Jupiter 5: Jupiters Herz - Wim Vandemaan - E-Book + Hörbuch

Jupiter 5: Jupiters Herz E-Book und Hörbuch

Wim Vandemaan

4,0

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Beschreibung

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die zahlreichen Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern der Milchstraße. Die letzte kosmische Krise liegt lange zurück. Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der terranischen Zivilisation. Eine mysteriöse Droge vom Jupiter wirft dunkle Schatten über Terra. Die Suche nach den Hintermännern führt Perry Rhodan auf die Jupiter-Atmosphärenstation MERLIN. Er entdeckt: Die Kristallfischer wollen sich mithilfe der Droge Tau-acht an die Spitze einer neuen Menschheit aufschwingen. Perry Rhodan wird gefangen gesetzt. Ihm bleibt nur ein Ausweg – die Flucht hinab in JUPITERS HERZ ...

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Nr. 5

Jupiters Herz

Flucht von der Faktorei – in die Tiefe der Schwerkrafthölle

Wim Vandemaan

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. Die Erde und die zahlreichen Welten der Liga Freier Terraner haben sich zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern der Milchstraße. Die letzte kosmische Krise liegt lange zurück.

Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der terranischen Zivilisation. Eine mysteriöse Droge vom Jupiter wirft dunkle Schatten über Terra.

Die Suche nach den Hintermännern führt Perry Rhodan auf die Jupiter-Atmosphärenstation MERLIN. Er entdeckt: Die Kristallfischer wollen sich mithilfe der Droge Tau-acht an die Spitze einer neuen Menschheit aufschwingen.

Perry Rhodan wird gefangen gesetzt. Ihm bleibt nur ein Ausweg – die Flucht hinab in JUPITERS HERZ ...

Die Hauptpersonen des Romans

Perry Rhodan – Der Terraner gerät in den Bann einer exotischen Schönheit.

Firmion Guidry – Der junge Ganymedaner fühlt sich wie Pinocchio.

Pao Ghyss – Die glutäugige Kristallfischerin bringt Männer um den Verstand.

Irene Lieplich

1.

Jupiter

12. Februar 1461 NGZ

Jede gute Flucht hatte zwei Fixpunkte: einen Ort, von dem man – möglichst ohne Spuren zu hinterlassen – floh, und ein Ziel.

Eine ziemlich elementare Architektur, dachte Perry Rhodan und schaute den Ganymedaner an, der ihn aus der Arrestzelle des Sicherheitsdienstes befreit hatte. Es war jener Junge, der zu Beginn von Rhodans Aufenthalt auf der Faktorei MERLIN versucht hatte, mit ihm zu sprechen. Er hatte sich als Firmion Guidry vorgestellt und stand nun in aller Ruhe da, lächelte Rhodan schief an und riss plötzlich den Mund zu einem großen Gähnen auf.

Irgendwann nach Rhodans bereits zweiter Inhaftierung auf der Jupiter-Atmosphärenstation der Kristallfischer war die Tür schlicht aufgeglitten. Rhodan hatte zunächst eine Falle vermutet, war dann aber auf den Gang hinausgetreten und hatte dort Guidry angetroffen. Die Frage, ob er die Gefängnistür geöffnet habe, hatte der junge Ganymedaner bejaht. Auf die Frage nach dem Wie war nur die Antwort gekommen: »Es war nicht schwer.«

Rhodan sah sich um. Links oder rechts? »Wohin?«, fragte er Guidry.

»Wir könnten in mein Refugium«, schlug Rhodans Befreier vor, nachdem er ausgegähnt hatte. »Mein Versteck.«

»Um dort was zu tun?«

»Uns verstecken.«

Schlechter Plan, dachte Rhodan.

Es gab immerhin zwei Optionen: an Bord von MERLIN zu bleiben oder die Faktorei zu verlassen.

Wenn er an Bord blieb, wäre er auf absehbare Zeit ein Gejagter. Die Motive von Oread Quantrill, dem Leiter der Syndikatsstation MERLIN, waren ihm weitgehend unklar. Sicher war nur: Rhodan stellte für Quantrill eine Bedrohung dar. Quantrill würde ihn jagen. Und die Jäger waren nicht nur in der Überzahl, sie hatten auch die technische Infrastruktur der Faktorei auf ihrer Seite.

»Wo sind Mondra und ihre Leute?«, erkundigte sich Rhodan nach dem Verbleib seiner Lebensgefährtin, von der er vor seiner Einkerkerung getrennt worden war.

»Ich weiß es nicht.«

Zugleich fliehen und suchen – das würde die Sache komplexer machen. Komplexer und aussichtsloser.

In diesem Moment heulte ein Alarm los. »Oh«, sagte Guidry. »Sie haben deine Flucht entdeckt.«

»Links oder rechts?«, drängte Rhodan und wies mit den Zeigefingern abwechselnd in beide Richtungen.

»Links«, antwortete Guidry und rannte los.

*

Die Faktorei bestand im Wesentlichen aus der oberen Hemisphäre eines alten Ultraschlachtschiffs der GALAXIS-Klasse, der MERLIN AKRAN. Das Raumschiff erinnerte Rhodan an andere Einheiten dieses über Jahrhunderte in diversen Serien gebauten Typs, die er gut gekannt hatte: die CREST IV oder die CREST V beispielsweise. Zwar waren diese Schiffe deutlich älter gewesen als die MERLIN AKRAN und von technisch schlichterer Bauart, aber die Erinnerungen an die alten Kampfschiffe dieser Klasse und die Erlebnisse mit ihnen blieben. Durch die Gänge der Faktorei zu rennen, hatte für Rhodan somit etwas geradezu verlockend Vertrautes.

Immer wieder musste er sich sagen: Das ist nicht dein Schiff. Es ist überhaupt kein Schiff.

Nein – die MERLIN AKRAN gehörte zu den letzten Baureihen der GALAXIS-Klasse, in Dienst gestellt während der Gründungsjahre der Liga Freier Terraner, der LFT. Später, als die »großen Pötte« langsam aus der Mode kamen, als sich die LFT nicht mehr über die Stärke ihrer Raumflotten definierte, war die MERLIN aus dem Verkehr gezogen worden. Zuerst hatte sie als Schulschiff gedient, später als fliegendes Museum. Und noch später hatte das Syndikat der Kristallfischer das alternde Symbol einer lange vergangenen Epoche gekauft.

Rhodan hatte sogar den Namensgeber des Schiffs gut gekannt. Akran war im 25. Jahrhundert alter Zeitrechnung Offizier an Bord der beiden CREST-Raumer gewesen; später war er Erster Administrator von Epsal geworden, ein Mann, der weniger Charisma ausstrahlte, als dass er Sachverstand und Integrität bewies.

Und jetzt ist aus seinem Schiff dieser verhexte Ort geworden. Dieses Spukschloss in der Atmosphäre des Amok laufenden Jupiters. Egal. Ausblenden!

Sie rannten einen gekrümmten Korridor entlang, einer der zahlreichen konzentrischen Kreise, die rings um den zentralen Antigravschacht verliefen. Der Gang war breit genug, sie nebeneinander laufen zu lassen. An den Wänden hingen in unregelmäßigen Abständen gemalte, zweidimensionale Bilder, Porträts von Terranern und anderen Humanoiden, die Körper und Gesichter ein wenig karikiert, die Augen täuschend lebensecht.

»Branggals Bilder«, sagte Guidry im Laufen. »Man kann sie kaufen.«

»Gut zu wissen«, erwiderte Rhodan.

Symbole auf dem Boden wiesen darauf hin, dass sie sich einem der kleineren Antigravschächte näherten. Vom Zentralschacht aus gesehen, gab es acht Schächte in jeder der vier Himmelsrichtungen, im ganzen Schiff also dreiunddreißig, die immer kürzer wurden, je weiter außen sie an der Peripherie lagen. Der äußerste Schacht, der letzte vor der Ringwulstsektion, war, wenn er sich recht erinnerte, gerade noch achthundert Meter lang.

Vierhundert Meter, verbesserte er sich. MERLIN ist nur eine Halbkugel.

Vor ihnen tauchte der Eingang zum Antigravschacht auf. Guidry hielt unvermittelt an und drehte sich zur Wand. Er berührte eine Sensortaste. Eine Tür schwang auf. Eine Kammer. Guidry winkte Rhodan hinein. Die Tür schloss sich hinter ihnen. Rhodan seufzte.

Gegenüber dem Eingang erblickte er die Tür zu einem Notfallschacht. Wahrscheinlich ein Turbolift für den Fall, dass der Antigravprojektor des regulären Schachts und seine sämtlichen drei oder vier Reservesysteme versagten.

Deutlich sichtbar war ein zweisprachiges Magnetschild auf die Lifttür geheftet. »Warnung! Außer Betrieb!«, stand dort in Interkosmo und unerklärlicherweise in topsidischen Lettern – allerdings mit einem Rechtschreibfehler.

Rhodan runzelte die Stirn. »Was jetzt?«

»Ich wohne zwischen Chagast und El Dorado«, ließ ihn Guidry wissen. »Mit dem Lift kommen wir am schnellsten dorthin.«

»Firmion«, sagte Rhodan leise und legte dem Ganymedaner die Hand auf die Schulter. »Ich weiß noch immer nicht, warum du mir geholfen hast. Danke jedenfalls. Aber ich möchte mich nicht verstecken.«

»Oh. Was möchtest du dann?«

»Ich will MERLIN verlassen«, antwortete er. »Ich kann hier an Bord nichts tun. Es sei denn, es existiert etwas wie eine Widerstandsbewegung gegen Quantrill oder es gibt eine Gruppe, die eher zur Liga steht als zum Syndikat.«

»Verstehe.« Guidry nickte.

»Weißt du vielleicht davon?«

»Nein. Ich halte mich aus solchen Sachen raus. Aus Politik und so.« Guidry überlegte. »Ich könnte dich zu einem Transmitterraum bringen, aber ich habe gehört, dass die Transmitter außer Betrieb sind.«

»Welche Möglichkeit bleibt?«

»Es sind einige Skaphander an Bord.«

»Skaphander?«

»Maximale Schutzanzüge für den Aufenthalt in der Jupiteratmosphäre. Die halten jeden Druck aus, heißt es. Ich weiß aber nicht, wo sie verwahrt werden. Sie sind auf keinen Fall frei zugänglich.«

Rhodan nickte. Kein Problem. Schließlich hatte er nicht vor, zu Fuß zu fliehen. »Ich brauche ein Fahrzeug«, forderte er. Das würde auch Quantrill wissen. Aber was half es?

Guidry grinste. »Da hätte ich was für dich.« Er hob die Abdeckplatte von einem Schaltkasten und begann, mit den Fingern darin herumzutasten.

Plötzlich ertönte hinter der Liftwand ein leises Brummen. Kurz darauf glitt die Tür zur Seite. Vor ihnen hing die Liftkabine.

»Nach dir«, sagte Guidry. Er wirkte plötzlich ermattet. Er musste Rhodans Zögern bemerkt haben. »Es ist ein Stück weit der gleiche Weg. Ich führe dich schon nicht in die Irre.«

*

Rhodan hatte keinen Zweifel, dass das Syndikat der Kristallfischer, die Machthaber auf MERLIN, in der Faktorei Überwachungsmöglichkeiten unterhielt. Aber diese Gerätschaften waren nicht auf jenem Stand der Technik, über die man an Bord eines militärischen Raumschiffs verfügte. Mit telemetrischen Biodatenscannern oder Impulsdetektoren, welche die Signatur seines Zellaktivators erfassen konnten, musste er also kaum rechnen.

Firmion Guidry erwies sich als umsichtiger Führer. Sie eilten durch schmale, aber begehbare Versorgungsschächte, durch die normalerweise vollautomatisch gesteuerte Paletten mit Gebrauchsgütern glitten. Sie passierten einen Wassertank, in dem sich terranische Speisefische und sogar ein Schwarm ferronischer Adauten gemächlich mästeten, durch einen engen, transparenten Glassittunnel.

Einmal durchschritten sie in aller Ruhe eine Halle, in der eine Art Markt stattfand: frisches Gemüse, Kunsthandwerk, gebrauchte Raumanzüge, selbst gebrannter Wodka, Whisky und Vurguzz. Ein offenbar intelligenzoptimierter Papagei bot sich ihnen »für einen Spottpreis als Leichenredner in allen Lebenslagen« an. »Zertifiziert von den achtunddreißig maßgeblichen Religionsgemeinschaften der inneren Planeten«, krähte er.

Firmion Guidry lachte und sagte im Vorübergehen: »Danke für das Angebot. Aber noch lebe ich.«

»Lässt sich ändern, Schätzchen!«, rief der Papagei ihnen nach und verlagerte in aller Seelenruhe sein Gewicht vom einen auf das andere Bein. »Lässt sich ändern.«

Dann standen sie vor dem Chagast und dem El Dorado. Rhodan fluchte innerlich. Er fasste sich rasch und sagte: »Ich fürchte, dafür haben wir keine Zeit.«

»Es geht rasch«, versprach Guidry.

Rhodan seufzte ergeben. Der Ganymedaner hatte immerhin etwas bei ihm gut. Wie viel? Er gab ihm zehn Minuten.

Das Chagast war ein venusisches Restaurant, das El Dorado versprach authentisch altamerikanische Küche. Rhodan hatte von keinem Gericht je gehört, die der goldfarbene Androide – offenbar der mythische El Dorado, der Goldene Mann in eigener Person – auf einer handgeschriebenen Tafel anpries.

Die beiden Gaststätten lagen unmittelbar nebeneinander. Sie waren, soweit Rhodan sehen konnte, gut besucht. Es war knapp nach 22 Uhr Bordzeit. Wie die meisten terranischen Einrichtungen außerhalb der Erde, die sich nicht an einer planetaren Eigenzeit orientierten, entsprach die Bordzeit Terrania Standard.

Eine Mariachi-Band aus sieben oder acht Musikrobotern spielte einen Huapango-Hit, der seit einigen Wochen die Hörer des gesamten Solsystems terrorisierte. Das Guitarron und die beiden Vihuelas waren kaum zu hören; die Trompeten schmetterten so gnadenlos, als gäben die Engel der Apokalypse ein Gastspiel auf MERLIN.

Ich werde alt, dachte Perry Rhodan in einem Anfall von Melancholie. Whatever happened to Tony Bennett, Patti Page, to Bill Haley and His Comets?

Rhodan sah, wie Guidry kurz zu einer älteren, schmalen, sehr elegant gekleideten Frau hinter einem Tresen hinüberwinkte. Die Frau nickte Guidry ernst zu. Dieser wand sich an einigen Tischen vorbei, die allesamt überbelegt waren. Aber die Restaurantgäste waren ausnahmslos mit sich selbst beschäftigt. Niemand schaute zu Rhodan hoch.

Am Ende des Speisesaals führte eine schmale Öffnung in der Wand zu den Toiletten. Rhodan sah die drei üblichen Türen: die Zugänge zu den beiden Räumen für terranische und sonstige humanoide Männer beziehungsweise Frauen sowie zum Multifunktions-Hygieneraum für nichthumanoide Gäste.

Einige Meter davon abgerückt, hing ein altertümliches Poster an der Wand – der holografische Starschnitt einer Sängerin, die, wenn Rhodan richtig informiert war, vor über fünfzig Jahren ihren künstlerischen Höhepunkt mit großem Schwung überschritten hatte – Diva Dyx oder Diva Dis? Es war ihm entfallen.

Firmion Guidry legte seine Hand dem Hologramm auf den Bauch. Offenbar befand sich dort ein Sensorfeld, denn knapp über dem Boden schwang fast im selben Augenblick eine Klappe nach innen, vielleicht einen halben Meter mal einen halben Meter groß. Guidry ging in die Hocke, ließ sich auf alle viere nieder und kroch durch den Eingang. »Kommst du?«, rief er.

Rhodan antwortete nicht.

Er hörte Guidry sagen: »Ich weiß, ich bin krank. Aber es ist nicht ansteckend.«

Rhodan schüttelte unwillig den Kopf, folgte dem Ganymedaner aber.

Als er sich hinter der Wandöffnung wieder aufrichtete, sah er, dass Guidry eingeschlafen war. Der Ganymedaner hatte sich in eine Embryonalhaltung zusammengerollt und wirkte nun noch kindlicher, als er ohnehin schon aussah. Er atmete tief durch den weit offenen Mund.

Rhodan sah sich um. Der Raum war dreieckig wie ein sehr schmales Tortenstück, maximal zwei Meter hoch. Rhodans Ortssinn zufolge musste er genau zwischen den Wänden der beiden Gaststätten liegen. Das also hat er damit gemeint, er wohne zwischen Chagast und El Dorado.

Eine Regalwand, angefüllt mit verschlossenen oder angebrochenen Lebensmittelkonserven. Einige Kanister Wasser. In der spitzen Ecke eine einfache autonome Toilette mit Recyclingfunktion unter einem 3-D-Poster, das einen Haluter in einer altjapanischen Rüstung zeigte. Ein Tisch, ein Stuhl, eine Liege. Guidry hatte es nicht mehr bis dorthin geschafft, er lag auf dem nackten Boden.

»Hallo, schöner Fremder«, ertönte eine rauchige, ziemlich verlebte, aber unverkennbar weibliche Stimme.

Rhodan sah sich um. Nichts.

»Man übersieht uns leicht«, sagte die Stimme.

»Nur der Meister übersieht uns nicht. Juhu!«, rief eine zweite, kehlige und männliche Stimme.

John Wayne!, fuhr es Rhodan durch den Sinn.

Endlich entdeckte Rhodan die beiden. Es waren zwei Kakerlaken – zumindest in gewisser Weise. Die beiden Insekten, die auf dem Regal saßen, waren gut drei Zentimeter lang. Kakerlaken waren Kosmopoliten. Sie gediehen auf vielen Raumschiffen prächtig.

Dass diese beiden gediehen, konnte man dagegen nicht ohne Weiteres behaupten. Irgendwer hatte sie geköpft und anstelle ihrer Köpfe zwei künstliche, kantige Schädel aus Plastik und Leichtmetall aufgepflanzt.

Außerdem musste er darin eine Mikropositronik untergebracht, ein Lautsprechersystem eingebaut und die beiden Tiere so in Bioroboter verwandelt haben.

Rhodan wies auf den schlafenden Ganymedaner. »Ist das euer Meister?«

»In der Tat ist er es«, triumphierte die Kakerlake mit der männlichen Stimme. Dann dämpfte sie die Lautstärke: »Des Meisters Tagwerk ist aufzehrend. Wir wollen ihn nicht wecken.«

»Der Meister schlummert. Aber du bist wach, schöner Fremder«, sagte die weibliche Stimme. Sie klang – wenn es denn möglich war – nach teuren Zigarillos, Gin und einer ziemlich verruchten Phantasie.

Spielzeuge, dachte Rhodan. Er hat sich Spielzeuge angeschafft. Wozu?

Die robotisch aufgerüstete Kakerlake erläuterte mit ihrer John-Wayne-Stimme: »Unser Meister ist er, behufs er uns gebastelt hat.«

»Oh ja«, bekräftigte die Frauenstimme.

Zwei weitere Kakerlaken – oder Hybridroboter – krochen zwischen den Konserven hervor. Eine von ihnen glich mit ihrem mechanischen Kopf den ersten beiden; die andere bestand aus einem künstlichen Nachbau des Leibes und der sechs nach innen gebeugten Beine mit einem echten Schabenkopf auf dem Thorax. Sie trug ein Geschirr und zog an den Strängen ein daumenlanges, zweirädriges Fuhrwerk hinter sich her, beladen mit Zucker und Mehl.

»Margot bestand darauf, euch einen kleinen Imbiss zu bringen«, sagte die neu eingetroffene Kakerlake mit dem Kunstkopf. Sie hielt inne, als sie Rhodan erblickte. »Der Meister hat Gäste? Blin! Ist nicht genug für alle da!«

»Ich bleibe nicht zum Essen«, versicherte Rhodan mit einem Blick auf das Wägelchen und wandte sich zum Ausgang. Die Klappe hatte sich wieder geschlossen. Er suchte eine Taste, fand aber nichts. Diesmal fluchte er laut und vernehmlich.

»Huch. Ich erröte«, sagte die weibliche Stimme und giggelte albern.

»Blin!«, fluchte die dritte Kakerlake erneut. »Hier wird nicht geflucht.«

In diesem Moment richtete sich Guidry mit einem leisen Klagelaut auf.

»Geht es dir gut?«, fragte Rhodan.

Guidry murmelte etwas, zu leise, als dass Rhodan es hätte verstehen können.

Die Bioroboter besaßen offenbar ein empfindlicheres Gehör. Die Frauenstimme sagte: »Uns stört es, Schätzchen, wenn es dir nicht gut geht.«

»Kein Wunder, dass es dir schlecht geht. Stickig hier. Blin. Zu viele Leute im Raum.«

»Firmion ...«, begann Rhodan.

Der Ganymedaner winkte ab. Er bückte sich ein wenig, sodass er mit den vier Kakerlaken auf Augenhöhe war. »Ich hab euch etwas zu sagen.«

»Du bist schwanger«, mutmaßte die John-Wayne-Kakerlake.

»Ich gehe fort«, sagte Guidry.

»Wohin?«, fragte John Wayne.

»Eine Romanze!«, kreischte die Frauenstimme. »Unser Meister! Wie heißt deine Angebetete? Kennen wir sie?«

»Stell sie uns vor!«, forderte die dritte Kakerlake. »Frauen sind bitterliche Geschöpfe. Blin!«

»Was du nicht sagst«, sagte die Frauenstimme.

Die Kakerlaken plapperten durcheinander.

»Pscht«, machte Guidry. Es klang sehr behutsam. »Ich muss fort. Ich komme nicht mehr wieder.«

»Wie: nicht wieder?«, fragte John Wayne. »Nicht wieder im Sinne von nie wieder?«

»In diesem Sinne«, bejahte Guidry.

»Blin!«

Guidry hielt plötzlich ein dünnes Programmierstäbchen in der Hand. »Ich gebe Margot den Kode für den Zugang«, sagte er und führte das Stäbchen an den künstlichen Leib der stummen Schabe. Das Stäbchen flackerte kurz in einem milden, blauen Licht auf, um zu zeigen, dass es sich aktiviert hatte. »Und ich verrate ihr auch ein paar Tricks.«

»Margot? Wieso dieser Schlampe?«, krakeelte die weibliche Stimme.

»Ihr werdet es verstehen«, antwortete Firmion Guidry. Er schluckte. »Macht's gut, Kinder.«

»Wiedersehen, Meister!«, riefen die drei Kakerlaken im Chor.

Als er mit Rhodan wieder draußen vor den Toiletten stand, sagte Guidry: »Sie sind meine Familie. Jetzt müssen sie erwachsen werden.« Er lachte schwach.

Rhodan fragte: »Du hast sie ... geschaffen?«

Guidry nickte. »Ja, geschaffen. Oder umgebaut. Und ausgebildet. Ist nicht leicht, loszulassen, weißt du?«

»Ich weiß«, äußerte Rhodan ratlos.

»Und jetzt?«, fragte Guidry.