Jäger der Verdammten - Cynthia Eden - E-Book

Jäger der Verdammten E-Book

Cynthia Eden

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Beschreibung

Lockruf der Nacht

Die nächtliche Stadt ist das Revier von Sandra Daniels. Es gibt nichts, was der unerschrockenen Jägerin dort draußen Angst machen könnte. Im Gegenteil: Die Geschöpfe der Finsternis vermeiden es tunlichst, ihren Weg zu kreuzen. Bis ein alter und ungeheuer mächtiger Vampir in ihrem District auftaucht und sie in Atem hält. Und der mysteriöse Simon Chase, der Sandra wie ein Schatten folgt, macht es ihr auch nicht gerade einfacher. Keinen Augenblick kann sie ihm widerstehen – obgleich sie ahnt, dass er ein dunkles Geheimnis vor ihr verbirgt …

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Seitenzahl: 399

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Das Buch

Dämonen, Vampire und Gestaltwandler streifen Nacht für Nacht durch die finstersten Winkel und Gassen von Baton Rouge. Die unerschrockenen Jäger der Night-Watch-Eliteeinheit stellen sich ihnen in den Weg, um die Menschen zu schützen.

Sandra »Dee« Daniels ist eine von ihnen: Ihre eigene dunkle Vergangenheit hat sie dazu getrieben, sich einen Namen als berüchtigte Vampirjägerin zu machen. Dann aber wendet sich das Schicksal. Einer der mächtigsten Vampire aller Zeiten scheint es sich in den Kopf gesetzt zu haben, ausgerechnet Dees Revier zu seinem zu machen. Das erste Mal in ihrem jungen Leben ist die attraktive Vampirjägerin überfordert. Hilfe bietet ihr ausgerechnet der zwielichtige Simon Chase an, dessen charismatischer Ausstrahlung sich Dee nicht entziehen kann. Gegen ihren Willen lässt sie sich auf ein leidenschaftliches Katz-und-Maus-Spiel ein – wohlwissend, dass Simon nicht der ist, der er zu sein vorgibt ...

Der zweite Teil der Serie um die Jäger des Übersinnlichen: atemberaubend, magisch, unwiderstehlich!

Die Autorin

Cynthia Eden fühlte sich schon immer magisch von allem angezogen, was nicht mit »rechten Dingen« zugeht. Sie stellte sich gern die berühmte Frage: Was wäre, wenn ... Nach dem Studium machte sie aus ihrer Leidenschaft dann eine Profession und widmete sich fortan dem Schreiben von (übersinnlichen) Liebesromanen. Cynthia Eden lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in den Südstaaten.

Lieferbare Titel

978-3-453-77262-5 – Jäger der Dämmerung

CYNTHIA EDEN

Jäger

der Verdammten

Roman

Aus dem Englischen

von Sabine Schilasky

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Das Original I’LL BE SLAYING YOU erschien

bei Kensington, New York

Vollständige deutsche Erstausgabe 03/2012

Copyright © 2010 by Cindy Roussos

Copyright © 2012 der deutschen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der

Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung eines Fotos von © shutterstock/Konrad Bak

Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-06730-4V002

www.heyne.de

Für Nick

Versprechen, Versprechen …

Erstes Kapitel

Fragte man Dee Daniels, tummelten sich entschieden zu viele Idioten mit Todessehnsucht auf der Erde.

Sie blickte in die nächtliche Finsternis, hörte den Wind säuseln und sah den Schatten eines Liebespaars, das sich in den Seitengang neben einem verfallenen Gebäude schlich. Kopfschüttelnd griff Dee nach ihrer Waffe und folgte ihnen.

Die beiden sahen sie nicht, als sie um die Ecke kam. Der Kerl hatte die Frau an die Wand gedrückt, seine Hände unter ihrem Rock und sein Gesicht in ihren sehr üppigen Brüsten vergraben. Er stöhnte und grunzte, während sie sich seufzend an ihm rieb.

Dee atmete kräftig aus und wartete. Nicht darauf, dass die beiden fertig wurden, sondern darauf, dass sich das Monster zeigte.

Was in ungefähr zehn Sekunden der Fall sein dürfte, wenn nicht eher, denn die gingen ziemlich zur Sache und …

Die Frau, eine langbeinige Rothaarige, machte ihren Mund weit auf. Dank des Lichts, das aus dem Fenster im ersten Stock gegenüber fiel, konnte Dee diesen Mund sehr gut erkennen.

Mitsamt der sechs Zentimeter langen Reißzähne.

Erwischt!

Selbige Reißzähne zielten nun geradewegs auf den Hals des Idioten. Die Vampirin war im Begriff, ihm die Kehle aufzureißen und sein Blut zu schlürfen wie ein Erstsemesterstudent das billigste Bier in der Stadt.

Todessehnsucht. Kapierten die Leute denn nie?

Dee räusperte sich. »Ach, Verzeihung?«

Die glänzend weißen Reißzähne hielten am Hals des Kerls inne.

»Scheiße, was ist?« Das kam von dem Idioten. Der Mann hatte immer noch nicht begriffen, dass sein Tod nur schätzungsweise drei Zentimeter entfernt war.

Verärgert drehte er sich zu Dee um. Er war in den frühen Zwanzigern, gestylt und relativ gut aussehend, wenn auch ein bisschen dümmlich wirkend.

Dee lächelte. »Hi.«

Während er sie von oben bis unten musterte, fauchte der Vamp.

Vampire wurden rasch sauer, nahm man ihnen das Essen weg.

»Leider muss ich dich bitten, zu gehen«, murmelte Dee. Die Zähne waren zu nahe an seiner Halsschlagader. Womöglich wurde der Vamp kribbelig, beschloss, doch zuzubeißen, und, nun ja, Dee hatte ein weißes T-Shirt an, und wenn sie den Kerl einfach von der Frau wegriss, würde sie sich das ruinieren. Nicht dass es ein besonders teures Shirt wäre, aber sie hasste dieses aufwendige Einweichen und Auswaschen.

»Hau ab, verflucht!«, fuhr sie der dümmliche Schönling an.

Also einige Leute hatten es wahrlich verdient, vom Vampir gebissen zu werden. Doch Dee wurde nun mal für diese Nummer bezahlt.

Der Vamp lächelte sie an. »Du hörst, was er sagt. Verzieh dich, Schlampe.«

Dee hob ihre Waffe. Nicht ihre Schusswaffe, die seitlich in ihrem Halfter steckte, sondern den Holzpflock, der leicht und vertraut in ihrer Hand lag. »Was glaubst du, wie lange ich brauche, dir den hier ins Herz zu rammen? Eine Minute? Weniger?«

»Heiliger Bimbam!« Der Typ bekam tellergroße Augen. »Du bist irre!«

Darüber ließ sich streiten.

»Komm, Karen, verschwinden wir von hier …«

Die Vampirin packte ihn und zerrte ihn herum. Sie benutzt ihn als Schutzschild. Wieso taten Vampire das dauernd mit ihrer Beute? Als könnte ein menschliches Schutzschild Dee jemals aufhalten! Sie schüttelte bloß den Kopf.

»Einen Schritt weiter, und ich breche ihm das Genick.«

Ja, das könnte sie. Vampirkräfte eben. Sie bräuchte keine Sekunde, um den Kerl in zwei Hälften zu brechen, doch … »Ich hätte dich, bevor er auf dem Boden aufschlägt.«

Der Mann wimmerte.

Die Vampiraugen blitzten schwarz. »Wer bist du?«

»Nur eine Frau, die ihren Job erledigt.« Ihr Auftrag lautete nicht, den Vamp zu töten, aber wenn sie keine andere Wahl hatte, tat sie es.

Außerdem waren Vampire bereits tot, somit verstieße sie eigentlich nicht gegen die alte Schnapp-sie-lebend-Regel. Die von der Night Watch Agency ohnehin nicht akribisch befolgt wurde. Schließlich hatten es die Kopfgeldjäger meistens mit gefährlichen Übernatürlichen zu tun.

»Das wird langsam öde«, sagte Dee. »Lass ihn los und komm mit.«

Der Kerl weinte jetzt. Schluchzte. Verdammt!

Die Vampirin sah von Dee zurück zur Straße. Verzweiflung. Angst.

Zeit für den Zugriff. »Lass ihn los«, wiederholte Dee scharf, aber dann hörte sie ein leises Geräusch.

Ein zartes Rascheln. Ein Schritt?

Hinter ihr.

Sie spannte alle Muskeln an.

Zugleich wich die Angst aus dem Blick der Vampirin, und ihre Lippen bogen sich zu einem Lächeln.

O-oh.

»Mach die Schlampe kalt!«, kreischte die Vampirin, und Dee wusste, dass es sich bei der Person hinter ihr um keinen harmlosen Schaulustigen handelte, den morbide Neugier herlockte. Gar nicht harmlos. Mist.

Sie fuhr herum, bereit, sich einem weiteren Vampir zu stellen, bereit …

Er sprang auf sie zu und warf sie um, so dass sie unsanft auf dem Hintern landete. Im selben Moment hörte sie einen Schuss knallen. Eine Kugel zischte über sie hinweg, die tödlich gewesen wäre, hätte Dee noch dort gestanden.

Läge sie nicht platt auf dem Boden.

Ein Schrei durchschnitt die Nacht. Schmerz. Furcht. Nicht Dees Schrei, denn sie hatte vor langer Zeit gelernt, nicht laut zu schreien.

Dee blickte zu dem Mann auf. Finsternis.

Schwarzes Haar, viel länger als ihr eigenes. Kantige, harte Züge. Kalte, graue Augen, schmale Lippen. Zu scharfe Wangenknochen.

Und sein Körper … Sein Gewicht drückte sie auf den Boden, und er schien aus nichts als straffen Muskeln und purer Kraft zu bestehen.

Er fühlte sich heiß an, so warm und …

Ach, sch… drauf!

Dee knallte ihren Ellbogen nach oben und erwischte ihn am Kinn, so dass sein Kopf nach hinten schnellte, während sie sich wand, schob und boxte, um sich von ihm zu befreien.

»Hör auf! Verflucht, ich habe dir gerade den Arsch gerettet!« Er presste sie fester auf die Erde, und Dee konnte sich nicht mehr rühren. »Irgendwer will dich erschießen!«

Und irgendein großer Vollidiot erdrückte sie fast.

Doch das Gewehrkrachen, das sie gehört hatte, und der Schmerzensschrei?

Da er nicht von ihr gekommen war, musste er …

Verdammt! Sie drehte den Kopf, so gut sie konnte, und sah hinter sich. Der Idiot lag stöhnend auf dem Pflaster, was nun nichts Wonniges mehr hatte. Das war Schmerz. Blut tränkte sein Hemd und bildete eine Lache unter ihm.

Der Vamp war verschwunden.

Doch wer war der Schütze? Das konnte Dee nur auf eine einzige Art herausfinden. »Runter von mir«, befahl sie.

Er schien wenig begeistert, rollte sich jedoch von ihr. »Ist deine Beerdigung, Babe.«

Sie hatte ihren Pflock verloren. Egal. In ihrem Wagen hatte sie noch reichlich von denen. Dee riss ihre Waffe aus dem Halfter und suchte mit ihrem Blick die umliegenden Gebäude und die Gasse ab.

In Momenten wie diesen erwies es sich als echter Nachteil, dass sie menschlich war. Die Gestaltwandlerkollegen bei Night Watch wären nie so überrumpelt worden. Sie hätten den Geruch des Schützen beizeiten wahrgenommen und gehört, wie er sich anschlich.

Selbst die Dämonen unter ihnen wären früher gewarnt gewesen als Dee.

Tja, wenn man mit den großen Jungs spielen wollte, durfte man sich nicht beschweren, dass man nicht mit ihren Supersinnen gesegnet war.

Dee sah sich jedes Gebäude, jeden Schatten genau an. Dann näherte sie sich geduckt dem angeschossenen Idioten.

»Hilf mir! Ich sterbe! Du musst …«

Sie musterte ihn. Da war eine Menge Blut. Hmm. Und der Vamp war vor ihm weggerannt? Wer lief denn von einem Gratis-Buffet weg?

»Hilf mir! Ich will so nicht sterben.«

»Du stirbst nicht.« Oh Mann! Sie zog ihr Handy hervor und drückte den Knopf, der einen Notruf an das Bereitschaftsteam bei Night Watch schickte. »Das ist bloß eine Fleischwunde, Dumpfbacke.« Von denen hatte Dee schon einige eingesteckt – und besser als dieser Loser.

»Zentrale«, meldete sich eine melodische Stimme.

»Ich brauche einen Krankenwagen«, sagte Dee. Ihren Namen zu nennen, war überflüssig, denn Stella erkannte sie auch so. »Vier-fünfzehn Brantley. Mensch angeschossen und …«

Heulende Sirenen. Natürlich. Mist! Der Schuss hatte die Anwohner aufgeschreckt.

»Hat sich erledigt«, sagte Dee ins Telefon.

Scheibenkleister.

Zeit für Erklärungen.

Okay, für Lügen wohl eher.

»Was sagen wir?«

Die tiefe, raspelnde Stimme kam von links. Von dem großen, dunklen und zugegebenermaßen sexy Typen, der ihr zum Opfer gefolgt war. Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Du kannst abhauen. Ich kümmere mich um die Cops.« Sie hatte reichlich Erfahrung mit der Polizei von Baton Rouge. Und die meisten Uniformierten schuldeten ihr sowieso einen Gefallen.

Eine schwarze Braue bog sich nach oben. »Ist schon gut, du brauchst mir nicht zu danken«, raunte er grinsend und zeigte dabei viele weiße Zähne. »War mir ein Vergnügen, dir das Leben zu retten. Ehrlich. Mach dir deshalb keine Gedanken. Klar, ich wurde fast erschossen, aber alles bestens. Kein Grund zur Sorge.« Er hob die rechte Hand und rieb sich das Kinn.

Ein Streifenwagen kam um die Ecke, bremste mit quietschenden Reifen, und Dee biss die Zähne zusammen. »Danke«, würgte sie hervor.

»Nicht besonders höflich, was?«, murmelte er, kniete sich hin und beugte sich über die Wunden des Stöhnenden. »Daran solltest du arbeiten.«

»Ich musste nicht gerettet werden«, flüsterte sie verärgert. Cops kamen zu ihnen, wie sie aus dem Augenwinkel sehen konnte. Sie hatten ihre Waffen gezogen und näherten sich vorsichtig.

»Doch musstest du.«

Fast hätte Dee ihn angeknurrt. Jeden Moment würden die Cops sagen …

»Die Hände hoch! Schön langsam und …«

Ah, sehr gut! Die Stimme erkannte sie. »Harry, wir haben hier ein Schussopfer. Er muss ins Mercy General.«

»Dee?« Das klang weniger überrascht als entsetzt.

»Ja, und passt auf. Der Schütze könnte noch in der Nähe sein.«

Harry und sein Partner duckten sich sofort. Gleichzeitig riss Harry sein Funkgerät vom Gürtel und rief irgendwelche Befehle hinein.

»Warum wundert’s mich nicht, dass die Cops dich kennen?«, raunte der Dunkle.

Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, bevor sie sich näher zum Opfer neigte und ihm zuflüsterte: »Falls du nicht in der Psychiatrie landen willst, sag kein Wort von der Vampirin.«

Er blinzelte und nickte einmal ruckartig.

Gut. Denn die Cops hatten keinen Schimmer von den Paranormalen in der Stadt, und sollte das Opfer anfangen, etwas über Dee zu faseln, die eine untote Blutsaugerin einfangen wollte, könnte es schwierig werden.

Sie hockte sich wieder richtig hin. So viel zu einem leichten Fang. Bei Night Watch würde man ihr hierfür tagelang die Hölle heiß machen.

Und wer war der Schütze gewesen? Warum hatte er auf sie gezielt?

Das musste sie rauskriegen, und zwar schleunigst.

Denn keiner feuerte auf sie und kam ungeschoren davon. Keiner.

Sandra »Dee« Daniels war klein, schmuddelig und hätte wirklich, ganz ernsthaft, nicht attraktiv sein sollen.

Das blonde Haar reichte ihr kaum bis zum Kinn und sah aus, als hätte sie selbst die Schere angesetzt, um die kurzen, schiefen Stufen hineinzuquälen. Ihre Nase saß nicht ganz mittig, ihre Unterlippe war ein bisschen zu voll, ihr Kinn ein bisschen zu spitz.

Nein, sie sollte nicht anziehend sein.

Die Jeans, die sie trug, war ausgeblichen und rissig. Ihr weißes T-Shirt schmiegte sich etwas zu eng an die kleinen Brüste, und die schwarzen Stiefel waren so zerkratzt, als hätte sie mit ihnen schon mehrere Pilgerwanderungen absolviert.

Aber …

Aber sie war verflucht sexy. Vielleicht lag es an den Augen. So groß und dunkel. Schokoladenbraun. Und früher hatte er Schokolade geliebt.

Oder es war der Mund. Ihre Lippen waren voll, weich und rot. Okay, ja, möglicherweise gefiel ihm ihr Mund.

Sehr.

Sie hatte ihre geballten Fäuste in die Hüften gestemmt. Überall wimmelte es von Cops, die wie die Ameisen umhereilten und den Tatort absuchten. Er war inzwischen schon dreimal befragt worden, und sowohl er als auch Dee durften endlich gehen.

Nur rührte die Frau sich nicht von der Stelle, und wenn sie sich nicht rührte, tat er es auch nicht.

Nach fünfminütigem Schweigen bemüßigte sie sich endlich, einen Blick in seine Richtung zu werfen. »Harry hat gesagt, du kannst gehen, Alter.«

»Simon. Simon Chase.« Sie wusste, wie er hieß. Sie war ja dabei gewesen, als er es den Uniformierten buchstabierte. Jedes Mal.

Sie schnaubte.

Fast hätte er gegrinst. Fast. »Nun, ich kann nicht umhin zu bemerken, Sandra …«

»Dee«, fiel sie ihm spitz ins Wort.

Er war auch dabei gewesen, als sie ihren Namen buchstabieren musste. Und er hatte es genossen, wie verärgert sie gewesen war. Harry, du kennst den Scheiß doch, S-A-N-D-R-A … Mann, was soll das?

»Dee«, sagte er. Trotzdem würde er sie bald wieder Sandra nennen. Ihm gefiel es, wie sich ihre Wangen röteten, sobald sie den Namen hörte. »Dir scheint es nicht besonders viel auszumachen, dass jemand versucht hat, dich zu erschießen.«

Das Opfer war bereits in einem Krankenwagen weggebracht worden. Auf dem Boden war eine Blutlache, die Simon jedoch nicht beachtete. Seine Nasenflügel bebten ein kleines bisschen, aber der Geruch wurde schon weniger.

Sie zuckte mit den Schultern. »Ist ja nicht das erste Mal.«

Er gab sich milde erstaunt. »Ach nein?«

Wieder schnaubte sie. Offenbar machte sie diesen Laut gern.

»Und du hast keine Ahnung, warum andere dich tot sehen wollen?«

Eine kleine Falte bildete sich zwischen ihren goldblonden Brauen. »Nicht die geringste.«

Klar.

Sie hob die Hände ein wenig, ließ sie aber gleich wieder sinken. »Okay, war mir ein Vergnügen, Chase, aber ich habe zu arbeiten.«

Er zog einen Holzpflock aus seiner Gesäßtasche. »Was für eine Arbeit ist das eigentlich, Sandra?«

Wangenröte. Sie machte einen Satz auf ihn zu und packte den Pflock, doch er ließ ihn nicht los. Nun war sie dicht bei ihm, nahe genug, dass er die goldenen Pünktchen im Tiefbraun ihrer Augen sehen konnte. Nahe genug, dass er den Puls unten an ihrem Hals sah. Nahe genug, dass er beinahe ihre Lippen schmecken konnte.

Er hielt den Pflock fest. Das Holz war glatt und hart. Offensichtlich hatte die Frau einige Zeit aufs Schmirgeln ihrer Waffe verwandt.

»Gib ihn mir.« Sie blickte sich über ihre Schulter um. »Ich will diesen Scheiß hier nicht allen erklären müssen! Nicht, solange die letzte Silberschießerei nicht abgehakt ist.«

Silberschießerei? Das klang nach einer spannenden Geschichte.

Langsam ließ er den Pflock los, und sie entriss ihm die Waffe. Dann kniete sie sich hin und verstaute das Ding in einer Art Halfter oberhalb ihres Knöchels.

Als sie ihre Jeans hochzog, erheischte Simon einen kurzen Blick auf ihr Bein. Hübsch. Glatt, blass und …

Sie richtete sich so schnell wieder auf, dass sie ihn um ein Haar am Kinn erwischte. Mal wieder.

Simon schüttelte den Kopf. Sie war so gar nicht, was er erwartet hatte. »Du hast mir nicht geantwortet«, sagte er und bemühte sich, ihren Duft zu ignorieren. Schwindelerregend aromatisch. Dunkel. Der sinnliche Duft einer Frau.

Sie benetzte sich die Lippen. Es war lediglich ein kurzes Huschen mit der Zungenspitze, bei dem sein Schwanz zuckte.

Ganz klar nicht, was er erwartet hatte, aber er beklagte sich nicht. Nein.

»Glaub mir, das willst du nicht wissen.« Sie ging einige Schritte rückwärts und lächelte. »Danke, dass du mir den Arsch gerettet hast, Chase.«

Mit diesen Worten verschwand sie. Drehte sich um und marschierte mitten durch die Cops, die nach wie vor überall herumwuselten. Und Simon sah besagtem Arsch nach. Hübsch, stramm und rund genug, um ihn in beiden Händen zu halten.

Er wartete eine Sekunde. Zwei.

Dann ging er ihr nach, denn so leicht ließ er seine Beute nicht entkommen. Wo blieb denn da der Spaß?

Auf dem Weg nickte er höflich den Polizisten zu, an denen er vorbeikam.

Ihm wurde rasch klar, dass Dee nicht zurück zur Hauptstraße wollte. Die Frau zog sich nicht in ihren sicheren Wagen zurück. Stattdessen schlich sie durch die Seitengassen und begab sich noch tiefer in den finsteren Teil der Stadt.

Und sie blickte nicht einmal hinter sich.

Weil sie ebenfalls auf der Jagd war.

Tickte sie nicht richtig? Die Frau wäre fast erschossen worden! Sollte sie da nicht wenigstens ins Grübeln kommen? Er ballte die Fäuste, als er ihr folgte. Die Nacht verschluckte ihn und sie. Und sie beide jagten.

Zäh verstrich die Zeit. Noch eine uneinsehbare Straßenecke, noch eine Seitengasse. Er behielt sie im Blick Seine Nasenschleimhaut brannte, denn in diesen Straßen stank es. Nach Müll und Exkrementen. Er wollte sich nicht einmal vorstellen, in was er hier trat.

Die Frau sollte tunlichst auch seine Mühe wert sein.

Er bog um eine Ecke, wo eine weitere Gasse zwischen zwei hohen Häusern hindurchführte.

Dee war fort.

Er erstarrte und blickte geradeaus.

Dann hörte er leise Schritte hinter sich. Sie hätten ebenso gut ein Windrascheln sein können oder …

Simon drehte sich blitzschnell um und fand sich von Angesicht zu Angesicht mit Dee. Sie war bewaffnet, allerdings nicht mit dem Pflock sondern einer Schusswaffe. Und die richtete sie genau zwischen seine Augen.

Wahrscheinlich sollte er ängstlich sein. Oder irgendeine dämliche Entschuldigung murmeln, weil er sie verfolgt hatte.

Stattdessen starrte er sie einfach nur an.

»Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb du mir nachstellst?«

Die Waffe blieb, wo sie war, während sich die anziehenden Lippen zu schmalen Linien zusammenpressten.

»Ja.« Er erlaubte sich, an ihr hinabzusehen, und ermahnte sich, behutsam mit ihr zu sein. Allzu leicht vergaß er, wie klein und zerbrechlich sie war.

Könnte an der Waffe liegen. Ja, die ließ einen solche Details schon mal vergessen.

Sie gab sich tough, dennoch bestand sie aus nichts als weichen Kurven und süßem, zartem Fleisch.

»Augen nach oben, Arschloch!«

Sie hatte also etwas dagegen, dass er ihr auf die Brüste gaffte. Verständlich. »Du warst weg, bevor ich dich nach deiner Nummer fragen konnte.«

Ihr fiel die Kinnlade herunter. »Was?«

»Deine Telefonnummer«, sagte er achselzuckend. »Ich meine, ich habe dir das Leben gerettet, sollte ich da nicht zumindest deine Telefonnummer kriegen?«

Sie knurrte etwas und nahm endlich die Waffe herunter. »Hör mal zu, Bursche …«

»Simon Chase.«

»Egal. Ich habe keine Zeit für diesen Blödsinn. Ich vögel nicht mit dir, weil du mich aufs Pflaster geknallt hast. Und nur dass du es weißt, deine sogenannte Rettungsaktion war unnötig. Das war nämlich nicht mein erstes Spiel mit fliegenden Kugeln, okay?«

Ich vögel nicht mit dir. Hmm. »Ich entsinne mich nicht, um Beischlaf gebeten zu haben.« Auch wenn er ihn nicht verweigern würde. »Soweit ich mich erinnere, sprach ich von deiner Telefonnummer.«

Sie bleckte die Zähne. Hübsche Zähne. Weiß und gerade. Nicht sonderlich groß, aber sie war ja auch menschlich.

Seine Zungenspitze glitt unwillkürlich über seine eigenen Zähne. Ein wenig schärfer als ihre.

»Ich arbeite, und ich habe keine Zeit für diesen …«

»Ja, schon gut. Übrigens hast du immer noch nicht meine Frage beantwortet.« Simon neigte den Kopf zur Seite. »Was für eine Arbeit ist das?«

Sie steckte ihre Waffe weg. »Die Art, die du nicht verstehen würdest.«

Unwahrscheinlich. »Überlegen wir mal. Du hattest einen Holzpflock in der Hand und warst ungefähr drei Meter von einem Vampir entfernt, als ich dich zum ersten Mal sah.« Er machte eine kurze Pause. »Ich würde sagen, das lässt auf Jägerin schließen.«

Sie musterte ihn. »Ach ja? Du weißt von den Vampiren? Schön für dich.«

»Oh ja, ich weiß von den Vampiren.« Zu viel. »Ich weiß ebenfalls von den Dämonen, den Geisterbeschwörern und den Gestaltwandlern, die sich in der Stadt herumtreiben.« Er kannte sogar ihren Boss, Jason Pak. Pak war die Night Watch Agency. Vor knapp zwanzig Jahren war er ins Kopfgeldjägergeschäft eingestiegen, und Dee war eine seiner Spitzenkräfte.

Aber sie musste ja nicht erfahren, dass er sie längst überprüft hatte.

Seine Hände waren inzwischen entspannt, nicht mehr zu Fäusten geballt. »Ich weiß alles über die Anderen.« In der feuchten Julihitze klebte ihm das Hemd auf der Haut. »Und ich habe schon vor sehr langer Zeit aufgehört, mich vor Monstern im Dunkeln zu fürchten.«

Unweigerlich ging ihr Mund ein wenig auf.

»Verfluchte Jägerin!« Die Stimme war schrill vor Zorn.

Mist!

Simons Blick richtete sich auf die Stelle jenseits von Dees Schulter. Der Vamp. Blut tropfte ihren Arm hinunter. Sie hatte die Reißzähne entblößt, und ihre Augen glitzerten schwarz.

»Ich reiß dir die Kehle auf und leg dich trocken, Schlampe. Ich mach dich …«

Kaum merklich veränderte Dee ihre Haltung. Simon sah wieder zu ihr. »Sicher, dass du keine Angst hast?«, flüsterte sie.

Er nickte kurz.

»Und ich schlitz deinen Liebhaber auf! Er wird darum betteln, zu sterben. Er wird …«

Dee wirbelte herum. Sie hatte ihren Pflock in der Hand. Wow! Er hatte nicht einmal mitbekommen, wie sie nach dem Pflock griff, und nun war er in ihrer Hand – nein, in der Luft. Er flog mit der Spitze voran in einem tödlichen Bogen auf die Vampirin zu.

Und versank in deren Brust.

Der Vamp gab einen erstickten Schrei von sich und sank auf die Knie.

»Ich wollte dich lebend schnappen«, murmelte Dee. »Aber du musst diesen Abend unbedingt ruinieren, was?«

Das Schwarz in den Vampiraugen verblasste.

Dee machte die Schultern gerade und schritt auf die Vampirin zu. »Und er ist nicht mein Liebhaber.«

»Noch nicht«, ergänzte Simon, der feststellte, dass er beeindruckt war.

Sandra Dee hatte ihre Beute zur Strecke gebracht. Hatte sich nicht von ihm ablenken lassen. Nein, sie hatte nicht aufgegeben, war nicht verschwunden, als die Cops aufkreuzten.

Und als sich eine Chance ergab, ihre Beute zu töten, hatte sie nicht gezögert.

Interessant.

Endlich war es genau das, was er erwartet hatte.

Ein Team von Night Watch kam, um die Gasse zu reinigen. Sie brachten die Vampirleiche weg, weiß der Geier wohin. Aber eigentlich war es ihm gleich.

Die heutige Nacht war überaus erfolgreich gewesen. Alles in allem war Simon zufrieden mit den Fortschritten, die erreicht wurden.

Nächstes Mal.

Simon trat aus dem Schatten und klopfte an die schwarze Tür. Sie öffnete sich sofort, und als er über die Schwelle trat, zückte er bereits sein Geld.

Der Mann drinnen war klein, vierschrötig und hielt eine Waffe in der Hand. Sein schmieriges schwarzes Haar hatte er nach hinten gekämmt, und seine Knopfaugen blitzten, als er das Geld in Simons Hand sah.

Er griff nach den Scheinen.

Simon zog den Arm zurück. »Der Mensch wurde verwundet.«

Schweiß lief dem Mann über die Wange. Hier drinnen war es verflucht heiß. Aber, na ja, es war Sommer in Baton Rouge, also war es überall unerträglich heiß. »D-das war keine Absicht. Als du die Frau runtergeworfen hast, hat ihn die Kugel versehentlich gestreift.«

Gestreift, nicht getötet, und deshalb lebte der Schütze noch. »Ich will, dass du aus der Stadt verschwindest, noch heute Nacht.« Simon hielt das Geld nach wie vor außer Reichweite. »Sollte ich dich je wiedersehen, bist du tot.«

Ein hörbares Schlucken.

Simon neigte sich näher, hinreichend nahe, dass der Schütze in seinen Augen erkennen konnte, wie ernst es ihm war. »Und es wird kein schöner Tod.« Die, die er herbeiführte, waren es selten. »Hast du mich verstanden?«

Der Mann brachte ein kleines Nicken zustande.

Simon schleuderte ihm das Geld hin. Der Mistkerl hatte seinen Job gemacht. Er hatte auf Dee geschossen. Und Simon den Einstieg verschafft, den er brauchte.

Leider war der verwundete Mensch nicht Teil des Plans gewesen.

Simon wandte sich zur Tür. Es gab noch Arbeit. Stets gab es mehr Arbeit.

Die Kugel knallte ihm in den Rücken: Ein krachender Brandschmerz, der durch Haut und Muskeln direkt in den Knochen trieb.

Er schlug der Länge nach auf den Boden auf, hart, und Blut rann ihm aus dem Leib. Verflucht!

Das hätte er kommen sehen müssen. Dieser Tage durfte man Killern nicht trauen.

Er hörte das Knirschen von Schritten und ein aufgeregtes Flüstern. »N-niemand bedroht Frankie Lee.« Noch ein Schuss. Der ging direkt hinten in sein rechtes Bein.

Simon schrie nicht. Er biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen den Schmerz.

»Du bist derjenige, der keinen leichten Tod kriegt, Arschloch!« Noch ein Schuss, diesmal in den linken Oberschenkel.

Mistkerl!

Frankie packte Simons Haar am Hinterkopf und riss seinen Kopf hoch. Nun starrte Simon direkt in den Waffenlauf, und der Gestank von brennendem Metall drang ihm in die Nase. »Niemand bedroht …«

Weiter kam Frankie nicht, denn Simon sprang auf und brach ihm das Handgelenk.

»Scheiße!« Sämtliche Farbe wich aus Frankies Gesicht.

Die Waffe fiel klappernd zu Boden. Simon sah nicht einmal hin. Er brauchte sie nicht. Und mit der Waffe wäre es zu kurz und schmerzlos. Was überhaupt nicht seinem Stil entsprach.

Simon griff sich den zappelnden Dreckskerl, schlang eine Hand um Frankies Hals und drückte ihn an die Wand. Frankies Beine strampelten einen guten halben Meter über dem Boden.

»Wie zum Henker …«

Simon lächelte, als Frankie zu schlottern begann.

»Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, flüsterte Simon, dem sein eigener Blutgeruch die Sinne benebelte. »Du hattest deine Chance.«

Jetzt war er dran.

Zweites Kapitel

»Bereit für einen neuen Fall?«

Dee blickte auf, als Jason Pak in ihr Büro kam. Er trug einen seiner schicken Anzüge – wie üblich – und lächelte.

Paks Lächeln war nie ein gutes Zeichen.

Dee nahm langsam die Füße von ihrem Schreibtisch. »Was für ein Fall?« Sie hatte eigentlich überlegt, ein bisschen Urlaub zu machen, vielleicht rüber nach Biloxi zu fahren, in einem der Casinos zu wohnen und den Strand zu genießen.

Pak schloss die Tür hinter sich. Lautlos. Er war sehr begabt darin, keine Geräusche zu machen. Einmal hatte er Dee erzählt, dass er das Jagen und Fährtenlesen von seinem Choctaw-Großvater lernte.

Und das Töten lernte er, indem er seiner koreanischen Mutter folgte.

Er kam auf Dees Schreibtisch zu und warf ihr eine Akte hin. »Wir haben Nachricht, dass ein Geborener in der Stadt ist.«

Dee gefror das Blut in den Adern, bis sie das Gefühl hatte, ihre Haut wäre von Eis benetzt.

Ein Geborener. Sie befeuchtete sich die trockenen Lippen. Okay, es gab nur wenig, was ihr Angst machte, aber diese Typen taten es. »Was macht ein Geborener in dieser Stadt?« Geborene waren selten, Gott sei Dank. In den USA gab es nur eine Handvoll, denn die meisten von ihnen hielten sich lieber in Europa oder Afrika auf.

Geborene waren Vampire, die als Blutsauger auf die Welt kamen. Also, technisch gesehen wurden sie mit menschlichem Aussehen geboren, verhielten sich menschlich, waren es aber nicht.

Irgendwann vertrugen sie keine menschliche Nahrung mehr, und die Blutgier überkam sie. Ihre Zähne wurden schärfer, ihre Kraft wie auch ihre sinnliche Wahrnehmung steigerten sich ins Ex-trem.

Dann wusste man, dass diese Freaks nicht menschlich waren. Und sie waren so gut wie unsterblich.

Pak zuckte mit den Schultern, seine dunklen Augen fest auf Dee gerichtet. »Ich vermute, dass er sich eine hübsche kleine Vampirarmee zusammenstellen will.«

Dee biss die Zähne so fest zusammen, dass ihr die Kiefergelenke wehtaten. Die Vampirismusplage verdankte sich dem schlechten genetischen Scherz, der diese Geborenen waren. Sie nämlich waren es, die loszogen, ihre Beute bissen, ihnen von ihrem Blut gaben. Und so geschah es, dass sich die einst wenigen DNS-Ausrutscher vervielfachten. Im Mittelalter hatten sie beinahe ein ganzes Land ausgelöscht.

Schwarze Pest, von wegen!

Manchmal war es so einfach, die Geschichte umzuschreiben. Vor allem wenn man verhindern wollte, dass die Menschen in Panik gerieten.

Dee drückte ihre flachen Hände auf die Oberschenkel, um sich den Schweiß an der Jeans abzuwischen. Ja, sie schwitzte. Einen Geborenen zur Strecke zu bringen war kein leichter Job. Die Typen waren zu stark. Alle, von denen Dee bisher gehört hatte, waren fast tausend Jahre alt.

In der Vampirwelt wuchs die Kraft mit dem Alter, ganz besonders bei Geborenen.

»Die Straßen dürfen nicht von Genommenen überflutet werden«, sagte Pak, der die Arme vorm Oberkörper verschränkt hielt und Dee mit jenem kalten Blick beobachtete, der stets zu viel sah.

Sie rollte die Schultern und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihr Herz wie wild pochte. »Vielleicht hat der Typ gar nicht vor, Leute zu wandeln.« Die Genommenen waren jene Vampire, die getötet und als rasende Blutsauger wiedergeboren wurden. Die Wandlung überlebte längst nicht jeder. »Vielleicht will er nur ein paar Leute umbringen.« Ihre Stimme klang kalt und ausdruckslos. »Kann sein, dass er nichts als ein Blutbad will.«

Sandra Dee! Lauf, Baby, lauf …

Der Schrei hallte ihr durch den Kopf, und unwillkürlich presste sie die Hände fester auf ihre Oberschenkel. Nein, daran darf ich jetzt nicht denken.

Nicht solange Pak sie beobachtete, als wäre sie eine Laborratte.

»Ist lange her, seit die Stadt eine Vampirverwüstung erlebt hat.«

War ihr Gesicht eben noch eiskalt gewesen, brannten ihre Wangen nun wie Feuer. »Ja, an die sechzehn Jahre.« Es hätte genauso gut gestern gewesen sein können, denn diese blutgetränkten Erinnerungen verblassten nie.

Mama? Sie schlief nicht. Nein, sie lag nicht schlafend in ihrem Bett.

Pak neigte den Kopf nach rechts. »Du musst ehrlich zu mir sein, Dee.«

Diese Bemerkung katapultierte sie in die Gegenwart zurück. Sie setzte sich auf und sah Pak misstrauisch an. »Ich bin immer ehrlich zu dir, Pak. Immer.« In ihrem Leben gab es keinen Schatten, über den Pak nicht Bescheid wusste. Und ohne ihn säße sie auf der Straße.

Nein, sie wäre tot.

Sie war achtzehn gewesen, und er hatte ihr eine Bleibe gegeben. Für die er nichts nahm. Ein vierzigjähriger Mann, der eine Streunerin von der Straße aufsammelte.

Sex war nie ein Thema zwischen ihnen gewesen, auch wenn es die meisten nicht glauben wollten. Aber Dee pfiff darauf, was andere dachten. Pak war keine Vaterfigur für sie. Sie hatte einen Vater gehabt. Pak war schlicht jemand gewesen, der die Monster in Schach hielt.

Bevor er sie lehrte, wie sie selbigen Monstern in den Hintern trat.

Und er war jemand gewesen, der sich mit Verlust auskannte.

»Dies hier ist anders. Dieser Fall wird anders.« Der Mann war so still! Dee hatte nie verstanden, wie man so regungslos sein konnte. Sie selbst war immerzu in Bewegung, zuckte oder tippte mit dem Fuß, trommelte mit den Fingern.

»Es ist bloß ein Vampir«, sagte sie und wollte sich sehr gern glauben. »Geborener oder Genommener, die können alle sterben.« Sie zum Sterben zu bringen war das Brenzlige an der Sache.

Sie dazu zu bringen, noch einmal zu sterben.

»Wenn du damit nicht umgehen kannst, setze ich Zane auf ihn an. Er kann den Kerl auch schnappen.«

»Zane kennt sich mit Vampiren nicht so gut aus wie ich.« Zane Wynter war ein guter Jäger, keine Frage. Doch von Untoten verstand der Dämon weniger als sie.

Pak machte eine Pause. »Zane ist außerdem nicht menschlich. Er hätte nicht deine … Schwächen.«

Also das war ein Schlag unter die Gürtellinie. Dann war Zane eben ein Halbdämon, na und? Dee sprang auf. »Geisterbeschwörer haben auch keine verfluchten Superkräfte, die sie übermenschlich machen.« Ja, Geisterbeschwörer konnten mit Tieren sprechen, was ein Vorteil bei der Jagd nach paranormalen Raubtieren war. Doch mehr als ein Dutzend Agenten bei Night Watch waren Beschwörer, und die waren ihr um nichts überlegen.

Sie starrte den Chefbeschwörer wütend an. »Ich bin nicht schwach.«

»Das habe ich nie behauptet.« Wieder eine Pause. Mann, der Kerl musste dauernd diese Schweigenummer bringen! Mit der Taktik hatte er sie früher rasend gemacht. Okay. Machte er noch. »Und ich habe auch nie gesagt, dass ich einen Beschwörer auf den Fall ansetzen will.«

Nein, nur einen Dämon.

»Zane wäre sehr viel schwerer zu töten als du«, sagte Pak gelassen.

»Kann sein.« Ja, verdammt! Dämliche Dämonenkraft! Er hätte sich letzte Nacht nicht überrumpeln lassen. »Aber ich bin ein besserer Vampirkiller als er.« Was stimmte, auch wenn es zickig klang.

Bei Paks Kopfnicken atmete Dee erleichtert aus. »Ja, bist du.« Er zeigte mit einem Finger auf sie. »Aber du brauchst Hilfe. Ich will, dass Zane dir Rückendeckung gibt.«

Sie widersprach nicht, denn die Dämonenkräfte könnten ihr durchaus nützlich sein.

»Und ich sage Jude, er soll sich bereithalten, notfalls zu euch zu stoßen.«

Ah, Jude. Der Tigerwandler genoss gerade sein junges Glück mit der neuen Partnerin. Dee nickte. Sie würde gewiss keinen Gestaltwandler mit seinem hervorragenden Spürsinn abweisen, wenn sie einen Supervampir jagte.

Ihr Herzklopfen drohte nach wie vor, ihren Brustkorb zu sprengen, aber ihre Hände schwitzten nicht mehr. Sie fragte: »Also, wie heißt die Zielperson? Welcher Schurke denkt, er kann unsere Stadt übernehmen?«

Pak lächelte sein Aligatorgrinsen, und Dees Muskeln verkrampften sich. »Ich weiß nicht, wer er ist. Nur was er ist.« Er nickte zur Akte. »Wir wissen lediglich, dass in der Stadt das Gerücht geht, es wäre ein Geborener hier. Kein Name. Kein Gesicht. Aber sämtliche Hexen und Hellseher in der Gegend melden, dass sie eine besondere Macht spüren – und die nicht zu knapp.«

Dee merkte auf. Kein Name? »Und wer ist unser Klient?« Bei Night Watch gab es immer einen Klienten. Schließlich jagten sie nicht zum Vergnügen. Sie jagten die Anderen, weil die Cops solche Killer nicht aufspüren konnten. Wenn ein Übernatürlicher auf Mordtour ging, riefen die Polizeiobersten von Baton Rouge Night Watch hinzu.

Ja, das Night-Watch-Team nahm hier und da auch Menschen fest, um das Bild von der legalen Kautionsjäger-Agentur aufrechtzuerhalten, aber die eigentlichen Ziele waren Paranormale.

Pak zupfte seinen ohnehin makellos sitzenden Anzug glatt. »Bei diesem Fall bin ich der Klient.«

Verdammt! Er musste die Bedrohung für ernst halten, denn Pak ließ niemals einen Fall persönlich werden. Das war seine Grundregel.

»Und, Dee, ich will diesen Mistkerl kriegen, verstanden? Denn ich möchte nicht noch einmal erleben, wie Blut auf meinen Straßen strömt. Nie wieder.«

Bei einem Geborenen könnte das passieren. Er konnte ihnen die Hölle auf Erden bescheren.

»Betrachte ihn als gepfählt.« Leichte Worte, harter Job. Aber sie machte ihn, denn ganz gewiss sah sie nicht tatenlos zu, wie Unschuldige von Vampiren im Blutrausch niedergemetzelt wurden.

Wie Pak gesagt hatte, nie wieder.

Zeit, ihre Pflöcke zu spitzen und auf die Jagd zu gehen.

Die Musik war scheußlich, das Essen eine Zumutung und die Tanzenden kopulierten praktisch auf der Tanzfläche.

Dee lehnte an der Bar, bemühte sich, das Pochen in ihren Schläfen zu ignorieren, und ließ ihren Blick über die Menge im Onyx schweifen.

Dies war ihr achter Club. Nur Menschen. Nun, größtenteils. Das Onyx setzte auf ein ahnungsloses Publikum, was es zu einem idealen Lokal für Vampire machte. Es war ungleich leichter, Beute zu greifen, wenn die Menschen gar nicht mitbekamen, in welche Gefahr sie sich begaben.

Sie bemerkten es erst, wenn ihre Dates aufhörten, sie zu verführen, und anfingen, sich an ihnen zu nähren.

Dann war es zu spät, um zu schreien.

Dee trommelte mit den Fingern auf dem Bartresen. Zane lehnte hinten in der Ecke und ließ seinen Blick durch den Raum wandern. Neben ihm stand eine vollbusige Blondine. Typisch.

Jude war bislang nicht aufgetaucht. Aber er würde bald kommen, und dann konnte Dee es seiner Nase überlassen, den Laden hier zu überprüfen. Mal sehen, ob er den Verwesungsgeruch des Untoten aufspürte und …

»Darf ich dir einen Drink ausgeben?«

Sie beachtete die Männer um sich herum nicht, hatte die wenigen Anmachsprüche bisher mit frostigem Schweigen quittiert. Diese Stimme allerdings …

Dee sah nach links. Der große Dunkle war wieder da.

Und er lächelte auf sie hinab. Ein breites, strahlendes Lächeln, bei dem sich eine komische kleine Vertiefung auf seiner rechten Wange zeigte. Kein richtiges Grübchen; dazu war sein Gesicht zu hart. Diese Delle war ihr letzte Nacht nicht aufgefallen, doch da war sie auch vom Jagen und Töten abgelenkt gewesen.

Der Typ war wirklich scharf. Mist.

Dank der Strahler über der Bar, konnte sie ihn heute sehr viel besser sehen. Hier waren keine Schatten, in denen man sich verstecken konnte.

Kantige Züge, starkes Kinn, sexy Mann.

Sie benetzte sich die Lippen. »Ich habe schon was zu trinken«, antwortete sie und hielt ihr Glas hoch.

»Das ist Wasser, Babe.« Er winkte dem Barkeeper. »Ich bestell dir etwas mit Biss.«

Ja, das suchte sie schon den ganzen Abend. Vergeblich. Sie griff nach seiner Hand. »Ich arbeite.« Und Alkohol könnte sie langsamer machen, was sie nicht riskieren durfte. Nicht bei dem, den sie jagte.

Seine schwarzen Brauen bogen sich nach oben. Dann lehnte er sich näher zu ihr, so nahe, dass sie sein Aftershave riechen konnte. »Willst du heute Nacht wieder eine Frau umbringen?« Es war nur ein Flüstern, das ihr über die Wange wehte.

Sie kniff den Mund zusammen. »Vampir«, korrigierte sie leise und ließ seine Hand los.

Er blinzelte. Diese Augen waren unheimlich. Als würde sie von einem rauchigen Nebel angesehen.

»Letzte Nacht habe ich einen Vampir gejagt«, sagte Dee sehr leise, denn in einem Schuppen wie diesem wusste man nie, wer mithörte. »Und rein technisch gesehen war sie schon vorher umgebracht worden.«

Seine Finger schlossen sich um Dees Oberarm. Sie hatte sich ein schwarzes T-Shirt übergestreift, ehe sie aus dem Haus ging, und nun berührten seine Fingerspitzen ihre Haut. »Stimmt vermutlich«, murmelte er und neigte sich noch weiter zu ihr.

Seine Lippen waren höchstens fünf, vielleicht nur drei Zentimeter von ihren entfernt.

Wie schmeckt er wohl?

Es war zu lange her, dass sie einen Liebhaber gehabt hatte, und dieser Knabe erfüllte alle ihre Voraussetzungen: groß, stark, sexy und sich dessen bewusst, was in der Stadt vorging.

»Möchtest du tanzen?« Welch verlockende Worte. In denen nicht der Hauch eines Akzents anklang. Nichts als Sex.

Ja, Dee würde wetten, dass er fantastisch im Bett war.

Find’s raus. Eine nicht gerade dezente Provokation vonseiten ihrer Libido. Warum nicht? Sie war derzeit in keiner Beziehung. Er schien nicht abgeneigt und …

Dee stemmte ihre linke Hand gegen seine Brust und wollte ihn wegschieben. »Ich tanze nicht.« Erst recht nicht zu dieser zu schnellen, wummernden Musik, die ihr Kopfschmerzen machte.

Er wich nicht zurück, sondern blickte ihr in die Augen. »Schade.« Seine Finger strichen ihren Arm hinab und fingen ihr Handgelenk ein. Dann nahm er ihr das Glas ab, das er mit einem ziemlich lauten Knall auf den Tresen stellte.

Dee musterte ihn misstrauisch. »Verfolgst du mich?« Zwei Nächte hintereinander. Natürlich hätte es gestern Zufall sein können, ein Zufall, für den sie leider dankbar sein sollte, aber heute?

Ein Hauch von Lächeln umspielte seine Lippen. »Was ist, wenn ja?«

Seine Schenkel streiften ihr Bein. Große, kräftige Schenkel. Muskulös.

Dee schluckte. Dies war so gar kein geeigneter Zeitpunkt!

Dennoch war der Mann verführerisch.

Und sie konnte sich keine Ablenkung erlauben. Nicht jetzt. »Dann solltest du lieber sehr, sehr vorsichtig sein.« Dee stemmte ihn fester von sich weg.

Nun stolperte er tatsächlich einen Schritt zurück und grinste. »Du spielst die Unnahbare ziemlich konsequent. Allmählich glaube ich beinahe, du bist nicht interessiert, Sandra Dee.«

Wer war der Kerl? Dee sprang von ihrem Barhocker. »Richtig kombiniert, Freundchen.«

Wieder umfassten seine leicht rauen Finger ihr Handgelenk. Noch dazu überragte er sie um einiges. Aber das kannte sie ja schon. Wenn man nicht mal auf Stelzenabsätzen an die eins siebzig heranreichte, überragten einen die meisten Männer. Und Dee hatte in ihrem ganzen Leben noch keine hochhackigen Schuhe getragen.

Er beugte sich zu ihr und raunte: »Ich sehe doch, wie du mich ansiehst.«

Was sollte das heißen?

»Neugierig, aber nicht nur. Als lauerte eine wilde Seite in dir. Eine Seite, die gern ausgelebt werden möchte.«

Möglich. Und er wirkte wie jemand, der sich aufs Spielen verstand. Nach dem Fall.

»Ich kenne dich nicht, Chase«, sagte sie, wobei sie deutlich seine Berührung spürte. Und spürte, dass ihre Brüste sich anspannten und sie sich zu ihm lehnte, um mehr von seinem Duft zu inhalieren. »Ich weiß nicht …«

»Ich habe dir das Leben gerettet.« Ein Luziferlächeln. »Zählt das nicht?«

Doch, vielleicht.

»Dee!«

Das war Judes Knurren.

Chases Finger legten sich fester um ihren Unterarm.

Vielleicht auch nicht.

Der weiße Tigerwandler stürmte durch die Menge. Leute wichen aus, klug genug, ihm Platz zu machen. Binnen Sekunden war er an Dees Seite. Seine Nasenflügel bebten, seine Lippen kräuselten sich, und seine blauen Augen … tränten?

»Äh, Jude, was ist los?«

»Problem«, knurrte er. Im Knurren war er richtig gut. Seine Augen – die eindeutig tränten – richteten sich auf Chase. Beide Männer waren ungefähr gleich groß und von der gleichen rauen, kräftigen Statur. Jude allerdings war hell, seine Haut blass, sein Haar blond, wohingegen Chase …

Dunkelheit. Wieder kam ihr dieser Gedanke.

Judes Blick fiel auf die Hand, die immer noch Dees Gelenk umklammerte. »Mann, du solltest Dee lieber nicht belästigen.«

Super. Das brauchte sie momentan wahrlich dringend, dass er sich wie ein durchgeknallter Beschützer aufführte. »Ich komme klar.« Mehr als klar. Dann strich Chases Daumen über ihrem Handgelenk hin und her, so dass ihr Herz wild lospochte. Na und? Das war doch nichts.

Jude sah sie wieder an. »Wir haben ein Problem.«

Eines, das nicht vor einem Außenstehenden besprochen werden sollte, wie sie auf Anhieb begriff. Sie warf Chase ein lässiges Lächeln zu und bemühte sich sehr, gelassen zu bleiben. Ihr Leben war nicht wie das anderer Frauen. Sie konnte nicht einfach losziehen, einen netten Kerl aufgabeln und die Welt vergessen, während sie Sex hatten.

Nicht solange draußen Killer warteten.

Hätten die Leute in dieser Bar auch nur einen vagen Schimmer, was ihnen drohte …

»Wir sehen uns«, sagte sie betont gleichmütig und befreite sich von seiner Hand. Seine Finger waren rau gewesen, warm und stark.

Allzu gut konnte sie sich vorstellen, wie diese Finger über ihre Haut glitten, ihre Brüste umfingen, ihre Schenkel spreizten.

Dee schluckte. Okay. Es war offenbar zu lange her, seit sie flachgelegt worden war.

»Ich kann euch helfen.« Seine Worte bewirkten leider, dass sie zögerte und sich umdrehte. Verdammt!

Er sah sie vollkommen ruhig an.

»Heute Abend gibt’s keine Laienvorstellung, Kumpel«, murmelte Jude, dessen Nasenflügel zuckten. »Dee und ich haben einen Job zu erledigen.«

»Vielleicht braucht ihr Beute, um einen Vampir anzulocken«, fuhr Chase fort, ohne die Augen von Dee zu nehmen. »Möglicherweise bin ich der Mann, den ihr braucht.«

Das ließ sich nur auf eine Weise herausfinden.

»Verdammt, was hast du dem erzählt?«, fragte Jude, der sich mit einer Hand über die Stirn wischte. »Bedeckt halten, Mann, bedeckt.«

Dee achtete nicht auf ihn. Das war meistens ziemlich leicht. »Wir haben das bereits geklärt.«

Chases Wangenmuskel arbeitete, aber er schob eine Hand in seine Gesäßtasche und zog eine Karte heraus. »Falls du es dir anders überlegst, ruf mich an.«

Nimm sie nicht, nimm sie nicht, nicht, ach … verdammt! Dees Finger krümmten sich um die Karte.

Sie hatte nicht einmal gesehen, wie sich seine Hand bewegte. Doch im nächsten Augenblick hatte er ihre umfangen und hob sie an seinen Mund. Seine Lippen pressten sich auf ihre Haut. Seine Zunge kostete sie.

Zwei Sekunden, höchstens drei. Dann ließ er sie los und lächelte auf diese Bad-Boy-Art. »Ich wollte nur mal ein wenig kosten.«

Das wollte sie auch.

»Dee …«

Diesen Ton kannte sie. Jude würde jeden Moment einen Anfall kriegen – oder das, was einem Anfall bei einem Tiger am nächsten kam.

Chase ging dicht an ihr vorbei und verschwand in der Menge.

»Besorg dir später einen neuen Lover, wir haben jetzt Probleme.« Jude neigte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr. »Kymine.«

Dee hielt den Atem an.

»Die pumpen das hier rein. Und wenn hier Kymine verteilt wird …«

Dann waren hier auch Vampire.

Kymine. Eine süße kleine Kreation der Vampire, etwa zehn Jahre alt. Es handelte sich um ein Gebräu von Duftstoffen, mit denen der Geruchssinn von Gestaltwandlern ausgetrickst wurde.

Mit annähernd 95-prozentiger Genauigkeit konnten Gestaltwandler Vampirgeruch in einem Raum voller Leute ausmachen. Jude hatte ihr einmal erzählt, dass für ihn Vampire wie Leichen rochen. Ja, das leuchtete ein, bedachte man, dass sie tot waren. Jedenfalls irgendwie.

Um als Vampir wiedergeboren zu werden, musste ein Mensch sterben. Das Herz hörte auf zu schlagen. Das Gehirn stellte sämtliche Funktionen ein. Die Lunge arbeitete nicht mehr.

Tot. Kalt. Hallo, nächstes Leben.

Mehr oder minder Hallo. Denn war die Wandlung erfolgreich, wären wenige Momente wahren Todes das Einzige, was derjenige hatte. Sein Herz würde wieder schlagen, die Lunge sich wieder füllen, das Gehirn wieder loslegen.

Der Betreffende war also wieder lebendig, mit ein paar Extras.

Zum Beispiel Reißzähne, Superkräfte und eine unstillbare Gier nach Blut.

Da Vampire wussten, dass Wandler sie riechen konnten – und somit einen erheblichen Jagdvorteil genossen – hatten sie wie verrückt geforscht, bis sie endlich Kymine entwickelten.

Kymine war nur in geschlossenen Räumen verwendbar, in die es über das Lüftungssystem eingebracht wurde. Ein Wandler, der das Pech hatte, sich in einem solchen Raum aufzuhalten, verlor zeitweise seinen Geruchssinn.

Und fühlte sich, als würde ein Feuer in seiner Nase brennen.

»Ich kann nichts riechen«, flüsterte Jude ihr zu, so dass sie seinen Atem auf ihrem Ohr spürte. Für andere sahen sie wie ein Pärchen aus.

Das war die beste Art der Jagd. Täuschung. Irreführung.

»Die Mistkerle können direkt neben mir stehen«, sagte er, »und ich merke es nicht.«

So viel zum Wandler als ihrer Geheimwaffe heute Nacht.

Andererseits war es hier viel zu hell. Und zu voll. Falls ein Vampir hier war, könnte er sich sein Futter bestenfalls aussuchen, nicht aber vor so vielen Augen vernaschen.

Dazu musste er warten, bis er seine Beute allein erwischte.

Zeit für eine Planänderung. »Lass uns rausgehen. Du nimmst die Vorderseite, ich gehe nach hinten.« Zane sollte drinnen bleiben und die Bar im Auge behalten.

Der Clubbetreiber musste von den Vampiren wissen, denn warum sonst würde er Kymine in seinen Laden pumpen?

»Wir müssen Zane Bescheid geben. Er muss …«

»Schon geschehen.« Jude richtete sich wieder auf, wobei Dee eine kleine Reißzahnspitze erblickte. »Bist du bewaffnet?«

»Ist die Frage ernst gemeint?«

Die Andeutung eines Grinsens erschien auf seinem Gesicht. »Holen wir uns die Schweine.«

Guter Plan.

Sie griff in ihre Tasche und legte die Finger um ihren Pflock.

Die Nacht war zu ruhig. Vor allem für diesen Teil der Stadt. Es sollte Gelächter in der Luft liegen. Stimmen von Betrunkenen. Autohupen oder das schwache Wummern von Musik.

Dee schritt den Bereich bis etwa zehn Meter hinter dem Onyx ab. Keine Nachzügler, die auf Einlass warteten. Keine Liebespaare bei einem Quickie im Hinterhof.

Dee war allein.

Mit der drückenden Stille.

Die alles andere als natürlich war.

Sie wippte auf ihren Fersen und versuchte, nicht daran zu denken, dass Chase irgendwo in der Bar war. Wahrscheinlich hatte er sich umgänglichere Gesellschaft gesucht. Eine von diesen Frauen, die lachen und lächeln konnten und es auch so meinten; keine, die sich immer wieder umsah, weil sie wusste, dass überall Monster lauerten.

Fürchte dich vor der Dunkelheit. Eine Lektion, die sie schon mit fünfzehn lernte.

Und wie sie sich fürchtete.

Sehr leise Schritte waren hinter ihr zu hören. Dee hielt sich vollkommen ruhig, um ihre Beute nicht zu warnen. Sie atmete langsam aus und …

»Du bist tot, Dee.«

Eine weiche Frauenstimme.

Dee drehte sich um. Die Frau, groß, dünn, mit langen, mitternachtsschwarzen Haaren, stand beim Ausgang zum hinteren Parkplatz. Sie war allein, unbewaffnet und lächelte.