Jeder Augenblick ist ewig - Konstantin Wecker - E-Book

Jeder Augenblick ist ewig E-Book

Konstantin Wecker

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Beschreibung

Gedichte aus fünf Jahrzehnten Konstantin Weckers Lieder haben Epoche gemacht und seine Gedichte ebenso. Von den frühesten Gedichten, die er als Sechzehnjähriger schrieb, bis hin zu neuen, bislang unveröffentlichten Texten versammelt dieser Band die Gedichte Konstantin Weckers. »Meine Gedichte«, so schrieb Wecker einmal, sind Versuche, »sich dem einzigen, wirklich eigenen Gedicht anzunähern, das zu schreiben mir bestimmt ist«. Immer wieder beeindruckt Konstantin Weckers großes Vertrauen in die Kraft der Poesie und der Liebe, sein leidenschaftliches Bekenntnis zu einem intensiv gelebten Leben und der Glaube an die Veränderbarkeit der Welt.  Mit bislang unveröffentlichten Gedichten. 

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Seitenzahl: 158

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Konstantin Wecker

Jeder Augenblick ist ewig

Die Gedichte

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe 2012

© 2012Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Rechtlicher Hinweis §44 UrhG: Wir behalten uns eine Nutzung der von uns veröffentlichten Werke für Text und Data Mining im Sinne von §44 UrhG ausdrücklich vor.

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital– die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

eBook ISBN 978-3-423-41496-8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-14153-6

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/​ebooks

Inhalt

Vorwort

1963 bis 1979: Eine ganze Menge Leben

1980 bis 1984: Ich möchte weiterhin verwundbar sein

1985 bis 1989: Jetzt eine Insel finden

1990 bis 1999: Stürmische Zeiten, mein Schatz

2000 bis 2012: Wut und Zärtlichkeit

Quellennachweise

Verzeichnis der Gedichtüberschriften und -anfänge

Vorwort

Konstantin Wecker gehört zu den wenigen Menschen, denen die Lyrik sozusagen angeboren ist. Es kann keinen Zweifel geben, dass er bereits als (im Takt) zappelnder Säugling lyrisch nach Milch gerufen hat– das wurde ihm, zusammen mit der außergewöhnlichen Musikalität, in die Wiege gelegt. Konstantin Weckers Lyrik ist keine elitäre, keine krampfhaft erarbeitete, denn die Texte sind keine Kopfgeburten, sie sind Wecker’sches Herzblut, die Symbiose von Herz und Verstand, die Sprache seiner Seele. Das macht seine Gedichte authentisch und so glaubhaft. Konstantin Wecker ist ein lyrischer Mensch, er kann nicht anders. Egal ob ein hauchzarter Liebesgesang oder der wütende Schrei nach Gerechtigkeit: die Sprache ist stets poetisch. Poetisch zart, poetisch wild– ob er nun im Lichte steht oder durch die Finsternis wandelt. Die Gedichte von Konstantin Wecker sind geschrieben von einem wahrhaftigen Menschen für Menschen. Sie werden freigegeben von seinem Herzen, sie berühren in ihrer Zärtlichkeit und in ihrer Wut. Konstantin Wecker spricht zu den Menschen nicht von einem Sockel herab, sondern von Angesicht zu Angesicht. Was er zu sagen hat, sagen muss, wird verstanden. Daher für manchen Rezensenten ungeeignet. Einzigartigkeit kann man überheblich und weltfremd zelebrieren oder freudvoll und wohlwollend mit anderen feiern. Konstantin Wecker tut Letzteres mit unbeirrbarer Leidenschaft.

Konstantin Wecker ist ein Poet. Poet– das ist einer, der außerhalb der Wirklichkeit lebt– was auf Konstantin Wecker, den so ausgesprochen politischen Menschen, nicht zuzutreffen scheint. Doch außerhalb der Wirklichkeit leben heißt nicht, diese nicht zu erkennen. Im Gegenteil, denn von außerhalb bildet sich eine ganz andere und oft weit stimmigere Sicht dieser Wirklichkeit, die leider oft, zu oft, eine Unwirklichkeit ist, eine Heimsuchung und nicht selten Katastrophe, was Konstantin Wecker nur zu genau verinnerlicht hat.

Poet ist aber auch einer, der sich sehnt, der träumt, der trauert– alles, was Sehnsucht weckt, ist poetisch–, damit muss man, wenn von Konstantin Wecker die Rede ist, nicht nur die Sehnsucht nach der Nachtigall meinen, die es ja dank der Ausdünstungen unserer Zivilisation schon fast gar nicht mehr gibt, von den rauschenden Mühlrädern ganz zu schweigen. Man muss auch an die Sehnsucht nach einer besseren Welt denken, einer Welt der Gerechtigkeit, des Friedens, der– ja, man wagt es gar nicht mehr laut zu sagen– Humanität, der Menschlichkeit. Davon zu singen ist Konstantin Wecker nie müde geworden.

Doch Spitzwegs Poet im Dachstübchen– das darf nicht das Bild des Poeten Konstantin Wecker prägen. Konstantin Wecker ist ein zorniger Poet, ein Prophet, erinnert in manchen seiner Lieder an diese kompromisslosen Rufer in der Wüste, von denen die Bibel spricht, der Schrei Gottes– das ist nicht zu viel gesagt– kommt aus ihrer Kehle, und ich scheue diesen gewaltigen Vergleich nicht, auch wenn er pathetisch klingen mag: Wenn Konstantin Wecker seinen »Willy« oder »Sage nein« singt, dann kommt das Wort Gottes aus seiner Kehle, vielleicht nicht das Wort eines Gottes einer bestimmten Religion oder Konfession, viel eher eines ganz anderen Gottes (ich zitiere: eines Gottes, den es gibt, weil sonst die Welt gottlos wäre, eines Menschengottes der Menschlichkeit). Er ist ein Schreier, und er hat recht, wenn er schreit, aufschreit– es ist ja zum Aufschreien, wenn man die heutige Welt mit wachem Sinn betrachtet. Er ist ein Wacher– ein Wächter, wir tun gut daran, auf ihn zu hören.

Konstantin Wecker singt sich die Verzweiflung von der Seele und ist dadurch– ich habe das Vergnügen, ihn doch ganz gut zu kennen– auch noch dazu ein heiterer Mensch. Früh ist er mit Musik– klassischer– in Berührung gekommen. Sein Vater war Sänger, Tenor– Konstantin Wecker hat ihm eins seiner anrührendsten, seiner– ja eben– poetischsten Gedichte gewidmet. Ich kenne kein anderes Beispiel eines so herzlichen Bekenntnisses eines Sohnes zu seinem Vater. Die 68er-Bewegung riss Konstantin Wecker mit, wie nicht anders zu erwarten, sein politisches Engagement verließ ihn von da an nicht mehr.

Konstantin Wecker ist ein Bekenner, ein Rufer, ein– ja auch, im besten Sinn– Prediger, einer, der uns ins Gewissen redet. Und damit komme ich zum Besten, was ich von ihm sagen zu können glaube: Er ist kein Wegweiser, der stehen bleibt, nur zeigt, wo es hinzugehen hat, er geht selber mit. Er ist, und das ist der innerste Kern seines Wesens, er ist die Ehrlichkeit selbst. Was er singt und sagt, meint er ehrlich und aufrecht.

Bleib aufrecht, lieber Konstantin, du Poet der Ehrlichkeit, bleib aufrecht, was auch immer an dir rüttelt.

Herbert Rosendorfer

Eine ganze Menge Leben1963–1979

Kaum dass ich mir bewusst war,

dein Haar zu halten

und das Licht auf deiner Haut zu fangen

und das Pflaster leuchtete wieder

schön,

wie die Mauer Schatten gab

und das Haus im Tierkreiszeichen stand,

abbrüchig,

aber mit tausend Kellern,

kaum dass ich mir bewusst war,

dass du im Licht standst

und in der Stunde,

kaum dass ich mir bewusst war–

begann ich schon

unseren leis atmenden Fluchtversuch zu bemerken.

Kinderlied

Komm mit zu den Kieseln, Kind,

wir wollen sie ins Wasser werfen,

wir wollen sie rollen lassen,

die bunten Kiesel,

Kind.

Ich will mit dir spielen

im Sand,

ich will deine Augen haben,

ich will dein Finger sein,

ich bin der Kiesel,

rund,

bunt an den Ufern, Kind,

da wollen wir spielen

und:

Komm mit zu den Kieseln,

Kind.

…wenn ein Baum hier wäre

oder ein Blatt

oder nur der Geruch eines Baums

oder die Farbe eines Blatts,

wenn der Tau hier wäre,

der das Blatt nicht freigibt,

oder eine Nase voll Rinde

oder ein Tropfen Grün,

wenn ein Baum hier wäre

oder ein Blatt…

Die in Bahnhöfen das Glück suchen

sind wartesaalblau,

singen Schienensang,

die in Bahnhöfen das Glück suchen,

träumen Zeitungstraum.

Und wenn sie aufstehen

von den harten Begebenheiten,

die in Bahnhöfen das Glück suchen,

gehen sie alle unter die Räder.

Noch im Liegen denken sie an Bettzeug

und erlaubten Schlaf.

Und das Wasser

hat einen Mann,

der treibt es.

Klein sitzt er

am Grund. Macht

Welle um Welle.

Die Käfer

Käfer laufen

Käfer surren

Käfer zirpen

Käfer schwirren

Käfer auf Erde

Käfer auf Tau

Käfer braungold

Käfer grünblau

Käfer schwebt

in singender Luft

Käfer krabbelt

in Blütenduft

Käfer in Rinde

vom Himmelbaum

Käfer träumt

Wurm-Traum

Käfer möchte

auf hohe Wipfel

Käfer kann nicht

kommt nie auf den Gipfel

Käfer mordet

Engerlingkind

Käfer frisst

Kind geschwind

Käfer schießt

Engerling tot

Erde wird

blutrot

Käfer bist du,

Engerling er

Krieg haut zu

Mensch ist nicht mehr

Musst

von den Pflastern

die Ritzen

meiden,

Seevogel,

sollst

meine Erde nicht

umpflügen

Bin ein Kieselschiff,

darfst mich

ich

nennen

Es stürzen die Windgesichter,

halt fest:

die Zäune sind umgefallen,

entzähmt

die kaum riechbare Haut der

Mädchen,

die untastbare Welt ihrer

Wortwahl,

wieder prangt der Galgen

und der Stimmbruch

einer Generation

lastet im Fleisch mir

Komm mit zu den feuchten Wurzeln,

satt trink dich,

nimm eine Handvoll Erde,

du,

die Steine am Fluss

schimmern rötlich,

pass auf:

ich zeichne ein Loch in die Luft,

reite fort,

reite fort,

zögere nicht,

es schwindet so rasch

Aus den Sümpfen

sie blickte den Mohn

pflückte einer

und die Farnmähne

viel Ungebornes

der Moorbrüder

und die Mantelnacht

entdeckte sie

wer weiß

Ohne zu wissen

fiel ein sehr kleiner Mond

in deine biegsame Hand

wir waren’s:

unsere Wundergestalten

zauderten nicht

Der Wind

malt eine Fahne ins Wasser,

so tief

träumen die Freunde

und einen silbernen Pinsel,

hingegossen ans Ufer

schau,

der deine Hand hält,

ist dein Traumgefährte,

webt Bilder und Wunderflüche

und sein Atem ist der

schweigsame Regen der Nacht

Bohr ein Loch in den Sand,

sprich ein Wort hinein,

sei leise,

vielleicht

wächst dein kleines Vertrauen

irgendwann

groß in die Sonne

Bist ein seltner Fisch

wieder

hat sich mein Netz

in dir

verfangen

Nach abgestandnem Männerfleisch

schmeckt diese Luft,

nachts im Asyl

der Obdachlosen.

Und Bett an Bett

und Welt an Welt,

ein gleicher Atemzug,

der sich in allen wiederholt.

Einstimmig

ist der Gesang,

nachts

im Asyl der Obdachlosen.

Zellen

die Quadrate erwachsen

sehr

drüberhingleiten:

ich fehle nicht

unter den Händen

die Hornsohle,

festgeschnallt ans Haar,

zählen:

ein Tausendstel zu früh

ein Tausendstel zu spät

schon:

ich würde entarten

so

zieht sich’s dahin.

Wieder dort sein

still liegen,

den Regen riechen,

rasseln lassen,

pitschnass sein,

ganz still liegen,

die Hand

weiß

in den Sand wühlen

Du aber geh in den Wind

denke an zarte Begebenheiten,

deinen Vermutungen gib dich

und abends

wenn du Hoffnung löffelst,

lass dich fortweben

mit dem Wort an der Leine

Anfang

Anfang.

Du hast lange geschwiegen,

dann,

der Schrei

(jener weltberühmte

oft zitierte Schrei),

die Bäume,

die Gesichter,

du wirst ein guter Junge genannt werden,

du wirst ein fleißiges Mädchen genannt werden,

der Pfarrer,

die Tanten

mit ihren triefenden Stirnen,

mit ihrem Gespür für das, was immer war

und wem er jedenfalls sehr ähnlich sieht,

du spürst ihren Sahnetortenatem,

du lernst,

dich vor den Menschen zu ekeln.

Anfang.

Da ist ein großer Himmel,

da sind Hund und Katze,

Vogel und Auto,

Kühlschrank und Vater

und Regen,

ein manchmal harter,

ein manchmal schmiegsamer Regen,

da sind

die Ahnen,

die Gebote,

die Verbote

die Zeigefinger,

du wirst ein widerspenstiger Junge genannt werden,

du wirst ein unmoralisches Mädchen genannt werden,

die Moralisten werden dich Hurenbock heißen,

die Nymphomaninnen werden dich Hure nennen,

du versuchst,

Wälder schön zu finden,

Zärtlichkeit vor den Verstand zu stellen,

ahnst,

der Geruch von frischer Erde ist wichtig,

dann wird es dir verschlossen,

dich zu öffnen.

Anfang.

So viele fremde Freunde

mit ihren schönen Nasen,

mit ihren weichen Mündern,

sie brauchen dich,

sie sprechen zu dir

mit ihren spitzen Nasen,

mit ihren klobigen Mündern,

tuscheln und zischen,

jetzt eine Höhle bauen,

sich schwarz färben,

Pfeil und Bogen und Asche im Gesicht

und dann los:

den Vätern in den Hintern treten,

Gedichte schreiben,

Reden halten,

tun,

du wirst ein zerstörerischer Mann genannt werden,

du wirst eine ungetreue Frau genannt werden.

Anfang.

Noch weißt du nichts

von den kleinen klebrigen Hotels,

von den Wohnküchen,

von denen,

die ihr Leben aus dem Rinnstein saufen,

von den verderblichen Lichtern

über den Eismeeren,

von den süßlichen Gerüchen in den Lazaretten,

weißt noch nichts

von den Gebeten in den Gefängnissen,

von den Briefen der Töchter an ihre

verschollenen Väter,

von all diesen Nächten und Tagen,

von alledem

weißt du noch nichts.

Ich hab geträumt

Heut hab ich geträumt, am 15.10.

beginnt der Krieg. Der Himmel ist rot.

Aus den Flüssen steigen mannsgroße Frösche

und die Ratten programmieren den Tod.

Die Bürger pressen die Aktentaschen

pflichtbewusst an die Köpfe. Die Nacht,

der Pilz und das kreischende Licht

haben mich um meinen Schlaf gebracht.

Aufstehen. Müde. Etwas verbraucht–

war das nun Prophetie?

Ein Blick aus dem Fenster: Alles wie sonst.

Passieren kann so was ja nie.

Zueignung

Geboren in zwar knappen Zeiten,

aber keine Komplikationen im

Mutterleib.

Kein Kaiserschnitt,

nichts, was den Ausgang versperrt hätte,

nichts Aufregendes, diese Geburt:

farblose Laken und eine Hebamme mit

Raucherbein.

Wär gerne am Amazonas zwischen zwei Regenzeiten

in die Welt geglitten

oder in einer Waschküche

heimlich als

Makel einer zwölfjährigen Mutter

oder in einem Luftschutzkeller

unter den Trompetensalven der Bomben–

hätte gern mehr Action gehabt bei meiner Geburt.

Versuche dies nachzuholen:

Gedichte schreiben,

endlose Triller am Klavier

zu häufiges Lächeln, wenn Mädchen den Raum betreten,

anstatt

sich einfach unter die warm und weich tropfende Sonne zu legen

und die Menschwerdung endlich einmal zu

vergessen.

Venedig

Als ob an ihren angefressnen Pfählen

die Stadt mit letzter Kraft sich stützen wollte,

so taumeln die Paläste mit den Säulen

aus feuchtem Marmor steil zum Meer. Als rollte

ein großer Donner aus dem Grund der Erde,

der diese müde Stadt zum Sinken bringt.

Als stiegen aus den Flüssen dunkle Pferde,

die alles niedertrampeln: und Venedig sinkt.

Und mit ihm sinken alle Illusionen

der großen Herrschaft einer kleinen Welt:

Galeeren, Filmfestspiele und Inquisitionen.

Das Spiel ist aus. Der Wasservorhang fällt.

Du träumst vielleicht und fährst in schwarzen Booten

noch einmal die vertanen Welten ab,

und du befreundest dich mit all den Toten,

die diese Stadt ins Meer gespien hat,

die steigen noch ein letztes Mal ins Leben

und feiern Feste, und mit festem Tritt

und dunklen Rufen lassen sie die Erde beben.

Es ist so weit: Venedig sinkt, und du sinkst mit.

Rom

Schon mit dem ersten Licht ist diese Stadt

in Leben eingetaucht und Kraft.

Die Häuser schimmern zwar noch etwas matt,

doch durch die Straßen rinnt schon all der Saft,

den Rom im Überfluss besitzt. Man spürt

das dumpfe Pochen aus den Katakomben,

wo sich der erste Christenleichnam rührt.

Sie werden alle kommen und mit Bomben

aus Glut und Hitze um sich schmeißen.

In ein paar Stunden steht die Stadt in Brand.

Die Götter stehn in Positur und gleißen

und halten bunte Dias in der Hand.

Unter dem Titusbogen weiden deutsche Schafe

und die Cäsaren lassen es geschehn.

Statt aufzuwiegeln wie einst jener Sklave,

wolln sie zerbröckeln und auf Marmor stehn.

Die grauen Päpste kauern auf St. Peter

und geifern ihren Segen auf die Stadt

und suchen Gott. Was soll’s, da oben steht er

und jammert, dass man ihn vergessen hat.

Er soll sich vorsehn, dass ihn jene Pferde,

die seit Jahrtausenden die Sonne ziehn,

nicht niedertrampeln. Denn schon glüht die Erde

und alle grellen Lichter werden fliehn

und ins Inferno tauchen. Die Paläste

verlieren ihre Schatten und verstummen.

Die Zeit der Katzen kommt und die der Feste,

die greisen Dichter steigen aus den Niederungen,

und endlich kann sich Rom besaufen

die Brüste prall und voll von Wein,

Gelächter fangen an zu laufen

und schwellen an und brechen in dich ein,

und du ertrinkst und taumelst durch die Gassen,

die Häuser flattern auf, du rennst vorbei,

du willst die ganze Stadt umfassen–

Rom hat dich endlich. Nie mehr bist du frei.

Für Rainer Maria

Als der Schwan sehr majestätisch,

grenzenlos und so ästhetisch

durch noch Ungetanes schritt,

nahm ich dich zum Ufer mit.

Und dann schlang ich meine Hände

sehnsuchtsvoll um deine Lende,

während ich vom Mondlicht sprach,

gab dein Körper stückweis nach.

Du entflammtest, ich entbrannte,

und das Tier, das Unbekannte,

war sehr weiß und adlig rein

und schien tugendsam zu sein.

Und der Abend neigte sich,

unser Glück verzweigte sich,

ich fing an dir zu nesteln an,

dem Tier erschien das wundersam.

Und grade als ich an der Schwelle

meines Glücks die Weichen stelle,

fing voll Scham der dumme Schwan

grauenvoll zu singen an.

Du entrücktest, ich erzürnte

und der Schwanensänger türmte

und entschwebte ohne Schwere

schweigend ins Imaginäre.

Ich werde dich zum Abendessen essen

Ich werde dich zum Abendessen essen.

Du wirst vielleicht erstaunt sein, aber ich

will dich auf keinen Fall mit falschem Maß bemessen.

So sagt man doch: Vor lauter Liebe fress ich dich.

Ich will mein ganzes bürgerliches Denken

in diesem kannibalen Akt vereinen.

Du sollst dich mir noch einmal restlos schenken,

dann bist du frei. Ich werd dich nicht beweinen.

Wer liebt, besitzt, das darf man nicht vergessen,

und wer besitzt, hat nun mal mehr vom Leben.

Drum werd ich dich zum Abendessen essen,

dann muss ich dich dir niemals wiedergeben.

Hymne an den Frühling

Du. Es atmet sich leichter.

Der Geschmack von Kastanien pirscht sich an.

Die Mädchen huschen wieder.

Du. Selbst die Gebrauchtwagenverkäufer

glauben ganz kurz nicht mehr an ihren Beruf.

Jetzt heißt’s

Zeitungen suchen zum Zudecken.

Endlich:

Hochkonjunktur der Sportwagenfahrermützenhersteller.

Die Intellektuellen

bereiten sich auf die Biergärten vor.

Du. Man kann dich beißen.

Ein paar tragen dich unterm Busen, Frühling.

Wie dumm.

Sonst alles beim Alten.

Die Schlagerproduzenten tunen ihr Hüsteln.

In den Karateschulen wird weicher getreten.

Zu Hause wartet die Unruhe.

Noch ’ne Erinnerung an Marie A.

(für B.B.)

Wir trafen uns in einem Regenbogen,

der Regen war schon lange fortgezogen,

nur noch des Bogens Bogen spannte sich

uns übers Haupt und glänzte fürchterlich.

Du warst im Blau und ich im Rot gesessen,

wir haben fast die Welt um uns vergessen,

da drücktest du dir einen Pickel aus,

der war sehr weiß und sah sehr picklig aus.

Ich will dagegen allgemein nichts sagen,

denn jeder kann mal einen Pickel haben.

Jedoch zur Zeit der höchsten Weltentrückung

verschafft derselbe seltene Verzückung.

Du pickeltest, nun gut, ich sah zu Boden,

der Regenbogen hat sich schon verzogen,

kaum war noch Blau, kaum war noch Rot zu sehn.

Nur noch der Pickel war sehr weiß und blieb bestehn!

Für Gottfried Benn

Schweigender nie. So viel durchforstet im Hirn.

Kämpfe und Frost. Und eine blutende Stirn.

Dieses verrottete Ich macht sich zum Absprung bereit,

die Zunge nach innen gerollt und von leeren Parolen befreit.

Schweigender nie. Schon viel zu viel Fremdes durchlebt.

Das lähmende »Wie« endlich ad acta gelegt.

Dann Aufsturz ins All. Die Zeit ohne Vorzeichen sehn.

Schweigender nie. Drüber und überstehn.

Zwölfzeiler eines herben und erfolgreichen Künstlers auf dem Männlichkeitstrip

Er peitscht mit seinen Schritten den Asphalt,

der ist verwundet, fast betäubt und windet sich.

Sein Atem ist aus Eisen, blank und kalt.

Er geht zum Spiegel und bezeichnet sich als fürchterlich.

Und dann befällt ihn auch ein Gruseln vor sich selbst:

Wie herrlich herrisch seine Zähne blinken.

Er richtet seine Schultern und ist Held

und macht sich auf, die rechte Faust zu zinken.

Dann sticht er in die Kneipe und sein Atem

befällt wie Eis den Raum. Man wartet ab.

Er ist bereit und lächelt sanft in Raten

und schreitet in die Männerherrlichkeit hinab.

Reinheitsgebote überall,

jedes Gramm Fleisch

wird ausgelotet,

kein Meter Film ohne

Durchleuchtung,

Waschmittel geben

Gesetze,

dem Fleisch wird sein

Duft

und der Haut wird das

Atmen verweigert,

sogar das Wort ist zum

Lasttier geworden,

seine Zuhälter befällt schon die

Fettsucht.

Sie sollen Verträge haben mit der

Metzgerinnung

betreffs der

Hirnpreise.

Stur die Straße lang

Stur die Straße lang und nichts denken,

nur: Es ist heiß heute.

Irgendjemand schüttet Licht aus.

Der Motor läuft erstaunlich ruhig.

Auf der Brücke lächeln brave Kinder.

Sie träumen davon, Handgranaten nach unten zu schleudern.

Die Tachonadel zittert ein wenig. Das ist normal.

Natürlich geht es südwärts.

Du hast deiner Frau nicht mal mehr die Meinung gesagt,

doch vor deinem Chef endlich die Hosen runtergelassen.

Schön. Am Mittag zittert die Luft