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Jean-Marie Pfaff - Mein Leben: Vom Straßenfußballer zum WelttorhüterDie berührende Autobiografie! Mit einem Vorwort von Sepp Maier.Der Mensch hinter dem Fussballstar:"Zuerst musst du ein guter Mensch sein, dann ein guter Torwart!" Jean-Marie Pfaff, der "El Sympático" der Fans, hat auch zu seinen besten Zeiten als Torhüter beim FC Bayern München und in der belgischen Nationalmannschaft immer gewusst, wo er herkommt und wo er hinwill.In seiner Autobiografie wird der Mensch hinter dem Fußballstar sichtbar. Aufgewachsen in einer Großfamilie in einfachen Verhältnissen, geprägt durch seinen früh verstorbenen Vater und seine liebevolle Mutter, hat sich der bodenständige Familienmensch mit Können und Ehrgeiz vom Straßenfußballer zum Welttorhüter entwickelt. Begleiten Sie ihn auf dieser Reise.
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Seitenzahl: 270
Veröffentlichungsjahr: 2023
VORWORT VON SEPP MAIER
Ein Wort von Torwart zu Torwart
EINLEITUNG
Unsere Familie ist das, was uns ausmacht
KAPITEL 1
Wie ich der wurde, der ich heute bin
KAPITEL 2
Meine Träume und Hoffnungen als junger Mensch
KAPITEL 3
Carmen, drei Töchter und der Goldene Schuh Enthält ein Interview mit Jean-Maries Tochter Lyndsey: „Mama und Papa sind großartige Vorbilder für uns!“
KAPITEL 4
Eine Sperre und ihre Folgen Mit Fragebogen: „Meine persönlichen Antworten auf persönliche Fragen“
KAPITEL 5
Erst nach dem Kaltz-Elfmeter bin ich so richtig in München angekommen
KAPITEL 6
Die meisterlichen Jahre bei den Bayern und im Nationalteam Enthält ein Interview mit Jean-Maries Tochter Debby: „Wir lieben unseren Vater dafür, dass er so ist, wie er ist!“
KAPITEL 7
Karriereausklang: „Leben wie Gott in der Türkei“
KAPITEL 8
Meine Karriere nach der Karriere Enthält ein Interview mit Jean-Maries Tochter Kelly: „Für Papa, für meine erste große Liebe“
KAPITEL 9
Blick zurück zum Anfang – und in die Zukunft
VIELEN DANK!
NACHWORT VON CARMEN PFAFF
Quellenverzeichnis: Interviews, Berichte und Video
Jean-Marie hat in den 1980er-Jahren mit einer Mischung aus blitzschnellen Reflexen, großer Sprungkraft und ausgefeilter Technik sowie hoher Konzentration den Torwartstil einer neuen Torwartgeneration geprägt. Er und ich haben vieles gemeinsam, aber eines ganz besonders: Die Menschen und Fans lieben uns bis heute nicht nur wegen unserer fußballerischen Leistungen. Nein, sie respektieren uns von Mensch zu Mensch, sie feiern uns, weil wir als Fußballstars in einem auch damals schon von materiellen Dingen geprägten Sport Menschen zum Anfassen geblieben sind.
Jean-Marie und ich waren nie „Schicki-Micki-Fußballer“ und hatten immer, bis heute, ein sehr nahes Verhältnis zu den
Schweißtreibend: Sepp Maier und Jean-Marie „lieben“ das Training mit dem Medizinball.
Fans. Das hat uns allgemein beliebt gemacht, nicht nur bei den Fans unserer jeweiligen Klubs und Teams, sondern weit darüber hinaus.
Vieles von dem, was Jean-Marie in seiner Autobiografie über sein Leben als Torwart erzählt, kann ich sehr gut nachvollziehen. Klar, wir sind nun einmal beide Torhüter und ticken daher ähnlich. Während es Jean-Marie von Beginn an ins Tor gezogen hat, träumte ich in meiner Jugend davon, als Mittelstürmer erfolgreich zu sein. Letztendlich ist es für Bayern München und unsere Nationalteams aus Belgien und Deutschland von Vorteil gewesen, dass wir beide im Tor gelandet sind.
Torhüter sind oft die Exoten in einem Team. Wir stehen da hinten, um den Kasten sauber zu halten. Zugleich jedoch nehmen wir großen Einfluss auf das Spiel, wir haben ja den besten Überblick. Auch Jean-Marie hat diese Kunst exzellent beherrscht. Natürlich kann ich mich als Torwart in seine Situation versetzen und beurteilen, was es heißt, manchmal recht allein und einsam zwischen den Pfosten zu stehen. Jean- Marie hat diese Position hervorragend ausgefüllt, weil er diesen unbezwingbaren Drang hatte, immer besser zu werden und seine Rolle als Torwart perfekt auszufüllen. Das gelingt nicht in jedem Spiel, aber Jean-Marie hat nie aufgegeben und ist auch nach heftigen Rückschlägen stets wieder aufgestanden.
Diese Mentalität habe ich hautnah erlebt, als er sich bei mir in Anzing mithilfe spezieller Trainingsmethoden und Übungen auf seine Spiele im Tor des FC Bayern München vorbereitet hat. Das waren tolle Tage und intensive Trainingseinheiten, bei denen wir trotz aller Anstrengungen viel gelacht und unseren Spaß gehabt haben.
Jean-Marie schreibt, dass es für ihn eine große Ehre bedeutete, mein Nachfolger bei Bayern München zu werden. Das Kompliment möchte ich erwidern: Jean-Marie – ich freue mich und bin stolz darauf, dass du dich damals als mein Nachfolger durchsetzen konntest!
Sepp Maier
Dies ist keine normale Autobiografie eines Fußballers, in der ein prominenter Sportler von seinen Erfolgen berichtet und erzählt, welche Stolpersteine er beiseiteräumen musste oder welche Rückschläge er gemeistert hat, um ein bekannter Fußballer und Torwart zu werden. Wenn du auf Klatschgeschichten hoffst oder lesen möchtest, welche Konkurrenten ich im Tor wegboxen musste, um mich zum Beispiel bei Bayern München durchzusetzen, muss ich dich leider enttäuschen. Dies ist kein Enthüllungsbuch, in dem schmutzige Wäsche gewaschen wird. Denn, um es vorwegzusagen, für mich, Jean-Marie Pfaff, geboren am 4. Dezember 1953 in Lebbeke in der Region Flandern in der Provinz Ostflandern in Belgien, gibt es einige Dinge, die sehr viel wichtiger sind als das Fußballspiel und das runde Leder.
Was glaubst du, welche Dinge ich meine?
DER MENSCH HINTER DEM FUSSBALLSTAR
Wenn ich einen Fußballplatz betreten habe, wollte ich natürlich gewinnen. Das begann bereits in den 1960er-Jahren in Lebbeke, wenn wir Jungs uns trafen, um auf dem holprigen Acker einem runden Etwas hinterherzujagen, das einem Fußball nur ein wenig ähnelte. Dieses Schlachtfeld nannten wir „The Kongoke“ – also einen Kampfplatz –, ein holpriges Sandfeld in der Kerkstraat. Dort wurden Duelle zwischen Teams ausgetragen, die die verschiedenen Straßen unserer Nachbarschaft vertraten. Nach der Schule ging es so gut wie immer raus zum Kicken. Einen Rasen kannten wir nicht, auf dem Acker waren schnell zwei Hand- oder Taschentücher oder Kleidungsstücke auf den Boden gelegt – dann mussten eben zwei von uns Burschen ohne Pullover spielen! –, die als Torpfosten herhalten mussten. Die größeren Jungs wussten zuerst nicht wirklich, was sie mit mir, dem leicht übergewichtigen Jungen, den sie „Fettie“ nannten, anfangen sollten. Darum haben sie mich ins Tor gestellt.
Gewinnen wollte ich auch, als ich später mit meinen Brüdern kickte. Und erst recht, als ich 1978 half, für den KSK Beveren den belgischen Pokal und damit den ersten Titel zu gewinnen. Und selbstverständlich wollte ich auch gewinnen, als Belgien 1986 im Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko gegen Diego Maradona um den Einzug in das Finale gekämpft hat. Mein Ehrgeiz hat dafür gesorgt, dass ich stets der Bessere und der Beste sein wollte.
Jetzt vermutest du vielleicht, dass das Fußballspielen doch das Wichtigste in meinem Leben gewesen sein muss. Aber nein: Das Wichtigste in meinem Leben ist die Familie gewesen. Und das wird sie auch immer bleiben. Zunächst meine Eltern und meine Geschwister, von denen ich gleich elf hatte, fünf Brüder und sechs Schwestern, und später meine Frau Carmen und meine Kinder Debby, Kelly und Lyndsey mit ihren Familien. Mittlerweile habe ich sechs Enkelkinder.
Deshalb geht es mir in meiner Autobiografie auch darum, dass du mich als Menschen kennenlernst und nachvollziehen kannst, wie ich der wurde, der ich heute bin, und wie ich mich vom Straßenfußballer zum Welttorhüter entwickelt habe. Es ist für jeden Menschen wichtig zu wissen, wo er herkommt und welche Erlebnisse ihn zu dem gemacht haben, der er ist.
Wenn du dieses Buch nach dem Lesen aus der Hand legst und sagst, dass du nun den Menschen Jean-Marie Pfaff besser kennst und verstehst, dann habe ich eines der Ziele, die ich mit dieser Autobiografie verfolge, erreicht.
Der berühmte und bekannte Fußballer, der 1986 in Mexiko einen nie erwarteten vierten Platz belegte und 1987 mit Bayern München im Wiener Praterstadion, dem späteren Ernst-Happel-Stadion, im Finale des Pokals der Landesmeister gegen den FC Porto stand, war ich nicht immer. Wenn du wissen willst, wie ich als junger Mensch in der flämischen Stadt Lebbeke in einem Wohnwagen gelebt habe und aufgewachsen bin und wie es geschehen konnte, dass ich heute in einer schönen Villa in Brasschaat bei Antwerpen lebe, dann solltest du meine Autobiografie lesen.
Jean-Marie und Johan Cruyff beim Johan-Cruyff-Foundation-Cup 2010 in Amsterdam
WAS WIRKLICH ZÄHLT IM LEBEN
Der niederländische Fußballweltstar Johan Cruyff hat einmal über mich gesagt, er habe selten einen Fußballer kennengelernt, der seine Gegner so wertgeschätzt hat, wie ich es getan habe und heute noch tue. Er hat mich als sozialen Menschen bezeichnet, der sich neben all seinen (auch sportlichen) Aktivitäten immer die Zeit genommen hat, sich um andere Menschen zu kümmern, die ihm etwas bedeuteten und für ihn etwas Besonderes waren. Dass ich ein einzigartiger Mensch sei, schien Johan Cruyff eine Untertreibung zu sein. Vielen Dank für diese berührenden Worte, Johan.
Ich würde mich freuen, wenn auch ihr, liebe Leserinnen und liebe Leser, nach der Lektüre dieser Autobiografie sagen würdet, dass ich nicht nur ein guter Torwart war, sondern auch ein guter Mensch bin. Denn darauf kommt es an: Zuerst musst du ein guter Mensch sein, dann ein guter Torwart!
Vielleicht können du oder deine Kinder, die davon träumen, Karriere als Fußballer zu machen, etwas von einem Fußballer lernen, der zu einer Zeit aufgewachsen ist, in der es noch nicht üblich war, bereits in Kindheit und Jugend eine minutiös vorausgeplante Karriere in einem Fußballleistungszentrum zu durchlaufen. Dabei muss die Verwirklichung deines Lebenstraums gar nicht unbedingt mit dem Sport oder dem Fußball zu tun haben. Ganz gleich, was du dir wünschst und erhoffst: Du kannst selbst dann deine Wünsche und Hoffnungen erfüllen, wenn deine Startbedingungen und Lebensumstände nicht die günstigsten sind. Dazu soll dich meine Lebensgeschichte ermutigen.
Viele der Erlebnisse und Erfahrungen, die mich geprägt haben, haben mit dem Fußball überhaupt nichts oder wenig zu tun. Ich denke zum Beispiel an den tragischen Tod meines Neffen Mario und vor allem an meinen Vater, den ich bereits im Alter von nur zwölf Jahren 1965 verloren habe und der mir mit seinem tiefen Glauben an mich und meine Fähigkeiten, auch als Fußballer und Torwart, geholfen hat, meine Ziele in meinem Leben zu erreichen. Ihm habe ich einst am Sterbebett versprochen, alles zu tun, ein guter und großer Torwart zu werden. Ich glaube, ich konnte dieses Versprechen einlösen. Und das macht mich jetzt in dem Moment, in dem ich weit über ein halbes Jahrhundert zurückblicke und tief in die Vergangenheit eintauche und mich erinnere, sehr glücklich.
VOM KOPF DIREKT INS HERZ
Es gibt nichts Wichtigeres im Leben als Menschen, die an dich glauben und dir vertrauen. Wenn du solche Verwandte, Freunde und Bekannte hast, wirst du deine Ziele erreichen und erfolgreich sein.
Dabei geht es nicht um Verstand und Vernunft und rationale Gründe, die den Kopf ansprechen und die andere Menschen an dich glauben lassen. Nein, es geht um etwas ganz anderes. Viel entscheidender sind aus meiner Sicht Gründe, die direkt das Herz erreichen. Wenn dir ein Mensch, der dir sehr nahesteht, versichert, er glaube an dich und die Verwirklichung deiner Träume, dann führt das zu einem großen Antrieb und setzt mächtige Kräfte und Energien in dir frei. Mein Vater Honoré und meine Mutter Gerdina waren solche Menschen. Das, was sie mir gesagt und mit auf den Lebensweg gegeben haben, hat sich in meinem Körper festgesetzt, sich in meinen Genen eingepflanzt und mir – da bin ich sicher – auch auf dem Fußballplatz und als Torwart geholfen.
Bei der Arbeit an diesem Buch habe ich mich an lange zurückliegende Dinge erinnert, die mir oft gar nicht mehr gegenwärtig waren. Manchmal hatte ich dabei das Gefühl, dass ich an einem Fluss sitze und die Bilder der Erinnerungen an mir vorüberziehen. Manche Bilder und Erinnerungen treiben unbeachtet weiter, andere werfe ich zurück in den Fluss, auch weil sie zu emotional und schmerzhaft sind. Und wiederum andere Bilder und Erinnerungen greife ich heraus, damit sie in diesem Buch auftauchen können und dein Herz ebenso direkt berühren wie meines. Weder Alter, Vermögen, Herkunft noch das Aussehen zählen, sondern das, was ein Mensch in seinem Herzen trägt. Wir Menschen sehen das wirklich Wichtige im Leben immer nur mit dem Herzen.
Das wirklich Wichtige im Leben: Vor allem nach seiner Karriere engagiert sich Jean-Marie für wohltätige Zwecke, etwa bei Benefi z-Fahrradtouren.
Meine wichtigsten Lebensstationen und Erfolge
Meine Familie: Meine Frau Carmen und meine drei Töchter Debby, Kelly und Lyndsey mit ihren jeweiligen Familien, vor allem den Enkeln Keano und Liam, Shania und Kenji, Bruce und Fay64-facher belgischer NationaltorhüterMit Belgien zweiter Platz bei der Europameisterschaft 1980 in ItalienMit Belgien vierter Platz bei der Weltmeisterschaft 1986 in MexikoBelgischer Pokalsieger 1978 mit KSK Beveren (Gegner: Sporting Charleroi)Belgischer Meister 1979 mit KSK BeverenMit Bayern München DFB-Pokal-Sieger 1984 und 1986Mit Bayern München Deutscher Meister 1985, 1986 und 1987Mit Bayern München DFB-Supercup-Sieger 1987Mit Bayern München Finalist im Europapokal der Landes meister 1987 (Gegner: FC Porto)Welttorhüter 1987Engagement bei Lierse SK 1988–1989Engagement bei Trabzonspor (Sportklub Trabzon) 1989–1990Wenn wir nicht genau wissen, wie und wo wir angefangen haben, können wir auch nicht einschätzen, wohin wir uns entwickeln werden. Ich möchte wissen, wie ich zu dem Menschen geworden bin, der mich morgens im Spiegel anschaut.
FLUTKATASTROPHEN, BANANENFLANKEN UND DIE NUMMER 10 IM HAUSE PFAFF
Wir schreiben das Jahr 1953 – die harten Jahre des Zweiten Weltkrieges sind vorbei, die entbehrungsreichen Nachkriegsjahre überstanden. Aber es ist wieder einmal einiges los auf der Welt:
Der sowjetische Machthaber Josef Stalin stirbt in Moskau, in der damaligen DDR kommt es am 17. Juni zu einem Volksaufstand. Das sind herausragende politische Ereignisse. Auch der Sport hat einiges zu bieten: Ann Davison überquert als erste Frau den Atlantik als Einhandseglerin, Edmund Hillary und Tenzing Norgay besteigen im Mai den 8.848 Meter hohen Mount Everest, es ist die Erstbesteigung des höchsten Berges der Welt.
Im Februar ereignet sich die schreckliche Flutkatastrophe in den Niederlanden, die als „Hollandsturmflut“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Auch Großbritannien und Belgien sind betroffen und werden in Mitleidenschaft gezogen. An der flämischen Küste erleiden vor allem die Küstenorte große Schäden, die Folge sind Obdachlose, Verletzte und Todesopfer. In Belgien sterben 14 Menschen. In Beveren bricht der Seedeich, die Innenstadt von Oostende wird vollständig überflutet.
Was ist aus dem Jahr 1953 fußballerisch zu berichten? Der 1. FC Kaiserslautern wird deutscher Fußballmeister (es stimmt mich traurig, wenn ich höre, dass dieser große Verein mittlerweile, in der Saison 2020/2021, in der dritten Liga in Deutschland gegen den Abstieg kämpft), in Belgien bestimmen in den 1950er-Jahren der FC Lüttich und RSC Anderlecht das fußballerische Geschehen, 1953 wird der FC Lüttich belgischer Fußballmeister. In diesem Jahr erblicken einige spätere Fußballstars das Licht der Welt, zum Beispiel der Kopfballspezialist Dieter Hoeneß, der Stürmerstar Hans Krankl, der „Bananenflanken“-Gott Manfred Kaltz (der in meiner Karriere eine wichtige Rolle gespielt hat, dazu später mehr), der brasilianische Fußballkünstler Zico, Felix Magath und Ewald Lienen, die Trainer Christoph Daum und Huub Stevens. Und auch ich komme 1953 zur Welt, und zwar am 4. Dezember. Ich bin das zehnte Kind meiner Eltern, die sich im Laufe ihres Lebens über sechs Jungen und sechs Mädchen freuen dürfen, wobei meine älteste Schwester sehr früh gestorben ist.
Später bin ich als Torhüter immer die Nummer 1, in unserer Großfamilie war ich die Nummer 10. Aber du weißt ja, welche wichtige Rolle die Nummer 1 und die Nummer 10 in fast jedem Team spielen. Der Torwart mit der Nummer 1 und der Spielmacher mit der Nummer 10 auf dem Rücken – ohne diese beiden Spieler geht gar nichts!
EIN SPORTLICHER SCHÜTZE, DER IM TOR LANDET: MEIN HOROSKOP
Geboren werde ich an jenem 4. Dezember im Sternzeichen des Schützen, um 19:30 Uhr. Es gibt ein „Jean-Marie-Pfaff-Horoskop“, das der Astrologe Lode Willems ausgewertet hat. Demnach bin ich ein sportlicher und kreativer Mensch, der ein großes Bedürfnis nach Offenheit und Freiheit hat, der neugierig ist und die Welt kennenlernen möchte. Ich bin ein Naturliebhaber und mag Tiere, ich verfüge über eine philosophische Ader und denke gern über das Leben nach. Zudem bin ich ein sehr familienverbundener Mensch, der gut mit (seinen) Kindern auskommt, aber auch auf den Ratschlag älterer Menschen hört. Ich trenne mich nur ungern von alten Sachen und bin ein Sammler – das glaubt sofort jeder, der in mein Trophäen zimmer schaut, in dem ich all die Erinnerungsstücke aufbewahre, von denen in diesem Buch die Rede sein wird.
Was sagt mein Horoskop noch über mich aus? Nun, ich bin eine extravagante, ja originelle Persönlichkeit, die mit Eigenschaften gesegnet ist, die mich von anderen Menschen abheben und unterscheiden. Ich habe einen Drang zur Selbstdarstellung und möchte mich zugleich mit möglichst vielen Menschen verbinden und anfreunden. Das Horoskop sagt mir voraus, ein „Star“ zu werden und ein großes Publikum zu begeistern. Zudem bin ich ein kämpferischer und zugleich einfühlsamer Mensch mit einem intensiven Hang zum Individualismus – ich weiß, was ich will, gehe meinen eigenen Weg und unterstütze gern Menschen, die sich in Not befinden. Zudem verfüge ich über ein gewisses Erzähltalent – mal schauen, ob diese Autobiografie dies belegen wird! – sowie über eine leben dig-humorvolle Sprache.
Jean- Maries Horoskop, 1953 erstellt von dem Astrologen Lode Willems
Ob all das zutrifft, mögen andere beurteilen. Auf jeden Fall kann ich vieles von dem, was mein Horoskop voraussagt, unterschreiben. Das meiste, was ich jetzt zu erzählen habe, stimmt mit der Auswertung meines Horoskops überein. Ist der Lebensweg eines Menschen also vom Tag seiner Geburt an schicksalhaft vorherbestimmt? Ich weiß es nicht. Es ist jedoch erstaunlich, wie sehr sich mein Lebensweg in dem Horoskop widerspiegelt.
Zusammenhalt – die Pfaff-Brüder, v. l. n. r.; oben: Jean-Baptist, Louis, François; unten: Antoon, Jean-Marie, Danny
„AUS DEM JEAN-MARIE WIRD MAL EIN GANZ GROSSER!“
Eine Geburt ist zu dieser Zeit nicht unbedingt ein Grund, ins Krankenhaus zu gehen, vor allem nicht für meine Eltern: Immerhin hatte meine Mutter vor mir schon neun Kinder auf die Welt gebracht, sie wusste darum genau, was sie erwartete und was zu tun war. Meine älteste Schwester war bereits sehr früh verstorben, aber jetzt durften sich Marie-Louis, Lieske (Katarina), Jean-Baptist, Louis, François, Elisabeth und Antoinette (die Zwillinge) und Antoon, den wir Toon nannten, über einen weiteren Bruder freuen: Jean-Marie. So erblickte ich mit hilfe einer Hebamme und meiner erfahrenen Mutter das Licht der Welt. Später kamen noch Anneke und Danny hinzu. Mein Name Jean-Marie setzt sich zusammen aus dem Vornamen meines Paten Jean de Lathouwer, einem Caféhausbesitzer, und Marie Raeymakers, einer Tante mütterlicherseits.
Meine Eltern Honoré und Gerdina Pfaff waren und sind für mich die größten Vorbilder. Von meinem Vater habe ich das Selbstbewusstsein und den Glauben an mich selbst erhalten. „Aus dem Jean-Marie wird mal ein ganz Großer!“ – diesen Satz habe ich häufig von ihm gehört. Dieser Glaube an mich selbst hat mich zu einem von den Stürmern respektierten und gefürchteten Torwart werden lassen.
Meine Mutter war ein eher sicherheitsorientierter Mensch. Stets heiter und froh, auf Beständigkeit und Geborgenheit bedacht, hat sie in meiner Jugend zum Beispiel darauf geachtet, dass ich etwas Anständiges lerne und arbeiten gehe, um Geld für meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Meine Mutter hat mich aber auch bei meiner Entscheidung, Fußballer zu werden, vorbehaltlos unterstützt. „Pass gut auf deine Sachen auf und sieh zu, sie nicht kaputt zu machen“ und „Sei immer höflich und respektvoll, achte auf Sauberkeit und Disziplin“, so ihre Ratschläge an uns Kinder. Weil wir in eher ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen sind, war es schon von Bedeutung, auf den einzigen Anzug Acht zu geben und das, was man am Körper trägt, sauber und in Ordnung zu halten.
Meine Mutter wusch und kochte den ganzen Tag für ihre Kinder, und wenn wir Kinder Freunde mit nach Hause brachten, konnten schon einmal zwölf, 13, 14 oder 15 Personen am Tisch sitzen, die einfach, aber ausreichend verköstigt wurden. „Ich ziehe es vor, dass die Kinder hier zu Hause am Tisch sitzen und zu Hause spielen – das ist besser, als wenn sie sich irgendwo aufhalten, wo ich nicht auf sie achten und mich um sie kümmern kann“, so meine Mutter.
Leider verhielt es sich umgekehrt nicht immer so. Wir Pfaff-Kinder wurden eher selten eingeladen und durften oft genug, weil wir zum Beispiel schmutzige Schuhe anhatten, andere Häuser und Wohnungen nicht betreten. Wir mussten vor der Tür warten. Das hat meine Mutter sehr geschmerzt und schockiert, aber sie hat sich nie beklagt. Wenn man in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, gibt es leider oft dumme Menschen, die es dir gegenüber an Respekt fehlen lassen und sich für etwas Besseres halten.
Ich erinnere mich daran, als einmal eine Jugendauswahl zusammengestellt wurde. Obwohl alle der Ansicht waren, ich würde als Torwart in die erste Mannschaft dieser Auswahl gehören, wurde mir ein anderer Junge vorgezogen; mir blieb die Position des Ersatztorhüters. Vielleicht lag es daran, dass dieser Junge der Sohn eines Sponsors war …
Meine Eltern konnten weder lesen noch schreiben, aber in meinen Augen waren sie intelligenter und bezüglich der wirklich wichtigen Dinge des Lebens klüger als die meisten Menschen. Einer ihrer Wahlsprüche lautete: „Empfange andere Menschen so, wie du selbst wünschst, empfangen zu werden“ – diesen Wahlspruch der Pfaffs haben damals nicht alle Menschen befolgt. Das ist heute nicht anders als früher.
Einfaches und ehrliches Leben in Wohn- und Campingwagen: Jean-Marie im Kreise seiner Familie
LEBEN IM WOHNWAGEN
In meiner Kindheit und Jugend war nie genügend Geld vorhanden. Um die Ausstattung mit materiellen Dingen war es bei uns eher schlecht bestellt. So haben wir eine Zeit lang in gleich mehreren Wohnwagen und Campingwagen gelebt, da waren die Verhältnisse sehr beengt. Meine Eltern lebten mit den kleineren Kindern in einem Wohnwagen, da war ich auch mit dabei. Die größeren Brüder und die größeren Schwestern lebten in zwei weiteren Campingwagen.
Ich bin also in beschränkten Verhältnissen aufgewachsen, vor allem aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen, die in der heutigen Zeit groß werden. Meine Eltern haben mit dem Verkauf von Teppichen ein bescheidenes Einkommen erzielt. Sie zogen von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, und mein Vater ging von Haus zu Haus, um seine Teppiche zu verkaufen. So führten meine Eltern, meine Geschwister und ich ein hartes, aber stolzes und freies Leben. An Luxus war nicht zu denken, aber wir hatten stets zwei Mahlzeiten am Tag auf dem Tisch und konnten uns ordentlich kleiden. Freude ist das, was du aus deinem Leben machst, und wir waren glücklich mit dem, was wir hatten. Es gab eine enorme Solidarität innerhalb unserer Großfamilie. Natürlich wurde auch gestritten und ab und zu an den Haaren gezogen, aber das ist ja bei so vielen Kindern völlig normal. Wenn es darum ging, arbeiten zu gehen und zum gemeinsamen Haushaltseinkommen beizutragen, waren alle im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten bereit dazu. Die älteren Kinder kümmerten sich um die jüngeren Geschwister, meine Schwestern halfen meiner Mutter bei der Wäsche und im Haushalt.
TEPPICHVERKAUF AN DER HAUSTÜR
Dass Dinge direkt an der Haustür verkauft wurden, gehörte damals zu den gängigen Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Menschen fuhren nicht rasch zum Supermarkt, um sich mit dem Notwendigen einzudecken und zu versorgen, sondern sie erstanden viele der Dinge, die sie zum täglichen Leben benötigten, direkt an der Haustür. Ob Scheren schleifer, Teppichverkäufer, Schuster, Schneider, Gemüsehändler, Milchmann und so weiter – all diese Händler zogen von Haustür zu Haustür und boten den Kunden ihre Waren direkt an. Selbstverständlich war es wichtig, einen guten Ruf zu haben. Wer als Scharlatan oder Betrüger verschrien war, hatte keine Chance mehr, den Menschen Waren und Dienstleistungen erfolgreich an deren Haustür anzubieten und zu verkaufen. Mein Vater achtete immer sehr auf die exzellente Qualität der Stoffe. Wenn seine Geschäfte gut liefen, erhielt er von dem Großhändler, bei dem er seine Teppiche und Stoffe erstand, als Dankeschön ein paar Meter Stoff, aus denen er Kostüme und Kleidung für uns, seine Kinder, anfertigen ließ. Es gab kein größeres Vergnügen für ihn.
Dies funktionierte so lange, bis durch die Konkurrenz eines Supermarktes dieses Einkommen geschmälert wurde. Von da an kauften die Menschen immer seltener ihre Teppiche bei meinem Vater. Das Haustürgeschäft lief schlechter und schlechter.
So kam es, dass ich schon sehr früh eigenes Geld verdienen und zum Familieneinkommen beitragen musste, indem ich zum Beispiel Obst wie Bananen und Äpfel verkauft habe. Von diesem Verdienst konnte ich mir auch eigene Fußballschuhe und Torwarthandschuhe kaufen. Denn manchmal kam es vor, dass ich mit den Schuhen und Handschuhen meiner Brüder spielen musste. Zwar fiel mir das nicht weiter schwer, denn in unserer Großfamilie war es üblich, dass wir Kinder die Sachen untereinander aufgetragen haben. Aber alles das ist nichts verglichen mit dem, was meiner Familie und mir am 8. Dezember 1965 widerfuhr.
Jean-Maries früh verstorbener Papa Honoré: „Aus dem Jean-Marie wird mal ein ganz Großer!“
DER TOD UND DIE IDYLLE
Es war vier Tage nach meinem zwölften Geburtstag. Im Leben liegen die erfreulichen und schönen Dinge und die schrecklichen Ereignisse oft ganz nah beieinander. Am 8. Dezember 1965 verstarb mein Vater. Natürlich fehlt einem zwölfjährigen Jungen der Papa sehr. Dieses Ereignis hat mein Denken und meine Persönlichkeit nachhaltig geformt. Mein Vater wurde nur 51 Jahre alt, geboren wurde er am 14. Juli 1914.
Seine Leidensgeschichte begann, als er mit seinem Wagen einer Radfahrerin ausweichen musste und gegen einen Baum fuhr. Leider kollidierte er dabei doch noch mit der Radfahrerin, die an den Folgen des Unfalls verstarb. Mein Vater verletzte sich schwer am Brustkorb und an den Rippen, später kam es auch zu schmerzhaften Infektionen. Besonders schlimm jedoch traf ihn der Tod jener Radfahrerin. Die Polizei stellte zwar fest, dass meinen Vater keinerlei Schuld traf, aber das brachte die Frau auch nicht zurück ins Leben.
Einige Zeit nach diesem Unfall zogen wir um, ein Umzug, der zu großen Veränderungen führte, weil wir dieses Mal nicht in unseren Wohn- und Campingwagen blieben, sondern ein richtiges Haus zu unserem neuen Zuhause machten. Das war auch der Zeitpunkt, an dem mein Vater sich aus dem Teppichgeschäft und dem Haustürverkauf ein wenig zurückzog und ein kleines Café zu einem Schnäppchenpreis erstand. Das Café Venus wurde von den Menschen gut angenommen, und wir Kinder halfen nach Kräften mit, um uns eine neue Lebensgrundlage aufzubauen.
Die Eltern meiner Mutter wohnten gleich gegenüber, und so konnte sich die ohnehin schon vertrauensvolle Beziehung zu meinen Großeltern vertiefen. Zeit meines Lebens habe ich den Ratschlägen älterer Menschen gern vertraut, das begann bereits bei ihnen. Das Verhältnis zu ihnen war geprägt durch einen tief empfundenen Respekt, einen Respekt, den heutzutage jüngere Leute älteren Menschen gegenüber nur noch selten zeigen. Insbesondere meine Großmutter fragte mich voller Güte und Interesse nach meinen Tageserlebnissen und gab mir auch so manchen guten Ratschlag, der uns half, einzuschätzen, was für uns Kinder gut war und was nicht. Mein Großvater besaß ein kleines Pferd, dem wir einen Wagen anspannten, um in der Nachbarschaft und im Dorf zum Beispiel Eisenabfälle zu sammeln und zu verkaufen. Dabei kam es immer wieder zu einem kleinen Plausch bei einem Glas kühler Limonade.
Es war schon fast idyllisch, wenn mein Großvater mit seiner großen Sense das Gras mähte. Ich erinnere mich daran, als ob es heute geschehen wäre: Mein Großvater mit der zischenden Sense, das Knacken des Grases. Er hat uns den Respekt vor jedem Lebewesen gelehrt, das waren wundervolle und unbeschwerte Zeiten …
Bis in diese Idylle auf eine brutale Weise der Tod hereinbrach.
DAS VERSPRECHEN AUF DEM STERBEBETT
Mein Vater war zwar froh und glücklich, dass das Café so gut lief, aber ich glaube, er hätte lieber sein Teppichgeschäft noch weiter vorangebracht. Das Nomadenleben in den Wohn- und Campingwagen und der damit verbundene Freiheitsgedanke lagen ihm im Blut. Schließlich zogen wir in die Bijlstraat 168, die Straße, in der ich einen Großteil meiner Kindheit und Jugend verbrachte. Dann aber kam jener 8. Dezember 1965: Ich erinnere mich, als ob es heute passiert ist, und versetze mich in jene Zeit zurück:
Die Wunde, die mein Vater sich einst bei dem Unfall mit einer Radfahrerin zugezogen hatte, ist nie vollständig verheilt und hat sich nun, viele Jahre nach dem Unfall, wieder entzündet. Es beginnt recht harmlos, aber just an dieser eitrigen Stelle hat sich ein Magenkrebsgeschwür entwickelt. Als es zu einer Magenblutung kommt, das Fieber ansteigt und nicht weichen will und mein Vater immer mehr abmagert, müssen wir einsehen, wie schlimm es um ihn steht. Es ist schrecklich mitanzusehen, insbesondere für einen elfjährigen Sohn, wie der eigene Vater dahinsiecht und unter heftigen Schmerzen leidet und wie ein Baum von einem Mann, der mit 90 Kilo eine stattliche und Respekt einflößende Erscheinung ist, auf ein Fliegengewicht von 47 Kilo zusammenschrumpft.
Wir versuchen alles Mögliche und Unmögliche, um meinem Vater zu helfen, auch durch die Kunst der Ärzte. Dabei bekommen wir es mit zwei Gruppen zu tun: zum einen die Gruppe der Ärzte, die uns nur mitteilen kann, dass mein Vater sterben wird und wir uns auf seinen Tod vorbereiten sollen. Und dann die unselige Gruppe der Quacksalber, die meine Familie sehr viel Geld kostet und uns das Blaue vom Himmel verspricht. Wir, die Familie, klammern uns fortan an jeden Strohhalm der Hoffnung und lassen die verrücktesten Behandlungsmethoden durchführen, um ihm zu helfen. Pillen, Pülverchen, sogar das Blut eines Hasen lassen die Scharlatane ihn trinken. Es ist nicht zu glauben, und natürlich hilft alles nicht.
Was besonders schmerzt: Mein Papa schaut sich zum letzten Mal ein Spiel von mir an. Dort steht er an der Balustrade, eingekuschelt in seinen warmen Mantel, weil ihm immerzu kalt ist, neben ihm seine Frau, meine Mutter. Ich versuche wie stets, mein Bestes zu geben, ich spiele und halte für ihn, als ob ich spüren würde, es handele sich um das letzte Mal. Meine tief empfundene Erinnerung geht weiter: Am 11. November 1965 bringen wir ihn ins Krankenhaus, ich besuche ihn so oft wie möglich, ich betrete den Flur des Krankenhauses, es ist der dritte Raum, wenn ich von links komme, der vierte Raum, wenn ich von rechts komme. Ich betrete das Krankenzimmer mit der stillen Bewunderung, die ein Kind für seinen Vater hat, ich massiere ihn, ich reibe ihm den Rücken ein, es tut ihm so gut, er ist so dankbar, ich kenne jeden Quadratzentimeter seines Rückens. Nach zwei Wochen darf er nach Hause zurückkehren, ich bin glücklich, aber als ich meine Mutter frage, warum sie nicht auch glücklich ist, schweigt sie, und ich ahne die Antwort …
Während des letzten Gesprächs, das ich mit meinem Vater an seinem Sterbebett führe, nimmt er mir ein Versprechen ab: Ich verspreche ihm, dass ich mein Bestes geben muss und werde, um ein großer und guter Torhüter zu werden. Mit Tränen in den Augen schwöre ich es ihm.
Ich werde am 4. Dezember zwölf Jahre alt, vier Tage später ist mein Vater tot. Er stirbt am 8. Dezember 1965 in seinem Bett. Die Trauerfeier findet in der Bijlstraat 168 statt. Danach legen sie meinen Papa in einen Zinksarg und bestatten ihn im Familiengrab in Aalst. Meine Mutter hat sich gewünscht, dass in Beveren ein neues Familiengrab eröffnet wird, aber mein Vater will unbedingt bei seinen Eltern sein. Es ist sein letzter Wunsch, und er wird respektiert, auch wenn es meine Mutter sehr verletzt haben muss, dass es kein neues Familiengrab gibt.
Es bleibt bis heute eine schmerzliche Erinnerung.
IM GESPRÄCH MIT MEINEM PAPA
Der Tod meines Vaters ist ein schwerer Schlag für uns. Und ganz besonders für mich. Ich kann mit dem Tod noch nichts Konkretes verbinden, aber ich weiß, dass ich den Helden meiner Kindheit verloren habe und nie wiedersehen werde. Ich vermisse seinen Rat bereits jetzt, sein zärtliches Streicheln über meinen Kopf, mit dem er mir sein Vertrauen ausspricht. Und darum beschließe ich:
Wenn ich ein Problem habe, wenn ich vor einer Herausforderung stehe, dann nehme ich mit dir, Papa, Kontakt auf, dann spreche ich mit dir und bitte dich um Rat und Unterstützung.
Ich ahne in diesem Moment nicht, wie oft mir mein Papa in meinem weiteren Leben helfen wird, auch auf dem Fußballplatz.
Meine Mutter hat mir bei der Beerdigung ins Ohr geflüstert: „Du weißt, was Papa gesagt hat: ‚Unser Jean, der Kleine, das wird mal ein ganz Großer.‘ “ Und an genau diese Worte meines Vaters werde ich mich in meinem Leben oft erinnern, wenn es schwierig wird. Ich weiß dann: Mein Vater glaubt an mich. Und dieser Glaube wird Berge versetzen.
DAS LEBEN OHNE VATER: EIN PFAFF FÜR ALLE, ALLE PFAFFS FÜR EINEN
Auch wenn ich mit meinem Vater immer wieder ins Gespräch kommen durfte, hat er mir nach seinem allzu frühen Tod in einigen Situationen meines Lebens schlicht und einfach gefehlt. „Würde es nicht schneller gehen, wenn du es so machst?“ Das hat er mich oft gefragt, wenn er meinte, ich befände mich auf dem falschen Weg, und er mir auf seine vor- und nachsichtige Art einen Ausweg zeigen oder eine Alternative bieten wollte. Und am liebsten war es ihm, wenn ich von selbst diesen Ausweg fand.
Nach dem Tod ihres Mannes wusste meine Mutter kaum, wie sie diejenigen ihrer Kinder satt bekommen sollte, die noch nicht erwachsen waren. Mit 49 Jahren war sie plötzlich Witwe – meine Mutter ist Jahrgang 1916. Unsere wirtschaftliche Situa