Judenmord, Frauenmord, Heilige Kirche - Rudolf Krämer-Badoni - E-Book

Judenmord, Frauenmord, Heilige Kirche E-Book

Rudolf Krämer-Badoni

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Beschreibung

Rudolf Krämer-Badonis radikale Kritik zielt auf die Fundamente des Christentums. Es geht ihm nicht um die sattsam abgehandelten Unzulänglichkeiten einzelner Würdenträger der Kirchen. Es geht ihm um die grundsätzliche Unhaltbarkeit der christlichen Lehre. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Rudolf Krämer-Badoni

Judenmord, Frauenmord, Heilige Kirche

FISCHER E-Books

Inhalt

LAURA [...]VorwortJudenmordPaulus in RomGoldmund predigt Gewalttat, Ambrosius legitimiert sieAugustins antisemitische TheologieLeo der Große und der arme PilatusZwangstaufe und Verfolgung in SpanienFrankenreich und Heiliges Römisches ReichDie Kammerknechtschaft vor und während der PestzeitmordeDie Christen nehmen das KreuzWucherGeistesarbeitErzwungene GeistesarbeitKirchliche Blutbeschuldigung bis kurz vor 1900HostienschändungTaufe jüdischer KinderDas letzte Ghetto EuropasEine verlorene SchlachtJude bleibt JudeChrist bleibt ChristAuf dem Weg in den AntizionismusFrauenmordDie römischen Gesetze über Okkultes und VerwandtesSo fing es anDoctor angelicusPerversionen am SabbatHexenhammer und Magie der KircheHeilige KircheAn die jüdischen Bücher gebundenDas ApostelkonzilDer Geist gestattet jüdische OrthodoxieLukas und PaulusJohannesevangelium: Christen verfluchen die JudenchristenDas Recht der Juden auf ihren GlaubenJesus und die KircheAlles oder nichtsDas heutige Selbstverständnis der KircheUnartiger Vergleich mit den FrüchtenKommt der Tod durch die Sünde?Illegitimer SproßFundamentale AblehnungNachwortAnhangLiteraturauswahlRegister

LAURA

Vorwort

Die kritische Durchleuchtung längst vorhandenen Materials zeigt, wie die Kirche sich von Anfang an selbst verstanden hat, wie sie aus diesem Selbstverständnis heraus geredet und gehandelt hat, wie sie sich trotz immer tieferer Verstrickung immer unverstrickter zu präsentieren suchte und heute auf dem vorläufigen Höhepunkt einer Selbstdarstellung angelangt ist, die ich am Ende meiner Arbeit Anmaßung nennen muß.

Doch in dieser Absicht hatte ich die Arbeit nicht begonnen. Der Anstoß war einerseits ein Brief, den der ehemalige Erzbischof Lefebvre im Sommer 1985 dem Papst schrieb. Darin verwahrte er sich gegen das Schöntun gegenüber den Juden, den »erklärten Feinden des Christentums«. Einige Jahre vorher hatte ich ein Buch über die Rebellion Lefebvres gegen das Zweite Vatikanische Konzil geschrieben und seine Haltung für »katholischer« als die Haltung des Konzils erklärt. Nun aber, angesichts seiner antijudaistischen Einstellung, fand ich es dringend nötig, mich sorgfältig mit dem historischen Antijudaismus der Kirche zu befassen, von dem ich so wenig wußte wie wohl die meisten Gebildeten, der aber offenbar unausrottbar sowohl konservativen wie liberalen Kirchenmännern anhaftet.

Anderseits wurde ich auf das Thema der Hexenverfolgung gestoßen durch eine Zahl, die mich verblüffte. Ich fand in einer Zeitung die Anzahl der Opfer auf neun Millionen geschätzt. Auch dazu mußte ich mir eingestehen, daß ich mit vielen nur die Kenntnis einiger nichts- oder wenigsagender Randglossen teilte. Ich wünschte, mich auch darüber genauer zu unterrichten.

Natürlich mußte ich zum Verständnis der beiden Themen aufs neue die alten Schriften der Juden und die jüngeren Schriften des Paulus und der Evangelisten vornehmen, einschlägige Äußerungen von Kirchenvätern aufsuchen, Schriften von Rechtshistorikern zu Rate ziehen usw.

So also fing die Arbeit an, die sich erst allmählich zu der obengenannten Durchleuchtung ausweitete. Manchmal wurde mir von dem allem so übel, daß ich am liebsten alles weggelegt hätte. Ich sagte mir auch: Wenn dabei nichts anderes herauskommt als die Bestätigung alter moralischer Vorwürfe, dann bin ich nun genug informiert und kann es dabei bewenden lassen, denn davon gibt es längst genug. Nur wenn ich mich genötigt sähe, darüber zu schreiben, müßte ich die Arbeit fortsetzen.

Die Pflicht zur Weiterarbeit wurde unausweichlich, als es sich herausstellte, daß die beiden Komplexe »Juden« und »Hexen« keine zeitweiligen Verirrungen, sondern zwangsläufige Symptome des Christentums sind. Sie sind keine zu vernachlässigenden alten Sachen, keine Zeugnisse menschlichen Versagens, sondern unausrottbare Wirkungen des Fundaments der Kirche.

Wieso und warum es sich um zwangsläufige Symptome handelt, wird erst im Lauf der Untersuchung immer klarer. Der Text muß stets in der Erwartung dieser grundsätzlichen Bedeutung gelesen werden. Er erfordert geduldiges Durchhalten bis zum Schluß.

Judenmord

Paulus in Rom

Sie waren Juden und besaßen das Privileg aller anderen Juden: Sie waren vom Kaiserkult befreit. Alle Juden stritten untereinander über ihre vielen Religionsgesetze, das waren die Römer gewöhnt. Sie bemerkten keinen Unterschied zwischen Jude und Jude.

Das wurde anders, als Paulus in Rom auftrat. Er hatte der römischen Gemeinde, die nicht von ihm, sondern von Jerusalemer Judenchristen gegründet war, einen schönen Brief geschrieben mit vielen freundlichen Worten über die Juden. Gewiß, er hatte darin auch den zornigen David zitiert: »Ihr Tisch soll ihnen zur Schlinge und Falle und Vergeltung werden, und ihre Augen blind und ihr Rücken ewig krumm«, aber dann doch auch dies: »Die Verstocktheit eines Teils der Israeliten dauert so lange, bis die Vollzahl der Heiden erreicht ist. Dann wird ganz Israel gerettet werden.« Er hatte den Brief geschrieben, um für seinen Besuch in der Reichshauptstadt eine freundliche Stimmung vorzubereiten.

Doch in Jerusalem geriet er plötzlich in Gefangenschaft, und nun kommt er ganz anders nach Rom: in Fesseln. Im Hausarrest wartet er auf seinen Appellationsprozeß.

Und so lernten sie einander kennen, der Briefschreiber und die Briefempfänger. Er empfängt Besuche, er lehrt, er hat Erfolge, allerdings »predigen einige Christus aus Neid und Eifersucht, doch was liegt daran, wenn nur auf alle Weise, ob aufrichtig oder mit Nebengedanken, Christus verkündigt wird« (Phil 1,15f). Und: »Ich habe sonst keinen, der ihm [Timotheus] gleichgesinnt ist. Alle anderen denken an sich, nicht an die Sache Christi« (Phil 2,20f). Und am Schluß des Philipperbriefs: »Es grüßen euch alle Heiligen, besonders die vom Hofe des Kaisers.«

Was ist geschehen? Hat ihn die römische judenchristliche Gemeinde nicht gut aufgenommen? Nicht nur das, sie hat sich sogar gänzlich von ihm zurückgezogen. Am Ende des Kolosserbriefes steht es: »Aristarch, Markus, Jesus Justus, das sind die einzigen aus dem Judentum, die mir als Mitarbeiter geblieben sind.«

Bitter. Aber das Schlimmste sind »die Heiligen vom Hofe des Kaisers«.

Dieser Erfolg – das Vordringen bis ins Kaiserhaus – öffnet den römischen Behörden die Augen. Jetzt sehen sie genauer hin. Was ist das? Was hat es mit diesem Christus auf sich? Diese Leute, die von einem Mann namens Christus kommen (der wirkliche Name Jesus taucht infolge der paulinischen Christologie schon gar nicht mehr auf), sind ja gar keine Sekte der geduldeten, vom Kaiserkult befreiten jüdischen Religion. Sie besuchen nicht die öffentlich zugängliche Synagoge der Juden, jedenfalls diejenigen, die mit dem gefangenen Paulus verkehren. Und nun kommen sie bald dahinter: Diese Neuen hängen einer lichtscheuen Mysterienreligion an, feiern nachts »Orgien«, zu denen kein Uneingeweihter Zutritt hat, fühlen sich allen anderen Religionen überlegen, sogar der jüdischen. Und auch sie glauben den Kaiserkult ungestraft ablehnen zu dürfen? Da irren sie sich aber gewaltig. Der Kaiser räumt in seinem Haus mit dem Übel sofort auf.

Zwar konnte über den Kaiserkult jeder denken, wie er wollte,[1] aber verweigern konnte man die staatsloyale Formalität nicht; bis auf die durch Privilegien eximierten Juden. Auf die Christen traf dieses Privileg nicht zu. Sie waren todeswürdige Staatsfeinde. Dazu bedurfte es keines besonderen Gesetzes.

Das zeigen nicht nur die römischen Christenprozesse des Jahres 64, sondern auch die Annalen des Tacitus, der die Religion der Christiani einen »abscheulichen Aberglauben« nennt, »grausig und schändlich« wie so vieles andere, was in Rom eindringt, »wegen ihrer Schandtaten dem Volk verhaßt«. Dieses »Odium des Menschengeschlechts ist im Interesse des öffentlichen Wohls auszurotten«. Tacitus war unter anderem Quindecemvir (Mitglied des Priesterkollegiums) und hatte als solcher den staatlichen Kultus zu pflegen.

Der Unterschied zwischen jüdischem und christlichem Kult – Zugänglichkeit der Synagoge, Unzugänglichkeit des christlichen Kultes – gab natürlich jedem phantastischen Verdacht Spielraum. Dazu gehörte auch der Ritualmord, den man damals für feindselig befundenen Geheimbünden gern unterstellte. In der späten Makkabäerzeit wurde der Vorwurf von den pharisäischen Psalmen Salomos gegen die innerjüdischen Gegner erhoben; und in Rom berichtet Sallust von dem Gerücht, Catilina und seine Genossen hätten ihren Bund während eines Mahls aus frischgeschlachtetem Menschenfleisch und Wein geschlossen. Die Beschuldigung des Kannibalismus und der Blutschande diente immer wieder der Diskreditierung gegnerischer Verschwörungen. Darin waren sich alle antiken Gruppen gleich. Römer und Juden diffamierten die ihnen beiden widerstehenden Christen, und die Christen revanchierten sich später, als sich die Verhältnisse zu ihren Gunsten umkehrten, mit demselben Vorwurf. Mit dem Unterschied, daß die christliche Verleumdung der Juden sich bis in die allerjüngste Zeit erhalten hat.

Das christliche Bekenntnis war infolge der Kultusverweigerung eo ipso ein todeswürdiges Verbrechen, dazu bedurfte es, wie gesagt, keines besonderen Gesetzes. Prozesse gegen Christen waren je nach Zufall oder Denunziation jeden Tag möglich. Das wird ganz klar, wenn Plinius d.J. während seiner Statthalterschaft in Bithynien 111/112 bei Trajan anfragt, ob er richtig gehandelt habe, wenn er nur halsstarrige Verweigerer hinrichten lasse, jedoch Verdächtige und solche, die einmal Christen waren und später wieder davon abgekommen sind, nach Darbringung der Libation (Trankspende für die Götter) und Verfluchung des Namens Christus unbehelligt entlassen habe. Trajan stimmte diesem Verfahren zu und meinte, es sei unmöglich, für das Verfahren gegen Christen eine allgemeine juristische Regel zu formulieren. Ein regelrechtes Aufspüren, also Inquisition, der Christen untersagte er. Und anonyme Denunziationen seien unter keinen Umständen entgegenzunehmen. Eduard Meyer zitiert den Kaiser: »Das wäre von den schlimmsten Folgen, und entspricht nicht dem Geist unserer Zeit (nam et pessimi exempli nec nostri saeculi est).«

Das war die Haltung der römischen Cäsaren bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts. Danach versuchten Kaiser Decius und Valerian und 303 auch Diokletian durch systematische Verfolgung der unrömischen Umtriebe Herr zu werden. Da war es jedoch längst zu spät. Schon 313 erklärte Konstantin die Kirche zur erlaubten Religion und griff selbst in die Kirchenpolitik ein. 380 erhob Theodosius das Christentum zur Staatskirche.

Doch bereits im 2. Jahrhundert verfaßte der Bischof von Sardes, Melito, einen Traktat mit einem ungeheuerlichen Vorwurf: »Hört, ihr Völker, und seht, ein niemals vorher verübter Mord wurde in Jerusalem verübt, in der hebräischen Stadt des Gesetzes, die für gerecht gehalten wurde […] Gott ist getötet worden, der König Israels ist durch Israels Recht beseitigt worden!« Aber nicht nur diese Völkerverhetzung wurde den Juden ins Gesicht geschleudert, um diese Zeit waren schon alle Evangelien im Umlauf, und die Juden wußten, wie sie darin geschildert wurden; sie wußten, daß ihr Bethaus als »Synagoge des Satans« gebrandmarkt war. Und weder Juden noch Christen ahnten etwas von den apologetischen Klugscheißereien heutiger Theologen und Kirchenkommissionen. Sie lasen und verstanden die Sachen so, wie sie da standen, und genauso verstanden Päpste und Generationen von Christen die infamen Beschuldigungen; wir werden ihnen immer wieder begegnen. Damals gaben sich Juden und Christen im Haß aufeinander nichts nach, aber schon bald durften nur noch die Christen ihren Haß äußern und ihr Mütchen an den Juden kühlen, vor allem seit die Kirche völlig heidenchristlich geworden und dazu übergegangen war, in Jesus nicht nur den Messias, sondern, wie die streng monotheistischen Juden sagten, »einen zweiten Gott« zu verehren.

In der Zeit um 150 erhebt auch Justin in seinem Dialog mit dem Juden Tryphon die Anklage wegen Gottesmord. Ein Echo auf die Kalamität mit den Judenchristen liegt vor, wenn er sagt, ein Judenchrist könne das Heil nur erlangen, wenn er die anderen Christen nicht zu überzeugen suche; aber, so stellt er fest, Christen würden wohl meist mit solchen christlichen Gesetzesbeobachtern nicht einmal sprechen. Auch die jetzigen Juden seien schuldig, denn sie billigten den Gottesmord, und in ihren Synagogen verfluchten sie die Christen. Sie hätten den Bund mit Jahwe nicht gehalten, wie man an den Strafreden der Propheten sehe.

Die Begründung des Neuen Bundes durch die Annexion der jüdischen Prophetie hat die Kirche in die Evangelien eingeschrieben und nie aufgegeben. Nur so glaubte und glaubt sie sich als gültige Erbin der Verheißungen zu legitimieren. Die Bekehrung der Juden wäre der höchste Triumph und die Beseitigung aller Probleme gewesen. Aber die Juden haben nie aufgehört, das unversehrte Fortbestehen des Bundes standhaft und marterbereit mit Gut und Blut und Entrechtung zu bezahlen.

Ich habe kaum den Mut, den Lesern die hier beginnende Kette des jüdischen Martyriums zuzumuten; ich werde nur Beispiele anführen. Eine vollständige Aufzählung der jüdischen Leiden über die Jahrhunderte würde viele Bände füllen.

Tertullian (um 200) predigte scharf von der Dienstbarkeit der Juden, lange bevor die Kirche die Macht hatte, die Forderung in die Tat umzusetzen: Da der ältere Esau dem jüngeren Jakob nach Gottes Willen dienen mußte, so müsse gemäß dem göttlichen Spruch das ältere Volk der Juden dem jüngeren Volk der Christen dienen. Dieser exegetische Dreh, den schon Paulus begonnen hatte (Röm 9,13 und Gal 4,21ff), wurde von der Kirche nicht nur in die Tat umgesetzt, sondern als unantastbares Schriftwort und apostolische Weisung gepredigt. (Hierüber ausführlicher im dritten Teil, Seite 215f)

Goldmund predigt Gewalttat, Ambrosius legitimiert sie

Goldmund, »Chrysostomos«, nannten sie Johannes, den Bischof und Patriarchen von Konstantinopel; den größten Prediger der griechischen Kirche nennt ihn noch heute, wer den Bombast rhetorischer Topoi für große Rede hält. Die Kirche hat ihn heiliggesprochen. Hören wir ihn: »Weil ihr Christus getötet habt, weil ihr gegen den Herrn die Hand erhoben habt, weil ihr sein kostbares Blut vergossen habt, gibt es für euch keine Besserung, keine Verzeihung, keine Entschuldigung […] All eure alten Untaten habt ihr in den Schatten gestellt mit der Raserei gegen Christus. Deshalb werdet ihr auch jetzt mehr gestraft als für eure alten Untaten.«

In Antiochia wetterte er gegen Christen, die mit den vielen Juden deren Feste feierten: »Wer den Herrn Jesus Christus nicht liebt, sei verflucht. [Paulus] Welch größeren Beweis aber gibt es, daß einer den Herrn nicht liebt, als wenn er gemeinsam mit seinen Mördern ein Fest feiert?« Ein Fußtritt für Christen, die noch immer judenchristliche Neigungen hatten.

Die Synagoge ist das Haus der Dämonen[2] und ein Hurenhaus, Gott will von ihrem Kult nichts mehr wissen, »Gott haßt euch!« Gott hat die römischen Kaiser mit der Zerstörung des Tempels beauftragt. Auch diese Behauptung ist eine folgenschwere These geworden. Jahrhundertelang blieben Christen überzeugt, mit Gewalttaten gegen Juden den Willen Gottes zu erfüllen. »Auto de fe«, Glaubensakt, so nannte die spanische Inquisition die Judenverbrennungen, die Hinrichtung der Juden nämlich, die zur Rettung ihres Lebens Christen geworden waren und denen man mit Hilfe der Folter das Geständnis abgenötigt hatte, sie seien innerlich Juden geblieben. Dies geschah schon im westgotischen Spanien des 7. Jahrhunderts (vgl. Seite 28 f).

Um den Juden ihre Feste zu vergällen, hatte schon vorher in Antiochia die christliche Verehrung der makkabäischen Brüder eingesetzt. Die Juden verehrten die Gräber der heldenhaften Brüder in Antiochia, wo sie nach der Tradition beigesetzt waren. (Dieser christliche Raub jüdischer »Gerechter« schien mir wenig glaubhaft, ich sah in meinem alten Schottschen Meßbuch von 1927 nach und fand – das »Gedächtnis der makkabäischen Brüder« am 1. August.)

Daß die syrischen Juden über diese Unverfrorenheit aufgebracht waren, ist selbstverständlich. Und gerade zur Zeit des Johannes Chrysostomos veranstalteten 388 in Kallinikon in Syrien die Christen eine Prozession zu Ehren der makkabäischen Brüder, und bei dieser Gelegenheit wollten sie noch mehr Salz in die jüdischen Wunden streuen und brannten ihnen die Synagoge nieder.

Acht Jahre zuvor war das Christentum von Kaiser Theodosius zur Reichskirche erhoben worden. Alle heidnischen Kulte waren verboten, der jüdische blieb wie bisher geduldet. Die Christen waren nun die Herren, seit acht Jahren.

Theodosius, den die Nachricht von der Brandlegung in Mailand erreichte, befahl voller Empörung über diesen Frevel, die Synagoge auf Kosten des dortigen Bischofs wieder aufzubauen und die Brandstifter und die Diebe der Wertgegenstände zu bestrafen. Doch Ambrosius, der angesehene Bischof von Mailand, schickte dem Kaiser, mit dem er übrigens befreundet war, einen Brief hinüber in den Palast und teilte ihm mit: »Wenn du das für ein Verbrechen hältst, Kaiser, so mache mich dafür verantwortlich. Warum ein Gerichtsverfahren gegen Abwesende, wenn du hier einen geständigen Angeklagten hast? Ich erkläre, daß ich die Synagoge in Brand gesteckt habe, daß ich es befohlen habe, um das Haus zu beseitigen, in dem Christus geleugnet wird […] Soll denn das Haus des jüdischen Unglaubens aus der bei Christen gemachten Beute erbaut werden, soll das dank Christi Wohlwollen gewonnene Geld in den Besitz der Ungläubigen überführt werden? […] Sollen die Juden an die Front ihrer Synagoge schreiben: Tempel des Unglaubens, errichtet aus der bei Christen gemachten Beute? […] Dies ist kein genügender Grund für die Bestrafung des Volkes wegen Niederbrennung eines Gebäudes, da es sich um eine Synagoge handelt, diesen Ort des Unglaubens, Stätte der Gottlosigkeit, Schlupfwinkel des Wahnsinns, den Gott selbst verdammt hat […] Willst du den Juden diesen Triumph über die Kirche gewähren, diesen Sieg über das christliche Volk, diesen Jubel den Ungläubigen, diese Glorie der Synagoge und diese Trauer der Kirche? Die Juden werden diesen Tag unter ihre Festtage aufnehmen […] Was hat der Fromme gemein mit dem Ungläubigen? Mit dem Ungläubigen müssen auch die Zeugnisse des Unglaubens ausgerottet werden.«

Und er fügt hinzu, er werde in Gegenwart des Kaisers so lange das Meßopfer nicht feiern, bis dieser Befehl zurückgenommen sei. Der Kaiser erschien trotzdem zum Gottesdienst, Ambrosius stieg auf die Kanzel und predigte über diese Geschichte. Was dann geschah, steht in einem Brief, den Ambrosius seiner Schwester schrieb: »Als ich vom Ambo herabkam, sagte der Kaiser: Von mir habt ihr gepredigt. Ich gab zur Antwort: Ich habe dargelegt, was zu eurem Nutzen wäre. Der Kaiser sagte: Ich gebe zu, mit dem Befehl zum Wiederaufbau der Synagoge zu weit gegangen zu sein; aber es ist schon in Ordnung gebracht […] Ich blieb noch eine Weile stehen, dann sagte ich zum Kaiser: Gebt mir Sicherheit, daß ich jetzt für euch das Opfer darbringen kann, erlöst mich von meinem Zweifel. Der Kaiser setzte sich, nickte mit dem Kopf, aber er gab kein deutlich hörbares Versprechen. Ich blieb stehen. Da sagte er, er werde das Reskript zurücknehmen. Ich entgegnete sofort, er müsse auch jegliche Untersuchung verbieten, damit nicht von irgendeinem Beamten den Christen ein Unrecht geschehe. Der Kaiser versprach auch das. Darauf ich: Dann opfere ich jetzt also auf euer Wort hin. Und nochmals sagte ich: Ich opfere auf euer Wort hin. Der Kaiser sagte: Ja, opfert auf mein Treuwort hin. So schritt ich denn zum Altar.«

Was der streng katholische Kaiser zur Wiedergutmachung des Frevels angeordnet hatte, war das einzig rechtlich Gebotene. Der jüdische Kult war erlaubt, seit 212 waren alle Bewohner des Reichs, auch die Juden, römische Bürger. Doch die Wiederherstellung des Rechts, die für den Kaiser selbstverständlich gewesen war (den aus Kallinikon anfragenden Beamten hatte er schreiben lassen, sie sollten nach dem geltenden Recht verfahren), hätte für Ambrosius »den Christen ein Unrecht angetan«. Der Kaiser gab nach. Die Haltung des Ambrosius steht dicht vor der Forderung, auch den jüdischen Glauben zu verbieten. Dann erst kann man Synagogen ungestraft niederbrennen. Nun, das Verbot mit Ausweisungen, Zwangstaufen und Scheiterhaufen kam in späteren Jahrhunderten, aber schon Theodosius II. und Justinian griffen in das religiöse Leben der Juden restriktiv ein und machten sie außerdem zu Bürgern zweiter Klasse, indem sie sie von Staatsämtern ausschlossen und sie mit anderen Schikanen erniedrigten.

Der Jesuit Hugo Rahner nennt das Ereignis von Kallinikon eine von Ambrosius »geradezu erwartete Gelegenheit«, um »dem despotischen Dominus eine Lektion über die Grenze zwischen Staat und Kirche zu erteilen«. Die schlechteste aller »Gelegenheiten« wird noch 1961 fröhlich als Erklärung angeführt (Kirche und Staat im frühen Mittelalter).

So handelte die Kirche, sobald sie die Macht dazu besaß. Acht Jahre nach ihrer Erhebung zur Reichskirche. Das gefiel ihr. Und dem Heiligen Geist? »Mit dem Ungläubigen müssen auch die Zeugnisse des Unglaubens ausgerottet werden.« Hat dies unerhörte Wort dem Heiligen Geist gefallen, ganz zu schweigen von dem Juden Jesus?

Dem Geist des Theodosius gefiel die Sache dann doch weniger. Er scheint seine Nachgiebigkeit bereut zu haben. Fünf Jahre später erließ er ein verschärftes Gesetz zum Schutz der Synagogen. Honorius hat 397 und 412 das Gesetz erneut einschärfen müssen! Es muß also dringende Gründe zur wiederholten Einschärfung dieses Gesetzes gegeben haben.

In der Kirchengeschichte ist von solchen Dingen kaum je die Rede. Da ist alles eitel Bundesgenossenschaft mit dem Heiligen Geist, und der Himmel glänzt mit Heiligen. Zwei haben wir jetzt kennengelernt, Johannes Goldmund und den ambrosianischen Lobsinger; jetzt kommt der dritte.

Augustins antisemitische Theologie

Die Juden leben in der Zerstreuung, damit sie für Christus Zeugnis ablegen. Das stammt von Augustinus, und es begründete für die Päpste das erniedrigte Lebenlassen der Juden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts: »Gehört ihr nicht eher zu den Feinden dessen, der im Psalm spricht: ›Gott hat mir an meinen Feinden Lust erwiesen; töte sie nicht, damit sie nicht dein Gesetz vergessen, zerstreue sie in deiner Macht.‹ Deshalb vergeßt ihr nicht das Gesetz Gottes, sondern tragt es überall hin, den Völkern zum Zeugnis, euch zur Schmach.«

Die Juden sind nicht durch Auserwählung, sondern durch Verblendung gezeichnet. »Sagt: wir sind es, wenn ihr hört: Verstocke das Herz dieses Volkes und verhärte ihre Ohren und blende ihre Augen. Sagt: wir sind es, wenn ihr hört: Den ganzen Tag strecke ich meine Arme aus zu dem ungläubigen und störrischen Volk. Sagt: wir sind es, wenn ihr hört: Ihre Augen mögen blind werden, daß sie nicht sehen, und ihr Rücken sei stets gekrümmt.«

Hier ist es angezeigt, die Schriftzitate an ihrem originalen Platz aufzusuchen, so wie das mit der paulinischen Korruption der Hagargeschichte geschehen muß.

Der Reihe nach: »Töte sie nicht, damit sie nicht dein Gesetz vergessen« stammt aus dem 59. Psalm. Der beginnt: »Ein gülden Kleinod Davids, daß er nicht umkäme, da Saul hinsandte und ließ sein Haus verwahren, daß er ihn tötete. Errette mich, mein Gott, von meinen Feinden […]«. Situation und Sinn des gülden Kleinods sind damit schon vorweggenommen. »Aber du, Herr, wirst ihrer lachen und aller Heiden spotten. Vor ihrer Macht halte ich mich zu dir, denn Gott ist mein Schutz. Gott erzeigt mir reichlich seine Güte; Gott läßt mich meine Lust sehen an meinen Feinden. Erwürge sie nicht, daß es mein Volk nicht vergesse; zerstreue sie aber mit deiner Macht, Herr, unser Schild, und stoße sie hinunter!«

Da ist die Stelle, in Luthers Übersetzung. Es handelt sich um Davids Flucht vor dem Verfolgungswahn Sauls, dem er entkommen ist und gegen den sich zu wappnen ihm allmählich gelingt. Aus einer solchen Stelle die Zerstreuung der Juden zwecks ihres Zeugnisses für Christus herauszudestillieren ist an sich schon eine unüberbietbare Unverfrorenheit. Geradezu unfaßlich aber ist, daß die Kirche bis ins späte 19. Jahrhundert diesen Unfug in Verbindung mit der jüdischen Dienstbarkeit[3] als ihre offizielle Haltung gegenüber den Juden festgeschrieben hat.

»Verstocke das Herz dieses Volkes« – das Wort spricht Jahwe bei der Berufung Jesajas als Prophet. Jesaja fragt darauf: »Herr, wie lange?« Und Jahwe: »Bis die Städte wüst werden ohne Einwohner und die Häuser ohne Leute und das Feld ganz wüst liege. Denn der Herr wird die Leute weit wegführen, daß das Land verlassen wird. Und ob noch der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, jedoch wie eine Eiche und Linde, von welchen beim Fällen noch ein Stamm bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stamm sein.«

Daß sich in der Wegführung nichts auf ferne Zukunft, sondern alles auf die zeitgenössische Geschichte bezieht, sieht jedes Kind, auch damals, und selbstverständlich kannte Augustinus die historischen Bücher der Juden. Daß Israel jedes Unglück als Jahwes Strafe für Versündigung verstand, weiß auch jedes Kind. Daß aber Jesaja stets die Drohungen und Strafen mit einem Trost Jahwes abschließt, das unterschlägt Augustinus. Das Unheil bricht nämlich herein, jedoch so, daß vom gefällten Baum ein Stamm bleibt, ein heiliger Same.

»Den ganzen Tag strecke ich meine Arme« (Jes 65,2ff). Jahwe entrüstet sich über das Volk, es huldigt Götzen, »frißt Schweinefleisch«, er wird es bestrafen, aber: »Gleich als wenn man Most in der Traube findet und spricht: ›Verderbe es nicht, denn es ist ein Segen drin!‹, also will ich um meiner Knechte willen tun, daß ich es nicht alles verderbe, sondern will aus Jakob Samen wachsen lassen und auch aus Juda, der meinen Berg besitze; denn meine Auserwählten sollen ihn besitzen, und meine Knechte sollen daselbst wohnen. Und Saron soll eine Weide für die Herde und das Tal Achor soll zum Viehlager werden meinem Volke, das mich sucht.« Da ist der Trost wieder, die Versöhnung, die neue, sehr gute Aussicht. Was wollen also diese Theologen und Heiligen, die die jüdischen Schriften verdrehen? Und, noch einmal sei’s gesagt: Noch weniger begreiflich ist, daß die Kirche sich dieser Methoden nicht entschlagen kann, seit sie existiert. Kann sie also nicht leben ohne das entwendete Schriftwerk der Juden? Verliert sie wirklich den Boden unter den Füßen, wenn sie es unangetastet läßt, es nicht umdeutet?

Aber nicht nur zum Zeugnis für die Herrschaft Christi leben die Juden in der Zerstreuung, zum Zeichen für ihre Verworfenheit leben sie zudem in ewiger Knechtschaft. Augustinus: »Der Ältere muß dem Jüngeren dienen, d.h. das früher geborene Volk der Juden dem später geborenen Volk der Christen […] So ist nun der Jude der Sklave des Christen […] Das ist allbekannt und erfüllt den Erdkreis.«

Wir kennen den schauerlichen Unsinn schon von Tertullian, der ihn von Paulus übernommen hat; wir werden ihm auf dem Weg zur Kanonisierung bei Thomas von Aquin begegnen, und wir werden ihn durch Friedrich II. ins Reichsrecht überführt sehen; und da werden die Juden, die im Sachsenspiegel noch Freie waren, endgültig zu »Kammerknechten« des Kaisers und zum Spielball der Könige, Fürsten, Ritter und Städte. Dies alles im Namen Christi und in Vollstreckung des Willens Gottes.

Zum Schluß noch: Warum nenne ich Augustins antijüdische »Theologie« antisemitisch? Weil er unter seinen vielen rohen Beschimpfungen zum erstenmal das fremdartige Aussehen der Juden heranzieht: »triefäugige Schar«. Er will ein rassisches Merkmal treffen. Von der Kirche werden die Juden ohnehin stets als »Volk« verworfen.

Leo der Große und der arme Pilatus

Exkulpiert haben die freundlichen Theologen auch Papst Leo I., den Großen (395–461). Staatliche Gewalt habe Leo nur gegen die Manichäer mobilisiert. Doch die Gläubigen hat er zur Denunziation aufgefordert; sie mögen »auch dieses Werk der Treue allen anderen Beweisen der Frömmigkeit hinzufügen«. Den Juden gegenüber aber habe er sich beschränkt auf bloße feindselige Äußerungen wie: »Die Hohenpriester und die Ältesten haben mit der Absicht gehandelt, am Vollzug des Verbrechens unschuldig zu erscheinen. Sie haben es vermieden, mit ihren eigenen Händen vorzugehen, aber sie haben ›kreuzige, kreuzige‹ gerufen. Welches Gesetz erlaubt euch Juden zu wollen, was zu tun euch verboten ist? Ihr fürchtet, durch die Tötung dessen schuldig zu werden, dessen Blut ihr über euch und über eure Nachkommen gerufen habt. Wenn ihr in eurer Bosheit nicht selbst die Missetat vollbringen wollt, so laßt den Statthalter nach seinem Erwägen richten. Aber auch ihm gegenüber seid ihr hart. Da wo ihr lügnerisch vorgebt, euch zu enthalten, da laßt ihr ihn nicht Gnade üben. Pilatus hat gesündigt, indem er tat, was er nicht wollte, aber alles, was euer Grimm erpreßt hat, lastet auf eurem Gewissen.«

Da ist er, der arme Pilatus. Aber Leo ist nicht nur Sophist, sondern auch ein großer Denker. Ihm gab zu denken, daß Gott den »Gottesmord« ja gewollt hat. Also erfüllten Juden, die Jesus bei Pilatus denunzierten, eigentlich doch den Willen Gottes? Wie ist es damit? Das Problem ist für den gewöhnlichen Verstand nicht lösbar, dazu bedarf es der Gottesgelehrtheit, der Theologie. Leo schafft das spielend. Gleichzeitig erledigt er die Schwierigkeiten betreffs Willensfreiheit und Prädestination. Er sagt, die Juden seien das Werkzeug des Erlösungstodes Christi gewesen, aber dafür verdienten sie keinen Dank. Christus »hat die frevlerische Hand der Wütenden nicht auf sich gerichtet, sondern zugelassen, daß sie sich auf ihn richte. Vorauswissend, was geschehen soll, hat er nicht erzwungen, daß es geschehe, wenngleich er Menschengestalt angenommen hat, damit es geschehe.« Ja, so geht es eben zu in der Schreibstube großer Theologen.

Allerdings ist Leo doch nicht nur verbal gegen die Juden vorgegangen. Die schärfsten diskriminierenden Staatsgesetze sind unter seinem Pontifikat erlassen worden, und natürlich nicht aus blauem Himmel. Die römischen Kaiser hatten sich nie in Religionsdinge eingemischt, wenn die Religionsanhänger politisch loyal waren. Die neue intolerante Rolle wurde ihnen von der Kirche aufgedrängt. Und man braucht sich nicht zu wundern, wenn die Kaiser daraus die Konsequenz zogen, in der Kirche mitreden zu können. Aus dem weltlichen Instrument der machtbedürftigen Kirche wurde im Osten des Reiches (Byzanz) der weltlich-geistliche Herr der Kirche. Doch das braucht uns hier nicht zu interessieren.

Unter Leo blieben zwar die Synagogen geschützt, das ließen die Kaiser sich nicht nehmen; aber die Juden durften kraft Reichsgesetz nicht mehr missionieren, keine christlichen Sklaven halten, keine Mischehen schließen, keine öffentlichen Ämter bekleiden, kein zum Christentum konvertiertes Kind von der Erbschaft ausschließen, auch wenn das Kind sich gegen die Eltern vergangen hatte. Die Juden wurden Parias.

Zwangstaufe und Verfolgung in Spanien

Das weströmische Kaisertum endete mit der Absetzung des Kaisers Romulus Augustulus durch den germanischen Heerführer Odoaker (476). Ab 493 datiert das italienische Ostgotenreich unter Theoderich dem Großen. Die Lage der Juden verbesserte sich, und wieso? Weil die Goten nicht katholisch waren. Sie waren arianische Christen und erhoben zwar ihre Religion zur Reichskirche, doch waren sie tolerant, ganz anders als die Katholiken. Auch unter den Vandalen und den Westgoten in Spanien, beide ebenfalls arianisch, hatten die Juden nichts zu fürchten. Das Frankenreich, seit 496 katholisch, hat sehr lange die Judenfeindschaft nicht übernommen.

Doch nachdem die Westgoten in Spanien katholisch geworden waren (586–589), fügten sie den Juden hundert Jahre lang schwere Leiden zu. Ab 612 mußten sich viele spanische Juden Zwangstaufen unterziehen. Diese Zwangschristen wurden polizeilich überwacht und beschnüffelt. Das Konzil von Toledo (694) machte mit allen ehemaligen Juden, gleichgültig, ob sie nur scheinbare oder gläubige Christen waren, kurzen Prozeß: Sie wurden enteignet, über Spanien verstreut und als Sklaven verschenkt; ihre Kinder, die über sieben Jahre alt waren, wurden ihnen weggenommen, christlich erzogen und später mit bewährten Christen verheiratet. Und dies sollte in alle Ewigkeit so gehandhabt werden.

Diese Ewigkeit endete im Jahr 711. Die Muslime, von einer Partei im westgotischen Bürgerkrieg als Verbündete gewonnen, eroberten Spanien und befreiten die Juden. Das führte zu einem neuen Vorwurf: Die Juden seien Verräter und machten gemeinsame Sache mit den Feinden des Christentums. Im Jahr 846 schrieb der Bischof von Lyon, Amulo: »Häretiker urteilen in gewissen Dingen gemeinsam mit der Kirche, in anderen sondern sie sich ab; das bedeutet, daß sie teilweise lästern, teilweise die Wahrheit bekennen. Die Juden jedoch lügen in allem, sie lästern in jeder Beziehung unseren Herrn und Gott Jesus Christus und die Kirche und glauben überhaupt nichts Wahres […] Also müssen die Juden mehr als die Glaubenslosen und Häretiker verachtet werden, denn es gibt keine andere Menschengruppe, die so sehr die Gewohnheit hat, Gott zu lästern.«

Frankenreich und Heiliges Römisches Reich

In Ostrom hatten Agitation und Schriftstellerei des Johannes Chrysostomos (vgl. Seite 18ff) sowie des ähnlich argumentierenden Gregor von Nyssa zur dauernden Ehr- und Rechtlosigkeit der Juden geführt, eine logische Folge der engen Symbiose von Staat und Kirche in Byzanz.

Im lateinischen Westen machte Papst Gregor der Große die Wegnahme einer Synagoge in Cagliari rückgängig, da man die Bekehrung der Juden »mit Sanftmut« betreiben müsse. Allerdings fügt er hinzu: »Insbesondere in diesem Zeitpunkt, da der Feind mit Furcht erwartet wird, darf das Volk nicht durch Zwietracht gespalten werden.“ Also waren politische Gründe im Spiel. Die wechselvollen Kämpfe zwischen oströmischen Feldherren und den gotischen Königen wurden in dieser Zeit noch verschärft durch den Einmarsch der Langobarden in Italien.

Im Frankenreich mußten die Konzilsbeschlüsse über die Juden immer wieder in Erinnerung gerufen werden, so das Gebot, den Umgang mit Juden zu meiden. Diese ständigen Mahnungen zeigen, daß die Bevölkerung nicht genügend Judenhaß entwickelte. Noch enttäuschender für den Klerus war das Verhalten des Hofes.

Unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen genossen einzelne Juden als Hoflieferanten besondere Privilegien. Solche Schutzbriefe sind erhalten geblieben und lauten wie die entsprechenden Briefe für einzelne Klöster, freie Männer, Frauen und christliche Kaufleute. Die Kaufleute lieferten seltene Luxusgüter für die königliche (Vorrats-) Kammer und zahlten für den königlichen Schutz, der sie unantastbar machte und dem Königlichen Gericht unmittelbar unterstellte, eine jährliche Gewinnabgabe, christliche Kaufleute ein Elftel, jüdische ein Zehntel. Von allen anderen Abgaben, Steuern, Zöllen usw. waren sie befreit. (Das hatte also nichts mit der Kammerknechtschaft zu tun, die Friedrich II. um 1236 formuliert hat.) Noch die Privilegien Heinrichs IV. für die Juden von Speyer und Worms von 1090 benutzten karolingische Formulare.

Die privilegierten Juden der Karolingerzeit (über die Lage der nichtprivilegierten ist nichts bekannt) besaßen Grundstücke und durften entgegen dem kirchlichen Verbot Christen in ihren Dienst nehmen; auch Sklavenhandel war ihnen gestattet. Den Geistlichen war es verboten, die Sklaven der Juden zu missionieren. Auch durften neue Synagogen gebaut werden, was seit langem untersagt gewesen war. Karl der Große vertraute eine Gesandtschaft an den Kalifen einem Juden an, allein schon wegen dessen Sprachkenntnisse und persönlicher Verbindungen. Aus Rücksicht auf den Sabbat wurde in Lyon der Markt auf einen anderen Wochentag verlegt, dies geschah unter Ludwig dem Frommen.

Derartige Vergünstigungen erregten Zorn in der fränkischen Kirche. Vergeblich protestierte der Lyoner Bischof Agobard in einem Sendschreiben an Ludwig. Ihm blieb nichts weiter, als sich über die Mißachtung seiner Person und seiner Predigt zu beklagen. Er wiederholte jahrelang seine Schreiben an den Hof – vergeblich.

Halten wir fest: Diese knapp hundert Jahre währende Haltung der Karolinger unter Zustimmung der Bevölkerung ist ein Ruhmesblatt katholischer Fürsten. Für sie war das Recht noch Sache des Königs und nicht Sache der Kirche. So hätte es überall sein können, wenn es der in allegorischen Unsinn verbohrten Kirche und dem Heiligen Geist gefallen hätte. Doch die Kirche lebte außerhalb des Geistes Jesu.

Wie, ich wage Karl als Muster eines menschenwürdigen katholischen Fürsten des Mittelalters zu preisen, diesen Karl, der die Sachsen in immer neuen Feldzügen dezimiert und sie schließlich mit Gewalt christianisiert hat?

Ja, das wage ich. Denn erstens waren es Feldzüge und keine Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber gutwilligen Wehrlosen; die Sachsen konnten sich wehren und wehrten sich lange erfolgreich. Zweitens ging es in Wirklichkeit um Politik, um die aggressive Sicherung des Frankenreichs. Daß die Sachsen bei der Einverleibung ins Reich alle Institutionen des Siegers annehmen mußten, auch dessen Religion, war wiederum eine politische, auf Bändigung zielende Entscheidung.

Karl also doch kein Heiliger? Nur im Bistum Aachen.

Aber ein noch leuchtenderes Ruhmesblatt stammt aus dem 11. Jahrhundert. Bis dahin gibt es über die Situation der deutschen Juden nach den Karolingern keine Nachrichten. Noch leuchtender, sage ich, weil es sich diesmal um einen Bischof handelt, der sich um keine römisch-kaiserlichen und römisch-katholischen Beschlüsse kümmerte. Es handelt sich um Bischof Rüdiger von Speyer, der im Jahr 1084 die Stadt erweiterte und erklärte, die Aufnahme von Juden erhöhe die Ehre der Stadt tausendfach! Er gebe ihnen Rechte, die von keiner anderen Stadt übertroffen würden: völlige Handelsfreiheit, Recht auf Grundbesitz, eigene Gerichtsbarkeit, eigenen Friedhof, das Recht auf christliche Sklaven (!) und Dienstboten, das Recht, Schweinefleisch und anderes nichtkoscheres Fleisch an Christen zu verkaufen. Sechs Jahre später erweitert Heinrich IV. bei einem Besuch in Speyer diese Rechte: Handels- und Zollfreiheit im ganzen Reich, vor Gericht dürfen sie Beweise nach ihrem Recht führen, Gottesurteile gegen sie sind verboten, kein Priester darf gegen ihren Willen ihre Sklaven taufen – also noch immer die Formeln aus der Zeit Ludwigs des Frommen.

Das ist hoch erstaunlich. Über dreihundert Jahre lang haben die deutschen Könige an dem Recht festgehalten, wie es jedem ehrbaren Fremden, der sich in den Königsschutz begab, zuteil wurde. Und noch erstaunlicher ist, daß Bischof Rüdiger von sich aus ein so ganz von Jakob und Esau unbelecktes Statut erließ. Das ist nur damit zu erklären, daß damals ein Bischof noch Bischof war und nach eigenem Gutdünken handeln konnte.

Aber damit ist ein schönes Kapitel des Judentums in der Zerstreuung zu Ende. Es wurde allerdings schon im Jahr 1007 zum erstenmal empfindlich gestört. Die Muslime verfolgten in Palästina plötzlich Juden und Christen und zerstörten außer der Grabeskirche zahlreiche andere Kirchen und Synagogen. Das führte unsinnigerweise zur Judenverfolgung in Europa. Die Juden, von denen es hieß, daß sie in Spanien mit den Ungläubigen gemeinsame Sache machten, sollten die Verfolgungen in Palästina veranlaßt haben. Radulfus Glaber schildert die Mordtaten an Juden und fügt hinzu, man habe nur die verschont, »die sich zur Gnade der Taufe bekehren wollten«. Sie seien aber später ganz unverschämt zu ihrer Sitte zurückgekehrt. »Und da es nötig ist – sei es auch zu ihrer Beschämung –, daß einige von ihnen überleben, um ihr eigenes Verbrechen zu bestätigen und das Leiden Christi zu bezeugen, darum, so scheint mir, hat auf Ratschluß Gottes der Zorn der Christen gegen sie zeitweise nachgelassen.«

Das liest sich, als stamme es von einem außerkirchlichen verbohrten Schwätzer. Aber hier spricht ein hochgebildeter Mönch, der nicht nur zeitgenössische Quellen gesammelt hat, sondern auch die religiöse Thematik der großen cluniazensischen Bewegung in tiefen Sätzen interpretierte: »Wisse, daß dieses Kloster in der römischen Welt nicht seinesgleichen hat, insbesondere wenn es um die Erlösung der Seelen geht, die unter die Herrschaft des Teufels gefallen sind. Die heilige Kommunion wird dort so oft vollzogen, daß kaum ein Tag vergeht, an dem diese immerwährende Verbindung nicht irgendeine Seele der Macht der bösen Dämonen zu entreißen vermag. In diesem Kloster, das kann ich selbst bezeugen, gibt es einen Brauch, der sich nur durch die gewaltige Anzahl der Mönche verwirklichen läßt; und diesem Brauch gemäß werden tatsächlich von der ersten Stunde des Tages bis zur Ruhezeit ohne Unterlaß Messen gefeiert. Das geschieht mit so viel Würde, so viel Frömmigkeit und so viel Verehrung, daß man meinen könnte, Engel statt Menschen walten zu sehen.« Und bei der Betrachtung der verschiedenen Figuren und Formen, die Gott, der alles geschaffen hat, seinen Kreaturen zwecks analoger Gotteserkenntnis gegeben hat, sagt er: »Diese unbestreitbaren Beziehungen zwischen den Dingen predigen uns Gott auf eine zugleich offenkundige und verschwiegene Art; denn während jedes Ding in unveränderlicher Bewegung das andere in sich selbst vergegenwärtigt, indem es das Prinzip seiner Entstehung verkündet, verlangt es gleichzeitig danach, wieder in diesem Prinzip zu ruhen.« Philosophie, Mystik, Liturgie, Geschichte, das alles vereinigte dieser Mann in glänzender Synthese. Und dann schreibt er plötzlich: »Da es nötig ist, daß einige Juden überleben […]“ Alle brauchen nicht zu überleben, einige genügen. Gottes Ratschluß gibt zu erkennen, wann es Zeit ist, mit Morden aufzuhören. Dann läßt der Zorn der Christen »zeitweise« nach.

Georges Duby zitiert Texte des angesehenen Glaber als bedeutende historische Dokumente, die Worte über die Juden kommen nicht zur Sprache. Sie gehören nicht zu Dubys Thema. Glaber war aber kein Einzelfall. Wir werden noch den antisemitischen Abt Peter von Cluny kennenlernen (Seite 51 f), den »heiligen« Petrus Venerabilis.

Da sind sie, die Folgen der Theologie. Des Johannesevangelisten »Synagoge des Satans«, die Enterbung des Alten Bundes durch den Neuen Bund, des Paulus Vertröstung der Juden auf die letzten Tage vor dem Weltende, die unaufhörlich wiederholte Blasphemie »Gottesmord« seit Melito von Sardes, des Ambrosius unglaubliche Forderung nach »Ausrottung der Ungläubigen und der Zeugnisse des Unglaubens«, des Chrysostomos Verherrlichung der Gewalttat als Gottes Wille, Tertullians und Augustins Dekretierung des schmachvollen jüdischen Lebens (»den Völkern zum Zeugnis und euch zur Schmach […] So ist nun der Jude der Sklave des Christen, das ist auf dem ganzen Erdkreis bekannt«) – dies alles, unaufhörlich von den Kanzeln herunter wiedergekäut, machte es tatsächlich auf dem ganzen Erdkreis bekannt. Und so wurde aus dem fränkischen judenfreundlichen Volk das deutsche und das französische judenhassende Volk. Denn in einem Feldzug gegen das maurische Spanien 1063 kam es auch in Südfrankreich zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die einheimischen Juden. Hier versuchten die Bischöfe Einhalt zu gebieten, und Papst Alexander II. lobte sie dafür. Doch was nützen friedliche Aufrufe, wenn der Unrat dieser sogenannten Theologie jahrhundertelang kübelweise über die Köpfe der Predigtbesucher ausgegossen wird! Wie schrieb jener Glaber damals: Der Zorn der Christen sei Gottes Wille, denn nur »auf den Ratschluß Gottes läßt der Zorn der Christen zeitweise nach«. Schlag nach bei Chrysostomos: Gott hat die römischen Kaiser mit der Zerstörung des Tempels beauftragt.

Die Kammerknechtschaft vor und während der Pestzeitmorde

Im Jahr 1235 tauchte zum erstenmal die Blutbeschuldigung auf. In Fulda brannte eine Mühle in Abwesenheit des Müllers und seiner Frau nieder. Ihre Kinder verbrannten. Sofort wurde die Behauptung ausgesprengt, Juden hätten die Kinder getötet, um ihr Blut rituell zu verwenden. Das Ergebnis waren 32 ermordete Juden. Erregung erfaßte Juden und Christen. Friedrich II. ließ durch eine große Kommission von Fürsten, Äbten und gelehrten Juden aus ganz Europa feststellen, daß den Juden durch das Gesetz Mosis und den Talmud streng verboten sei, sich mit irgendwelchem Blut und natürlich erst recht mit Menschenblut zu beflecken. Der Kaiser untersagte daraufhin jedermann, eine derartige Anklage gegen Juden vorzubringen.[4] Diesen Befehl fügte Friedrich 1236 der Erneuerung des Wormser Judenprivilegs hinzu und dehnte das Privileg auf alle Juden Deutschlands aus. Dabei werden die Juden zum erstenmal als »Knechte (servi) der kaiserlichen Kammer« bezeichnet.

Mit diesem allerhöchsten Schutz schien der Tatsache Rechnung getragen, daß der Schutz der Juden durch die Landfriedensordnungen sich als illusorisch erwiesen hatte. Die Kammerknechtschaft wurde in der Rechtsgeschichte lange als Verbesserung der Judengesetzgebung betrachtet, ist aber seit Guido Kischs Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters (1954) als entscheidender negativer Wendepunkt zu sehen. Jetzt waren die Juden nicht mehr, wie in den bisherigen Landfriedensordnungen, eine von mehreren gleichberechtigten und gleich freien Gruppen wie Frauen, Kaufleute, Kleriker, Ausländer in Städten, sondern jetzt waren sie plötzlich ausgesondert als »servi«, was zumindest Abhängige bedeutete, und zwar als ganze Volksgruppe. Sie unterlagen einem Sonderrecht nicht als Kaufleute oder sonstige Berufsgruppe, sondern als Juden und als sonst nichts. Das schwächte ihre freie Stellung. (Das Waffenrecht war ihnen früher schon genommen worden.)

Friedrich II. schuf sich mit diesem »Schutz« hauptsächlich ein lukratives Hoheitsrecht, so wie er überhaupt die Kronrechte (Regalien) gegenüber den zentrifugalen Tendenzen der verschiedenen Territorien zu sichern und zu stärken suchte. Indem er alle Juden an die kaiserliche Kammer (jetzt natürlich die Fiskalkammer) band, konnte er hoffen, das Regal der Steuerhoheit über diese zahlungskräftige Gesamtgruppe zu sichern.

Die Wahl der Bezeichnung »servi camerae nostrae« folgte aus der Notwendigkeit, vor dem theologisch fundierten Anspruch der Kirche bestehen zu können. Die Lehre der ewigen Knechtschaft der Juden (servitus Judaeorum) kennen wir schon von Augustinus, der sie vielleicht spirituell meinte, aber nun wird sehr bald Thomas von Aquin lehren: »Da die Juden ewiger Knechtschaft überliefert sind, können die Fürsten über deren irdische Güter wie über ihr Eigentum verfügen«, und in der Summa theologiae: »Auch darin begeht die Kirche kein Unrecht, daß sie, da die Juden Sklaven der Kirche sind, über deren Güter verfügen kann.«

Judenpolitik war ein Grenzgebiet zwischen Kirche und Staat. Innozenz III. hat schon 1205 in einem Schreiben an den Bischof von Paris von der »ewigen Knechtschaft der Juden« wegen ihrer Schuld am Tod Christi gesprochen. Und in einer Bulle Innozenz’ III. aus dem Jahr 1208 heißt es: »Gott hat Kain zu einem auf Erden flüchtig Umherirrenden gemacht […] und ihn gezeichnet, damit er nicht getötet werde. So müssen auch die Juden über die Erde irren […] Das Blut Christi schreit gegen sie. Sie dürfen nicht getötet werden, damit das Christenvolk das göttliche Gesetz nicht vergesse.« Drei aufeinanderfolgende Päpste betonten scharf die Knechtschaft der Juden, was sich auch in den zuvor zitierten Texten des Thomas niederschlägt.

Die kirchliche Lehre über die Juden war jedoch bisher nicht ins weltliche Recht in Deutschland eingegangen. Der Sachsenspiegel kennt weder Knechtschaft (im Gegenteil definiert er jede Unfreiheit als Unrecht) noch Kammerknechtschaft. Friedrich ist der erste Legislator, der sich die kirchlichen Begriffe zu eigen macht. Es war sozusagen höchste Zeit, die deutlich beginnende Materialisierung der Judenknechtschaft in kaiserliche Bahnen zu lenken. So beeilte er sich denn, ein Jahr nach der Wormser Formulierung der Kammerknechtschaft, nämlich 1237, in einem Privileg für die Stadt Wien die Juden von öffentlichen Ämtern auszuschließen, »damit sie nicht die Amtsgewalt zur Bedrückung der Christen mißbrauchen; denn die kaiserliche Machtfülle hat von alters her zur Bestrafung des jüdischen Verbrechens den Juden immerwährende Knechtschaft auferlegt«. Auch das ist in Konkurrenz zur Kirche gesagt, da das Vierte Laterankonzil unter Innozenz III. 1215 als oberstes kirchliches Lehramt die Juden endgültig zu Parias gemacht, ihre Kennzeichnung an der Kleidung und ihre Ausschließung von öffentlichen Ämtern gefordert hatte. 1234 hat Papst Gregor IX. alle Judendekrete, auch die des dritten Innozenz, gesammelt und als Liber extra veröffentlicht; dieser Band wurde dem Kirchenrecht einverleibt, und so war also die Servitus Judaeorum kanonisiert. Die neue antijüdische Welle des Konzils und des Kirchenrechts wurde natürlich in der ganzen christlichen Welt bekannt.

Das sind die Gründe für die Form des kaiserlichen Vorgehens. Indem er von seinem persönlichen Gegner Gregor theologische Formeln in seine Gesetze übernahm, bewies er trotz des persönlichen Zerwürfnisses Achtung vor der Kirche als Institution. Er schrieb dem Papst 1236