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Anna Cleeve war Altenpflegerin und in ihrem Job engagiert und überaus beliebt. Auch ihre Kollegen sprachen nur in den höchsten Tönen von ihr. Warum musste sie mitten in der Nacht an einer einsamen Straße sterben?
Phil und ich gingen der Sache nach und kamen nicht recht weiter - bis wir in dem Altenheim auf einige unerklärliche Todesfälle stießen und die Pflegeleiterin plötzlich verschwand ...
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Seitenzahl: 138
Cover
Impressum
Der Schlaf der Toten
Jerry Cotton aktuell
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Film: »High Tension«/ddp images
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-0125-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Schlaf der Toten
Anna Cleeve fuhr gemütlich von der Spätschicht nach Hause, als sie von einem Wagen aufgeschreckt wurde, der an ihr vorbeischoss und sie abdrängte.
»Verdammt! Hast du zu viel getrunken?«, stieß sie gereizt aus und brachte ihr schlingerndes Auto am rechten Straßenrand zum Stehen, wo auch das andere Fahrzeug gehalten hatte.
»Hoffentlich hat der Wagen keinen Schaden«, sagte sie zu sich selbst, löste den Sicherheitsgurt und öffnete die Fahrertür.
Sie war gerade dabei aufzustehen, als sie einer Gestalt gewahr wurde, die sich ihr schnell näherte. Da die Straße nur spärlich beleuchtet war, konnte sie nicht erkennen, wer es war.
»Mann, sind Sie betrunken?«, fragte sie wütend.
Doch statt einer Antwort erhielt sie einen wuchtigen Schlag auf den Kopf, der sie sofort tötete.
Es war mitten in der Nacht, als mein Handy klingelte. Der Anruf kam von Mr High.
»Guten Morgen, Sir«, sagte ich kaum richtig wach.
»Guten Morgen, Jerry«, entgegnete Mr High. »Es gibt einen Mordfall, der in die Zuständigkeit des FBI fällt. Eine Frau aus New Jersey ist in New York ermordet worden. Ihr Name ist Anna Cleeve. Wahrscheinlich war sie auf dem Weg nach Hause. Ich sende die Details an Ihr Handy. Soll ich Phil verständigen?«
»Nein, das übernehme ich«, war meine Antwort. »Ich hole ihn gleich ab, dann sind wir unterwegs. Wie lange ist es her, dass der Mord geschehen ist?«
»Die Meldung kam gerade herein, muss in den letzten Stunden geschehen sein«, antwortete er. »Genaues weiß ich nicht, das müssen Sie mit der Crime Scene Unit klären.«
»Geht klar«, sagte ich und beendete das Gespräch.
Ich reckte mich und gähnte. Dann rief ich Phil an.
»Phil Decker ist nicht zu erreichen, da er gerade einen angenehmen Traum hat. Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht. Piep«, sagte er.
»Guten Morgen, Phil«, sagte ich. »Der Traum muss leider warten. Wir haben einen Mordfall. Mister High hat mich gerade angerufen. Mach dich fertig, ich fahre gleich los und hole dich ab.«
»Mordfall? Bin schon wach. Bis gleich«, sagte Phil und beendete das Gespräch.
Ich legte das Handy zur Seite, stand auf und ging ins Bad. Dann zog ich mich an und machte mich auf den Weg. Im Haus war es ruhig. Kein Wunder, es war kurz nach zwei. Die meisten Menschen schliefen um diese Zeit.
Ich fuhr mit dem Lift direkt in die Tiefgarage, wo der rote Jaguar auf mich wartete. Als ich im Sportsitz Platz nahm und den Wagen startete, genoss ich einen Augenblick lang die angenehme Vibration des starken Motors. Dann fuhr ich los.
Die Straßen waren um diese Zeit menschenleer. Nur ab und zu sah ich ein Auto. Als ich den Treffpunkt erreicht hatte, stand Phil bereits dort.
»Guten Morgen, einsamer Mann, Taxi gefällig?«, fragte ich.
Er verzog das Gesicht. »Wenn man um diese Zeit raus muss, ist es kein so guter Morgen.«
»Nein, eigentlich nicht«, stimmte ich ihm zu. »Ich habe mir noch nicht die Zeit genommen, die Nachricht von Mister High zu lesen. Was erwartet uns denn?«
Phil nahm sein Smartphone heraus. »Einen Moment, ich schau mal nach – gerade habe ich das nur überflogen. Ah, da ist es ja. Eine Frau, Anna Cleeve, achtundzwanzig, wurde in ihrem Wagen tot aufgefunden. Stand neben der Straße. Ein Autofahrer hat angehalten, weil er fragen wollte, ob jemand Hilfe benötigt, und dann, als er gesehen hat, was los ist, die Polizei gerufen. Sie wohnt in Jersey City, gemäß der Fahrtrichtung war sie auf dem Weg nach Hause.«
»Um die Zeit?«, warf ich ein. »Was wollte sie um die Zeit in New York? Das Wochenende ist gerade vorbei, also nicht die Zeit, um auszugehen. Arbeitet sie vielleicht hier?«
Phil schaute nach. »Sie arbeitet in einem Altenheim, dem Silent Serenity auf der Lower West Side. Vielleicht hatte sie Spätschicht.«
»Das würde passen«, sagte ich. »Gibt es sonst noch was?«
»Nur das Übliche, die Crime Scene Unit wurde verständigt und ist auf dem Weg. Ansonsten sieht es laut dem Officer des NYPD vor Ort nach einem Raubmord aus«, antwortete Phil.
»Raubmord?«, fragte ich. »Was wird bei einer Mitarbeiterin eines Altenheims zu holen sein? Vielleicht war der Täter ein Junkie, der seinen nächsten Schuss finanzieren wollte.«
»Gut möglich«, sagte Phil. »Darüber steht nichts im vorläufigen Bericht.«
»Dann werden wir Licht ins Dunkel bringen«, sagte ich und gab Gas.
Aufgrund der freien Straßen kamen wir gut voran und erreichten den Tatort etwa eine halbe Stunde später. Neben einem Streifenwagen der Polizei standen dort zwei Autos, ein roter Honda Civic und ein silbergrauer Toyota. Nur wenige Sekunden nach unserem Eintreffen, noch bevor wir ausgestiegen waren, erschien auch die Crime Scene Unit.
»Diesmal waren wir eher vor Ort«, meinte Phil und grinste. »Kommt selten genug vor. Wahrscheinlich werden die Spezialisten der Spurensicherung nicht gern vor Sonnenaufgang geweckt.«
»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte ich und stieg aus.
Ein junger Police Officer des NYPD kam auf uns zu. »Hallo, ich bin Officer John Bruebaker. Sind Sie vom FBI?«
»Ja, sind wir«, bestätigte ich und zeigte ihm meine Dienstmarke. »Sie waren zuerst vor Ort?«
Der Officer nickte. »Ja, ich und mein Partner Phil Dozer.«
»Ah, ein Namensvetter von mir«, sagte Phil und begrüßte den Officer.
Officer Bruebaker zeigte zu einem der Wagen. »Er ist da drüben und kümmert sich um den Zeugen.«
»Oh, wir haben einen Zeugen?«, fragte Phil überrascht.
»Sorry, nein, Zeuge ist natürlich nicht richtig«, entschuldigte sich Officer Bruebaker. »Der Mann hat das Opfer gefunden und die Polizei angerufen. Er ist vor Ort geblieben und hat auf uns gewartet. Wir haben ihn gebeten, bis zu Ihrem Eintreffen hierzubleiben, weil Sie sicher Fragen an ihn haben. Hat er gemacht und sich in der Zwischenzeit zweimal übergeben. Man findet halt nicht jede Nacht eine Leiche.«
»Nein, zum Glück nicht«, erwiderte ich. »Wir reden gleich mit ihm. Doch zuerst zum Opfer. Sie haben die Frau identifiziert?«
Der Officer nickte. »Ja, die Sachen aus ihrer Handtasche lagen am Boden, direkt neben ihr, inklusive Führerschein. Nachdem wir sie untersucht und festgestellt hatten, dass sie tot war, haben wir uns das angesehen, aber nichts angefasst. Der Täter scheint es eilig gehabt zu haben, an ihr Geld zu kommen. Hat sie wahrscheinlich erschlagen, ihre Handtasche ausgeschüttet, das ganze Geld geschnappt und ist abgehauen. Bestimmt so ein verdammter Junkie.«
»Möglich«, sagte ich. »Gut, dass Sie nichts angefasst haben, das mögen die Kollegen von der Crime Scene Unit nicht.«
»Zu Recht«, meinte der Officer.
Ich nickte. »Gut, lassen wir die Kollegen ran, damit wir uns anschließend den Tatort anschauen können.«
Ein weiterer Wagen kam angefahren, blieb stehen und Dr. Janice Drakenhart stieg aus. Sie öffnete den Kofferraum ihres Wagens, holte ihre Berufskleidung heraus und zog sie über. Dann kam sie auf uns zu.
»Jerry, Phil, guten Morgen«, begrüßte sie uns.
»Hallo, Janice«, sagte ich und musterte sie. »Alles okay?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Eigentlich hätte Dr. Hammertson den Job mit seinem Team übernehmen sollen. Der meinte aber, dass er krank sei, also wurden wir gerufen – hat daher etwas länger gedauert.«
»So ist das, wenn man Bereitschaft hat«, meinte Phil.
»Ja, leider«, sagte Dr. Drakenhart. »In solchen Augenblicken wünsche ich mir immer einen schönen langweiligen Job mit regelmäßigen Arbeitszeiten.«
»Aber auch nur in solchen Augenblicken«, meinte Phil grinsend.
»Natürlich«, entgegnete sie. »Was haben wir hier?«
Officer Bruebaker und ich informierten sie kurz.
Sie nickte. »Gut, dann legen wir los. Ich sage euch Bescheid, wenn wir fertig sind. Ihr könnt ja inzwischen machen, was ihr gewöhnlich so macht.«
Phil grinste. »Machen wir.«
***
Dr. Drakenhart instruierte ihre Mitarbeiter, während Officer Bruebaker uns zu seinem Partner und dem Mann brachte, der den Mord gemeldet hatte, und uns kurz vorstellte.
»Noch ein Phil«, bemerkte Officer Dozer. »Kommt selten vor, dass ich einen Namensvetter treffe.«
»Geht mir genauso«, meinte Phil.
Der blasse Mann, der neben seinem Wagen stand und uns als Maurice Delacre vorgestellt worden war, schaute Phil an. »Wie können Sie in so einer Situation derart belanglose Gespräche führen?«
»Das gehört zum Job«, antwortete Phil. »Hilft Spannungen abzubauen und nicht zu sehr von dem, was passiert ist, tangiert zu werden.«
»Ein bisschen Distanz könnte ich jetzt auch gebrauchen«, sagte Delacre. »Seit ich gesehen hab, wie die Frau in ihrem Wagen hängt, ist mir speiübel.«
»Das ist verständlich«, sagte ich. »Sie haben nicht oft mit Mordopfern zu tun, nicht wahr?«
»Nicht oft? Nie!«, antwortete er. »Ich bin Grafiker in einer Werbeagentur. Ich war gerade bei einer Freundin und wollte nach Hause und noch ein paar Stunden schlafen, bevor ich wieder in die Agentur fahre, und dann das. Mann, ich glaube, ich werde mir den Tag freinehmen.«
»Würden Sie den Agents kurz erzählen, wie Sie das Opfer gefunden haben?«, forderte Officer Bruebaker ihn auf.
Delacre räusperte sich. »Ja, wie gesagt, ich war auf dem Nachhauseweg, da sah ich den Wagen hier stehen, die Tür war angelehnt, die Frau sah merkwürdig aus. Ich habe angehalten, weil ich dachte, dass sie vielleicht Hilfe braucht. Als ich dann ausgestiegen und zu ihr gegangen bin, habe ich ein mulmiges Gefühl bekommen und, na ja, ich habe sie angesprochen, und als sie nicht reagiert hat, wollte ich ihren Puls fühlen, aber da war alles voller Blut und sie hat nicht geatmet, da habe ich lieber die Polizei gerufen.«
»Sie haben die Leiche also nicht angefasst oder bewegt?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, habe ich nicht. War ja so schon gruselig genug.«
»Haben Sie jemanden in der Nähe des Wagens gesehen? Eine Person? Oder ein Fahrzeug?«, fragte Phil.
»Nein, nichts, die Straße war um die Zeit recht leer«, antwortete Delacre.
»Gut, falls Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte bei uns, manchmal dauert es nach einem Schock einige Zeit, bis die volle Erinnerung wiederkehrt«, sagte Phil und reichte ihm seine Karte.
Delacre nickte und steckte die Karte ein. »Und jetzt? Was mache ich jetzt?«
»Sie können nach Hause fahren«, sagte ich und wandte mich an die Officers. »Sie haben seine Personalien aufgenommen, oder?«
»Ja, haben wir«, antwortete Officer Phil Dozer.
»Gut«, sagte Phil. »Wobei es gut wäre, wenn Sie unseren Kollegen von der Crime Scene Unit eine DNA-Probe dalassen würden.«
»Muss ich das?«, fragte Delacre. »Tut das weh?«
»Nein und nein«, erwiderte ich. »Aber es hilft uns dabei, Sie als Täter auszuschließen.«
»Wie kann ich die Probe abgeben?«, fragte er sofort.
Wir brachten ihn zu den Kollegen von der Crime Scene Unit, die ein paar Haare und eine Speichelprobe von ihm sicherstellten. Dann verabschiedete er sich und fuhr mit seinem Toyota weiter.
»Glaube kaum, dass der heute noch ein Auge zutun kann«, meinte Officer Bruebaker.
»Wahrscheinlich nicht«, bestätigte Phil. »Aber gut, das ist nicht wirklich unser Problem. Wir müssen uns um den Täter kümmern. Sie haben nicht zufällig irgendwelche Hinweise, die uns weiterbringen könnten?«
Der Officer schüttelte den Kopf. »Nein, nichts. Seit wir hier sind, kamen ein paar Autos vorbei, es ist aber nichts Verdächtiges passiert und wir haben auch keinen Zeugen ausgemacht. Da der Fall in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt, überlassen wir Ihnen das Feld und machen uns auf den Weg.«
Phil nickte. »Ja, ist gut. Vielen Dank für Ihre Unterstützung.«
»Gern geschehen«, sagte der Officer und verließ mit seinem Partner den Tatort.
Phil und ich warteten, bis die Kollegen von der Crime Scene Unit ihre Arbeit beendet hatten und Dr. Drakenhart zu uns kam, um einen vorläufigen Bericht abzugeben.
»Die Todesursache war wahrscheinlich ein schweres Schädeltrauma«, sagte sie. »Wir haben nichts gefunden, was die Tatwaffe sein könnte. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Art schweren Hammer oder etwas in der Art. Genaues kann ich sagen, wenn die Laborergebnisse da sind. Der Tod ist wahrscheinlich sofort eingetreten. Wir haben einige Spuren sichergestellt, die wir noch untersuchen müssen. Die müssen aber nicht zwangsläufig vom Täter stammen, je nachdem, wer alles im Auto mitgefahren ist. Wir haben ein paar Reifenspuren gefunden. Es sieht so aus, als habe der Täter den Wagen des Opfers von der Straße gedrängt und sie gestoppt. Das ist leider im Moment alles, was ich euch sagen kann.«
»Na ja, besser als nichts«, sagte ich. »Irgendwelche Hinweise darauf, ob der Mord geplant war?«
Sie schüttelte den Kopf. »Dazu kann ich noch nichts sagen. Wäre möglich. Die Straße hier ist nicht stark befahren. Vielleicht hat der Täter auf ein Opfer gewartet und sie ausgewählt. Wobei es nicht die übliche Art und Weise für einen Raub ist, einen Wagen anzuhalten und zu überfallen.«
»Gut, dann werden wir mal herausfinden, wer das getan hat«, sagte Phil. »Können wir uns das Opfer jetzt ansehen?«
»Ja, kommt mit«, sagte Dr. Drakenhart.
Wir gingen zum Auto, in dem der leblose Körper von Anna Cleeve lag. Ihre Augen waren geschlossen, die Haut blass, und wäre das Blut nicht gewesen, hätte man fast annehmen können, dass sie schliefe. Unter dem Mantel sah man ihre Arbeitskleidung.
»Der Kittel«, sagte Phil und deutete darauf. »Sie kommt wahrscheinlich direkt von der Arbeit.«
Wir schauten ihre Sachen durch und fanden einen Namen und eine Telefonnummer mit dem Hinweis Im Notfall kontaktieren. John Reming stand auf der Karte.
»Vielleicht ihr Freund oder ein guter Bekannter«, meinte Phil. »Ich schaue gleich im Computer nach.«
Ich nickte. »Lassen wir ihn noch ein wenig schlafen. Wir sollten uns erst in der Gegend umschauen. Hier sind ein paar Fabrikhallen. Vielleicht gibt es Kameras, die die Straße erfassen. Oder einen Nachtwächter, der etwas gesehen hat.«
»Um die Zeit macht das bestimmt besonders viel Spaß, aber okay, da kommen wir nicht drum herum«, sagte Phil. »Und es ist besser, das jetzt zu machen, da wir gerade vor Ort sind und die Nachtwächter ja irgendwann mal Feierabend machen.«
»Der Abschleppwagen sollte gleich hier sein und das Fahrzeug zu uns bringen«, sagte Dr. Drakenhart. »Wir kümmern uns darum, legt ihr nur mit euren Ermittlungen los.«
Wir verabschiedeten uns von ihr und gingen zurück zum Jaguar. Phil aktivierte den Bordcomputer, schaute nach, welche Firmen sich gemäß der Karte an der Straße befanden, machte eine Liste und dann fuhren wir los.
Unsere erste Anlaufstelle war Menthocorp, eine Firma mit einer mittelgroßen Fabrikhalle und einer Art Wachhäuschen neben dem Eingang. Dort brannte Licht, weshalb wir annahmen, dass jemand anwesend sein könnte. Wir überprüften das und es war tatsächlich ein Nachtwächter da.
»Wer ist da?«, tönte die verschlafene Stimme eines älteren Mannes aus der Wechselsprechanlage, nachdem wir geklingelt hatten.
»Agents Cotton und Decker, FBI New York«, antwortete Phil. »Wir ermitteln in einem Mord, der sich hier in der Nähe ereignet hat, und wollen Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»FBI?«, stieß der Mann überrascht aus. »Ich habe Anweisungen, niemanden reinzulassen. Woher weiß ich, dass Sie wirklich vom FBI sind?«
»Wir können Ihnen unsere Marken oder Dienstausweise zeigen«, sagte Phil.
»Gut, einen Moment, ich bin gleich da«, sagte der Mann.
Wir warteten. Allerdings wurde nicht, wie ich erwartet hatte, eine Tür geöffnet, sondern nur ein kleiner Durchreicheschlitz neben der Tür.
»Schieben Sie die Ausweise hier durch«, sagte der Mann.
Wir kamen seiner Aufforderung nach. Es dauerte einen Moment, dann öffnete er die Tür.
»Sorry, man kann nicht vorsichtig genug sein«, sagte der Mann.
Er war sicherlich über sechzig und sah aus, als hätte er schon einiges mitgemacht. Sein Gesicht hatte tiefe Falten und auch einige wenig schöne Narben. Viele Haare hatte er nicht mehr auf dem Kopf.
»Da haben Sie recht«, sagte ich und nahm meinen Ausweis und meine Marke entgegen. »Ist ja auch eine ungewöhnliche Zeit für einen Besuch. Wir wären auch nicht hier, wenn es nicht gerade erst passiert wäre, und dachten, dass Sie vielleicht etwas mitbekommen hätten, das uns weiterhelfen könnte.«
»Mitbekommen? Sehr viel kriege ich hier nicht mit. Wollen Sie reinkommen?«, fragte er.
»Sehr gern«, sagte ich und wir traten ein.
»William Topp«, stellte er sich vor und reichte uns die Hand.
Wir erwiderten den Gruß.
Er führte uns in den Überwachungsraum, in dem sich einige Monitore befanden. Auf einem lief irgendeine Fernsehshow, die anderen zeigten Teile des Firmengeländes, eine auch einen Teilausschnitt der Straße.
Auf den Letztgenannten zeigte ich. »Da, diese Kamera nimmt auf, wer auf der Straße hier vorbeikommt, nicht wahr?«
Topp drehte sich zu ihr. »Ja, das stimmt. Man sieht allerdings nur einen kleinen Ausschnitt.«
»Das könnte uns schon reichen«, sagte ich. »Vor etwa drei Stunden ist dort eine Frau mit einem roten Honda Civic vorbeigefahren. Sie wurde von einem anderen Wagen abgedrängt und zum Halten gebracht. Haben Sie vielleicht etwas davon mitbekommen?«