOVA 1 in ihre Heimat abgeschoben.

So kehrt sie zurück auf die Erde, in die „Welthauptstadt“ Berlin“, und muss enttäuscht und ernüchtert feststellen, dass dort inzwischen die maschinelle Computer-Diktatur des „Gewissens“ durch eine menschliche des Gewaltherrschers Gorsky abgelöst wurde.

Aller Hoffnungen beraubt, als auch noch ihre beste Freundin, die Programmiererin und Sicherheitsexpertin Annamaria Dappermann sie verrät und zur engsten Vertrauten Gorskys wird, zieht sich Herlinde völlig in sich selbst zurück.

Als sie mit ihrem Geliebten, dem Computerexperten Waldemar Koslowski, als Prestigeobjekt für Gorskys Diktatur missbraucht wird, indem beide zum „Weltpräsidentenpaar“ ernannt werden, beschließt das Liebespaar, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Doch dann kommt alles ganz anders: Heli und Waldo fliehen schließlich ins moralisch völlig verkommene Amerika, das als ehemalige Weltmacht glanzlos in völliger Bedeutungslosigkeit dahinvegetiert.

Dann folgt der finale politische Schlag: Norddeutschland wird vom imperialistisch und gleichzeitig kommunistisch regierten Kaiserreich China besetzt, und das Land wird zum zweiten Mal in seiner Geschichte in zwei politisch verfeindete Lager geteilt: Im Norden Deutschlands herrscht die Diktatur der chinesischen Oligarchen, während der freie, demokratische Süden von den allmählich wiedererstarkenden Amerikanern kontrolliert wird.

Auch die „Welthauptstadt“ Berlin wird wieder geteilt: Es entsteht das kommunistische Nordberlin, und das freie Südberlin, und durch die Stadt verläuft wieder eine neue Berliner Mauer.

INHALTSVERZEICHNIS:

Kapitel 17:

Liebe und Tod: Fluchtpläne und Selbstzerstörungsgedanken

Kapitel 18:

Intermezzo am Wannsee und im Volkspark Friedrichshain

Kapitel 19:

Neuanfang? - Die Weltfriedenskonferenz

Kapitel 20:

Flucht ins Ungewisse

Kapitel 21:

Metamorphose

Kapitel 22:

Heli und Waldemar in Amerika

Kapitel 23:

Marions Rache

Kapitel 24:

Die Rückkehr des „Weltpräsidentenpaares“ nach Nordberlin – Deutschlands zweite Teilung

.

Kapitel 25:

Der Alien hat das letzte Wort

17. Kapitel (Fortsetzung vom I. Teil –„ Heliopolis“- ): Liebe und Tod: Fluchtpläne und Selbstzerstörungsgedanken

Unbeteiligte Menschen gingen an ihnen vorbei, die keine Notiz von ihnen nahmen. Aber kaum einer schaute richtig fröhlich drein, ausgenommen die herumspielenden Kinder im Park. Heli seufzte tief. Ihre Augen füllten sich abermals mit Tränen, denn ihr war gerade ein neuer, trauriger Gedankengang durch den Kopf gegangen.

„Woran denkst du gerade, Heli?“ fragte Koslowski mitfühlend und ergriff ihre Hand.

„An die kleine Heidrun von Reitzenstein“, sagte sie trauervoll.

„Bevor wir uns umbringen, hätte ich doch wenigstens gern noch mal ihr Grab besuchen wollen ... Mich ergreift es mit wilder Wehmut, Waldemar, wenn ich daran denke, dass ich das jetzt nicht mehr schaffe, denn die Zeit ist uns davongelaufen“, sagte sie traurig und wischte sich die Tränen fort.

„Ob ich neben Heidrun meine ewige Ruhe finden darf, was meinst du?“ fragte Heli schluchzend.

„Ja, das wäre schön, das hätte viel symbolischen Wert“, sagte Waldemar halb abwesend.

„Oh, wenn ich doch dann wenigstens noch einmal ein Bild von Heidrun sehen könnte, nur so zum Abschied“, meinte sie sehnsuchtsvoll.

„Warte“, sagte Waldemar und griff in seine Brusttasche.

Er holte eine ganze Bildreihe mit Aufnahmen von Heidrun von Reitzenstein hervor, die man aufblättern konnte wie einen altmodischen Taschenkinematografen. Heli stieß einen schrillen Freudenschrei aus. Hastig ging sie alle Bilder durch.

„Wahnsinn, schau doch mal, Liebling“, sagte sie und hielt bei einem Foto an, „hier auf diesem Bild sieht mir Heidrun tatsächlich besonders ähnlich, aber auf diesem dort dagegen fast überhaupt nicht“, sagte sie ergriffen.

Waldemar verglich die beiden Aufnahmen miteinander und sagte:

„Ja, du hast Recht damit ... Weißt du, es kommt dabei immer auf den Blickwinkel des Betrachters an, ob dir Heidrun ähnlich sieht oder nicht“, sagte er.

„Damals im Volkspark Friedrichshain, als Heidrun direkt neben mir stand, da war auch ich tatsächlich einen Moment lang starr vor Staunen, weil ich glaubte, ein getreues Ebenbild von dir vor Augen zu haben, doch als sie dann den Kopf etwas gedreht hatte, und ich Heidrun im Halb-Profil sah, da stellte ich plötzlich verblüfft fest, dass die Ähnlichkeit mit dir nahezu verschwunden war“, sagte Koslowski lächelnd.

„Ich war damals selbst so überrascht“, gestand er.

„Aber das ist ein ganz gängiges Phänomen, sowas passiert oft“, sagte er zur Erklärung.

„Ja, da hast du Recht, dasselbe Phänomen ist mir tatsächlich auch untergekommen, als mir Gorsky die Filmaufnahmen von Heidruns Tod vorgeführt hat“, sagte Heli bestätigend, „einen Augenblick lang glaubte ich wirklich, ich sähe mich selbst im Bild, dann wieder wirkte Heidrun wie eine Fremde, eine ganz Andere auf mich“, sagte sie.

„Was denn, dieses Monster Gorsky hat es gewagt, dich mit diesen Bildern zu quälen?“ fragte Koslowski mit aufbrausendem Temperament.

Doch Heli dämpfte gleich wieder seinen Unmut und Zorn mit der sanft in ihr Gemüt gelegten Versicherung: „Aber nein, da tust du ihm Unrecht, Waldemar, ich war es selber, die ihn ausdrücklich darum gebeten hat, mir das Filmmaterial zu zeigen“, gestand Heli hastig.

„Du meine Güte, wie konnte dieses Ungeheuer da zustimmen, bei deinem labilen Zustand“, wetterte Koslowski böse.

„Lass ihn, bald kann er uns nichts mehr tun“, sagte sie sanft, „nach unserem Tod hat er keine Macht mehr über uns“, sagte sie besänftigend und griff nach seiner Hand.

„Übrigens, wusstest du, Liebling, dass eine alte orientalische Legende behauptet, dass nach dem Tod deines Doppelgängers auch dein eigenes Leben bald zuende sein wird?“ fragte Heli mit widernatürlich gehobener Stimmung.

„Das sind doch alles nur unsinnige Märchen“, widersprach Waldemar heftig.

„Außerdem war Heidrun von Reitzenstein mitnichten deine „Doppelgängerin“, wie wir ja gerade festgestellt haben“, schärfte er ihr drastisch ein.

„Glaubst du? - Wie wollen wir vorgehen bei unserem Plan?“ fragte sie unvermittelt.

„Schön altmodisch mit Dolchen, vielleicht echten Stiletten?“ fragte sie begeistert.

„Eine originelle Lösung“, sagte Koslowski, der sich gegen seinen Willen immer tiefer in den fieberhaften, morbiden Todesrausch von Herlinde Kopter hineinziehen ließ wie in einen tödlichen Reigen aus bösen Träumen, ohne das bewusst wahrzunehmen.

„Eventuell gleich hier auf der schönen Blumenwiese, unter den Augen der entsetzten Öffentlichkeit?“ fragte Heli mit hysterischem Gelächter.

Waldemar Koslowskis Augen waren tranceartig verbrämt. Fahrig verdrehte Heli ihren schlanken Körper sitzend und tastend in alle Richtungen, ließ den weizenblonden Haarstrom im leichten Wind fließen.

„Hey, hört ihr mich, Gunnar, A.D. und Co.?“ rief sie unbeherrscht in alle Richtungen, mit lauter Stimme.

„Ihr sollt es alle sehen, wir selbst entscheiden über unser Leben, ob wir leben oder sterben wollen“, schrie Heli in die Natur hinaus.

Koslowski blieb wie in Hypnose unbeweglich im Gras sitzen, während ein paar Spaziergänger peinlich berührt mit scheuem Seitenblick zu Herlindes Spektakel hinübersahen, aber sofort wieder ihres Weges zogen, ohne irgendwelche Bemerkungen zu machen oder gar einzugreifen.

Sie erreichte damit nur, dass sich alle Leute schleunigst aus ihrer Reichweite begaben, weil sie auf keinen Fall auffallen wollten. Im Nu waren Heli und Waldemar alleinige Beherrscher der Wiese.

Heli schien das zu gefallen, denn sie sagte befriedigt: „So, endlich sind wir allein in unserem Paradies“.

Sie sah sich um in ihrem persönlichen Garten Eden.

„Das ist also das Letzte, was wir in unserem kurzen Leben zu sehen bekommen, eine Blumenwiese im ausgehenden Mai, sehr schön“, kommentierte Heli trocken, aber glücklich.

„Also, her mit den Messern“, sagte sie lächelnd.

„Aber wir haben hier doch gar keine Messer“, bemerkte Waldemar traurig.

„Die müssen wir doch erst kaufen gehen!“

Da kicherte Heli verlegen und sagte: „Ach ja, natürlich, wie dumm von mir!“ Niedergeschlagen und übermüdet saß Waldemar im Gras, während Heli immer übermütiger wurde. Sie erhob sich ruckartig und zerrte an Waldemars Handgelenk.

„Dann müssen wir eben doch sofort nach Gauditania aufbrechen“, bestimmte sie entschieden.

„Dort besteigen wir das Riesenrad und stürzen uns dann in die Tiefe, wenn unsere Gondel den höchsten Punkt erreicht hat“, schlug sie vor, „dazu brauchen wir keine Messer“, ergänzte sie einfallsreich und zog Koslowski närrisch mit sich fort, fast schon in ausgelassener Karnevalsstimmung.

Sie begann schon eifrig, vorauszulaufen, als ihr Geliebter ihr nachrief: „Warte doch auf mich, Heli! ...“

Auch er setzte sich eilig in Bewegung, so als gelte es, die Chance seines Lebens zu nutzen.

Sofort ertönte ein lautes Knacken aus dem nächsten, weit entfernten Gebüsch.

„Alarm! Alarm!“ hörte man laute, gehetzte Stimmen rufen.

„Das reicht jetzt, wir haben genug gehört, setzt ihnen nach, Leute, dalli, dalli, fangt sie ein“, gab Gunnar Trunkboldsson den Befehl an alle heraus.

Eine dunkel gekleidete Meute sprang aus der Deckung hervor und setzte sich in Bewegung. Aus allen Büschen strömten sie und begannen, Heli und Waldemar ringförmig einzukreisen.

„Gebt sofort über Globalfunk den Befehl, den Park hermetisch abzuriegeln“, befahl Gunnar seiner Treibjagdmeute.

„Sie wollen zum Riesenrad, das muss unter allen Umständen verhindert werden, klar?“ schrie Trunkboldsson während des Laufens.

„Jawohl Chef, wir werden es sofort abstellen lassen“, rief einer seiner Männer.

Heli und Waldemar liefen im Zickzackkurs, um den überall auftauchenden Häschern auszuweichen. Schließlich blieben die beiden kurz stehen, weil sie sich schon umzingelt wähnten. Unbehaglich klammerte sich Heli an ihren Beschützer, und sagte, mit Blick auf die schwarze Overall-Meute: „Schnell, ich sehe da noch so etwas wie eine Lücke, Waldemar! ... Beeilen wir uns, wir müssen unbedingt nach Gauditania, das Riesenrad muss alles entscheiden; wir sind nur noch einen Katzensprung vom Eingang des Parks entfernt“, rief die besessene Blonde keuchend und zog Waldemar wieder mit sich fort.

Sie liefen in Richtung des Parks und die schwarze Meute folgte ihnen wie eine Riesenspinne mit ruckartigen, abgehackten Bewegungsmustern flink nach.

„Halt, stehenbleiben, ihr habt keine Chance!“ rief ihnen Annamaria giftig nach.

Im Augenblick war die Schweizerin noch an der Spitze des Verfolger-Pelotons, aber das änderte sich schon ein paar Sekunden später schlagartig, weil sie als Einzige ein weites, helles, flatterndes Sommerkleid trug, das sie arg in ihren schnellen Schritten behinderte, denn sie musste andauernd den Saum mit den Fingern hochhalten, um nicht auf die Nase zu fallen. A.D. hatte nämlich von ihrem Geliebten, Gunnar Trunkboldsson den Befehl erhalten, sich als unverfängliche Touristin unter das Volk zu mischen, um Heli und Waldemar besser bespitzeln zu können, und das rächte sich jetzt. Schon war sie die Letzte im munteren, allgemeinen Verfolgungslauf und fluchte leise darüber.

„Haltet sie doch auf, so tut doch was!“ brüllte A.D., und plumps!

Im nächsten Augenblick war sie schon gestolpert und kopfüber ins Gras gefallen, worüber sie noch wesentlich lauter fluchte als zuvor.

„Du Hornochse, Gunnar!“ rief sie ihm hitzig nach, „das kommt dabei heraus, dass ich auf deinen blöden Einfall gehört habe, ein Kleid anzuziehen, damit ich in der Masse nicht so leicht von Heli und Waldemar entdeckt werde; na warte, du schwedischer Eisblock, ich werde an deine Ratschläge denken, du mentales Nullwachstum! ... Was nützt es mir jetzt, dass ich Schweizer Meisterin im Kurz-Marathonlauf-Sprint bin“, schrie sie unbeherrscht und bearbeitete das Gras mit ihren Fäusten.

Doch Gunnar war bereits so weit vorausgeeilt, dass er sie kaum hören konnte.

Inzwischen war es Heli und Waldemar gelungen, ihren nachsetzenden Verfolgern immer geschickter auszuweichen; sie liefen wie der Blitz. Hätten sie die Zeit gehabt, sich kurz nach A.D. umzudrehen, und gesehen, dass sie wie ein Maikäfer im Gras zappelte, dann hätten die beiden einen Lachanfall bekommen.

„Da ist schon der Eingang! ... Da! Gaudi ... tania!“ rief Heli außer Atem und Waldemar staunte, wie sie laufen konnte.

„Komm schnell, wir schaffen es!“ rief sie keuchend.

Ein Mann griff nach Koslowski, doch er stieß ihn geschickt weg. Schon hörten sie die Geräusche der Karussells und die typische Jahrmarktsmusik.

„Lasst sie nicht durch, und haltet mir ja das Riesenrad an“, rief Gunnar besorgt, der dicht hinter dem sprintenden Pärchen rannte.

Seine Worte waren an die vier grimmigen Parkwächter gerichtet, die sofort verbissen Aufstellung vor dem Eingang des Vergnügungsparks nahmen und warnend ihre Laserknüppel kreuzten. Heli kämpfte bereits mit dem ersten Wachtposten, als Waldemar mutlos stehenblieb.

„Oh, nein, Heli, es ist zu spät --- da kommen wir nicht mehr durch, komm, wir laufen zurück“, rief er ihr heiser zu.

Gunnar hatte Waldemar fast eingeholt und schleuderte seinen Laserknüppel nach ihm, doch Koslowski duckte sich, und das Geschoss flog in hohem Bogen über ihn hinweg und traf den Wachtposten, mit dem Heli rang, am Kopf. Eine elektrische Ladung entlud sich zischend und sprang auf alle anderen Wächter über. Mit einem Aufschrei stoben sie auseinander und wurden zur Seite gerissen, fielen schließlich in sich zusammen, und rissen Heli in ihrem Sturz mit sich. Sie rappelte sich auf und drehte sich sofort nach Waldemar um, der von Gunnar angegriffen und von ihm in den Schwitzkasten genommen wurde. Sie lief auf die beiden zu und bearbeitete Gunnar zähnefletschend mit ihren Stiefeln.

Der Schwede schrie laut auf und ließ von Waldemar ab.

Hastig zog sie ihren Geliebten durch das Tor und schärfte ihm, völlig zerzaust ein: „Komm jetzt, da, schau nur: Das Riesenrad dreht sich noch, noch ist es nicht zu spät, aufzuspringen! ... Los, nicht so lahm, Waldemar, komm, das entscheidende Vergnügen wartet dort oben auf uns“, sagte sie und zeigte auf den rotierenden Koloss.

Gunnar war auch hingefallen und fläzte sich im Gras.

A.D. hatte sich wieder aufgerappelt und riss wütend an ihrem ungewohnten Kleid.

„So eine Schande“, klagte sie laut und lief ungeschickt weiter, so schnell sie konnte.

„Die schnellste Frau von ganz Deutschland ist Letzte geworden im großen Verfolgungssprint, das muss mir passieren, ausgerechnet mir!!! ...“

Sie fluchte wieder.

„Oh, wenn das morgen im Sender „Neues Berlin“ kommt, nicht auszudenken, diese Blamage! ...“

Denn Annamaria Dappermann hatte zu ihrem Schrecken zahlreiche Berliner Bürger entdeckt, die sie die ganze Zeit über gefilmt hatten!

Das Riesenrad!

Gigantisch ragte der Koloss in den Himmel: --- 70 Meter hoch! Die Aussichtswagen waren noch munter in Bewegung, einige Passagiere kreischten vor Vergnügen.

Heli und Waldemar standen direkt davor. Plötzlich waren sie für einen Moment unschlüssig geworden. Gunnar war weitergelaufen und auch Annamaria kam langsam voran.

„Also los --- keiner sieht zu uns hin“, sagte Heli entschlossen.

„Die Gelegenheit ist günstig wie nie“, sagte sie schnaufend und sprang mit einem gewaltigen Satz über die Absperrung.

Waldemar folgte ihr mit einem unsichereren Sprung nach, schaffte es aber gerade noch, es ihr gleichzutun. Beide erwischten sie dieselbe rotierende Gondel, in die sie hineinsprangen. Der Mann, der den Mechanismus überwachte, protestierte heftig. Heli und Waldemar achteten nicht auf ihn und wurden steil in die Höhe gezogen. Da ertönte eine scheppernde Lautsprecherdurchsage:

„Achtung, Achtung! Hier spricht die Parkaufsicht von Gauditania! Der Mechanismus des Riesenrades ist sofort zu stoppen, der Betrieb ist umgehend einzustellen, auf Befehl der Reichsregierung! ... Alle Passagiere bitte sofort und zügig aussteigen, ich wiederhole ...“

Gunnar und Annamaria waren gerade im Inneren des Vergnügungsparks eingetroffen und stürmten japsend zum Riesenrad, das immer noch in Betrieb war.

„Lang lebe unser großer Führer Gorsky“, schloss die Lautsprecherdurchsage.

Das schwedisch-schweizerische Geheimdienstpärchen gesellte sich hektisch zu seiner Polizeitruppe, die einen Belagerungsring um das Riesenrad schloss.

„Zu spät, die beiden sind schon oben, da, sehen Sie“, sagte der Mechaniker des Riesenrades zu Gunnar Trunkboldsson und zeigte mit dem Finger auf die Gondel mit Heli und Waldemar, die soeben den Scheitelpunkt erreichte.

A.D. blickte starr nach oben, dann sah sie finster den glotzenden Mechaniker an, der das Rad am Leben hielt und rügte ihn scharf:

„Ja, wird´s jetzt bald, Mann, stellen Sie endlich den verdammten Kasten ab! ...

Was glotzen Sie mich denn so an? Haben Sie noch nie eine Frau in Uniform gesehen?“ fragte sie sarkastisch.

Der Mann war von A.D.s Kleid verwirrt, dessen Existenz die Schweizerin in der Aufregung offenbar vergessen hatte, aber noch mehr von dem Umstand, dass eine Frau, die so etwas trug, ihm Befehle zu erteilen wagte. Heli kreischte in großer Höhe und hielt sich an einer Gondelstrebe fest. Die Laserblitze zuckten hin und her und tauchten das gesamte Riesenrad in ein bunt schimmerndes Geflecht reflektierender, sich kreuzender Farbenstrahlen. Gunnar Trunkboldsson sprang vor den Mechaniker und zückte grimmig seinen Dienstausweis.

„Geheimpolizei, haben Sie nicht gehört? Mechanismus sofort abstellen, klar, Mann?“

Der Mechaniker gehorchte.

Das bunte Laserspektakel erlosch schlagartig, alle Aussichtswagen und Gondeln blieben stehen. Heli kreischte und drohte umzufallen, da fing sie Koslowski in seinen Armen auf und schaute nach unten.

„Sieh mal, Heli, dort unten: Ist das wirklich Annamaria Dappermann? In einem Kleid?“ fragte er erstaunt und lachte.

Die Gondel ruckelte leicht hin und her.

Heli schaute taumelnd nach unten.

„Wieso haben wir denn angehalten?“ fragte sie erstaunt.

„Kommt sofort runter, hört ihr?“ rief die Schweizerin mit einem Lautsprecher hinauf.

„Ja, denn ihr seid verhaftet!“ ergänzte Gunnar.

„Ja, tatsächlich, das ist wirklich A.D.“, sagte Heli lachend.

„Sieht die ulkig aus in diesem Fetzen, nicht zu glauben! Was ist denn in die gefahren? Wollte sie sich extra für uns beide hübsch machen? ...“

Koslowski schüttelte den Kopf und sagte trocken:

„Ja, da unten warten tatsächlich Bonnie und Clyde auf uns, Bonnie und ihr Kleid“, sagte Waldemar juxend.

„Werdet ihr wohl gehorchen und schön artig runterkommen?“ wiederholte Gunnar drohend.

„Wie denn, ihr Komiker, wir sitzen ja hier oben fest“, rief Koslowski nach unten.

„Sollen wir vielleicht zu euch herunterfliegen?“ fragte Waldemar grinsend.

„Ätsch, uns kriegt ihr nicht“, rief Heli zu ihnen hinab, dann sagte sie entschlossen zu Waldemar: „Komm, Waldemar, Liebling, es ist Zeit für uns, jetzt abzuspringen; machen wir der Misere ein Ende und steigen aus“, sagte Heli und ergriff sein Handgelenk.

Fotoapparate klickten reihenweise, aus den benachbarten Gondeln und von unten. Ebenso surrten eifrig die Videokameras von allerorten.

„Das sind ja Waldemar Koslowski und diese Frau mit dem komischen Namen, Herlinde Kopfsteinpflaster, seine Resozialisierungsgefährtin“, rief jemand aus der benachbarten Gondel.

„Unser Weltpräsident, tatsächlich, das ist er“, erscholl es von anderer Seite. A.D. sah mit Entsetzen, dass Heli Anstalten machte, die Gondel springend zu verlassen.

„Nein, bleibt oben, springt nicht“, flehte die Schweizerin hinauf.

„Wir lassen euch gleich runterholen, habt einen Augenblick Geduld, kein Grund zur Panik“, schrie jetzt auch Gunnar besorgt zu Heli und Waldemar hinauf.

„Ja, ihr müsst unversehrt bleiben, wir brauchen euch doch für morgen Abend bei dem internationalen Politikerempfang“, rief A.D. hinauf, „habt ihr das etwa vergessen? Das Schicksal von ganz Europa hängt von eurer Unversehrtheit ab, und von eurer Anwesenheit morgen in der Großen Halle des Volkes“, ergänzte sie.

„Los, Leute, alles aufnehmen, die Gelegenheit ist einmalig“, sagte ein Regisseur von einem hastig improvisierten Fernsehteam, und die Kameraleute machten sich fieberhaft an die Arbeit.

„Tragisch ist das, meinst du wohl“, sagte ein Mann mit einer Handkamera, „denn unser Weltpräsidentenpaar will sich umbringen!“

Gunnar war außer sich vor Wut. Entnervt fauchte er den Mechaniker an.

„Na los, Sie Armleuchter, holen Sie die beiden endlich runter, worauf warten Sie noch: Schalten Sie den Mechanismus wieder ein, dalli, dalli, wird´s bald!“ Erschrocken machte sich der Gescholtene ans Werk.

„Aber dann ganz langsam ablaufen lassen, geringste Umdrehungsstufe, in Zeitlupe rotieren lassen, damit uns die beiden nicht wieder entwischen, damit wir sie sicher aus der Gondel herausholen können, wenn sie am Boden ankommen, verstanden?“, bellte Gunnar.

„Oh, ja, natürlich, Herr Inspektor, einen Augenblick! ...“

Hastig bediente er die Hebel und Knöpfe, aber - nichts!

Es klappte nicht.

„Aber warum wollen sich die beiden umbringen?“ fragte jemand entsetzt.

„Wo sie doch solch eine Vorzugsstellung bei uns haben!“

Die stetig anwachsende Meute hielt jetzt sensationsgierig von unten all die Tragik und Dramatik mit ihren Aufnahmegeräten in Wort und Bild fest.

„Da, die Blonde, das ist Hermine Kopta“, sagte jemand.

„Springt bitte nicht! Heli, ich appelliere an dich, im Namen unserer ehemaligen Freundschaft“, flehte jetzt A.D. zuckersüß nach oben, wo Heli bereits ein Bein über die Brüstung der Gondel geschwungen hatte.

„Das kannst du mir, uns und Berlin nicht antun! Bitte, steig wieder in die Gondel zurück, denkt daran, ihr habt doch auch eine Art von moralischer Verpflichtung eurem Volk gegenüber“, sagte die Schweizerin zitternd.

Außer sich vor Wut und heller Empörung, schrie Heli, die tatsächlich schon auf dem Gondelrand kauerte, nach unten:

„Das könnte dir so passen, mich mit solch einem verlogenen Sermon einzuseifen, du falsche Natter“, zischte sie indigniert, „du hast doch in deinem gesamten, verkorksten Schlangenleben noch nie an einen anderen Menschen gedacht, als an dich selbst“, schimpfte sie.

„Komm, Waldemar, wir springen jetzt, gib mir deine Hand“, befahl sie.

„Nein!“ rief da das verängstigte Volk wie aus einer Kehle, „springt nicht runter, bitte nicht, liebe Heli, lieber Waldemar, wir lieben euch doch alle“, ging ein Aufschrei der kollektiven Panik durch die Menge, und eine Woge des Mitgefühls erhob sich wie ein Sturm.

„Hoch sollen sie leben, unsere beiden Helden, Heli und Waldemar, unser allseits geschätztes Präsidentenpaar. Es lebe hoch, hoch, hoch!“ skandierte die Menge.

„Ja, rettet unsere Helden, unser Traumpaar“, schrien alle durcheinander.

„Was ist denn mit der Mechanik los, wieso kriegen Sie das Rad nicht mehr in Bewegung, das ist ja Sabotage, was Sie da treiben, Mann“, tobte Gunnar hysterisch und packte den unglücklichen Mechaniker am Kragen.

„Sie holen jetzt die beiden sofort da runter, das ist ein Befehl, klar? Sonst lasse ich Kleinholz aus Ihnen machen!“

„Ich tu´ ja, was ich kann, Chef, aber es geht einfach nicht, die Mechanik ist blockiert“, sagte der Mann mit jammervoller Leidensmiene.

„Nicht springen, nicht springen, nicht springen“, skandierte das Volk mit flehenden Gebärden.

„Tu´s nicht, Heli, meine beste Freundin, ich bitte dich“, flehte auch A.D. weiter hinauf.

Herlinde lachte dunkel und verächtlich auf sie hinab.

„Annamaria“, hörte die Schweizerin unvermutet jemanden hinter sich ihren Namen rufen.

Verblüfft drehte sie sich um: Es war Manfred Kalinsky, der da angelaufen kam und sich in den Pulk der Gaffenden einreihte. Annamaria wollte ihren Augen nicht recht trauen, aber es war wirklich der ehemalige Hauptkoordinator von Berlin, und ihr Ex-Freund, der neben ihr stand.

„Ja, was will denn dieser Trottel hier, du fehlst uns gerade noch zu unserem Glück“, fauchte A.D. böse.

Kalinsky drängte die Wachen mühelos beiseite und umschloss die Schweizerin mit seinen starken Armen. Indigniert versuchte sich die Agentin freizumachen.

„Annamaria, es ist noch nicht zu spät für uns“, sagte er voller zärtlicher Naivität und erotischer Verblendung.

„Ja, sag´ mal: Bist du jetzt völlig übergeschnappt, du ... Politclown? Checkst du denn rein gar nicht, was hier los ist?“ fragte sie fassungslos und forderte ihn auf, nach oben zu schauen.

Doch Kalinsky sah nur in ihre grünen Augen, in völliger Verkennung der katastrophalen Tatsachen – völlig losgelöst von allen irdischen Dingen; so sehr war er gefangen in seinem Liebeswahn.

„Wie bist du überhaupt bis hierher gekommen?“ fragte sie verwundert und versuchte mit aller Kraft, ihn abzuschütteln.

„Lass mich doch los, du blöder Klammeraffe! ...“

Kalinsky lächelte.

„Ganz einfach, ich bin meinen Bewachern entwischt, sie taugen nicht viel“, sagte er versonnen und närrisch verliebt.

Heli indessen zerrte oben in ihrer Gondel mit beiden Händen verbissen an der Kleidung des aufsässigen, bockigen Koslowski, der sich mit einem Arm an einer Strebe verklammert hatte.

„Sag mal, du Konterrevolutionär, sehe ich das richtig, dass du plötzlich einknicken willst vor der großen Bewährungsprobe? Wirst du dich nun endlich entscheiden, mit mir da runterzuspringen?“ fragte sie verärgert.

Widerwillig lehnte er sich ganz vorsichtig etwas weiter über die Brüstung, achtete aber sorgsam darauf, die Strebe fest umklammert zu halten; er erschauderte vor der Tiefe des Todes und wich zurück.

„Nein, zu gefährlich“, sagte er zähneklappernd.

„Waldemar!“ rief Heli entrüstet und verständnislos aus.

„Da kann man sich ja alle Knochen brechen, oder noch schlimmer!“ sagte Waldemar und wich noch weiter zurück.

„Du wirst doch jetzt nicht etwa im letzten Augenblick noch kneifen, du ... du alter ... Angsthase!“ rief sie maßlos enttäuscht aus.

Immer zahlreicher wurde die Menge, die im Chor zu ihnen emporrief, sie sollten auf keinen Fall springen. Dazu führten sie hastig alle möglichen Gründe an, triftige, vernünftige, bis kuriose.

Dies war für den konsternierten Waldemar Koslowski ein überaus erfreuliches Ereignis, das ihm immer mehr Behagen einflößte. Daher sagte er nun eindringlich zu Heli: „Aber sag´ doch mal ehrlich: Wieso sollen wir uns eigentlich in den Tod stürzen, wo uns doch alle Menschen so sehr lieben und verehren? Da, du hörst es doch, wie entsetzt sie alle über unser fatales Vorhaben sind“, warf er ihr empört vor.

„Aber was sagst du da nur, Wal ...“

Er schüttelte sie heftig durch, aber erst, nachdem er sie wieder behutsam in die Gondel hineingezogen hatte:

„Heli, komm zu dir, was du da vorhast, ist einfach Wahnsinn, sieh´ das doch ein! ... Du hast mich vorhin mit deinen verrückten Selbstmordplänen regelrecht verhext, aber nun sehe ich zum Glück wieder klarer!“

Sie wehrte ihn unwirsch ab.

„Nein, komm du lieber zu dir“, forderte sie ihn wütend auf.

„Du wirst dich doch nicht blenden lassen von diesem billigen Zauber da unten, das ist alles ein einziges Machwerk, die Leute sind doch lediglich aufgepeitscht worden von der Propagandamaschinerie Gorskys, bestimmt haben sie Geld oder andere Vergünstigungen dafür bekommen, dass sie sich derart hirnlos ihre Psyche weichprügeln ließen! Die dumme Masse weiß doch gar nicht, was sie tut, die Leute sind ja gar nicht mehr bei Sinnen, fall´ doch bloß nicht rein auf dieses Gaukelbild“, wies sie ihn aufgebracht zurecht.

„Und die andere Hälfte der Fanatiker besteht eh´ nur aus Gorskys Agenten, Spitzeln und Provokateuren“, behauptete Heli schroff.

„Ach was, du spinnst ja“, sagte er aufbrausend, und zog sie zurück, als sie wieder zum Sprung nach unten ansetzte.

Das Volk bemerkte es und quittierte das Vorhaben mit schrillen Schreien.

„Außerdem will ich jetzt eigentlich doch viel lieber endlich dahinterkommen, ob dieser ganze, verdammte „Gewissens-Computer“ nicht doch nur ein dreistes, gigantisches Flunkerstück ist“, rief Koslowski lebhaft Heli zu, die er gut festhielt.

„Vor allem, wo ich ihn jetzt endlich zu Gesicht bekommen habe“, ergänzte Waldemar schwärmerisch.

„Was hast du?“, rief Heli überrascht und sah ihn an.

„Das „Gewissen“ habe ich endlich gesehen, jawohl!!! Was sagst du nun, Fischmund?“

„Unmöglich, das kann nicht sein!“, kreischte Heli und riss ihren Arm los.

„Du lügst!“

„Nein, es ist wahr, Heli, ich habe die riesige Computeranlage im Kellergeschoss der Allround-Corporation mit eigenen Augen gesehen!“, bekräftigte er und sah Heli triumphierend an.

„Du Lügner, das ist gar nicht möglich, dazu hattest du bisher gar keine Gelegenheit, ich glaube dir nicht, das sagst du nur, weil du plötzlich nicht mehr springen willst!“

„Nein, Heli, ich war da!“

„Wann denn?“

„Als du in Gorskys Privatsuite deinen Rausch ausschliefst, nachdem der Schnauzbart dich hypnotisiert hatte“, sagte Waldemar wahrheitsgemäß.

„Da hat mich Gorsky auf meine eigene Bitte hin ins Kellergeschoss zum Gewissen geführt und mir den riesigen Komplex gezeigt“, insistierte er.

„Was sagst du? Gorsky soll mich hypnotisiert haben? Niemals! Was für einen Quatsch willst du mir da wieder einreden, du Weichei?“, schimpfte sie ihn aus.

„Das kann er doch gar nicht!“

Koslowski seufzte.

„Du erinnerst dich nicht daran, nicht wahr? – Natürlich nicht!“, sagte er schicksalsergeben.

„Wie solltest du das auch ...“

„Außerdem ist es doch völlig unerheblich, wenn da in Berlin-Mitte wirklich noch so ein Flunkerstück herumsteht, wie du das nennst“, sagte Heli mit genervter Stimme.

„Bestimmt ist das auch wieder so ein Schwindelapparat, wie wir schon einen in der Eifel miterlebt haben“, ergänzte sie ärgerlich.

„Darum geht es doch jetzt überhaupt nicht, Herlinde! Natürlich will ich jetzt erst recht nochmal ins Kellergeschoss der Allround-Corporation eindringen, diesmal aber heimlich, um das „Gewissen“ auf seine Echtheit zu prüfen“, raunte Waldemar.

„Doch es spielt im Grunde überhaupt keine Rolle mehr, ob irgendeiner dieser Apparate echt ist oder eine Attrappe, denn: Gerade jetzt müssen wir es überall glaubhaft in die Welt hinausposaunen, das „Gewissen“ sei auf alle Fälle ein Schwindelkasten, und auch die anderen Apparate wie der in der Eifel! Auch, wenn das nicht stimmen sollte: Allein schon, weil sonst noch andere Diktatoren neben Gerold von Reitzenstein behaupten werden, zum Beispiel Gorsky, das „Gewissen“ habe ihn als rechtmäßigen Weltpräsidenten ausgewählt. Und mit dieser Wahlfälschungs-Lüge wird er seinen Herrschaftsanspruch beim Volk zu legitimieren versuchen! - Daher müssen wir die Weltbevölkerung endlich von diesem Computerwahnsinn heilen, verstehst du das? Wir haben also noch eine Aufgabe zu erfüllen, du Selbstmord-Fischmund!! Wir müssen den Berliner Computer diskreditieren, ja mehr noch: Das nächste Mal will ich das „Gewissen“ in die Luft jagen!“

„Ja, ja, ja, aber was geht uns das alles eigentlich an?“, fragte Heli mit hysterischem Klageton.

„Das wird mir allmählich alles viel zu kompliziert, Waldo! ... Und was können wir zwei arme, kleine, gehetzte Menschen schon tun gegen diesen grassierenden Computerwahnsinn, und wer die Allmacht der Macht hat? Der Mensch oder die Computer? Soll das doch ein anderer herausfinden als wir, der stärkere Nerven hat als wir! Verstehst du, vor diesem Rausch der Macht und vor diesem Irrsinn unserer völligen physischen und psychischen Vereinnahmung wollten wir doch fliehen, alles hinter uns lassen, endlich Schluss machen mit unserem nutzlosen Leben!“, klagte sich Heli heulend aus und sank auf den Gondelboden.

„Aber uns selber zu töten, ist auch keine Lösung, das musst du doch einsehen“, sagte Waldemar mit unmittelbarer Härte auf Heli hinunter.

„Ach!! - Entweder wir suhlen uns weiterhin behaglich in Gorskys Hätschel-Kurs, oder wir werden rebellische Revolutionäre, die die Welt umkrempeln und von einem Land in das andere gejagt werden, das meinst du doch? - Nein, danke!“, kreischte Heli.

„Ganz egal, was auch immer du getan hast, ich werde dich wieder auf den rechten Weg führen“, sagte Kalinsky inzwischen vehement zu A.D. und küsste sie feurig, was ihm nur mit großer Gewaltanwendung gelang.

Da gelang es der Schweizerin endlich, sich von ihm loszureißen, und sie verpasste ihm viele schallende Ohrfeigen. Das endlich hatte zumindest einen wünschenswerten Effekt bei dem liebestollen Ex-Koordinator zur Folge, nämlich diesen, dass er wieder normal wurde. Verwirrt schaute er sich um und richtete endlich den Blick auf das Riesenrad.

„Ja, sag´ mal: Was für ein Volksfest veranstaltet ihr denn hier eigentlich? Und ich glaube, ich träume! Mein liebes Funkenmariechen! – Annamariechen, wollte ich sagen, hahaha!“

Er schaute wieder zu ihr hin.

Da fiel Kalinsky wieder in sein Wunschdenken zurück!

„Trägst du wirklich ein Kleid?“ fragte er verwundert und rieb sich die Wange.

„Ah, ich sehe, du hast dich extra für mich schöngemacht, zu unserer Versöhnung“, fantasierte sich Kalinsky die Lage schönfärberisch zurecht, indem er sich die triste, graue Wirklichkeit schönzureden versuchte.

„Lass jetzt diesen Blödsinn, du dickschädeliger Polen-Verschnitt und hilf mir lieber, die beiden Unruhestifter von da oben herunterzuholen“, sagte sie indigniert und rief zu Koslowski hinauf.

„Bravo, Waldemar, so ist es gut, halten Sie sie unbedingt zurück, bis wir kommen“, sagte sie, und ehe Kalinsky kapiert hatte, was los war, riss A.D. ihren Freund Gunnar aus seiner dumpfen Starrheit, indem sie sich bei ihm erkundigte, warum der Riesenrad-Mechanismus immer noch nicht funktionierte. Als er bedauernd die Achseln zuckte, gab ihm A.D. einen Stoß in die Rippen.

„Komm, Gunnar, wir nehmen die Sache selbst in die Hand“, schlug sie burschikos vor.

„Wir klettern jetzt da hoch und bändigen die beiden zumindest so lange, bis der Mechanismus wieder läuft“, sagte sie beherzt.

„Wir müssen Waldemar zu Hilfe eilen, damit Heli nicht doch noch allein herausspringt aus der Gondel; ewig wird er sie nicht mehr zurückhalten können, so wie sie sich gebärdet!“, sagte A.D. alarmiert.

„Achtung, Achtung, liebe Parkbesucher, bitte räumen Sie umgehend das Gelände“, ertönte eine Lautsprecherdurchsage.

Niemand achtete darauf.

„Was, da hochklettern sollen wir, das ist doch nicht dein Ernst?“ fragte Gunnar verblüfft.

„Das ist doch nicht praktikabel ...“

A.D. schnaubte laut und verächtlich.

„Ja, hast du denn vergessen, dass wir beide mal Hochseilartisten waren und jahrelang in einem Zirkus gearbeitet haben, bevor wir Agenten bei Gorsky in der Allround-Corporation wurden?“ fragte sie kopfschüttelnd.

„Wir sind doch auch einmal ausgezeichnete Kletterspezialisten gewesen, das hier ist doch für uns eine Kleinigkeit! - Also komm schon, hilf mir rauf, denn Gorsky macht uns morgen Abend zur Sau, wenn unserem Präsidentenpaar etwas passiert; und es sieht augenblicklich leider ganz danach aus, dass diese verrückte, lebensmüde Blonde da oben doch noch herunterspringt, und dann folgt ihr dieser behämmerte Koslowski womöglich doch noch freiwillig nach;

--- also dalli, hilf mir endlich“, drängte sie ihn.

„Da hoch?“ sagte er noch einmal, zweifelnd.

„Wohin denn sonst?“ fauchte A.D.

„Oder möchtest du lieber gleich in die andere Richtung? - Im Erdboden der Schande versinken?“ fragte sie bissig.

„Na schön, versuchen wir es mal“, meinte Gunnar beherzt.

„Heli, mach keinen Unsinn, wir kommen jetzt zu euch rauf, wir helfen dir“, brüllte A.D. noch einmal hinauf.

„Und Sie, Waldemar, halten Blondie schön fest, ja, versprochen?“ fragte sie vorsichtshalber nach.

„Ich tue, was ich kann“, versprach er Annamaria Dappermann.

„Endlich sind wir einmal einer Meinung!“, rief Koslowski lachend zu A. D.

hinunter.

„Los, Gunnar, du kletterst auf dem linken Stützpfeiler hoch, ich nehme den rechten“, befahl A.D. dynamisch.

„Da oben am Scheitelpunkt, wo die Gondel mit den beiden Turteltauben festsitzt, da vereinigen sich die beiden Pfeiler wieder, siehst du das?“ sagte A.D.

Gunnar nickte.

„Wer zuerst da oben ankommt, hilft dem anderen beim Raufziehen, in Ordnung?“ fragte sie.

Gunnar nickte wieder.

„Dann los!“

Zum Glück hatten die Pfeiler kleine Einbuchtungen, in die man mit den Füßen treten konnte. Und sporadisch auch kleine, solide Handgriffe. Kalinsky protestierte entgeistert.

„Halt, Annamaria, das ist viel zu gefährlich, lass mich das machen“, rief er warnend und preschte vor, doch A.D. war wie ein Blitz seinem Zugriff entwischt und hatte sich schon bald viele Meter an dem Stahlträger emporgewunden.

Auch Gunnar kam gut voran auf seiner Strebe; das vertrug sich außerordentlich gut mit seinem Charakter, denn er war immer schon ein großer Streber gewesen.

Da gelang es oben Heli erneut, sich von Waldemar loszureißen. Ein Aufschrei ging durch die Menge, als sie sich wieder auf die runde Brüstung der Gondel setzte.

„Na schön, du Feigling, dann mache ich es eben alleine, so!!!“, sagte sie kampfeslustig, aber auch sie erstarrte, als sie den Blick nach unten riskierte.

„Heli, bleib´ oben“, rief A. D. ächzend und erhöhte ihr Klettertempo.

Heli rief schrill nach unten: „Ich denke nicht daran, ich kann eure Heuchelei bei der Allround-Corporation nicht mehr ertragen, Anni! Von eurem Terrorregime will ich ab heute kein Teil mehr sein, schon gar nicht morgen Abend; ich werde mich jetzt fallen lassen“, kündigte sie drohend an.

„Nein, bleiben Sie oben, Heli, hören Sie auf uns“, rief Kalinsky ihr zu.

„Und du komm wieder runter, Annamariechen, ich bitte dich“, plärrte er zur Schweizerin hinauf.

Doch A. D. kletterte munter weiter.

Dann wandte sich Kalinsky an den Riesenradführer, der weiterhin an den Hebeln der Mechanik zerrte, und wie wild die Knöpfe drückte.

„Alles umsonst, ich verstehe das nicht, es ist alles blockiert, auch der Notbetrieb“, klagte der Mann.

Mit wilder Sensationsgier filmten die Menschen das Spektakel der beiden kletternden Gestalten. Die Leute klatschten jetzt sogar dem Agentenpaar rauschenden Beifall für ihren tapferen Hochseilakt und priesen die beiden als Volkshelden.

„Hoch lebe die deutsch-schweizerisch-schwedische Freundschaft!“ skandierten die Menschen.

Heli wurde es plötzlich reichlich mulmig zumute auf ihrem mehr als großzügig erhöhten Aussichtsposten.

Langsam pirschte sich Waldemar wieder an sie heran, und legte schließlich schwitzend seine zitternde Hand auf ihren Arm, ganz sachte.

„Na, wie ist das Balkonzimmer mit Aussicht auf das Affenhaus da unten?“ versuchte er es mit einem Scherz, zu ihrer Beruhigung beizutragen.

Heli lächelte zitternd.

„Zwei von den Affen da unten klettern übrigens schon seit einiger Zeit an den Stahlträgern hoch, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, mein teurer Waldemar“, sagte Heli glucksend, „die wollen in unser schmuckes Baumhaus eindringen!“

„Schau doch mal in die Tiefe!“

Koslowski stutzte und lehnte sich weiter vor, um einen besseren Ausblick nach unten zu bekommen.

„Wie, was sagst du da?“ fragte er verblüfft.

„Was ist, sollen wir ihnen ein paar Bananen zuwerfen?“ fragte Heli übermütig und lachte sich tot.

„Heiliges Gewissen, du hast Recht, aber ... Das sind ja Gunnar und A. D.“, sagte er unruhig.

„Bonnie und Clyde sind im Anmarsch, die scheinen Sehnsucht nach uns zu haben, weil sie uns in ihre Bande zurückholen wollen“, sagte er spitz.

Heli lachte ausgelassen.

„Bleibt bloß unten, für vier Mann ist die Affenschaukel zu eng, außerdem habt ihr keinen Eintritt gezahlt!“ rief Waldemar warnend nach unten.

Heli schüttelte sich aus vor Lachen.

Doch das Agentenpaar kletterte unbeirrt weiter.

Schwitzend sah sich A.D. nach Gunnar um, der sich redlich auf seinem Pfeiler abmühte.

„Komm schon, nicht verzagen, Gunnarchen, gleich ist es geschafft, wir sind fast schon oben angelangt“, rief sie ihm ermutigend zu.

Heli, die genug von ihrem Heldentum hatte, sagte zu Waldemar: „Du, ich glaube, mir wird ganz schwindelig von diesem ganzen Affentheater; bitte zieh´ mich doch wieder hoch, Waldemar! ...“

Hocherfreut kam er der Bitte sogleich nach.

Schon im nächsten Moment war Heli wieder in der Gondel, die Menschen unten seufzten erleichtert auf und klatschten Beifall.

Kalinsky legte sich nunmehr umso mehr ins Zeug, A.D. von da oben herunterzuholen:

„Annamaria, komm zurück, die Kletterei hat doch jetzt keinen Sinn mehr“, rief er ihr energisch zu, „du siehst doch, Heli ist freiwillig in die Gondel zurückgestiegen; sie ist in Sicherheit, was willst du noch da oben? ... Komm endlich herunter, und dann warten wir gemeinsam, bis der Mechanismus wieder läuft“, bat er inständig.

„Annamaria, hörst du? --- Wenn die Bilder von unserem schwermütigen und abtrünnigen „Präsidentenpaar“ in ein paar Minuten um die ganze Welt gehen, dann sind Heli und Waldemar morgen Abend beim großen Staatsempfang auf der Weltkonferenz sowieso als Vorzeigepaar erledigt! - Sie sind eh´ nicht mehr präsentabel für die Weltöffentlichkeit“, rief Kalinsky erregt nach oben.

„Du mühst dich umsonst ab mit deinem halsbrecherischen Klettermaxe-Akt, es gibt nichts mehr zu retten! Mit den beiden wankelmütigen Gestalten ist für Gorsky kein Staat mehr zu machen, mit so labilen Helden kann er vor den großen Weltlenkern keinen Eindruck mehr schinden! ... Damit vernichtet er eher seinen Herrschaftsanspruch, kommt also beide endlich zurück“, mahnte er zum letzten Mal.

„Ja, kommt zurück“, rief jetzt auch das Volk.

„Bitte, verlassen Sie geschlossen den Park, Bürger von Groß-Berlin“, ertönte die Lautsprecherdurchsage.

„Letzter Aufruf an die beiden Chefagenten Dappermann und Trunkboldsson: Verlassen Sie sofort die Stahlträger, Sie haben umgehend auf den Erdboden zurückzukehren; Befehl von Hermann Gorsky, Hauptkoordinator von Berlin, ich wiederhole ...“

Waldemar Koslowski lachte.

„Ja, kehrt beide auf den Boden der Tatsachen zurück, ihr Affenmenschen!

Tarzan empfängt heute nicht, und Jane ist auch nicht gerade bester Laune“, rief er feixend nach unten.

Heli lachte wieder.

„Ihr könnt uns ja zur Not ein Schax ficken“, sagte er hämisch.

Die Menschen auf dem Erdboden lachten fröhlich.

„Hörst du?“ fragte Gunnar schnaufend.

„Das war der oberste Boss!“

A.D. bejahte, war aber gerade oben auf der Plattform angekommen und packte den Haltering von Helis und Waldemars Gondel.

„Ja, aber wir können jetzt nicht gleich zurück, wir müssen erst einen Augenblick verschnaufen, und dazu müssen wir uns in die verflixte Gondel hineinwuchten“, sagte A.D. mit angespanntem Gesicht.

„Sonst stürzen wir ab ins Bodenlose“, mahnte sie.

„Ja, da hast du allerdings Recht“, sagte Gunnar bestätigend.

„...sofort umkehren, Trunkboldsson und Dappermann ...“ mahnte der Lautsprecher knarzend.

Heli und Waldemar begutachteten mit Unbehagen die umständliche Kletterei; ängstlich zappelte Heli hin und her. Sie bekam Mitleid mit der total erschöpften A.D.

„Vorsicht, Anni, warte, ich reiche dir die Hand herunter; du hast es gleich geschafft“, sagte sie voller selbstloser Güte.

„Danke, Heli, ich werde mich für dich einsetzen“, versprach sie dankbar, hielt sich mit der einen Hand an dem Haltering fest, während sie die andere nach Helis Hand ausstreckte.

„Pass auf, halt dich ja gut fest, Anni; und du, Waldemar, geh´ rüber zu Gunnar, er ist auch gleich oben“, sagte Heli voller Anspannung.

„Ich bin ja schon in Bereitschaft, den schwedischen Eisberg abzuschleppen“, sagte Koslowski und streckte die Hände nach Gunnar aus.

Dieser kam jetzt sogar zügiger voran, ohne anzuhalten wie A.D., und wurde von Waldemar mit ziemlicher Mühe in die Gondel hineingezogen, weil er über unglaubliche Körpermassen verfügte. Kopfüber purzelte Gunnar in den engen Aussichtswagen, blickte erschöpft zu seinem Retter und sagte: „Danke, Mann, tolle Leistung, aber jetzt bitte erstmal zu A.D.!“ –

„Ja, natürlich“, sagte Koslowski und beide eilten zu Heli.

Doch es stellte sich heraus, dass Gunnar zu erschöpft war, um noch was zu tun, und daher ruhte er sich erst einmal in einer Ecke der Gondel aus.

„Schnell, gib´ mir deine Hand“, sagte Heli und A.D. streckte sie mühevoll zentimeterweise vor.

„Ich kann nicht weiter, die Tritte enden hier und ich bekomme einen Krampf in der Hand, mit der ich mich am Ring festhalte“, klagte A.D.

„Anni, lass bloß nicht los, warte, ich werde versuchen, meine Hand noch weiter vorzustrecken“, sagte Heli aufgewühlt und hellwach, „wenn du meine Hand ergriffen hast, dann kannst du mit der anderen Hand langsam und kontrolliert den Ring loslassen“, sagte sie entschlossen.

Koslowski drängte sich heran und sagte schnaufend: „Lass mich das machen, Heli“, doch da gelang es Heli glücklicherweise schon, A.D.s Hand zu packen, und Waldemar und Gunnar fassten Herlinde bei den Hüften und an der Schulter, um sie zu stützen, damit sie Annamaria hochziehen konnte.

„Bitte, Heli, lassen Sie bloß nicht los“, bat Gunnar.

„Wir müssen Annamaria irgendwie hochziehen, Gunnar“, sagte Waldemar krampfhaft.

„Ja, aber wie? Sie hängt allein an Helis Hand“, sagte Gunnar entsetzt, was auch stimmte, denn A.D. hatte den Haltering mit der linken Hand losgelassen, und hielt sich mit der rechten nur noch an Helis Hand fest, hatte aber wenigstens auch noch einen Fuß leidlich auf einer Haltesprosse, wobei sie aber ziemlich wackelig positioniert war. Im Augenblick verharrte die Schweizerin in Ruhestellung, wie auf einem Bergvorsprung.

„Zieh sie rauf!“ befahl Koslowski.

„Ich kann nicht“, sagte Heli schnaufend, „sie ist mir zu schwer!“ - „Ach, du bist so gut und ich bin so schlecht“, kommentierte A.D. geläutert, und lächelte zum ersten Mal seit Langem wieder fröhlich, ohne Falschheit.

„Ich habe dir großes Unrecht angetan, liebe Heli, und das bereue ich von ganzem Herzen, ich bedaure, unsere wunderbare Freundschaft so verraten zu haben, dich wie eine Kriminelle behandelt zu haben, weil ich einem Machtrausch sondergleichen verfallen war“, sagte A.D. voller Trauer und schnaufte heftig.

„Das hat doch Zeit bis später, Anni“, sagte Heli gerührt, „erstmal müssen wir dich hochkriegen, dich in Sicherheit bringen“, sagte sie ratlos und unruhig, und vor allem war auch sie am Ende ihrer Kräfte.

Doch momentan herrschte ein totaler Stillstand, ein alpines Patt, es ging weder vorwärts, noch zurück.

„Lass“, sagte A.D. schließlich ermattet, „es hat keinen Zweck mehr, liebe Heli: Ich habe zuviel Schuld auf mich geladen, und die kann ich nur durch meinen Tod wieder gutmachen“, sagte sie selbstkritisch.

„Ich weiß jetzt: Hier oben erfüllt sich mein Schicksal; das hier ist meine letzte Station im Zug des Lebens, es sollte so sein, es war mir so vorausbestimmt; hier oben endet mein Leben, ich muss Sühne leisten, so heißt es doch irgendwo, nicht?“

Sie atmete schwer.

„Und es ist gut so, dass mir das hier widerfährt“, sagte A.D. mit glänzenden, verklärten Augen.

Helis Gesicht war schreckensbleich geworden, als sie das hörte.

„Anni, was redest du da? Sprich´ nicht so“, sagte sie weinend.

„Doch, es ist besser so, lass´ meine Hand los, Herlinde“, bat A.D. mit finaler Entschlossenheit.

„Anni, nein, niemals!“, schrie Heli.

„Waldemar, hilf´ mir“, rief sie stürmisch.

Koslowski zerrte an Heli, und diese umklammerte umso fester Annamarias Hand.

„Ade, liebe Heli, verzeihst du mir, ... bitte? Das ist die letzte Bitte, die ich noch an dich habe, teure Freundin“, sagte A.D. schluchzend.

„Was habe ich nur getan, Heli, warum bin ich so geworden, so grausam, so gewissenlos, so hinterhältig? So war ich doch früher nicht!“

„Natürlich verzeihe ich dir, aber halt dich bloß fest“, flehte Heli panikartig hinab.

„Schüttel doch nicht so, Anni, es wird alles wieder gut“, schrie Heli hysterisch, „aber versprich mir, nicht loszulassen, ja? Hörst du mich?“, bat sie noch einmal eindringlich.

„Anna, mach keinen Blödsinn, hör auf Heli, halt dich fest, und sprich´ nicht so viel, das kostet Kraft!!! Lass ja nicht los, ich liebe dich, hörst du? Wir ziehen dich gleich rauf!“ rief Gunnar keuchend, und umklammerte krampfhaft weiterhin die bedauernswerte Heli, genauso wie Koslowski an ihr zerrte.

„Verflixt, sie hat jedweden Lebenswillen verloren! Was tun wir nur, wir kriegen sie nicht hoch“, klagte Waldemar.

„Es ist aus, seht es ein, lasst mich endlich los, es ist besser so“, orakelte A.D. mit einem schicksalergebenen Lächeln auf den Lippen und versuchte energisch, Helis Griff abzuschütteln.

„Lebt wohl, meine Freunde, ah!!! ... Und meine geliebten Schweizer Berge; nie werde ich sie wiedersehen, das ist wirklich bedauerlich, aber ... Ich verdiene es nicht anders“, klagte A.D. elegisch und läutete tragisch ihren Abschied ein.

„Anni, so darfst du nicht reden“, rief Heli noch einmal ermutigend zu ihr hinunter, „du wirst sie wiedersehen, wir beide werden zusammen durch die Schweizer Bergwelt reisen, wieder als gute Freundinnen, wie wir es früher waren, wie wir es jetzt wieder sind“, versprach Heli, ohne große Hoffnung, erhört zu werden.

„Wenn du erst oben bist, dann setzen wir unsere Pläne sofort in die Tat um, Anni, hörst du, das verspreche ich dir“, sagte Heli mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Doch A.D.s Stimme war nur noch ein fernes Raunen, fast schon wie eine Geisterstimme aus der Vergangenheit.

„Es ist sinnlos, davon zu träumen: Gorsky wird es nicht zulassen, er wird uns ächten, seine Rache wird furchtbar sein“, prophezeite A.D. düster.

„Das gesamte Verhängnis hat ja überhaupt erst damit angefangen, dass ich mich mit diesem Ungeheuer eingelassen habe, mich seiner Dämonie verschrieben habe“, sagte A.D. bedauernd, und sie fühlte, wie tausend Kameraaugen sie beobachteten.

„Gorsky hat ein Monster aus mir gemacht, Heli, und auch aus dir, Gunnar“, sagte A.D. leise.

„Anna, meine kleine Annamieze, halt durch, ich liebe dich, ich brauche dich, ohne dich bin ich nichts“, gestand Gunnar erschüttert, und auch das Volk war tief gerührt, und ermunterte jetzt sogar die Agentin Annamaria zum Durchhalten. Ihr anderer Verehrer, der sonst so weltmännische, beherrschte Kalinsky, stand derweil unten, wie zu Stein erstarrt, unbeweglich und fasste es einfach nicht, was da oben geschah.

„Annamaria! ... Halt durch, ich ... liebe dich auch, ich brauche dich auch, hörst du?“, rief Kalinsky zu ihr nach oben.

„Alle hier lieben dich, hörst du ihre aufmunternden Rufe? Ihren Einsatz für dein Leben? Die Menschen hier wollen alle, dass du lebst, dein Leben war also nicht sinnlos, hörst du, Annamaria...? Wirf es nicht so einfach weg!“ versuchte es Kalinsky noch einmal mit einer letzten, verzweifelten Anstrengung.

„Aber zu meiner Sühne werde ich diesen günstigen Umstand dazu benutzen, euch allen noch einen letzten, wertvollen Dienst zu erweisen“, richtete sich A.D. mit ihrer Ansprache nun an alle Lauschenden, unbeeindruckt von Kalinskys Flehen.

„Nehmt euch in Acht vor Gorsky: Misstraut ihm, dem hypnotischen Verführer, wo ihr nur könnt, bekämpft ihn konsequent, lasst euch nicht mehr von ihm verführen, er ist das personifizierte Böse, hört ihr? Haltet alle zusammen und hört auf Herlinde und Waldemar, euer lauteres Präsidentenpaar, und unterstützt die beiden in allen Gefahren, vor allem in ihrem Kampf gegen die satanische Tücke Gorskys, damit sie ihr nicht am Ende erliegen, versprecht ihr mir das?“ deklamierte A.D. verzweifelt vor lauter emotionalem Sendungsbewusstsein.

„Nein, tu das nicht, Anna, Liebling, schweige bloß still! ... Du untergräbst unsere Autorität; mit diesen Worten zerstörst du unsere Karriere“, jammerte Gunnar Trunkboldsson lauthals in die Tragik hinaus.

Sofort erntete er eine ganze Fuhre von Buhrufen dort unten von dem entrüsteten Volk. Auch Waldemar Koslowski wies ihn streng zurecht: „Also, ein wenig mehr Beherrschung bitte, Gunnar, in solch einem tragischen Moment; Sie sollten sich was schämen! --- Das ist wirklich nicht der Zeitpunkt für eine derart selbstsüchtige Schandrede, verstanden?“ sagte er indigniert.

„Und halten Sie lieber Heli fest!“ --- „Verzeihung! ... Ja. Ja, Sie haben ja so Recht!“ entschuldigte sich der grobe Klotz weinerlich.

Hilflos starrte Kalinsky weiterhin zu seiner privaten wie auch öffentlichen Tragödie nach oben.

„Annamaria, du darfst dich jetzt nicht gehenlassen, halt dich fest, hör auf den Rat deiner Freunde, wirf´ dein Leben nicht so weg, ich liebe dich, hörst du?“ wiederholte er.

„Ja, halt dich fest, Annamaria, wir lieben dich“, skandierte nun auch das Volk von Berlin immer lauter.

„Nieder mit Gorsky!“ fingen einige ganz Wagemutige plötzlich sogar an, zu schreien.

„Jawohl, weg mit dem Stalin-Verschnitt, nieder mit dem Monster Gorsky, es lebe Annamaria, und hoch lebe Waldemar Koslowski, und ein Hoch auf Herlinde Kopter, den Engel von Berlin“, brüllte es aus den Massen heraus.

„Heli, halte Annamaria schön fest“, forderten einige Berliner besorgt.

„Hörst du Anni, wie sie dich alle lieben, es gibt keinen Grund, dass du dich aufgibst“, verkündete Heli freudestrahlend.

Zufrieden lächelte A.D. über die Reaktion der Berliner und wiederholte einfühlsam ihren hehren Appell: „Vergesst nicht, liebe Bürger von Berlin, von Deutschland und ... in der ganzen Welt: Lasst euch nicht auf ein Bündnis mit Gorsky ein, ächtet ihn, solidarisiert euch gegen ihn, erlaubt ihm nicht weiter, Scheusale aus euch zu machen, euch in leere, seelenlose Hüllen zu verwandeln, so etwas, was er aus mir gemacht hat, und aus so vielen anderen“, rief sie emphatisch, und schrie vor Schmerz auf.

„Adieu, schöne Welt“, sagte sie, und nahm jetzt sogar ihren Fuß von dem rettenden Steigeisen, sodass sie jetzt in völlig freiem Fall schwebte, nur noch von Helis schwacher Hand festgehalten, die jetzt ein enormes Gewicht zu tragen hatte.

Helis Rücken tat ihr noch bedrohlicher weh als je zuvor, und sie schrie auf: „Anni, nein!“

A.D. sagte noch, todessehnsüchtiger als je zuvor: „Adieu, mein guter Kalinsky, mein teurer Freund da unten, den ich auch so schnöde verraten habe, und der mir trotzdem so innig die Treue hält, ich liebe dich, du sanfter Riese, du gutmütiger Kuschelbär, hörst du? ... Pass´ mir gut auf meinen Kalinsky auf, hörst du, Her ... lindchen, das ist ... mein ... allerletzter Wunsch ... an dich“, sagte die total erschöpfte Schweizerin mit ersterbender Stimme und weinte vor Schmerz.

„Heli, jetzt lass endlich meine Hand los, bitte ...“, rief sie mit zerquälter Miene.

„Du bringst dich selbst unnötig in ... Gefahr! ...“ – „Nein, niemals, los, Waldemar, zieh´, zieh´! Zieh´ uns doch endlich rauf!“ rief die gute Heli wild entschlossen, und mit vereinter Kraft schafften es der gedrungene Schwede und der stämmige Koslowski schließlich doch noch, A.D. ganz zur Gondel hochzuziehen und sie sogar auch noch glücklich hineinzubugsieren.

Die Berliner dort unten klatschten und beglückwünschten lautstark Helis Pioniertat.

„Willkommen an Bord, liebe Freiheitskämpferin“, sagte Heli mit verheultem Gesicht und rieb sich ihre fast zerquetschte Hand.

Dann umarmte die phänomenale Kämpferin Heli Annamaria Dappermann stürmisch zur Versöhnung. Doch diese wehrte Heli heftig ab.

„Nein, nein, Heli, das darfst du nicht tun, lass´ mich, ich bin verflucht; so sollte es nicht ausgehen, es ist alles gesagt worden, ich habe mein Leben verwirkt“, jammerte A.D. weinend und schüttelte den Kopf.

„Aber nein, aber nein, Anni, ich bin ja so glücklich“, sagte Heli verzückt, und Gunnar stürmte begeistert auf seine Freundin los.

„Anna, Liebling!!! - Bravo, Heli, Sie haben es geschafft!!! ... Sie sind ein As, ich liebe Sie! ... Ich bereue ganz zutiefst alles“, sagte Gunnar ergriffen, „was ich je an Hässlichkeiten über Sie gelästert habe, liebe Herlinde“, sagte der massige Schwede dankbar und umarmte zuerst Heli stürmisch.

Das Volk von Berlin klatschte heftig Beifall, als es die gelungene Rettungsaktion mitbekam.

„Komm zu mir, du kostbares Juwel“, stammelte der Schwede danach begeistert, und wollte A.D. eben in seinen starken Armen auffangen, da rumpelte es unversehens sehr heftig: Ein mächtiger Ruck ging durch die Gondel, denn der Rotationsmechanismus war plötzlich wieder angesprungen, das Riesenrad drehte sich endlich wieder, aber nicht in gemächlichem Tempo wie üblich, sondern unkontrolliert und viel zu schnell.

Derart heftig geriet der Aussichtswagen in Schwung, dass alle Insassen aufschrien und durcheinandergewirbelt wurden durch die mächtige Fliehkraft.

Dabei verlor die arme A.D. als erste das Gleichgewicht, schwankte nach vorn, und purzelte schreiend aus der Gondel, fiel unkontrolliert in die unbarmherzige Tiefe. Zweimal überschlug sich ihr Körper in der Luft und prallte an dem Stahlträger ab, auf den sie kurz zuvor hinaufgeklettert war, und wurde ins Nichts geschleudert. Die Menschen schrien auf vor Entsetzen.

„Neeeeiiiiin, Annniiii!“ schrie auch Heli und fiel mit Rückwärtsdrall auf den Gondelboden.

A.D. war mit einem dumpfen Geräusch auf der Wiese aufgeschlagen und lag verkrümmt da. Fast wäre sie noch auf Kalinsky gefallen, wenn dieser nicht geistesgegenwärtig ausgewichen wäre. Entsetzt hob er die Hände wie abwehrend über den Kopf und rannte hin zu A.D. Waldemar hielt Heli auf dem Gondelboden fest, aus Angst, dass sie auch noch herausfallen könnte.

Langsam drehten sich die Gondeln wieder in gemäßigtem Tempo, doch auch der arme Gunnar war Annamaria nach ihrem Fall sofort nachgestürzt mit einem schier unmenschlichen Schrei, der ihm halb in der Kehle erstarb, und er konnte seinen massigen Körper nicht mehr rechtzeitig abbremsen. Auch der Schwede stürzte unmittelbar nach seiner Freundin ins Bodenlose --- und streifte leicht Kalinsky!

Dieser taumelte und stolperte über die lang hingestreckte Annamaria, fiel auch hin.

Benommen richtete sich Kalinsky auf und rieb sich die schmerzende Schulter, beugte sich dann sogleich wieder über A.D. Im Nu bildete sich ein Kreis von Menschen über die beiden leblosen Körper. Kalinsky kniete sich zu dem leicht zuckenden Körper von Annamaria nieder, streichelte betroffen ihre schwarzen Korkenzieherlocken. Annamaria hatte die Augen erschreckend weit geöffnet und lächelte schwach, erkannte Kalinsky und rollte die Augen zu ihm hin. Ein dünnes Rinnsal von Blut quoll aus ihrem Mund.

„Achtung, Achtung, werte Besucher des Parks, wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit“, ertönte die Lautsprecheranlage.

„Die Chefagenten Herr Gunnar Trunkboldsson und die werte Genossin Annamaria Dappermann werden dringend gebeten, sich umgehend mit Hauptkoordinator Hermann Gorsky in Verbindung zu setzen, ich wiederhole noch einmal ...“

Die arme Heli bekam einen Weinkrampf, auch, weil ihre Gondel nicht schnell genug auf dem Erdboden ankam. So starrte sie zunächst von oben auf die Menschenmenge herab. Waldemar hielt sie gut fest.

„Oh, Waldemar, sieh´: Da liegt Anni, dort unten auf dem Rasen - bestimmt ist sie tot! ... Oh, ich kann gar nicht mehr hinsehen“, sagte sie vibrierend.

Waldemar versuchte, sie zu trösten.

„Warte, wir sind gleich unten“, sagte er zitternd und hielt sie in seinen Armen fest.

Annamaria registrierte sterbend die Lautsprecherdurchsage; sachte bewegte sie den Kopf in Richtung des Klanges, lächelte. In ihrem weißen, völlig zerfetzten Sommerkleid, von dem ein halb abgerissener Streifen sachte im Winde flatterte, sah sie aus wie eine frisch vermählte Braut; und weiß strahlte auch ihr gesamter Körper, wie die Unschuld, die sie wieder zurückgewonnen hatte.

Kalinsky bettete ihren Kopf in seine Hände, heiße Tränen liefen ihm über die zitternden Wangen.

„Mel ... dung von Chefagen ... tin A ... A ... Annamaria Dapper ... mann an Gorsky: Mission ... erfolgreich aus ... ge ... führt! ... Ende der Meldung! ...“

Kalinsky schluchzte.

„Oh, Annamaria, mein kleiner Engel“, sagte er ergriffen.

Noch einmal machte der gefallene Engel eine letzte Anstrengung zu sprechen:

„Und du, ... mein Held, überbring der ... kleinen Heidrun ... meine besten Grüße“, hauchte sie dahin.

„Gleich werde ich ... für ewig bei ihr ... sein! ...“

Sie lächelte Kalinsky noch einmal zu.

„Oh, Manfred, was hätten ... au ... wir noch ...“

Das waren ihre letzten Worte, dann bewegte sie sich nicht mehr, behielt die Augen offen, aus denen zum ersten Mal seit Langem alle Spuren des Hasses, der Bosheit und der Arroganz des unheilvollen Machtrausches getilgt waren! - -- Einfach verschwunden waren durch die zauberhafte Läuterung, die sie im Tode erfahren hatte!

Annamaria verstarb also mit den gütigen Augen einer Heiligenfigur, und sah Kalinsky auch gleichzeitig mit reinen, freundlichen Kinderaugen an; um ihre Mundwinkel spielte ein sanftes, entspanntes Lächeln. Ihr Freund Gunnar lag die ganze Zeit über schon völlig reglos im Gras.

„Adieu, meine kleine, schwarze Madonna“, sagte Kalinsky weinend.

So starb Annamaria, ganz ähnlich wie Heidrun von Reitzenstein, und ebenso tragisch.

Tatsächlich glich das selige Lächeln auf ihren Lippen auffallend demjenigen einer ausdrucksvollen Madonna von Raffaell. Die schwarzhaarige Madonna Annamaria war für alle Ewigkeit entschlummert.

„Oh, Annamaria, hoffentlich findest du dort, wo du jetzt bist, eine bessere, gerechtere Welt vor“, sagte Kalinsky hemmungslos schluchzend, und streichelte weiterhin Annamarias Haare.

„Möge diese neue, jenseitige Welt, die du nun kennenlernen wirst, dich gnädig aufnehmen, mein kleiner Engel!“ ... sagte er weinend.

Alle Anwesenden hatten ihre Taschentücher gezückt und beweinten A.D.s Tod, vor allem aber auch, weil sie Mitleid mit Kalinskys Schmerz hatten.

Als es den Rettungssanitätern gelungen war, sich einen Weg zu A.D. zu bahnen, und als sie schließlich die Tote vom Boden hochhoben, um sie auf eine Trage zu legen, da sagte einer der jungen Sanitäter erschüttert: „Heiliges Gewissen, sie macht auf mich den Eindruck einer großen, abgeknickten Blume, die von spielenden Kindern achtlos weggeworfen worden ist“, sagte der junge Mann mit tiefer Betroffenheit.

Alle Menschen waren sehr ergriffen von seinen blumigen Worten, und weinten vor Rührung noch mehr.

Herlinde und Waldemar war es endlich gelungen, halbwegs gefahrlos aus ihrer Gondel von dem Riesenrad wie aus einem Paternoster zu springen, weil es ständig weiter rotierte und nicht mehr anzuhalten war. Mit einem Riesensatz waren beide zu A.D. gehechtet und hatten noch die letzte Bemerkung des Sanitäters mitbekommen.

„Anni, nein!“, schrie Heli mit unmenschlich lauter Stimme.

„Tatsächlich, Anni sieht aus wie eine riesige, zerpflückte, weiße Lilie, welcher einige unartige, rohe Straßenjungen die überhängenden Blüten abgerissen haben“, bemerkte Herlinde zutiefst erschüttert.

Dann kniete auch sie hemmungslos weinend vor ihrer wiedergewonnenen Freundin A.D., die schließlich auf ihrer Trage von den Sanitätern weggebracht wurde. Vorher sagte Herlinde noch schluchzend zu ihr: „Oh, Anni, warum nur muss alles, was ich liebe, sterben? Erst Heidrun, und jetzt du!!! - Warum nur, es ist alles meine Schuld!“, murmelte sie traurig.

Waldemar, der Heli von der Toten wegzog, murmelte nachdenklich: „Sie sieht aus wie ein junger Vogel, der aus dem Nest gefallen ist! ...“

Heli, die sich losriss, rannte zurück zur abtransportierten A.D. und sagte zur Toten: „Oh, gerade jetzt musste dir dieses Verhängnis passieren, wo wir uns wieder so gut verstanden hätten, liebe Annamaria ...“

Waldemar Koslowski erkundigte sich unterdessen diskret bei dem Sanitätertrupp: „Und Gunnar Trunkboldsson?“

Ein Arzt schüttelte bedauernd den Kopf.

„Auch für ihn ist alles längst vorbei“.

Da rannte Waldemar zurück zu Heli. Da verlor sie das Bewusstsein und sackte in sich zusammen. Sekunden später lag auch sie im Gras.

„Heli, was hast du, Herlinde!!!“ rief er in Panik.

Auch sie wurde auf einer Trage abtransportiert.

Jetzt machte sich Koslowski doch ernsthafte Sorgen, als er Heli da so ausgestreckt liegen sah; er rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her.

„Beruhigen Sie sich, sie wird wieder, sie ist doch nur bewusstlos ... Kein Wunder bei diesem großen, emotionalen Zusammenbruch“, sagte der Arzt.

Parkwächter und Geheimpolizei eilten herbei und wandten sich eindringlich an Koslowski.

„Sie sollen sofort bei Seiner Exzellenz, Hermann Gorsky vorstellig werden, Hauptkoordinator von Berlin“, sprach der eine Uniformierte streng zu ihm.

„Aha, soll ich?“ fragte Koslowski rotzig.

„Tut mir Leid, aber ein Herr dieses Namens ist mir nicht bekannt“, sagte Koslowski so arrogant wie möglich.

„Wenn Sie mich nun bitte entschuldigen wollen“, sagte er gebieterisch und ging seines Weges.

„Auch noch unverschämt werden, Sie Saboteur, das haben wir gern“, sagte der andere Uniformierte mit dem großen „G“-Emblem, und hielt Koslowski auf, presste ihm seinen Knüppel an die Brust.

Er sah sich um und gewahrte die ruhende Herlinde Kopter auf ihrer Trage.

„Und was haben Sie im Übrigen mit unserer guten Genossin Herlinde Kopter angestellt?“ fragte er drohend.

„Was fällt Ihnen ein, die junge Frau derart zu verhetzen, dass sie schier den Verstand verliert und solche Dummheiten macht, Sie Volksfeind? Sie werden sich dafür vor dem Hohen Rat von Berlin zu verantworten haben“, sagte ein dritter Geheimpolizist.

„Auch dafür, dass Sie beide unsere beiden Agenten Dappermann und Trunkboldsson verhext und gegen unseren Staat aufgehetzt haben, und Volksverräter aus ihnen gemacht haben“, sagte er streng.

„Ich frage mich wirklich, wie Ihnen das gelingen konnte“, grummelte der ratlose Geheimagent böse.

Koslowski lächelte wie jemand, der von völliger Gleichgültigkeit beseelt war, und das war er auch.

„Wie eine große, weiße Lilie, der man die Blüten abgerissen hat“, murmelte er sanft.

„Was sagen Sie? Kommen Sie, jetzt markieren Sie hier gefälligst nicht den Durchgeknallten, denn das nimmt Ihnen keiner ab“, sagte der erste Uniformierte streng.

Und zu sechst schlossen sie einen engen Kreis um Koslowski.

Da veränderte sich auch unmerklich, aber stetig die Stimmung um ihn herum, denn seine Mitmenschen reagierten empfindlich auf die Drangsalierung Koslowskis, und fingen ebenfalls an, ganz langsam einen Kreis des Widerstandes um die Unterdrücker aufzubauen, indem sie schweigend Steine und Stöcke vom Boden aufhoben, und sich drohend um die Agenten zusammenschlossen; immer enger wurde der Ring.

Ein murmelnder Chor von Stimmen erhob sich dazu, der mit eintönigem Singsang intonierte:

„Hände weg von Heli und Waldemar, wir beschützen unser Präsidentenpaar!“

Die Wachen trugen beunruhigte Mienen zur Schau, während sich ein zweiter Protestchor formte und seine wütende Stimme erhob:

„Gorskys Zeit ist bald vorbei – nieder mit der Tyrannei! ...“

Die Geheimpolizisten ließen sich abschrecken und gaben Koslowski frei, versuchten sich sogar mit gezogenen Laserwaffen unbeschädigt zurückzuziehen.

Da trat Manfred Kalinsky mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Koslowski, und alle Wachen und Bürger im Park machten ihm ehrfürchtig Platz. Jeder fürchtete jetzt wohl ein zweites Volkspark-Massaker.

„Meine Güte, Herr Koordinator: Sie sind ja auch verletzt worden“, sagte Waldemar beunruhigt.