Juden gibt es hier nicht - Werner Geissmann - E-Book

Juden gibt es hier nicht E-Book

Werner Geissmann

0,0

Beschreibung

Wie kommt man dazu ein solches Buch zu schreiben? Aufgewachsen in Hägglingen, einem Dorf im Unteren Freiamt (Kanton Aargau, Schweiz), stellte ich mir oft die Frage, woher eigentlich die Geissmann stammen? Warum gibt es deren so viele in Hägglingen? Ein Familienname, der eher selten vorkommt, erscheint hier stark konzentriert. Vor etwa fünf Jahren begann ich mit der Durchsicht der Akten im Staatsarchiv in Aarau und im Stiftsarchiv Beromünster. Da immer mehr interessante und unerwartete Fakten auftauchten, begann ich das Ganze in Buchform zu bringen. Das Buch enthält viele historische Informationen, die über eine Familiengeschichte hinausgehen. Einige Geissmann entdeckte ich zufällig im Elsass. Bis heute sind einige Geissmann in den elsässischen jüdischen Gemeinden aktiv. Wanderten etwa die ersten Geissmann aus dem Elsass ins Freiamt ein? Waren es etwa Juden? So abwegig erschien mir diese Vorstellung nicht, kannte ich doch viele Juden mit Namen wie Libermann, Zucker-mann, Seligmann, Frommann, etc. aus Politik und Literatur. Allein schon diese Vorstellung rief bei Gesprächspartnern heftigen Widerspruch hervor: Die Geissmann seien schon immer hier gewesen, im katholischen Freiamt habe es keine Juden gegeben, Juden hätten kein Land besitzen dürfen, etc. Ich wollte es nun genauer wissen, und stellte folgende These auf: Beim Geschlecht Geissmann handelt es sich um einen jüdischen Familiennamen, die Vorfahren der Geissmann waren zugewanderte Juden. Dieses Buch fasst meine gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Es folgt chronologisch meinen Untersuchungen und Entdeckungen. Ich nehme also heute den Faden auf und ziehe soweit wie möglich. Viele Dokumente, die für den Lesefluss zu ausführlich wären, werden im Anhang zusammengefasst.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 237

Veröffentlichungsjahr: 2019

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bemerkungen zum Autor

Werner Geissmann, Burgstrasse 8, CH-5012 Schönenwerd

Mail: [email protected]

Web: www.judengibteshiernicht.ch

Geburtsdatum: 7.8.1950

Berufliche Aktivität, bis 2014:

Projektleiter im internationalen Infrastrukturanlagenbau.

Weiteres Buch des Autors:

Wildnis im Naturgarten – Ein Naturgartentagebuch

Webseite: www.naturgartentagebuch.ch

ISBN: 9783748163329

Druck und Verlag: BoD Books on demand - Norderstedt

Widmung

Dank an Valerie Girsberger für das Lektorat und die vielfältige historische Unterstützung

Inhalt

Einleitende Bemerkungen

Geissmann in Hägglingen und im Freiamt

1.1 Die Geissmann in Hägglingen

1.1.1 Geschichte und Geographie von Hägglingen

1.1.2 Dorforganisation

1.1.3 Abgaben und Steuern

1.1.4 Kloster Hermetschwil

1.1.5 Ein- und Durchwanderung

1.1.6 Ökonomie

1.1.7 Erstes Erscheinen des Namens «Geissmann» in Hägglingen

1.1.8 Weitere Geschlechter in Hägglingen

1.2 Meine Vorfahren, erforscht anhand der Kirchbücher

1.2.1 Zivilstand

1.2.2 Bodenzins und Zehnten

1.3 Gericht und Militär

1.4 Zuwanderung aus dem Elsass und Handelskontakte

1.4.1 Zuwanderung

1.4.2 Handel

1.5 Juden im Freiamt, in Bremgarten und Mellingen

1.5.1 Bremgarten

1.5.2 Kloster Hermetschwil

1.5.3 Baden

1.5.4 Stift Beromünster

1.5.5 Mellingen

1.5.6 Viehhandel

1.5.7 Steuern von Juden im Freiamt

1.6 Juden im weiteren Umfeld des Freiamts

1.7 Die Haltung des Christentums gegenüber Juden im Mittelalter

Geissmann in Hottwil und den Berner Gebieten

2.1 Hottwil

2.2 Berner Gebiete

Geissmann in Fribourg, der Waadt und Genf

3.1 Geschichte der Juden in der Stadt Fribourg

3.2 Geschichte der Juden im Kanton Waadt

3.3 Geschichte der Juden in der Republik Genf

Geschichte der Juden im Kanton Solothurn

Geissmann im Elsass

5.1 Geschichte des Elsasses

5.2 13. Jahrhundert

5.3 14. Jahrhundert

5.4 15. Jahrhundert

5.5 17. Jahrhundert

5.6 18. Jahrhundert

5.7 19. Jahrhundert

5.8 20. Jahrhundert

5.8.1 Erster Weltkrieg (1914-18)

5.8.2 Aktivitäten in den jüdischen Gemeinden

5.8.3 Zweiter Weltkrieg (1939-45)

5.8.4 Wirtschafliche Aktivitäten

5.8.5 Opfer des Nationalsozialismus

5.8.6 Widerstand

5.8.7 Geissmann im heutigen Elsass

Geissmann in deutschen Gebieten

6.1 13. Jahrhundert

6.2 14. und 15. Jahrhundert

6.3 16. Jahrhundert

6.4 17. Jahrhundert

6.5 18. Jahrhundert

6.6 19. Jahrhundert

6.7 20. Jahrhundert

6.8 21. Jahrhundert

Geissmann in Belgien und Holland

7.1 17. Jahrhundert

7.2 19. Jahrhundert

Geissmann in Polen, der Ukraine, Moldawien, Litauen und Russland

8.1 19. Jahrhundert

8.2 20. Jahrhundert

8.2.1 Opfer des Nationalsozialismus

8.3 21. Jahrhundert

Geissmann in den USA, GB, Australien, Südafrika und Argentinien

9.1 19. Jahrhundert

9.2 20. Jahrhundert

Geissmann in Israel

Bedeutung der Namen Geissmann und Geiss

Schlussfolgerungen und Verifizierung

12.1 Nachtrag DNA

12.2 Nachtrag: Vorfahren meiner Mutter

12.2.1 Lechner

12.2.2 Hauser

12.2.3 Di Consiglio

12.2.4 Dokumente zu Juden im Tirol

Zeitstrahl

Quellen

14.1 Dokumente

14.2 Benützte Archive

Literaturverzeichnis

Einleitende Bemerkungen

Wie kommt man dazu ein solches Buch zu schreiben? Aufgewachsen in Hägglingen, einem Dorf im Unteren Freiamt (Kanton Aargau, Schweiz), stellte ich mir oft die Frage, woher eigentlich die Geissmann stammen? Warum gibt es deren so viele in Hägglingen? Ein Familienname, der eher selten vorkommt, erscheint hier stark konzentriert.

Vor etwa fünf Jahren begann ich mit der Durchsicht der Akten im Staatsarchiv in Aarau und im Stiftsarchiv Beromünster. Da immer mehr interessante und unerwartete Fakten auftauchten, begann ich das Ganze in Buchform zu bringen. Das Buch enthält viele historische Informationen, die über eine Familiengeschichte hinausgehen.

Einige Geissmann entdeckte ich zufällig im Elsass. Bis heute sind einige Geissmann in den elsässischen jüdischen Gemeinden aktiv. Wanderten etwa die ersten Geissmann aus dem Elsass ins Freiamt ein? Waren es etwa Juden? So abwegig erschien mir diese Vorstellung nicht, kannte ich doch viele Juden mit Namen wie Libermann, Zuckermann, Seligmann, Frommann, etc. aus Politik und Literatur.

Allein schon diese Vorstellung rief bei Gesprächspartnern heftigen Widerspruch hervor: Die Geissmann seien schon immer hier gewesen, im katholischen Freiamt habe es keine Juden gegeben, Juden hätten kein Land besitzen dürfen, etc.

Ich wollte es nun genauer wissen, und stellte folgende These auf:

Beim Geschlecht Geissmann handelt es sich um einen jüdischen Familiennamen, die Vorfahren der Geissmann waren zugewanderte Juden.

Dieses Buch fasst meine gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Es folgt chronologisch meinen Untersuchungen und Entdeckungen. Ich nehme also heute den Faden auf und ziehe soweit wie möglich. Viele Dokumente, die für den Lesefluss zu ausführlich wären, werden im Anhang zusammengefasst.

Starten wir mit der Kontrolle, ob der Name Geissmann jüdisch sein kann.

Dies ist schnell geklärt. In der Yad Vashem-Datenbank der Shoa-Opfer in Israel werden bei Eingabe des Namens «Geissmann» 124 Opfer des Nationalsozialismus aufgelistet.1 Bei der Eingabe der Namen «Geiss, -Geis, -Gais, -Geys» werden weitere 48 Opfer aufgeführt.1 Unter dem Namen Geismar (Geissmar) erscheinen 200 Opfer.2 (Anhang, Dokumente Nº1)

Der erste Punkt wäre also geklärt. Aber bereits hier erfolgt der Einwand, das seien doch alles verschiedene Namen. Dem ist folgendes entgegenzuhalten.

Die unterschiedlichen Schreibweisen haben ihren Ursprung in den verschiedenen Sprachen und Dialekten der jeweiligen Aufenthaltsorte. In den Dokumenten finden sich immer wieder für dieselbe Person mehrere Schreibweisen. Dies gilt auch für Geismar.

Beispiele:

Im Jahr 1704 wurde für den Soldaten Peter Geissmann aus Hägglingen in seiner Soldabrechnung im Regiment Castella von Gardehauptmann Zurlauben abschliessend notiert:

«Ist darüber erkehnt, dass er peter geysman disere specificierte rechnung bezallen solle, oder aber mit seinem leib abdienen.»

Weitere Beispiele der Schreibweisen des Namens aus der Acta Zurlauben:

1630 August 12.

Rodel über das «Jnämmen an Sigelgeldt3, eingezogen under dem Landvogt der Freien Ämter, Peter Trinkler von Joannis 1629 biss uff 1630», aufgezeichnet vom Landschreiber daselbst, Beat Zurlauben4:

«Kauffbrieff wernj Meyers undt Ulin geyssman umb 125 gl. 20 ss.»5

1647 Dezember 12.

Verzeichnis der «Thaler Zedell», ausgefertigt von der Landschreiberei der Freien Ämter6:

«Ruedi Gaisman gegen Vogt Jöri das Er sein beystandt sein solle.»

1701

Verzeichnis der «seith Joanni Bapt.ae 1701 an Sigelltax under Maior, dem bis Mitte 1701 amtierenden Lanttvogt der Freien Ämter, Beat Jakob II. Zurlaubens Sigill eingenommen», aufgezeichnet vom Landschreiber daselbst, Beat Josef Leonz Meyenberg7:

«20 kauff 300 gl. iagle geyssman

20 Tausch 100 gl. bernart seyller

1 Gült 100 gl. hans, thoman, undt Johann süess»8

Es gibt noch viele weiterer Beispiele; für das Verständnis der wechselhaften Namensschreibweisen ist dies aber ausreichend.

Beginnen wir als Einstieg mit der Geschichte von Hägglingen in den Unteren Freien Ämtern.

1 (Yad Vashem, Central Database of Shoa Victims 2014) Central Database of Shoa Victims Names

2 (Yad Vashem, Central Database of Shoa Victims 2014) Central Database of Shoa Victims Names

3 Kanzleitaxe

4 (Acta Helvetica 2006) Band 135 - 174

6 (Acta Helvetica 2006) Band 59 – 32B

7 (Acta Helvetica 2006) Band 148 - 135

8 Interessant hier: drei Männer Süss, dies war ein gebräuchlicher jüdischer Name

1. Geissmann in Hägglingen und im Freiamt

1.1 Die Geissmann in Hägglingen

Bildersturm: Kirche Hägglingen 1529

Das obige Dokument stammt aus den Anfängen des reformierten Bildersturmes, den die Unterfreiämter unter dem Schutz Zürichs am 24. Mai 1529 unternahmen. Nach der Niederlage der Reformierten im Zweiten Kappelerkrieg von 1531 liess Zürich die Freiämter fallen. Sie wurden den katholischen Orten zur Bestrafung und Rekatholisierung überwiesen.9 Über dieses Ereignis wurde im Unterricht in meiner Schulzeit nie gesprochen; es kam auch in den Schulbüchern nicht vor. Ich stelle dies hier an den Anfang, um darauf aufmerksam zu machen, dass Geschichtsschreibung immer auch die Sicht der Sieger ist.

1.1.1 Geschichte und Geographie von Hägglingen

Hägglingen liegt auf einer Endmoräne des Reussgletschers, der sich in der Würmeiszeit (vor etwa 150'000 bis 10'000 Jahren) im heutigen Kanton Aargau bis etwa nach Othmarsingen erstreckte. 10 Die Schmelzwasser flossen einerseits über Hägglingen bis nach Wohlenschwil und andererseits über Ammerswil in Richtung Lenzburg.

Es finden sich nur spärliche Spuren aus römischer Besatzungszeit. Die nächste turmbewehrte, römische Niederlassung befand sich in Lenzburg. Hägglingen war durchwegs mit Wald bedeckt, der ab dem 7. Jahrhundert von den einrückenden Alemannen teilweise gerodet wurde11.

Der Name Hägglingen stammt aus dem Alemannischen, im Althochdeutsch bedeutete «Hag» Hain oder göttergeheiligter Wald. Hägglingen bedeutet also «Hof der Nachkommen Hackilo’s der beim Haine wohnte».12 Einen starken Einwanderungsschub von nördlich des Rheins gab es nochmals im 9. Jahrhundert.

Missionare wie die Mönche aus Säckingen, die sich in Staufen und Lenzburg niederliessen, und die Chorherren aus Basel, Solothurn und Zürich begannen im frühen Mittelalter mit dem Bau von Kirchen. In Hägglingen wurde im Jahr 970 die erste Kirche in Holzbauweise erbaut.

Im Jahr 1036 schenkte der Graf Ulrich von Lenzburg die Kirche und den Meyerhof dem Stift Beromünster.13 An das Stift Beromünster hatte die Kirche gemäss dem Kellerbuche des Stiftes 10 Malter14 Dinkel, 6 Malter Hafer, 1 Malter Hülsenfrüchte, 1 Hubschwein, 3 Hammelschweine und ein Schwein auf Weihnachten zu liefern.15

«Hacklinge» wurde von den Kaisern, Heinrich III. im Jahre 1045 und Friedrich I. im Jahre 1173 in ihren Schutz genommen. Kaiser Friedrich I. bestätigte dies am 7. März 1173.16

Freie Ämter unter der Eidgenossenschaft 1435-179817

Das Grundeigentum gehörte von 1300 bis 1700 verschiedenen Klöstern und Feudalherren. Es waren dies:

Chorherrenstift Beromünster

Kloster Königsfelden

Kloster Muri (deren Besitzungen gingen im 14.Jh. ans Kloster Hermetschwil)

Kloster Hermetschwil

Herren von Hallwyl

Haus Habsburg

In den Jahren 1303–1308 liess König Albrecht das Habsburgische Urbar18 erstellen, um den habsburgischen Besitz zu sichern und für die künftige Bildung eines erblichen Fürstentums zusammenzufassen. In diesem Dokument wird in Hägglingen folgendes ausgewiesen:

«Ze Heggelingen lit eines Schupos

19

, du Jacobs von Mure was, du gilt 4,5 mut kernen

20

und 1 malter habern

21

. Du herschaft hat da ze richtenne dub und vrefel.»

Die von Mure hatten also eine grundherrschaftliche Funktion in Hägglingen und richteten über «dub und frevel» (Diebstahl und Vergehen gegen Leib und Leben). Die von Mure mussten nicht nur den Habsburgern zinsen, sie erscheinen auch im Urbar I von 1309 des Frauenklosters Hermetschwil22, weil sie auch nach dort zinspflichtig waren. Geissmann scheinen zu jener Zeit noch nicht in Hägglingen gelebt zu haben, da sie in beiden Urbaren nicht erwähnt werden. Vogt über Hägglingen war unter den Habsburgern Ritter Hans von Hallwyl. Im Jahr 1380 wurde eine Erneuerungsurkunde von Herzog Leupolt erstellt, da die alten Dokumente bei einem Brand vernichtet worden waren. In dieser Urkunde, in der das Haus Österreich seine Lehen an die Herren von Hallwyl auflistete, werden «das Dorf Hägglingen und der Meyerhof darselbst» erwähnt.23

Das Hochgericht wurde bis 1415 von den Habsburgern ausgeübt. 1415 kam Hägglingen in eidgenössischen Besitz und wurde dem Amtsgericht Wohlenschwil zugeteilt. Von 1435 bis 1712 war Hägglingen selber Amt.24

Wasserschloss Hallwil25

1.1.2 Dorforganisation

Im Buch von Ernst Meyer werden die Eigentums- und Besitzverhältnisse ausführlich beschrieben; dazu nachfolgend einige Auszüge: 26

«…zuerst besass aber der Einzelne kein Grundeigentum….die Magistraten und Principes wiesen das in Kollektiveigentum stehende Land ….jährlich zur Nutzung zu…jeder Ansiedlungsfamilie wurde bei der Gründung des Dorfes ein umzäunter Platz ….zugewiesen….alles um das Dorf bebaute Land bildete die Feldflur….die Feldflur stand im Eigentum des ganzen Verbandes…das grösste Stück der Landgenossenschaft bildete die Allmend, bestehend aus Wald, Weide und Gewässern….Nutzungsrecht nicht Eigentum…1460 bildeten Wohlenschwil, Hägglingen, Nesselnbach,Tägerig und Mellingen eine Markgenossenschaft…regelmässige Versammlungen …Annahme neuer Genossen….»

Es gab drei Gemeindetypen:

Freie Markgemeinden

Hofgemeinden, die nur aus Leibeigenen bestanden (z.B. Muri, Althäusern)

Gemischte Markgemeinden mit freien Höfen und Fronhöfen

Zentrum jeder Herrschaft bildete der Herrenhof, der Sitz des Grundherrn oder eines Beamten (sog. Meyerhöfe).

Am Anfang beruhte die Mitgliedschaft in der Markgenossenschaft auf der Grundlage der Mitbeteiligung an der Ansiedelung, später aufgrund von Abstammung oder Aufnahme. Wie Meyer schreibt27, erfolgte die Aufnahme formlos, erforderlich waren lediglich Besitzerwerb und eine von niemandem widersprochene Zuwanderung. Gemeindegenossen waren die Grundbesitzer, die Freien und die von den Grundherren belehnten Anwohner. Mit der Bevölkerungszunahme kam es dann zu Problemen, zum Beispiel wegen Übernutzung der Allmend oder des Waldes. Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts erliessen die Landvögte deshalb Waldordnungen. Die Jagd war das Recht des Landvogtes.

In Hägglingen und auch in den meisten anderen Gemeinden musste ein Einzugsgeld gezahlt werden.

1.1.3 Abgaben und Steuern

Viele Abgaben gingen nicht an die Eidgenossen, sondern an Kirchen, Klöster und weltliche Herren. Es waren dies Überreste aus Feudalzeiten. Die wichtigsten Abgaben waren:28

Fallrecht

Im Todesfall ging das beste Stück Vieh oder das beste Kleid des Verstorbenen an die Herrschaft.

Frondienste

Viele Untertanen waren zu Fronarbeiten verpflichtet (1–3 Arbeitstage pro Jahr).

Wohnsitznahme / Einzug

Das Einzugsgeld betrug in Boswil 100 gl 2930In Mellingen im 16. Jh. 1 bis 6 Pfund 3132

Abzug / Wegzug

Wer im Freiamt zum Beispiel ins Ausland wegzog, der musste auf sein Gut 20% des Wertes an Steuern zahlen. Im eidgenössischen Gebiet betrug diese Taxe 5%.

Futterhaber

Ursprünglich die Verpflichtung, beim Auftritt des Landvogtes im Dorf für dessen Unterhalt zu sorgen. Laut Urbar von 1634 hatte der Meierhof in Hägglingen die Verpflichtung, den Landvogt zweimal im Jahr zu Dritt einen Tag und zwei Nächte zu halten. Später hatten die Gemeinden des unteren Freiamtes jährlich 22 Malter 33 Hafer zu zinsen.

Vogthühner

Sämtliche Haushaltungen hatten dem Landvogt und den niederen Gerichtsherren jedes Jahr je ein Huhn zu zahlen.

Zehnten

Mit nur wenigen Ausnahmen (Meierhof in Hägglingen) hatten alle den zehnten Teil des Ertrages des angebauten Landes abzuliefern. In Hägglingen ging der Zehnte an folgende Grundeigentümer:
Chorherrenstift BeromünsterKloster KönigsfeldenKloster Muri (deren Besitzungen gingen im 14.Jh. ans Kloster Hermetschwil)Kloster Hermetschwil34Herren von Hallwyl

Ehrschatz

Eine Handänderungsgebühr, die bei Kauf, Tausch etc. fällig wurde.

Vogtsteuer

Heuzehnter

Siehe Kapitel 1.2.6

Bodenzinsen

Alljährlich fällige Zahlung an den Gutsverleiher (siehe Tabelle «Zehnten»)

1.1.4 Kloster Hermetschwil

In ihrer Dissertation zum an der Reuss gelegenen Frauenkloster Hermetschwil, das ein ‚Ableger‘ des Klosters Muri war, zitiert Annemarie Dubler aus dem Urbar I.35 Anno 1309 waren folgende Einwohner von Hägglingen nach Hermetschwil zinspflichtig:

Die

Wildin

von der Hilflerren gut

Rudi von Wile

von der schuppus

Die von Mure

von Hägglingen

Hadi von Wile

36

Uli Winggen

Peters

gut von Anglikon

Hemmas Kilchmeyerin

Des

Hoptingers

gut, da die kint von Rüti uff sitzzent

Rudi Roregger

Hübschers

Uli Nuggo

Seite eines mittelalterlichen Gebetsbuches des Benediktinerinnenklosters Hermetschwil37

1.1.5 Ein- und Durchwanderung

Juden mussten also das Zehnfache an Schirmgeld bezahlen. Für nicht streng gläubige Juden bestand also ein offensichtlicher Anreiz zu konvertieren - oder sich einfach als Christ auszugeben. Juden mussten aus religiösen Gründen zwar einen Spitzhut tragen, wurde der aber abgezogen, waren sie an ihrer Kleidung nicht mehr erkennbar. Dazu gab es von den Rabbinern immer wieder Reklamationen, weil der Spitzhut nicht getragen wurde.Der nahe gelegenen Stadt Bremgarten war 1375 von Herzog Leopold das Recht erteilt worden, alle Leute zu Bürgern zu nehmen, die sich beim Herzog loskauften. Auf dem Land konnten sie dennoch ansässig bleiben, mussten als Stadtbürger dort aber keine Steuern mehr zahlen.40 Diese Option stand auch den Juden offen, ist aber wegen Verlusts der Dokumente im Archiv der Synagoge von Bremgarten (Brand im Jahre 1382) nicht mehr nachweisbar.

1.1.6 Ökonomie

Die Leute bestritten ihren Lebensunterhalt mit Aktivitäten in Land- und Forstwirtschaft und im Kleingewerbe. Obwohl das Kloster Muri nur wenig Land in Hägglingen besass, laut der Acta Murensia41 in der Abschrift von 1406, eine Hube42, war deren Einfluss in der Organisation der Landwirtschaft bestimmend.43 Hägglingen war Teil eines ausgedehnten Agrarraumes, dem Mittelland. Seit dem 8. Jahrhundert wurde auch Getreideanbau betrieben. Hauptnahrungsmittel war das Brot; aus minderwertigen Getreidesorten wurde der ,Brei’ hergestellt. Die Ackerflächen waren in Zelgen zusammengeschlossen. Im ersten Jahr trug die Zelge im Frühling das Sommergetreide, nach der Ernte war sie dem Weidegang des Viehs geöffnet. Im nächsten Jahr lag diese Zelge brach, d.h. sie wurde im Frühling, im Juni und im Herbst je einmal gepflügt. Danach wurde das Wintergetreide angesät, das eigentliche Brotgetreide. Dieser starre Turnus war nötig, weil die Felder der einzelnen Bauern zerstreut lagen, und der Zugang nur gewährleistet war, wenn alle dieselbe Getreideart zur selben Zeit anbauten.44 Um sich eine Vorstellung vom Getreideertrag zu machen, ziehe ich die von Vaclav Smil45 zitierten Berechnungen aus dem England des 14. Jahrhunderts bei. Der Ertrag betrug ca. 500 kg pro Hektare. Das war gerade einmal ein Zehntel des heutigen Ertrages in der Schweiz von 5000 kg pro Hektare.46

Im hügeligen Hägglingen spielte die Viehwirtschaft sicherlich eine grössere Rolle als im Tal. Man muss aber bedenken, dass für den Betrieb eines Hofes in jedem Fall Vieh benötigt wurde, in erster Linie als Zugtiere, aber auch für die Fleischversorgung. Für drei Einheiten Ackerland wurde deshalb mindestens eine Einheit Wiesland benötigt.47 Zum Vieh gehörten auch Viehhändler, worunter viele Juden waren (siehe hinten). Der Anbau von Kartoffeln erfolgte übrigens im Freiamt ab dem Jahr 1720.

Ohne einen eigenen Hof war ein Leben im Dorf kaum möglich. Auch Berufsleute wie Küfer, Viehhändler etc. besassen eigene Höfe. Durch Erbteilungen wurde die Lage wegen der vielen Kinder schwieriger. So war man im 18. Jahrhundert froh, mit Heimarbeit und Zulieferarbeiten für die aufkommende Strohflechterei einen (zusätzlichen) Verdienst zu finden.

Mit dem Anwachsen der Bevölkerung stieg der Druck auf den Wald. Bau- und Brennholz wurden immer knapper. Dem Tagsatzungs-Abschied von 1784 zufolge wurde in den Freiämter Gemeinden eine Bestandesaufnahme angeordnet. Für Hägglingen wird gemeldet: «Ist in Ansehung des Brennholzes so beschaffen, so dass solches zur grösten nothwenndigkeit hinreichet, beträffend das Bauholz, so hat diese durch die Zeit häro entstandene leidige feuersbrunsten so stark gelitten, dass die gemeind dermal völloig daran entblöst ist».48

1.1.7 Erstes Erscheinen des Namens «Geissmann» in Hägglingen

Die Herren von Hallwyl sahen sich nach dem Einzug der Eidgenossen gezwungen, ihr Grundeigentum in Hägglingen mit dem zugehörigen Meyerhof an die Eidgenossen um ca. 1420 zu verkaufen.

Parzellenplan des Meyerhoflandes im Stiftsarchiv Beromünster

Seither hiess er Eidgenossen-Hof oder Sechs-Orten-Meyerhof. Am 23. November 1436 wurde der Hof an den Meyer verkauft. Im Kaufbrief von 1436 wurden der Hof und sein Umfang beschrieben:

«… stosst oben an die Rosschwetti an Bach vnnd an des Schmidts guetter, vnden an Marx Nottinger genannt Geissmanns guetter, so der Stft Zehnden geben …»49

In der Interpretation dieser Beschreibung unterliegt Dr. Berckhum-Meyer einem Irrtum. Er liest im Text von einem «Marx Nottinger genannt Geissmann» und verwendet im Buch nun durchwegs diese Namensnennung. Eine solche Person hat es aber nach dem obigen Text nicht gegeben. Der Text sagt, dass das Meyerhofland unten an Marx Nottinger anstösst. Dieses Land von Marx Nottinger wird im Text «Geissmanns guetter» genannt. So wurde es wohl genannt, weil es wahrscheinlich früher ein Geissmann besessen hat. Daraus folgt, dass ein Geissmann vor 1436 bereits Land in Hägglingen besass.

Im Archiv des Chorherrenstifts in Beromünster finden sich diverse Unterlagen zu Auseinandersetzungen zwischen dem Stift und «denen von Hegglingen». Wie üblich ging es dabei meistens um Geld. So vertrat ein Rudi Geiss (auch «Rudi von Geis»)50«die von Hegglingen» bei der Tagsatzung der Eidgenossen zu Zürich im Jahr 1463, um sich eine Bestätigung über den Erhalt einer Zahlung des Chorherrenstiftes Beromünster an den Bau des Kirchturms in Hägglingen ausstellen zu lassen. Ein Auszug aus der übersetzten Abschrift des Originaltextes aus dem Archiv des Chorherrenstifts Beromünster (siehe Anhang, Dokument Nr. 16) lautet:

«Revers – Schrift»

«Geiss und Schnider beide von Hägglingen geben den Erhalt von 80 Pfund vom Chorherrenstift für den Kirchenbau bekannt, und lassen sich von der Tagsatzung der Eidgenossen zu Zürich eine Quittung ausstellen.

Anno 1463

Wir Rudi Geiss und Leni Schnider, beide von Hägglingen bekennen mit diesem Brief, mit ihren Kirchgenossen vom Chorherrenstift Beromünster 80 Pfund für den Bau des Kirchturms erhalten zu haben. Die Chorherren waren der Ansicht, keine Zahlungspflicht zu haben. Die Zahlung erfolgte, ohne dass daraus ein Recht abgeleitet werden könnte.»

Revers–Schrift aus dem Jahr 1463

Am 13. Januar 1517 kaufte Rudolf Geissmann den Meyerhof. Bereits drei Jahre später, im Jahr 1520, kam es zu einem Streit zwischen dem neuen Eigentümer des Meyerhofs, Rudolf Geissmann, und dem Stift Beromünster. Ursache war die Weigerung von Rudolf Geissmann, einen Zehnten an das Stift zu zahlen. Der Fall wurde bis ans Gericht der Sechs Orte (Tagsatzungsgericht) in Baden weitergezogen. Das Gericht entschied zugunsten des Besitzers des Meyerhofs: der Hof wurde als zehntenfrei, aber für sich selber als zehntenbezugsberechtigt erklärt.51

Bei meinen eigenen Recherchen im Stiftsarchiv von Beromünster fand ich die Abschrift des Entscheids der Eidgenossen von 1521, besiegelt von Henricus Rubli vom Rat Zürich, durch Abraham Schatt (Anno 1528). Es ist die Rede von «unserem lieben und getreuen Rudolph Geismann». 52 Ein Auszug aus der übersetzten Abschrift des Originaltextes aus dem Archiv des Chorherrenstifts Beromünster (siehe Anhang, Dokument Nr. 17) lautet:

«Entscheid der Eidgenossen, ob der Hof von Rudolf Geissmann zehntenpflichtig sei.

Anno 1521

Wir die sechs Orte der Eidgenossen: Zürich, Luzern, Schwitz, Unterwalden, Zug und Glarus, versammelt in Baden entscheiden mit diesem Brief. Es haben sich Missverständnisse zwischen den ‘ Ehrwürdigen, wohlgelehrten und ehrsamen Herren der Stift Münster’ und ‘unserem lieben und getreuen Rudolph Geismann’ wegen des Zehnten des Geissmann-Hof ergeben. Urteil: ‘Rudolph Geissmann solle von den Herren der Stifft zu Münster von Zehnten (Steuern), für seinen Hoff ledig sein, jetzt und hienach und ihnen deshalb weiter nicht zu antworten haben.»

1661 verkauften die Gebrüder Geissmann zweier Geschlechtslinien ihre Zehnten einer Anzahl Güter an Probst und Kapitel Beromünster.53

Im Archiv des Stiftes findet sich ein Lehensbrief zum Meyerhof an Baltasar Schmid, datiert 1660.54 Das Dokument findet sich im Anhang, Dokument Nr. 2.

Stift Beromünster – Merianstich von 1642

Abschrift des Entscheids der Eidgenossen von 1521 «Geissmann contra Stift Beromünster»

1.1.8 Weitere Geschlechter in Hägglingen

Im Staatsarchiv in Aarau findet sich unter der Nummer 4669 im Merz–Repertorium eine Liste mit den Geschlechtern zu Hägglingen am Ende des 17. Jahrhunderts. Das Urbar ist allerdings von Merz handschriftlich mit 1586 datiert. In einer Abschrift des Urbars von ca. 1650 erscheint diese Liste erneut. Folgende Geschlechter sind erwähnt:

Borner

Geissmann

Huber von Büblikon

Hochstrasser

Hübscher

Köchlin

Meyer

Rüttimann

Schmid

Schwob

Wassmer

4 weitere Geschlechter die ich nicht entziffern kann

Bei den von mir kursiv hervorgehobenen Namen handelt es sich um solche, die auch bei den Juden üblich waren. Von 15 Geschlechternamen sind das deren vier - bemerkenswert für eine Region, in der es keine Juden gegeben haben soll.

Urbar 1586 – Geschlechter in Hägglingen

Zusammenfassung: Das Geschlecht Geissmann ist in Hägglingen seit dem frühen 15. Jahrhundert nachgewiesen.55 Mehrere Familiennamen, die eindeutig auch von Juden getragen wurden, kommen vor. Interessant ist auch eine Eheschliessung im Jahr 1698 zwischen der Witwe Elisabetha Geissmann und dem Witwer Joanes Schwob. Die beiden Verlobten waren nach kirchlichem Recht zu nahe miteinander verwandt und benötigten deshalb eine Dispensation der Kirche, die erteilt wurde.56

Urkunde aus dem Kirchbuch 01 Hägglingen – Jahr 1639

«post impetrabas dispensationis litteras supra consanguinitatis gradum in facie ecclesia sacramentalem matrimonis contractum inierunt vidua Elisabetha Geissmann et viduus Joanes Schwob »

Daraus wird ersichtlich, dass die beiden Geschlechter bereits Mitte des 17. Jahrhunderts untereinander heirateten. Als Zeuge trat auch der Untervogt Jacobus Geissmann auf. Wie wohl alle Einwohner zu der Zeit waren die Geissmann und Schwob dem christlichen Glauben eingeordnet. Das Thema Konvertierung von Juden wird im Laufe des Buches noch ausführlich behandelt. Diese hätte ja erfolgen müssen, wenn meine These zutreffen würde.

Eine Fundgrube mit Informationen sind die Abrechnungen der Landschreiberei der Freien Ämter. So sehen wir im folgenden Eintrag, dass die Geissmann und Schwob auch im Jahr 1625 dort lebten.

1625

Abrechnung des Landschreibers der Freien Ämter, Beat II Zurlauben57 (Hervorhebungen durch den Autor):

Waltenschwyl wegen Bremgarten:

Söllent umb den spruch leggen:

6 Kr.

58

Büttigkher Knaben [=Dorfgenossen von Büttikon].

20 Kr: Jtem wegen

Ruodj Schwaben

[=Schwab, von Dottikon?]

7 Kr.

Was Jn [Unter]vogt[s des Amtes Hägglingen]

H[an]s Martins [Saxer] huss [in Hägglingen] verzehrt soll

Hans Geissman

[n]

[aus dem Amt Hägglingen] geben.

Jtem Letze ussgeben H Landtvogts 2 d[ienern?]

Jns herren huss Jtem Jch

4 bz.

59

Jtem Hr landtvogt Jn Hans Martis [Saxer]

Hus

10 bz.

Wider fragen wegen der 20 Jucharten acher die ich nit finden khan.

Fünf Jahre später, im Jahr 1630, stifteten Rudolf Geissmann und dessen Söhne Ulrich und Rudolf ein Wegkreuz, das bei der Kirche aufgestellt wurde.60

Da die Busseneinnahmen für den Landvogt eine, wenn nicht die wichtigste Einnahmequelle waren, erscheinen immer wieder auch Geissmann auf der Bussenliste.61 Auffällig ist auch, dass vielfach dieselben Missetäter jedes Jahr wiederauftauchen. Man zahlt die Busse und beide Seiten sind zufrieden. Ein Geissmann zahlte 1633 eine Busse wegen ‚Fräffel‘.62 Bei Strebel 63 heisst es dazu: «unter der Bezeichnung Frefel werden vor allem die offen erfolgten Vergehen wider Leib und Leben zusammengefasst».

Da wie schon erwähnt, für alles und jedes eine Zahlung an die Landschreiberei fällig wurde, sind die meisten Ereignisse in deren Buchhaltung erfasst. So der «Jnnzug von Hanns Geysmann von Hägglingen»64 im Jahr 1709, der dafür zehn Gulden 65 zahlen musste. Anders als heute musste man zahlen, um sich an einem Ort niederlassen zu können. Das ist eigentlich selbstverständlich, profitiert man doch von den erstellten Arbeiten der bisherigen Einwohner. Auch beim Auszug musste eine Gebühr entrichtet werden. Dies zeigt der folgende Eintrag: «Hans Jacob Schwab zieht aus der Eidgenossenschaft, 20 Gulden 4»66. Auch Unterschlagungen kamen vor und wurden gebüsst; so im Jahr 1658 ein Hans Jakob Geissmann von Hägglingen mit 50 Gulden wegen: «umb das er vohn seiner Muetter seligen gelt 100 gl. unwüssend der übrigen Erben hinderschlagen.»67

Auch Kriegsschäden wurden erfasst, so während des 1. Villmergerkrieges. Im Jahrbuch 1656 wurde notiert: «Hans Geissmann hat all sein Gut und Schiff undt gsoär verloren». Der Wert wird mit 1000 Gulden angegeben.68(Anhang, Dokument Nr. 3).

1.2 Meine Vorfahren, erforscht anhand der Kirchbücher

Um zu wissen wie lange meine Vorfahren schon im Freiamt gelebt haben, gibt es nichts anderes als in langen Stunden im Staatsarchiv die alten Kirchbücher der Kirche Hägglingen zu durchsuchen. Das war damals, was wir heute die Einwohnerkontrolle nennen. Es war der Pfarrer, der über die Geburten, Ehen und die Todesfälle genau Buch führte. Leider hatten nicht alle Pfarrer gute Noten im Schönschreiben. Deshalb muss manchmal mit der Lupe im Kirchbuch geforscht werden.

1.2.1 Zivilstand

Aus den Unterlagen fand ich nun eine gesicherte Rückverfolgung meines Stammbaumes über sechs Generationen. Es war dies der Eintrag der Ehezeremonie zwischen Leonhard Geissmann und Verena Hübscher am 24. Mai 1775.69

Kirchbucheintrag vom 24. Mai 1775

Verena Hübscher starb schon zwei Jahre später, bei der Geburt ihres Sohnes Josef am Heiligen Abend im Jahr 1777.70 Auch das lehrt uns die Lektüre der Kirchbücher: Das Leben in früheren Zeiten war hart.

An dieser Stelle verzweigt sich mein Stammbaum, da die gefundenen Eintragungen eine eindeutige Festlegung der Ahnenreihe nicht mehr erlauben. Die längste Ahnenreihe geht zwölf Generationen zurück, wobei alle Vorfahren in Hägglingen wohnhaft waren.

Der älteste Eintrag im Kirchbuch ist die Taufe von Jacobi Geissmann im März 1639.71Seine Eltern waren Rudolpho Geissmann und Anna Stoll. Der seinerzeitige Pfarrer hat jeweils das Todesjahr links oben im Taufbucheintrag vermerkt. Jacobi ist also im Jahr 1708 gestorben, er wurde demnach 69 Jahre alt. Wie das Bild zeigt, gestaltet sich die Suche in den Kirchbüchern manchmal etwas schwierig.

Taufeintrag im Kirchbuch für Jacobi Geissmann im März 1639

Die Todesmeldung aus dem Elsass von Heinricus Geissmann 1703 72 im Kirchbuch Hägglingen zeigt, dass Verbindungen ins Elsass bestanden:

Todesmeldung aus dem Sundgau/Elsass, 1703 von Heinricus Geissmann

1.2.2 Bodenzins und Zehnten

In den Urbari, Kirchbüchern etc. finden sich Informationen zu Namen, Gütern, Ländereien und Zahlpflichten in den Gemeinden. Das älteste Dokument über Zahlungen aus Hägglingen stammt aus dem Kellerrodel des Jahres1306. Die Kirche Hägglingen ist bereits im Jahr 1036 im Kellerrodel erfasst. Hier ein Auszug aus Lütolfs Text: «Aus Hägglingen finden wir im Kellerbuche den alten Hof des Stiftes, der 10 Malter Dinkel, 6 Malter Hafer, 1 Malter Hülsenfrüchte, 1 Hubschwein, 3 Hammelschweine und 1 Schwein zu 5 Schilling auf Weihnachten in die Stiftsküche lieferte.» ’73

Im Urbar des Chorherrenstifts Beromünster aus dem Jahr 1323 wird der Besitz einer Hube in Hägglingen erwähnt, für die jährlich ein Schwein nach Beromünster gezahlt werden musste.74