Jugendliche Persönlichkeitsstörungen im psychodynamischen Diskurs - Kathrin Sevecke - E-Book

Jugendliche Persönlichkeitsstörungen im psychodynamischen Diskurs E-Book

Kathrin Sevecke

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Beschreibung

Das hoch aktuelle Thema der Wirksamkeit psychodynamischer Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeitsorganisation im Jugendalter ist erst wenig erforscht. Auch ist die Zurückhaltung bei vielen Praktikern immer noch groß, die Borderline-Persönlichkeit im Jugendalter zu früh zu diagnostizieren und ambulant zu behandeln. Die Autorinnen skizzieren die aktuellen Entwicklungslinien in der Erforschung der Persönlichkeitspathologie bei Jugendlichen sowie Perspektiven in Forschung und Diagnostik. Da einige Persönlichkeitsstörungsmerkmale gleichzeitig auch passagere Entwicklungsmerkmale darstellen, gehen sie auch ausführlich auf diese Differentialdiagnose ein. Die vorgestellten psychodynamischen Therapieoptionen und Interventionen basieren auf der übertragungsfokussierten Therapie nach Kernberg.

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Herausgegeben vonFranz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Kathrin Sevecke/Maya Krischer

JugendlichePersönlichkeitsstörungenim psychodynamischenDiskurs

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99808-4

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: Paul Klee, Kampfscene aus der komisch-phantastischen Oper»Der Seefahrer«, 1923/akg-images/Erich Lessing

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen EPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1 Einleitung

2 Definition von Persönlichkeitsstörungen

2.1 Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter aus psychodynamischer Sicht

2.2 Verlauf und Stabilität von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter

2.3 Das Hybridmodell des DSM-5 aus psychodynamischer Sicht

2.4 Differenzialdiagnose Adoleszenzkrise versus Persönlichkeitsstörung

3 Psychodynamische Theorien zum Verständnis von Persönlichkeitsstörungen

3.1 Objektbeziehungstheorie

3.2 Das psychodynamische Identitätskonstrukt im Jugendalter

4 Psychodynamisch orientierte Psychotherapieverfahren

4.1 Die psychodynamisch orientierte Behandlung von Jugendlichen mit Persönlichkeitspathologie

4.2 Wirksamkeit psychodynamisch orientierter Psychotherapieverfahren zur Behandlung von Persönlichkeitspathologie

4.3 AIT: Adolescent Identity Treatment

4.4 MBT-A: Mentalisierungsbasierte Therapie in der Adoleszenz

5 Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen aus psychodynamischer Sicht

6 Behandlung mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie für Adoleszente – TFP-A

6.1 Der Behandlungsvertrag in der TFP-A

6.2 Rolle der Eltern beziehungsweise Familie

6.3 Interventionsmaßnahmen im Sinne der TFP-A

7 Anwendung von TFP-A: Ein Fallbeispiel

8 Fazit

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet-basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

– Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Das Buch zum Thema Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter greift die aktuelle Diskussion zur Frage auf, ob und wie Persönlichkeitsstörungen schon in jungen Lebensjahren erkannt und behandelt werden sollen. Denn die alten Argumente der Stigmatisierung, des Sichauswachsens normaler Entwicklungsvorgänge und der mangelnden Stabilität von Diagnosen haben sich durch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht bestätigen lassen. Vielmehr sehen wir heute die große Entwicklungsgefährdung durch strukturelle Schwächen des Selbst, können die zerstörerischen Kräfte von Kontinuitätsbrüchen erkennen und erfahren, dass Therapieverfahren existieren, die Hilfe zu leisten vermögen.

Der von den Autorinnen geführte psychodynamische Diskurs bewegt sich in diesem spannenden wissenschaftlichen Feld, in dem die Psychoanalyse den verhaltensorientierten Sichtweisen und Behandlungsmöglichkeiten ohne Feindschaft begegnen kann. Forschungsergebnisse werden vorurteilsfrei referiert und erlauben eine gedankliche Synthese unterschiedlicher Zugänge.

Nach der Definition von Persönlichkeitsstörungen und einer Darstellung aktueller Modelle werden Forschungsergebnisse zu Verlauf und Stabilität von Persönlichkeitsstörungen zusammengefasst. Psychodynamische Theorien zum Verständnis der Entwicklung jugendlicher Persönlichkeitsstörungen leiten zu den psychodynamisch orientierten Therapieverfahren über, die derzeit praktiziert und wissenschaftlich evaluiert werden: das »Adolescent Identity Treatment«, die »Mentalisierungsbasierte Therapie in der Adoleszenz« und schließlich die »Übertragungsfokussierte Psychotherapie für Adoleszente«, die auch mit einigen sehr interessanten Behandlungsdetails vorgestellt wird. Ein Fallbericht einer jugendlichen Borderline-Patientin rundet die Darstellung ab.

Das Buch gibt einen beachtenswerten Überblick über die psychodynamisch orientierte Diagnostik, Therapie und Forschung auf dem Gebiet der Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter und öffnet sich für einen Dialog mit anderen aktuellen, verhaltensorientierten Verfahren. Die Bedeutung früher Störungen der Persönlichkeitsentwicklung für die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz wird dadurch noch einmal unterstrichen. Es zeigt sich, wie groß der Beitrag ist, den die Psychodynamik zum Verständnis dieser Prozesse leisten kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

1 Einleitung

Trotz vorliegender empirischer Studien, die eindeutig die Existenz und Diagnostizierbarkeit von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter belegen (Levy et al., 1999; Westen, Shelder, Durrett, Glass u. Martens, 2003; Krischer, Sevecke, Lehmkuhl u. Pukrop, 2007), werden Persönlichkeitsstörungen bei Jugendlichen leider immer noch kontrovers diskutiert. Etliche Autorinnen und Autoren befürworten, dass Persönlichkeitsstörungen bereits bei Jugendlichen, teilweise sogar schon bei Kindern diagnostiziert werden sollten (Westen, Shelder, Durrett, Glass u. Martens, 2003; Durrett u. Westen, 2005; Krischer, Sevecke, Petermann, Herpertz-Dahlmann u. Lehmkuhl, 2010), sodass durch eine Früherkennung gezielte therapeutische Interventionen möglich sind. Andere halten an der Skepsis fest, Jugendliche durch eine frühe Diagnose der Persönlichkeitspathologie zu stigmatisieren. Inzwischen existiert auch hinreichend empirische Evidenz dafür, dass entsprechend auffällige Persönlichkeitsmerkmale bereits im Kindesalter zu beobachten sind und sich in der Adoleszenz weiter ausdifferenzieren. Dem steht entgegen, dass die Manifestation im Sinne der formalen Diagnosesysteme wie ICD-10 erst ab dem Jugend- und jungen Erwachsenenalter kodierbar ist (De Clercq u. De Fruyt, 2003; Westen et al., 2003; Krischer et al., 2007).

Längst ist auch der Nachweis wirksamer ambulanter psychodynamischer Behandlungsansätze von Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter mit der Übertragungsfokussierten und der Mentalisierungsbasierten Psychotherapie geführt worden. Im Hinblick auf das Jugendalter gibt es aus psychodynamischer Sicht letztlich keinen Grund, die pathologische Persönlichkeitsorganisation, die auf Repräsentanzen als Erinnerungsspuren früher defizitärer Interaktionsprozesse beruht, nicht frühzeitig zu identifizieren und spezifisch zu behandeln. Dennoch beschäftigen sich noch wenige Forschungsgruppen mit dem hochaktuellen Thema der Wirksamkeit psychodynamischer Psychotherapie beispielsweise der Borderline-Persönlichkeitsorganisation im Jugendalter, obwohl aus klinischer Sicht die Schwierigkeiten hoher Suizidalität, wiederholter Klinikaufenthalte und schwerer Verläufe bei fehlender spezifischer Behandlung solcher strukturell gestörten Jugendlichen hinreichend bekannt sind. Groß ist immer noch die Zurückhaltung bei vielen Praktikern, die Borderline-Persönlichkeit im Jugendalter zu früh zu diagnostizieren, geschweige denn ambulant zu behandeln.

Ziel dieses Buches ist es, die aktuellen Entwicklungslinien in der Erforschung von Persönlichkeitspathologie im Jugendalter darzustellen sowie neue Perspektiven hinsichtlich Diagnostik und psychodynamisch ausgerichteter Therapieoptionen zu skizzieren. Aktuelle Studienergebnisse verweisen eindeutig darauf, dass Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter zuverlässig erfasst werden können und diagnostiziert werden sollten. Zugleich fehlt es noch an spezifischen Instrumenten, welche die Besonderheiten von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter abbilden und von Adoleszenzkrisen differenzieren können. Da einige Persönlichkeitsstörungsmerkmale gleichzeitig auch passagere Entwicklungsmerkmale darstellen, wird auf diese Differenzialdiagnose ausführlich eingegangen.

Die Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen scheint im Jugendalter höher als im Erwachsenenalter zu liegen. Ihre Stabilität hingegen ist im Jugend- mit dem Erwachsenenalter vergleichbar und weniger unveränderlich, als lange Zeit angenommen (siehe auch Sevecke, Lehmkuhl, Petermann u. Krischer, 2011). Das Buch erläutert beispielhaft anhand einer Kasuistik, wie psychodynamische Interventionsmöglichkeiten basierend auf der Übertragungsfokussierten Therapie nach Kernberg bei Jugendlichen mit Persönlichkeitsentwicklungsstörungen durchgeführt werden können.

2 Definition von Persönlichkeitsstörungen

2.1 Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter aus psychodynamischer Sicht

Das ursprünglich von Sigmund Freud geprägte psychodynamische Persönlichkeitsmodell sieht im Konflikt stehende unbewusste Aspekte (Es), moralische Instanzen (Über-Ich) und die bewusste Wahrnehmung (Ich) als die Persönlichkeit bedingend an. Demnach entwickelt sich die Persönlichkeit als eine individuelle Gestaltung dieser Aspekte in der Auseinandersetzung mit den kindlichen Bezugspersonen und darauf beruhender frühkindlicher Erfahrungsmuster. Eine weitere Annahme besteht darin, dass Verhaltensmuster durch die frühkindlich sich entwickelnde Persönlichkeit vorgeformt werden und in späteren Beziehungen wiederkehren.

Dieses Persönlichkeitsmodell wurde durch die Objektbeziehungstheorie nach Melanie Klein und später Otto Kernberg weiterentwickelt. Diese Theorie schrieb die wesentlichen frühen Einflussfaktoren nicht nur einseitig der Mutter-Kind-Beziehung, sondern wechselseitig der Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson zu und hypostasierte, dass Kinder früh Vorstellungen über sich selbst sowie ihre Bezugspersonen entwickeln und dies zu frühen Repräsentanzen oder inneren Schemata von Beziehungen sowie Sichtweisen von sich selbst und anderen führt. Nach Ansicht der Objektbeziehungstheorie sind diese Selbst- und Fremdrepräsentanzen zentral für die Persönlichkeitsentwicklung sowie die spätere Beziehungsgestaltung eines Individuums. In der gesunden frühen Entwicklung eines Kindes bilden sich demnach flexible Selbst- und Objektrepräsentanzen dann aus, wenn in der frühen Mutter- bzw. Versorger-Kind-Interaktion die Beantwortung kindlicher Affekte passend erfolgt und sich infolgedessen eine sichere Bindung sowie die Erfahrung erwartbarer Reaktionen vonseiten der Hauptbindungsperson entwickelt hat. Nach den Erkenntnissen der Objektbeziehungstheorie wird frühen defizitären neben traumatischen Umwelterfahrungen ein wesentlicher Einfluss zugeschrieben und als maßgeblich für die Entwicklung von pathologischen Beziehungsgestaltungen angesehen (Kernberg, 2006).

Unter dem Oberbegriff der psychischen Struktur hat die psychodynamische Theoriebildung alle früh internalisierten Objektbeziehungen konzeptionalisiert, welche die spätere individuelle Persönlichkeitsentwicklung sowie die Entwicklung von individuellen Verhaltensmustern unter Einbeziehung von Bewältigungs- und Abwehrmustern beeinflusst. Der Einfluss einer psychischen Struktur auf die Wahrnehmung, die Gestaltung von Beziehungen, auf das Verhalten und die Abwehrprozesse eines Menschen wird als grundlegend angesehen, um eine Persönlichkeit verstehen zu können. Dementsprechend beeinflusst die psychische Struktur aus gegenwärtiger psychodynamischer Sicht alle Prozesse des psychischen Erlebens und Verhaltens auf jeder Entwicklungsstufe (Arbeitskreis OPD-KJ-2, 2013).