John Sinclair 2432 - Logan Dee - E-Book

John Sinclair 2432 E-Book

Logan Dee

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Beschreibung

Eine entweihte Kirche. Jahrzehntelang stand sie leer und verlassen. Dann hatte ein alternder Geschäftsmann eine Disco daraus gemacht. Die nannte er ›Black Sabbath‹! Der Name war Programm: düstere Atmosphäre, harte Rock- und Heavy-Metal-Songs, junge Kerle in Lederkluft und Mädchen in verboten kurzen Röcken oder knallengen Jeans! Diese Kirche war kein Haus Gottes mehr! Ältere Semester hätten darin einen Sündenpfuhl gesehen. Die Jugend aber hatte ihren Spaß. Türsteher, die wie Zombies aussahen ... Bardamen, die wie Vampire aufgemacht waren ... Doch das alles war nicht nur Show! Was die jungen Besucher des Black Sabbath nicht ahnten, war, dass das Finstere, das Grausame, das unfassbar Böse hier den Ton angab - und seine knöchernen Klauen nach immer neuen Opfern ausstreckte!


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Seitenzahl: 147

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Der Dämonen-Club

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Der Dämonen-Club

von Logan Dee

Der Zombie fletschte die Zähne, als hätte er die bei‍den jungen Frauen zum Fressen gern.

Ivy zuckte zusammen, als der Untote so unvermittelt in der Tür stand und sich ihnen in den Weg stellte. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre abgehauen.

Aber dann hätte sie sich vor ihrer Freundin Florence total lächerlich gemacht.

Wer hat schon Angst vor fucking Zombies!

What is this that stands before me?Figure in black which points at me.

(Black Sabbath)

Sie, Ivy, fürchtete sich durchaus vor dem lebenden Leichengesocks, das mit Vorliebe frisches Menschenfleisch goutierte.

Sie hatte nichts gegen Vampire einzuwenden, zumal da ein paar echt gut aussehende in diversen Filmen herumgeisterten. Auch nichts gegen Werwölfe, aber die mochte sie schon weniger. Doch seit sie heimlich vor Jahren zusammen mit Florence »Night of the Living Dead« geschaut hatte, waren ihr Zombies total zuwider. Sie träumte sogar von ihnen.

Dennoch bestand kein Grund, sich vor diesem Zombie zu fürchten. Er war ja nicht echt. Oder war seine abblätternde Haut doch keine Maskerade? Unter den Hautfetzen gab es noch eine weitere Schicht. Sie sah wächsern aus. Fast wie Plastik.

Der ist nicht echt, der tut nur so, machte sie sich Mut, zumal Florence ihr Zögern bemerkt hatte und ihr zuzischte: »Was ist denn mit dir? Komm schon!«

»N–nichts.«

»Na also. Kopf hoch, Brüste raus!«

Florence machte es ihr vor, indem sie mit einem Lächeln auch noch die letzten drei Schritte auf den Zombie zuging.

»Roaaar!«, machte er und grinste. »Na, ihr zwei Schnecken. Euch kenn ich doch.«

Er hatte sich ihnen genau in den Weg gestellt und versperrte ihnen somit den Eintritt zum Club. Der hieß ›Black Sabbath‹ – Schwarzer Sabbat –, was ziemlich morbide war.

Denn der Club befand sich in einer alten, aufgegebenen Kirche!

»Dann hast du aber ein verdammt gutes Gedächtnis«, antwortete Florence dem Türsteher-Zombie. »Dabei dachte ich, dass Zombies hirnlose Kreaturen wären.«

»Na ja, an euch zwei erinnere ich mich gut. Ihr seid doch die, die letztes Jahr ihren Schulausweis gefälscht hatten, um sich als Sechzehnjährige auszugeben.«

»Stimmt, und du bist der Typ, der uns nach Hause geschickt hat.«

»Und was sollte mich daran hindern, es wieder zu tun?«

»Äh, wie war das noch mit Zombie-Hirn? Denk mal scharf nach, wenn du noch eins hast!«

Der Zombie tat, als müsse er tatsächlich intensiv nachdenken, und kratzte sich am Kopfschorf. Da er nicht sofort antwortete, zog Florence lässig den Ausweis aus der Gesäßtasche ihrer knallengen Jeans. »Mittlerweile bin ich sechzehn. Und Ivy ist es auch!«

Zwar erst seit einer Woche, aber das musste sie dem Typ ja nicht auf die Nase binden. Außerdem machte es keinen Unterschied.

»Okay, okay, ich glaub's euch ja. Trotzdem kann ich euch nicht reinlassen.«

Florence' dynamischer Auftritt fiel regelrecht in sich zusammen. Hilfesuchend sah sich nach ihrer Freundin um.

Ivy wäre es in der Tat lieber gewesen, wieder nach Hause zurückzufahren. Auch wenn sie sich somit vergeblich auf den Weg gemacht hätten. Ganz zu schweigen von dem Geld für den Bus und der Zeit, die sie verschwendet hätten, um sich aufzustylen.

»Und warum nicht?«, fragte Florence.

»Geschlossene Gesellschaft. Quasi.«

»Quasi? Was heißt das?«

»Na ja ...« Sein Blick saugte sich an Florence' Oberweite fest, die tatsächlich bedeutend üppiger war als Ivys.

Die war eher der knabenhafte Typ. Sie hatte eine zierliche Figur und ein hübsches Gesicht, in dem die großen blauen Augen und der geschwungene Mund hervorstachen. Das blonde Haar trug sie schulterlang.

Sie hatte sich damit abgefunden, dass die Jungs eher auf Florence standen. Jungs interessierten sich halt eher für ›primäre Eigenschaften‹, und von denen hatte Florence durchaus mehr zu bieten. Ihre Figur war bereits voll entwickelt: toller Busen, schmale Taille und ein vielleicht etwas zu üppiger Po. Ihre Gesichtszüge waren eher derb, aber sie verstand es, mit viel Make-up das Beste daraus zu machen.

»Sag nicht, du kannst für uns nicht auch mal 'ne Ausnahme machen?« Florence setzte ihren ›Kleines-Mädchen-Blick‹ auf und zog einen Schmollmund. Normalerweise erreichte sie damit ihr Ziel.

So war es auch diesmal.

»Na schön, ihr könnt rein. Aber nur, wenn ich euch hinterher an der Bar einen Drink spendieren darf.«

Garniert mit K.O.-Tropfen, was?, dachte Ivy.

»Klar doch«, sagte Florence und kl‍imperte mit den Augenlidern. »Dafür sind wir ja hier.«

Der Zombie ging gerade so weit zur Seite, dass sich die beiden Mädchen an ihm vorbeiquetschen mussten. Florence hatte keinerlei Berührungsängste, während sich Ivy zwingen musste und sich so dünn wie möglich machte, um ihn nicht zu streifen.

Er schien ihre Aversion zu spüren, denn gerade, als sie schon glaubte, hindurch zu sein, schob er sich vor und quetschte sie fast ein.

»Auf dich freue ich mich ganz besonders, Baby!«, knurrte er. »Dich hab ich zum Fressen gern.«

Dann ließ er sie wieder frei.

»Kommst du jetzt!«, rief Florence, die schon ein paar Meter voraus war.

Florence schloss zu ihr auf, und beide Mädchen wurden von dem dunklen Schlund, der in die ehemalige Kirche führte, verschluckt.

Beide schauten sie nicht zurück.

Und so entging ihnen der abgrundtief teuflische Blick, den der Türsteher ihnen hinterherwarf.

Teuflisch und – hungrig.

Wenn Sir James persönlich daran interessiert war, dass Suko und ich einen speziellen Fall übernahmen, gab es von uns nicht den geringsten Widerspruch. Auch dann nicht, wenn wir beide an dem Wochenende eigentlich etwas Besseres vorgehabt hatten.

Die Conollys hatten uns und unsere weibliche Begleitung eingeladen, das Wochenende mit ihnen in einem Landhaus außerhalb Londons zu verbringen. Einer von Bills Freunden, der sich auf einer längeren Reise befand, hatte ihm die Schlüssel überlassen. Und da es einfach zu groß für zwei Leute war, hatte Bill vorgeschlagen, Suko und ich sollten doch zum Angeln mitkommen.

Eins ergab das andere, denn Shao wollte das Wochenende nicht allein verbringen. Also wäre auch sie mitgekommen. Und da ich nicht das fünfte Rad am Wagen sein wollte, hatte ich Glenda gefragt, ob sie mich nicht begleiten würde. Schließlich hatte sie viele Qualitäten und konnte nicht nur den weltbesten Kaffee kochen.

Nach unseren Erlebnissen in Aibon hätten Suko und ich dieses Wochenende eigentlich dringend nötig gehabt. Vor allem mir steckten die letzten zwei Tage noch in den Knochen. Ich hatte zwar erfahren, was dieser ominöse ›Hauch von Aibon‹ in mir gewesen war – nämlich ein Überrest des Vampirs Iovan Raduc –, aber irgendetwas war im sogenannten Paradies der Druiden mit mir passiert, an das ich mich nicht erinnern konnte. Raduc, von dem ich nicht mal wusste, ob er noch existierte, hatte behauptet, das wäre auch gut so, denn sonst würde es mich seelisch brechen.

Aber irgendwann würde ich mich erinnern, davon war ich überzeugt ... Und was dann?

Nach allen, was in den letzten Monaten passiert war – Xorron, die Jagd auf den wahnsinnig gewordenen Eisernen Engel, Asmodinas Rückkehr, Harry Stahl, der zum Zombie geworden war, der letzte Exorzist von Aibon und so viel mehr –, hätte es gutgetan, einfach nur mit meinen engsten Freunden ein Bier zu trinken ...

Doch Sir James hatte uns einen Strich durch die Wochenendrechnung gemacht. Das Ende vom Lied war, dass die Ladys schon mal vorgefahren waren, während Suko und ich Richtung Sarehole fuhren. Das ist ein Vorort von Birmingham, und wie Suko mir erzählt hatte, hatte wohl J.R.R. Tolkien, der Schöpfer des »Herrn der Ringe«, ein paar Jahre dort bei seiner Tante gelebt.

Es war Freitagmorgen, und ich hatte den Eindruck, dass mal wieder halb London unterwegs ins vorgezogene Wochenende war. Statt der M1 schlug mir das Navi meines Audis die Route über die M40 vor, die tatsächlich nicht ganz so überlastet war.

Während ich fuhr und mich auf den Verkehr konzentrierte, lümmelte sich Suko ausnahmsweise auf dem Beifahrersitz.

»Was meinst du, John. Schaffen wir's heute wohl noch zurückzufahren? Unsere Ladys würden sich freuen.«

»Keine Ahnung. Bis Sarehole brauchen wir zwei Stunden. Hin und zurück macht vier Stunden. Und wenn wir tatsächlich auf was stoßen, wo unsere Hilfe gebraucht wird, dann ...«

Suko seufzte. »... dann kann auch das ganze Wochenende dabei draufgehen. Ich weiß, John. Ist ja nicht so, dass ich was dagegen habe, aber Shao und ich hatten schon lange kein freies Wochenende mehr für uns. Glaubst du überhaupt, dass da was dran ist, was Sir James uns berichtet hat?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht hat da nur jemand Sorge um seine Enkeltochter. Aber bisher hatte Sir James immer den richtigen Riecher, wenn er der Bitte eines Mitglieds aus seinem Club nachgegeben hat.«

»Da hast du recht. Was wissen wir eigentlich über diesen Jeremiah Blunt?«

»Gehört den Torys an, war bis vor vier Jahren Mitglied des Unterhauses. Hat sich aus Altersgründen von der Politik verabschiedet und wohnt in einer Eigentumswohnung in Croydon. Seine Tochter, die mit ihm gebrochen hat, lebt in Sarehole, zusammen mit seiner siebzehnjährigen Enkelin Emma, zu der er immer noch Kontakt hat und die er abgöttisch liebt. Sie schreibt ihm regelmäßig Briefe, wobei es gerade die letzten Briefe sind, die ihn beunruhigen.«

»Und warum genau?«, fragte Suko.

»Sir James gegenüber äußerte er die Befürchtung, dass seine Enkelin in die Fänge einer Sekte geraten ist, mutmaßlich sogar einer satanischen. Ihre Briefe waren voller dunkler Andeutungen.«

»Verstehe. Und warum ruft er sie nicht einfach an und fragt genauer nach?«

»Er sagt, dass sie den Kontakt zu ihm abgebrochen hat, ebenso wie zuvor schon ihre Mutter. Also hat er Sir James gebeten, für ihn nach dem Rechten zu sehen.«

»Ich will ja nicht darauf herumreiten, John, aber im Gegensatz zu uns hat Sir James ein freies Wochenende. Und das verbringt er wahrscheinlich in seinem Club.«

Ich musste grinsen. »Sei ehrlich, Suko, tauschen möchtest du doch im Leben nicht mit ihm, oder?«

Suko seufzte. »Stimmt, da hast du auch wieder recht. Das wär mir viel zu langweilig, mein Wochenende mit alten Zigarre rauchenden Pavianen in Ledersesseln zu verbringen, die kein anderes Hobby haben, als die Times zu lesen.«

»Billard gespielt wird da auch. Und es soll sogar auf Sir James' Initiative hin neuerdings eine Tischtennisplatte darin geben.«

»Fürchterlich. Dann doch lieber auf nach Sarehole. Wo beginnen wir mit unseren Ermittlungen?«

»Natürlich bei der Enkelin. Die Adresse von ihr und ihrer Mutter hab ich eingespeichert.«

Aber bevor wir dort ankamen, geschah etwas völlig Unerwartetes ...

»Echt krass, der Zombie-Typ«, meinte Florence, während sie und Ivy sich noch immer an das Halbdunkel in dem Eingang gewöhnen mussten.

Einzig die fluoreszierenden Wände bewahrten sie vor völliger Finsternis. Dabei schien es sich um eine völlig neue Lichtquelle zu handeln. Ivy hatte so etwas jedenfalls noch nicht gesehen. Die Lichtfunken in den Wänden waren in ständiger Bewegung, als führten sie ein Eigenleben. Sie tanzten umeinander, glommen auf, um im nächsten Moment wieder zu verlöschen. Wenn man zu lange hinschaute, flimmerte es einem vor den Augen.

»Krass? Ich würde sagen, der ist gefährlich«, entgegnete Ivy. »Und hast du es nicht gerochen?«

»Was soll ich gerochen haben?«

»Der Geruch, der von ihm ausging. Wie von feuchter Friedhofserde.«

»Wie bitte schön riecht denn feuchte Friedhofserde? Wahrscheinlich ist mal wieder deine Fantasie mit dir durchgegangen.«

Das passierte in der Tat öfter. Wobei es Fantasie nicht ganz traf. Es waren eher — Ahnungen. Und sie schienen sich in letzter Zeit immer öfter zu bewahrheiten. Erst letzte Woche war ihr das passiert. Im Sportunterricht.

Die Turnlehrerin hatte die Schülerinnen über einen Bock springen lassen. Als Ivy an der Reihe war, hatte sie gezögert. Ein ungutes Gefühl hatte sie erstarren lassen. Der Bock war ihr wie ein feindliches Wesen vorgekommen, das ihr Übles wollte.

Die Lehrerin, Mrs Walker, war verärgert gewesen, ein paar der Mädchen hatten gelacht und sich lustig über Ivy gemacht. Schließlich hatte Amy sie beiseitegeschoben und Anlauf genommen.

»Nicht!«, hatte Ivy ihr hinterhergeschrien. Aber da war es schon passiert.

Amy hatte sich in vollem Lauf auf den Bock geschwungen. Krachend hatte er unter ihr nachgegeben. Eines der Beine war locker gewesen und hatte sich gelöst. Amy war zu Boden gestürzt und hatte sich dabei den Knöchel gebrochen.

»Woher hast du das gewusst?«, hatte Mrs Walker fassungslos wissen wollen.

Ivy hatte nur mit der Schulter zucken können.

Einige der Mädchen machten sogar sie dafür verantwortlich und behaupteten, sie hätte den Bock manipuliert.

Und jetzt war es wieder da: das Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren würde.

Vielleicht nicht sofort, sondern erst später. Aber es würde seine dunkle Saat heute bereits setzen.

Florence hatte sich von Ivy gelöst und war vorgegangen, während Ivys Blick noch immer von den seltsamen Lichtpünktchen in den Wänden angezogen wurde.

»Jetzt komm endlich!«, rief ihr Florence zu.

Ivy beeilte sich, zu ihr aufzuschließen. Das mulmige Gefühl hatte sich zu einer ganz bestimmten Vorahnung verdichtet. Und zur Gewissheit, dass die Gefahr, die hier irgendwo lauerte, nicht sie betraf, sondern in erster Linie Florence.

Ich muss auf sie aufpassen. Ich bin dafür verantwortlich, dass ihr nichts geschieht!

»Da vorne!«, juchzte Florence und zeigte voraus.

Zuckende, kaleidoskopische Lichteffekte waren dort zu sehen und tauchten den Gang in psychedelische Farben. Dumpfe Bässe waren zu hören, untermalt von schrillen Schreien.

All das verstärkte nur noch Ivys Besorgnis, während Florence bereits im Takt des wummernden Beats mitwippte.

»Echt geil hier, oder?«, rief sie Ivy zu. Dabei musste sie gegen den Lärm anschreien.

Der hohe Geräuschpegel kam nicht nur von der Musik, sondern auch von den Besuchern. Die meisten unterhielten sich lautstark, um sich überhaupt verständigen zu können. Dazwischen waren kreischendes Gelächter, tiefe Grunztöne, deren Ursprung nicht auszumachen war, und weitere undefinierbare Laute zu hören, die zur Kakofonie beitrugen und alles in allem einen Sound fabrizierten, der Ivy einen Schauer nach dem anderen über den Rücken rieseln ließ.

Aber da war noch mehr, was ihr Angst machte: Der ganze Saal lag in Nebelschwaden gehüllt, aus denen, wenn sie sich kurz lichteten, bleiche Gestalten auftauchten, die wie bleiche lebende Tote wirkten – oder Puppen. Nicht so verstümmelt wie der Typ am Eingang, sondern eher so, als wären sie erst vor Kurzem verstorben.

Erst auf den zweiten Blick erkannte Ivy, dass es sich wohl um das Personal handelte. Manche balancierten Tabletts mit Gläsern, andere eilten wie Gespenster vorüber, ohne dass Ivy ihre Funktion zu deuten vermochte.

Der Nebel – war er überhaupt künstlich erzeugt? Obwohl es eigentlich unmöglich war, kam er Ivy wie echt vor. Sie hatte das Gefühl, als ob er mit klammen Fingern über ihre Haut strich.

Von dem ehemaligen Gotteshaus, in dem sich der Club befand, war nichts mehr zu erahnen. Statt Weihrauch nahm Ivy den gleichen Geruch wie bei dem Zombie am Eingang wahr. Statt christlicher Kreuze entdecke sie an den Wänden und auf dem Boden ihr unbekannte Sigillen, deren Anblick allein sie auf eine unbestimmte Art schaudern machte.

Dazwischen hingen alte Konzertposter und andere Erinnerungen an ein glorreiches Rock-Jahrzehnt. Aber es gab auch Skelette und weiteres Gruselzeug.

»Ist das cool hier!«, schrie ihr Florence ins Ohr. »Komm, wir tanzen!«

Nur widerwillig ließ sich Ivy mitziehen. Dabei fragte sie sich, wie man zu der eigentümlichen Musik überhaupt tanzen konnte.

Zu ihrer Verwunderung war die Tanzfläche jedoch brechend voll. Sie mussten sich regelrecht zwischen die schwitzenden Leiber der anderen quetschen, die sich in ihren grotesken Bewegungen geradezu gegenseitig überboten.

Florence versuchte gleich, den Tanzstil der anderen zu imitieren. Dabei schloss sie verzückt die Augen. Ein fast debiles Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Im nächsten Moment verschwand sie hüpfend und springend in der Menge.

Ivy zuckte mit den Schultern und ließ ihre Blicke suchend umherkreisen. In dem Nebel tauchten die aberwitzigsten Gestalten auf und wurden gleich wieder verschluckt. Es war eine eher albtraumhafte Atmosphäre, wie Ivy fand. Nicht nur das Personal wirkte unheimlich, auch die meisten der Gäste hatten sich kostümiert oder zumindest gruselig geschminkt.

Nach wie vor hätte Ivy dem Club am liebsten so schnell wie möglich verlassen. Aber sie konnte Florence nicht allein lassen. Hinterher kam sie hier noch unter die Räder. Außerdem hatte sie nach wie vor das Gefühl einer latenten Gefahr, die vor allem ihrer Freundin drohte.

»Hi, bist du auch zum ersten Mal hier?«

Ivy wäre fast zusammengezuckt, als ihr jemand ins Ohr schrie.

Sie wandte den Kopf und sah sich einem blonden Mädchen gegenüber. Sie war in Ivys Alter, also gerade mal sechzehn. Die kinnlangen Haare umrahmten ihr hübsches Gesicht mit den großen blauen Augen.

Sie trug einen kurzen schwarzen Rock und hohe Wildlederstiefel. Das bauchfreie weiße Top betonte ihre für ihr Alter fast zu üppige Oberweite.

Ivy war sie vom ersten Moment an sympathisch. Das Mädchen passte irgendwie nicht hierher. Genau wie sie.

»Erraten!«, rief Ivy und lächelte sie an. »Und du?«

»Komm mit!« Das Mädchen nahm sie am Arm und zog sie mit sich. Sie führte Ivy in eine stillere Ecke. Tatsächlich war die Geräuschkulisse hier ein wenig gedämmter. Zumindest konnte man sich in normaler Lautstärke unterhalten.

Mittlerweile dröhnte harter Rock aus den Lautsprechern.

»Und was hat dich hierhergetrieben?«, fragte Ivy.

»Mein großer Bruder. Er hat so was von dem Schuppen hier geschwärmt, dass ich neugierig geworden bin.« Sie winkte ab. »Aber das hier ist nicht mein Fall. Und du siehst auch so aus, als würdest du am liebsten gleich wieder verschwinden.«

»Sieht man mir das wirklich an?« Ivy fühlte sich durchschaut.

»Und wie. Ich heiße übrigens Brit. Und du?«

»Ivy.«

»Nett, dich kennenzulernen, Ivy. Bist du allein hergekommen?«

»Nein, mit einer Freundin. Sie ist ganz hin und weg.«

»Wie mein Bruder. Kaum waren wir hier, hat er mich stehen lassen und war verschwunden.« Sie schüttelte sich. »Brrr. Hier laufen ganz schön schräge Typen rum, oder?«

»Kann man wohl sagen.«

Zumindest fühlte sich Ivy nun wohler. Zu zweit würden sie den Abend schon irgendwie durchstehen.

Ivy erfuhr, dass Brit und ihr Bruder extra aus Birmingham gekommen waren.

Obwohl sie immer wieder nach Florence Ausschau hielt, blieb sie verschwunden. Auch Brits Bruder ließ sich nicht blicken.