Junge Königinnen - Leah Redmond Chang - E-Book

Junge Königinnen E-Book

Leah Redmond Chang

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Beschreibung

Drei Königinnen in einer von Männern dominierten Welt - mit farbigem Bildteil

Die Historikerin Leah Redmond Chang bringt in ihrem bahnbrechenden Werk der Erzählgeschichte die drei Leben der großen Renaissance-Königinnen Katharina de‘ Medici aus Frankreich, ihrer Tochter Elisabeth von Valois aus Spanien und Maria Stuart aus Schottland zusammen. Gemeinsam durchlebten sie die grundlegenden Veränderungen, die das Europa des 16. Jahrhunderts erschütterten: eine Zeit expandierender Imperien, religiöser Zwietracht und populistischer Revolten, als Konzepte von Nationalität und absolutistische Vorstellungen von Herrschaft aufkamen. Sie lernten, dass das Dasein als Königin bedeutet, einen ständigen Krieg gegen die tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit ihrer Zeit zu führen. Eine königliche Krone konnte eine junge Frau erheben, ebenso konnte sie sie zerstören. So gelangten auch diese drei Frauen während ihrer Regierungszeit zu großer Macht, und jede von ihnen geriet früher oder später ins Wanken. Hochspannend führt Redmond Chang die Lebenslinien der drei Königinnen von der Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter zusammen. Sie deckt anhand kaum erforschter Archivmaterialien dramatische Fakten und Parallelen zwischen ihnen auf, beleuchtet die Bindungen, Rivalitäten, Hoffnungen und Wünsche, die ihr Leben geprägt und den Lauf der Geschichte verändert haben – und hebt den spezifischen Punkt weiblicher Macht hervor, der mit klugem Kalkül und großer Opferbereitschaft einherging. Auch geht sie auf Fragen ein wie: War Katharina wirklich so böse? War Maria so unschuldig? Und könnte es sein, dass Katharinas Tochter, Elisabeth von Valois, jung wie sie war, viel mehr Macht ausübte als gedacht? »Junge Königinnen« liefert ein neues nuanciertes und bisher unbekanntes Bild von drei einflussreichen Frauen, die die Königshäuser und Gesellschaft Europas prägten und die dennoch stets der Gnade von Ehemann, Familie und Königreich unterlagen.

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Seitenzahl: 931

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Buch

Die Historikerin Leah Redmond Chang bringt in ihrem bahnbrechenden Werk der Erzählgeschichte die drei Leben der großen Renaissance-Königinnen Katharina de’ Medici aus Frankreich, ihrer Tochter Elisabeth von Valois aus Spanien und Maria Stuart aus Schottland zusammen. Gemeinsam durchlebten sie die grundlegenden Veränderungen, die das Europa des 16. Jahrhunderts erschütterten: eine Zeit expandierender Imperien, religiöser Zwietracht und populistischer Revolten, als Konzepte von Nationalität und absolutistische Vorstellungen von Herrschaft aufkamen. Sie lernten, dass das Dasein als Königin bedeutet, einen ständigen Krieg gegen die tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit ihrer Zeit zu führen. Eine königliche Krone konnte eine junge Frau erheben, ebenso konnte sie sie zerstören. So gelangten auch diese drei Frauen während ihrer Regierungszeit zu großer Macht, und jede von ihnen geriet früher oder später ins Wanken. Hochspannend führt Redmond Chang die Lebenslinien der drei Königinnen von der Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter zusammen. Sie deckt anhand kaum erforschter Archivmaterialien dramatische Fakten und Parallelen zwischen ihnen auf, beleuchtet die Bindungen, Rivalitäten, Hoffnungen und Wünsche, die ihr Leben geprägt und den Lauf der Geschichte verändert haben – und hebt den spezifischen Punkt weiblicher Macht hervor, der mit klugem Kalkül und großer Opferbereitschaft einherging. Auch geht sie auf Fragen ein wie: War Katharina wirklich so böse? War Maria so unschuldig? Und könnte es sein, dass Katharinas Tochter, Elisabeth von Valois, jung, wie sie war, viel mehr Macht ausübte als gedacht? »Junge Königinnen« liefert ein neues nuanciertes und bisher unbekanntes Bild von drei einflussreichen Frauen, die die Königshäuser und Gesellschaft Europas prägten und die dennoch stets der Gnade von Ehemann, Familie und Königreich unterlagen.

Autorin

Leah Redmond Chang ist Historikerin und hat ihren Schwerpunkt auf der Geschichte der Frau. Sie promovierte in Vergleichender Literaturwissenschaft an der Universität von Michigan in Ann Arbor und war ordentliche Professorin für französische Literatur und Kultur an der George-Washington-Universität in Washington, D. C. Für ihre Studien zu Frauen in der Moderne wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Heute lebt und arbeitet Redmond Chang mit ihrem Mann und den drei Kindern in Washington, D. C., und London.

Leah Redmond Chang

Junge Königinnen

Katharina de’ Medici, Elisabeth von Valois, Maria Stuart und der Preis der Macht

Aus dem Englischenvon Claudia Amor, Johanna Ott, Jörn Pinnow

Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Young Queens: Three Renaissance Women and the Price of Powerbei Bloomsbury Circus, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe Oktober 2023 

Copyright © 2023 der Originalausgabe: Leah Redmond Chang

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Motiv: Florilegius/Bridgeman Images

Papierstruktur: Adobe Stock/svetlanais

Gold: AdobeStock/bittedankeschön

Kronen in Stammbaum: adobe stock/Khawla

Satz: Buch-Werkstatt GmbH

SB ∙ CF

ISBN 978-3-641-25335-6V004

www.goldmann-verlag.de

Inhalt

Prolog

Teil 1 

1 Die Waise

Italien, 1519–1533 

2 Der Zweitgeborene

Frankreich, 1533–1536 

3 Unfruchtbar

Frankreich, 1536–1542 

4 Mutterschaft

Frankreich, 1543–1553 

5 Der Preis

Schottland und Frankreich, 1537–1548 

6 Imperien

Frankreich, 1547–1553 

7 Königliche Bräute

Frankreich, 1558–1559 

8 Unfälle

Frankreich, 1559 

Teil 2 

1 Marias Buch

Frankreich, 1548–1554 

2 Reisen

Frankreich und Spanien, 1559 

3 Briefe

Frankreich und Spanien, 1559–1560 

4 Das Herz des Königs, der Körper der Königin

Spanien, 1560 

5 Söhne und Töchter

Frankreich, 1560–1561 

Teil 3 

1 Zu Hause

Frankreich, 1560

2 Don Carlos

Frankreich und Spanien, 1561 

3 Der Test

Frankreich und Spanien, 1561 

4 Die Rückkehr

Frankreich, Spanien, Schottland, England, 1561

Teil 4 

1 Königin des Glaubens

Schottland, Frankreich und Spanien, 1561–1563 

2 Katholische Könige

Schottland, 1562–1565 

3 Familienangelegenheiten

Frankreich, an der Grenze zu Spanien, 1565 

4 Die zwei Körper einer Königin

Schottland und Spanien, 1566 

5 Prinzen und Prinzessinnen

Schottland und Spanien, 1566–1567 

6 Das Blatt wendet sich

Frankreich und Schottland, 1567 

7 Die Gefangene

Lochleven Castle, Schottland, 1567 

8 Tod einer Königin

Schottland, England, Frankreich, Spanien, 1568 

9 Letzte Briefe

Spanien, Frankreich und England, 1568 

10 Tochterliebe

Spanien und Frankreich, 1568 

Dank

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Nachweis Bildteil

Register

Bildteil

Prolog

Den zierlichen Körper in den schwarzen Habit einer Benediktinerin gehüllt, lag das Mädchen im Bett. Das Haar unter der Haube war kurz – es war in aller Eile und, so gut es ging, geschnitten worden. Von fern waren die Laute eines anschwellenden Tumults zu hören. Kurz darauf näherten sich Schritte.

Ihr Schlafzimmer befand sich tief im Inneren des an der Via Ghibellina am Rand von Florenz gelegenen und von Steinmauern umgebenen Nonnenklosters Santa Maria Annunziata delle Murate. Sie wartete ab. Das massive Holztor des meist einfach nur als Le Murate bezeichneten Konvents trennte die Nonnen und Novizinnen vom bunten Treiben und dem Chaos des weltlichen Lebens in der Stadt. Le Murate galt als Ort frommer weiblicher Hingabe und geistiger Einkehr. Doch in den frühen Morgenstunden des 20. Juli 1530 empfand die elfjährige Caterina de’ Medici nichts als Angst.1

Sie war weder Nonne noch Novizin. Caterina war zu Gast im Le Murate, eine Geisel des Rates, der die Republik Florenz regierte. Mit Fackeln in den Händen waren am frühen Abend Soldaten und Magistrate vor dem Klostertor aufgetaucht. Die Männer waren aufgeregt. Drei Jahre zuvor, im Jahre 1527, hatte der Rat die Stadt der Kontrolle der Medici entrissen, doch nun hatte er seinen Einfluss wieder verloren. Mit Unterstützung des spanischen Königs, des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Karl V., belagerte Papst Clemens VII., ein gebürtiger Medici, Florenz. Lebensmittel und auch sonstige Vorräte gingen zur Neige, die Bürger rebellierten und der Rat sah keinen Ausweg mehr – außer einem. Und so fielen an diesem düsteren Abend im Juli in der Hoffnung, den Papst auf diese Weise zum Abzug seiner Truppen zu bewegen, die Ratsmitglieder in die Via Ghibellina ein, um ihre junge Geisel zu holen.

Doch da hatten sie die Rechnung ohne die Nonnen von Le Murate gemacht. Mutig und beharrlich weigerten sich die Schwestern, das Klostertor zu öffnen.2

Je weiter der Abend fortschritt, desto ungeduldiger wurden die Magistrate. Schließlich gab jemand den Soldaten ein Zeichen. Wenige Momente später ertönte ohrenbetäubendes Gewehrfeuer und das Klostertor zerbarst.

Als Silvestro Aldobrandini, Sekretär der Republik, und seine Männer über die Schwelle traten, fanden sie sich inmitten eines Wirrwarrs aus Habiten und Schleiern wieder. Um die Männer an einem weiteren Vorstoß ins Kloster zu hindern, sanken die Nonnen zuerst auf die Knie und warfen sich dann weinend, betend, ja flehend und begleitet von lautstarkem Widerspruch auf den Boden. Als der Morgen graute, hatte sich Aldobrandini durch die Barrikade der Frauen gekämpft und machte sich daran, das Kloster zu durchsuchen. In besagter Kammer wurde er schließlich fündig.

Aldobrandini zerrte Caterina aus dem Bett. Sie muss einen seltsamen Anblick geboten haben – ein müdes und völlig verängstigtes kleines Mädchen in einem zerknitterten Nonnengewand. Doch falls er Demut von ihr erwartet hatte, wurde er enttäuscht. Caterina schlug sich tapfer. Schon damals ließ sie den Mut und die Widerstandsfähigkeit erkennen, die ihre späteren Jahre prägen sollten, das, was eine Nonne als »unbeugsamen und edlen Geist« beschrieb. Schon lange bevor die Männer ihr Zimmer stürmten, hatte sich die kleine Caterina geschworen, nicht kampflos aufzugeben.3

Die Geschichte dieser schrecklichen Nacht wurde im Le Murate noch Jahrzehnte später erzählt. Von Generation zu Generation wurde dieser Stoff, aus dem Klosterlegenden gesponnen sind, von den Nonnen weitergegeben. Erst gegen Ende des Jahrhunderts, im Jahr 1598, entschied sich Schwester Giustina Niccolini, sie niederzuschreiben. Während der Arbeit an ihren Aufzeichnungen war sich Giustina natürlich voll und ganz bewusst, was aus dem verängstigten kleinen Mädchen von einst geworden war. Geboren in Florenz, war Caterina zum Zeitpunkt ihres Todes eine Königin Frankreichs gewesen, die treibende Kraft hinter dem französischen Thron und eine der beeindruckendsten Frauen Europas.

Caterina hatte ein außergewöhnliches Leben in außergewöhnlichen Zeiten geführt. Sie hatte einen Mann geheiratet, der dann völlig unerwartet König von Frankreich wurde. Sie hatte miterlebt, wie die protestantische Reformation in Europa Fuß fasste, und mit ansehen müssen, wie Frankreich von religiösen und politischen Konflikten zerrissen wurde. Sie hatte Frieden geschlossen und Kriege geführt. Sie hatte Kinder zur Welt gebracht, von denen einige überlebten und andere starben. Sie hatte zugesehen, wie ihre Söhne im Knabenalter zu Königen gekrönt wurden, und hatte ihnen, während sie die unermessliche Last der Krone trugen, stets zur Seite gestanden. Sie hatte bittere Tränen vergossen, als ihre Töchter sie noch im Mädchenalter verließen, um zu heiraten; und Tränen der Freude, als diese selbst Mütter wurden.

Caterina hatte Frankreichs Erscheinungsbild verändert, indem sie seine Gärten gestaltete und seine Schlösser und Denkmäler errichten ließ. Stets in Schwarz gekleidet, war sie zum Sinnbild für das Reich geworden und in ganz Europa schlicht als »Königinmutter« bekannt. Und Frankreich hatte auch sie verändert. Schon im Teenageralter hatte Caterina die französische Sprache erlernt und die Bräuche des Landes übernommen. Sogar ihren Namen änderte sie, und so verwandelte sich die italienische Caterina in eine französische Catherine. Sie hatte den französischen Adel wie auch den französischen und aristokratischen Teil ihres eigenen Stammbaums zu schätzen gelernt, auch wenn sie ihre italienischen bürgerlichen Wurzeln nie leugnen konnte – zumindest nicht ganz.

Das Mädchen, das einst zu Katharina de’ Medici, zur Königinmutter von Frankreich werden sollte, kam mehr oder weniger zufällig und im Zuge eines bemerkenswerten Aufstiegs an die Macht. Noch bemerkenswerter war allerdings das Ausmaß dieser Macht, an der Katharina de’ Medici festhielt dank wohlüberlegter Entscheidungen, eines unerschütterlichen Glaubens an ihre eigene Autorität und der Entschlossenheit, ihre Kinder sowie das ihr anvertraute Reich zu schützen. Unermüdlich arbeitete sie daran, ihre Position zu festigen und Frankreich aus dem Morast des Krieges zu führen. Und trotz umfassender Herausforderungen hielt sie ihre Stellung. Über knapp 30 Jahre hinweg regierte sie Frankreich in allen Aspekten außer auf dem Papier.

Während ihrer gesamten Herrschaft als Königinmutter versuchten ihre Feinde, sie zurück in den Schoß des häuslichen Lebens zu verbannen, wo ihre Hauptaufgabe die Erziehung ihrer Kinder gewesen wäre. Doch Katharinas Ansicht nach war ihr Platz an der Seite des Königs, ihres Sohnes.

Bevor sie Königinmutter wurde, war Katharina de’ Medici die Königin von Frankreich, die pflichtbewusste Ehefrau von König Heinrich II. Ihre Ehe hielt über 25 Jahre, bis zu dem Sommertag im Jahr 1559, an dem Heinrich jenen furchtbaren Unfall erlitt, der ihn das Leben kosten sollte. In tiefer Trauer hüllte sich Katharina in Schwarz und suchte die Nähe zu ihrer ältesten Tochter Elisabeth von Valois, die erst kürzlich Philipp II., den König von Spanien, geheiratet hatte. Mit ihr trauerte Maria Stuart, die betörende Königin von Schottland und Katharinas Schwiegertochter. Diese drei Königinnen lebten gemeinsam an einem Hof: Katharina, nun Frankreichs Königinmutter; Elisabeth, die Königin von Spanien; und Maria, die neue Königin von Frankreich. Angesichts der Unsicherheit und Angst, die der Tod des Königs mit sich brachte, spendeten sie einander Trost – zwei Mädchen im Teenager- und eine Frau im mittleren Alter, in Trauer und Sorge vereint.

Für Katharina, Elisabeth und Maria sollte sich der Tod von König Heinrich als das Ende einer Ära erweisen. Über ein Jahrzehnt hatten sie gemeinsam in Frankreich gelebt, einander verbunden durch Blutsverwandtschaft und Heirat, durch Bündnisse, Freundschaft und Liebe sowie durch kindlichen Respekt gegenüber den Eltern. Der Tod des Königs sollte sie in neue Rollen drängen, ihnen neue Lasten auferlegen, sie zu neuen Bündnissen treiben und dazu bringen, sich neu zu erfinden. Bald schon sollten sich ihre Wege trennen: Elisabeth verließ Ende des Jahres 1559 die Heimat ihrer Kindheit, um ein neues Leben als Königin von Spanien zu beginnen. Und nicht viel später, nämlich im Jahr 1561, kehrte Maria in ihr Königreich nach Schottland zurück. Katharina blieb in Frankreich, um ihren noch jungen Sohn, den zehnjährigen König Karl IX., zu hüten. Dieser Abschied – von Frankreich, voneinander, für Elisabeth und Maria von den Annehmlichkeiten der Kindheit, für Katharina von ihrer Rolle als junge Mutter – sollte ihre Freundschaften und Familienbande für den Rest ihres Lebens grundlegend verändern.

Katharina, Elisabeth und Maria waren eine Familie. Sie kannten einander sehr gut. Eine Zeit lang empfanden sie Zuneigung und Respekt füreinander – zumindest so lange, bis der politische Druck zu belastend für ihre Beziehung wurde. Doch selbst dann vergaßen sie ihre verwandtschaftlichen Bande und Pflichten nicht: Maria nannte Elisabeth immer ihre »Schwester« und behielt sie als eine ihrer besten Freundinnen aus Kindertagen in liebevoller Erinnerung – eine Erinnerung, die Elisabeth teilte. Und noch lange nachdem sie Frankreich verlassen hatte, bezeichnete Maria sich als Katharinas »Tochter«. Katharina erwiderte dies mit gleicher Freundlichkeit.

Das vorliegende Buch begleitet Katharina, Elisabeth und Maria, deren Schicksale eng miteinander verknüpft waren, über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten hinweg. Indem man ihre Geschichten als Teile einer größeren Erzählung interpretiert, werden Muster im Hinblick auf die Beziehung zwischen Frauen und Macht deutlich, die bei separater Betrachtung möglicherweise übersehen oder ignoriert würden. Katharina, Elisabeth und Maria regierten unterschiedliche Königreiche und waren dementsprechend gezwungen, sich mit den jeweiligen Sitten und kulturellen Werten, Sprachen, Religionen und Erwartungen auseinanderzusetzen. Sie waren grundverschieden, und jede von ihnen hatte mit anderen Belastungen zu kämpfen. Ihre Erfahrung als Herrscherinnen war jedoch eher von ihrem Frausein geprägt als von irgendwelchen kulturellen Gegebenheiten. Und in diesem thematischen Aspekt spiegeln ihre Geschichten einander.

Die Aufzeichnungen, die ihr Leben dokumentieren – ein Sammelsurium aus Briefen, diplomatischen Depeschen, Botschafterberichten, Memoiren, Gedichten, Abhandlungen, Notizbüchern, Chroniken und Porträts –, offenbaren die Frauen hinter den Königinnen. Sie vermitteln uns einen Eindruck von ihren Freundschaften und Eifersüchteleien, ihren Schularbeiten und liebsten Freizeitbeschäftigungen und ermöglichen uns einen Blick auf ihre kindlichen Eigenarten und Neigungen – beispielsweise einen Hang zur Herrschsucht oder eine Vorliebe für Unfug. Wir erfahren von ihrem ungeduldigen Heiratswunsch, aber auch von ihren damit verbundenen Ängsten, von den stürmischen Zeiten der Pubertät, der Liebe zu ihren Ehemännern und Müttern sowie mitunter auch von ihren Ressentiments. Die Schriftstücke legen ihre unterschiedlichen Loyalitäten und intimsten Ängste dar. Wir lernen sie kennen, wie sie einander kannten – als komplexe und unvollkommene Menschen, die neben ihrem Potenzial auch Fehler und Schwächen aufweisen.

Als Königinnen standen Katharina, Elisabeth und Maria an der Spitze von Königreichen, die im politischen Netz der europäischen Renaissance miteinander verbunden waren. Ihre jeweilige Regentschaft war geprägt von den Umbrüchen, die Europa in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erlebte, als zwischen Protestanten und Katholiken Krieg wütete und Hochzeiten, Geburten und die Loyalität zur Familie die Figuren auf dem politischen Schachbrett bewegten. Drohende Kriege und die Angst vor Aufständen zwangen sie, schon in jungen Jahren eine politische Verantwortung von einem Ausmaß zu schultern, vor dem selbst ältere Frauen zurückgeschreckt wären. Kaum in der Pubertät, legten sie schon ihre Ehegelübde ab und zogen fort in fremde Länder, wohl wissend, dass sie ihre Heimat und ihre Familien vielleicht nie wiedersehen würden. Schwangerschaft und Geburt setzten ihnen körperlich zu, und die Last dynastischer Ehen hinterließ sichtbare Spuren. Sie hatten mit Angstzuständen und Depressionen zu kämpfen und spielten in der Öffentlichkeit dennoch die Rollen, die von ihnen erwartet wurden.

Sie hegten Hoffnungen und Träume, empfanden Sehnsucht und Reue – wobei die beiden Letzteren für die Renaissance genauso prägend waren wie irgendwelche Dekrete, Schlachten oder die Geburt eines Königs.

Mit der Schilderung ihrer Geschichten folgt Junge Königinnen nicht nur Katharina, Elisabeth und Maria auf ihren verschlungenen Wegen, sondern erzählt auch eine übergeordnete Geschichte über weibliche Herrschaft. Denn alle drei zusammengenommen, haben diese Frauen alle Rollen gespielt, die eine Königin zur Zeit der Renaissance einnehmen konnte: Da wäre einmal die souverän regierende Monarchin – eine Königin, die uneingeschränkt über ihr Reich herrscht. Dann die Königsgemahlin, die ihren Titel allein ihrer Heirat zu verdanken hat. Und zu guter Letzt die Königinmutter, die Witwe des verstorbenen und Mutter des neuen Königs. Im Verlauf ihres Lebens sollte Maria jede dieser Rollen einmal innehaben, Katharina zwei von den dreien und Elisabeth nur eine.

Eine Königin im Europa des 16. Jahrhunderts hatte also viele Gesichter. Anders als bei einem König entschieden bei ihr die Umstände darüber, welche Rolle ihr zustand und wie weit ihre Macht reichte. Im europäischen Mittelalter und der Frühen Neuzeit waren Könige die Norm. Frauen saßen eher selten auf dem Thron. Zumindest theoretisch stand ein König an der Spitze des Reiches und die Dauer seiner Herrschaft hing (außer im Falle eines Staatsstreichs) davon ab, wie lange er lebte. Bis zu seinem Tod hatte er sich vor niemandem außer Gott zu verantworten. Die Rolle einer Königin war dagegen nicht derart in Stein gemeißelt: Eine Frau konnte verschiedene Positionen einnehmen, und die Macht, die mit diesen einherging, konnte im Verlauf ihres Lebens zu- und abnehmen.

Natürlich waren Katharina, Elisabeth und Maria nicht die einzigen mächtigen Frauen im Europa der Renaissance. Im Gegenteil, sie lebten in einer Ära weiblicher Herrschaft, wie es sie bis dahin nicht gegeben hatte, denn zu ihrer Zeit wurden viele europäische Königreiche von souveränen Monarchinnen oder königlichen Regentinnen geführt. Nicht zuletzt wegen der religiösen und politischen Konflikte in der Mitte des 16. Jahrhunderts sprengten die Frauen in Bezug auf ihre politische Macht alle Erwartungen. Eine Frau wie Katharina de’ Medici zum Beispiel erfand sozusagen die politische Rolle der Königinmutter und verlieh ihr eine nie dagewesene Autorität. Sogar eine junge Frau wie Elisabeth von Valois, die auf die Rolle der gebärfreudigen Gemahlin beschränkt war, stellte irgendwann fest, dass sie die Politik beeinflussen konnte, wenn auch oft nur im Geheimen und auf Umwegen.

Die Sicherheit einer Königin auf dem Thron war jedoch immer gefährdet. Das galt sowohl für eine souverän regierende Königin als auch für eine Königsgemahlin. Denn obwohl eine unabhängige Monarchin wie Maria I., Königin von Schottland, mit derselben weltlichen und theoretisch gottgegebenen Macht ausgestattet war wie ein König, wurde sie in einer Kultur, in der die Frauenfeindlichkeit tief verwurzelt war, immer wieder auf ihr Geschlecht reduziert. Im 16. Jahrhundert wurde von treuen Untertanen der Monarchien erwartet, dass sie sich für die Stabilität des Reiches, die Sicherheit ihres Souveräns sowie für die Erhaltung seiner Macht einsetzten. Nicht nur Frauen und Mädchen mussten Opfer für das Reich bringen. Um das Wohlergehen des Herrschers zu sichern, konnte auch ein königlicher Knabe zum politischen Spielball werden. Und sogar ein König konnte zu schmerzhaften Entscheidungen gezwungen sein, wenn es um den Schutz des Reiches ging.

Doch in einer Kultur, die Frauen für körperlich und geistig unterlegen hielt, war die Macht einer souveränen Königin und sogar ihr Wert für das Reich durch ihr Geschlecht vorherbestimmt und kompromittiert – und aus diesem Grund kam ihre Erfahrung auf dem Thron näher an die einer Königsgemahlin heran als an die eines Königs.

Kein Königreich jubilierte bei der Vorstellung, dass eine Frau die Macht der Krone ausüben sollte, ganz gleich, ob sie nun selbst auf dem Thron saß oder in seinem Schatten die Fäden zog. Die Krönung einer Frau war für ausländische wie inländische Feinde ein Zeichen, dass das Königreich als Ganzes verwundbar war. Und diese genderspezifische Schwäche wurde im 16. Jahrhundert erst recht zu einer Belastung, da die Reformation mit der Unfehlbarkeit der römisch-katholischen Kirche und der Unantastbarkeit der Monarchen gleich zwei Vorstellungen infrage stellte, die bis dahin die Grundpfeiler der Gesellschaft dargestellt hatten. War ein Königreich, das von einem Kind oder einer Frau regiert wurde, in den Wirren solcher religiösen Umbrüche überhaupt überlebensfähig? War die Monarchie an sich überhaupt überlebensfähig? Die Herrschaft einer Frau war besonders angstbesetzt. Denn während ein in seiner Kindheit gekrönter Junge zu einem Mann heranwachsen würde, konnte eine Frau den Makel, den ihr Geschlecht darstellte, nicht einfach ablegen.

Tatsächlich war das Leben von Katharina, Elisabeth und Maria von Anfang an durch ihr Geschlecht geprägt. Sofern sie die Kindheit überlebten, wurde von Mädchen ihres Standes erwartet, dass sie heirateten und Kinder bekamen – eine dynastische Rolle, zu deren Erfüllung sie erzogen wurden. Die Aussicht auf Kinder definierte den Wert von adeligen Mädchen und machte junge Frauen auf dem Heiratsmarkt zur Währung ehrgeiziger Herrscher und Familien. Katharina, Elisabeth und Maria sollten mit dieser Tatsache in verschiedenen Ausprägungen immer wieder konfrontiert werden. Ihre Körper wurden über Grenzen hinweg weitergereicht und wurden somit zum symbolischen Vermögen, zum leiblichen Unterpfand von Frieden, Verbundenheit, Wohlstand oder des Großreiches.

Die oberste Pflicht einer Königin gegenüber ihrem Reich war es, Kinder zu gebären. Denn schließlich brauchte ein Königreich einen Thronfolger: Weder als die Gemahlin des Königs noch als souveräne Monarchin konnten Frauen dieser Realität entfliehen.* Das Überleben einer Königin bei Hofe hing also von ihrem Erfolg im Wochenbett ab. Gemahlinnen wie Katharina oder Elisabeth verdienten sich ihren Platz und Unterhalt, indem sie ein Kind gebaren, insbesondere dann, wenn dieses Kind ein Sohn war. Eine Königin, die diese Anforderung nicht erfüllte, riskierte, verstoßen zu werden. Brachte eine eigenständig regierende Monarchin wie Maria ein Kind zur Welt, garantierte sie dem Reich damit den Fortbestand ihrer Dynastie. Und dennoch setzte sie mit Schwangerschaft und Geburt ihr Leben und damit die Sicherheit ihres Reiches aufs Spiel. Wie Maria in einer ironischen Wendung feststellen sollte, konnte selbst eine erfolgreiche Geburt eine Gefahr für eine amtierende Königin darstellen und ihrer Vernichtung den Weg ebnen.

Gerade während solcher sozialen und religiösen Unruhen, wie sie im Europa des 16. Jahrhunderts herrschten, wurde die Königin in ihrer reproduktiven Funktion unentbehrlich. Denn die Fähigkeit der Frau, Kinder hervorzubringen, sicherte das kontinuierliche Fortbestehen von Dynastie und Regierung und stabilisierte damit die Weltordnung, wie sie dem Verständnis der Renaissance entsprach.

Es waren also weniger ihre Abstammung und eher biologische Faktoren, die das Schicksal einer Königin bestimmten. Und darin zeigte sich letztendlich auch das grundlegende Paradoxon ihrer Position: Die Quelle ihrer größten Stärke und zugleich ihrer größten Schwäche lag in ihrem Schoß.

Katharina, Elisabeth und Maria gingen ihren Weg, so gut sie innerhalb der ihnen auferlegten Grenzen eben konnten. Während sie Gesetze erließen und Ratsversammlungen sowie Haushalte leiteten, nutzten sie die Fähigkeiten und Vorzüge, die sie über die Jahre erworben und notgedrungen immer weiter verfeinert hatten. Elisabeth setzte auf ihre Behutsamkeit und Liebenswürdigkeit, ihr diplomatisches Geschick und die Ratschläge ihrer Mutter. Maria verließ sich auf Charme und Schönheit, aber auch auf ein tief empfundenes Vertrauen auf ihr Geburtsrecht. Katharina fand ihre Stärke in der Mutterrolle. Klug und geschickt, wie sie war, lernte sie schnell, Befehle zu erteilen und im gleichen Maße zu beschwichtigen. Oft nahm sie die Hilfe anderer Frauen in Anspruch. Über die Jahre hinweg hatte sie sich ein regelrechtes Netzwerk aufgebaut. Sie erkannte die Macht einer gut gespielten Rolle und wusste, wie man eine Geschichte an den Mann brachte. Irgendwann in ihrer Jugend lernte sie, die Stimmung in einem Raum zu erfassen, und fand so heraus, was mächtige Männer hören wollten.

Katharina eignete sich diese Fähigkeiten bereits in sehr jungen Jahren an. Anders als ihre Tochter und ihre Schwiegertochter war sie von klein auf gezwungen, sich in der Welt zurechtzufinden: seit damals, als sie noch »Caterina« war, »eine zarte, kleine Jungfrau, unschuldig und rein von Sünde«, wie Schwester Giustina in ihren Erinnerungen an diesen Morgen im Juli des Jahres 1530 schrieb, jenen Morgen, an dem der Sekretär der Republik Florenz kam, um Caterina mitzunehmen.4

Als Kind hatte Caterina einen gewissen Wohlstand im Rücken. Ihre Familie hatte gute Beziehungen zu Päpsten, Königen und Herzögen, die allesamt Pläne für ihre Zukunft hatten. Doch in dem Moment, als Caterina im Kloster von Le Murate Aldobrandini gegenüberstand, war sie allein. Sie dachte, er sei gekommen, um sie zu töten. »Für ihr Alter ist sie sehr klein«, stellte ein Abgesandter einmal fest. Aldobrandini muss sie um Längen überragt haben.

Sie hatte versucht, sich zu verstecken, sich die Haare geschoren und war in einen Habit geschlüpft. Es war ein kindlicher Versuch, einen erwachsenen Mann zu überlisten. Aldobrandini ließ sich jedoch nicht an der Nase herumführen. Und dennoch sollte Caterina in dem Moment begreifen, dass sie nicht völlig machtlos war.

»Sag diesen Männern, meinen ›Vätern‹, den Signori«, schleuderte sie Aldobrandini entgegen, »dass ich ins Kloster eintreten und auf ewig bei meinen ehrwürdigen Schwestern leben will!«

Aldobrandini warf einen Blick auf den Habit, dann befahl er den Schwestern, Caterina wieder ihre »gewöhnlichen Kleider« anzuziehen. Doch niemand rührte sich.5

Wutentbrannt hob Aldobrandini Caterina schließlich hoch, stapfte zurück auf die Straße und setzte sie auf ein Pferd. Doch Caterina war nicht bereit aufzugeben. Als Aldobrandini mit ihr durch die Straßen von Florenz ritt, weinte und betete sie laut; sie sei doch gerade »erst elf Jahre alt«, klagte sie, und dass sie einfach »nicht verstehen könne, warum Gott und der Himmel sie so bedeutsam gemacht und ihr so viel Glück beschert hätten, nur um sie dann auf so grausame Art zu Tode kommen zu lassen«.6 Irgendwann gab Aldobrandini nach. Vielleicht waren es ihre Tränen, die sein Herz erweichten. Vielleicht empfand er aber auch Bewunderung für den Mut dieses kleinen Mädchens, das sich ihm trotz all der Wachen und Waffen widersetzte. Sie hatte außergewöhnliche Geistesgegenwart bewiesen. Oder es war die Hingabe der Nonnen, die sich ihm um ihretwillen entgegenstellten – möglicherweise ein Zeichen, dass Gott auf Caterinas Seite war. Irgendetwas am Verhalten der Nonnen und Caterinas rührte jedenfalls an Aldobrandini. Im Kloster von Le Murate war er Zeuge wahrhaftigen Mutes geworden.

Er versprach Caterina, dass ihr kein Leid zugefügt und dass er sie noch im selben Monat nach Le Murate zurückbringen würde. Und er hielt Wort, obwohl sich die Ereignisse nicht zugunsten des Rates der Republik Florenz entwickelten. Nur Wochen später, am 12. August 1530, gestand dieser nämlich seine Niederlage gegenüber Papst Clemens VII. ein, und begleitet von den florentinischen Bürgern, kehrte Caterina zurück zu den ehrwürdigen Schwestern, die sie mit offenen Armen empfingen. Sie sollte die Güte und den Mut, den die Nonnen im Sommer 1530 bewiesen hatten, nie vergessen. Die Nonnen hätten Caterina sehr geliebt, schrieb Schwester Giustina. Und diese war dafür unendlich dankbar, weshalb sie dem Kloster zeit ihres Lebens Geschenke zukommen ließ. Jahre später berichtete Schwester Giustina stolz von all den Dingen, mit denen die Königinmutter von Frankreich die Schwestern bedacht hatte.7

Trotz seines Namens (dessen Übersetzung »der Gnädige« lautet), sollte Papst Clemens VII. dem Rat der Republik Florenz keine Gnade erweisen. Nachdem er die Medici und deren Abgeordnete wieder an die Macht gebracht hatte, ließ er sechs der Ratsmitglieder enthaupten, andere wurden gefoltert und gezwungen, die Stadt zu verlassen.8

Doch Aldobrandini blieb verschont – obwohl auch er zum Tode verurteilt worden war. Caterina hatte interveniert und durchgesetzt, dass ihn statt der Todesstrafe ein Leben im Exil erwartete. Sie hatte beschlossen, Aldobrandini zu vergeben.** Denn letztendlich war er gut zu ihr gewesen. »Ich habe noch nie erlebt, dass jemand in ihrem Alter so schnell erkennt, wie viel Gutes und Böses ihm getan wird«, schrieb einmal ein französischer Diplomat über das junge Mädchen. Er muss ihre Charakterstärke schon damals wahrgenommen haben. Einen Fehler vergaß Caterina niemals, aber sie erwiderte auch jede noch so kleine Geste der Güte. Mit ihren elf Jahren hatte sie bereits begriffen, dass sie etwas zu sagen hatte. Außerdem hatte sie festgestellt, dass Männer ihr zuhörten.9

Und dass mit Großzügigkeit auch eine gewisse Macht einhergeht.

* Nur Elisabeth I. gelang es, diesem Schicksal zu entrinnen, wenngleich nach wie vor unklar ist, ob gewollt oder ungewollt. Über Jahrzehnte hinweg war ihre Heirat jedoch das wichtigste Anliegen des Reiches, was für Elisabeth eine gewaltige emotionale Belastung darstellte.

** Aldobrandinis Sohn Ippolito, der im Jahr 1536 zur Welt kommen sollte, wurde 1592 zu Papst Clemens VIII. ernannt. Als Schwester Giustina im Jahr 1598 ihre Chroniken verfasste, war Clemens VIII. immer noch im Amt.

Teil 1 

1 Die Waise

Italien, 1519–1533 

Im September 1533 begab sich die damals 14-jährige Caterina de’ Medici an Bord eines Schiffes, das von Porto Venere an der italienischen Nordküste nach Villefranche fuhr, eine Hafenstadt in der Nähe von Nizza an der Südküste Frankreichs. Es herrschte bestes Segelwetter und so erwartete Caterina ihre Ankunft dort innerhalb weniger Tage. Mit sich führte sie eine Fülle an Kostbarkeiten, die in Truhen, Kisten und Schmuckkästchen verstaut waren. Außerdem hatte sie jede Menge Erinnerungen im Gepäck – an Leid und Angst, schreckliche Angst sogar, aber auch an das Lachen ihrer Cousins und Cousinen, den Rosenduft aus Bisamäpfeln und den klebrigen Geschmack von süßen, mit Marmelade bestrichenen Brötchen. In Nizza sollte sie auf den französischen König treffen, zu dessen Untertanen sie nun zählte, jenen Mann also, der schon bald ihr Schwiegervater werden würde. Und auch seinen Sohn Heinrich – ihren zukünftigen Ehemann und Herzog von Orléans – sollte sie dort kennenlernen. Noch nicht einmal verlobt, dachte Caterina doch schon wie eine Braut. Zwar unterzeichnete sie noch mit ihrem italienischen Namen, doch schon bald sollte sie den französischen Namen Catherine annehmen. Die Unterschrift hatte sie bereits ein- oder zweimal ausprobiert – die Feder dabei fest umklammert, während die Tinte auf das Papier quoll.

In gewisser Weise beginnt die Geschichte von Katharina de’ Medici nicht mit ihrer Geburt, sondern auf den Gewässern, die sich unter dem mediterranen Himmel erstreckten, in der spätsommerlichen Brise, in der die Segel ihres Schiffes flatterten. Denn in dem Augenblick, als sie von Italien nach Frankreich übersetzte, wurde aus der Jungfrau eine Braut, aus dem jungen Mädchen eine junge Frau, die ihre Familie, die Medici, zurückließ, um Teil der königlichen Familie von Frankreich zu werden. Schon jetzt hatte sie an Bedeutung gewonnen, da jene, die das komplizierte Spiel der politischen Mächte im Blick hatten, ihr nun plötzlich Beachtung schenkten, indem sie ihr Aussehen, ihr Auftreten sowie ihre Aussichten auf Kinder beurteilten. Von diesem Moment an sollte Katharina deutlichere Spuren in den Archiven hinterlassen. Mit ihren 14 Jahren war sie gerade einmal eine Teenagerin, die nicht ahnte, was die kommenden Jahre bringen würden. In der Welt des 16. Jahrhunderts war dieser Teil ihrer Geschichte jedoch nichts Ungewöhnliches. Ein wohlhabendes Mädchen verlässt ihre Heimat, um einen Prinzen zu heiraten, der sie weder aus Liebe noch wegen ihres Aussehens, sondern allein wegen ihrer Mitgift und ihres Wertes für sein Königreich auserwählt hat. Schon ihre Mutter war diesen Weg gegangen, ebenso wie zahllose andere Mädchen zu Katharinas Zeiten. Einem Mädchen wie ihr muss dieser Weg so selbstverständlich und vorhersehbar wie der Sonnenaufgang vorgekommen sein.

Sie ließ in Italien weder Mutter noch Vater zurück. Katharina war praktisch von Geburt an eine Waise. Ihr Vater war Lorenzo di Piero de’ Medici, Herzog von Urbino und Herrscher über Florenz. Der Sprössling des älteren Zweiges der Familie Medici war der Enkel und Namensvetter des bekannten florentinischen Bankiers und Schutzherrn Lorenzo de’ Medici aus dem 15. Jahrhundert, der unter dem Namen Il Magnifico bekannt wurde.

Ihre Mutter, Madeleine de La Tour d’Auvergne, war Gräfin von Boulogne und eine französische Fürstin – eine Tatsache, die von ihren Zeitgenossen und so manchem Historiker gern vergessen wurde. Madeleine war zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit mit dem Italiener Lorenzo – die auch schon auf Geheiß des französischen Königs Franz I. stattgefunden hatte – ebenfalls noch im Jugendalter und verwaist. Schon als hilfloses Baby war Katharina von Interesse für König Franz, der in ihr die Chance erkannte, neue Gebiete unter französische Herrschaft zu bringen, und daraufhin im fernen Frankreich die ersten Pläne für das Kind schmiedete. Doch bis sich diese wie erhofft entwickeln konnten, sollten noch einige Jahre ins Land ziehen. Und lange bevor sie tatsächlich zum Tragen kamen, war Madeleine de la Tour d’Auvergne bereits gestorben.

Als ihr Schiff im September 1533 ablegte, befand sich Katharina de’ Medici auf dem Weg in ein unbekanntes und doch seltsam vertrautes Land, das Königreich ihrer Mutter.

Sie schrieb sozusagen deren Geschichte zu Ende. Und gewissermaßen kehrte Katharina damit heim.

Sie wurde in der Basilica di San Lorenzo, der Hauskirche der Medici, auf den Namen Caterina Maria Romula getauft und war die Urenkelin von Il Magnifico. Jedes bedeutende Ereignis ihrer Kindheit beruhte auf dieser einen Tatsache. Schon in jungen Jahren wurde Caterina Spielball fürstlicher Launen sowie des Auf und Abs italienischer und europäischer Politik. Sogar ihre Zeugung war eine politische Entscheidung gewesen, ihre Existenz von ehrgeizigen Verwandten geplant, die ihre Geburt fortan zwar freudig, aber auch begierig erwarteten.

Die Hochzeit ihrer Eltern im Jahre 1518 war das Lieblingsprojekt von Medici-Papst Leo X. und dem jungen König Franz I. von Frankreich. Schauplatz des Ganzen war Franz’ prächtiges Schloss in Amboise. Der Hintergrund war eine Reihe blutiger Konflikte, die als »Italienische Kriege« in die Geschichte eingingen und ganze Generationen französischer Könige in Atem hielten.

Als König Franz 1515 im Alter von gerade einmal 20 Jahren den französischen Thron bestieg, war er ein charismatischer, athletisch gebauter Kriegerfürst, eine schlanke Version des legendären Königs, der er einmal werden sollte, einer, der sich in einer Rüstung ebenso wohlfühlte wie in seidenen Gewändern. Ein englischer Diplomat nannte Franz einmal »vergnügt und gut gelaunt«.1 Tatsächlich war der König einem fröhlichen Fest niemals abgeneigt, frönte der Jagd und ließ sich gern von schönen Damen anhimmeln, doch er war auch ehrgeizig und bereit, sich mit den anderen jungen Herrschern Europas zu messen. Sowohl Heinrich VIII. von England als auch Karl I. von Spanien hatten innerhalb eines Jahrzehnts nach Franz’ Krönung in ihren jeweiligen Ländern das Zepter übernommen. Heinrich VIII. erbte sein Königreich im Jahre 1509 kurz vor seinem 19. Geburtstag. Karl I. war gerade einmal 16 Jahre alt, als er 1516 zum König von Spanien ernannt wurde. Als solcher herrschte der Nachkomme von Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon mütterlicherseits sowie des Habsburger Herzogtums von Burgund väterlicherseits über den Großteil der niederländischen Provinzen und das Königreich Spanien. Im Alter von 19 Jahren hatte Karl seiner wachsenden Herrschaft auch das Österreich der Habsburger und einige italienische Gebiete hinzugefügt. Im Jahre 1519, als die Rivalität zwischen den beiden bereits ziemlich ausgeprägt war, setzte sich Karl schließlich erfolgreich gegen Franz durch und wurde zu Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, ernannt. Von da an war Karl für alle einfach nur noch »der Kaiser«.

Die Konkurrenzkämpfe zwischen den jungen Königen sollten das gesamte Zeitalter prägen, da jeder von ihnen sein Bestes tat, die beiden anderen auf dem Schlachtfeld und bei Hofe zu übertrumpfen. Franz, elegant und stilbewusst, läutete die Renaissance in Frankreich ein, indem er die Kunst, Künstler und Architektur Italiens in seine Paläste und Gärten holte und berühmte Gelehrte und Schriftsteller förderte. Karl V. erklärte Spanien zum »Reich, in dem die Sonne niemals untergeht«, und dehnte dessen Grenzen unaufhaltsam weiter nach Europa hinein, über das Mittelmeer nach Afrika und über den Atlantik bis in die Neue Welt aus. Da er erst der zweite Tudor war, der England regierte, saß Heinrich VIII. dagegen etwas wackelig auf seinem Thron, weshalb er sich nichts sehnlicher wünschte als einen Sohn. Bis es so weit war, sandte er marodierende englische Truppen über die Grenze nach Schottland in dem verzweifelten Bestreben, sein Herrschaftsgebiet über ganz Großbritannien auszuweiten. Zeitgenössische Porträts dieser Könige hätten als Studien überheblicher Männlichkeit dienen können. Über die Jahre wurden ihre Bärte dichter, die Ärmel weiter, die Hosenlatze größer und die Schwerter länger. Selbst ihr Gang wurde breitbeiniger, ganz so, als wollten sie ihm eine besonders prahlerische Note verpassen.

König Franz hasste Heinrich VIII. dafür, dass dieser es wagte, den Titel »König von Frankreich« zu führen, was englische Monarchen taten, seit England im 14. Jahrhundert Calais erobert hatte. Doch seinen wahren Erzfeind sah Franz in Karl V. Ihr Schlachtfeld war der italienische Stiefel. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts konkurrierten Frankreich und Spanien um die Vorherrschaft in mehreren italienischen Provinzen. Kurz nach seiner Krönung nahm König Franz Mailand, Genua und Neapel ins Visier. In den ersten Jahren seiner Italienischen Kriege gegen Karl V. konnte er einige Siege erringen, erlitt jedoch wesentlich mehr Niederlagen, die seine Kassen leerten und die Felder Italiens mit französischem Blut tränkten. Unzufrieden mit seinem Fortschritt auf dem Schlachtfeld suchte Franz nach Wegen, Papst Leo X. für seine Vorhaben in Italien zu gewinnen.

Im September 1517 wandte er sich daher an den Nachkommen der florentinischen Bankiersfamilie und Neffen des Papstes, den jungen Lorenzo II.: »Ich hege die Hoffnung«, wagte er einen Vorstoß, »Euch mit einer wunderschönen und angesehenen jungen Dame zu verheiraten, die mit mir verwandt und von edler Abstammung ist, damit die Liebe, die ich Euch gegenüber empfinde, noch tiefer und stärker wird.« »Kein Wunsch könnte größer sein«, antwortete Lorenzo schüchtern, »als diese Dame von der Hand Eurer Majestät zu empfangen.«***2

Hierbei handelte es sich um ein Quidproquo. Papst Leo hatte die Macht, Franz als Herrscher über Mailand einzusetzen. Im Austausch dafür bot der französische König den Medici königliche Unterstützung und aristokratisches Ansehen – etwas, wonach die Medici, wie er wusste, seit Generationen strebten.

Trotz ihres unermesslichen Reichtums waren die Medici unzweifelhaft bürgerlicher Herkunft. Ihre Bedeutung konnte natürlich niemand leugnen. Über die Jahrhunderte hatte die Familie gelernt, ein Spiel zu spielen, mit dessen Hilfe sie sich über Generationen hinweg zu den De-facto-Herrschern über Florenz und zu den bedeutendsten Strippenziehern der europäischen Politik entwickelte. Zu Wohlstand kam sie erstmals im 13., zu öffentlichem Einfluss im 14. Jahrhundert. Ihre bürgerliche Abstammung sah man in Florenz schon bald als Gewinn, da sich die Medici im Gegensatz zu blaublütigen Familien wie den Orsini in Rom oder den Visconti in Mailand als volksnahe Herrscher erwiesen. Mit der Zeit verschafften sie sich Zugang zu allen möglichen florentinischen Institutionen, vermehrten ihren Reichtum und weiteten ihre Macht aus, drangen bis ins Kardinalskollegium vor und strebten sogar nach dem Amt des Papstes selbst. Die Palle der Medici – die sechs Kugeln auf dem Familienwappen, die angeblich Pillen oder Schröpfgläser darstellen und auf jene Tage verweisen, in denen die Medici noch als Ärzte tätig gewesen sein sollen – wurden in Denkmäler und Kirchen gemeißelt, in Freskos integriert, auf Buchdeckel geprägt und brannten sich ein in die Köpfe und Herzen der Florentiner.

Anfang des 15. Jahrhunderts fungierten die Medici als Titularregenten der florentinischen Republik. Mitte des Jahrhunderts unterstützten sie Könige und Prinzen in ganz Europa. Lorenzo I. de’ Medici, besagter Il Magnifico, wachte über Florenz’ goldenes Zeitalter. »In Florenz herrschte Friede«, schwärmte der Historiker Guicciardini, ein glühender Verehrer der Familie. »Die Menschen genossen täglich Schauspiele, Feste und neue Wunderwerke.« Niemand musste hungern, Kunst und Bildung florierten. »Die Stadt erfreute sich allerbester Gesundheit … kluge und gebildete Menschen lebten im Wohlstand.«3

Im 16. Jahrhundert gerieten die Medici etwas ins Straucheln – politische Rivalen in Florenz, eine schwache Führung unter den Nachkommen von Il Magnifico und die nackte Tatsache, dass der alte Zweig der Familie im Aussterben begriffen war, behinderten ihren glänzenden Aufstieg. Die Familie setzte all ihre Hoffnung auf den jungen Lorenzo, den einzigen rechtmäßigen männlichen Erben von Il Magnifico. Papst Leo versuchte, Lorenzo, der für seinen liederlichen Lebenswandel berüchtigt war, in einen Aristokraten zu verwandeln. Im Jahre 1516, kurz bevor Franz I. seinen Bündnisvorschlag unterbreitete, ernannte Leo seinen Neffen zum Herzog von Urbino. Doch wie Franz wohl wusste, waren die Medici in einer Welt, die viel mehr Wert auf Stammbäume als auf Wohlstand legte, nichts weiter als Emporkömmlinge. Die Medici gehörten nach wie vor dem Bürgertum an, nicht ein einziger Tropfen blauen Blutes floss durch ihre Adern. Doch das würde sich ändern, wenn Lorenzo die von Franz angebotene französische Edeldame heiratete und diese ein Kind zur Welt brachte. Dann wären die französische Valois-Dynastie und die der Medici von Florenz vereint. Dieses Bündnis würde den Medici die Kontrolle über Florenz und ihnen bei ihren Vorhaben in Europa die Unterstützung der französischen Krone sichern. Die Kinder, die aus dieser Ehe hervorgingen, wären französische Aristokraten, und die Medici wären nur noch eine Haaresbreite vom Königtum entfernt.

Franz hielt sein Versprechen. Die auserwählte Braut war Madeleine de La Tour d’Auvergne, eine entfernte Cousine des Königs und unermesslich wohlhabende Waise bester Herkunft. Sie war 16 Jahre alt, Lorenzo de’ Medici 26. Der französische König schmeichelte dem Papst weiterhin und richtete im Frühjahr 1518 die Hochzeit in seinem Lieblingsschloss in Amboise aus. Franz persönlich führte die Braut zum Altar und veranstaltete zehn Tage voller kerzenerleuchteter Ballettabende und Bälle, Turniere und Festmahle. Schon bald nachdem Lorenzo Madeleine im Sommer nach Florenz gebracht hatte, verkündete er in einem Brief an Papst Leo und einem weiteren an König Franz ihre Schwangerschaft.4 Und am 13. April 1519 um exakt elf Uhr vormittags brachte Madeleine Caterina zur Welt.5

Zwei Wochen nach der Geburt des Kindes starb sie dann, vermutlich aufgrund von Wochenbettfieber, da ihr Uterus, wie die Ärzte dem trauernden Haushalt mitteilten, nicht imstande gewesen sei, »sich selbst gänzlich zu reinigen«. Die Notlage der Medici verschärfte sich weiter, als Lorenzo seiner Frau nur wenige Tage später, nämlich am 4. Mai, ins Grab folgte.6 Ebenfalls von Fieber geschüttelt, hatte er, der schon vor seiner Hochzeit an einer Krankheit (vermutlich Syphilis) litt, sich bereits Wochen zuvor ins Krankenbett gelegt. Nach Lorenzos Tod lag das französische Bündnis mit den Medici in Schutt und Asche. König Franz gelang es nicht, das gute Einvernehmen, das ihn mit dem Papst verbunden hatte, wiederherzustellen. Im Jahr 1521 kehrte Leo X. Franz endgültig den Rücken und stimmte einem neuen Abkommen mit dessen erbittertem Feind Karl V. zu. Nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass sich die spanische Vorherrschaft in Italien nicht verhindern ließe, setzte der Papst lieber rechtzeitig auf den Gewinner.

Leo X. beweinte Lorenzos Tod und machte sich dann unverzüglich daran, das Erbe der Medici zu bewahren. In Caterinas Namen, die zu diesem Zeitpunkt noch ein Baby war, erhob er Anspruch auf das Herzogtum von Urbino und sandte seinen Cousin Giulio de’ Medici nach Florenz, um der Familie die Verwaltung der Stadt zu sichern. Blieb nur noch die Frage, was mit dem kleinen Mädchen selbst geschehen sollte. König Franz hatte angeboten, Caterina am französischen Hof großzuziehen, doch das hatte Leo höflich abgelehnt, da er den Franzosen keinesfalls die Kontrolle über sein Druckmittel überlassen wollte. Stattdessen schickte der Papst das Baby zu dessen Tante Clarice, ebenfalls eine Medici, die mit ihrem Mann, einem Angehörigen der Familie Strozzi, und einer wachsenden Zahl von Strozzi-Kindern in Rom lebte.

Caterina sollte die kommenden Jahre also in Clarice Strozzis Haushalt aufwachsen. Es war ein Geduldsspiel. Papst Leo hatte gehofft, dass Madeleine einen Jungen zur Welt bringen würde – einen Sohn, der die Titel und Besitztümer seines Vaters erben und dafür sorgen konnte, dass das Glück den Medici auch in Frankreich und über dessen Grenzen hinaus hold wäre. Stattdessen war der Familie ein Mädchen geboren worden. Mit Sicherheit könnte sie sich eines Tages als nützlich erweisen, indem sie als Braut andere wertvolle politische Bündnisse besiegelte. Natürlich nur, falls sie so lange am Leben blieb – und daran ließ sich durchaus zweifeln, wenn man bedenkt, dass Eltern im 16. Jahrhundert fast schon erwarteten, dass ihre Kinder starben, bevor sie das siebte Lebensjahr vollendeten, ganz gleich wie wohlhabend die Familie war oder wie liebevoll man sich um die Babys kümmerte. Tatsächlich wurde die kleine Caterina im Alter von drei Monaten so schwer krank, dass Papst Leo schon eine weitere Tragödie im Hause Medici befürchtete.7 Das Baby kam zwar durch, doch allen war bewusst, dass um die Ecke schon die nächste Kinderkrankheit lauerte.

Der Tod sollte den Papst jedoch zuerst ereilen. Am 1. Dezember 1521, nur ein paar Wochen nachdem er den Anspruch Karls V. auf Mailand bestätigt hatte, starb Leo X. Der neue Papst Hadrian VI. war ein Holländer, der für die Belange der Medici und deren Kleinkinder nichts übrighatte. Hadrian steckte sich den Fischerring an den Finger und beließ Katharina im Schoß der Familie Strozzi. Für einige wenige, aber glückselige Jahre geriet sie beinahe in Vergessenheit.

Von dem Zeitpunkt an, als die kleine Caterina in der Villa Strozzi verschwand, bis zu dem Moment im Jahr 1527, in dem das mittlerweile achtjährige Mädchen vor den Toren des Klosters Le Murate wieder auftauchte, findet sich in den Archiven so gut wie keine Spur von ihr. Clarice Strozzi war eine liebevolle und aufmerksame Pflegemutter, doch sie hinterließ keinen einzigen Brief, in dem sie ihre junge Nichte beschreibt, und auch kein Porträt von ihr – zumindest ist keines erhalten. Wir sind also auf unsere Vorstellungskraft und auf Spekulationen angewiesen. Für Caterina, die unter ihren Cousins und Cousinen aufwuchs und so lebenslange Bande zu ihren Verwandten auf Seiten der Strozzi-Familie knüpfte, waren es prägende Jahre. In Clarices Haus durfte die kleine Waise eine Art Familienleben kennenlernen, und dort wurde ihr auch vermittelt, was es bedeutete, eine Medici zu sein.

Im Haus der Strozzi herrschte immer reges Treiben. Umgeben von Frauen und Kindern verbrachte Caterina ihre Tage, deren Ablauf von den Regeln der Kinderstube geprägt war, mit einer Abfolge aus Essen, Spielen, Schlafen und – in einem katholischen Europa, das vom Protestantismus noch beinahe unberührt war – natürlich Beten, und zwar gemäß der katholischen, das heißt der lateinischen Tradition, der einzig wahren, wenn es nach den Medici und den Strozzi ging. Sie lernte laufen und rennen auf sonnenbeschienenen Terrassen und zwischen Skulpturen und Kastanienbäumen, die von den mondänen Gärten der Medici inspiriert waren. Die Pläne für ihre prachtvolle Gestaltung hatte Clarice mit nach Rom gebracht. Naschereien sowie die Gerüche und die Farben eines Renaissance-Gartens prägten Caterinas Sinne und lehrten sie, wie Melonen schmecken und Rosmarin riecht, wie Rosen duften und wogende Hortensien sich anfühlen. Die Stile der Medici und Strozzi schulten ihr kindliches Auge, und so gewann sie einen ersten Eindruck von Schönheit, ohne dass es ihr bewusst gewesen wäre.8

Sie tollte mit ihren Cousins und Cousinen herum, spielte Blinde Kuh und Verstecken und ließ polierte Steine wie Murmeln über die Fliesen rollen. Während die Strozzi-Jungen das Verhalten von Edelmännern verinnerlichten, indem sie auf ihren Steckenpferden ritten, bereitete Caterina sich auf ihre spätere Rolle vor, indem sie mit ihren Puppen – ihren Bambole – spielte, die sie in Spitze und Satinröcke kleidete. Während der Fastenzeit spielte sie mit Kreiseln, an anderen Tagen mit Nippes und sonstigem Schnickschnack. Wie jedes Kind zog sie sich auch mal Beulen und Schürfwunden zu und war nach Streitereien in ihrem Stolz verletzt, kannte aber auch die Unbeschwertheit ausgelassenen Gelächters.

Sie war noch zu jung, um zur Schule zu gehen, und zu jung für Oblate und Wein der heiligen Kommunion. Beides würde kommen, sobald sie sieben oder acht Jahre alt wurde, wenn Kinder nach Meinung der katholischen Kirche das Alter der Vernunft erreichten und die Erwachsenen an Zuversicht gewannen, dass das Kind überleben würde. Doch einem kleinen Mädchen wie Caterina wurde bereits das Sticken und die richtige Ausdrucksform, das ABC und das Singen beigebracht. Vor allem lehrte man sie jedoch zu beten: das Ave-Maria, das Glaubensbekenntnis und natürlich das Vaterunser.9 An Gürteln baumelnde Rosenkränze und der Klang der Kirchenglocken begleiteten ihre Kindheit. Sie lernte die Marientiden, ein Stundengebet zu Ehren der Mutter Gottes, auswendig und kannte ihre Stellung in Clarices Haus sowie vor Gott.

Ob sie in diesem Haus auch zum ersten Mal von der Familie ihrer Mutter hörte? Das Verlangen der Medici nach Blaublütigkeit war zu groß, als dass sie Madeleines Herkunft und damit ihre Verbindung zur königlichen Familie Frankreichs unerwähnt gelassen hätten. Mütterlicherseits stammte Madeleine von einem Zweig der Bourbonen ab, der zweitmächtigsten Familie im französischen Königreich. Diese ging wiederum auf den Kreuzritter König Ludwig IX., den Heiligen zurück. Als »Prinzen von Geblüt« waren die Bourbonen in der Thronfolge die Nächsten, sollte die herrschende Dynastie der Valois jemals aussterben. König Franz I. und seine überaus fruchtbare Ehefrau Claude de France hatten zwar genug Söhne hervorgebracht, um deren Erhalt für die nächste Generation zu gewährleisten, aber dennoch waren die Bourbonen eine mächtige, bei den französischen Adeligen beliebte und aufgrund ihres alten Stammbaums hochgeschätzte Familie. König Franz hatte gegenüber den Medici definitiv Wort gehalten, als er 1518 auf Schloss Amboise mit Madeleine eine Bourbon zum Altar geführt hatte.10

Doch wann erfuhr die kleine Caterina von diesem bedeutenden Erbe? Was wollte sie über ihre Mutter wissen? Ein italienischer Botschafter schwärmte einst, dass Madeleine »wunderschön und weise … anmutig und ihrer Stellung würdig« gewesen sei – rühmende, aber doch auch irgendwie nichtssagende Worte.11 Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass die junge Caterina von Madeleines Wohlstand und den weitläufigen, hügeligen Ländereien in der Auvergne wusste. Vielleicht kam ihr auch mal ein Porträt ihrer Mutter unter. Wie bei so vielem in Madeleines Leben können wir uns auch bei ihrem Aussehen nicht sicher sein. Behauptungen zufolge ist sie auf einem Gemälde in den Uffizien dargestellt. Es zeigt ein schlankes Mädchen, das ernst und elegant, in ein dunkles Samtmieder mit prunkvollen roten Ärmeln gekleidet, unter einer französischen Haube hervorschaut. Sie hat kastanienbraunes Haar, ein rundes Gesicht und blaue Augen.

Als erwachsene Frau sollte Caterina ihre französischen Wurzeln zu schätzen wissen. So sollte sie ein Porträt ihrer Mutter – für die Nachwelt leider verloren – in ihrer privaten Galerie im Schloss Soissons aufhängen und darüber hinaus den berühmten Gelehrten Geoffroy Tory beauftragen, die Spur ihrer Vorfahren, der Comtes d’Auvergne, aufzunehmen und niederzuschreiben. Seine Bücher verwahrte sie dann sorgfältig in ihrer Bibliothek.12 Vermutlich kamen ihr Geschichten zu Ohren – über die Hochzeit ihrer Eltern in Florenz zum Beispiel, bei der ihre Großmutter vonseiten der Medici ein Porträt von Leo X. auf dem Brauttisch aufstellte und aus gegebenem Anlass so viel Seide orderte, dass die florentinischen Vorräte schließlich aufgebraucht waren13 (woraufhin sich Boten in Windeseile ins nahe gelegene Lucca und Venedig aufmachten, um Nachschub zu holen). Geschichten und Porträts mögen Caterina ein grobes Verständnis von der Herkunft ihrer Mutter vermittelt haben, doch wie real ihre Verbindung zu Frankreich tatsächlich war, sollte sich schon bald durch die Ankunft eines schottisch-französischen Kriegerfürsten in Rom zeigen.

Sein Name war John Stewart, Duke of Albany. Er war Caterinas Onkel mütterlicherseits. Von König Franz nach Rom entsandt, traf er im Laufe des Jahres 1525 in der Villa Strozzi ein, als Caterina gerade um die sechs Jahre alt war.

König Franz hatte die von den Medici abstammende Waise nie aus den Augen verloren. Über die Jahre hinweg hatte man ihn stets über ihren Aufenthaltsort und ihre Gesundheit unterrichtet. Unter dem holländischen Papst Hadrian VI. hatten die Medici auf dem politischen Parkett Europas an Einfluss verloren. Die Folgen dieses Rückschlags sollten jedoch nur von kurzer Dauer sein. Nach Hadrians Tod im September 1523 ernannte das päpstliche Konklave Kardinal Giulio de’ Medici zum neuen Papst Clemens VII. Während Hadrian Caterinas Existenz nicht wirklich gekümmert hatte, zeigte Clemens wieder Interesse an dem Mädchen und bezeichnete sich fortan als ihr Onkel (obwohl er eigentlich nur ihr Onkel dritten Grades war). Clemens’ Aufstieg ließ auch König Franz wieder auf ein Bündnis mit den Medici hoffen. Einmal mehr sah der französische König den Papst als Verbündeten in seinem nicht enden wollenden Konflikt mit Karl V.

Im Jahr 1525 hatte König Franz im Zuge der Italienischen Kriege einen neuen Tiefpunkt erreicht. Im Februar desselben Jahres schlugen die kaiserlichen Truppen Karl V. die französischen Bataillone in der verheerenden Schlacht bei Pavia, metzelten die Elite des französischen Adels nieder und nahmen Franz höchstpersönlich in Kriegsgefangenschaft. Auch wenn der Zeitpunkt nicht ganz eindeutig ist, so ist es doch sehr wahrscheinlich, dass Franz von seinem Gefängnis in Spanien aus an seinen getreuen Berater und Heerführer John Stewart, Duke of Albany, schrieb und ihn drängte, dem neuen Papst einen Besuch abzustatten. Und wenn er schon einmal in Rom wäre, so Franz’ Vorschlag, könnte er doch gleich noch einen kleinen Abstecher zur Villa Strozzi machen.

John Stewart war ein großer, breitschultriger Mann schottisch-französischer Abstammung. Der Enkel von König Jakob II. von Schottland kam als Sohn einer französischen Fürstin und eines schottischen Prinzen in Frankreich zur Welt. Außerdem war er der Cousin von Madeleine de La Tour d’Auvergne und ihrer älteren Schwester Anne. Er war mit ihnen zusammen aufgewachsen und hatte eine glückliche Kindheit voller Jagdausflüge in die bewaldeten Hügel der Auvergne verbracht. Obwohl er aufgrund seiner Herkunft ein Anrecht auf den schottischen Thron hatte, verbrachte John Stewart den Großteil seines Erwachsenenlebens im Dienst von König Franz, dem er unerschütterliche Treue bewies. Band sein Titel ihn auch an Schottland, so gehörte sein Herz doch Frankreich. Französisch war seine Muttersprache, und sein ganzes Leben lang zog er es vor, anstelle von John Stewart mit seinem französischen Namen Jehan Stuart zu unterschreiben.

John Stewart hatte seine Cousine Anne de La Tour d’Auvergne geheiratet und, nachdem ihre Eltern gestorben waren, die jüngere Madeleine als Mündel bei sich aufgenommen. Beiden Cousinen in enger Freundschaft verbunden, hatte er Anne jedoch über alles geliebt, eine Bindung, die in Zeiten arrangierter Ehen eher ungewöhnlich war. Ihr Nachwuchs überlebte nicht, alle drei Nachkommen starben bereits in frühester Kindheit. Als Anne fünf Jahre nach Madeleine im Jahr 1524 starb, wurde ihre Nichte Caterina zur alleinigen Erbin der Grafschaft Auvergne.14 Bevor John Stewart im Jahr 1525 in der Strozzi-Villa auftauchte, hatte er Caterina noch nie gesehen. Ob er im Gesicht des jungen Mädchens wohl Spuren seiner geliebten Frau oder ihrer Schwester erkannte?****

Die Liebe zu seiner verstorbenen Frau mag zwar dafür gesorgt haben, dass John Stewart Caterina verstärkte Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ, doch sein primäres Ziel in Rom waren immer noch die politischen Interessen von König Franz. Obwohl Caterina noch jung war, sah dieser in ihr den Schlüssel für zukünftige Eroberungen in Italien. Aus der Ferne sollte John Stewart in den kommenden Jahren pflichtbewusst über seine Nichte wachen.

Es waren turbulente Jahre für Caterina, in denen die Italienischen Kriege Europa erschütterten und alles auf den Kopf stellten. Die Ereignisse, die sie schließlich in das Kloster von Le Murate führen sollten, nahmen ab dem Jahr 1527 ihren Lauf. Zu dieser Zeit hatte Clarice Strozzi die achtjährige Caterina bereits zurück nach Florenz gebracht. Auch wenn wir die genauen Gründe für den Umzug nicht kennen, so ist doch anzunehmen, dass Clemens nun, da er in die Vatikanstadt gezogen war, auf diese Weise die Präsenz der Familie Medici in Florenz sichern wollte.15

Im selben Jahr unternahm König Franz, der mittlerweile aus der spanischen Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, mal wieder einen Versuch, Karl V. mithilfe des Papstes von der italienischen Halbinsel zu vertreiben. Nach seiner eindeutigen Niederlage im Frühjahr hatte er sich nach Frankreich zurückgezogen, um sich neu aufzustellen. Karls kaiserliche Truppen verweilten indes in der Toskana. Der zusammengewürfelte Haufen war ausgehungert, gelangweilt und verärgert wegen der verspäteten Zahlung ihrer Löhne. Als der Frühling wärmeres Wetter brachte, wurde die bunt gemischte Truppe unruhig und rauflustig. Schließlich begannen sie den Vormarsch Richtung Süden, wobei Florenz nur mit knapper Not verschont blieb. Am 6. Mai durchbrachen sie die Stadtmauern von Rom und die Plünderung begann.

Der Sacco di Roma – die Plünderung Roms – war brutal, das römische Militär dem Gemetzel, den Vergewaltigungen und Brandschatzungen, die sich über Wochen hinweg abspielten, nicht gewachsen. Zur Flucht aus dem Vatikan gezwungen, konnte sich Papst Clemens über einen Geheimgang ins Castel Sant’Angelo – die Engelsburg – retten, von wo aus er aber nicht weiterkam.16 Als Geisel der Plünderung der Ewigen Stadt saß er dort fest.*****

Währenddessen waren in Florenz soziale Unruhen ausgebrochen. Aus Angst, die meuternden kaiserlichen Truppen könnten auch ihre Stadt überfallen, forderten die Florentiner im April das Recht, zu ihrer Verteidigung Waffen tragen zu dürfen. Wütende Bürger stürmten die Piazza della Signoria, kletterten auf das Dach des heutigen Palazzo Vecchio, schlugen Fenster ein und Möbel kaputt und warfen deren Einzelteile auf die Meute in den Straßen darunter. Inmitten dieses Chaos bildete sich eine neue Regierung, angeführt von einer Gruppe Magistrate, die sich selbst als Rat der Republik bezeichnete. Als im Mai die Nachricht, dass Papst Clemens VII. in Rom als Geisel genommen worden sei, Florenz erreichte, beschloss der Rat, in die Offensive zu gehen. Im Zuge eines Staatsstreichs überwältigten dessen Soldaten Clemens’ Stellvertreter in Florenz. Damit waren die Medici erledigt.17

Es kostete den Rat nicht viel Zeit, Caterina ausfindig zu machen. Um den Unruhen in Florenz zu entgehen, hatte sich Clarice mit ihr nach Poggio a Caiano, auf den Landsitz der Medici, zurückgezogen. Zunächst brachte der Rat Caterina in verschiedenen Klöstern unter, die jedoch allesamt schäbig, verdreckt und von der Pest verseucht waren. Doch nachdem Clarice Strozzi und John Stewart die Ratsmitglieder mit Beschwerden über die dortigen Zustände überschüttet hatten, wurde Caterina ins Benediktinerinnenkloster von Le Murate verlegt. Glaubt man Schwester Giustina, die all dies lange nach den fraglichen Ereignissen niederschrieb, trug Caterina bei ihrer Ankunft vor dem Klostertor »ein Metallband« um den Hals. Volle drei Jahre sollte sie bei den Nonnen von Le Murate bleiben.18

Der Umzug erwies sich als ihre Rettung. Auch wenn sie immer noch eine Gefangene war, so fand Caterina doch ein gewisses Maß an Ruhe im Le Murate, das inmitten der städtischen Turbulenzen wie eine friedliche Oase erschien. Das Kloster zeichnete sich durch einen gewissen Luxus aus. Da die ehrwürdigen Schwestern dem Benediktinerorden und nicht dem Franziskanerorden angehörten (dessen Mitglieder ein Armutsgelübde ablegen mussten), gab es im Le Murate üppige Gärten, stets gedeckte Tische und Zimmer, in denen es an nichts fehlte. Generationen von Frauen aus der Medici-Familie hatten hier ihren Lebensabend verbracht und eine der Äbtissinnen hatte bei Caterinas Taufe die Rolle der Patin übernommen. Die Truhen des Le Murate waren randvoll mit dem Gold der Medici, eine Tatsache, die den Rat hatte zögern lassen, bevor er das Kloster zum endgültigen Aufenthaltsort für seine kleine Geisel bestimmte.

Caterinas Leben war bequem, sogar voller Liebe. Die Morgenmesse und Gebetszeiten gaben ihrem Alltag Struktur. Verschiedene Tätigkeiten sorgten für Ablenkung. Als wahre Expertinnen, was Nadel und Faden betrifft, nähten die Nonnen alles selbst – von den Tischdecken bis hin zu den Messgewändern. Vielleicht entdeckte Caterina im Le Murate auch ihre Liebe zur Stickerei, die ein Leben lang anhalten sollte. Vermutlich hat ihr eine der vielen Schriftgelehrten – jener Frauen, die lesen und schreiben konnten und in der Lage waren, die Seiten mit silberner und goldener Tinte zu illuminieren – das Schreiben beigebracht. Aus diesen ersten Schreibversuchen mit der Feder sollte ein Leben voller Briefe werden. Vielleicht verbrachte sie ihre Zeit auch an der Laute oder dem Virginal, denn die Nonnen schätzten die Musik sehr und waren im Besitz aller möglichen Instrumente. Aus unbekannten Gründen sandten die Könige von Portugal den Nonnen jedes Jahr ganze Kisten voll Zucker. Caterina hat möglicherweise also auch beim Einkochen und Marmelademachen geholfen, um sich das selbst gebackene Brot der Nonnen zu versüßen.19

Nicht alle Nonnen im Le Murate mochten die Medici. Ein florentinischer Bürger bemerkte einmal, dass es oft zu Streitereien kam, in denen sich »jedes Lager zugunsten der eigenen Seite« aussprach. Diese internen Streitigkeiten konnten auch banale und passiv-aggressive Züge annehmen. An manchen Morgen stellte Caterina beispielsweise fest, dass die von den Nonnen gebackenen Brötchen wie die Palle der Medici aussahen. An anderen Tagen entdeckte sie Blumengebinde in Form von kleinen, festen Kugeln, die jemand in kunstvoll arrangierten Sechsergruppen auf Fensterbänke und Tische gelegt hatte. Obwohl sie Klosterfrauen waren, hatten die Nonnen keine Bedenken, ihre politischen Ansichten zu äußern. Worte waren ein mächtiges Instrument, doch wie es scheint, galt das auch für Brot und Blumenbouquets.20

Trotz ihrer Differenzen waren alle Nonnen freundlich zu Caterina, wie sich Schwester Giustina erinnert. Sie war schließlich »erst acht Jahre alt«. Außerdem war sie ein braves kleines Mädchen, »nie unhöflich« und »sehr vornehm« in ihrem Betragen.21

Dennoch konnte die liebevolle Fürsorge der Nonnen die Anspannung, unter der Caterina in dieser Situation stand, nicht lindern. Frustriert, dass die Stadt nach wie vor die Medici unterstützte, fand der Rat immer wieder neue Wege, um dem Kind das Leben zur Hölle zu machen. So musste sie zum Beispiel Steuern zahlen und Abfindungen erstatten, die ihrem toten Vater einst ausbezahlt worden waren. In der Hoffnung, die geheimen Informationen, die über diplomatische Kanäle nach Frankreich und Rom gelangten, zurückhalten zu können, schränkte der Rat die Zahl von Caterinas Besuchern stark ein, bis sie im Jahr 1529 schließlich gar niemanden mehr empfangen durfte. Caterina wusste sehr wohl, dass sie eine Gefangene war. Vom Moment ihrer Ankunft an, so Giustina, »war ihre Seele ergriffen von Kummer … Angst und Schrecken«.22 Dieser Kummer muss noch zugenommen haben, als im Mai 1528 die Nachricht von Clarice Strozzis unerwartetem Tod ins Kloster durchsickerte. Clarice war die einzige Mutter, die Caterina je kennenlernen durfte.

Nun war sie fast allein – aber eben nur fast. Auch wenn Clarice nicht mehr war, so wurde Caterina doch mehr und mehr bewusst, dass sie außerhalb der Stadtmauern Verbündete hatte. Französische Gesandte fanden Mittel und Wege, italienische Kontaktpersonen ins Kloster einzuschleusen (zweifelsohne durch die Vermittlung einer Medici-nahen Nonne), wo sie Caterina Mut zusprachen und sie wissen ließen, dass es mächtige Freunde wie den französischen König Franz gab, die sich immer wieder nach ihr erkundigten. Außerdem ließen sich seitens der Franzosen kleine Erfolge verbuchen. Französische Botschafter überredeten den Rat der Republik dazu, dem Mädchen mehr Geld für ihre Ausgaben zu überlassen. Und John Stewart monierte ihre Situation weiterhin und stellte seine eigenen Nachforschungen in ihrem Interesse an.

Im Dezember 1528 erhielt er schlechte Nachrichten. »Eure Nichte ist nach wie vor in einem Kloster untergebracht«, informierte ihn ein Gesandter. »Es geht ihr zwar gut, doch wird sie von jenen florentinischen Signori kaum besucht und auch nicht geschätzt, da diese sie ohnehin lieber [tot] sähen.« Darüber hinaus hatte er Ungewöhnliches über Caterina zu berichten. »Sie wünscht«, fuhr er fort, »dass Ihr Geschenke aus Frankreich schickt für den Herzog von Ferrara.«23 Ob Caterina dem Herzog damit für einen geheimen Dienst danken wollte? Oder wollte sie ihn vielleicht um Hilfe bitten? Auf jeden Fall lernte sie wohl bereits, wie man Kontakte knüpft. Und sie hatte erkannt, dass sie auf ihren Verwandten John Stewart, den Duke of Albany, zählen konnte.