Joseph Ratzinger - Cornelius Keppeler - E-Book

Joseph Ratzinger E-Book

Cornelius Keppeler

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Beschreibung

In der Theologie des 20. Jahrhunderts gehört Joseph Ratzinger zu den großen Gestalten. Schon als 35-jähriger nimmt er am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Doch seine Karriere als Theologieprofessor endet vorzeitig mit seiner Ernennung zum Bischof. Die entscheidenden Einflussnahmen auf die römisch-katholische Kirche und deren Lehrentwicklung fallen jedoch in die 23 Jahre, in denen Ratzinger Präfekt der Glaubenskongregation war, und in sein 8-jähriges Pontifikat als Benedikt XVI. Diese Vielfalt an Rollen macht eine Rezeption anspruchsvoll – zumal die Abgrenzung zwischen ihnen von Ratzinger immer wieder unterlaufen worden ist. Eine Einordnung dieser Person und ihres Verhaltens ist ein spannendes und herausforderndes Unterfangen.

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Cornelius Keppeler

Joseph Ratzinger

Schlaglichter auf eine Person

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Einführung

Entweltlichung und katholische Soziallehre: Widerspruch oder Konsequenz?

Joseph Ratzinger: Wissenschaftler – Bischof – Präfekt – Papst Problematische Bezüge zwischen unterschiedlichen Rollen

Joseph Ratzinger – ein Zauberlehrling?

Impressum neobooks

Einführung

Joseph Ratzinger

Schlaglichter auf eine Person

Cornelius Keppeler

Theologische Studien

Band 7

Der Untertitel des vorliegenden Buches mag irritieren: »Schlaglichter auf eine Person«. Doch wenn man sich mit Joseph Ratzinger, seinem Werk und seinem Lebensweg beschäftigt, fällt auf, dass er in unterschiedlicher Weise selber für Irritationen gesorgt hat. Am Eindrücklichsten war sicher sein Rückzug aus dem Papstamt.

Der Begriff »Person« hat eine eigene Bedeutungsgeschichte durchlaufen, welche nicht zuletzt in der Trinitätstheologie für manche Auseinandersetzung sorgt. So weist Robert Spaemann daraufhin, dass ursprünglich mit dem lateinischen Begriff persona die Rolle eines Schauspielers in einem Theaterstück gemeint war.1 Insofern wäre mit Blick auf den zweiten Beitrag in diesem Band zu fragen, ob nicht sogar von Schlaglichtern auf mehrere Personen zu sprechen wäre.

Die Diskussion, ob sich Joseph Ratzinger im Laufe seines Wirkens verändert habe, scheint vor diesem Hintergrund ins Leere zu laufen oder mindestens zu kurz zu springen. Denn sie unterschlägt, dass Ratzinger sich in ganz unterschiedlichen Funktionen geäußert hat. Solch eine Frage mag bei Karl Rahner eine Berechtigung haben, da er ein Leben lang seine Beiträge als Wissenschaftler geleistet hat und dementsprechend die Rolle über die Jahre hinweg die gleiche geblieben ist. Dadurch lassen sich vertretene Positionen zu unterschiedlichen Zeiten seines theologischen Schaffens tatsächlich vergleichen, daraus Schlüsse ziehen und Entwicklungslinien feststellen. Bei Ratzinger wird diese Fragestellung jedoch unsinnig, wenn man die Rollen, in denen er sich geäußert hat, unberücksichtigt lässt. Dies macht wiederum seine Rezeption kompliziert und schwierig. Kann man Äußerungen des Theologieprofessors Ratzinger kritisch bewerten, nachdem er zwischenzeitlich Bischof, dann Präfekt der Glaubenskongregation und zuletzt sogar Papst geworden ist, ohne sich kirchenpolitisch zu positionieren? Dem Autor drängte sich jedenfalls der Verdacht auf, dass dies nicht möglich sei, nachdem der Beitrag, der nun (als erster) in diesen Band Eingang gefunden hat, von verschiedenen wissenschaftlichen Zeitschriften abgelehnt wurde.

Der zweite Artikel beschäftigt sich diese Spur weiterführend mit der Fragestellung, ob Joseph Ratzinger selber diese Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Funktionen und Rollen, die er eingenommen und gespielt hat, konsequent durchführt, sie vernachlässigt oder sogar bewusst Unklarheiten schafft und nutzt.

Der dritte Text hat dagegen mehr essayistischen Charakter und stellt die augenzwinkernde Frage, ob nicht die Ballade »Der Zauberlehrling« von Johann Wolfgang von Goethe als passender Interpretationsschlüssel taugt, um die unterschiedlichen Ebenen und Rollen Ratzingers sowie die Entwicklung in seinem Denken und Handeln zusammenhängend zu deuten.

1 Vgl. Spaemann, Robert, Was macht Personen zu Personen?, in: Pech, Justinus C./Schachenmayr, Alkuin (Hrsg.), Zwischen Philosophie und Theologie. Interpretationen zu zentralen fundamentaltheologischen Begriffen, Heiligenkreuz im Wienerwald 32016, 39-53, 41.

Entweltlichung und katholische Soziallehre: Widerspruch oder Konsequenz?

In seiner Rede im Konzerthaus von Freiburg sorgte im Jahr 2011 Papst Benedikt XVI. mit seiner Forderung nach »Entweltlichung« der Kirche für einen Paukenschlag.1 Obwohl im Anschluss größtenteils Konfusion darüber herrschte, was damit eigentlich gemeint sei, bekam das Verhältnis zwischen Kirche und Gesellschaft und damit verbunden die Frage nach dem kirchlichen Selbstverständnis in der theologischen Diskussion wie auch in der innerkirchlichen Auseinandersetzung eine neue Aktualität.2 Im Kontext dieses Disputs stand die Überlegung, die diesem Beitrag zugrunde liegt: Welche gesellschaftliche Rolle kommt der Kirche zu? Darf sie mit ihrer Soziallehre Einfluss auf die Welt nehmen, soll sie es oder widerspräche dies einer entweltlichten Kirche, wenn schon die letzte Kirchenversammlung davon sprach, die „Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“3 anzuerkennen und zu respektieren?

1 Vgl. Benedikt XVI., Die Freiburger Rede, zitiert nach: Cordes, Paul Josef/Lütz, Manfred, Benedikts Vermächtnis und Franziskus‘ Auftrag: Entweltlichung. Eine Streitschrift, Freiburg 2013, 152-158.

2 Vgl. u.a. Alt, Jörg (Hrsg.), Entweltlichung oder Einmischung – wie viel Kirche braucht Gesellschaft?, Würzburg 2013; Koch, Kurt, Entweltlichung und andere Versuche, das Christliche zu retten, Augsburg 2012; Ohly, Christoph/Meiers, Anna Elisabeth (Hrsg.), Entweltlichung der Kirche. Dimensionen eines Auftrags, München 2013.

3Gaudium et spes, Nr. 36.

1. Der Begriff »Entweltlichung«

Benedikt XVI. hat seine Rede in einen konkreten Kontext hinein gesprochen. Sie richtete sich an engagierte Katholiken, denen der damalige Zustand der Kirche schmerzlich bewusst war. Manfred Lütz beschrieb diesen Zustand treffend: „Schon lange gewinnt man den Eindruck, dass die Krise der Kirche in unseren Breitengraden damit zu tun hat, dass von vier Wesensvollzügen der Kirche an der Basis nur noch zwei gelebt werden: Leiturgia (Gottesdienst) – einmal in der Woche Besuch einer Ritusveranstaltung mit Gleichgesinnten – und Koinonia (Gemeinschaft) – einmal im Jahr Pfarrfest, gemeinsames Linsensuppe-Essen mit Gleichgesinnten. Die anderen beiden nach außen gerichteten Wesensvollzüge, Martyria (Bekenntnis) und Diakonia (caritative Liebestätigkeit) sind an bezahlte Fachleute delegiert, da gibt es Zuständige.“1 Vor diesem Hintergrund sind auch die Reaktionen nach der Konzerthausrede zu beurteilen. Denn die Rede wurde „geistreich totgelobt, eifrig totgeschwiegen oder halsbrecherisch uminterpretiert.“2 Die ersten Äußerungen bestätigten die Diagnose Ratzingers, wenn sie ihm unterstellten, er wolle die Kirche in ein Ghetto führen, indem sie sich ihres gesellschaftlichen Engagements zukünftig enthalten solle. Dem Papst ging es aber zunächst um die Identität und das Selbstverständnis der Kirche und erst im zweiten Schritt um die Gestaltung der gesellschaftlichen Positionierung der Kirche.3 So äußerte er sich über mögliche Konsequenzen nicht konkret. Dass die Zuhörer auf ein vermeintlich Gehörtes reagierten, das der Papst aber gar nicht formulierte, sagt mehr über sie selber aus als über Ratzinger.

Der Begriff »Entweltlichung« hat durch die Freiburger Rede in die allgemeine Öffentlichkeit gefunden und führte zu einer kontroversen Auseinandersetzung. Auch wenn ihn Ratzinger schon früher verwendete, hat es doch den Anschein, dass er die Provokation, die in dem Begriff der Entweltlichung steckt, offensichtlich bewusst nutzte, um seine Kritik an den aktuellen Verhältnissen aufrüttelnd zu formulieren. Zwar entwickelte sich in der Folge eine Diskussion darüber, was darunter im Einzelnen zu verstehen sei, doch bieten sowohl die Rede selber wie auch ältere Äußerungen zu dem Thema ein klares Bild.

1 Lütz, Manfred, Die Entweltlichung der Kirche in Deutschland, in: Cordes, Paul Josef/Lütz, Manfred, Benedikts Vermächtnis und Franziskus‘ Auftrag: Entweltlichung. Eine Streitschrift, Freiburg 2013, 109-151, 114f.

2 Ebd., 109.

3 „Er [Ratzinger] wollte wachrütteln und die Ortskirche in Deutschland ermahnen, im Licht des Evangeliums und ihrer geistlichen Sendung über die konkrete Gestalt der Kirche in diesem Land kritisch und kreativ nachzudenken und sich zu fragen, wo sie Strukturen mitschleppt, die inzwischen dysfunktional und zum Ballast für ihre geistliche Sendung geworden sind, ja diese verdunkeln, erdrücken und zu ersticken drohen“, Kasper, Walter, Kirche – in der Welt, nicht von der Welt, in: Erbacher, Jürgen (Hrsg.), Entweltlichung der Kirche? Die Freiburger Rede des Papstes, Freiburg 2012, 34-37, 36.

»Die neuen Heiden und die Kirche« (1958)

Der Begriff der Entweltlichung tauchte bereits in dem Aufsatz »Die neuen Heiden und die Kirche« auf.1 In ihm problematisierte Ratzinger, dass nicht mehr die Heiden bloß außerhalb, sondern auch innerhalb der Kirche zu finden sind.2 Die Ursache hierzu läge darin, dass die Kirche in ihren Anfängen „eine Gemeinschaft von Überzeugten, von Menschen, die eine bestimmte geistige Entscheidung auf sich genommen hatten“3, war, seit dem Mittelalter jedoch mit der „Welt identisch wurde und so Christsein im Grunde keine eigene Entscheidung mehr war, sondern eine politisch-kulturelle Vorgegebenheit.“4 Auf der Grundlage der Diagnose, dass ein erheblicher Anteil der Kirchenmitglieder »neue Heiden« seien, zog Ratzinger bereits Ende der 1950er Jahre – also schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil! – den Schluss, dass es „der Kirche auf die Dauer nicht erspart bleiben [wird], Stück um Stück von dem Schein ihrer Deckung mit der Welt abbauen zu müssen und wieder das zu werden, was sie ist: Gemeinschaft der Glaubenden.“5 Ihm war bewusst, dass dies für den gesellschaftlichen und politischen Einfluss der Kirche negative Konsequenzen haben würde,6 hielt die Entweltlichung jedoch für einen „notwendigen Vorgang“7. Er unterschied dabei drei Ebenen: „Die Ebene des Sakramentalen, die der Glaubensverkündigung und die des persönlich-menschlichen Verhältnisses zwischen Gläubigen und Ungläubigen.“8 Dass auf ihnen der Begriff der Entweltlichung in unterschiedlicher Intensität und verschiedenen Abstufungen angewandt werden muss, versteht sich von selbst. Denn beispielsweise auf der Ebene der Glaubensverkündigung hat die Kirche darauf zu achten, dass sie in ihren Sprachspielen für die Welt anschlussfähig bleibt. Andernfalls bleibt sie mit ihrer Botschaft unverständlich.

1 Vgl. Ratzinger, Joseph, Die neuen Heiden und die Kirche (1958), in: ders., Gesammelte Schriften, Band 8/2: Kirche – Zeichen unter den Völkern. Schriften zur Ekklesiologie und Ökumene, Freiburg 2010, 1143-1158, 1149.

2 „Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst, und gerade das ist das Kennzeichnende sowohl der Kirche unserer Tage wie auch des neuen Heidentums, dass es sich um ein Heidentum in der Kirche handelt und um eine Kirche, in deren Herzen das Heidentum lebt“, ebd., 1143.

3 Ebd., 1145.

4 Ebd.

5 Ebd., 1148.

6 „Freilich wird ein solches Zurücknehmen äußerer Positionen auch einen Verlust an wertvollen Vorteilen bringen, die sich aus der heutigen Verflechtung der Kirche mit der Öffentlichkeit zweifellos ergeben“, ebd., 1149.

7 Ebd.

8 Ebd.

»Weltoffene Kirche?« (1966)

In dem Artikel »Weltoffene Kirche?« rezipierte Ratzinger die Konzilstexte in einer Weise, welche sich gegen Falschinterpretationen und Missverständnisse der darin formulierten Aussagen positionieren wollte. Zwar bemerkte er, dass das Konzil „nicht Entweltlichung, sondern Öffnung zur Welt zum Ziel [hatte]; statt des trennenden und reinigenden Anathema bot es die klärende Interpretation, die selbst im Atheismus noch den verborgenen Trieb zum Christlichen hin erkennt.“1 Doch führte er später aus, dass die „so genannten Neuerer (…) jetzt erst beweisen [müssen und können], dass die von ihnen gewollte Bewegung Erneuerung und nicht ›Verweltlichung‹ war.“2 Ratzinger war es wichtig, zwischen Gott und der Kirche zu unterscheiden. Denn „Gott hat sich geöffnet, sich ›verweltlicht‹: Er hat Fleisch angenommen. Er hat den Ring der trinitarischen Liebe überschritten“3. Daraus dürfe aber keine Verweltlichung der Kirche abgeleitet werden. Die vom Konzil geforderte „Öffnung auf das Fragen der ganzen Menschheit hin, ist nicht Ausdruck eines Verweltlichungswillens, einer billigen Anpassung, sondern drückt letztlich den Rückgriff auf den totalen Sinn der Theologie, d.h. auf ihre missionarische Pflicht hin, aus.“4 Da die Kirche sich als Werkzeug begreift, ist sie sich nicht Selbstzweck, sondern hat ihren Auftrag zu erfüllen, die Welt zu missionieren. Das bedeutet: „Erst die entweltlichte Kirche kann sich auf wahrhaft christliche Weise der Welt zuwenden, nicht um sie für eine Institution mit eigenen Machtansprüchen zu gewinnen, sondern um sie zu sich selbst zu führen, indem sie zu dem führt, von dem jeder Mensch sagen kann: Interior est intimo meo, superior superiori meo – er, der unendlich über mir ist, ist doch so in mir, dass er meine wahre Innerlichkeit ist“5.

1 Ratzinger, Joseph, Weltoffene Kirche? Überlegung zur Struktur des Zweiten Vatikanischen Konzils (1966), in: ders., Gesammelte Schriften, Band 7/2: Zur Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Formulierung – Vermittlung – Deutung, Freiburg 2012, 980-1002, 980.

2 Ebd., 981.

3 Ebd., 982.

4 Ebd., 988.

5 Ebd., 1000.

»Eine Gemeinschaft auf dem Weg« (2005)

Der Begriff »Entweltlichung« erschien in dem Artikel »Eine Gemeinschaft auf dem Weg« zwar nicht explizit, aber Ratzinger beschrieb darin Aspekte davon, die für sein Verständnis dieses Begriffs elementar sind. Er bezog sich auf Michelangelo, der „das eigentlich künstlerische Tun als ein Freilegen, ein Freigeben an – nicht als ein Machen“1 – betrachtete. Dieser Spur folgend erkannte Ratzinger im Macher einen Repräsentanten der Logik der Welt. „Der Macher stellt seine eigene Aktivität über alles. Das beschränkt seinen Horizont auf den Bereich des Fassbaren, das Gegenstand seines Machens werden kann. Er sieht eigentlich nur noch Objekte. Er kann das gar nicht wahrnehmen, was größer ist als er, weil es ja seiner Aktivität eine Grenze setzen würde. Er verengt die Welt ins Empirische hinein; der Mensch wird amputiert.“2 Solch ein Tun „verliert (…) das Mysterium aus den Augen.“3 Für den Einzelnen kann das heißen, „dass jemand ununterbrochen kirchliche Vereinsaktivitäten ausübt und doch kein Christ ist.“4 Und auf die Kirche übertragen bedeutet dies, dass „alles Menschengemachte in der Kirche sich in seinem reinen Dienstcharakter erkennen und zurücktreten [muss] vor dem Eigentlichen.“5 Ratzinger wies mit Bezug auf Bonaventura zudem daraufhin, dass die kirchliche Reform der Entweltlichung aus ablatio als „Entfernen des Uneigentlichen“6 und congregatio als Gemeinschaft des „gegenseitigen Empfanges des Guten und Reinen“7 bestände.8

1 Ratzinger, Joseph, Eine Gemeinschaft auf dem Weg. Von der Kirche und ihrer immerwährenden Erneuerung (2005), in: ders., Gesammelte Schriften, Band 8/2: Kirche – Zeichen unter den Völkern. Schriften zur Ekklesiologie und Ökumene, Freiburg 2010, 1216-1230, 1220.

2 Ebd., 1222.

3 Ebd., 1220.

4 Ebd., 1223.

5 Ebd.

6 Ebd., 1220.

7 Ebd., 1221.

8 Vgl. ebd.

»Die Freiburger Rede« (2011)

Die Rede im Freiburger Konzerthaus, die Benedikt XVI. während seiner Deutschlandreise 2011 hielt, steht mit der Verwendung des Begriffs der Entweltlichung wie gesehen in Kontinuität zu anderen Äußerungen, die teilweise über 50 Jahre alt waren. Der Begriff ist also weder neu, noch eine Schöpfung von ihm selber, worauf beispielsweise Walter Kasper1 oder Thomas Söding2 hingewiesen haben. Er stammt von dem protestantischen Theologen Rudolf Bultmann,3 auch wenn Ratzinger ihn anders inhaltlich füllt. Der Papst verbindet mit ihm keinen Rückzug aus der Welt,4 sondern einen die Kirche ihrem Ursprung und ihrer Sendung verpflichtenden Charakter. Sehr pointiert kommt dies in folgender Aussage zum Ausdruck: „Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein.“5 Demzufolge bewertete Ratzinger Säkularisierungen auch positiv, da die Kirche durch sie gezwungen werde, weltlich zu verarmen und sich auf ihren eigentlichen Auftrag zu konzentrieren, indem sie den Fokus von materiellen Gütern und weltlichem Einfluss auf Gott hin wendet.6

1 Vgl. Kasper, Walter, Kirche – in der Welt, nicht von der Welt, in: Erbacher, Jürgen (Hrsg.), Entweltlichung der Kirche? Die Freiburger Rede des Papstes, Freiburg 2012, 34-37, 34.

2 „Entweltlichung ist deshalb bei Bultmann die Berufung und Bestimmung der Gläubigen zu bewusster Entscheidung, geistiger Freiheit und innerer Unabhängigkeit, bei Papst Benedikt XVI. hingegen die Konzentration der Gläubigen auf die Botschaft des Evangeliums, das Wissen um die übernatürliche Sendung der Kirche und die Einübung der geistlichen Armut, die Jesus in der Bergpredigt seligpreist (Mt 5,3-12)“, Söding, Thomas, In der Welt, nicht von der Welt. Das Kirchenbild der Freiburger Rede Papst Benedikts XVI. im Licht des Neuen Testaments, in: Erbacher, Jürgen (Hrsg.), Entweltlichung der Kirche? Die Freiburger Rede des Papstes, Freiburg 2012, 61-75, 66.

3 „Zum Wesen der Kirche gehört eben dieses: innerhalb der Welt eschatologische, entweltlichte Gemeinde zu sein (…). Sie darf sich durch den Haß der Welt nicht verführen lassen, ihrem Wesen untreu zu werden; sie darf sich nicht für die Weltgeschichte mit Beschlag belegen lassen, sich als Kulturfaktor verstehen, sich in einer ›Synthese‹ mit der Welt zusammenfinden und Frieden mit der Welt machen“, Bultmann, Rudolf, Das Evangelium des Johannes (1941), Tübingen 211986, 389.

4 „Umso mehr ist es wieder an der Zeit, die wahre Entweltlichung zu finden, die Weltlichkeit der Kirche beherzt abzulegen. Das heißt natürlich nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen, sondern das Gegenteil. Eine vom Weltlichen entlastete Kirche vermag gerade auch im sozial-karitativen Bereich den Menschen, den Leidenden wie ihren Helfern, die besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens zu vermitteln“, Benedikt XVI., Die Freiburger Rede, zitiert nach: Cordes, Paul Josef/Lütz, Manfred, Benedikts Vermächtnis und Franziskus‘ Auftrag: Entweltlichung. Eine Streitschrift, Freiburg 2013, 152-158, 157.

5 Ebd., 156.

6 Vgl. ebd., 155f.

Entweltlichung als Überbietung der Welt

»Entweltlichung« heißt für Ratzinger zunächst nicht Rückzug der Kirche aus der Welt, sondern Besinnung auf die eigene kirchliche Identität, um dadurch heilvoll in die Welt hineinwirken zu können.1 Dieses Wirken hat das Ziel einer Vermenschlichung der Welt und ihres gesellschaftlichen Gefüges und Lebens. Die Kirche ist als entweltlichte erst in der Lage, einen Gegenpol zu den Mächten und Strukturen der Welt zu bilden. Denn scheinbar selbstverständliche und vermeintlich unabänderliche Wirkungsweisen können und werden erst durch eine entweltlichte Kirche in Frage gestellt werden. Der Logik der Welt setzt solch eine Kirche dem Evangelium gemäß eine Logik des Glaubens (versus Fakten) und der Liebe (versus Gerechtigkeit) entgegen. Glaube und Liebe sind weltfremd, weil sie durch Transzendenz, Freiheit und Hoffnung qualifiziert sind – Dimensionen, die innerweltlich nur erfahrbar, aber nicht erklärbar sind und von daher das Gewöhnliche und das Alltägliche aufbrechen.

Als ein Symptom der Entweltlichung der Kirche mag auch die Anerkennung der relativen Eigenständigkeit der Kultursachbereiche durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) sein.2 Denn hierin wird deutlich, dass die Gesellschaft als Ganze – mindestens in Europa – nicht mehr mit dem Christentum kongruent wahrgenommen wird, dass sich also die Kirche gewissermaßen aus der Welt zurückgezogen hat bzw. die Welt sich von der Kirche emanzipiert hat.3

»Entweltlichung« ist nicht als Abkehr von der Welt zu verstehen, sondern als bewusste Reflexion darüber, dass es mehr gibt als die Welt, und als bewusstes Verhalten, in dem sich ausdrückt, dass es mehr gibt als die Welt, ein Verhalten also, für das die weltlichen Werte nicht der alleinige Maßstab sind, sondern der Mensch. Da sich insbesondere der Christ nicht diesen weltlichen Beurteilungskriterien einzig bedienen und unterwerfen darf, ergibt sich, dass allein mit dem weltlichen Maß der Mensch nicht zu fassen ist. Liebe, Freiheit oder Selbstlosigkeit sind aus bloß weltlicher Sicht Illusionen, während sie aus christlicher Perspektive zum Sinn des Lebens führen und gehören.

Demzufolge ist Entweltlichung als Überbietung der Welt zu begreifen. Der Begriff »Entweltlichung« ist insofern missverständlich, da es nicht darum geht, die Welt zu verbannen oder das Weltliche zu negieren. Es geht vielmehr darum, nicht beim Weltlichen stehen zu bleiben und sich mit ihm als ausschließlichem Maßstab zufriedenzugeben, sondern in die finstere Logik der Welt das Licht des Evangeliums von Glaube, Hoffnung und Liebe, von Sündenvergebung und Neuanfang zu bringen. Vor diesem Hintergrund kann sich nur eine entweltlichte Kirche glaubwürdig auf die Seite derer stellen, die die Welt nicht sieht, die von der Welt vergessen werden oder die von der Welt nicht gebraucht werden. Diesen Menschen Zuwendung und Zuversicht zu geben, ist konkrete Nachfolge Jesu, der sich primär den Menschen am Rande der Gesellschaft zugewandt hat.4

1 Peter Jonkers hat daraufhin gewiesen, dass der Begriff Entweltlichung von Ratzinger als theologische und nicht als soziologischer Begriff verwendet wurde. Vgl. Jonkers, Peter, Muss die Kirche sich »entweltlichen« um ihre Sendung zu verwirklichen? Zur Position der katholischen Kirche in modernen Gesellschaften, in: Wiertz, Oliver (Hrsg.), Katholische Kirche und Moderne, Münster 2015, 287-321, 288.

2 Vgl. Gaudium et spes, Nr. 36: „Wenn wir unter Autonomie der irdischen Wirklichkeiten verstehen, daß die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften ihre eigenen Gesetze und Werte haben, die der Mensch schrittweise erkennen, gebrauchen und gestalten muß, dann ist es durchaus berechtigt, diese Autonomie zu fordern.“

3 Vgl. zu dieser Entwicklung: Keppeler, Cornelius, Die Laien bei den Kirchenvätern. Impulse für die Reflexion über die Laien in der Kirche von heute und morgen, München 2016.

4 „Offensein für die Anliegen der Welt heißt demnach für die entweltlichte Kirche, die Herrschaft der Liebe Gottes nach dem Evangelium durch Wort und Tat hier und heute zu bezeugen, und dieser Auftrag weist zudem über die gegenwärtige Welt hinaus; denn das gegenwärtige Leben schließt die Verbundenheit mit dem Ewigen Leben ein“, Benedikt XVI., Die Freiburger Rede, zitiert nach: Cordes, Paul Josef/Lütz, Manfred, Benedikts Vermächtnis und Franziskus‘ Auftrag: Entweltlichung. Eine Streitschrift, Freiburg 2013, 152-158, 158.

2. Die katholische Soziallehre

Das erste kirchenamtliche Dokument der katholischen Soziallehre erschien 1891 unter dem Titel »Rerum novarum