Jerry Cotton 3127 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3127 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Mai-Lin, die hochintelligente Analystin unseres Scientific Research Teams, lud uns zu einem Abendessen zu sich nach Hause ein. Dort traf ich auf ihre Cousine Joyce aus Macau, die geschäftlich für eine Casinokette in den USA unterwegs war. Die Frau, weltgewandt, humorvoll und charismatisch, faszinierte mich sofort. Doch schon bald entdeckte ich ihr dunkles Geheimnis: Joyce hatte sich über Mai-Lins Laptop in die Datenbanken des FBI gehackt ...

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Seitenzahl: 145

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Inhalt

Cover

Impressum

Verlorene Unschuld

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Tödliche Währung – Abgerechnet wird zum Schluss«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4693-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Verlorene Unschuld

»Sieh genau zu! Dann weißt du, was dir blüht, wenn wir nicht bekommen, was wir wollen«, brummte ihm der bullige Hongkong-Chinese zu.

Li konnte sich kaum bewegen, der Knebel hatte seinen Mund ausgetrocknet, und die Kabelbinder schnitten in sein Fleisch. Er war jedoch immer noch besser dran als der ausgemergelte Mann, der vor seinen Augen am Tisch saß.

»Das passiert, wenn man ungehorsam ist«, wandte sich der Schlächter an den Gefangenen.

Plötzlich ergriff er das Handgelenk des Mannes und presste es auf die Tischplatte. Wie aus dem Nichts blitzte ein Messer auf, und dann schnitt er dem hageren Mann zwei Finger ab.

Li kniff krampfhaft die Augen zusammen, doch das Geschrei des verstümmelten Mannes würde ihn für immer verfolgen.

»Meinst du, Blumen und eine Flasche Wein sind das richtige Gastgeschenk?«, fragte Phil unsicher und sah auf den Strauß Orchideen in seiner Hand.

»Ich weiß nicht, vielleicht wären Lotusblüten angebrachter gewesen«, erwiderte ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Phil nannte Mai-Lin, unser Computergenie vom Scientific-Research-Team, gerne seine Lotusblüte. Wir waren gerade unterwegs zu ihrer Privatadresse, denn wir waren an diesem Samstag zum Abendessen bei ihr verabredet.

»Sehr witzig«, brummte mein Partner und verzog das Gesicht. »Warum werden wir auf eine Familienfeier von Mai-Lin eingeladen?«, fragte er zum dritten Mal, seit wir Washington verlassen hatten.

»Weil FGF, Concita und Gerold ebenfalls eingeladen sind«, antwortete ich erneut. Denn Mai-Lin hatte das ganze Team zu sich gebeten. Es war keine richtige Familienfeier, hatte sie uns erklärt. Eine ihrer Cousinen aus Taiwan war in den USA zu Besuch, und deshalb richtete sie ein Fest aus. »Ich glaube, Mai-Lin war es wichtig, ein paar ihrer Kollegen und Freunde mit dabeizuhaben. Ich meine, außer der Familie.«

Mai-Lin wohnte in Stafford, einer kleinen Stadt, die nur einen Steinwurf von der FBI-Akademie entfernt lag. Wir waren noch nie bei ihr zu Hause gewesen. Mai-Lin war zwar eine geschätzte Kollegin, doch trotz Phils saloppem Umgangston mit ihr war die Privatperson Mai-Lin für uns manchmal ein Buch mit sieben Siegeln. Das kleine Haus, vor dem ich schließlich parkte, erstaunte mich, denn es entsprach nicht dem, was ich von ihr erwartet hatte.

»Sie muss einen Gärtner haben«, kommentierte Phil, als wir ausstiegen.

Mein Partner und ich hatten uns eine kleine chaotische Wohnung vorgestellt, in der mehr Computer rumstanden als Möbel. Doch der parkähnliche Vorgarten konnte mit seiner Frühlingsblütenpracht jeden Stadtpark in den Schatten stellen. Bis auf die Straße hinaus war das Stimmengewirr aus dem Haus zu hören. Es klang in unseren Ohren, als hätten wir uns auf einen der vielen Fischmärkte in Chinatown verirrt und als feilschten die Händler um den letzten Thunfisch der Saison.

»Wie spricht man das noch mal aus?«, fragte Phil und sagte dann: »N h o.« Die Worte, die »Guten Tag« auf Chinesisch lauten sollten, hörten sich bei ihm an wie das klägliche Miauen einer Katze.

***

Die nächste halbe Stunde verstand ich kaum ein Wort. Mai-Lin schleppte mich zu jedem ihrer Verwandten, die sich dann euphorisch verbeugten und meine Hände schüttelten. So, als wäre ich ein verlorener Sohn, und vor lauter Freude redeten sie Chinesisch mit mir. Wahrscheinlich wirkte ich wirklich verloren, denn plötzlich stand jemand neben mir und zog mich sanft von irgendeiner Tante weg.

»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Inspektor Cotton. Ich habe schon viel von Ihnen gehört«, erklang eine weiche Stimme. Die zierliche Frau neben mir sprach ein vorzügliches Englisch mit einem entzückenden chinesischen Akzent. »Ich bin Joyce Zouh, Mai-Lins Cousine aus Taiwan.«

Als ich sie ansah, konnte ich es kaum glauben. Die Frau war unglaublich attraktiv. Sie war klein und wirkte fast zerbrechlich, doch ihr hübsches Gesicht war selbstbewusst. Das pechschwarze Haar zu einem Pagenkopf geschnitten, lächelte mich dieses elfengleiche Wesen an.

»Freut mich auch, dann ist diese Party also für Sie«, gab ich zurück und schüttelte ihr die Hand.

»Verzeihen Sie meine Verwandten, sie sind sehr überschwänglich. Für sie ist es eine große Ehre, dass Mai-Lins Vorgesetzte extra hierhergekommen sind«, meinte Joyce und hakte sich bei mir unter.

Wir schlenderten zu dem Tisch, auf dem die Getränke standen.

»Mein Partner und ich sind nur Kollegen, keine Vorgesetzten. Wir arbeiten sehr gerne mit Ihrer Cousine zusammen«, erwiderte ich und ließ mich von ihr mitziehen. »Mai-Lin ist eines der besten Computergenies, die wir beim FBI haben.«

»Demut ist eine noble Charaktereigenschaft«, gab Joyce zurück und reichte mir ein Glas Wasser. »Ich nehme an, Sie müssen noch fahren und trinken keinen Alkohol.«

Ich nickte und nahm das Glas entgegen. »Dann sind Sie als Touristin hier und besuchen Ihre Familie, Joyce? Darf ich Sie so nennen?«, fragte ich gerade, als eine resolut wirkende Frau auf uns zukam. Sie sprach in einem abgehackten Ton mit Joyce, was vielleicht am Chinesisch lag, denn ich verstand wieder kein Wort.

»Inspektor Cotton, darf ich Ihnen meine Chefin Gu Wong vorstellen?«, fragte Joyce höflich und etwas nervös.

»Es freut mich«, meinte Gu Wong.

Sie war das komplette Gegenteil von Joyce. Drahtig, mit einem Gesichtsausdruck, der jeden erst einmal in die Flucht schlug. Sie erinnerte mich an eine dieser Mao-Tse-tung-Anhänger, denn selbst ihr Hosenanzug wirkte wie einer dieser Einheitsanzüge, die ich nur von Fotos kannte.

»Dann will ich Sie beide nicht weiter stören«, meinte Gu Wong und versuchte ein Lächeln. »Joyce, ich muss mich verabschieden, wir sehen uns in zwei Wochen in Atlantic City, wenn ich von Los Angeles zurück bin.«

Joyce verbeugte sich kurz. »Shi Lao Ban«, erwiderte sie auf Chinesisch, dann nickte mir die andere Frau zu und verschwand. »Die ehrenwerte Gu Wong ist meine Chefin. Wir arbeiten zusammen in Macau«, erklärte Joyce und schien erleichtert, dass Wong endlich weg war.

»In welcher Branche sind Sie tätig?«, fragte ich, und sie strahlte mich wieder an.

»Es ist nichts Besonderes«, meinte Joyce. »Ich selbst bin Mathematikerin. Gu Wong ist die Marketingchefin für eine der größten Casinoketten in Macau. Wir sind hier in den USA, um uns verschiedene Casinos anzusehen«, erklärte sie, dann strich sie sich mit einer eleganten Bewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir wollen von den amerikanischen Geschäftsleuten lernen, wie erfolgreiche Casinos geführt werden, um verschiedene Businessmodelle in Macau zu übernehmen.«

»Das ist sehr interessant«, sagte ich. »Aber Sie fliegen nicht mit nach Los Angeles?«

»Nein, man hat mir erlaubt, zwei Wochen Urlaub zu nehmen. Ich werde hier bei Mai-Lin bleiben und mir Washington und die Umgebung ansehen«, erwiderte sie, und ich musste zugeben, dass mich ihr Lächeln umhaute.

»Vielleicht kann ich Ihnen einige der Sehenswürdigkeiten in Washington zeigen, ich lebe downtown«, sagte ich schnell und war über mich selbst überrascht. Eigentlich war es mein Partner, der bei Frauen so schnell und smart reagierte, wenn sie ihm gefielen. Doch ich musste einsehen, in dem Moment flirtete ich bereits mit Joyce.

»Das wäre mir eine Ehre und ein Vergnügen. Haben Sie überhaupt Zeit dafür, Inspektor Cotton?«, fragte Joyce charmant.

»Dafür nehme ich mir Zeit. Wie wäre es morgen? Es ist Sonntag, oder wollen Sie erst Zeit mit Mai-Lin verbringen?«, wollte ich wissen. »Und bitte, nennen Sie mich Jerry!«

»Nein, morgen wäre wunderbar. Ich habe gehört, dass der Botanische Garten herrlich sein soll, jetzt im Frühling«, erwiderte sie sofort, dann sah sie mir tief in die Augen. »Jerry.«

***

Niemand sprach den Boss mit seinem Namen an. Steward Hu wurde nur respektvoll Guo Wang genannt, was König bedeutete. Der schmale ältere Mann in dem teuren Designeranzug stand in seinem Büro am Fenster und blickte auf den Victoria Harbour rüber nach Koloown. Auch wenn die Drachenboote auf dem Perlfluss von Hongkong heute nur noch für Touristen fuhren, war ihr Anblick eine Erinnerung an die alten Traditionen dieser Stadt.

Um hier als Multimillionär Geschäfte zu machen, musste man nicht nur den fragilen Legislativrat in der Hand haben, man musste auch Traditionen wahren. So hatte auch der King vor dem Bau seines hohen Bürogebäudes einen weisen Mann konsultiert und trotz enormer Kosten das Loch für den Drachen einbauen lassen.

»Guo Wang, Ihr Geschäftspartner aus Macau ist angekommen«, sagte sein Assistent, der durch die Tür getreten war.

»Gut, schicken Sie ihn rein, wir wollen nicht gestört werden!«, sagte der King.

»Soll ich Tee servieren?«, fragte der junge Mann.

»Nein, merken Sie sich: Ich trinke mit diesen Leuten keinen Tee!«, erwiderte der ältere Mann harsch.

Sein Assistent errötete, bevor er den Raum verließ. Der King hatte in den letzten Jahrzenten in Hongkong und Macau ein Imperium erschaffen, sein Imperium. Doch in den Legislativrat, der erst kürzlich wiedergewählt worden war, hatten nach den Demonstrationen in den Vorjahren etliche demokratische Vertreter Einzug gehalten. Idealisten, die Hongkong stärker vom chinesischen Festland abgrenzen wollten und damit weniger bestechlich waren.

»Macau muss stärker werden«, sagte er laut zu sich selbst und wappnete sich für seinen Besucher.

Mit der politischen Entwicklung in Hongkong war sein Besitz in Gefahr, darum setzte er auf Macau und seine Geschäfte dort. Doch Macau war ein Rattennest, das in der festen Hand der Triaden, der chinesischen Mafia, war. Zwar respektierten die Triaden seine Geschäfte in Macau, und er hatte immer seinen Obolus geleistet, doch wenn es um die Erweiterung der Geschäfte, um einen großen Deal ging, musste er mit diesen verhassten Männern zusammenarbeiten.

»Zun jin de hu xiānsheng«, begrüßte ihn Won Huen Chai respektvoll.

Der King kannte den Mann bereits, zumindest dem Namen nach, was schlimm genug war. Denn er wusste, dass es sich um den Fan Shan Chu handelte, die Nummer zwei der Macau-Triade. Er wurde Marshall oder älterer Bruder genannt. Der Mann war groß und hatte eine Narbe unter dem linken Auge. Über ihn war bekannt, dass er der Triade schon als Junge beigetreten war und die Karriereleiter bis zum Vertreter des Drachenkopfes, des obersten Bosses, hochgeklettert war.

»Won Huen Chai, ich begrüße den Freund eines Freundes in meinem Haus«, erwiderte der King formell.

Dann entdeckte er die kleine, blasse Gestalt, die hinter Chai ins Büro trat. Den Mann kannte er nicht, doch es musste sich um den Pak Tze Sin handeln, den Weißen Fächer, wie er gerufen wurde. Er war der interne Rechtsberater der Stabchefs dieser Mafia.

Der King nickte dem Mann zu, den er nicht ansprechen konnte, da er ihm nicht vorgestellt wurde. »Bitte nehmen Sie Platz!«

Es verging fast eine halbe Stunde, in der nur Höflichkeiten ausgetauscht und das Büro und die Aussicht bewundert wurden. Die Prozedur ging dem King gegen den Strich, da er mittlerweile an die amerikanische Weise von Geschäftsbesprechungen gewöhnt war und schnell zum Punkt kommen wollte. Dennoch hielt er sich zurück und wartete höflich, bis der Fan Shan Chu endlich das eigentliche Thema anschnitt.

»Zun jin de hu xiānsheng«, begann er und bezeichnete ihn erneut als ehrenwerten Mr Hu. »Unser Vorhaben macht gute Fortschritte in den USA. Sobald wir den Kontakt haben und die Verhandlungen eröffnet sind, wird sehr schnell eine große Summe zur Verfügung stehen müssen«, sagte die Nummer zwei endlich.

»Natürlich, es wurden von meinen Finanzexperten bereits zwanzig Millionen US-Dollar auf einem Offshore-Konto bereitgestellt. Ich warte nur auf Ihre Anweisung«, erwiderte der King.

»Das freut uns zu hören. Mein Freund, der auch Ihr Freund ist«, erwiderte Chai, »ist jedoch der Meinung, dass noch einmal dieselbe Summe bereitstehen sollte. Das Unternehmen ist bisher sehr erfreulich für uns gelaufen, und eventuell werden größere Investitionen notwendig.«

Bevor der King antwortete, musste er sich innerlich beruhigen. Weitere zwanzig Millionen brachten ihn in Schwierigkeiten, denn der größte Teil seines Kapitals war langfristig gebunden. Er atmete tief durch, lächelte jedoch.

»Sagen Sie meinem Freund, dass ich alles in die Wege leiten werde, doch dafür brauche ich etwa vier Wochen«, erwiderte er ruhig.

»Sie haben zwei«, sagte der blasse Begleiter. Es waren die ersten Worte, die er sagte, und an denen war nicht zu rütteln.

Das verstand auch der King. Er nickte nur, denn er liebte seine Familie, seine Konkubinen und vor allem sein Leben, und das wollte er nicht verlieren wegen zwanzig Millionen Dollar.

***

Phil und ich hatten ausgemacht, uns Montagmorgen im Headquarter zu treffen. Als ich gegen acht Uhr in mein Büro kam, saß er breit grinsend hinter meinem Schreibtisch und sah mich erwartungsvoll an.

»Und, wie war es gestern?«, fragte er, denn er hatte mitbekommen, dass ich den gestrigen Tag mit Joyce verbracht hatte.

»Auch wenn du mein bester Freund bist, erzähle ich dir nicht, wie mein Date gelaufen ist, denn ich bin kein pubertierender Teenager«, nahm ich ihm den Wind aus den Segeln. »Kann ich jetzt an meinen Schreibtisch?«

»Na gut«, meinte er und trollte sich. »Doch ich sehe dir irgendwie an, dass es dir gut geht«, konnte er sich nicht verkneifen zu sagen.

Ich machte ein Pokerface und ignorierte seinen Kommentar. »Gib mir eine halbe Stunde, dann können wir uns wegen des Gerichtstermins zusammensetzen«, war alles, was ich erwiderte.

Wieder grinste er nur und verließ endlich mein Büro.

Irgendwie wollte ich dieses Mal nicht, dass Phil zu viel erfuhr, denn die Sache mit Joyce war anders als meine sonstigen Dates. Natürlich war mir schnell klar gewesen, dass es mich bereits erwischt hatte. Joyce verkörperte für mich so viele Dinge auf einmal. Sie war eine zarte, sanfte Frau, mit ihrer zerbrechlichen Statur rief sie den Beschützer in mir wach, etwas, das bei uns Männern immer ein angenehmes Gefühl hinterlässt. Auf der anderen Seite hatten wir uns lange unterhalten, und sie war nicht nur blitzgescheit, sondern auch verdammt gebildet. Joyce hatte einen Doktor in Mathematik wie Mai-Lin und konnte anscheinend mit Computern genauso gut umgehen wie unsere FBI-Expertin.

Wir hatten den gestrigen Tag in den Parks und Museen von Washington zugebracht, und ich hatte so viel gelacht wie lange nicht mehr. Denn Joyce besaß auch einen sehr charmanten Humor. Als wir uns nach dem Dinner an ihrem Auto verabschieden wollten, hatte sie sich zu mir hochgestreckt und mich unvermittelt geküsst. Ich war überrascht gewesen, denn ich dachte, eine Frau wie Joyce bräuchte mehr Zeit für eine solche Intimität. Danach sprach sie kein Wort mehr, sah mich nur kurz an und stieg dann in den Wagen.

»Guten Morgen«, sagte ich. Denn ich hatte kurzerhand Mai-Lins private Festnetznummer angerufen.

Wie erwartet war Mai-Lin bereits im Büro, und nach dem zweiten Klingeln hatte Joyce abgenommen. »Es ist hoffentlich nicht zu früh«, entschuldigte ich mich halb, denn ich wusste nicht, ob sie vielleicht ein Langschläfer war, immerhin hatte sie Urlaub.

»Nein, nicht zu früh, Jerry«, erwiderte sie und schwieg.

»Ich möchte dich gern wiedersehen«, fiel ich mit der Tür ins Haus, doch ich sagte genau das, was ich gerade fühlte. »Kann ich dich Mittwoch zum Abendessen einladen? Das Marcel’s ist eines der Restaurants, die man besuchen sollte, wenn man schon in der Hauptstadt ist.«

Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete, und ich hoffte, dass es kein Zögern war.

»Sehr gerne«, meinte sie sanft. »Ich würde danach gerne dein Apartment sehen. Es interessiert mich, wie ein Mann wie du lebt.«

Dieses Mal fehlten mir die Worte, denn was das bedeutete, musste nicht deutlicher ausgesprochen werden.

»Natürlich, nichts lieber als das«, erwiderte ich sofort. »Soll ich dich abholen?« Kurz dachte ich darüber nach, ob ihr Angebot vielleicht doch unverfänglicher war, als ich es gerade interpretierte. Ob in Taiwan so etwas üblich und ganz harmlos gemeint war. Doch dann schimpfte ich mich selbst einen Idioten, denn bei manchen Dingen gab es keine kulturellen Unterschiede.

»Nein, ich komme mit dem Mietwagen, wir treffen uns am Restaurant. Ist dir halb acht recht?«, fragte sie, und ich bestätigte.

Wir wechselten noch ein paar Worte, dann legten wir auf. Ich musste mich richtig zusammenreißen, um mich danach auf meine Zeugenaussage vor Gericht zu konzentrieren.

***

Phil war nach dem Gerichtstermin, der bis zum späten Nachmittag gedauert hatte, nach Hause gelaufen. Nach der vielen Warterei vor und im Gerichtssaal hatte ihm frische Luft gefehlt. Er war ausgiebig im hauseigenen Gym trainieren gewesen und hatte ein paar Saunagänge hinter sich gebracht. Zu Hause setzte er sich mit einem Glas Rotwein auf die Couch und wollte sich die Übertragung eines Basketballspiels ansehen. Kaum hatte er die Füße hochgelegt, als es klingelte.

»Na, willst du doch noch eine Runde quatschen?«, meinte er und öffnete die Tür, in der Erwartung, Jerry zu sehen.

»Der Doorman hat mich hochgelassen, er scheint mich bereits zu kennen«, sagte Mai-Lin.

Phil hätte mit allem gerechnet, aber bestimmt nicht mit seiner Kollegin aus Quantico.

»Tut mir leid, Phil, dass ich Sie störe«, sagte sie und sah demonstrativ auf die Uhr, dann auf seine ausgewaschene Jeans und die nackten Füße.

»Kein Problem, kommen Sie rein!«, erwiderte Phil, obwohl er sich immer noch wunderte, was Mai-Lin bei ihm wollte.

»Danke, es ist wichtig und ich wusste nicht recht, an wen ich mich wenden sollte«, meinte sie bedrückt und kam ins Apartment.

Phil schaltete den Fernseher aus. »Setzen Sie sich! Möchten Sie ein Glas Wein?«, fragte er und war noch erstaunter, als sie nickte. Er hatte Mai-Lin vielleicht zweimal in der ganzen Zeit, in der sie zusammenarbeiteten, Alkohol trinken sehen.

»Ich glaube, ich brauche jetzt ein Glas Wein«, erwiderte sie und nahm auf seiner Couch Platz.

Sofort goss Phil ihr etwas Rotwein ein und reichte ihr das Glas. Dann setzte er sich auf den Hocker ihr gegenüber.