John Maynard Keynes - Jürgen Kromphardt - E-Book

John Maynard Keynes E-Book

Jürgen Kromphardt

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Beschreibung

Große Ökonomen, ihr Werk und ihre Bedeutung kennenlernen. Bis zur Finanzkrise war es in wirtschaftspolitischen Debatten hierzulande oftmals verpönt, im Sinne von Keynes zu argumentieren. Heute hat sich dieses Bild gewandelt: Viele Ökonomen und Politiker nehmen Bezug auf den genialen Briten – auch wegen seiner Betonung der Unsicherheit der Zukunft. Jürgen Kromphardt zeigt auf, wie Keynes die ökonomische Theorie auf eine neue Grundlage stellte und welche wirtschaftspolitischen Empfehlungen er daraus ableitete, in späteren Jahren insbesondere für die Weltwährungsordnung. Für deren Umsetzung setzte er sich intensiv ein.

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Seitenzahl: 293

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Jürgen Kromphardt

Die größten Ökonomen: John Maynard Keynes

utb-Nr. 3794

Umschlagabbildung: © shutterstock

 

2. Auflage 2020

1. Auflage 2012

 

© UVK Verlag 2020

– ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ISBN 978-3-8252-5279-3 (Print)

ISBN 978-3-8463-5279-3 (ePub)

Inhalt

Vorwort zur 2. AuflageVorwort zur 1. AuflageEin Quereinsteiger in die ÖkonomieElternhaus und SchulzeitStudium der Mathematik, Philosophie und GeschichteEintritt in den Staatsdienst und Rückkehr an die UniversitätKunstliebhaber, Mäzen, FinanzmanagerEin streitbarer Politökonom (Vom 1. Weltkrieg bis zur Weltwirtschaftskrise)Berater und Repräsentant des SchatzamtesDie wirtschaftlichen Folgen des FriedensvertragesKampf für eine preisniveaustabilisierende WährungspolitikUnterstützung der „Liberalen Partei“ bei ihrer programmatischen ErneuerungErster Versuch einer makroökonomischen Fundierung der wirtschaftspolitischen ForderungenKernelemente der „Abhandlung vom Gelde“ (1930/1932)Widersprüche und ungelöste ProblemeDie stillschweigende Annahme der VollbeschäftigungÜbereinstimmung von Sparen und Investieren: Definition oder Gleichgewicht?Wodurch werden die Ersparnisse bestimmt?Der Schock der Weltwirtschaftskrise und die Reaktion von KeynesZum Ausmaß der WeltwirtschaftskriseKeynes’ Kampf für seine wirtschaftspolitischen ÜberzeugungenAusbruch aus den Fesseln der herrschenden TheorieDie Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des GeldesAnspruch und Ziel der „Allgemeinen Theorie“Das Prinzip der effektiven NachfrageBestimmung der KonsumgüternachfrageBestimmungsgründe der InvestitionenDas kurzfristige Gleichgewicht auf dem GütermarktBestimmungsgründe für das ZinsniveauBestimmung von Einkommen und Zinssatz durch Güter- und GeldmarktFlexibles Lohnniveau und GesamtnachfrageWirtschaftspolitische Forderungen im Anschluss an die „Allgemeine Theorie“Frühe Reaktionen auf die „Allgemeine Theorie“Hohe Erwartungen – gegensätzliche ReaktionenDie Unsicherheit der Zukunft„Liquiditätstheorie des Zinses“ versus „Theorie der ausleihbaren Fonds“Zum IS/LM-Modell von HicksProblemlösungen für die Kriegs- und NachkriegszeitKriegsfinanzierung ohne InflationVorfinanzierung kriegswichtiger Importe (Lend Lease)Finanzielle Förderung der KünsteFür eine neue Weltwährungsordnung (Bretton Woods / IMF)Vorschlag einer „International Clearing Union“Die Vereinbarungen von Bretton WoodsÜberlegungen zur Fiskalpolitik und zur Beschäftigungsentwicklung in der NachkriegszeitSorgen um Großbritanniens Zahlungsbilanz nach KriegsendeZähe Verhandlungen um einen Dollarkredit der USAAuseinandersetzungen mit der Theorie von Keynes nach 1946Von der Uminterpretation zur AblehnungNeoklassische Vereinnahmung von Keynes’ Theorie (neoklassische Synthese)Monetaristische GegenrevolutionAngebotsökonomie und „Washington Consensus“Die Neue keynesianische Ökonomie (NKE)Die ablehnende Position der OrdoliberalenRückbesinnung der Keynesianer auf KeynesNach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff: Weiterer Streit um die Wirtschaftspolitik✷ Biographie✷ Glossarium✷ Übersicht der Kästen✷ Die vier wichtigsten Werke✷ Hilfreiche Links✷ Literatur zur Vertiefung✷ Hinweise zur Zitierweise✷ Zitierte Literatur✷ Stichwörter und Personen

Vorwort zur 2. Auflage

Es freut mich sehr, dass mir die 2. Auflage dieses Bucher über John Maynard Keynes erstens die Möglichkeit gab, an vielen Stellen die Darstellung zu präzisieren und verständlicher zu machen.

Zweitens habe ich in dem Kapitel über die Problemlösung für die Kriegs- und Nachkriegszeit den Abschnitt über den Anti-Inflationsplan von Keynes umgeschrieben, auch um deutlicher hervorzuheben, dass Keynes es vehement ablehnte, gesamtwirtschaftliche Probleme durch Zulassen oder gar Beförderung von Inflation zu lösen.

Drittens habe ich im Kapitel über die Auseinandersetzungen mit der Theorie von Keynes nach 1946 dem in Deutschland stark vertretenen Ordoliberalismus einen eigenen Abschnitt gewidmet.

Viertens ist der letzte Abschnitt dieses Kapitels, der sich mit den Auswirkungen der tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff auf die Akzeptanz der Lehren von Keynes befasst, völlig neu gefasst. Schließlich habe ich die Hinweise auf Literatur zur Vertiefung aktualisiert.

Meinem Kollegen Harald Hagemann danke ich für eine kritische Durchsicht des Manuskripts und der Studentin Megana Kodhelaj für die unermüdliche Bewältigung meiner Änderungs- und Ergänzungswünsche.

 

Berlin, im März 2020

Vorwort zur 1. Auflage

John Maynard Keynes (1883–1946) ist vor oder neben Joseph Schumpeter der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts. Er veröffentlichte sein Hauptwerk, die „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ im Jahre 1936 unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise 1929–1932. In diesem Werk brach er mit der dominierenden und tief verwurzelten Tradition der Nationalökonomie, sich bei der Analyse des Wirtschaftsystems und seines Wirkens an Modellen von Geldwirtschaften zu orientieren, in denen das Geld nur einen Schleier bildet, der die realen Zusammenhänge umhüllt und verhüllt, ohne sie zu beeinflussen. In derartigen Modellen stellt sich auf Dauer stets Vollbeschäftigung aller verfügbaren Ressourcen an Arbeit und Sachkapital ein.

Keynes war ein außergewöhnlich schneller Leser, Denker und Schreiber und machte von diesen Fähigkeiten ausgiebig Gebrauch. Daher füllen allein seine auf die Ökonomie bezogenen Texte (Veröffentlichungen, Memoranden und Briefe) 30 Bände seiner „Collected Writings“, die seit 1971 von der britischen Royal Economic Society herausgegeben worden sind.

Keynes führte ein sehr aktives und vielseitiges gesellschaftliches und privates Leben. Er verwaltete und vermehrte das Vermögen mehrerer öffentlicher und privater Institutionen und baute sein eigenes auf. In den beiden wichtigsten Biographien (MoggridgeMoggridge, 1992) und SkidelskySkidelsky (1983/1992/2000 – 3 Bände) beanspruchen Leben und Werk 940 bzw. rund 1800 Seiten. Diese beiden Biographien sind die Quellen für alle von mir außerhalb der Ökonomie berichteten Ereignisse.

Wenn man sich auf Wunsch des Herausgebers dieser Reihe darauf einlässt, ein Buch über das Leben und das Werk von John Maynard Keynes mit begrenzter Seitenzahl zu schreiben, sieht man sich der schwierigen Aufgabe gegenüber, aus den umfangreichen Schriften dieses britischen Ökonomen und der Vielseitigkeit seiner wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Aktivitäten das Wichtigste auszuwählen und zu präsentieren.

Deswegen musste ich auf sehr viele Details seines gesellschaftlichen und privaten Lebens sowie seiner Aktivitäten auf den Finanzmärkten verzichten. Auch bei seinen ökonomischen Schriften musste ich auswählen und ausschließen. So habe ich nur gelegentlich Keynes’ Erörterungen über die deutschen Reparationszahlungen nach dem 1. Weltkrieg und über ihr Ende angesprochen, die in den „Collected Writings“ den Band. 18 beanspruchen. Ebenso wenig bin ich auf Keynes’ zahlreiche Memoranden und andere Texte zu Fragen der Strukturpolitik in GroßbritannienGroßbritannien eingegangen, die einen beträchtlichen Teil des Doppelbandes 19 der „Collected Writings“ ausmachen.

Für ihre kritische Lektüre des Manuskripts und ihre konstruktiven Anregungen danke ich Frau Dr. Camille Logeay, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Außerdem danke ich Frau Yvonne Sivapragasam, Studentin des Studiengangs „Economics“ an der TU Berlin, für ihr unermüdliches und geduldiges Herstellen immer neuer Manuskriptfassungen.

 

Berlin im Dezember 2012

Jürgen Kromphardt

Ein Quereinsteiger in die Ökonomie

Elternhaus und Schulzeit

Am 5. Juni 1883 wurde John Maynard Keynes in Cambridge (England) als ältester Sohn in ein großbürgerliches Elternhaus geboren. Sein Vater, John Neville KeynesJohn Neville Keynes, war ein bekannter Nationalökonom, der überwiegend in Cambridge Politische Ökonomie und Logik lehrte und später in die Universitätsverwaltung hinüberwechselte (als Leiter des Universitätssekretariats – eventuell dem Kanzler einer deutschen Universität vergleichbar). Seine Mutter engagierte sich für Sozialreformen (insbesondere für die Rechte von Frauen), war auf kommunaler Ebene politisch aktiv und bekleidete verschiedene leitende Positionen in der städtischen Verwaltung von Cambridge.

Keynes´ Eltern führten ein offenes Haus, sodass Keynes schon früh bedeutende Gelehrte aus vielen Fachgebieten kennenlernte. Standesgemäß ging der hochbegabte Schüler John Maynard mit 14 Jahren an die renommierteste aller britischen Schulen, nach EtonEton, wo er besonders in klassischer Literatur, in Mathematik und als Mitglied der schulischen Debattierclubs brillierte. Mit 19 Jahren schloss er die Schule mit großem Erfolg ab.

Hinter dieser Erfolgsstory stand jedoch kein angepasster Streber; vielmehr machte sich sein Vater häufig Sorgen, sein Sohn verzettele sich in zu vielen Aktivitäten, zu denen auch Sport und Theateraufführungen der Schüler gehörten.

Studium der Mathematik, Philosophie und Geschichte

Nach dem Abschluss der Schulzeit in EtonEton begann Keynes 1902 in Cambridge Mathematik, Philosophie und Geschichte sowie etwas Ökonomie (als Teil des Mathematikcurriculums) zu studieren. Aufgrund seines sehr guten Schulabschlusses enthielt er ein Stipendium des King‘s CollegeKing‘s College, dem er sein Leben lang verbunden blieb.

Die Ausbildung in Ökonomie war damals in Cambridge rudimentär. Der einzige Professor für Nationalökonomie war Alfred MarshallMarshall, der unbestritten bedeutendste Ökonom seiner Zeit. Ihm war es nach jahrelangem Kampf gerade erst gelungen, für die Ökonomie eine eigene Abschlussprüfung durchzusetzen. Vorher war Ökonomie ein Teil der Prüfung in Mathematik und in Geschichte. Außer Marshall wurde Ökonomie von einigen Universitäts- oder College-Dozenten gelehrt. Es gab aber noch kein verbindliches Curriculum, kaum Lehrbücher (außer Marshalls „Principles of Economics“) und nur wenige Studenten.

Kasten 1: Auf Umwegen an die Universität und ins Schatzamt

1905

Abschluss des Mathematik-Studiums am King’s College in Cambridge, anschließend vertieftes Studium der Ökonomie bei Marshall und Pigou

1906

Aufnahmeprüfung für den Staatsdienst. Als zweitbester Absolvent kommt Keynes nicht ins Schatzamt, sondern ins „India Office“

1908

Keynes scheidet aus dem India Office aus und wird bezahlter Dozent am King’s College

1911

Marshall bindet Keynes an die Wissenschaft, indem er ihn zum Herausgeber des „Economic Journal“ macht

1915

Im 1. Weltkrieg wird Keynes Berater des Schatzamts

1919

Keynes nimmt als Vertreter des Schatzamtes an den Friedensverhandlungen in Versailles teil

Auch in Cambridge war Keynes Mitglied diverser studentischer Debattierclubs. Der für Keynes wichtigste von ihnen, der von manchen Biographien als Geheimgesellschaft bezeichnet wird, war die elitäre Gesellschaft der „ApostelApostel“, in die er wegen seines rhetorischen Talents aufgenommen wurde. Mehrere Mitglieder der „Apostel“ übten auf Keynes einen prägenden Einfluss aus, so der spätere Kunstkritiker und Biograph Lytton Strachey, der angehende Schriftsteller und Verleger Leonard WoolfWoolf sowie der Philosoph GeorgeGeorge Moore.

Die „ApostelApostel“ lehnten alle Konventionen der prüden viktorianischen Zeit in GroßbritannienGroßbritannien ab. Dies galt auch für die Normen sexuellen Verhaltens. Laut Skidelsky (1983, S. 128) war für die Apostel die Liebe zu jungen Männern eine höhere Form der Liebe. Daran orientierten sich einige der Apostel, darunter auch Keynes, obwohl Homosexualität in Großbritannien unter Strafe stand.

Die Kunstfreunde unter den Aposteln stärkten Keynes Begeisterung für die schönen Künste, deren Förderung ihm Zeit seines Lebens am Herzen lag.

1905 schloss Keynes sein Studium mit der Prüfung in Mathematik ab, und zwar als Zwölftbester seines Jahrgangs.

Eintritt in den Staatsdienst und Rückkehr an die Universität

Keynes beschloss in den Staatsdienst zu gehen. Er bereitete sich an der Universität Cambridge auf die Aufnahmeprüfung vor, die auch Ökonomie und Mathematik umfasste. Am meisten reizte ihn das Finanzministerium (TreasuryTreasury), aber er bekam die einzige dort zu besetzende Stelle nicht, da er die Prüfung „nur“ als Zweitbester von 104 Teilnehmern abschloss. Er musste daher ins „Indian Office“ gehen. In dieser Behörde hatte er – da er ein sehr schneller Denker und Schreiber war – viel Zeit, die er nutzte, um eine Dissertation über WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie zu schreiben, mit der er sich 1907 am King‘s CollegeKing‘s College in Cambridge um eine (durch ein mehrjähriges Stipendium finanzierte) Dozentenstelle (Fellowship) bewerben wollte. Er wurde aber am College nicht genommen, denn die Annahme seiner Dissertation wurde zurückgestellt.

Daraufhin bot ihm MarshallMarshall, der das überragende Talent seines früheren Studenten erkannt hatte, einen von ihm und Keynes’ Vater privat finanzierten Lehrauftrag als „Lecturer“ an, den Keynes annahm. Der junge Dozent (25 Jahre alt) konzentrierte sich auf GeldtheorieGeldtheorie und GeldpolitikGeldpolitik und überarbeitete seine Dissertation, die 1909 angenommen wurde. Daraufhin kündigte er seine Stelle im Indian Office. Seine Dissertation über WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie überarbeitete er weiterhin, musste sie dann wegen seiner Tätigkeit für das Schatzamt Schatzamtwährend des 1. Weltkrieges liegen lassen. Gedruckt erschien sie erst 1921 (Kasten 2).

Kasten 2: Keynes und Wahrscheinlichkeit

In seiner voluminösen Untersuchung zur WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie „Treatise on Probability“ (1921) untersucht Keynes, wie man aus Beobachtungen über die Realität allgemeine Sätze ableiten kann; denn selbst wenn man tausendmal nur schwarze Raben gesehen hat, lässt sich daraus nicht logisch ableiten, alle Raben seien schwarz. Keynes fragt nun: Lässt sich wenigstens eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit treffen, dass alle künftig auftauchenden Raben schwarz sein werden? Keynes argumentiert, diese Wahrscheinlichkeit sei nicht rein subjektiv, sondern sei das Ergebnis einer rational fundierten Überzeugung und daher eine logische Relation, die für alle rationalen Individuen gleich ist.

1926 kritisiert der geniale Mathematiker und Philosoph Frank RamseyRamsey (der schon mit 26 Jahren an den Folgen einer Leberoperation starb) diese Theorie und stellt ihr eine subjektive WahrscheinlichkeitstheorieWahrscheinlichkeitstheorie gegenüber, wonach rationale Individuen unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten vermuten.

In einem biographischen Artikel über RamseyRamsey stimmt Keynes (1931) dieser Kritik zu, meint aber, Ramseys Theorie weise noch Schwächen auf. Donald Gillies, auf dessen Artikel „Keynes and Probability“ (2006) ich mich stütze, verweist auf die Erwartungsbildung in der „General Theory“, wo Keynes individuellen Eigenschaften und gruppendynamischen Prozessen eine gewichtige Rolle zuweist. Am deutlichsten wird dies an einer Stelle in dem wichtigen Artikel von Keynes (1937, S. 214), die Gillies zitiert und die in meiner Übersetzung lautet: „Da wir wissen, dass unsere individuelle Beurteilung wertlos ist, sind wir bestrebt, auf die Beurteilung des Restes der Welt zurückzugreifen, der vielleicht besser informiert ist. Wir bemühen uns also, mit dem Verhalten der Mehrheit oder des Durchschnitts konform zu gehen. Die Psychologie einer Gesellschaft von Individuen, von denen jeder bemüht ist, die anderen zu kopieren, führt zu etwas, das wir strenggenommen als konventionelle Beurteilung bezeichnen können.“

Außerdem schrieb er sein erstes Buch über „Indian Currency and Finance“, in dem er seine Kenntnisse und Erfahrungen aus der Zeit im Indian Office verarbeitete (erschienen 1913). Kurz vorher war Keynes in die „Royal Commission“ berufen worden, die sich mit diesem Thema befasste.

MarshallMarshall band Keynes noch enger an die Nationalökonomie, indem er dafür sorgte, dass Keynes 1911 – nach Ausscheiden des bekannten Ökonomen EdgeworthEdgeworth – Herausgeber der damals führenden ökonomischen Fachzeitschrift, nämlich des „Economic Journal“, wurde. Keynes las, verstand und beurteilte die eingereichten Artikel mit außergewöhnlicher Schnelligkeit und Bestimmtheit.

1913 wurde er zusätzlich Sekretär der „Royal Economic SocietyRoyal Economic Society“ und bestimmte damit weitgehend die Aktivitäten dieser wissenschaftlichen Gesellschaft. Beide Positionen behielt Keynes bis kurz vor seinem Lebensende bei.

Kunstliebhaber, Mäzen, Finanzmanager

Keynes setzte die engen Kontakte zu den Freigeistern, Künstlern und Philosophen, die er in der Studienzeit geknüpft hatte, trotz der beschriebenen Aufgaben weiterhin fort. Er fand genügend selbstbestimmte Zeit, um drei Tage in der Woche in London zu verbringen, wo er viel mit seinen Freunden der „Bloomsbury Group“ (benannt nach dem Londoner Stadtteil) zusammen sein konnte. Zu dieser Gruppe gehörten außer den drei oben genannten „Aposteln“ die Schriftstellerin Virginia WoolfWoolf, der Maler Duncan GrantGrantGrant (mit dem Keynes zwei Jahre lang zusammen lebte), die Malerinnen Vanessa BellBell und Dora CarringtonCarrington, der Philosoph Bertrand RussellRussell und einige andere. Hier konnte Keynes seiner Vorliebe für Philosophie, Literatur und andere schöne Künste nachgehen.

Keynes war zwar kein aktiver Künstler, aber seine Liebe zur Kunst bestimmte sein Leben in mehrfacher Hinsicht: Er kaufte und sammelte Bilder und alte Bücher; er lernte über die Bloomsbury Group die emigrierte Ballerina Lydia LopokovaLopokova kennen, die er 1925 heiratete, und er engagierte sich in der Förderung von Künstlern. So gründete er 1925 zusammen mit einem befreundeten Kunstsammler und Industriellen (Courtauld) die „London Artists Association“, die jüngeren Künstlern als Agentur diente, ihnen ein bescheidenes regelmäßiges Einkommen zahlte und Ausstellungen organisierte.

Nach seiner Hochzeit mit Lydia LopokovaLopokova (1925) pachtete er ein Landhaus in Tilton, wohl auch deswegen, weil die meisten Mitglieder der Bloomsbury Group seine Heirat ablehnten (vermutlich als Verbürgerlichung) und versucht hatten, ihn davon abzuhalten.

Um seinen aufwändigen Lebensstil zu finanzieren und aus Neigung, fing er schon vor dem 1. Weltkrieg an, an der Börse zu spekulieren. Langfristig war er dabei sehr erfolgreich, 1920 aber fast pleite. Auf Grund seiner Bekanntschaft mit verschiedenen Größen der BankenBanken- und Börsenwelt wurde er 1919 Mitglied des „Board“ einer Lebensversicherung (National Mutual Life Insurance CompanyNational Mutual Life Insurance Company), 1921 dessen Vorsitzender. 1924 wird er zusätzlich Vorsitzender des Independent Investment TrustIndependent Investment Trust. Er managte erfolgreich deren Finanzanlagen, wobei er sehr häufig auf kurzfristige Wechselkursänderungen spekulierte. Auf Grund seines Interesse und seines Geschicks beim Finanzmanagement und bei Börsengeschäften wurde ihm bald die Verantwortung für die Finanzen des King‘s CollegeKing‘s College übertragen.

Eine weitere Einnahmequelle waren die vielen Aufsätze, die er in Zeitschriften und (Wochen-)Zeitungen gegen gutes Honorar veröffentlichte (im Jahre 1923 nicht weniger als 51 Aufsätze).

Ein streitbarer Politökonom (Vom 1. Weltkrieg bis zur Weltwirtschaftskrise)

Berater und Repräsentant des Schatzamtes

AWeltwirtschaftskriseuch für Keynes brachte der 1. Weltkrieg einschneidende Änderungen. Seine fundierten Kenntnisse der internationalen Finanz- und Währungsprobleme veranlassten das britische SchatzamtSchatzamt (die „TreasuryTreasury“), ihn als Berater einzustellen; binnen kurzem war er für die Finanzierung der Kriegsausgaben Großbritanniens und seiner Verbündeten zuständig und steuerte die Verhandlungen über DarlehenDarlehen der USAUSA an GroßbritannienGroßbritannien einerseits und von Großbritannien an die mit ihm verbündeten Staaten auf dem Kontinent andererseits. Sein Überblick und sein Argumentations- und Verhandlungsgeschick ließen ihn rasch zu einer einflussreichen Person im Schatzamt werden.

Keynes schrieb zahlreiche Memoranden und persönliche Briefe, die den Band. 16 seiner „Collected Writings“ (1971ff.) füllen, die lange nach seinem Tod von der „Royal Economic SocietyRoyal Economic Society“ herausgegeben wurden (zur Zitierweise siehe S. 181f).

So war es folgerichtig, dass Keynes nach dem Ende des Krieges in der britischen Delegation als Vertreter des Schatzamtes an der Pariser Friedenskonferenz teilnahm und zum offiziellen Repräsentanten des britischen Empires im „Supreme Economic Council“ bestimmt wurde. Er befasste sich nicht nur mit der Frage der Reparationszahlungen Deutschlands und seiner Verbündeten, sondern auch mit dem Problem, wie mit den Forderungen und Verbindlichkeiten umzugehen sei, die durch die KriegsfinanzierungKriegsfinanzierung zwischen den Allierten entstanden waren.

Keynes kämpfte für einen Friedensschluss, in dem die ReparationenReparationen, die insbesondere DeutschlandDeutschland zu zahlen hatte, auf eine Größenordnung beschränkt wurden, die Deutschland zu leisten in der Lage wäre, ohne dass seine Wirtschaft darunter zusammenbricht.

Nachdem er sich nicht durchsetzen konnte, schied er nach fünf Monaten harter Arbeit am 5. Juni 1919 aus der britischen Delegation aus.

 

Kasten 3: Wichtige Schriften von Keynes bis 1929

Indian Currency and Finance (1913). CW, Vol. 1

Treatise on Probability (1921). CW, Vol. 8

The Economic Consequences of the Peace (1919). CW, Vol.2Deutsch: Die Wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages (1920)

A Revision of the Treaty (1922). CW, Vol. 3Deutsch: Revision des Friedensvertrages (1924)

A Tract on Monetary Reform (1923). CW, Vol. 4Deutsch: Ein Traktat über Währungsform (1924)

Does Employment Need a Drastic Remedy? (1924). CW, Vol. 19,1.

The Economic Consequences of Mr. ChurchillChurchill (1925). CW, Vol. 9Deutsch: Die wirtschaftlichen Folgen von Mr. Churchill (Keynes, 1956)

Am I a Liberal? (1925). CW, Vol. 9Deutsch: Bin ich ein liberaler? In: Reuter, Norbert (2007) sowie in: John Maynard Keynes Ausgewählte Abhandlungen (1956)

Can Lloyd George Do it? (1929). CW, Vol. 9

Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages

Voller Zorn über die Uneinsichtigkeit und teilweise Borniertheit der Siegermächte schrieb Keynes in den vier Monaten nach seinem Ausscheiden das Buch „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrags“ (1919/1920).

Keynes verband seine Analyse mit einer ziemlich drastischen Kritik an den führenden Vertretern der damaligen Siegermächte, insbesondere an Georges ClemenceauClemenceau und an dem US-amerikanischen Präsidenten Woodrow WilsonWilson Das Buch hatte einen immensen Erfolg und machte Keynes mit einem Schlag weltweit berühmt. Schon im Laufe des Jahres 1920 wurde es in 10 Sprachen übersetzt (darunter ins Russische und ins Chinesische); bis 1922 wurden insgesamt 140.000 Exemplare verkauft. Keynes machte sich zugleich bei vielen politisch Verantwortlichen sehr unbeliebt, besonders in FrankreichFrankreich und den USAUSA.

Die deutsche Übersetzung ist eine um ca. ein Viertel gekürzte Fassung. Sie erschien 1920 mit dem Titel „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedenvertrags“ im Verlag Duncker & Humblot. 2006 ist sie unter dem Titel „Krieg und Frieden. Die wirtschaftlichen Folgen des Vertrages von Versailles“ mit einer neuen längeren Einleitung vom Verlag Berenberg (Berlin) erneut veröffentlicht worden.

Die grundsätzliche Einstellung von Keynes zum Friedensvertrag wird aus folgender Passage deutlich: „Durch krankhafte Täuschung und rücksichtsloses Selbstbewußtsein getrieben, stürzte das deutsche Volk die Fundamente, auf denen wir alle lebten und bauten. Aber die Wortführer des französischen und des britischen Volkes haben das Wagnis unternommen, den Umsturz zu vollenden, den DeutschlandDeutschland begann, durch einen Frieden, dessen Verwirklichung das empfindliche, verwickelte, durch den Krieg bereits erschütterte und zerrissene System, auf Grund dessen allein die europäischen Völker arbeiten und leben können, noch weiter zerstören muß, statt es wiederherzustellen.“ (1919/2006, S. 39)

Zur Fundierung seiner Kritik versucht Keynes unter Heranziehung aller Informationen über die Produktion wichtiger Rohstoffe (insbesondere Kohle) und Produkte sowie über den Außenhandel abzuschätzen, welche ReparationsleistungenReparationsleistungen DeutschlandDeutschland maximal erbringen kann. Er unterstreicht, dass Deutschland auf Dauer nur Reparationsleistungen erbringen kann, wenn es entsprechende Überschüsse in der Leistungsbilanz erwirtschaftet, wenn ihm das Ausland mithin genügend hohe Exporte ermöglicht, indem es seine Märkte für deutsche Waren öffnet. Auf solche Überlegungen nimmt der Friedensvertrag von Versailles keine Rücksicht. Stattdessen legten es seine Vorschriften darauf an, Deutschlands Wirtschaft am Boden zu halten – was auch die Prosperität der europäischen Siegermächte beeinträchtigen und die Quelle von Hungersnot und politischer Unruhe sein werde.

Drei Jahre später veröffentlicht Keynes einen Folgeband (Revision of the Treaty, 1922). In diesem Band, von Keynes selbst als Folgeband zu den „Economic Consequences of the Peace“ bezeichnet, konzentriert sich Keynes auf die Entwicklung der Reparationsfrage in den zwei Jahren nach dem Friedensvertrag von Versailles, dessen Bestimmungen er 1919 so heftig kritisiert hatte. Keynes berichtet, dass die ungeklärte Reparationsfrage nach wie vor die politische und ökonomische Situation in Europa belaste, zumal es für DeutschlandDeutschland unmöglich sei, die ursprünglich geforderten Zahlungen zu leisten. Er macht weitreichende Vorschläge, die zu einer drastischen Reduktion der Reparationsforderungen geführt hätten, verbunden mit einem Verzicht der USAUSA und Großbritanniens auf Rückzahlung ihrer im Krieg gewährten Kredite an ihre Verbündeten (USA vor allem an GroßbritannienGroßbritannien, dieses wiederum vor allem an FrankreichFrankreich). Erfolg hatten diese Vorschläge leider nicht.

Daher äußerte sich Keynes weiterhin zur Reparationsfrage und insbesondere zu der Frage, wie und mit welchen Konsequenzen die in deutscher Währung an die Reparationsagenten der Siegermächte geleisteten Zahlungen in Devisen transferiert werden können. Seine Auseinandersetzung mit Bertil Ohlin ist in Band. 11 der Collected Writings nachzulesen und seine sonstigen Artikel, Memoranden und Briefe dazu füllen den Band. 18.

Erst 1931 in der WeltwirtschaftskriseWeltwirtschaftskrise, als es ökonomisch und vor allem politisch zu spät war, wird auf der Konferenz von Lausanne ein Ende der Reparationszahlungen vereinbart.

Keynes nutzte auch in anderen Bereichen sein hohes Renommee, um die öffentliche Meinung und die Entscheidungen der Träger der Wirtschaftspolitik zu beeinflussen. Zu diesem Zweck schrieb er nicht nur zahlreiche Beiträge und Leserbriefe an die führenden Zeitungen, sondern kaufte 1923 zusammen mit Gleichgesinnten die Wochenzeitung „The Nation and AthenaeumNation and Athenäum“, deren Leitung er übernahm und für die er regelmäßig Beiträge schrieb. Zwei Themenkomplexe standen dabei neben der Reparationsfrage im Vordergrund: Zum einen seine Forderung, die Währungspolitik solle zu einem stabilen Preisniveau beitragen; zum anderen die pragmatische Neuausrichtung der liberalen Partei. Diese hatte sich Ende 1918 gespalten, was ihren Niedergang einleitete. Nachdem sie nach den Wahlen 1922 stark geschwächt in die Opposition gehen musste, wurde eine Erneuerung ihres Programms sehr dringlich.

Kampf für eine preisniveaustabilisierende Währungspolitik

Schon in seinem Buch über Indiens Währung und Finanzen hatte die Frage, wie der Außenwert der indischen Rupie im Verhältnis zum PfundPfund und zum GoldGold festgesetzt werden sollte, großen Raum eingenommen. Die entsprechende Frage stellte sich nach dem Kriegsende für das britische Pfund selbst, jetzt im Verhältnis zum Gold und damit zu allen anderen an das Gold gebundene Währungen. GroßbritannienGroßbritannien hatte im 1. Weltkrieg den GoldstandardGoldstandard suspendiert. Viele Politiker strebten dahin zurück, und zwar zur alten Vorkriegsparität, obwohl sich britische Erzeugnisse seitdem stark verteuert hatten.

In seinem „Tract on Monetary Reform“ aus dem Jahre 1923 (in deutsch erschienen als „Ein Traktat über Währungsreform“, München 1924) verabschiedet sich Keynes von der traditionellen Orientierung der Geld- und Währungspolitik am Außenwert der Währung und fordert ihre Ausrichtung am Binnenwert und spricht sich damit für eine Stabilisierung des Preisniveaus aus. Er begründet dies mit den unerwünschten Folgen von InflationInflation und DeflationDeflation:

„Jeder Prozeß, die InflationInflation und die DeflationDeflation in gleicher Weise, hat schwere Schäden angerichtet. Jeder hat eine Wirkung, indem er die Verteilung der Güter auf verschiedene Klassen beeinflußt; und darin ist die Inflation der schlimmere von beiden. Jeder hat auch eine Wirkung, indem er die Erzeugung von Gütern steigert oder hemmt, obschon hier die Deflation die schädlichere ist (1923/1924, S. 4).“

Die InflationInflation schade den Sparern, begünstige die Unternehmen und sei wahrscheinlich vorteilhaft für die Lohnbezieher. Die Ungerechtigkeit gegenüber den Sparern vermindere deren Spartrieb (diesen sieht Keynes damals offenbar noch uneingeschränkt positiv). Die DeflationDeflation dagegen schade vor allem den Unternehmen, die ihre Produktion einschränken, und den Arbeitnehmern, die Arbeitsplätze verlieren.

Im Traktat argumentiert Keynes mit der QuantitätstheorieQuantitätstheorie, derzufolge eine Erhöhung der GeldmengeGeldmenge langfristig zu einem gleich großen Anstieg des Preisniveaus führt: Die mengenmäßige Produktion ist durch die vorhandenen, stets ausgelasteten Ressourcen an Arbeit und Kapital begrenzt, kann also nicht steigen. Auch die von der Bevölkerung und den Unternehmen gewünschte KassenhaltungKassenhaltung in Relation zu ihrem Einkommen ist von der Geldmenge unabhängig. Daher führt eine Verdopplung der Geldmenge auf Dauer zu einer Verdopplung des Preisniveaus (Kasten 4).

Keynes (1923/1924, S. 76) stimmt dieser Aussage als langfristiger Beziehung zu: „Diese Theorie ist grundlegend. Ihre Übereinstimmung mit den Tatsachen ist fraglos“. Er betont aber, dass sie nur langfristig gelte. Kurzfristig könne der Kassenhaltungskoeffizient schwanken, und das müsse bei der politischen Anwendung berücksichtigt werden. Man dürfe sich nicht auf die Langfristbeziehung beschränken. Keynes begründet dies mit seinem berühmtesten Ausspruch (S. 83): „Die lange Sicht ist ein schlechter Führer in bezug auf die laufenden Dinge. Auf lange Sicht sind wir alle tot. Die Volkswirtschaft (-slehre – JK) macht es sich zu leicht und macht ihre Aufgabe zu wertlos, wenn sie in stürmischen Zeiten uns nur sagen kann, daß, nachdem der Sturm lang vorüber ist, der Ozean wieder ruhig sein wird.“

Keynes’ Sorge vor den negativen Folgen einer DeflationDeflation für die Verteilung und für die Beschäftigung führte zu seiner Ablehnung der Pläne, zum GoldstandardGoldstandard und zur Vorkriegsparität des Pfundes gegenüber dem GoldGold zurückzukehren. Dieser Schritt würde nämlich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der britischen Industrie beeinträchtigen. Zwar könne man dies durch eine allgemeine Lohn- und Preissenkung vermeiden. Aber Keynes sah keinen praktischen Weg, eine solche Lohn- und Preissenkung herbeizuführen.

Keynes präsentierte seine Kritik in zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen (nachzulesen im Band. 19 seiner „Collected Writings“). Nachdem Winston ChurchillChurchill als britischer Schatzkanzler trotz der Einwände von Keynes Ende April 1925 die Rückkehr zum GoldstandardGoldstandard und zur Vorkriegsparität angekündigt hatte, fasste Keynes seine Position in drei Artikeln im „Evening Standard“ zusammen, die er unverzüglich auch als Streitschrift im Verlag seiner Bloomsbury-Freunde mit dem provokanten Titel „The Economic Consequences of Mr. Churchill“ veröffentlichte.

Keynes stützte sich vor allem auf ein Argument: Soll die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Industrie erhalten bleiben, müssen die Preise ihrer Produkte gesenkt werden und als Voraussetzung dafür die Löhne. Dafür gäbe es zwei Wege: Entweder müssen Arbeitgeber und Regierung diese gegen die einzelnen Gewerkschaften durchsetzen, ohne dass es eine Garantie für ein faires Ergebnis gibt, oder die Zentralbank verfolgt eine sehr restriktive GeldpolitikGeldpolitik, welche die InvestitionenInvestitionen abwürgt, die ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit erhöht und dadurch den Widerstand der Gewerkschaften schwächt.

Dabei befasste sich Keynes auch mit dem Problem, dass bestimmte Industriezweige (vor allem die metallverarbeitende Industrie) besonders stark betroffen waren, und er beteiligte sich an Plänen zur Umstrukturierung einzelner Branchen (z.B. der Baumwollindustrie) – siehe dazu im Einzelnen den Band. 19 seiner „Collected Writings“.

Keynes machte ChurchillChurchill nicht persönlich verantwortlich, sondern vermutete, dass seine Berater ihn in die Irre geführt hätten. Und warum? Sie unterschätzten das Ausmaß der erforderlichen Preisanpassung und die Schwierigkeit ihrer Durchsetzung. Vor allem aber glaubten sie an die automatische und schnelle Anpassung des Preisniveaus durch eine „gesunde“ Politik der englischen NotenbankNotenbank, wodurch die Kosten in Form höherer ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit gering blieben.

Keynes’ Sorgen erwiesen sich als berechtigt: Zum einen brach alsbald ein langer Streik der Arbeiter im KohlenbergbauKohlenbergbau gegen Lohnkürzungen aus, und zum anderen blieb die ArbeitslosenquoteArbeitslosenquote in GroßbritannienGroßbritannien bis zur WeltwirtschaftskriseWeltwirtschaftskrise ziemlich unverändert bei rund 10 %. Die hohe ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit erwies sich nicht als eine vorübergehende Fehlentwicklung, wie dies von der herrschenden Theorie behauptet wurde. Keynes erkannte dies, aber es sollte noch viele Jahre dauern, bis er seine eigene Theorie zur Erklärung von Arbeitslosigkeit entwickeln konnte (siehe dazu die drei nachfolgenden Kapitel ab S. 33).

Unterstützung der „Liberalen Partei“ bei ihrer programmatischen Erneuerung

LiberaleDie beharrlich hohe ArbeitslosenquoteArbeitslosenquote und die damit verbundenen sozialen Probleme veranlassten Keynes, der als Liberaler zwischen den Konservativen und der Labour-PartyLabour-Party stand, eine Neuausrichtung der Liberalen ParteiLiberale zu fordern. Diese war umso nötiger, als diese Partei ihre frühere Bedeutung in den Wahlen von 1925 völlig verloren hatte.

In einem in der „Liberal Summer School“ im August 1925 gehaltenen Vortrag „Am I a Liberal?“, den er in demselben Monat in zwei Artikeln in „Nation and AthenaeumNation and Athenäum“ veröffentlichte, präsentierte Keynes (1925/2007) seine Vorstellungen von einer erneuerten liberalen Partei: Die Konservative Partei biete ihm nichts. Sie sollte eine Version des Individualkapitalismus entwickeln, die den veränderten Umständen angepasst ist. Dazu sei sie nicht in der Lage: „Die Schwierigkeit liegt … darin, daß die kapitalistischen Anführer in der Geschäftswelt und im Parlament unfähig sind, neue Maßnahmen zum Schutz des Kapitalismus von dem zu unterscheiden, was sie Bolschewismus nennen“ (1925/2007, S. 106). Daher werden notwendige Anpassungen jedenfalls von ihrem reaktionären Flügel abgelehnt.

Bei der „Labour Party“ sehe es nicht besser aus. Sie werde immer einen starken Flügel haben, der den Kapitalismus stürzen will. In GroßbritannienGroßbritannien sei dieser Flügel zahlenmäßig sehr schwach. Trotzdem durchdringt seiner Ansicht nach ihre Philosophie in einer abgeschwächten Form die Arbeiterpartei (ebda, S. 106/7).

Dazwischen sollte – so Keynes – eine Partei existieren, „die unvoreingenommen zwischen den Klassen stehen und frei sein könnte, die Zukunft sowohl unabhängig vom Einfluss des Reaktionismus als auch von dem der Zusammenbruchsdoktrin zu gestalten, die die Grundlage des jeweils anderen ruinieren wollen“ (S. 107). Welche Positionen sollte eine solche liberale Partei vertreten? Sie müsse sich vom altmodischen Individualismus und von Laissez-FaireLaissez-Faire in strenger Form verabschieden und sich den Fragen zuwenden, die heute von vitalem Interesse und vorrangiger Bedeutung sind (Über „The End of Laissez-Faire“ hatte Keynes schon 1924 einen Vortrag gehalten, den er 1926 in der Hogarth-Presse veröffentlichte).

Im Vordergrund stünden fünf Gruppen von Fragen: 1. Friedensfragen (Keynes spricht sich für Pazifismus aus). 2. Rolle und Ordnung des Staates (Keynes spricht sich für halbautonome Körperschaften aus). 3. Geschlechterfragen. (Keynes fordert die Lockerung rigider Gesetze, z.B. bzgl. der Geburtenregelung) 4. Grenzen des Verbots von Rauschmitteln, insbesondere Alkohol und 5. Wirtschaftliche Fragen. Hier fordert Keynes den „Übergang von wirtschaftlicher Anarchie zu einem Regime, das bewusst auf eine Überwachung und Lenkung der wirtschaftlichen Kräfte im Interesse von sozialer GerechtigkeitGerechtigkeit und gesellschaftlicher Stabilität zielt“ (S. 112). Dies „wird enorme technische wie politische Schwierigkeiten mit sich bringen. Dennoch behaupte ich, daß es die wahre Bestimmung des Neuen Liberalismus ist, hier die Lösung zu suchen“ (S. 113).

Einen Ansatz für eine solche Lösung hatte Keynes (1924) in einem Beitrag in der Zeitschrift „The Nation and AthenaeumNation and Athenäum“ skizziert. Dort forderte er zur Bekämpfung der hohen ArbeitslosenquoteArbeitslosenquote eine Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft, um langfristig notwendige InvestitionenInvestitionen zu finanzieren, vor allem in den Bereichen Wohnungsbau, Verkehrsinfrastruktur und Stromversorgung. Auf diese Weise sollen die privaten Finanzmittel, die bislang in den Kauf ausländischer Papiere fließen, in produktive inländische Projekte gelenkt werden, und damit zugleich die Beschäftigung erhöhen.

Die von Keynes angesprochenen Fragen wurden in und außerhalb der liberalen Partei heftig diskutiert. An der Diskussion der wirtschaftlichen Fragen nahm Keynes intensiv teil. Eine Gelegenheit und Notwendigkeit, die von ihm geforderten neuen Maßnahmen und Instrumente zu präzisieren, ergab sich, nachdem Lloyd GeorgeGeorge, der Vorsitzende der Liberalen ParteiLiberale, für die Unterhauswahlen 1929 in seinem Wahlprogramm ein Programm öffentlich finanzierte Maßnahmen vorsah. Dieses sollte jährlich 100 Mio. PfundPfund Sterling kosten und 500.000 Arbeitnehmern eine Beschäftigung verschaffen.

In GroßbritannienGroßbritannien hatte die ArbeitslosenquoteArbeitslosenquote in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg in jedem Jahr (außer 1924) bei oder leicht über 10 % gelegen; im April 1929 entsprach dies 1,14 Mio. Arbeitslosen. Für die Arbeitslosen wurden jährlich Unterstützungen von ca. 50 Mio. PfundPfund Sterling ausgegeben. Angesichts solcher Verschwendung produktiver Ressourcen befürworteten Keynes/HendersonHenderson (1929) unter dem Titel „Can Lloyd GeorgeGeorge do it?“ dieses Programm, und die Autoren wendeten sich gegen die zwei verbreitesten Gegenargumente, nämlich:

Die vom Staat dafür aufgenommenen Finanzmittel verringern nur das Kapitalangebot für die Privaten.

Kreditfinanzierte StaatsausgabenKreditfinanzierte Staatsausgaben führen nur zu InflationInflation.

Das erste Argument entspricht dem ominösen „Treasury ViewTreasury View“, den der britische Schatzkanzler in seiner Budgetrede so formulierte: „Es ist die immer mit Festigkeit vertretene Lehre des Schatzamtes, dass durch Staatsverschuldung und StaatsausgabenStaatsausgaben … sehr wenig zusätzliche Beschäftigung und keine dauerhafte Beschäftigung bewirkt werden kann“ (Keynes/HendersonHenderson, 1929/1956, S. 186).

Dieses Argument entbehre jedoch jeder Grundlage. Dafür spreche schon, dass es auch für kreditfinanzierte InvestitionenInvestitionen der privaten Unternehmen gelten müsste. Dann gäbe es jedoch keinen Weg, durch mehr private Investitionen Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen, was aber niemand behaupte.

In Wirklichkeit gebe es drei Quellen, um ErsparnisseErsparnisse für neue, beschäftigungssteigernde InvestitionenInvestitionen bereitzustellen:

Die Summen, die jetzt für die Arbeitslosenunterstützung ausgegeben werden.

ErsparnisseErsparnisse, die nicht den Weg zu InvestitionenInvestitionen finden, weil die BankenBanken keine entsprechenden Investitionskredite vergeben.

ErsparnisseErsparnisse, die bislang für Auslandskredite verwendet werden.

In der detaillierten Beweisführung zu (Punkt 2) betonen Keynes/HendersonHenderson den Unterschied zwischen SparenSparen und InvestitionenInvestitionen: „Ein Land wird nicht durch die rein negative Handlung einer Person, nicht alles Einkommen für den laufenden Verbrauch auszugeben, bereichert. Bereichert wird es durch die positive Tat des Gebrauchs dieser Ersparnisse zur Vermehrung der Kapitalausrüstungen des Landes“ (ebenda, S. 191).

Hiermit wenden die Autoren sich gegen die auch damals weit verbreitete Gleichsetzung von SparenSparen und Investieren sowie von Sparern und Investoren, obwohl diese zumeist unterschiedliche Personen sind.

Gegen das zweite Argument, kreditfinanzierte StaatsausgabenKreditfinanzierte Staatsausgaben führten nur zu InflationInflation, erwidern Keynes/HendersonHenderson