Perry Rhodan 2958: Jede Zeit hat ihre Drachen - Wim Vandemaan - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 2958: Jede Zeit hat ihre Drachen E-Book und Hörbuch

Wim Vandemaan

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Beschreibung

Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben. Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als "nichtmenschlich" bezeichnet hätte. Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten. Derzeit machen vor allem die Thoogondu aus der Galaxis Sevcooris von sich reden, einst ein von ES erwähltes und dann vertriebenes Volk. Dazu gesellen sich die Gemeni, die angeblich den Frieden in der Lokalen Gruppe im Auftrag einer Superintelligenz namens GESHOD wahren wollen. Der Ertruser Opiter Quint macht sich auf die Suche nach Antworten auf die Frage, inwiefern ES seine Mächtigkeitsballung tatsächlich verlassen hat. Nachdem zumindest Teile von Homunk, einem Boten von ES, aufgefunden werden konnten und auch die Kunstwelt Wanderer keineswegs verschwunden ist, besteht Hoffnung, dass die Milchstraße keineswegs ohne Beistand ist. Doch JEDE ZEIT HAT IHRE DRACHEN ...

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Zeit:3 Std. 28 min

Sprecher:Tom Jacobs

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Nr. 2958

Jede Zeit hat ihre Drachen

Die Geschichte einer Arkonidin – der Genetische Krieg beginnt

Wim Vandemaan

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Abwärts, immer abwärts

1. Belastungsstörungen

2. Das System im Zentrum der Galaxis

3. Das Schiff im Eis

4. Nach der Schlacht

5. Ein vielschichtiger Auftrag

6. Kontakt

7. Das Phantom

8. Der Genetische Krieg

9. Was niemand weiß

Epilog: Der Auslöser

Stellaris 63

Vorwort

»Zirome« von Michael G. Rosenberg

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten. Derzeit machen vor allem die Thoogondu aus der Galaxis Sevcooris von sich reden, einst ein von ES erwähltes und dann vertriebenes Volk. Dazu gesellen sich die Gemeni, die angeblich den Frieden in der Lokalen Gruppe im Auftrag einer Superintelligenz namens GESHOD wahren wollen.

Der Ertruser Opiter Quint macht sich auf die Suche nach Antworten auf die Frage, inwiefern ES seine Mächtigkeitsballung tatsächlich verlassen hat. Nachdem zumindest Teile von Homunk, einem Boten von ES, aufgefunden werden konnten und auch die Kunstwelt Wanderer keineswegs verschwunden ist, besteht Hoffnung, dass die Milchstraße keineswegs ohne Beistand ist. Doch JEDE ZEIT HAT IHRE DRACHEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Opiter Quint – Der Agent des TLD stößt auf ein uraltes Raumschiff.

Suuna – Die Arkonidin aus einfachem Volk muss in der Welt des Adels bestehen.

Trebon da Minterol – Der Kommandant befindet sich in zwei Kriegen.

Lethuur

Prolog

Abwärts, immer abwärts

Suuna liebte das Treppenhaus. Die Stufen waren hoch, und es wäre eine große Anstrengung gewesen, hinauf zu laufen. Zumal mit ihrem linken Bein, das so war, wie es war. Wenn sie hinaufmusste in die Etage, wo sie und ihre Großmutter eine bescheidene Wohnung hatten, nahm sie wie alle anderen Hausbewohner den Lift.

Hinunter aber ging es die zwölf Etagen wie im Flug. Suuna breitete die Arme aus und ließ sie kreisen. Sie hüpfte, übersprang eine Stufe, auch zwei. Halsbrecherisch hätte ihre Großmutter diesen Lauf genannt, hätte sie ihn denn gesehen.

Doch sie sah ihn ja nicht.

Es roch nach nassem Stein, ein Aroma wie am Strand der Gabuhrsee. Freilich waren die Stufen trittfest, weil die robotischen Steinmetze ihre Oberflächen und Kanten mit einem ausgeklügelten Riffelmuster feinster Kerben versehen hatten. So fand jeder Schritt Halt.

Das Licht fiel durch die gläserne Wand. Mal war es die schiere Helligkeit Nepangas, des Sterns, der über Urash strahlte. Mal fiel sein Licht durch das Buntglas der Glasbilder und strahlte in schier unbegreiflichen Farben.

Die Glasbilder zeigten Szenen aus der Geschichte der Sternenkolonie: den Einflug des ersten arkonidischen Raumschiffes ins Nepangasystem, den Kugelraumer Udlan bas Nepangs im Orbit von Urash oder wie er in der Kupferwüste von Thondh gelandet war, umgeben von einer Herde tragender Eisenschnecken, deren Atemschleim in der Hitze dampfte, so lebensecht, als wären sie ins Glas eingeschmolzen.

Keines der trächtigen Tiere hatte gegen diese Inbesitznahme ihrer Welt protestiert. Sie nahmen die Tatsache, dass sie nunmehr Untertanen des Imperators waren, mit animalischer Gelassenheit zur Kenntnis.

Falls überhaupt.

Die Glasbilder zeigten Udlan bas Nepang selbst, den ersten Arkoniden, der seinen Fuß auf die Kupferwüste setzte und den Planeten für das Imperium in Besitz nahm. Sein weißes Haar lag wie ein wohlsortierter Haufen bleicher Geflügelknochen auf dem Haupt, seine Nase ragte heroisch aus dem Gesicht. Auf dem Rücken trug er ein Schwert aus Arkonstahl, verziert mit erbaulichen Szenen aus der Familienchronik der bas Nepang.

Im Haus der Unterweisung hatte Suuna wie die anderen Essoya diese Chronik auswendig lernen müssen: langweilig, langweilig und abermals langweilig.

Nach der nächsten Treppenwendung, im folgenden Stockwerk war die Außenwand wieder leeres, klares Glas, ungetrübt von allen Erinnerungen an die bas Nepangs. Suuna sah aus den Augenwinkeln die wuchtigen Gebäude der Kupferstadt, dahinter die Ebene Vhordid und am Horizont dieser Ebene den ersten Khasurn der Stadt Protongh, in dem Lorud bas Nepang sein Alter im Zusammensein mit jungen Essoya-Mädchen zu vergessen suchte und eine schillernde Party nach der anderen schmiss.

Eine Welt, die Suuna immer nur aus den Augenwinkeln sehen würde.

Wie auch anders?

Sie musste sich konzentrieren. Immer rascher ging es die Stufen hinab. Sie sah, wie der Schatten ihr vorausflog, wie er unaufhaltsam und unverletzlich über die Stufen glitt.

Sprung um Sprung.

Suuna beneidete ihren Schatten. So leicht zu sein, so unfassbar, eine Gestalt ohne dritte Dimension, schwerelos wie ein Gedanke.

Wäre es möglich gewesen in dieser Welt, sie hätte mit dem Schatten getauscht.

Sprung um Sprung – es war wie ein Rausch. Wie der Schatten der Heldin Hirsuuna, der über das Sternengras der Ewigkeit glitt.

Ihre Großmutter hatte ihr viele Legenden erzählt, aber am liebsten war Suuna immer die Legende vom Schatten der Heroine Hirsuuna gewesen – und das nicht nur, weil ihre Eltern sie nach dieser Heldin genannt hatten.

Diese Legende erzählte nicht von den Heldentaten der Heldin in dieser Welt, die voller Gefahren war, voller Maahks und Thaafs und anderer Wasserstoffatmer, die in ihrem blinden Hass auf alles Wahre, Gute und Schöne das Sternenreich der Arkoniden vernichten wollten.

Jedenfalls, wenn man den imperialen Nachrichten glaubte.

Nein, von diesem Diesseits berichtete die Legende der Heldin Hirsuuna nicht. Sondern sie erzählte von den Taten ihres Schattens im Jenseits, der barfuß über das Sternengras der Ewigkeit schritt. Während die Heldin im Diesseits den Spiegel der Verwirrung zwischen die Arkoniden und ihre Feinde stellte, sammelte ihre Silhouette die Geister der Toten und las sie in ihren kristallenen Korb.

Dort erntete die Silhouette aus jedem Geist dessen Erinnerung und brachte sie ein in das Große Gedächtnis des Lebens. Die von allen Erinnerungen entlasteten Geister aber sanken wie immaterieller Tau zurück ins Diesseits, zu neuem Leben in neuen Leibern.

Suuna hatte das Erdgeschoss erreicht. Sie lehnte mit dem Rücken an der Wand, die Hände auf die Knie gestützt, und schöpfte Atem. In der Glastür, die hinausführte, spiegelte sich ihr Gesicht, die weit aufgerissenen roten Augen, die etwas zu lange Nase. Die strähnigen braunen Haare klebten verschwitzt an der Stirn.

Gleich würde sie losgehen. Man würde sehen, wie sie den linken Fuß ein wenig nachzog.

Wohin des Wegs, Essoya-Mädchen? Welche Türen sollten sich dir öffnen in diesem Sternenreich, dessen Kelche in voller Blüte stehen, dessen Khasurne vom Imperator genährt und geschützt werden und, wenn es sein muss, beschnitten?

Denn Imperator Grishkan weiß, dass, wer Honig aus den Kelchen saugen will, diese Kelche pflegen muss und gärtnern.

Es hieß, der tausendäugige Imperator hielte mit 500 seiner Augen die Feinde des Imperiums im Blick; mit 400 Augen schaute er nach den Kelchen des Sternenreiches. Mit 98 Augen hütete er die kindlichen Essoya. Nur die letzten beiden Augen gehörten allein ihm, und nur diese beiden schloss er, um zu schlafen.

So war es immer schon gewesen, seit die Arkoniden vor einer Million Jahren vor den Sternenbestien aus Arbaraith geflohen waren. So würde es immer sein, und so war es auch in dieser Zeit, dem Jahr 10.823 da Ark.

1.

Belastungsstörungen

Ernst Ellert und Opiter Quint hatten einige Wochen gebraucht, um sich von der Lektüre des Protokolls zu erholen. Die Nachwirkungen waren schleichend aufgetreten und hatten zunächst harmlos gewirkt: Es gab kleinere Unkonzentriertheiten, hin und wieder kam ein Wort unsauber artikuliert über die Lippen, dann fehlte es ganz: Was hatte man sagen wollen?

Unruhige Träume, natürlich, aber wer hatte die nicht? Jedenfalls von Zeit zu Zeit.

Dabei schliefen sie immer weniger, und wenn sie schliefen, schreckten sie häufig hoch. Sie lebten wie auf verlorenem Posten, kurz vor dem Angriff eines übermächtigen Gegners, wurden reizbar, stritten sich.

Hätte auch Zau, der Tryzom-Mann, ähnliche Symptome gezeigt, wären Aichatou Zakara oder Mahnaz Wynter früher aufmerksam geworden.

Aber Zau hatte die Begegnung mit dem Thoogondu allem Anschein nach ohne Weiteres verkraftet.

Schließlich war es Yemaya Shango, das Bewusstsein der Terranerin im Körper des Dolans JASON, die den Schlussstrich zog und die beiden anwies, an Bord der NEÈFOR um professionelle Hilfe zu bitten.

Die NEÈFOR, die den Dolan beherbergte, war ein ferronisches Raumschiff, ein Frachter der PIGELL-Klasse mit 300 Metern Durchmesser. Sein Kapitän hieß Jenjur Mezepher. Der ältere Ferrone schaute die beiden Männer besorgt an, strich über seinen langen Bart und nickte bedächtig.

»Die Mission hat also doch Nachwirkungen«, stellte er fest und führte Ellert und Quint in die Medoabteilung seines Schiffes.

Auch Spallisín, die Chefmedikerin, war Ferronin. Ihre Haut schimmerte in einem magischen Blau. Das Haar, kurz geschnitten und zu kleinen Wirbeln frisiert, glänzte wie ein Schatz frisch geschlagener Kupfermünzen.

Sie diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung und verschrieb ihnen ein Medikament.

Es schlug nicht an.

»Warum hilft es nicht?«, fragte Opiter Quint sie bei der nächsten Therapiesitzung. Er fühlte sich zugleich zu wach und zu müde. Mit einer körperlichen Verletzung wäre er leichter zurechtgekommen. Er glaubte sich von dem Medikament und er glaubte sich von sich selbst im Stich gelassen.

Spallisín zuckte in einer rührend menschlichen Weise mit den Achseln. »Das weiß ich nicht. Uns sind nicht eben viele vergleichbare Fälle bekannt, in denen das menschliche Bewusstsein in den Geist eines seit Jahrtausenden toten Thoogondu abgetaucht ist.«

Quint fluchte.

»Lasst euch Zeit«, riet die Medikerin. »Ihr müsst euch Zeit lassen und die Jahrtausende überbrücken, bis ihr wieder im Hier und Jetzt angekommen seid.«

»Hm«, machte Quint unwillig.

Die Ferronin beugte sich vor. »Sprecht miteinander! Findet heraus, was genau euch so mitgenommen hat. Tauscht euch aus. Redet!«

Also redeten sie, Quint und Ellert, mal untereinander, mal zusammen mit Zau, mit Mahnaz Wynter und Aichatou Zakara. Einmal mit Homunk.

Der Torso des Androiden trug nach wie vor den SERUN, dessen Ärmel und Beine ihm die verlorenen Gliedmaßen ersetzten. Andere, technisch ausgefeiltere Prothesen lehnte er ab, wiewohl die Medoabteilung der NEÈFOR ihm solchen Ersatz wiederholt angeboten hatte.

Sie redeten über den Unfall und die schwere Verletzung des Mädchens Rochashad; über den Wissenschaftler Khuulespiu und seine Gedächtniskunst des Umschreibens von Erinnerungen; davon, wie diese Technik des Re-Engrammierens von der Gilde des Gondus missbraucht worden war, um der Superintelligenz ES eine Jahrtausendfalle zu stellen.

Wie der Wanderer zurückgeschlagen hatte und umfassend wie ein Sturm über das Gondunat gekommen war, der die Thoogondu aus der Milchstraße gefegt hatte, ohne Ausnahme und ohne Gnade.

»Ohne Ausnahme?«, fragte Homunk nach. »Durfte nicht Khuulespiu bleiben?«

»Er allein durfte bleiben«, räumte Quint ein. »Wenn auch nicht in seiner eigenen Gestalt. Was hat ES sich dabei gedacht?« Er starrte dem Androiden in die blaugrünen Augen. »Was hast du dir dabei gedacht?«

»Nach den Gedanken von ES zu fragen, ist, als würdest du eine Bibliothek betreten, auf die Bücher weisen und fragen: Was steht geschrieben?«

»Und was steht geschrieben, Bibliothekar?«

Die Lippen Homunks verzogen sich zu einem matten Lächeln. »Dies und das.«

»Aber du bist es gewesen, der mit Khuulespiu gesprochen hat, damals, vor dem Exodus der Thoogondu. Du – unter dem Namen Niemandssohn.«

»Bin ich es gewesen?«, fragte Homunk mehr sich selbst als Quint. »Es war eine andere Zeit. Ich trug eine andere Gestalt. Ich war ein anderer.«

Quint schloss die Augen. Erinnerungen stiegen aus seinem Gedächtnis, manche von einer schwer zu ertragenden Gegenwart. Er sah den Unfall von Rochashads Eltern, ihre in Flammen stehenden Körper. Manche glaubten, Mitleid wäre nur eine Art Resonanz. Quint wusste es besser. Mitleid konnte eine große Kraft entfalten und das Bewusstsein verwandeln wie in einem chemischen Prozess. Rochashad hatte ihm die Thoogondu viel nähergebracht, als ihm lieb war.

Er versuchte, sich ein anderes Bild vor Augen zu holen, das Bild des Haluters, der den Thoogondu in die Hände gefallen und zu ihrem Forschungsgegenstand degradiert worden war, ein Objekt in ihrem Labor. Nor Efech.

Quint spürte Abscheu vor den Experimentatoren, vor denen, die den Haluter seiner Gliedmaßen beraubt und seinen Schädel geöffnet hatten. Aber er spürte auch die kalte Leere in Khuulespiu, der seine Schwester durch die Haluter verloren hatte.

Rechtfertigte das eine das andere?

Natürlich nicht.

Konnte das eine das andere erklären?

Die Menschen hatten gelernt, die Haluter als Freunde zu sehen. Die Thoogondu nicht. Wie hätte ein Lemurer auf die Szene im Labor der Thoogondu reagiert, auf den gefesselten, wehrlos gemachten Haluter? Wie hätte jemand reagiert, der die Haluter als Geißel der Galaxis erlebt hatte, als Mörder seiner Familie? Als Anlass, aus der Galaxis Apsuhol zu fliehen, die Flucht einer ganzen Zivilisation über den Abgrund zwischen den Sterneninseln hinweg?

Exodus auf Exodus. Die Parallelität der Ereignisse, dachte Quint.

»Selbst Wesen Ihrer Art kennen die Furcht, Nor Efech«, hatte Khuulespiu dem Haluter gesagt.

Der hatte geantwortet: »Aber was, wenn Wesen meiner Art von nichts so angezogen würden wie von dem schieren Grauen?«

»Ist es so?«, hatte Khuulespiu gefragt, aber der Haluter hatte keine Antwort gegeben.

»Wir werden es herausfinden«, hatte Khuulespiu ihm gedroht.

Hatten sie es herausgefunden?

Der Haluter lag starr; die drei Augen schlossen sich.

Es berührt uns immer eigentümlich, wenn das Große stürzt, dachte Quint. Jedes Imperium fällt. Jeder Riese stirbt. Aber dabei zu sein, es zu erleben, erschüttert uns doch.

Opiter Quint öffnete die Augen und erhob sich. Die Augen brannten. Er hätte gerne geschlafen. Wie alle anderen um diese Zeit, wie Mahnaz Wynter, die USO-Agentin, und wie Aichatou Zakara, die Zeitforscherin. Und wie Zau, der Tryzom-Mann.

Langsam bewegte sich Quint durch den Dolan. Ob auch Yemaya Shango schlief, ob sie träumte?

Und wenn: Würden es menschliche Träume sein oder die Träume eines Dolans?

War der Dolan nicht eine Art Haluter, aus demselben Stoff?

Er betrat seine Kabine, legte sich auf sein Bett. Seine Gedanken kreisten, jagten einander: der Dolan, die Haluter, der Sturz der Riesen. Waren sie nicht auch in diesen Tagen in Gefahr, die Giganten von Halut? War nicht die Rede von einer Haluterpest? Trug nicht Bostich, der Arkonide, Halutergene in sich? Veränderte er sich nicht deswegen, hatte er nicht deswegen sein Imperium verloren? Das Imperium, die Arkoniden, die Haluter – alles verband und verwob sich in Quints übermüdetem Geist.

Endlich schlief er ein, und er schlief tief.

Am nächsten Morgen erwachte er mit einem lauten Seufzer. Er fühlte sich erfrischt. Er duschte sich und begab sich in den gemeinsamen Speiseraum.

Ellert saß bereits am Tisch. Er wirkte ausgeschlafen und gespannt und nippte an einem Glas Orangensaft.

»Guten Morgen«, wünschte Quint. »Schon an Deck?«

Ellert deutete ein Lächeln an. »Ich habe nachgedacht«, sagte er. »Mir ist, als hätten wir etwas übersehen. Eine Frage, die noch niemand gestellt hat.«

»Nämlich?«

»Diese Haluter«, sagte Ellert. »Was ist aus ihnen geworden?«

Quint schaute Ellert an. Gute Frage, dachte er.

Ellert – dieser Ellert – hatte weder die erste Begegnung mit den Halutern erlebt, noch die Geschichte der Zusammenarbeit zwischen den Riesen von Halut und der Menschheit. Sicher war Ellert mittlerweile über die solare Historie im Bild, aber es machte einen Unterschied, ob man Ereignisse und Personen vom Hörensagen kannte oder aus eigener Erfahrung. Ellerts Erstbegegnung mit den Halutern hatte im archivierten Bewusstsein des Thoogondu stattgefunden.

Und überhaupt war es eine gute Frage – auf die auch Quint gerne eine Antwort hätte: Was war aus den Halutern geworden?

Was wurde zurzeit aus ihnen?

*

Als sie Homunks Kabine betraten, war ihnen, als hätte der Androide auf sie gewartet.

»Es geht um die Haluter«, eröffnete ihm Quint. »Es gibt da etwas, was Ernst und ich nicht verstehen. Etwas an ihrer Geschichte ist nicht ganz stimmig, etwas an ihrem Verhältnis zu den Thoogondu.«

»Die Haluter sind eine besondere Konstruktion«, sagte Homunk, als wäre das eine Erklärung für alles.

Quint stutzte. »Ja, besonders sind sie schon. Was mich interessiert: Es kreuzen sich so viele Wege. Die Lemurer und die Haluter, die Haluter und die Thoogondu, die Thoogondu und wir, dann diese Krankheit, die neuerdings die Haluter befallen soll – seit wann werden Haluter krank? Warum werden sie es gerade jetzt?«

»Möglicherweise ist die Krankheit jetzt erst ausgereift.«

Quint hob die Brauen. »Was weißt du darüber?«

»Wer genauere Informationen über diesen Komplex benötigt, wird sie im Sokarsystem finden«, sagte der Androide. »Wohl bemerkt: Er wird Informationen finden. Keine Heilung.«

Quint war kurz davor, die Fassung zu verlieren. »Wurden diese Informationen den Halutern bereits zugänglich gemacht?«

»Von wem?«, fragte Homunk kalt zurück.

»Von dir zum Beispiel?« Quint warf Ellert einen Hilfe suchenden Blick zu.

Homunk schien nachzudenken. »Wie sollte das möglich sein? Ich bin nicht für jedermann erreichbar. Und ich habe keinen Auftrag erhalten.«

»ES hätte die Haluter unterrichten können«, sagte Quint.

»Solche Unterrichtung ist für die Stabilisierung der Mächtigkeitsballung bislang nicht als notwendig betrachtet worden«, sagte Homunk. Es klang wie ein juristischer Bescheid.

»Ich habe mir ES immer als einen Freund vorgestellt, der nicht aus bloßer Notwendigkeit handelt«, sagte Quint.

»Und du hast geglaubt, deine Vorstellung würde den Wanderer definieren?«, fragte Homunk. »Ein sehr menschlicher Einfall.«

»Das mag daran liegen, dass ich ein Mensch bin«, spottete Quint.

»Das ist eine plausible Erklärung.«

»Du musst ihn entschuldigen«, bat Ellert für Quint. »Er ist im Umgang mit Androiden, die auf intotronischer Basis funktionieren, nicht geschult.«

Homunk nickte mit großer Ernsthaftigkeit zurück. »Entschuldigung gewährt.«

*

»Was wissen wir über das Sokarsystem?«, fragte Opiter Quint, nachdem er mit Ellert in die Zentrale des Dolans gegangen war.

Auch Mahnaz Wynter und die Zeitforscherin Aichatou Zakara hatten sich eingefunden. Zau, dessen Motive Quint wohl nie ganz verstehen würde, war in seiner Kabine geblieben.

Zakara war mit ihrem nachtschwarzen Haar, in dem es blau schimmerte wie von Polarlichtern, zweifellos eine spektakuläre Erscheinung. Ihre Haut war dunkel und kontrastierte eigenartig mit den roten Zeichen, die sie sich auf Stirn und Wange gemalt hatte. Am Kinn funkelten schmale Ziersteine, als versprühten sie elektrische Funken. Ihre Lippen schimmerten blau wie Zwetschgen. Sie trug ihr übliches Kapuzenhemd.

Wynter, mit ihren 1,70 Metern mehr als einen Kopf kleiner als Quint, nickte ihm zu und zog die Augenbrauen ein wenig hoch.

»Wir wissen nicht eben viel«, beantwortete Yemaya Shango Quints Frage. »Das System befindet sich in 30.015 Lichtjahren Entfernung vom Solsystem und ist 35.091 Lichtjahre vom Arkonsystem entfernt.«

Das Holo einer Sternkarte entfaltete sich lautlos. Der Dolan war auf Ockhams Welt mit einem soliden Sternkatalog ausgerüstet worden, der einerseits das Wissen aller Kulturen vereinigte, die im Galaktikum kooperierten, andererseits über einige Spezialdossiers verfügte.

Quint betrachtete das Milchstraßenholo, in dem drei Punkte aufleuchteten: Arkon im fernen M 13, das Solsystem im Orionarm, dann der blinkende Punkt, der den Stern Sokar anzeigte, gute 2000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis entfernt.

Quint warf einen kurzen Blick auf den Kugelsternhaufen M 13. Dort lag das immer noch isolierte Arkonsystem. Die Hoffnung der Arkoniden, dass sich mit der Scherung die Lage im Arkonsystem normalisieren würde, hatte sich bislang nicht erfüllt.

Quint wusste, dass einige Wissenschaftler die Theorie aufgestellt hatten, das System sei aus diesem Universum geschert worden, nur noch als gravitativer Schatten vorhanden, das System sei zu einer post-transvektiven Singularität geworden. Wohlklingende Worte, die das Unwissen und die Ratlosigkeit der Wissenschaftler ummäntelten.

Das Arkonsystem war einst der Glanz des Imperiums gewesen, der leuchtende Mittelpunkt der arkonidischen Zivilisation. Nun war es zu einem unkalkulierbaren Ort geworden. Warum hatte Quint – und nicht nur er – das unbehagliche Gefühl, dass dieser rätselhafte Ort eines Tages eine entscheidende Rolle in der Geschichte der Milchstraße spielen könnte?

Die arkonidischen Baronien unterhielten im weiten Orbit um das unerreichbare System einige Raumstationen, auch das Galaktikum war mit einer Station vertreten – der YAL KOR'RAK, wenn Quint sich recht entsann. Benannt nach jenem Ara, der lange Jahre im Galaktikum Rat für Gesundheit und Seuchenbekämpfung gewesen war – oder eben, wie mancher Terraner gespottet hatte, Galaktischer Rat für Seuchen.

Plötzlich und beim Stichwort Seuchen kam Quint mit Blick auf die Lage des Sokarsystems im Holo eine Idee. »Weitere Referenzpunkte für das Zielsystem?«

»Gerne«, sagte die Stimme Shangos.

Tief in der Eastside leuchtet Verth auf, der Heimatstern der Bluesvölker. Dass Helitassystem mit Tefor, dem Zentrum des Neuen Tamaniums, erstrahle wie ein Spiegelbild Sols.

Und dann, der Sonne Sokar sehr viel näher, das Halutasystem. Mit 286 Lichtjahre lag Sokar zwar noch außerhalb des Haluta-Sektors, doch die geringe Distanz verblüffte Quint.

Yemaya Shango informierte sie über das System, über die fünf Planeten, von denen nur einer in der habitablen Zone lag, ein Gasriese mit dem Namen Sokambur, dessen Mond Kaikiark eine dünne Sauerstoffatmosphäre aufwies.

Die Daten stammten noch von einer Zentrumsexpedition, die von einem Explorerschiff des Solaren Imperiums unternommen worden war. Der EXPLORER hatte sich nur wenige Tage im System aufgehalten und dann eine Permanentsonde zurückgelassen, deren Datenstrom aber im Lauf der Monosjahre versiegt war. Eine Besiedlung hatte niemand in Betracht gezogen, und eine anderweitige Nutzung des Systems hatte sich nicht angeboten.

»Was bedeuten die Namen?«, fragte Ellert.

»Sokar und Sokambur könnten aus dem Satron stammen«, sagte Shango. »Also dem Arkonidischen, wenn auch aus einer älteren Periode. Souka bezeichnete eine Wegkreuzung; Amb'our ein Risiko, etwas Lauerndes.«

»Sehr einladend«, kommentierte Ellert. »Und Kaika?«

»Kaikiark ist kein arkonidisches Wort«, sagte Shango. »Am nächsten käme diesem Namen noch der Ausdruck Khra'i khriachr – die Fensterfolie, auf die der Wintersturm drückt.«

»Holla!«, entfuhr es Ellert. »Sehr poetisch. Das klingt nach einem japanischen Haiku.«

»Japanisch ist es nicht«, sagte Shango. »Sondern Kraahmak, allerdings ebenfalls in einer älteren Variante.«

»Kraahmak?« Ellert schaute Quint Rat suchend an.

»Die Sprache der Maahks«, sagte Quint.

»Scheint ein interessantes Plätzchen zu sein, dieses System«, murmelte Wynter.

Illustration: Swen Papenbrock

2.

Das System im Zentrum der Galaxis