Jener Sturm - James Ellroy - E-Book

Jener Sturm E-Book

James Ellroy

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Beschreibung

Los Angeles, 1942. Zwischen Kriegsgewinnlern und Drogenhändlern, zwischen vermeintlichen Verrätern und Hollywood-Schauspielern entspinnt sich eine Geschichte von historischer Tragweite aus Liebe und Gewalt, die uns bis nach Baja Calilfornia führt, nach Mexiko.

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Jener Sturm

Der Autor

JAMES ELLROY, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit »Browns Grabgesang«. Mit »Die schwarze Dahlie« gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter »L.A. Confidential«. »Jener Sturm« ist der zweite Band des zweiten L.A. Quartetts. Band eins, »Perfidia«, erschien 2015.

Das Buch

Los Angeles im Januar 1942: eine Stadt im Ausnahmezustand, ein Land am Abgrund. Nach dem Angriff Japans auf Pearl Harbor sind die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg eingetreten, die Nation steht unter Schock, Japaner werden landesweit festgenommen und interniert.Am Neujahrstag spülen heftige Gewitterstürme im Griffith Park ein männliches Skelett mit einem Schussloch im Schädel frei. Die Leiche könnte dort während des großen Feuers, das in der Gegend neun Jahre zuvor gewütet hatte, vergraben worden sein.Im Laufe der Untersuchungen verdichten sich die Hinweise auf einen spektakulären Goldraub aus dem Jahr 1931. Schon bald arbeitet im LAPD jeder gegen jeden: der brillante Polizeiforensiker Hideo Ashida, die erstaunlich vielseitige Joan Conville, der korrupte Sergeant Elmer Jackson, der skrupellose Dudley Smith – sie alle verfolgen ihre ganz eigenen Interessen.Zwischen den Figuren entspinnt sich eine Geschichte von historischer Tragweite aus Liebe und Gewalt, die uns bis nach Baja Calilfornia führt, bis nach Mexiko.

James Ellroy

Jener Sturm

Roman

Aus dem Amerikanischen von Stephen Tree

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Die Originalausgabe erschien 2019unter dem Titel This Stormbei Alfred A. Knopf, New York

© 2019 by James Ellroy© der deutschsprachigen Ausgabe2020 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.

eISBN 978-3-8437-2250-6

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Widmung

Für Helen Knode

Motto

Blut allein treibt das klingende Rad der Geschichte!

- Benito »Il Duce« Mussolini

Inhalt

Titelei

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Vorspann

Reminiscenza

Prolog

Erster Teil –

REGEN

1

2

3

4

5

6

7

8

9

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11

12

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29

30

Zweiter Teil –

TERPINHYDRAT

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39

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Dritter Teil –

SINARQUISMO

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Vierter Teil –

MANZANAR

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107

108

109

110

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Fünfter Teil –

REALPOLITIK

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125

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132

133

Sechster Teil –

KAMERADEN

134

Anhang

PERSONENVERZEICHNIS

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Reminiscenza

Reminiscenza

Das Damals hält mich nach wie vor in Bann. Der fieberhafte Wunsch nach Rückkehr zehrt nach wie vor an meinem Heute. Ich bin sehr alt und der letzte lebende Zeuge. Der Maestro hat mir seinen Flügel und die gemeinsam aus Russland herausgeschmuggelte Partitur hinterlassen. Augen und Gedächtnis sind bestens. Die Hände dank fleißigen Übens nach wie vor stark.

Ich komponiere beim Spielen. Improvisation ermöglicht Rückbesinnung. Worte und Musik stärken mich und halten mir den Tod vom Leib.

Der Krieg.

Der Regen.

Das Gold.

Los Angeles und Mexiko, die Fünfte Kolonne.

Solange ich jene Geschichte nacherleben kann, muss ich nicht sterben.

Prolog

RADIO »BLITZ UND DONNER« / PATER CHARLES COUGHLIN / XERB RADIO, LOS ANGELES. SCHWARZSENDER: TIJUANA, MEXIKO / DIENSTAG, 30. DEZEMBER 1941

Guten Abend und bienvenidos, ein verspätetes Feliz Navidad und próspero año y felicidad nicht zu vergessen – so wünscht man sich auf Spanisch ein frohes neues Jahr –, was uns zum Thema der heutigen Sendung bringt: Mexiko im Krieg. Und wir stehen im Krieg, meine lieben Hörer und Mit-Amerikaner – in den wir alle todsicher nicht reinschlittern wollten.

Reden wir Klartext. Es la verdad, wie unsere Mexen-Vettern sagen. Seit dreiundzwanzig Tagen erst stecken wir in diesem Judenschlamassel fest und sind bereits gezwungen, es mit den rohen Russen-Rabauken gegen die sichtlich simpatico Nazis zu halten. Eine schändliche Schmach, aber unser fernjüdisch gesteuerter Präsident, Franklin »Der-lügt-nur« Rosenfeld, hat elenderweise entschieden, dass wir gegen den Führer anzutreten haben, womit wir uns den heroischen Jefe notgedrungen zum Feind machen. Wenn’s denn so weit kommt – weil wir nämlich schon mit den Japsen alle Hände voll zu tun haben.

Womit wir weit unten, im Süden, in Mexiko wären – im Land, wo sich die schönen Señoritas sonnen und HÖLLISCH böse jefes den Ton angeben.

Mexiko gilt als STOLZ KATHOLISCH, nicht wahr, meine Freunde? Ergänzt das mit THEOKRATISCHE REPUBLIK, ROTEN-FEINDLICH und PFLICHTBEWUSST FROMM. Ein schönes Bild, nicht wahr? Ja – aber viel zu schön, um wahr zu sein, und verteufelt verfälscht, was mit den wilden Zwanzigerjahren und der abscheulichen Roten-Regierungszeit von Presidente Plutarco Calles zusammenhängt.

Das heißt: Calles hat nach rot-russischem Fünfjahresplan-Vorbild einen Sechsjahresplan für soziale und politische Reformen eingeführt.

Das heißt: Calles hat den Einfluss der katholischen Kirche zurückdrängen wollen, religiöse Feste und Prozessionen verboten und »Arbeiterkollektive« organisiert, um den angeblichen Exzessen des industriellen Kapitalismus etwas entgegenzusetzen und die mexikanische Politik weiter zu säkularisieren, obwohl das die hartnäckig KATHOLISCHE Bevölkerung Mexikos überhaupt nicht will.

Das heißt: Katholische Bischöfe wurden gezwungen, öffentliche Gottesdienste abzusagen.

Das heißt: Calles’ »Rothemd-Schläger« haben Kirchen in ganz Mexiko geschlossen.

Das heißt: Priester sind ermordet, Nonnen vergewaltigt worden, und Bischöfe haben in ganz Südamerika um politisches Asyl gebeten, während das Sakrament der Heiligen Messe geheim gespendet werden musste.

Das heißt: Auf den Calles-Krebs folgte der lahme Linke Lázaro Cárdenas. Ein wackliges Weichei von der weniger schlimmen Sorte. Nach wie vor mit stalinistischem Stallgeruch, aber nicht ganz so penetrant. Doch immer noch wurden Priester ermordet und Nonnen vergewaltigt, während Provinzfürsten Kirchentüren zugenagelt und satanische Messeverbote verhängt haben.

Das heißt: Unter dem gegenwärtigen Presidente Manuel Ávila Camacho – einem sogenannten »linken Zentristen«, was so viel heißt wie »schwächlicher muchacho« – geht alles weiter wie gehabt.

Was uns zu den Cristeros bringt – dem radikal-rechtschaffenen KATHOLISCHEN Widerstand.

Und damit zu den Goldhemden – die wir bitte nicht mit den Rothemden der Calles-Cárdenas-Kommunistenbrut verwechseln wollen. Zu den bewaffneten Heimatschützern, die Feuer mit Feuer bekämpft, Rothemden getötet, Kommunisten-Kommissare und aalglatte Apparatschiks gelyncht und nicht wenige der Roten Reptilien lebendigen Leibes verbrannt haben.

Die Cristeros hatten unter Calles ihre stärkste Zeit und sind von Cárdenas in den Untergrund getrieben worden. Doch nur, um ’37 aufs Herrlichste als Unión Nacional Sinarquista wiederaufzuerstehen.

Synarchismus bedeutet »ohne Anarchie«. Sinarquismo steht für den Sturmangriff auf die Katholiken-feindliche Linke. Wo unterirdische Untermenschen die atheistische Agenda von Presidente Camachos betreiben, reiten die Sinarquistas die stolze katholische Konterattacke. Die Sinarquistas finden immer mehr Anhänger. Sie machen sich für eine katholisch geprägte Staatsordnung stark. Man schimpft sie fascistas und Nazis – doch das ist leeres rotes Gekläff. Natürlich berufen sie sich auf die spanische Falange und Generalissimo Francisco Francos tapferen Sieg im Spanischen Bürgerkrieg. Und jetzt, wo die Vereinigten Staaten, in deren äußerstem Süden Mexiko liegt, in einen alles verzehrenden Weltenbrand hineingerissen werden, stellt sich doch vielmehr die Frage, wie weit die Sinarquistas in ihren grünen Hemden uns in unserer künftigen Weltmachtrolle sowohl gegen die Achsenmächte als auch gegen die Nationalisten-feindlichen Roten beistehen können?

Das heißt: Mexiko ist in diesem Weltkrieg bis jetzt neutral geblieben.

Das heißt: Presidente Camacho hat das deutsche Konsulat im August ’41 geschlossen, aber vielen Achsen-freundlichen Krauts und Japsen ein ungestörtes Schlaraffenleben à la Mexiko ermöglicht.

Und da kommt die Baja California ins Spiel.

Baja heißt der kleine mexikanische Landzipfel südlich von unserem San Diego. Ein wildes Wespennest faschistisch-communista Intrigen. Wo viele Japsen wohnen. Die mexikanische Staatspolizei vermutet jede Menge Japsen-U-Boot-Anlegestellen entlang Bajas Pazifikküste. Man munkelt von geheimen Japsen-Flugstützpunkten, von denen aus Angriffe gegen US-Navy-Stützpunkte und Waffenfabriken bei Los Angeles geflogen werden sollen.

Und da kommt Sinarquista-General Salvador Abascal ins Spiel.

Señor Abascal ist muy católico. Er ist der geistliche und geistige Führer der Sinarquistas und ein stolzer Träger des Sinarquismo-Grünhemdes. Wie die meisten männlichen Sinarquismo-Anhänger hat er sich ein kleines, von Schlangen umringeltes »SQ« in die Haut zwischen rechten Daumen und Zeigefinger tätowieren lassen. Gut aussehend und einunddreißig Jahre jung – und Presidente Camacho scheint ihn zu fürchten.

Das heißt: Die Sinarquistas in Mexiko und den Vereinigten Staaten finden immer mehr Anhänger.

Das heißt: Der alte Tunichtgut Camacho hat ihnen ein Stück Land an der südlichen Baja zur Verfügung gestellt, wo sie Ausbildungslager abhalten. Um die Sinarquistas zu isolieren oder um sie für einen Einsatz vorzubereiten?

US-Army-Nachrichtendienstler werden demnächst in der Baja ausschwärmen. Sie werden politisch Witterung aufnehmen und die dortigen Japsen zusammentreiben, so wie wir unsere hiesigen Japsen interniert haben. Und das heißt was? Wird Mexiko die zahnlose Neutralen-Attitüde aufgeben und sich Uncle Sam anschließen? Einem Amerika, das sich soeben erschreckenderweise mit den abscheulichen roten Reußen gegen die schlauen schrägen Nazis verbündet hat? Werden der mexikanische Peso und der US-Dollar abstürzen und ein neuer Goldstandard an deren Stelle treten? Was ist von den grässlichen Gerüchten zu halten, denen zufolge Nazis und Russkis gemeinsam Goldbarren zu Hakenkreuz- und Hammer-und-Sichel-Kunstwerken umschmelzen?

Mexiko, meine amerikanischen hermanos und christlichen Landsleute. Das südliche Einfallstor zu unseren geliebten Landen. Werden mexikanische Illegale unsere Grenzen überwinden und uns mit Sabotage zusetzen? Werden uns die Sinarquistas als heroische Heimatschützer zu Hilfe eilen?

Erster Teil – REGEN

(31. Dezember 1941–23. Januar 1942)

1

ELMER JACKSON(LOS ANGELES, 21:30 UHR, 31.12.41)

Stakeout. Observierung.

Rumsitzen und rumwarten. Ein Einbrecher/Vergewaltiger liegt draußen auf der Lauer. Tommy Glennon, soeben aus Quentin entlassen. Allein seit Pearl Harbor fünf 459er mit Sodomie auf dem Kerbholz.

Frohes verficktes Neues.

Drei Mann zur Observierung abgestellt. Zwei geparkte Wagen. 24th Street, Ecke Normandie. Rumsitzen und rumwarten. Stinksterbensscheißlangweilig.

Der Regen. Die kriegsbedingte Verdunkelung. Geschlossene Vorhänge, keine Straßenbeleuchtung. Miese Sicht.

Eine Menschenjagd. Wie’s beim Police Department Brauch ist. Vier Opfer hatten Tommy auf Verbrecherfotos identifiziert. Worauf sich der Chief und Dudley Smith zusammensetzten. Und den Einsatz befahlen. Der unmissverständlichen Vorgabe entsprechend: Auf perversen Scheiß mit Frauen steht TOD.

Elmer schluckte Old Crow. Er saß im Wagen vor dem Haus. Mike Breuning und Dick Carlisle waren für die Seitenstraße zuständig. Tommy hatte hier eine Bleibe ausbaldowert. Wo zwei langbeinige Schwestern wohnten. Rund-um-die-Uhr-Bewachung bestätigte den Verdacht.

Die Einbruchzentrale hatte Tommy eine Woche lang beschattet. Elmer hatte die Schwestern ausquartiert und seine langbeinige Freundin als Köder reingeschickt. Sie hatte die nötigen Beine nebst den erforderlichen Nerven.

Ellen Drew. Seine Teilzeit-Freundin und Teilzeit-Starlet bei Paramount. Ellen hatte für Wenn ich König wär Super-Kritiken bekommen, dann war ihre Karriere stecken geblieben. Gelegentlich schaffte sie als Teilzeit-Nutte für Elmer und Elmers Freundin Brenda an.

Brenda Allen. Das Teilzeit-Verhältnis von Chief Jack Horrall. Sag mir, wen du kennst und wen du leckst. Nennt-mich-Jack hatte Ellen den Köderauftrag erteilt.

Elmer beobachtete das Haus. Oben brannte Licht. Ellen hatte den Vorhang einen Spaltbreit offen gelassen, um ihre Beine gehörig ins Licht zu setzen. Was gegen die Verdunkelungs-Bestimmungen verstieß, doch ihre Beine beeeeeestens zur Geltung brachte. Tommy G. stand auf Beine.

Elmer hatte Tommys Quentin-Akte gelesen und das Wesentliche kapiert: Thomas Malcolm Glennon / weiß, männlich, Amerikaner / geb. 19.08.16. Knabenstrafanstalt Preston und Zuchthaus Quentin. Gute Beziehungen zu pachucos und dem Vier-Familien-Tong.

Irgendwo im Norden knallte Feuerwerk. Der Regen löschte die Funken und machte den Effekt zunichte.

»Sag mir, wen du kennst.«

Elmer kannte Dudley und Nennt-mich-Jack. Daher dieser Scheiß-Auftrag. Mike B. und Dick C. waren Dudleys Oberschläger. Dudley war heute Nacht beurlaubt. Ein unbekannter Täter hatte vor drei Tagen auf ihn eingestochen.

Elmer gähnte. Elmer drehte an seinem Polizeifunkgerät. Jede Menge Polizeirufe.

Ein 211er in Niggertown / Schnapsladen Happytime/ Streifenwagen vor Ort. Eine Rauschgift-Razzia im Zombie Club. Eine Mohren-Mexen-Schlägerei, 84th, Ecke Avalon. Bohnenfresser im Zoot-Suit, die sich schick verdrückten.

Elmer gähnte. Elmer drehte am Skalenknopf. Erwischte eine richtige Musikband und hatte Glück. Die Neujahrsparty des Police Departement in vollem Gange.

Live aus der City Hall. Das Count-Basie-Orchester. Im Bereitschaftsraum des Detective Bureau gab’s jede Menge Funkmikros. Der Count am Piano, Lester Young am Sax.

Insider wollten wissen: Zwei Streifenbullen hatten den Count mit Gras geschnappt. Jack Horrall hatte Wind davon bekommen und ihm ein Angebot gemacht. Deine Entscheidung, Count. Sechs Monate Bau oder ein einmaliger Auftritt?

Der Regen prasselte gegen den Wagen. Besagter Regen prasselte lauter als Count Basie. Elmer wechselte auf Bandfrequenz drei. Er erwischte den Funkverkehr zwischen Breuning und Carlisle.

»Kennen«, »lecken«. Mieser Mike und Drecksack Dick. Und die entscheidende Frage der diesjährigen Neujahrsfeier: Wie steht’s um deinen Insiderstatus?

Im Hauptquartier der Sitte hatte er sich wohlgefühlt. Da gab’s immer was zu lachen und Möglichkeiten, die Konkurrenten im Callgirl-Geschäft auszuschalten. Bis die Scheiß-Japsen Scheiß-Pearl-Harbor bombardierten und ihm die heile weiße Welt zerlegten.

Worauf er zum Fremdenkommando abgestellt wurde. Japsen-Jagd, zwölf Tage die Woche. Japsen, Japsen, JAPSEN. Im Ausland geboren, im Inland geboren, ganz bestimmt Fünfte Kolonne oder ganz bestimmt der Zugehörigkeit zur Fünften Kolonne verdächtig. In deren Zuhause eindringen. Deren Besitz beschlagnahmen. Sie in die netten Pferdeställe von Santa Anita überführen.

Band drei wurde aktiviert. Breuning und Carlisle erzählten Scheiß. Wer wohl auf den Dudster eingestochen hatte? Lustiges von den Kindern. Die Tante vom Ordnungsamt mit ihren Riesentitten.

Breuning und Carlisle quatschten weiter. Sie besprachen die FBI-Abhöraktion. Das Police Department steckte bis über beide Ohren in der Scheiße. Die Abhöraktion war der Aufreger in Polizeikreisen.

Die City Hall war komplett verwanzt – vom Keller bis zum Dachboden. Von rivalisierenden Bullenlagern, die sich gegenseitig bespitzelten. Tricksende Bullen, mit dem Tong verbandelte Bullen, Streikbrecher-Bullen. Was dem FBI nicht entgangen war, das entsprechend eine Untersuchung in die Wege leitete.

Bullen, die ihre Privatreviere absteckten. Bullen als Diebe. Bullen bei den Nazi-Silberhemden und beim Amerikadeutschen Bund. Anrufe beim Staatsanwalt. Anrufe bei Bürgermeister Fletch Bowron. Die Bullen vom Detective Bureau hatten eine Scheiß-Riiiiiiesen-Angst.

Elmer hatte eine Scheiß-Riiiiiiesen-Angst. Er betrieb einen Callgirl-Ring. Als Frischfleisch-Hoflieferant der L.-A.-Elite. Er hatte aus dem Sitten-Hauptquartier seine Geschäftsanrufe erledigt.

Der offene Funkverkehr fiel aus. Mist – Störgeräusche, Statik, Rauschen. Elmer drehte am Einstellknopf. Ein Glückstreffer – Cliffie Stone mit Hometown Jamboree.

Der Jahresausklang für heimwehkranke Kentucky-Cracker. Genau seine Kragenweite. Cliffie erinnerte ihn an Heuwagen und Schwarzgebrannten. Cliffie erinnerte ihn an Wisharts, North Carolina.

Wisharts war Klan-Gebiet. Geographie ist Schicksal. Der Klan hatte das Leben seines Vaters und seines großen Bruders, Wayne Frank, versaut. Ihre Hass-die-Tintentaucher-Diät hatte dem jungen Elmer schwer im Magen gelegen. ’30 wurde er achtzehn. Er ging zu den Marines. Semper fi: Parris Island, Camp Lejeune, Nicaragua.

Mann-oh-Managua. Das Marinekommando hält den Möchtegern-Führer, die amerikanische Marionette Somoza, an der Macht. Die Marines erledigen Somozas politische Rivalen und bewachen die US-Botschaft. Sie fungieren als Dauer-Pagen und Teilzeit-Mörder. El Jefe mag Lance Corporal E. V. Jackson. Und verschafft ihm einen Spitzenjob: die Oberaufsicht über Jefes Lieblingspuff.

Elmers Lehrjahre im Bordellgeschäft. Wo er den Mädchen-klingeln-an-deiner-Tür-Service entwickelte. Worauf ihm der Jefe den Spitzenjob Nr. 2 zuschanzte. Und ihn als Leibwächter des Police Chief von L.A. amtieren ließ.

James Edgar »Zwei-Knarren« Davis. Total gaga und durchgeknallt. Jim Davis und der Jefe waren kranke Seelenverwandte. Die miteinander hurten und soffen. Davis liebte Lance Corporal Jackson. Und das hatte seinen Grund:

Ein linker Eiferer war mit einer Machete auf Davis losgestürzt. Worauf Lance Corporal Jackson auf den Angreifer schoss und ihn tödlich verletzte. Worauf Davis für Lance Corporal Jackson einen Job im Police Department organisierte.

Adieu, Marine Corps. Hallo, Los Angeles.

Elmer mochte die Polizei-Arbeit. Davis brachte ihn mit einer Weiberfleisch-Vertreiberin namens Brenda Allen zusammen. Elmer und Brenda konnten miteinander. Sie heckten ihr Telefonvermittlungsgeschäft aus und hatten großen Erfolg. Während eine L.A. Grand Jury Jim Davis stürzte. Davis hatte ein Käfigfleisch-Vögelchen zu viel gevögelt und sich damit in die Nesseln gesetzt.

Nun war Nennt-mich-Jack bei ihnen beteiligt. Er bekam sieben Prozent vom Telefongeschäft. Sergeant E. V. Jackson: erst neunundzwanzig. Und schon ein gemachter weißer Mann.

Cliffie Stone legte Folk-Balladen auf. Wayne Franks Lieblingsmusik. Wayne Frank war ein verbitterter Hasser und Nativisten-Fanatiker gewesen. Während der kleine Bruder seine Chancen nutzte, geriet Wayne Frank mehr und mehr unter die Räder.

Wayne Frank ging zum Klan, stürzte ab, wurde Penner. Er trieb sich an der Westküste rum und fand einen frühen Tod.

Elmer schluckte Old Crow. Er war halb dun. Es war 22:18 Uhr. Tommy pflegte stets zwischen 22:00 Uhr und Mitternacht zuzuschlagen.

Die Country-Musik rief bedrückende Erinnerungen wach. Er schaltete das Radio aus und horchte auf den Regen. Sein Streifenwagen stand bis an die Stoßstangen im Wasser.

Er überprüfte das Haus. Die Vorhangspalten boten gute Sicht. Ellen befand sich im oberen Stockwerk. Sie ging auf und ab und rauchte. Und stellte ihre herrlich langen Beine aufs Beste zur Schau. Aus einem Oberlicht drang Qualm.

Elmer schaltete wieder auf Funkband drei. Mike B. klönte mit Dick C. Dudster hier, Dudster dort. Weitere lustige Kinderstreiche.

Noch mehr Statik und Rauschen. Elmer leerte die Flasche und schmiss sie zum Fenster hinaus. Dann der Durchruf: »Achtung, Partner.«

Elmer griff zum Empfänger und schaltete auf Sprechen. Das Knistern und Rauschen erstarb.

»Yeah, Mike.«

»Unser Junge ist im Anmarsch. Er ist über den Nachbarzaun gestiegen. Du übernimmst die Vorderseite. Er soll Ellen auskundschaften und nach oben gehen, bevor du ihn ersch–«

Elmer reagierte blitzschnell.

Er stieß die Tür auf.

Er sprang über die Pfützen und versuchte, den Bürgersteig zu erreichen. Seine Schuhe liefen voll und über. Er zog die Waffe und lud einmal durch.

Der Hut flog ihm vom Kopf. Der Regen stach ihm in die Augen und versaute ihm die Sicht. Er konnte gerade noch die Wiese / den Hauseingang / die Vordertür erkennen.

Nicht abgeschlossen. Jetzt umsichtig vorgehen. Die Scharniere und Zargen hast du selbst geschmiert. Tommy wird nicht das Geringste hören.

Er ging rein. Er konnte Ellens Zigarettenrauch und Parfüm riechen. Er ging zur Treppe. Und versaute den Wohnzimmerteppich.

Mike und Dick platschten auf ihn zu. Sie erreichten die Treppe. Alle machten psssssst.

Sie sahen Tommys schmutzige Fußabdrücke. Sie hörten Fußbodenbretter knarren und Schritte im oberen Stockwerk.

Mike zwinkerte ihm zu. Dick fuhr sich mit der Hand über die Kehle. Elmer musste leer schlucken – du lieberHimmel, was für ein Mist.

Ellen schrie laut auf.

Mike gab brüllend Antwort. Dick gab brüllend Antwort. Sie rannten die Treppen hoch und machten Krach. Sie drängten sich gegenseitig gegen die Wand und erreichten den Absatz. Elmer hörte ein Vorderfenster splittern. Tommy G. machte die menschliche Fliege und schwirrte ab durch die Lüfte.

Elmer rannte zurück und zur Vordertür raus. Unter schwarzem Himmel, im dichten Regen, kaum erkennbar, die Menschen-Fliege Tommy, die nach Norden entflieht –

Hat zwei Meter Vorsprung. Hält schräg auf den Bürgersteig zu. Wo’s kein rutschiges Gras gibt und bessere Bodenhaftung.

Elmer kürzte ab und gelangte auf den Asphalt. Sein klatschnasser Regenmantel hinderte ihn am Laufen. Er machte Boden gut, verlor erneut den Anschluss, machte die Distanz wieder gut. Er zielte auf Tommys Rücken und drückte dreimal ab. Mündungsfeuer färbte den Regen rot.

Tommys Vorsprung wurde immer größer. Mike B. und Dick C. feuerten von weit hinten. Die Querschläger prallten von Veranden ab.

Tommy rannte über die 26th Street nach Osten. Elmer nahm ihn aus dem Augenwinkel wahr und schoss sein Magazin leer. Wegen des Mündungsfeuers tanzten ihm viele kleine Lichthöfe vor Augen.

Elmer rannte nach Osten. Er lud nach und rannte. Der Regenmantel rutschte ihm von Arm und Schultern. Rollos wurden hochgezogen. Er bekam etwas Seitenlicht.

Er machte Boden gut. Er geriet außer Atem. Tommy fiel was aus der Hosentasche. Elmer blieb stehen und legte sorgfältig an. Er hatte ihn sicher über Kimme und Korn, er hatte ihn genau im Visier, aber irgendwas in ihm sagte NICHT. Er schoss absichtlich dreimal weit daneben.

Tommy rannte nach Norden. Eine menschliche Fliege. Ein schnellfüßiger Psychopath. Elmer sah zu, wie er verschwand.

In weiter Ferne konnte Elmer Mike und Dick hören. Deren Schüsse über die Straße hallten. Die Vollidioten schossen auf Gespenster.

Elmer hielt inne und kam ein wenig zu Atem. Er ging ein paar Schritte nach Osten und musterte den Bürgersteig.

Tommy hatte was fallen lassen. Elmer fand es und hob es auf. Je nun. Wenn das nicht ein rotledernes Adressbuch war.

»Ein netter Jahresanfang«, sagte Ellen.

»Hab ich auch gedacht«, sagte Elmer.

»Du bist wohl kein besonders guter Schütze.«

»Na komm. Nachts, im Regen?«

Sie fuhren durch Hollywood. Ellen wohnte im Green Gables. Das grenzte an das Gelände der Paramount und kam frühen Vorsprechterminen entgegen. Ellen hatte eine zweite Ehe laufen. Erst siebenundzwanzig, und schon zwei Ehemänner und ein Kind. Ihr Kerl diente beim Air Corps. Elmers Kunden bediente sie aus Langeweile. Und eben deswegen stand sie auch Elmer zu Diensten.

Elmer erreichte die Melrose Avenue Richtung Westen. Durch so was wie ein nächtliches Wasserballett. Die Straßenlampen waren gedämpft. Verdunkelung in Verbindung mit rinnsteinhoher Straßenüberflutung.

Ellen zündete sich eine Zigarette an. »Er hat seinen Schwanz rausgezogen und damit rumgewackelt. Da habe ich aufgeschrien.«

Elmer grunzte. Ellen winkte mit ihrem kleinen Finger. Tommy Glennon – bestückt wie ein Cashewnüsschen.

Elmer grunzte erneut. Ellen tastete nach seiner Hosentasche und zog die Geldscheinrolle raus. Sie zog einen Fünfziger ab und steckte die Geldscheinrolle zurück.

»Das hat sich echt gut angefühlt.«

»Nicht heut Nacht. Vielleicht am Wochenende.«

»Da habe ich Spätdienst. Als Leibwächter für Hideo Ashida.«

»Ein niedlicher Kerl«, sagte Ellen, »für einen Japsen. Ist der nicht schwul?«

»Na komm. Er ist der beste Forensiker im Police Department des weißen Mannes.«

Ellen warf ihre Zigarette zum Fenster hinaus. »Richte Jack Horrall aus, dass ich mich für den Fünfziger bedanke, aber Köderjobs seien bei mir nicht mehr im Sortiment.«

»Noch was?«

»Dass ich ihm ausrichten lasse, er soll dich wieder zu den Marines schicken. Wir haben nämlich Krieg, und da solltest du kämpfen, genau wie mein Mann.«

»Liebst du mich denn nicht?«, fragte Elmer.

»Nein«, sagte Ellen. »Du bist nur dazu da, mich jetzt, wo Krieg ist, auf andere Gedanken zu bringen.«

Ellen stieg beim Gables aus. Elmer wendete und fuhr nach Osten. Seine wilden Geistesblitze fügten sich allmählich zu einem Gesamtbild. Er war kribbelig und aufgeregt.

Tommy G. wohnte im Gordon Hotel. Breuning und Carlisle waren zu faul zu einer Zimmerdurchsuchung gewesen. Zum Gordon brauchte er nur den Melrose Boulevard runterzufahren.

Ich sehe mir Tommys Zimmer an. Ich sehe nach, was es da an Spuren gibt. Ich mache das Beste aus der verkorksten Geschichte. Ich zahle es Dudley Smith endlich heim.

Der Dudster ging ihm auf den Keks. Hey, Elmer – leg mal schnell den Kerl dort um. Was ihm ganz und gar nicht schmeckte. Ein Berufsmörder war er nämlich ganz und gar nicht.

Der gottverdammte Regen. Verstopfte Abwasserkanäle. Schlammlawinen. Keine heißen Toddies, keine knackigen Weiber.

Elmer parkte oberhalb des Gordon und sprang über Pfützen hinein. Die Lobby war kahl. Ein Angestellter döste am Telefonschaltbrett. Er trug einen Zylinderhut aus grünem Filz.

Tommy hatte die 216 gemietet. Elmer ging rauf und stellte sich vor die Tür. Keine Stimmen, keine Radiogeräusche. Er zog die Waffe und drückte die Tür mit der Schulter auf.

Kein Tommy. Kein sonst wer. Nur eine dreieinhalb auf dreieinhalb Meter kleine Elendsbleibe.

Kein Badezimmer. Ein Kleiderschrank, eine Kommode. Eine Milchflasche zum Pinkeln neben dem Bett. Keine Stühle. Elmer schloss sich ein. Donner erschütterte das ganze Haus. Draußen auf dem Melrose Boulevard schrien ein paar Knilche »Frohes neues Jahr!«.

Er überprüfte den Schrank. Leer und ausgeräumt. Das hieß, dass Tommy abgehauen war. Er besaß einen Wagen oder hatte einen gestohlen. Tommy hatte sich eine Schießerei mit drei Bullen geliefert und war verschwunden. Lebe wohl, erbärmliches Vergewaltiger-Schwein.

Elmer durchsuchte die Schubladen. Hier gab’s ganz schön provokatives Zeugs.

Ein Spanisch-Lehrbuch. Ein Fotobuch mit Pornobildern. Scharfe Eselsnummer-Fotos à la Tijuana. Man beachte ElBurros Porkpie-Hut.

Nazi-Armbänder. Japsen-Flaggen mit der aufgehenden Sonne. Eine Tätowierschablone. Man beachte die ausgeschnittenen Teile:

Umrisse von Hakenkreuzen. Umrisse für ein von Schlangen umringeltes »SQ«.

Elmer durchblätterte Tommys Adressbuch. Weiteres eigenartiges Zeugs. Aha – keine Adressangaben, keine voll ausgeschriebenen Namen.

Aha – ein »J. S.« und eine Hollywood-Nummer. Ein »St. Vib’s« und eine Innenstadt-Nummer. Wahrscheinlich die katholische Kirche von St. Vibiana.

Aha – RE-8761. Weder Namen noch Initialen. Republic verwies auf eine Lage südlich der Innenstadt.

Aha – MA-4993. Eine Nummer, die ihm bekannt vorkam. Er ließ die Gehirnzellen tanzen und dann fiel’s ihm ein.

Eddie Lengs Kowloon. Eine Imbissbude in Chinatown, die ganze Nacht geöffnet, mit bemerkenswerter Haifischflossensuppe.

Eddie Leng war mit dem Vier-Familien-Tong verbandelt. Tommy G. war ein bekannter Tong-Spezi.

Dazu: drei weitere Telefonnummern ohne Namen / ohne Initialen.

Elmer schnappte sich das Telefon von der Wand und riss den Schalttafel-Mann aus dem Schlaf. Die MA-6884, pronto.

Das Detective Bureau. Die Nachtnummer der Sitte. Rund um die Uhr besetzt.

Es klingelte viermal, dann nahm jemand ab. Er konnte Silvester-Tröten hören. Der Beamte wirkte sternhagelvoll.

»Äh … ja?«

»Mach dich startklar, Sportsfreund. Du hast Telefonnummern zu überprüfen.«

Der Beamte gähnte. »Bist du’s, Elmer?«

»Ich bin’s, also schnapp dir deinen Stift.«

»Den hab ich wohl irgendwo.«

»HO-4612«, sagte Elmer. »Teilnehmer hat die Initialen J. S.«

«Okay, hab ich –«

»Die Nummer der Kirche St. Vibiana und den Teilnehmer mit der Nummer RE-8761.«

Der Beamte wurde wach. »Die Nummer kenn ich. Ein heißer Münzfernsprecher, den die farkakten Telefonüberwachungs-FBIler überprüft haben. Wo eine ganze Menge schräger Vögel von der City Hall ihre schrägen Anrufe tätigen.«

»Jetzt nicht aufhören«, sagte Elmer.

»Wer will denn aufhören? Ich hab doch nur ’ne Denkpause eingelegt.«

»Na komm. Zieh das nicht in die –«

»War mal eine heiße Fernsprechzelle für Buchmacher und ist’s angeblich immer noch. Zwischen 11th Street und Broadway. Die der farkakte Reporter Sid Hudgens für seine unkoscheren Anrufe nutzt.«

Sid der Yid. Skandalschreiber, auf Sex-Skandale aus. St. Vib’s – das papistische Herz der Stadt. Eddie Lengs Imbissbude.

Tommy, was soll der Scheiß?

2

DUDLEY SMITH(LOS ANGELES, 23:30 UHR, 31.12.41)

Schmetternde Trompeten. Jubelnde Klarinetten. Der Regen trommelte die Synkopen dazu.

Der Bereitschaftsraum tobte. Der Count und seine Jungs sorgten für Stimmung. Jetzt noch »Annie Laurie«. Mit Schwung, großartig gälisch.

Der Raum kochte. Die Dampfheizung kämpfte gegen den kalten L.-A.-Winter an. Bullen, die einmal im Jahr das Tanzbein schwangen, schlugen heute Nacht über die Stränge. Sie schütteten den Gratis-Schnaps in sich rein und schleuderten ihre Partnerinnen quer über die Tanzfläche. Der Count schaute zu. Weiße waren Zirkusclowns. Wie hier bewiesen.

Dudley schaute zu. Er hatte einen Seitentisch an einem Fenster, durch das Luft hereinkam. Er trug seine Army-Paradeuniform. Claire eine irisch-grüne Abendrobe.

Der Erzbischof machte ihr den Hof. J. J. Cantwell stand auf Frauen. Enthielt sich ihrer aber, seinem Gelübde getreu. Monsignore Joe Hayes sah über Claire hinweg. Sie war eine Konvertitin. Und damit nachweislich unauthentisch. Er nahm ihr nur ungern die Beichte ab.

Frauen stießen Monsignore Joe ab. Er stand auf Jungs. Enthielt sich ihrer aber nicht, seinem Gelübde zum Trotz.

Pater Coughlin stand auf groben Klotz und groben Keil. Seine Dreieinigkeit bestand aus Saufen, Schimpfen, Hetzen. Er verabscheute Rote und Hebräer. Er hofierte die Nonnen in St. Vib’s und überhäufte sie mit Hasstraktaten. Er lebte, um Seelen zu fischen und Zwietracht zu säen.

Ein Kellner versorgte den Tisch mit Nachschub. Er verbeugte sich und servierte Scotch, Gin und Eis. Die Kellner waren Kalfaktoren aus dem County-Gefängnis. Der betreffende Bursche war ein notorischer Pimmel-Pendler. Mit einer Vorliebe für Schulhöfe und öffentliches Wichsen.

Claire schenkte allen nach. Die Kirchenmänner zündeten sich Zigaretten an und leerten ihre Gläser. Der Erzbischof begaffte Claire. Monsignore Joe begaffte den Kellner. Pater Charles kritzelte eine Papierserviette voll. Er zeichnete von Blut triefende Hakenkreuze.

Dudley rückte sich die Schlinge zurecht. Sein linker Arm hatte mehrere Messerstiche abbekommen. Bestimmt von einem aufmüpfigen Chink. Höchstwahrscheinlich wegen einer Tong-Intrige. Dudley war mit Uncle Ace Kwan und Hop Sing verbündet. Besagtes Bündnis mochte feindliche Tongs provoziert haben. Der besagte Messermann würde demnächst streng abgemahnt werden.

Claire teilte ihr Morphium mit ihm. Was seine schnelle Genesung förderte. Claire bedeutete ihre Liebe zu ihm mehr als ihre Sucht. Die Droge linderte seinen Schmerz und sorgte für eine elegische Stimmung. Er fühlte sich erhaben und überlegen: Noblesse oblige.

Das Morphium ließ ihn seine jüngsten Fehlschläge verschmerzen. Pearl Harbor und die Japsen-Razzien – sein gewaltig gescheitertes Geschäftsmodell.

Er hatte Kriegsgewinnler-Pläne ausgeheckt. Gemeinsam mit Ace Kwan. Was gründlich schiefgegangen war. Er hatte sich Heroin in Baja beschaffen wollen. Gemeinsam mit Mike Breuning, Dick Carlisle und Hideo Ashida. Was gründlich schiefgegangen war. Das Heroin hatte Captain Carlos Madrano gehört. Er war dem Smith-Kartell mit seiner Mexen-Stapo in die Parade gefahren. Und zu all dem kam noch ein Japsen-U-Boot-Fiasko. Er hatte Nitroglyzerin in Madranos Wagen versteckt und El Capitán in die Luft gejagt. Aber eine richtige Entschädigung war das nicht.

Pater Coughlin kannte Madranos Nachfolger. José Vasquez-Cruz war ein Roten- und Judenfresser, aber weniger offensichtlich ein fascista. Baja lockte erneut. Police Sergeant Smith verwandelte sich wieder in Army Captain Smith. Er würde Vasquez-Cruz treffen und könnte versuchen, ihn einzuwickeln. Baja lockte als glückhafte zweite Chance.

Count Basie setzte zu einer südamerikanisch-inspirierten Ballade an. Claire drückte ihm den gesunden Arm. Lass uns tanzen, mi corazon.

Die Schlinge behinderte ihn. Dudley ließ sich von Claire aufhelfen und führen. Sie stützte seinen schlimmen Arm. Sie tanzten eng umschlungen. Claire lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

»In zwei Wochen sind wir da«, sagte sie. »Diese Art von Musik werden wir noch früh genug satthaben.«

»Major Melnick hat uns eine prächtige Grand-Hotel-Suite reserviert. Mit eigener Terrasse und herrlichem Blick auf den Ozean.«

Claire schmiegte sich an ihn. »Wir werden zur Messe gehen und alle Heiligenfeste feiern. Wie werden größer und besser aussehen als alle anderen, und sie werden kaum glauben können, wie gut unser Spanisch ist.«

Dudley lachte. »Die hoi polloi werden dich anbeten. Und dich hinter deinem Rücken ›La Gringa‹ nennen und sich wundern, wie ein irischer Radaubruder wie ich so viel Schwein haben kann.«

»Sei nicht zu streng mit dir, Lieber. Vergiss nie, dass ich dich weit mehr zivilisiert habe, als du mich verdorben hast.«

»Wer will das entscheiden? Das wird sich erst in der Zukunft erweisen.«

»Gewiss, Liebling«, sagte Claire. »So ist es.«

Das Tanzparkett war gerammelt voll. Die Partygäste plumpsten ineinander und stolperten sich gegenseitig über die Füße. Dudley und die anderen Polizisten grinsten sich an.

Da sitzt Lieutenant Thad Brown. Mit einer milchkaffeebraunen Sängerin plaudernd. Dort Ex-Chief Davis, der die Bowle mit Hochprozentigem versetzt. Hier Kay Lake und drüben Captain Bill Parker. Ein verhindertes Liebespaar. Selbst wenn ein ganzer Raum voller Menschen sie trennt – die Funken zwischen ihnen fliegen hin und her. Parker ist der hartnäckige Dorn in seiner Seite. Miss Lake recht ansehnlich, wenn auch etwas einfältig.

Parker ist in Uniform. Man beachte die pitschnasse Arbeitskluft und den tief durchhängenden Pistolengurt. Er hat sich im Regen um Verkehrsprobleme gekümmert. Er versteckt sich vor seiner Frau. Er kam her, um einen Blick auf die ansehnliche Kay zu erhaschen.

Viele Männer empfinden die Lake als geistvoll und faszinierend. Parker ganz bestimmt. Er ganz entschieden nicht. Kay ist eine Dilettantin und ein Wanderpokal in Polizeikreisen. Sie lebt platonisch mit dem miesepetrigen Officer Lee Blanchard zusammen. Parker ist frömmlerisch und gefährlich. Und kann es eines Tages noch zum Chief bringen.

Bill Parker. Der Watanabe-Fall. Hindernisse beim wilden Lauf, den er nach Pearl Harbor begann.

Fujio Shudo, der Werwolf-Psychopath. Der von Sergeant D. L. Smith ermittelte angebliche Schlächter. Bill Parker versuchte, den Fall ernsthaft zu lösen. Bill Parker scheiterte. Hideo Ashida war Sergeant Smith zu Hilfe geeilt. Womit die Angelegenheit gelaufen war.

Claire schmiegte sich eng an Dudley. Er fühlte, wie sie zitterte. Sie würde sich bald entschuldigen. Sie würde ihre Spritze holen.

Er hielt sie aufrecht. Sie hielt ihn aufrecht. Dies war seine neue Liebesbeziehung und ein sehr zärtlicher Pakt.

Der Arm tat ihm weh. Er hatte Gewicht verloren. Der Messerangriff auf ihn war der Schluss- und Höhepunkt seines Post-Pearl-Harbor-Spurts.

Er hatte Rache geschworen. Mike und Dick wollten ihn später treffen. Sie hatten ein paar Schläger vom Fremdenkommando rekrutiert. Eine große Tong-Razzia stand an.

Der Count wechselte zu »Adios«. Sanfte Klarinetten mit ein bisschen Blech. Ein mexikanisches Motiv.

»Abschiednehmen ist nie so schön«, sagte Claire.

Dudley küsste sie auf den Hals. Sie schwitzte. Mit ihren Symptomen und ihrem Suchtproblem kannte er sich nun aus.

»Unser Lied, solange der Krieg dauert. Damit es nie zum Abschiednehmen kommt.«

Claire erschauerte. Er führte sie durch die Menge zu ihrem Tisch zurück. Pater Charles erzählte einen derben Witz. »Kennen Sie den, Eminenz? Die scharfe Geschichte von Komm-ohn-Kinn, dem chinesischen Schwanzlutscher.«

J. J. Cantwell brüllte vor Lachen. Joe Hayes sah finster drein. Claire schnappte sich ihre Abendtasche und ging zum Klo.

Die Menge machte ihr Platz. Besoffene Bullen standen Spalier. Sie ließ sich Zeit und lächelte jeden einzeln an.

Dudley schaute auf die Uhr. 23:51 Uhr. Wo sind Mike und Dick? Wo die Trantüte Elmer Jackson?

Quo vadis, Tommy Glennon?

Tommy hatte sein Ende selbst zu verantworten. Mit einer Dreifachanklage. Erstens: Tommy vergewaltigte Frauen, womit er gegen den allgemeinen Gesellschaftsvertrag verstieß. Zweitens: Tommy war Sergeant D. L. Smiths Ex-Spitzel und Busenfreund des aktuellen Dudley-Spitzels Huey Cressmeyer. Drittens: Tommy hatte im Auftrag von Carlos Madrano mexikanische Illegale ins Land geschmuggelt.

Zusatzklage zu Punkt drei:

Dudley hatte Tommy Mitte November in Quentin besucht. Tommy hatte ihn auf Madrano und eigene Mexiko-Pläne angesprochen. Dudley hatte grandiose mexikanische Pläne. Er wollte seinen Army-SIS-Status nutzen, um sie umzusetzen. Als da waren: Heroin, Illegale, eingesperrte Japsen, die man als Sklaven verdingen konnte. Was Tommy alles versauen konnte. Ergo: Tommy muss sterben.

Dudley spülte die Pillen mit Club Soda herunter. Zwei Kapseln für die schmerzenden Stichwunden. Drei Benzedrin für spätnächtlichen Schwung.

Die Gesichter von Cantwell, Hayes und Coughlin waren nun aufgedunsen. Sie zogen über die Mohren und die Rote Geißel Joe Stalin her. Die englischen Protestantler hatten den Krieg vom Zaun gebrochen und die Hebräer-Bänker ins Boot geholt. Die 36er Olympiade war abgesprochen. Der Kaffer Jesse Owens? Den holt meine alte irische Großmutter im Schlafe ein.

Zehn Sekunden vor Mitternacht. Count Basie ließ die Trompeten schmettern – neun, acht, sieben, sechs –

Dudley stand auf. Die Bullen schwenkten Tischfähnchen. Dudley das Sternenbanner und irisch-republikanisches Grün.

– fünf, vier, drei, zwei –

Mike und Dick kamen rein. Dudley sah sie. Prächtige Schlägertypen. Sie sahen Dudley und zuckten zusammen.

Dudley winkte und fragte tonlos: Tommy? Mike und Dick schüttelten den Kopf: Nein.

– eins, null, FROHES NEUES JAHR –

Rufe, Rückenschlagen, Korkenknallen. Trötenlärm und Fähnchenschwenken –

Der Count setzte mit »Auld Lang Syne« ein. Dudley schwankte. Der Möchtegern-Ballsaal wurde heiß wie ein Treibhaus und drehte sich im Kreis.

Der Arm pochte. Er fürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Als Claire zu ihm heranschwebte.

Sie hielt ihn aufrecht und küsste ihn.

Sie sagte: »Jetzt sind wir dran, Liebling.«

3

JOAN CONVILLE(SAN DIEGO, 00:15 UHR, 01.01.42)

Should auld acquaintance be –

»Auld Lang Syne« ging im Geschrei und Gejubel unter. Lautes Getröte. Lautes Zuprosten und Remember PearlHarbor!!!

Die Feiernden drängten sich im Sky Room. Jede Menge Navy-Goldfasane. Viel Glubschen und Grabschen. Beim Knutschen auf dem Tanzboden wurde voll zur Sache gegangen.

Stan Kenton gibt sich mit »Rhythmus als Kunst« die Ehre. Miss Misty June Christy säuselt ausgewählte Vokalpartien. Der Sky Room verfügte über Panorama-Fenster und war mehrere Stockwerke hoch. Von hier aus hatte man einen weiten Ausblick auf die militärisch umgerüsteten Strandpromenaden. Ebenso wie auf Sturmwolken und den dunkelsten Himmel der Welt.

Joan wich den Grabschern aus. Sie umklammerte ihre Handtasche und arbeitete sich zur Tür. Sie war halb dun. L.A. lag drei Autostunden entfernt im Norden. Mit Staus vor Army-Kontrollpunkten war zu rechnen. Und der Verdunkelung, die sich wie ein Leichentuch über die Küste legte.

Sie wich den letzten Grabschversuchen aus und entkam. Sie schaffte es zum Lift und drückte die »1«. Spiegelwände umgaben sie – zu schön, um nicht genutzt zu werden.

Sie zwinkerte. Sie pfiff. Sie war zu stolz, um zurückzuweichen, und zu groß gewachsen und gut aussehend, um zu verlieren.

Ihr rotes Haar. Ihre grünen Augen. Ihre auffallenden eins dreiundachtzig. Ihre knapp sitzende Winteruniform. Goldknöpfe und Litzen.

Lieutenant Junior Grade J. W. Conville, United States Naval Reserve. Ihr Japsenärsche, nehmt euch in Acht!

Sie hatte sich am Pearl-Harbor-Tag in L.A. verpflichtet. Instinktiv. Sie hatte ihren Liebhaber-für-die-Nacht rausgeschmissen und war in die Innenstadt gefahren. Das Fed-Building war umlagert gewesen. Sie hatte geschlagene sechs Stunden angestanden.

Anchors aweigh – die Anker hoch!

Sie war eine Diplomkrankenschwester mit Collegeabschluss in Biologie. Für ihren tollen Lebenslauf hatte man ihr militärische Rangstufen geschenkt. Sie hatte sich für den Dienst auf Kriegsschiffen eingetragen. Das Training Camp des Nurse Corps stand an. Point Loma, ich komme.

Der Lift hielt ruckelnd an. Sie war in der Lobby angekommen. Joan musste sich durch Grüppchen reicher Spießer drängen.

Das berühmte El Cortez Hotel. Wohlhabende Witwen und alte Herren im Smoking. Mit von rot-weiß-blauen Draperien geschmückten Wänden und Japsen-Laus-Raus!-Plakaten. Mit einem fetten Wallace Beery, der Autogramme verteilte.

Joan rannte geduckt auf den Parkplatz. Klein gewachsene Männer begafften sie. Du liebe Güte – was für ein Regen.

Sie wurde pitschnass. Sie fand ihren Wagen und machte es sich gemütlich. Sie schaltete die Heizung und die Scheibenwischer ein. Sie zündete sich eine Zigarette an. Sie fuhr über die Küstenstraße nach Norden.

Sie befolgte die Verdunkelungs-Bestimmungen und fuhr ausschließlich mit Abblendlicht. Das den diiiiichten Regenschleier anstrahlte. Zur ihrer Linken krachten heftige Brecher in die Ufermauer.

Sie rauchte Kette. Aufs Nüchternwerden war sie spezialisiert. Sich auf die aktuelle Aufgabe konzentrieren und die zwölf Highballs vergessen.

Sie ließ die Innenstadt von San Diego hinter sich. Der Verkehr nahm ab. Als die Strecke frei wurde, gab sie Gas.

Durchbrettern. Bei den Convilles ehrwürdiger Familienbrauch.

So hatte es Earle Everett Conville gehalten. So hielt es die älteste Tochter. Im Gegensatz zur kleinen Schwester. Die einen Papisten geheiratet und die väterliche Hinterlassenschaft besudelt hatte.

Die Strecke blieb frei. Ein schwarzes Loch, von hier bis an die Ewigkeit. Joan trat das Gaspedal durch. Das Abblendlicht beleuchtete schwere Regenschwaden.

Die der Wind flach peitschte. Wie seinerzeit in Tomah, Wisconsin.

Der Wind spielte seine Spiele. Der Schnee flog seitwärts. Entwurzelte Bäume ebenso. Big Earle war der Wildhüter von Monroe County gewesen. Der Joan angewiesen hatte, gefällte Bäume mit einer 10er-Schrotflinte zu beschießen. Fünf Bäume ergaben genügend Späne, um einen Winter lang Feuer anzufachen.

Ihr Heimat-Lehrplan. Dahin, wie ihre Eltern. Weit weg, wie ihre Schwester und mehrfach verschwägerten Cousins im schottischen Hinterland. Verdrängt durch ihren Krankenschwestern-Lehrgang und die Diplomarbeit an der Northwestern University. Verschwunden, wie ihre vielen Kerle.

Du liebe Güte – was für ein Regen.

Joan bretterte durch. So pflegten es die Convilles zu halten. Sie rauchte Kette. Das glich den Alkoholpegel aus. Sie bremste vor einer Army-Kontrolle. Saboteur-Alarm. Sie bremste vor einer Bullen-Kontrolle. Illegalen-Alarm. Weiße Schläger pflegten Illegale im Kofferraum oder auf dem Tieflader zu schmuggeln.

Die Bullen trugen blaues Tuch und breite Pistolengürtel. Was sie an den Police Captain aus L.A. erinnerte. War der in sie verknallt gewesen.

Northwestern University. Frühling 1940. Ein trauriges Klappergestell mit Brille. Das ihr überallhin nachgestiegen war. Um zuzusehen, wie sie am Lake Michigan auf Tontauben schoss. Wie sie sich auf Tanzveranstaltungen in der Turnhalle vergnügte. Sie war nahe dran gewesen, ihn zum Tanz zu bitten.

Niemand wusste, wie er hieß. Er war zu irgendeinem Verkehrsbullen-Seminar gekommen. Und spannte in seiner Freizeit Joan Woodard Conville hinterher.

Das Seminar ging zu Ende. Der Captain verschwand. Und jetzt das merkwürdige Nachspiel. Vor drei Tagen hatte sie ihn in L.A. gesehen.

Am Hollywood Boulevard. Bei einer Kriegsanleihe-Veranstaltung. Wo die Ritz-Brothers um Lacher buhlten. Piff – sie sieht ihn. Paff – sie glaubt, jetzt sieht er sie. Puff – jetzt ist er wieder weg.

Die Bullen beim Kontrollpunkt winkten sie durch. Ein Bulle pfiff ihr nach. Joan warf ihm eine Kusshand zu und trat das Gaspedal durch.

Der Regen prasselte senkrecht nieder. Der Wind peitschte ihn flach. Der Regen ließ Big Earle auferstehen – der in einem Waldbrand zu Tode gekommen war.

Big Earle, der Waldbrandbekämpfer. Big Earle, der Grobian und Trunkenbold. Big Earle, der Freund und Feind der Wanderindianer, die nicht vom Billig-Fusel lassen konnten.

Er heuerte sie an, um Waldbrände zu bekämpfen. Sie versoffen ihren Lohn und legten weitere Brände, um an noch mehr Knete zu kommen. Es kommt zu einem großen Brand – am 9. April ’38. Möglicherweise durch Indianer gelegt. Möglicherweise nicht. Möglicherweise war es vorsätzliche Brandstiftung.

E. E. Conville, verstorben mit neunundvierzig Jahren. Ihr Vater, lebendigen Leibes verbrannt. Der U. S. Forest Service führte eine Untersuchung durch. Und entschied auf: »Kein Hinweis auf Brandstiftung nachweisbar.«

Joan gab sich damit nicht zufrieden. Sie wechselte das Hauptfach. Biologie statt Vormedizin. Sie studierte forensische Biologie. Sie war nicht von der Brandstelle wegzukriegen. Sie studierte Boden- und Baumholzproben. Sie befragte Indianer und stellte eine Tatverdächtigenliste zusammen. Ein betrunkener Indianer befummelte sie. Sie schoss ihm den linken Fuß mit der Flinte weg.

Sie zerriss ihre Verdächtigenliste. Das waren keine besoffenen Rothäute gewesen. Der Waldbrand erschien mit Bedacht gelegt – war nicht zufällig ausgebrochen.

Sie entdeckte eine Pfütze mit Flugbenzin. In unmittelbarer Nähe des Flammpunkts. Sie untersuchte die kerosingetränkte Erde. Sie bestimmte das Molekulargewicht und die Benzinsorte. Sie konnte das Flugbenzin zu einem Flug-Charter-Dienst in Duluth, Minnesota, zurückverfolgen. Der sie auf einen gewissen Mitchell A. Kupp verwies.

Kupp bezeichnete sich als Erfinder. Er lebte vom Geld seiner Familie. Er war ein Kumpel von Charles Lindbergh. Kupp hatte am 09.04.38 einen kleinen Flieger gechartert und war damit über Monroe County hinweggeflogen.

Das alles hatte sie in Erfahrung gebracht. Um dann ins Stocken zu kommen. Sie hatte ihre »Beweise« für das Verschütten des Kerosins unsystematisch gesammelt und abgelegt. Sie konnte kein Motiv zuschreiben. Sie konnte Mitchell A. Kupp in keiner nachvollziehbaren Weise zu E. E. Conville in Beziehung setzen.

Weiter durchbrettern. So pflegten es die Convilles zu halten. Big Earle erwartete das von ihr.

Sie schlug sich als Nachtschwester durch. Ihren Master in forensischer Biologie machte sie im Schnellgang. Sie las sich in die Materie ein. Sie verschlang Monographien des L.-A.-Coroners Norton Layman und des brillanten Polizeichemikers Hideo Ashida. Sie machte ihren Abschluss und zog nach L.A. Sie arbeitete in einem Labor und beantragte die Aufnahme ins Doktorandenprogramm am Cal Tech.

Joan bretterte konstant durch. So pflegten es die Convilles zu halten. Sie wollte nach Wisconsin zurückkehren und den Tod von Big Earle rächen. Die Rache ist dein.

Banzai. Pearl Harbor kam ihr in die Quere. Sie stand auf heiße Rendezvous. Und bekam ihr heißes Rendezvous mit der Geschichte.

Der Regen prasselte auf ihren Wagen nieder. Die Sicht wurde schlechter. Hochspritzendes Wasser trübte das Abblendlicht und reduzierte die Sicht auf null.

Donner grollte. Joan bemerkte einen Blitzeinschlag. Kurz vor L.A. nahm der Verkehr wieder zu. Joan rauchte Kette. Sie schaltete runter, geriet ins Schleudern, fing den Wagen ab. Die Ausfahrt nach Venice Boulevard wurde angezeigt.

Sie wechselte in die rechte Spur. Ihr schwindelte, sie klammerte sich am Lenkrad fest. Ihr drehte sich der Kopf. Nun machte sich auf einmal der Alkohol –

Ihre Windschutzscheibe wurde gleißend hell. Angestrahlt von starken Scheinwerfern. Was absolut gegen die Verdunkelungs-Vor–

Joan war geblendet. Sie rieb sich die Augen und ließ dabei das Lenkrad los. Und krachte in die Scheinwerfer und was ganz Großes.

4

HIDEO ASHIDA(LOS ANGELES, 02:30 UHR, 01.01.42)

Der Werwolf schläft. Er ist zusammengerollt wie ein Fötus und wirkt mit sich und der Welt zufrieden. Der Tiefschlaf bekommt ihm gut.

Man hatte ihn alleine in eine Zelle mit leerer Zweitpritsche gesteckt. Die Wärter hatten ihn eingesperrt und mit Beruhigungspillen ruhiggestellt. Fujio Shudo. Eingekauft und bezahlt. Angeklagt wegen Vierfachmordes.

Die Untersuchung des Geisteszustands stand noch aus. Eine reine Routineangelegenheit. Er hatte angeblich die vier Watanabes umgebracht. Ein Lustmord / mit faschistischen Bezügen. Der Werwolf war unterwegs ins grüne Zimmer. In sechs Monaten war er tot. Woran der Polizei-Chemiker Hideo Ashida seinen gerüttelten Anteil hatte.

Ashida beobachtete den Werwolf beim Schlafen. Lee Blanchard beobachtete ihn und leistete ihm Gesellschaft. Big Lee. Kays Schein-Liebhaber, Ex-Schwergewichtschampion.

»Ob Werwolf und Wolfsmann. Ist doch gehupft wie gesprungen. Gleiche Rolle, andere Besetzung.«

Sie standen in einem leeren Gefängnisgang. Der Donner grollte. Die vergitterten Fenster zitterten.

»Es handelt sich um ein und dieselbe Symbolfigur«, sagte Ashida, »wenn auch in unterschiedlichem Zusammenhang.«

Blanchard gähnte. »Ich pass ja gern auf dich auf, Hideo. Nur dass der Central-Station-Knast nicht gerade meiner Idealvorstellung von einer fröhlichen Neujahrsfeier entspricht.«

Der Werwolf schnarchte. Der Werwolf zuckte und nuckelte an seinem Daumen.

»Sprich zu mir, Werwolf«, sagte Blanchard. »Sag mir was, was ich nicht weiß.«

Ashida antwortete für ihn. Als stummer Bauchredner, ohne dass ein Wort nach außen drang. In Werwolfs englisch-japanischem Wortsalat.

Dudley Smith hat mich zum Sündenbock gemacht. Sensei Ashida hat ihm dabei geholfen. Dudley Smith hat Sensei Ashida unter Druck gesetzt und den Betrug unangreifbar gemacht. Sensei Ashida katzbuckelt vor Dudley Smith.

Blanchard nippte an seinem Flachmann. »Auf dein Wohl, Werwolf. Willst du wissen, was ich denke? Dass du ins Irrenhaus gehörst, nicht in die Gaskammer.«

Ashida schnappte sich den Flachmann. »Wir sollten nach oben gehen. Ich habe Verkehrsbereitschaft. Captain Parker könnte sich melden.«

»Der ist auf der Party in der City Hall erschienen. Wo er und Kay sich schöne Augen machten.«

Ashida trank einen Schluck Brandy. Er trank selten. Schon bei dem bisschen stieg ihm eine zarte Röte ins Gesicht.

»Das muss dir zu schaffen machen. Sie ist bestimmt keine einfache Partnerin.«

Blanchard grinste. »Das Zusammensein mit meiner Lebensgefährtin ist ›schwierig‹, aber da meine Lebensgefährtin Kay Lake heißt, entschädigt das für so manches. Sie hat immer wieder was Neues zu bieten. Willst du wissen, was gerade läuft? Sie hat gerade ihre Schwäche für die Klassik-Musik-Fritzen in Brentwood entdeckt. Praktisch alles Rote Socken und Juden, die vor dem Führer abgehauen sind. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ihr da für Bill Parker bleibt.«

Ashida reichte den Flachmann zurück. Ihm brannten die Augen. Sein Gesicht glühte. Das kalte Gefängnis wurde warm. Ashida kribbelte es in Händen und Füßen. Er war im Verzug. Wegen Pearl Harbor war vieles liegen geblieben. Im Zuge der japanischen Razzien waren Riesenmengen an Gütern beschlagnahmt worden. Beweismittel waren seit Mitte Dezember nicht mehr gelistet.

Er war nicht eingesperrt worden. Seine Familie war unbehelligt geblieben. Morgen würden die Razzien weiterlaufen. Dudley Smiths Gunst sicherte ihm die Freiheit. Er wohnte in einer Suite im Hotel Biltmore. Mutter und Bruder hatten eigene Zimmer. Doch Dudleys Gunst hatte ihren Preis. Ergo: der Watanabe-Fall und die Werwolf-Anschwärzung.

»Du träumst, Hideo«, sagte Blanchard. »Hat vielleicht mit all dem giftigen Zeugs zu tun, an dem du dauernd schnupperst.«

Ashida lächelte. Sie gingen raus in den Gefängnisgang. Ashida hörte Schnarchgeräusche.

Blanchard machte pssst. Er zeigte auf den Ruheraum des Fremdenkommandos. Sie gingen rüber und schauten rein.

Jede Menge beschlagnahmte Beute auf dem Boden. Radioapparate, Waffen, Flaggen, Nazi-Luger. Kanji-Schriften und englische Hasstraktate. Hass auf die Chinks, Hass auf die Juden, Hass auf alle Amerikaner.

Dazu drei Zivilpolizisten, auf Feldbetten ausgestreckt. In Unterwäsche. Waffen und Gürtelgerätschaften in Reichweite: Messingschlagringe, Lederknüppel, Totschläger.

Große Kerle. Schwergewichtsbullen. Typen fürs Streikbrecher-Kommando.

»Lunceford, Rice und Kapek«, sagte Blanchard. »Die Crème de la Crème der Silver-Shirt-Nazis und Thunderbolt-Legion. Und solche Missgeburten sollen die Japsen-Fünfte-Kolonne jagen? Wenn das nicht zum Lachen ist.«

Ein Streifenpolizist erschien. Er war blau. Er trug einen doofen Partyhut und einen WELCOME-1942-Anstecker.

»Captain Parker hat angerufen, Ashida«, sagte er. »Er braucht dich in Venice. Verkehrsunfall mit Todesfolge. Vier tote Illegale und eine vorläufig festgenommene Navy-Frau.«

Planen auf Stangen hielten den Regen ab. Eine Barrikade aus Holzböcken die Schaulustigen. Verkehrsunfall-Inferno und Verkehrsunfall-Desaster.

Ein Frontalaufprall: Ein 36er Dodge Coupé prallt gegen eine Schrottkarre. Keine Schleuderspuren erkennbar. Der Dodge fährt Richtung Osten, die Schrottkarre Richtung Westen. Die Frontpartien sind völlig zusammengeschoben.

Der Dodge: hat die Fahrertür verloren. Die Schrottkarre: bis zu den Rücksitzen und dem Kofferraum eingedrückt.

Fackeln markierten den Unfallort. Streifenwagen standen in der Nähe. Zwei Leichenwagen parkten Front an Front. Draußen in der Nässe standen vier mit Leintüchern bedeckte Bahren.

Blanchard fuhr dicht ans Absperrband. Ashida stieg aus und sah sich den Schauplatz an. Er schaltete sein fotografisches Gedächtnis ein. Klick, klick, klick – sich den Gesamtschauplatz einprägen.

Klick – keine Schleuderspuren. Klick – die waren vom Regen weggewaschen worden. Klick – die weggesprengte Tür hatte der Navy-Frau das Leben gerettet. Klick – die Schrottkarre war schlimmer beschädigt. Klick – die Navy-Frau war mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Klick – der Fahrer der Schrottkarre hatte abgebremst.

Ashida ging zu den Bahren. Der Wind riss an seinem Hut. Der Regen stach ihm in die Augen.

Alle vier Leichentücher waren blutdurchtränkt. Ashida zog sie halb ab. Vier weitere Klicks. Erste Schlussfolgerungen:

Vier tote männliche Mexikaner. Alle tot. Zwei Männer auf dem Vordersitz, zwei hinten.

Ein Frontalzusammenstoß. Die Männer auf dem Vordersitz erlitten schwere Verletzungen am Brustkorb. Ihre Herzen explodierten. Die Männer auf den Rücksitzen wurden heftig nach vorne und unten geschleudert und dabei ausgeweidet.

Ashida schaute auf. Bill Parker stieg aus seinem Streifenwagen. Eine leere Halbliter-Flasche fiel ihm vom Schoß.

Die klappernd zu Boden fiel und wegrollte. Ashida schaute weg. Er hörte einen gedämpften Schrei.

Er ortete ihn. Er ging zum Wrack. Er schaltete sein fotografisches Gedächtnis ein und sah genau hin: Die Kofferraumklappe steht etwas offen. Da war was drin.

Er zwängte die Klappe auf. Er sah einen kleinen Jungen. Der Junge war vom Reservereifen totgequetscht worden. Ein kleines Mädchen murmelte etwas und spuckte Blut.

Sie versuchte etwas zu sagen. Ashida hob sie hoch und zog sie an sich. Sie fasste nach seinem Gesicht und starb in seinen Armen.

5

(LOS ANGELES, 03:15 UHR, 01.01.42)

Kwan’s Chinese Pagoda. Die ganze Nacht geöffnet. Eine Bullen-Stammkneipe. Das Hop-Sing-Tong-Hauptquartier und der heiße Schuppen in Chinatown.

Da steht Uncle Ace Kwan. Eine Police-Department-Marionette. Ihr Wirt und Warlord.

Der Regen war schlecht fürs Geschäft. Die Chinks der Gegend und die üblichen Nachtschwärmer blieben zu Hause. Die Jungs konnten sich an einen Spitzentisch setzen.

Der Dudster hielt Hof. Ace servierte Pu-Pu-Teller und Mai Tais. Er war sechsundsechzig und viel zu mager. Er spießte frittierte Dim Sum mit dem Stellmesser auf, bevor er sie verschlang.

Uuuga-buuga. Bullen-Gipfelkonferenz. Ein schiefgegangener Hinterhalt. Ein flüchtiger Straftäter.

Die Jungs kauten und schluckten. Elmer spülte zwei Bennies mit Bromo Seltzer runter und machte Aaahh! Mike Breuning und Dick Carlisle schmollten. Ebenfalls anwesend: Cal »Katzenklo« Lunceford, Wendell Rice und George Kapek. Schlecht gelaunte Schläger, die man aus dem Schlaf gerissen hatte.

Alle Blicke waren auf Dudley gerichtet. Besonders der von Elmer. Der Iren-Arsch hatte ihn ausgeschickt, einen Menschen umzubringen. Was ihm gar nicht schmecken wollte.

Der Dudster war schlecht in Form. Seine Stimme zitterte. Von seiner Armschlinge tropfte Blut. Die Army-Uniform hing ihm schlaff vom Leibe. Elmer musterte ihn misstrauisch und versuchte, zerknirscht zu wirken.

Dud reichte Adressenlisten rum. Kontakte von Tommy Glennon und bekannte Aufenthaltsorte. Tommy war ein Chink-Freund. Chinatown war sein zweites Zuhause. Auf der Liste standen Spielhöllen, Hurennester und Rauschgifthöhlen.

Die Jungs gingen die Listen durch. Dudley klopfte mit der Gabel auf den Tisch. Achtung, meine Kameraden!

»Wir sind hier, um unsere taktischen Irrtümer von heute Abend zu korrigieren und zugleich Hinweise auf den Mann zu finden, der vor drei Tagen im Kellergeschoss dieses Hauses auf mich eingestochen hat. Ein kleiner und leichter Mann, durchaus den bei Chinesen gängigen Körpermaßen entsprechend. Er hatte außerdem eine lackierte Holzmaske mit deutlich asiatischen Gesichtszügen auf, wie sie japanische Schauspieler in ziemlich obskuren Japsen-Theateraufführungen tragen. Was aus meiner Sicht auf eine groteske und merkwürdig verspielte Persönlichkeit deutet. Ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr mir diesen seltsamen Vogel lebend beschaffen könntet, ganz im Gegensatz zu Tommy Glennon, der umstandslos abgeknallt gehört.«

Mike und Dick kuschten. Yeah, Chef – Kopfnicken und Grinsen. Cal-Katzenklo ließ die Knöchel knacken. Rice und Kapek schauten finster drein. Elmer musterte ihre schwer behängten Gürtel. Der übliche Kram – Totschläger und Belastungswaffen.

Elmer ging erneut seine Liste durch. Eine Spalte führte Orte auf. Er fand jede Menge nahe gelegene Orte. Yeah, nur Eddie Lengs Kowloon war nicht zu finden.

Er hatte sich Tommys Adressbuch eingeprägt. Das verdammt wenig Einträge enthielt – was Eddies Kaschemme umso bemerkenswerter machte.

»Sollen wir die Kerle ins Bureau schaffen?«, fragte Rice. »Und sie dort gehörig unter Druck setzen?«

Dudley zündete sich eine Zigarette an. »Befragt sie, wo ihr sie findet. Die Hauptverdächtigen bringt ihr hierher.«

Ace spießte einen gebackenen Shrimp auf. »Ihr sie in Keller bringen. Wir ihnen klemmen Eier in Schraubstock und brennen mit Zigaretten.«

Elmer schluckte leer. Wobei ihm der Adamsapfel auf und ab hüpfte. Was Dudley bemerkte. Wie Elmer bemerkte.

»Angenommen, wir kriegen eine ganze Ladung«, sagte Kapek. »Sollen wir dann den Gefängnistransporter rufen?«

»Fußketten«, erwiderte Dudley. »Aneinander ketten und den Broadway runtermarschieren. Sorgt dafür, dass das Aufsehen erregt. Dass das als klare Stellungnahme verstanden wird. Das Police Department steht zu Hop Sing. Die Vier Familien sind chingasos y putasos.«

»Dud übt«, sagte Lunceford. »Er fährt nach Mexiko.«

Ace spießte ein Rumaki auf. »Viva Chinamann und weißer Mann! Tod allen Bimbos und Japsen!«

Elmer grunzte. Ace war ein durchgeknallter Psycho. Manchmal verlor er jedes Maß.

Breuning leerte seinen Mai Tai. »Tommy steckt bis über die Ellenbogen im Tong. Er arbeitet seit ewigen Zeiten mit den Vier Familien zusammen.«

Elmer zog die Folie von einer Zigarre. »Wir sollten ihn zur Fahndung ausschreiben und die Einwanderungs-Bullen einschalten. Tommy hat mal Illegale geschmuggelt. Der hat garantiert ein dickes Strafregister.«

Dudley lächelte. »Nein. Die Sauerei geht auf dein Konto, Elmer. Du machst dich mit deinen wunderbaren Kollegen an die Arbeit und siehst zu, dass du die Geschichte wieder in Ordnung bringst.«

Zwei Polizeitrupps marschierten in Chinatown ein. Sie trugen Regenzeug und führten Fußketten und Gürtelbehang mit. Lunceford marschierte mit Breuning und Carlisle. Elmer marschierte mit Kapek und Rice.

North Broadway bestand aus Bars und Matrosenkneipen. Hiesige Chinks und weiße Kerle saßen einträchtig beieinander. Der Neujahrsabend sorgte für zusätzlichen Publikumsverkehr. Den der große Regen wiederum minderte. Beide Trupps zogen nach Norden.

Elmers Trupp übernahm die Westflanke. Elmer war mit seiner .45er und einem schrotgefüllten Totschläger ausgerüstet. Er schritt an der Spitze der Vorhut und schwang den Schlagstock. Eine Chink-Razzia, wie sie im Buche stand.

Kapek und Rice schleppten die Fußketten. Zwei Kerle mit Gardemaß, dicken Muskeln und schicken Anzügen. Denen Fußketten von den Schultern baumelten, was ihnen den Rücken krümmte. Und ihnen ganz und gar nicht passte.

Das Police Department war mit den Hop Sing verbandelt. Uncle Ace war Jack Horralls Lieblings-Chink. Hop-Sing-Kneipen waren unantastbar, Vier-Familien-Spelunken vogelfrei. Scheiß auf den Tong-Waffenstillstand vom letzten Monat.

Elmer übernahm die Vorhut. Er schlug Schaufenster ein und erregte augenblicklich Aufsehen. Er ging als Erster durch Türen. Kapek und Rice schwärmten hinter ihm aus. Sie ignorierten das entsetzte Quieken, die schrillen Schreie und die aufgeregten Frauen. Sie packten sich Tongs mit blauen Halstüchern und gaben ihnen Saures.

Elmer nahm sich die Kerle auf den Barstühlen vor. Er setzte den Totschläger gegen Hände auf dem Tresen ein und brach Knochen. Er trat Barstühle um. Und bekam zweisprachiges Gequieke und schrille Schreie zu hören.

Kapek und Rice nahmen sich die Nischen und Tische vor. Sie streiften Quarzsandhandschuhe über und schlugen Gesichter zu Brei. Sie tunkten Gesichter in Schüsseln mit Haifischflossensuppe.

Die Jungs beugten sich tief runter und stellten Fragen. Sie ließen sich nicht mit Quieken und schrillen Schreien abspeisen. Sie erzwangen Antworten wie Wissen-nix, wissen-nix! Sie erzwangen Antworten wie Weiß-keiner-nix-wer-Dudster-aufgeschlitzt, wir-waren’s-nicht, wir-waren’s-nicht!

Elmer stand daneben. Er markierte den harten Kerl. Wobei er neben Kapek und Rice alles andere als hart wirkte. Er beugte sich vor. Er hörte zu. Er schnappte Unverständliches gemischt mit Petzereien auf:

Tommy Glennon kennen Huey Cressmeyer! Tommy werden schwul in Knabenstrafanstalt Preston!

In einem amerikanisch-chinesischen Kauderwelsch. Das Elmer als »Chinklisch« bezeichnete. Gestotter und verstiegenes Zeug. Vermischt mit ein paar interessanten Tratschfetzen. Huey C. war als Dudster-Spitzel bekannt.

Damit waren die Bars und Matrosenkneipen abgehakt. Dito der nördliche Broadway. Überall nur ins Leere gegriffen. Noch keine Fußfessel-Beute in Sicht.

Die Jungs zogen nach Westen auf die Ord Street. Elmer zerschlug Klubhaus-Fenster. Rice und Kapek traten Türen ein. Sie stürmten bis in die Keller vor und enterten Opiumhöhlen.

Wo sie giftige Rauchschwaden und Narkis auf Pritschen fanden. Kulis, die Pfeifen stopften und Wasserschüsseln schleppten. Kennst du Chiang Kai-shek, Papa-San? Kennst du berühmten Detektiv Charlie Chan?

Die Höhlen bedienten so gut wie ausschließlich Chink-Kunden. Mit ein paar dazwischen gestreuten weißen Schickimickis. Da eine Type vom Stadtrat. Dort Ellens Studio-Rivalin – die eisblonde Veronica Lake.

Rice und Kapek gingen auf die Kerle mit den blauen Halstüchern los. Sie machten Japsen-Zeros nach. Sie prügelten Tong-Tunichtgute von ihren Pritschen und rissen sie aus ihrem siebten Himmel. Elmer überschüttete sie mit Wasser aus Eimern. Die giftigen Dämpfe kehrten ihm den Magen um.

Er prügelte auf Opiumsüchtige los. Auf deren Fuß- und Handgelenke, was Quieken und schrille Schreie nach sich zog. Rice und Kapek stellten die Fragen. Was zu Kauderwelsch und halb garen Hinweisen führte.

Tommy G. schmuggeln Illegale aus T. J.! Tommy G. beliefern japanische Gemüsefarmen im Imperial Valley! Null Ahnung, wer Dudster aufgeschlitzt – null Ahnung, null Ahnung, null Ahnung!

Elmer machte schmerzhaft Druck. Rice und Kapek ließen ihre Quarzsandhandschuhe sprechen. Noch mehr Gequieke und schrille Schreie, noch mehr Chinklisch.

Tommy warmer Bruder! Wissen nicht, wo ist! Tommy pimpern Priester in großer katholischer Kirche!

Das hatte Elmer bereits mitbekommen. Worauf er an Tommys Adressbuch und die unterstrichene Eintragung zu St. Vib’s denken musste.

Rice und Kapek ließen sämtliche Hemmungen fahren. Sie stahlen Brieftaschen und steckten Geldrollen ein. Die Dämpfe setzten Elmer zu. »O« plus Benzedrin lässt den stärksten Mann Gespenster sehen.

Er fand sich selber wiiiiderlich. Er kotzte einem Chinesen auf die Schuhe und flüchtete zur Tür. Er stieß mit Veronica Lake zusammen. Die »Mal halblang, Matrose!« sagte.

Der Regen fühlte sich gut an. Er ließ ihn ein bisschen klarer denken. Die vielen bunten Regentropfen wurden wieder farblos und blass.

Seinen Schlagstock hatte er verloren. Mütze, Abzeichen und Schießeisen waren ihm geblieben. Seine Armbanduhr zeigte 04:35. Es war nach wie vor dunkel. Er befand sich immer noch in Chinatown und immer noch auf der Ord Street.

Er musste an Tommys Adressbuch denken. Und an die Nummer von Eddie Lengs Kowloon.

Kantonesische Küche. Ord Street, Ecke Hill. Ihr freundlicher Gastgeber, Eddie Leng.

Ein Block weiter. Warum nicht? Vielleicht ist Veronica da. Vielleicht findet sie dich nett. Vielleicht schläft sie mit dir. Probieren macht klug.

Er ging rüber. Der Regen fühlte sich gut an. Da war schon Eddies Schuppen. Der dunkel wirkte. Eigenartig. Eddie servierte rund um die Uhr.

Elmer drückte sich ans Vorderfenster. Er hinterließ Nasenabdrücke. Okay – der Kücheneingang war erleuchtet.

Elmer rüttelte am Türknauf. Die Tür stand offen. Er ging rein und zog die Türe hinter sich zu. Die Augen passten sich der Dunkelheit an. Er ging durch den Speiseraum. Es roch deutlich nach Verbranntem.

Mit Verbranntem kannte er sich aus. Er hatte in Nicaragua Aufständische mit dem Flammenwerfer bearbeitet. Was Mengen schnell zu zerstreuen pflegte. Die Ärsche bekamen ihre Schwanzfedern angesengt.

Elmer schwankte zur Küche. Er stolperte in Tische und Stühle. Er schaffte es zum Durchgang und sah in allen Öfen und Fritteusen nach. Ach du Scheiße – es handelte sich um frittiertes, nicht um angebranntes Fleisch.

Eddie Leng war mit Stricken an einen vierflammigen Herd gefesselt. Er war barfuß. Zwei verkohlte Knöchelstümpfe ragten aus zwei Frittier-Apparaturen. In denen Restfett und Blut blubberte. Man hatte Eddie die Füße frittiert.

Elmer taumelte und fing sich wieder. Er sah sich die Leiche ein zweites Mal an. Eddie trug hochgeschnittene Zoot-Suit-Hosen und ein Hawaiihemd. Ein Fiesling hatte ihm die Hände über der Brust gefaltet.