Jeder Hund kann gehorchen lernen - Sebastian Brück - E-Book

Jeder Hund kann gehorchen lernen E-Book

Sebastian Brück

3,8

  • Herausgeber: mvg
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Sie wollen einen Hund, der auch in schwierigen Situationen folgt? Dann ist der Ansatz von Hundetrainer Dirk Lenzen genau das Richtige für Sie! Denn er hält die weit verbreitete Hundeerziehung mithilfe von Bestechung durch Leckerchen nicht nur für oberflächlich, sondern sogar für gefährlich. Warum? Sie untergräbt das Grundprinzip der Hundeerziehung, die Autorität des Menschen als "Rudelführer". Kein ernstzunehmender Leithund würde jemals freiwillig seine Beute aufgeben. Dieser fundamentalen Tatsache trägt Dirk Lenzen in seiner Hundeerziehung Rechnung. Anhand von praxisnahen und nachvollziehbaren Fallgeschichten aus seinem Alltag als Problemhundetrainer räumt Dirk Lenzen mit klassischen Mythen, Märchen und Irrtümern der Hundeerziehung auf. Er orientiert sich stattdessen konsequent an der Frage "Wie würde Hund mit Hund umgehen?". Dazu gibt er wertvolle Tipps, wie jeder Hundebesitzer gewaltfrei und ohne ständige Leckerchen-Bestechung eine tiefe Bindung zu seinem Hund aufbauen kann.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über  http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

3. Auflage 2020

© 2012 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Die Namen aller Menschen (mit Ausnahme von Oma Margarete und der Schauspieler in Kapitel 8) und Hunde (mit Ausnahme von Dirk Lenzens eigenen) wurden im Buch verändert.

Redaktion: Stephanie Ehrenschwendner

Umschlaggestaltung: Pamela Günther, München

Umschlagabbildung: Datacraft Co. Ltd., GettyImages

Innenabbildungen: Dirk Lenzen, Harald Dies, Christian Lahme, Caroline Hofbauer

ISBN 978-3-86415-302-0 ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-301-3 ISBN E-Book ( EPUB, Mobi) 978-3-86415-302-0

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter

www.m-vg.de

Vorwort

Der Hundetrainer-Boom

Deutschland, deine Hundeschulen. Im Park, am Flussufer oder auf umzäunten Plätzen – überall werden Hunde ausgebildet, überall üben Gruppen oder einzelne Hundebesitzer mit ihren Vierbeinern Kommandos, Leinenführigkeit und Co. Heutzutage meldet man sein vierpfotiges neues Familienmitglied so selbstverständlich in der Welpenschule an wie die Kinder im Kindergarten. Und sobald bei der Erziehung »größere« Probleme auftauchen, kauft man sich einen schön bebilderten Hunderatgeber oder bucht gleich Einzelunterricht bei einem Trainer.

Seit der Jahrtausendwende hat der Markt der Hundetrainer und Hundeschulen einen beachtlichen Boom erlebt. Früher war Hundetraining eher etwas für »Freaks« oder Spezialisten und spielte sich in nach Rassen getrennten Vereinen ab, heute gibt es ein riesiges Angebot. Doch wie sieht es mit der Qualität aus? Meine These: Es fehlen fähige Experten – und vieles von dem, was gelehrt wird, ist kontraproduktiv. Denn nicht jede Methode passt zu jedem Hund bzw. zu jedem Hunde-Umfeld. Schema F in der Hundeerziehung – das funktioniert einfach nicht. Genauso wenig kann man Unarten einfach wegfüttern, wegstreicheln oder wegoperieren.

Ich bin seit über 15 Jahren im Geschäft, lerne heute immer noch dazu und behaupte, dass maximal zehn Prozent all jener, die als Hundetrainer oder Hundepsychologen – beides übrigens ungeschützte Titel – unterwegs sind, über ausreichend Erfahrung verfügen, um nicht nur mit »Blümchenhunden« wie Labrador oder Golden Retriever, sondern auch mit Problemhunden fertigzuwerden. Die Begriffskreation »Blümchenhund« steht für Hunde, von denen man ironischerweise annehmen könnte, dass sie schon gut erzogen auf die Welt gekommen sind: Hunde, die nicht aggressiv sind, leicht folgen und keine Alphatier-Tendenzen haben. Problemhunde sind meist das genaue Gegenteil. Natürlich können auch Blümchenhunde durch schlechte Erfahrungen, falsche Erziehung und jahrelange Vermenschlichung zu Problemhunden werden. Genauso wie manche Problemhunde nicht durch Aggressivität, sondern durch extremes Meide- und Unterwürfigkeitsverhalten auffallen. Dazu später mehr.

In jedem Fall fühlen sich viele Hundehalter angesichts des Ansturms unseriöser Hundeexperten und der Literaturschwemme über »moderne«, »artgerechte«, »sanfte« und »leise« Methoden der Hundeerziehung restlos überfordert. Die Aufklärungsarbeit entpuppt sich als schier endlose Aufgabe. Warum? Weil es sich eingebürgert hat, die Hunde schon im Basistraining mithilfe von Leckerchen, auch Leckerli oder Goodies genannt, dazu zu bringen, das zu tun, was wir wollen, bzw. das nicht zu tun, was wir nicht wollen. Hundehalter haben sich in Hundefütterer verwandelt. Und genau darin liegt das Kernproblem, denn kaum ein Trainer wagt es, den Einsatz von Leckerchen zu hinterfragen. Schließlich kommen sie in fast jeder Hundesendung im Fernsehen wie auch in fast jeder Hundeschule zum Einsatz.

Die Industrie hat den Leckerchen-Boom mit vorangetrieben:Vor 30 Jahren gab es nur Frolic undallenfalls zwei bis dreiandere Produkte, heute stehen in jedem Supermarkt meterlange Regale mit Leckerchen inallen Geschmacksrichtungen und Formen – vom Markenprodukt über günstige Discounterartikel bis zu vermeintlich gesunden Bio-Leckerchen. In Zahlen:Allein im Jahr 2010 gaben die Deutschen 834 Millionen Euro für Futter und Leckerchenaus, für Babynahrung dagegen nur rund 556 Millionen. (Quelle: Gesellschaft für Konsumforschung/GfK)

In diesem Buch erfahren Sie, warum die mithilfe von Leckerchen erzielten Erfolge oberflächlich und mitunter sogar gefährlich sind. Außerdem lernen Sie die zahlreichen »Geschwister« der Leckerchen-Lüge kennen: das »Den Hund Hund sein lassen«-Märchen, die Kommando-Inflation, die »Der braucht ab und zu mal einen Klaps«-Lüge sowie weitere Mythen und Irrtümer der Hundeerziehung. Selbstverständlich zeige ich Ihnen auch, wie Sie es besser machen können, und zwar anhand von praxisnahen und nachvollziehbaren Fallgeschichten aus meinem Alltag als Problemhundtrainer. Die Ausgangsfragen lauten: Wie würde ein Hund mit einem Hund umgehen? Und wie kann ich diese Hund-Hund-Erziehung für den Menschen und seinen Umgang mit einem Hund adaptieren? Das Ziel ist dabei immer: eine enge und vertrauensvolle Bindung zwischen Hund und Halter – ohne Bestechung durch Leckerchen. Damit nicht Sie beim Gassigehen Ihrem Hund hinterhergehen, sondern er Ihnen folgt. Jeder Hund kann das lernen – vorausgesetzt, Herrchen und Frauchen spielen mit und setzen als Leitfigur mit Konsequenz, Ehrgeiz, Leidenschaft, Lob und Tadel die richtigen Signale.

Wozu braucht man eigentlich eine Hundeschule? Früher haben wir unsere Hunde doch auch ohne Trainer erzogen … Stimmt. Früher, sprich vor dem Boom der Hundeschulen, gab es nicht weniger gut erzogene Hunde als heute. Naheliegende Frage: Was hat die rund 9,6 Millionen Hundehalter1 in Deutschland eigentlich dazu bewogen, den Hundeschulen die Türen einzurennen? Drei Stichworte: Medienhysterie, Gesetzeschaos, Verunsicherung. Eine Kettenreaktion.

Alles beginnt mit einem schrecklichen Vorfall: Am 26. Juni 2000 wird in Hamburg-Wilhelmsburg ein sechsjähriger Junge beim Fußballspielen auf dem Pausenhof von zwei Bullterriern angefallen. Die beiden Hunde sind ausgerissen und über eine Mauer im Hinterhof auf das Schulgelände gelangt. Sie verbeißen sich in den Jungen und können erst mit Schusswaffenhilfe von der Polizei gestoppt werden. Der Junge stirbt, der Fall erregt in der Presse riesige Aufmerksamkeit. Schnell ist in den Schlagzeilen pauschal von »Killerbestien« die Rede – obwohl sich bald herausstellt, dass der Hundehalter wegen Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes vorbestraft ist und sich wiederholt geweigert hat, seine Hunde anzuleinen und ihnen einen Maulkorb umzulegen.

Fortan findet jeder mittlere bis schwerere Beißzwischenfall zwischen Flensburg und Freiburg den Weg in die Zeitungen oder ins Fernsehen, das Thema stehtauf der Medienagenda wochenlang ganz oben und die Politiker – nicht nur in Hamburg – geraten unter Zugzwang. Ein »Wir tun doch was«-Gesetz muss her, und zwar möglichst schnell. Nicht nur die sogenannten Kampfhunde, sondern praktischalle größeren Hunde stehen plötzlich unter Generalverdacht. Die Bundesländer erlassen hastig neue Hundeverordnungen, die Koordination untereinander bleibtauf der Strecke. Die Folge: ein Chaos, bei demam Ende keiner mehr so richtig durchblickt – weder die Verantwortlichen in denAmtsstuben noch die Hundehalter.

Auch die Besitzer von Nicht-Kampfhunden wie Boxer und Französische Bulldogge müssen sichangesichts derangespannten Lage immer öfter Sätze wie »Warum trägt Ihr Köter keinen Maulkorb?!« oder »Der gehört eingeschläfert!«anhören. Ich kenne sogar Halter, deren Hunde einfach so von wildfremden Menschen getreten wurden, ohne dass das Tier zuvor irgendeineaggressive Reaktion gezeigt hätte. Deutschland wittert überall Killerbestien, malabgesehen von Kleinkalibern wie Yorkshireterrier, Dackel und Chihuahua ist jeder Hund verdächtig.

Irrtum Nr. 1:

»Heutzutage muss jeder Hund in die Hundeschule.«

Falsch! Wer seinen Hund von vornherein gut sozialisiert und konsequent erzieht, kann sich die Hundeschule sparen. Sie müssen Ihren Hund genauso wenig in der Hundeschule anmelden wie Ihr Kind beim Töpferkurs oder in der Musikschule – aber Sie können. Natürlich schadet es nicht, eine Welpen- oder Junghundgruppe aufzusuchen. Ihr Hund sollte nebenbei aber auch erwachsene, sozial verträgliche Hunde treffen, die ihm artgerecht Grenzen aufzeigen.

Bei diesem Klima ist es kein Wunder, dass die tödliche Attacke auch für meine Branche unmittelbar spürbare Folgen hat. Seit 1996 arbeite ich hauptberuflich als Problemhundtrainer. Bis zu besagtem Sommer im Jahr 2000 war ich zwar immer gut ausgelastet, aber in der Regel konnten die Kunden noch relativ kurzfristig einen Termin bekommen. Plötzlich häuften sich die Anfragen dermaßen, dass ich Wochen im Voraus ausgebucht war. Was war passiert? Die Hundehalter wurden aufgrund der auch in Nordrhein-Westfalen wenige Tage nach dem Tod des kleinen Jungen verabschiedeten »Landeshundeverordnung« (»LHV NRW«, heute »Landeshundegesetz« bzw. »LHundG NRW«) von heute auf morgen mit Problemen konfrontiert, die sie vorher gar nicht als solche wahrgenommen hatten. Befreundeten Hundetrainer-Kollegen in anderen Bundesländern ging es nicht anders. Die üblichen Fragen: »Mein Hund darf nicht mehr frei laufen, aber weil er gar nicht an die Leine gewöhnt ist, macht er jetzt immer Radau und streitet sich mit anderen Hunden.« Oder: »Da er durch die neu eingeführte Leinenpflicht nicht ausgelastet ist, soll unser Hund nun lernen, an der Leine neben dem Fahrrad zu laufen.« Auch typisch: »Mein Hund durfte früher immer mit ins Büro, aber mein Chef will das jetzt nicht mehr. Wie bringen wir ihm bei, allein zu Hause zu bleiben?«

Klar, dass wiederum in erster Linie größere Hunde betroffen waren, und natürlich in besonderem Maße jene, die in den neuen amtlichen Listen als gefährlich eingestuft wurden. Nach dem Hamburger Vorfall standen, je nach Bundesland, etwa 45 Rassen im Fokus. Darunter die üblichen Verdächtigen wie Bullterrier, Rottweiler und Staffordshireterrier, aber auch der Rhodesian Ridgeback, der kurz darauf als Familienhund Karriere machte und heute in jeder deutschen Fußgängerzone zu sehen ist. 2002 wurde er nach mehreren Überprüfungen wieder aus den Listen gestrichen. Man munkelt, dass sogar eine chinesische »Kampfhunde«-Rasse, die bereits um 1915 ausgestorben war, in den schwarzen Listen ihre Wiederauferstehung feierte.

Da liegt die Frage auf der Hand: Wie konnten innerhalb von Tagen und Wochen um die 45 Hunderassen als Bedrohung für die Allgemeinheit ermittelt werden? Wusste vorher niemand von ihrer Gefährlichkeit? Meine Vermutung: Die Verantwortlichen in den Bundesländern haben unter Zeitdruck Hundeatlanten gewälzt und Rassenbeschreibungen gelesen. Und sobald Attribute wie »groß«, »schwer«, »starker Beutetrieb« oder »hyperaktiv« diagnostiziert wurden, stand die Rasse schon so gut wie auf der schwarzen Liste. Hinzu kam wahrscheinlich die oberflächliche Schnellanalyse der Vorjahre: Welche Rasse ist in der Beißstatistik besonders aufgefallen? Demnach hätte eigentlich auch der Deutsche Schäferhund in die schwarze Liste aufgenommen werden müssen, denn der war (und ist) in absoluten Zahlen klarer Beißspitzenreiter. Allerdings ist der Deutsche Schäferhund auch eine der beliebtesten Rassen, deren Halter in unzähligen Vereinen organisiert sind. Mehr als eine Million Deutsche leben in einem Haushalt mit Schäferhund.2 Kurzum: Der Schäferhund hat eine starke Lobby – also tauchte er in den Rasselisten der gefährlichen Hunde gar nicht auf.

Die neuen schwarzen Listen sorgten bei den betroffenen Hundehaltern für große Verunsicherung: »Ach du Schreck, wir haben einen ›Kampfhund‹!« In der Öffentlichkeit schlug die Besorgnis vielfach in Hysterie um, einige Hundefreunde sprachen sogar von»Hundephobie«. Für Halter von »Listenhunden« wurde das Gassigehen nach dem tödlichen Hundebiss vom Juni 2000 zum Spießrutenlauf. Ein Bullterrier brauchte nur freudig zu bellen, schon zogen die Halter von kleineren Hunden ihren Liebling ängstlich zur Seite: »Da ist ja wieder so einer, morgen steht der sicherauch in derBILD-Zeitung!« Die Medienhysterie trieb einen Keil zwischen die Halter von großen und kleinen Hunden. Bei großen Hunden wurde permanent dasAnleingebot eingefordert (»Leinen Sie sofort Ihren Hundan!«), bei Dackeln oder Cockerspaniels galt in dieser Hinsicht dagegen meistens Gnade vor Recht.Aberauch bei ihren Haltern läuteten schnell dieAlarmglocken: Wehe, wenn sich der nichtangeleinte kleine Liebling einemangeleinten »Großen« nähert. Viel zu gefährlich!

In der Folge galtaus Sicht der Halter völlig unabhängig von Rasse und Größe: Ich muss meinen Hund noch besser beherrschen, im Idealfall ist eraus jeder Situationaufs Wortabrufbar. Das warallerdings pure Theorie. Viele Hunde hörten nur widerwillig bis gar nichtaufs Wort,auch wenn sie vorher in denallermeisten Fällen keinen Ärger verursacht hatten. Viele Halter wiederum wussten nicht mehr, wie sie ihren früher meistens frei laufenden und nunangeleinten Hundausreichend beschäftigen undauslasten sollten – dennausgewiesene Freilaufflächen, wo dasAnleingebot nicht galt, waren (und sind) in den meisten Städten Mangelware. Dort, wo es sie gab, bildeten sich schnell Cliquen, die jeden Neuling kritisch begutachteten und sich nachaußen hinabschirmten. Praktisch jeder Hundehalter stand unter Beobachtung. Damit begann der Boom der Hundeschulen.

Vom Wesenstest zum Blümchentraining

Allein die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse bzw. bei Mischlingen bestimmte äußere Merkmale bedeuten natürlich nichtautomatisch, dass ein Hund gefährlich ist.Allerdings gab es unter den Besitzern von schweren, muskulösen Hunden schon immer einige, die wirklich ein schwieriges Exemplar hatten. Diese Leute standen seit dem Sommer 2000 so unter Druck, dass viele von ihnen sich früher oder später entschieden, ihren Hund einschläfern zu lassen. Das Image von Bullterrier und Co. war so tief in den Keller gesunken wie niemals zuvor. Obwohl dieallermeisten Exemplare dieser Rassen noch nie zum Kampf eingesetzt worden waren, galten sieautomatischals »Kampfhunde«. Das machte sichauch in der Filmbranche bemerkbar. Neben meiner Tätigkeitals Problemhundtrainer betreibe ich eine Castingagentur für Filmtiere, undals einige Monate nach Beginn der Hundehysterie dieARD bei miranfragte, weil für die SerieDer Fahnderein Staffordshireterrier für eine Szene mit einem Luden benötigt wurde, zeigte sich zunächst keiner der infrage kommenden Halter bereit, seinen Hund mitmachen zu lassen. Und das, obwohlalle»Staffs«in meiner Filmtierkartei sozial verträglich und wesensfreundlich sind. Zu groß war die Verunsicherung, zu groß dieAngst, dass doch etwas passieren könnte. Und natürlich kam hinzu, dass die Kombinationaus Staffordshire und Zuhälter das Negativimage der Rasse zusätzlich bestätigte. Mit etwas Verspätung verzichteten dannauch Film-Drehbuchautoren fast komplettauf »Kampfhunde«. Selbstan der Seite von Zuhältern waren die entsprechenden Rassen in den folgenden Jahren nicht mehr gefragt.

Ein typisches Bild nach der tödlichen »Kampfhund«-Attacke im Sommer 2000

Nach dem Tod des sechsjährigen Jungen in Hamburg wurde allerorten diskutiert, wie der Gesetzgeber zukünftig gefährliche Hunde erkennen und einstufen könne. Ein Wesenstest für die als potenziell gefährlich eingestuften Tiere musste her. Eine Art Hundeführerschein. Am Ende beschlossen die Gesetzgeber in den meisten Bundesländern, dass die Wesensprüfung nur ausgewählte Tierärzte in Kooperation mit von den Behörden ausgewählten Testern durchführen sollten. So schließt man zumindest aus, dass die Tierärzte befangen agieren, weil sie befürchten, Patienten zu verlieren, wenn sie einen Hund durchfallen lassen.

Was genau passiert bei so einem Wesenstest? Der Tester konfrontiert den Hund mit bestimmten Situationen und Geräuschen, um seine Reaktionen zu analysieren und zu überprüfen, ob er aggressiv reagiert. Zum Teil mit skurrilen Auswüchsen: Da springt jemand aus dem Gebüsch und erschreckt den Hund, da spannt jemand direkt vor dem Hund einen Regenschirm auf oder macht mit einer Hupe ein lautes Geräusch. Der Hund darf zwar bellen, aber nicht auf den Fremden losgehen. Kurz: Beim Wesenstest geht es um Dinge, die jedem Hund mindestens einmal am Tag passieren ...

Irrtum Nr. 2:

»Wer sich Hundetrainer oder Hundepsychologe nennt, wird sein Handwerk schon verstehen.«

Falsch! Beide Titel sind nicht geschützt, jeder kann sich so nennen. Und viele unzureichend qualifizierte Trittbrettfahrer sind auf den Hundeschulen-Zug aufgesprungen. Auch eine Verbandsmitgliedschaft ist kein automatisches Gütesiegel. Jeder kann sich ganz einfach mit anderen zusammentun und zum Selbstmarketing einen Verband gründen. Ein Trainer, der »zertifiziert« und Mitglied in einem Hundetrainer-Verband ist, kann sehr gut sein, muss es aber nicht. Es gibt Blümchentrainer, die bei Problemhunden schnell an ihre Grenzen stoßen und trotzdem »zertifiziert« sind – und es gibt sehr gute Problemhundtrainer, die in keinem Verband sind und keine »Zertifikate« haben. (Wer prüft eigentlich die Prüfer?)

Wie also finde ich den richtigen Trainer für mich und meinen Hund? Eine Internetrecherche kann helfen – aber auch das Gegenteil bewirken, sind doch die Möglichkeiten, sich selbst anonym oder unter falschem Namen als Top-Trainer anzupreisen, genauso groß wie die, einen Konkurrenten runterzumachen. Daher mein Rat: Machen Sie sich klar, welche Art von Hilfe Sie erwarten. Und hören Sie sich in Ihrem persönlichen Umfeld bei anderen Hundebesitzern um, wer welche Erfahrungen mit welchem Trainer gemacht hat.

Je nach Bundesland unterscheidet sich der Test in einigen Details. Bis heute – mehr als zehn Jahre nach »Hamburg 2000« – gibt es keine für alle Bundesländer einheitliche Regelung. Immer noch müssen »Listenhunde« (auch Anlagehunde genannt), bei denen von vornherein eine besondere Gefährlichkeit vermutet wird, sowie Hunde, die durch aggressives Verhalten aufgefallen sind, den Test absolvieren. Dafür gibt es mittlerweile bestimmt zehnmal so viele Hundetrainer wie damals (der Anteil der Frauen ist stark angestiegen). Die meisten neuen Trainer erziehen mit Leckerchen als Belohnung (positive Verstärkung). Eingangs habe ich erklärt, was ich unter Blümchenhunden verstehe. Bei solchen Hunden können diese Trainer durchaus erzieherische Erfolge feiern und ihren Kunden helfen. Doch was passiert, wenn abseits vom Trainingsplatz ein ausgewachsener Problembeißer auf sie (oder auf einen anderen Hund) losgeht? In solchen Situationen ist Blümchentraining zwecklos, denn man kann ja nicht mit Leckerchen um sich schmeißen, um die Hunde zu bestechen (Stichwort »Leckerchen-Lüge«!). Leider habe ich oft erlebt, dass Trainer aus der »Golden-Labby-Lobby« bei einem aggressiven Problemfall schnell die übereilte Diagnose »verhaltensgestört« stellen und empfehlen, den Hund einzuschläfern. Dabei gibt es auch bei solchen Hunden fast immer eine Chance, sie wieder »hinzubekommen«: indem man ihnen Grenzen setzt und ihnen imponiert. Das klappt aber nur, wenn der Hundehalter im Training bedingungslos mitzieht.

1 Konkret: Es gibt 9 638 000 Menschen in Deutschland, die mindestens einen Hund im Haushalt haben. Quelle: »Soziografie und Psychografie der deutschen Hundehalter«, Studie von Sinus Soziovision, Heidelberg, 2005

2 Quelle: »Soziografie und Psychografie der deutschen Hundehalter«, Studie von Sinus Soziovision, Heidelberg, 2005

Kapitel 1

Die Leckerchen-Lüge oder das Oma-Margarete-Prinzip

Wer mit Bestechung oder Täuschungarbeitet, erreicht seine Ziele oft weitaus schnelleralsauf normalem Wege. Dafür leben Bestecher und Täuscher mit der permanenten Gefahr negativer Spätfolgen. In der Politik haben wir in den vergangenen Jahren diverse solcher Fälle erlebt. Hätten die Betroffenen den längeren oder steinigeren Weg gewählt, könnten sie ihr Leben guten Gewissens genießen – und die Erfolge wären nicht nur ehrlicher, sondernauch nachhaltiger. Was das mit der Hundeerziehung zu tun hat?Auch die große Mehrheit der Hundetrainer in Deutschlandarbeitet – kaum hinterfragt – mit Bestechung und nimmt damit – bewusst oder unbewusst – negative Spätfolgen in Kauf. Konkret: In fast jeder Hunde-Sendung im Fernsehen und in fast jeder Hundeschule werden Vierbeiner von Zweibeinern mithilfe von Leckerchen bestochen – damit sie das tun, was wir wollen, und das lassen, was wir nicht wollen. Die im Basistraining durch Leckerchen erzielten Erfolge sind jedoch oberflächlich und mitunter sogar gefährlich.

Warum das so ist? Schauen wir uns die Szenerie mal aus Sicht der Hunde an, die auf Leckerchen konditioniert werden: Sie alle reagieren zunächst äußerst zuverlässig auf den magischen Griff in die Jackentasche oder das verheißungsvolle Knistern des Frischhaltebeutels. An dieser Stelle sprechen wir mal nicht über die Menge an Kalorien, denn Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen.

»Ähm, Liebe? Was ist das denn?«, würde ein jeder Hund fragen, wenn er denn könnte. Im Hunderudel gibt es keine Liebe – und das merkt man auch, wenn ein Mensch bzw. mehrere Menschen und ein Hund ein Rudel bilden: Der Hund schließt sich dem Zweibeiner an, der ihm als Ranghöchster imponiert. Auf der anderen Seite wird er jedem »rangniedrigeren« Zweibeiner sofort die Beute streitig machen und sich danach wichtigeren Dingen zuwenden. Das ist seine Natur. Er testet in jedem Moment seine Rudel-Position und nutzt sie für sich.

Moment mal: »Rangniedriger« Zweibeiner?

»Ja klar!«, würde der Hund sagen, »schließlich muss ich mich nur vor meinen Zweibeiner setzen, ihn anspringen, abschlabbern oder anbellen, und schon gibt er seine Beute ab. Gelobt wird man dafür auch. Wirklich angenehm. Und so einfach! Manchmal ruft mich mein Zweibeiner auch zu sich und reißt sich regelrecht darum, seine Beute loszuwerden. Ja gut, wenn andere Hunde in der Nähe sind, muss man sich mit denen deshalb gelegentlich prügeln, aber das ist die Mühe wert. Seit Neuestem fliegt die Beute auch in schnauzengerechten Beuteln durch die Luft. Die Zweibeiner streiten sich dann mit meinen Kollegen und mir darum, wem welcher Beutel gehört. Mit seinem ganzen Verhalten zeigt mir der Zweibeiner, dass er rangniedriger ist als ich. Wieso sollte ich ihm vertrauen und mich ihm anschließen?«

Irrtum Nr. 3:

»Mit Leckerchen kann ich meinen Hund perfekt erziehen.«

Falsch! Wer mit Leckerchenarbeitet, nutzt den Beutetrieb des Hundesaus und macht sichaus Hundesicht zum Rangniedrigeren. Im Hunderudel gibt nur der Rangniedrigere sein Futterab – und für den Hund sind Sie bzw. Ihre Familie sein Rudel. Dieauf Leckerchenbestechung basierenden Erfolge sind oberflächlich und bringen den Hundauf eineangeblich»sanfte«,»artgerechte«und»gewaltfreie« Art und Weise in eineAbhängigkeit. Der Halter traut dem Hund nur, wenn er ihn mit Leckerchenan sich binden kann. Und der Hund folgt dem Halter in erster Line, weil der dauernd Beuteabgibt. Das verhindert eine vertrauensvolle Bindung zwischen Hund und Halter. Die erreicht man nur, wenn man selbst die Rudelführerposition besetzt. Eine sinnvolle Belohnung für den Hund sind dagegen Lob und Streicheleinheiten – natürlich wohldosiert und im richtigen Moment.

Für viele Hundebesitzer ist die Erkenntnis schmerzhaft, dass ihr Hund weniger ihnen, sondern vielmehr seinem Beutetrieb folgt. Fühlt ein auf Leckerchen konditionierter Hund Schmerzen oder Angst (etwa nach einem Autounfall oder dem Tritt eines Joggers), ist er an keinem Fleischwürfel oder Futterbeutel der Welt interessiert. In solch einer Situation wird er Herrchen oder Frauchen nur dann aufsuchen, wenn beide eine innige Beziehung haben. An diesem Punkt schließt sich der Kreis zum Bestechungsbeispiel vom Anfang des Kapitels: Wäre der Hund nicht von klein auf mit Leckerchen gefügig gemacht worden, wäre die Erziehung vielleicht ein wenig mühsamer ausgefallen, dafür hätte sich eine nachhaltige und tief verbundene Hund-Halter-Beziehung entwickeln können.

Stattdessen greift die Leckerchen-Fraktion schon bei der Welpenerziehung tief in die Tüte oder den Kühlschrank und ist durch die dick aufgepumpten Jacken- bzw. Hosentaschen jederzeit zu identifizieren. Gerne tragen sie alternativ den hochgepriesen Futterbeutel mit sich herum. Unvorhersehbare Ereignisse können bei einem solchen Training natürlich zu bangen Minuten führen, zum Beispiel wenn einem die Munition ausgeht und sich das Waffenarsenal (der Kofferraum) in zwei bis drei Kilometern Entfernung befindet.

Manchmal führt die Bestechung mit Leckerchen auch zu gefährlichen Situationen. Ich spreche hier gerne von der Fremdfütterer-Plage: Ein Halter taucht mit seinem Liebling auf einer beliebten Hundewiese auf – bewaffnet mit einer Tüte fettiger Fleischwürfel, damit sich sein Hund auch ja für ihn interessiert. Das bleibt den Nasen der anderen Hunde natürlich nicht verborgen. Die finden die Fleischwürfel genauso bombastisch und dürfen automatisch an dem fettigen Segen teilhaben. Ob der jeweilige Besitzer das ebenso großartig findet wie sein Bello? Das kommt dem Fremdfütterer gar nicht erst in den Sinn. »Der darf doch was haben, oder?!«, wird nur der Form halber gefragt, während der Snack schon im Rachen des betroffenen Hundes verschwunden ist. Dann die Scheinentschuldigung: »Er hat doch so süß geguckt!« Dabei steckt man wildfremden Kindern doch auch nicht einfach so ein Stück Schokolade in den Mund.

Ignorieren die Fremdfütterer noch dazu die anderen Hunde, schaffen die tierischen Instinkte ein weiteres Problem, da die Hunde, die leer ausgingen, nun knurrend und zähnefletschend versuchen, das nächste Leckerchen zu ergattern. Doch auch dafür hat der Fremdfütterer eine Erklärung: »Alle Hunde lieben mich, und jetzt sind sie eifersüchtig!« Weit gefehlt – denn hier geht es keineswegs um menschliche Phänomene wie Liebe und Eifersucht: Der Leckerchensegen stachelt den Beutetrieb und das Konkurrenzverhalten der Hunde an, sodass es in der Folge zu schweren Beißereien kommen kann. Und zwei streitende Konkurrenten wird man kaum auseinanderbringen, indem man ihnen noch mehr Leckerchen hinwirft.

Wir Menschen neigen dazu, die Hunde, die wir lieben, genau so zu behandeln wie die Menschen, die wir lieben. Doch eben diese Vermenschlichung von Hunden, die oft schon ab dem Welpenalter beginnt, legt den Grundstein für viele Problemhundkarrieren. Obwohl ich jedem Hundehalter eindringlich davon abraten möchte, seinen Schützling wie einen Menschen zu behandeln, spiele ich den Ball gerne zurück und lasse Hunde »sprechen« oder übertrage typisches Fehlverhalten in der Mensch-Hund-Erziehung in überspitzter Form auf eine Mensch-Mensch-Beziehung. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass meine Kunden die Wurzeln ihrer Probleme dann viel besser nachvollziehen und mit einem Schmunzeln besser abspeichern können. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: ein grün und blau geschlagenes Kind (Laura-Marie), 14 weitere Kinder im Kampf um Süßigkeiten und Spielzeug im Klassenzimmer, sechs Kinder auf dem Schulflur, ein verzweifelter Lehrer, der die Klasse nicht mehr im Griff hat. Zeitgleich führen die Eltern von Laura-Marie zu Hause folgende Unterhaltung: »Du, Schatz, ich glaube, es war eine gute Idee, unserem Kind das ganze Spielzeug und die vielen Süßigkeiten mit in die Schule zu geben«, sagt die Mutter. Schatz antwortet: »Stimmt! Gut, dass du Laura-Marie auch noch gesagt hast, dass sie immer schön laut mit der Tüte rascheln soll, damit ihre Klassekameraden auch wissen, was sie da Schönes mitgebracht hat!«

Heutzutage wird die Mehrzahl der Hunde in Deutschland schon im Welpenalter mit der Bestechung durch Leckerchen konfrontiert – und das teilweise mit kuriosen Auswüchsen. So erzählte mir kürzlich eine Welpenbesitzerin, dass sie in einer Hundeschule, die »hundepsychologisch« lehrt, dazu angehalten wurde, neben ihrem elf Wochen alten Welpen minutenlang in gebeugter Haltung herzulaufen und ihm dabei ein Stück Fleischwurst vor die Nase zu halten. Ziel: den Hund daran zu gewöhnen, »bei Fuß« zu laufen. Offen bleibt die Frage, ob die Hundebesitzer nach zehn Trainingseinheiten einen Gutschein für den Besuch in einer Physiotherapie-Praxis erhalten …

Wie würde eigentlich ein Hund mit einem Hund umgehen? Keine Hundemutter würde ihren Welpen mit Leckerchen erziehen! Im Hunderudel sanktioniert der Ranghöhere den Rangniedrigeren körperlich, etwa durch einen kurzen (unblutigen!) Biss oder durch Drohgebärden (Knurren, Zähnezeigen). Den eigenen Hund in einen Leckerchen-Junkie zu verwandeln, ist also alles andere als artgerecht.

Mein Ansatz: Anstatt sich zum (rangniedrigeren) Leckerchen-Automaten zu degradieren, sollten Herrchen und Frauchen möglichst die Erziehung der Welpenmutter bzw. des Rudelführers kopieren. Dazu braucht es keine körperliche Gewalt (Schlagen Sie niemals Ihren Hund!), es reicht zum Beispiel ein kurzes Leinensignal aus dem Handgelenk, das den Biss des Erziehungsberechtigten simuliert (siehe Kapitel 3). Natürlich ist es angenehmer, dem Hund ein Leckerchen zu geben, als ihn mithilfe der Leine zurechtzuweisen. Deshalb vertrauen Blümchentrainer und Blümchenhundehalter oft auf die Bestechung mit Leckerchen. Der Grund dafür liegt im Sozialverhalten der Menschen: Wir wollen andere durch Liebe und Freundlichkeit überzeugen und an uns binden – und nur wenn es nicht anders geht durch Zurechtweisung. Aber: Der Hund ist kein Mensch und versteht das natürliche Sozialverhalten seiner Art deutlich besser. Keine Angst! Sie können das hündische Sozialverhalten auch dann simulieren, wenn Sie – wie die meisten Menschen – kein »Alphatier« sind und sich Ihren Mitmenschen gegenüber lieber nett und freundlich verhalten. Bei der in diesem Buch vorgestellten Trainingsphilosophie geht es weder darum, den Hund ständig zu unterwerfen, noch um auoritäre Machtausübung. Es geht lediglich darum, ihn freundschaftlich und gleichzeitig konsequent zu führen. Setzen Sie sich also nicht mit überhöhten Ansprüchen à la »Ich muss der Rudelführer sein« unter Druck. Es reicht, wenn Sie dem Hund gegenüber signalisieren, dass Sie der Ranghöhere sind. Erziehungsberechtigter, Vorgesetzter, Chef, Familienoberhaupt – es ist letztendlich egal, wie man es nennt, das Ziel bleibt das gleiche: derjenige zu sein, an dem sich der Hund orientieren kann und der ihm zeigt, wo es langgeht. Hunde brauchen das. Herrchen und Frauchen, die dem Hund alles durchgehen lassen bzw. in der Erziehung Slalom fahren (mal führen, mal den Hund führen lassen, mal etwas erlauben, mal nicht), verwirren und verunsichern ihren Schützling.

In diesem Buch erfahren Sie, wie Sie durch eine gefestigte Stellung als Ranghöherer eine enge Bindung zu Ihrem Hund aufbauen und ihn auf sich fixieren. Ganz ohne Leckerchen. Die Tatsache, dass auch bei der Ausbildung von Blindenhunden in aller Regel komplett auf Leckerchen verzichtet wird, bestätigt diesen kalorienarmen Grundansatz. Schließlich ist bei Blindenhunden maximale Zuverlässigkeit das A und O. Oder haben Sie schon mal einen Blindenhund gesehen, der seinen Zweibeiner einfach so stehen lässt, um einen Artgenossen zu beschnüffeln oder sich einen weggeworfenen Burger zu schnappen?

Als ich drei oder vier Jahre alt war, kümmerte sich oft meine Oma Margarete um mich. Sie erklärte mir die Welt ruhig und geduldig. Manchmal trafen wir bei unseren Spaziergängen auf diese pelzigen Wesen, die hechelten und den Schwanz oft wie einen Propeller hin- und herbewegten. Das seien Hunde, erklärte mir Oma Margarete, ich müsse keine Angst vor Hunden haben, aber ich dürfe auf keinen Fall einen anfassen, wenn kein Erwachsener dabei sei. Auf diese Weise versuchte Oma Margarete, mir Respekt vor Hunden zu vermitteln, ohne mir Angst zu machen.

Genauso gut hätte sie mich auf diesen Spaziergängen auch mit einer Tüte Gummibärchen oder Bonbons ablenken können, immer in der Hoffnung, dass sie bereits durch das Rascheln der Tüte meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie hätte der Sorge, ich könnte beim Anblick eines »Wauwau« erschrecken oder – noch schlimmer – mich ihm aus Neugier nähern, immer wieder mit einem Bonbon vorbeugen können.

Zum Glück brauchte meine Oma Margarete keine Gummibärchen und Bonbons. Sie wollte mich nicht reflexartig ablenken. Sie wollte, dass ich durch Worte und Gesten verstehe und lerne. Wenn ich »Danke« zu ihr sagte, weil sie mir drei Groschen schenkte, wurde ich mit warmer Stimme gelobt. Und ich spürte ihre Hand, die meinen Kopf streichelte. Positive Verknüpfung – auch ohne Süßigkeiten.

Bei Unwetter stand Oma Margareteam geschlossenen Fenster und schaute hinaus. Ich hatteAngst, wenn es blitzte und donnerte. Doch meine Neugier und die Beobachtung, dass meiner Oma so naham Fenster nichts Schlimmes passierte, zog mich mehr und mehr in ihre Nähe. Bei ihrangekommen, erklärte sie mir Blitz und Donner: Weil ich so schön »Danke« sagen könne, wolle mich der liebe Gott fotografieren, und dazu brauche er eben genügend Licht. Oder: Weil die Wolken sich schon mal uneinig seien, welcheals Erste regnen dürfe, höre man sie am Himmel streiten.

Das klang logisch, also zuckte ich jedes Mal weniger zusammen, wenn es blitzte und donnerte, und mit der Zeit verflog meine Angst komplett. Oma Margaretes Gewitter-Erklärungen wirken sich bis heute aus: Ich gebe die Hoffnung nicht auf, unter freiem Himmel einen Blitz zu fotografieren. Ein Privileg. Andere sitzen während eines Unwetters in einer schallisolierten Kammer, müssen Gummibärchen oder Bonbons futtern und können diese Situation auch nicht diskutieren, weil das Rascheln von Omas Süßigkeitentüte alles übertönt.

Sie verstehen sicherlich, worauf ich mit meinem Oma-Margarete-Prinzip hinauswill: Die Gummibärchen und Bonbons, die meine Oma nicht benutzte, sind die Leckerchen, die heute schon in der Welpenerziehung fast standardmäßig als Ablenkungsmanöver zum Einsatz kommen. Menschen mit einem riesigen »Futterbeutel« voller Ablenkungsmanöver sind hilflos und einfallsarm.

Deshalb brauchen wir mehr Menschen, die engagiert und einfallsreich wie Oma Margarete sind, und weniger Leckerchen.

Kapitel 2

Populäre Erziehungsfehler vermeiden

Die Eingewöhnungsfalle

»Och, der ist doch noch sooo klein, da darf man doch mal eineAusnahme machen, oder?«Sätze wie diesen höre ich in meinem Traineralltag immer wieder. Zugegeben: Es ist wirklich schwer, einem süßen kleinen Knäuel von Hund zu widerstehen, wenn er einen putziganschaut. Man nimmt Rücksicht, entschuldigt vieles, lässt den neuen Mitbewohner gewähren– und steckt ihm obendrein hier und da ein Leckerchen zu. Durchaus verständlich– und doch ein Fehler! Konsequente Hundeerziehung kennt keineAusnahmen. Das gilt nicht nur in Sachen Leckerchen-Bestechung.

Wenn ein Welpe permanent fiept, heißt es zum Beispiel oft: »Ach, lass ihn doch erst mal zwei bis drei Wochen machen, was er will! Der Kleine vermisst bestimmt seine Mutter. Und schwupps! – sitzt der Fiepserauf dem Schoß oderauf dem Sofa. »Ist ja gut, wir sind bei dir.« Wenn Sie das öfter machen, haben Sie den Salat, denn Ihr Welpe wird fortan immer wieder fiepen – bis Sie ihnauf den Schoß lassen. Das gleiche Muster zieht er dannauch inanderen Situationen durch. Die Folge: Sein Verhalten wird konditioniert. Im schlimmsten Fall fiept Ihr Hund später immer, wenn er etwas machen oder haben möchte,aber nicht zu seinem»Recht« kommt. Das Essen stehtauf dem Tisch? Will ich haben,also fiepe ich. Einanderer Hund bellt vor der Tür? Ich will raus und mit ihm spielen,also fiepe ich. Ich soll im Restaurant unter dem Tisch liegen? Frauchens Schoß ist viel bequemer,also fiepe ich. Und so weiter. Jetzt ist klar, warum es für einen Welpen, egal wie süß, verlassen oder traurig eraussehen mag, keine mehrtägige oder gar mehrwöchige »Eingewöhnungsphase« geben darf, oder? Das gleiche gilt übrigensauch, wenn Sie einen Hundaufnehmen, der das Welpen- oder Junghundalter bereits hinter sich hat. Schonab dem ersten Tag im neuen Zuhause stellen Sie die Weichen für das spätere Zusammenleben.

»Der Kleine darf doch malaufs Sofa!«– DieseAusnahme kann schnell zur unliebsamen Gewohnheit werden

Beim kleinen Hund ist es noch niedlich, doch er wirdauch später jeden Schuh für ein Kauspielzeug halten

Leider legen Hundehalter gerade in dieser »Eingewöhnungsphase« oft den Grundstein für Unarten, die sich später nur schwer korrigieren lassen. Ein kleiner Welpe, der Besucher freudig anspringt, wird von den meisten als süß empfunden. Also speichert der kleine Hund: Alle Menschen, die uns besuchen, finden es toll, wenn ich sie anspringe. Wenn derselbe Hund nur ein paar Monate später und um etliches gewachsen auf die Besucher zuspringt, stößt er in der Regel auf wenig Begeisterung – und muss das erst mal verarbeiten.

Ich vergleiche das mit einer Computer-Festplatte: Das unerwünschte Hundeverhalten wird gespeichert. Zu einem späteren Zeitpunkt kann man es nicht mehr löschen, sondern nur noch überschreiben. Allerdings ist dieses Überschreiben für den Halter meist mit viel Arbeit, Konsequenz und Disziplin (und gegebenenfalls hohen Kosten für einen Hundetrainer) verbunden. Insofern bekommen meine Kunden auf die häufig gestellte Frage »Kriegt man dieses Verhalten wieder weg?« folgende Antwort: »Wegkriegen geht nicht, kontrollieren schon.«

Irrtum Nr. 4:

»Mein Welpe bzw. neuer Hund muss sich erst mal eingewöhnen.«

Falsch! Wer in den ersten Tagen und Wochen gut gemeinte,aber falsch verstandene »Rücksicht«auf seinen Hund nimmt, wird später dafür bezahlen. Unerwünschtes Verhalten muss vom ersten Tag konsequent unterbunden werden. Gleichzeitig sollten Sie Ihren Hund (ohne Leckerchen!) mit lobender Stimme und durch Streicheleinheiten belohnen, wenn er sich richtig verhält. So schaffen Sie mit klaren Grenzen die Basis für ein funktionierendes Hund-Halter-Team.

Ihre A