Kadett – Offizier der Kaiserlichen Marine – Briefe von Bord – 1895 – 1901 - Willi Franck - E-Book

Kadett – Offizier der Kaiserlichen Marine – Briefe von Bord – 1895 – 1901 E-Book

Willi Franck

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Beschreibung

Wie viele junge Männer im deutschen Kaiserreich teilten Willi und Kurt Franck die Begeisterung für den Aufbau der deutschen Marine und den Ausbau der Stellung Deutschlands als See- und Kolonialmacht. Bereits als Kadetten, Seekadetten und Leutnants erlebten sie diese Entwicklung hautnah mit. Im vorliegenden Band berichtet Willi Franck in Briefen an seine Eltern in Köln von seiner Ausbildung und von seinen Reisen an Bord der Schulschiffe "STOSCH" und "GNEISENAU" nach Marokko, in die Karibik und nach Griechenland und Kreta. Bereits diese Schulschiffreisen haben den ernsten Hintergrund von Machtprojektionen und Strafexpeditionen. Zum Einsatz gegen den Boxer-Aufstand kommt er nach China – allerdings zu spät. Dafür erlebt er an Bord des Kreuzers "HANSA" die deutschen Kolonien in der Südsee und die Commonwealth-Feiern in Australien und beschreibt sie so, dass der Leser in eine versunkene Welt eintauchen kann. - Rezension zu diesem Band 93: Ingo Vormann formulierte am 9. Oktober 2017 folgende Rezension: Dieses Buch mit den Briefen und Aufzeichnungen Willy Francks an seine Lieben zuhause versetzt den maritim interessierten Leser über 100 Jahre zurück in die Zeit der Kaiserlichen Marine. Es nimmt ihn mit auf eine ganz besondere Zeitreise, auf der der junge Kadett Franck aus Köln die Karriereleiter vom Kadetten bis zum Oberleutnant zur See erklimmt. Diese umfassende Reise beginnt geographisch und zeitlich 1895 mit der Grundausbildung an der Marineschule in Kiel und endet 1901 mit dem Besuch von SMS Hansa in Australien. Dazwischen liegen Zehntausende von Seemeilen voller Eindrücke und Erlebnisse auf Schulschiffen und anderen Marineeinheiten mit Besuchen u. a. im Mittelmeer, der Karibik und China. Die vielen erklärenden Fußnoten sind dabei eine willkommene Navigationshilfe. Willy Franck berichtet vom Bordalltag, von Land und Leuten, aber auch von "Flagge zeigen" und Strafexpeditionen, national wie auch mit Verbündeten.

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Willi Franck

Kadett – Offizier der Kaiserlichen Marine – Briefe von Bord – 1895 – 1901

Band 93 in der maritimen gelben Buchreihe

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Anmerkungen des Enkels

Vorwort der Tochter

Lebensstationen des Willi Franck

Grundausbildung

Schulschiff SMS „STOSCH“

Einweihung des Kaiser-Wilhelm-Kanals

Mit „STOSCH“ im Mittelmeer

Manöver mit „STOSCH“

Mit „STOSCH“ in Westindien

SMS „GNEISENAU“

Dienst auf „GNEISENAU“

Mit „GNEISENAU“ nach Griechenland

Ausbildungskurse

S.M.S. „WÖRTH“

Offizierskommandierung auf „WOERTH“

Winterliegezeit 1898/99

Frühjahrsreise mit „WOERTH“ nach Lissabon

Kieler Woche – Manöver

Fahrt nach China

Transportleitung auf „GERA“ und „HALLE“

S.M.S. „HANSA“

Mit „HANSA“ in China

Partie nach Peking

Mit „HANSA“ nach Batavia und Australien

Heimreise ostwärts über Kanada

Rezension zu Band 93

Fortsetzung in Band 94

Die maritime gelbe Buchreihe

weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig bis zu 140 Betten.

In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch.

Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage nach dem Buch ermutigten mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Inzwischen erhielt ich unzählige positive Kommentare und Rezensionen, etwa: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!

Zu den von mir bevorzugt gelesenen Büchern gehören Auseinandersetzungen mit der Zeitgeschichte und Biographien. Menschen und ihre Geschichte sind immer interessant.

Dieser neue Band 93 enthält die Briefe des im August 1914 gefallenen Georg Wilhelm Franck von seinen Reisen auf Schiffen der Kaiserlichen Marine von 1895 bis 1901. Im Band 94 sind seine Briefe aus Ostasien der Jahre 1907-08 zu lesen.

Nach Absprache mit dem Autor (dem Enkel des Briefschreibers) werden die Briefe in der damals üblichen Original-Rechtschreibung belassen – also beispielsweise thatsächlich – Photographie – Thiere – Besitzthum – daß statt dass.

Die im Printbuch zahlreich vorhandenen Fußnoten sind im ebook aus technischen Gründen kursiv in Klammern in den Text eingefügt.

Hamburg, 2017 Jürgen Ruszkowski

Ruhestands-Arbeitsplatz des Herausgebers

Von hier aus betreibe ich meinen Hobby-Verlag, verpacke und verschicke Bücher und gestalte meine Internet-Websites.

www.maritimbuch.de

https://sites.google.com/site/maritimegelbebuchreihe/band-92-kaiserliche-marine

https://sites.google.com/site/ruszkowskijuergen/

https://sites.google.com/site/ruszkowskijuergen/himmelslotse

https://sites.google.com/site/marinehistorie/home/briefe-1907-08

https://sites.google.com/site/marinehistorie/

Anmerkungen des Enkels

Burkhart Franck,

Am Krähenberg 19 c, D-14548 Schwielowsee OT Caputh hat die in Kurenthandschrift verfassten Briefe seines Großvaters Georg Wilhelm Franck transkribiert und digitalisiert und stellt die historisch sehr interessanten Texte hier einer breiteren Öffentlichkeit vor.

Der vorliegende Band enthält Briefe und rückschauende Berichte meines Großvaters Georg Wilhelm (Willi) Franck über seinen Dienst in der Kaiserlichen Marine von seinem Eintritt als Kadett 1895 bis zu seinem ersten Einsatz in Ostasien nach dem „Boxeraufstand“ 1900/1901. Auf dem Marsch nach China wurde er wegen eines Wachvergehens disziplinar bestraft und vom Torpedoboot „S.92“ auf den Transportdampfer „GERA“ versetzt. Worin das Wachvergehen bestand, habe ich nicht herausbekommen, möglicherweise bestand es in einem eigenmächtigen Verlassen der Brücke während der Fahrt. Die Bestrafung hat ihn hart getroffen aber nicht entmutigt, seine weitere Laufbahn hat sie nicht beeinträchtigt. Die Personalführung der Kaiserlichen Marine war väterlich.

Aus den Briefen geht hervor, dass Willi Franck ein ernsthafter und ehrbewusster junger Mann war, der mit großer Liebe an seiner Familie hing. Er war dienstwillig und einsatzfreudig, von seinen Vorgesetzten erwartete er allerdings dasselbe. Nach zwei Beschwerden über seinen Kommandanten wurde er zur Disposition gestellt, kurz darauf reaktiviert und fiel schon im August beim Seegefecht vor Helgoland – für Deutschland.

Die Briefe sind in der „Deutschen Kurrentschrift“ geschrieben und waren gut zu transkribieren. Die damalige Schreibweise sowie kleine Fehler und Auslassungen habe ich beibehalten; nur wenn das Verständnis es erforderte, habe ich eine Korrektur in Klammern eingefügt. Die geographischen Anmerkungen stammen zum Teil aus Meyers Großem Konversationslexikon 6. Aufl. (1907–1909). Schiffsnamen sind durchgängig großgeschrieben, um ihr Auffinden zu erleichtern. Willi Francks Fotografien sind leider nur zum kleinen Teil erhalten und mit WF gekennzeichnet. Die übrigen Abbildungen habe ich teilweise dem Internet, teilweise zeitgenössischen Büchern entnommen.

Burkhart Franck

Vorwort der Tochter

Diese Briefe hat mein Vater Willi Franck, Pinneberg – gefallen 28.8.1914 (SMS „ARIADNE“) – an seine Eltern geschrieben. Die Großeltern Franck schenkten sie später meiner Mutter, Ottilie Franck. Es existieren Fotos aus der Zeit in Ostasien (Album).

Meine Mutter hielt dieses Heft, von meinem Vater sorglich gebunden, sehr in Ehren.

Im Frühjahr 1945 – meine Schwester Marianne W. Franck war aus dem Osten geflohen und lebte in der Zeit in Dithmarschen – schickte Mutter dies Büchlein zu ihr, um ihr eine Freude zu bereiten. Es erreichte sie nicht – die Kriegswirren hatten es verschluckt.

Im Herbst geschah das Wunder – das Büchlein war wieder da. Es wurde in Itzehoe von einem Berliner Feuerwehrmann gefunden und abgeliefert!

Schreiben Otto Kählers zum Wiederauffinden der Briefe

Er lieferte es bei einem Oberst ab, der es meinem Onkel Otto Kähler gab. Otto Kähler – Rechtsanwalt – war der Schwager meines Vaters.

Das ist die Geschichte dieses Büchleins.

Brigitte Claussen geb. Franck

Pinneberg den 16.05.1985

Lebensstationen des Willi Franck

Georg Wilhelm (Willi) Franck – Lebensstationen

1877 – Geburt in Köln als Sohn des Hauptmanns a. D. Franz

Georg Wilhelm Franck und seiner Frau Anna geb. Wieck

1894 – Kadetteneintrittsprüfung in der Marine-Akademie Kiel

1895 – Dienstantritt, infanteristische Ausbildung an der

Marineschule Kiel

Ausbildung auf Kadettenschulschiff „STOSCH“,

Mittelmeerreise

Patent als Seekadett

1896 – Ausbildung auf Kadettenschulschiff „GNEISENAU“

1897 – Ausbildung auf Torpedoschulschiff „BLÜCHER“

Zugführerkurs auf Artillerieschulschiff „MARS“

1898 – Offizierausbildung an der Marineschule Kiel

Rekrutenausbilder beim II. Seebataillon Wilhelmshaven

2. Torpedooffizier auf dem Panzerschiff „WÖRTH“

Beförderung zum Leutnant z. S.

1899 – Kommandierung zur II. Torpedoabteilung

Einsatz auf D 2 und D 6, Probefahrten mit S.90

1900 – Bordkommando auf S.92

Transportleitung auf D. „HALLE“ in Ostasien

Bordkommando auf Gr. Kreuzer „HANSA“ in Ostasien

und Australien

Beförderung zum Oberleutnant z. S.

1901 – Bordkommando auf Kl. Kreuzer „AMAZONE“

1903 – Artillerieoffizier auf Kl. Kreuzer „FRAUENLOB“

1903 – Bordkommando auf Küstenpanzerschiff „FRITHJOF“

1906 – Patent zum Kapitänleutnant

1906 – I. Offizier auf Kanonenboot „TIGER“,

Einsatz in Ostasien

1909 – Landkommando in Wilhelmshaven,

Vermählung mit Ottilie Jessen

1913 – Navigationsoffizier auf Linienschiff „HELGOLAND“

Beförderung zum Korvettenkapitän

1914 – Verabschiedung und Stellung zur Disposition

August 1914 – Reaktivierung als I. Offizier auf dem Kleinen Kreuzer

„ARIADNE“ – gefallen im Seegefecht vor Helgoland

Grundausbildung

Direction des Bildungswesens der Marine

N° 393 I

Kiel, den 11ten März 1895

An

den Königlichen Hauptmann d. u. Aichungs-Inspektor

Herrn Franck

Hochwohlgeboren

Köln

_________________________________________________

Die Einberufung der Kadetten-Aspiranten ist zum 2ten April d. Jrs. befohlen worden. Euer Hochwohlgeboren werden deshalb ersucht, Ihren Sohn anzuweisen, sich an diesem Tage, morgens 9 Uhr im Gebäude der Marine-Akademie einzufinden.

Die Zeit bis zur Einstellung als Kadett wird für diejenigen, welche die Prüfung zu machen haben, voraussichtlich 4 Tage betragen. Während derselben kann ein Theil der Aspiranten im Akademie-Gebäude Wohnung und Verpflegung vom 1ten nachmittags ab erhalten, während den Uebrigen die Wahl ihrer Unterkunft freigestellt ist. Diejenigen Angehörigen von Aspiranten, welche deren Einquartierung im Akademie-Gebäude wünschen, werden ersucht, dies umgehend mitzutheilen, da des beschränkten Raumes wegen nur die zuerst eingehenden Anmeldungen berücksichtigt werden können. Die Kosten für Wohnung und Verpflegung betragen für den Tag ca. 2,00 M. Alle näheren Anweisungen erhält der Aspirant nachdem er sich hier gemeldet hat.

Über die Beschaffung der ersten Ausrüstung erhalten Euer Hochwohlgeboren anbei von der Kadetten-Bekleidungskom-mission eine Abschrift.

v. Reiche (Unterschrift)

Konter-Admiral und Direktor des Bildungswesens der Marine

Willi (links) und sein Bruder Kurt Franck als Seekadetten 1895

Kiel, den 5. April 1895

N.B. Examen war am 2., 3. und 4. April (Die Kadetten-Eintritts-Prüfung erfolgte in den Fächern Mathematik, Physik, Englisch, Französisch und Zeichnen. WF bestand mit „hinreichend“.)

Liebe Mama!

Das Examen habe ich jetzt glücklich hinter mir, und nun kommt die Ausbildung, und zwar zunächst die körperliche. Gestern abend erfuhren wir schon das Resultat der Prüfung, als ich um ¼ 11 abends von einer Gesellschaft bei Tante Wanda zurückkam. Fuchs ist also nicht angenommen, übrigens auch Wendt nicht, letzteres wird Papa wohl interessieren; sieben sind im ganzen noch nach der Prüfung abgewiesen. Heute fing also unser Dienst an, Unteroffiziere vom Seebataillon bilden uns aus bis wir an Bord kommen, ich bin auf „STOSCH“ kommandiert, bin der zweit-, bzw. der drittlängste unter den Kadetten und habe die Offiziere Schuckmann (Kommandant) (Kapitän z. S. Hugo v. Schuckmann (1848-1931))und Lieutenant von Reuter (Leutnant v. Reuter war der für die Ausbildung an Bord verantwortliche „Kadettenoffizier“) als unmittelbare Vorgesetzte. Unser heutiger Dienst bestand aus Marschierübungen, Marschübungen und Instruktionen (über unsere Vorgesetzten). Heute Nachmittag war hier große Anmesserei von Anzügen, Uniformen usw. Bartling (Bartling: Uniformschneider in Kiel.) meinte, er könne meinen Anzug, wenn er gebraucht sei, nicht zurücknehmen. Es ist allerdings noch nicht völlig bestimmt, ob mein Anzug vollständig unvorschriftsmäßig ist doch ist es sehr wahrscheinlich.

Die Post geht jetzt. Darum adieu, ich bin auch müde, nächstens mehr.

Viele Grüße an alle zu Haus Dein Willi

Kadett an Land

Zeichnung von C.M.Allers – aus „Unsere Marine“ ca. 1890

Schulschiff SMS „STOSCH“

SMS „STOSCH“ war eine dreimastige, als Vollschiff getakelte und mit zusätzlichem Dampfantrieb ausgestattete Gedeckte Korvette der BISMARCK-Klasse der deutschen Kaiserlichen Marine.

Das Schiff lief 1877 bei der AG Vulcan in Stettin vom Stapel. Es war benannt nach dem General und Admiral Albrecht von Stosch, dem ersten Chef der Admiralität. Die Stosch wurde erstmals im März 1878 in Dienst gestellt.

Später diente sie als Schulschiff für Seekadetten und Schiffsjungen, lange Zeit auch als Flaggschiff des Schulgeschwaders, wobei sie allerdings weiterhin viele und ausgedehnte Auslandsfahrten unternahm und dabei auch mehrfach zur Wahrnehmung deutscher Interessen in mehr als nur repräsentativer Funktion eingesetzt wurde. So war die Stosch im Juli und August 1895 Teil einer nach Tanger in Marokko entsandten Schiffsgruppe, die dort nach der Ermordung zwei deutscher Kaufleute die Forderungen Berlins durchsetzen sollte.

Kommandanten während dieser Zeit

November 1883 bis August 1885: Kapitän zur See von Nostitz

August bis September 1885:

Korvettenkapitän mit Oberstleutnantsrang Geissler

September bis Dezember 1885: Kapitän zur See Otto von Diederichs

Dezember 1885 bis April 1889: Kapitän zur See Franz Junge

Schriftprobe

Kiel, den 9.4.1895

Liebe Eltern!

Heute haben wir zum ersten Male wirklich strammen Dienst gehabt; dazu kommt noch, daß ich mit einigen anderen Kameraden einen nur sehr kurzen Urlaub hatte um unsere Uniformen bzw. Anzüge anzupassen, sodaß der Urlaub eigentlich nur in einem ununterbrochenen Dauerlauf ausartete. Nun bin ich auch fürchterlich müde, wenigstens in den Beinen. Nun noch etwas über unseren heutigen Dienst, der im allgemeinen der Routine entspricht. Um 6.30 ist Wecken, 7 Appell, dann Morgenbrot und von da an Exerzieren bis 4.30, mit einer Frühstücks- und einer Mittagspause. Heute mußten wir unsere Gewehre aus der Kaserne in Kiel holen, bis 6 Uhr; deshalb fiel der Instruktionsunterricht von 5 – 6 Uhr aus. Morgen wird der Dienst wohl noch etwas strammer werden, wegen der Gewehre u. Seiten-Gewehre; er dauert dann aber nicht so lange wie heute. Gestern wurden wir geimpft, einige Ohnmächte und zahlreiches Unwohlsein gab es natürlich auch dabei. Am 12. Mai, ich glaube wenigstens im Mai ist es (es steht im Tagesbefehl „Zwölfter des Monats“ und vorher war vom Mai die Rede) werden wir vereidigt werden. Übrigens ist unsere Verpflegung hier, wie Ihr ja von Kurt (Kurt Franck war WFs älterer Bruder und ebenfalls in der Ausbildung zum Marineoffizier.) her wißt ganz ausgezeichnet, wenigstens schmeckt es mir nach dem Exerzieren vortrefflich. Auf meinem Quartier ist es ziemlich feucht, mein Revolver fängt wieder an zu rosten, ich muß ihn wohl tüchtig putzen.

Heute habe ich meine Besuchskarten erhalten. Mit Bartling habe ich gesprochen, er meint, er könne einen Anzug nicht zurücknehmen, da er getragen sei, außerdem müsse das Maß nicht richtig angegeben sein, ich habe also einen neuen Anzug dafür bestellt; auch das Taschenmesser muss vorschriftsmäßig sein, niemand darf seins weiter benutzen.

Soll ich meines zurückschicken oder Heini ein Geschenk damit machen? Ebenso mit dem Serge Anzug (Serge: feines, hochwertiges Wollgewebe). Ich freue mich sehr, daß unser Kadettenoffizier von der „STOSCH“, Herr Lieutenant zur See v. Reuter, wie ich glaube, bis jetzt ganz zufrieden mit mir ist, ebenso der Unteroffizier, der uns „eindrillt“, ein urkomischer Mensch, der ununterbrochen über uns wettert, aber niemals Ernst macht, und dabei von unserem Leutnant Hasse offenbar sehr gelobt wird. Gestern und heute übten wir Parademarsch, morgen also mit Waffen. Herr Kapitän-Lieutenant v. Crosick dankt für Papas Empfehlung, er ist mir, überhaupt allen, gegenüber furchtbar freundlich, ich sagte Papa ja schon wie er uns allen im Examen geholfen hat (Günther v. Krosigk, war später als Konteradmiral Chef des Ostasiengeschwaders).

Leider sind die meisten, von denen ich bis jetzt etwas halte, auf „STEIN“ gekommen: Rebensburg, Schnell, der Kölner Pfeiffer, und ein Neffe des bekannten Kapitäns der „ELBE“, von Gössel (Kurt v. Gössel (1852-1895) war als Kapitän des Passagierdampfers „ELBE“ nach einer Kollision am 30.01.1895 in der Nordsee mit seinem Schiff und der Mehrzahl der Passagiere untergegangen.) auf „STEIN“ gekommen. Auf „STOCHS“ ist nur Dietert (sagt Kurt bitte, er habe mir „du“ angeboten, ich habe es aber nicht angenommen). Heute hat sich hier im Hafen die „KAISERIN AUGUSTA“ (Panzerdeckkreuzer „KAISERIN AUGUSTA“: Bj. 1892, 6.000 t, 21 kn, Bes.: 430, 4 x 15 cm, 8 x 10,5 cm, 8 x 8,8 cm, machte 1895 die Reise ins Mittelmeer mit.) festgefahren, und ist bis jetzt noch nicht losgekommen.

„KAISERIN AUGUSTA“

Meine Wäsche darf ich übrigens nicht in Köln waschen lassen, solange ich nicht auf der Schule bin, also auch jetzt nicht. Eben ist Herr Leutnant Müller in unsere Messe gekommen, und dadurch ist verhältnismäßige Ruhe eingetreten, sonst wäre bei dem allgemeinen Lärm dieser Brief schwerlich bis hierher gediehen.

Gestern hatten wir, wie heute, nur 1 Stunde Urlaub; ich machte einige Besorgungen und sprach zum ersten Male nach meiner Einstellung bei Tante Wanda (Wanda v. Wasmer geb. Raczynska lebte in Kiel als Ehefrau des Sanitätsrats Dr. Carl J. C. v. Wasmer, WF besuchte sie häufig.) vor, aber nur ein paar Minuten, dann gings eilig zur Akademie zurück. Sonntag traf ich übrigens den Infanteristen Rebensburg und trank mit ihm und seinem Bruder einen Krug bei Holst, und dort trafen wir auch Herrn Pastor Mau und einen Sohn von ihm. Ich muss jetzt schließen, liebe Eltern, denn es ist Zeit zum zu Bett gehen.

Herr Kirchenrat Rocholl (Rudolf Rocholl (1827-1905), lutherischer Theologe und Kirchenhistoriker) sagte mir ich möchte einige von meinen Briefen an Euch auch ihm zukommen lassen, würdet ihr denn so freundlich sein und ihm diesen oder einen der nächsten Briefe übergeben? In der Voraussetzung, daß Herr Kirchenrat diesen Brief erhält u. liest, füge ich auch an ihn recht herzliche Grüße hinzu.

Im übrigen aber bleibe ich mit den herzlichsten Grüßen und Küssen an euch und die Geschwister Euer Euch lebender Willi.

NB Ostern werden wir einen großen Ausflug mit unserem Kadetten-Offizier machen, Pfingsten erhalten wir hoffentlich Urlaub.

Willi

Kiel, den 14. April 1895

Liebe Eltern!

Für den Osterbrief danke ich Euch und den Geschwistern vielmals, und jetzt will ich in meiner Freizeit noch etwas schreiben. Heute morgen waren wir „STOSCH“-Kadetten zur Kirche, vereidigt sind wir noch nicht, ich hörte die Vereidigung solle heute in acht Tagen stattfinden, ich vermute, weil wir dann eingekleidet sein werden. Meine Wäsche habe ich (bis auf drei Oberhemden) vollständig; ferner habe ich Handschuhe und Mütze schon bekommen. Einen Serge-Anzug hat Bartling mir zu eng gemacht, ich werde ihn also zurückgeben. Für meinen Bleifederhalter habe ich keine Blei-Einlage mehr; hier konnte ich keine neue bekommen, sie war entweder zu dick oder sie war zu dünn. Würdet Ihr mir sie in Köln besorgen können, wo sie gekauft ist?

Zugleich mit diesem Briefe erhaltet Ihr meine Wäsche, die ich nicht mehr gebrauche. Den Bleistift kann ich ja mitschicken, ebenso ein Hemd und eine Unterhose von Kurt, müssen jedoch in Köln gewaschen werden. Auch meinen Havelock (Havelock: Herrenmantel mit Armlöchern aber ohne Ärmel) schicke ich mit zurück. Den Anzug schicke ich also nach Pinneberg. Gestern Abend saß unser Kadetten-Offizier bei uns, und sagte uns u. a., daß wir voraussichtlich vor nächsten Ostern überhaupt keinen Urlaub erhalten würden, vielleicht nur die, welche ganz nahe wohnten, auf Pfingsten. Wir sind, wie ich schon schrieb, geimpft worden; bei mir sind die Pocken so sehr angegangen, daß mein linker Arm vollständig schlapp ist; der Arzt gab mir das Prädikat zehn; andere haben sich sogar krankgemeldet. Die augenblickliche Ruhe ist uns daher sehr angenehm.

Levensauer-Hochbrücke

Einen Ausflug haben wir damals nicht gemacht, vielmehr nur eine Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal (Bei der Einweihung im Juni 1895 benannte Kaiser Wilhelm II. den zunächst noch „Nord-Ostsee-Kanal“ bezeichneten Wasserweg nach seinem Großvater in „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ um.), durch die Levensauer-Brücke und noch bedeutend weiter, die Brücke bestiegen wir; leider war an dem Tage sehr schlechtes Wetter, es hagelte unaufhörlich. Am folgenden Tage unternahmen Rebensburg, von Gössel, Müller und ich in einem Boote, Rebensburgs Bruder und zwei Söhne von Pastor Mau in einem zweiten eine Segelpartie. Wir hatten einen Bootsmann mit, jene nicht.

Bei Holtenau fuhren sie sich bei starkem Winde fest und konnten nicht wieder aus dem Eingang zum Nord-Ostsee-Kanal herauskommen. Wir waren noch über Friedrichsort herausgefahren, und auf der Rückfahrt machte unser Bootsmann auch das andere Boot wieder flott. Kaum war es los, da segelte es in den Klüverbaum eines dort ankernden Evers (Klüverbaum: Rundholz, das über das Vorschiff eines Segelschiffes hinausragt. Ewer: kleines Segelschiff mit flachem Kiel.). Jetzt waren ihre Segel unbrauchbar geworden, und sie mußten von uns ins Schlepptau genommen werden. Nach manchen kleinen Zwischenfällen gelangten wir mit einer bedeutenden Verspätung in Kiel an.

Morgen werden wir die „STOSCH“ besehen, die im Dock liegt, morgen Nachmittag glaube ich Urlaub zu bekommen, dann werde ich mal wieder bei Tante Wanda bleiben

Euer Willi.

Kiel, den 14. April 1895

Lieber Kurt!

Herzlichen Dank für deinen Brief, ich freue mich sehr, daß Du mit mir über das Verhalten gegenüber Kameraden gesprochen hast, denn ohne das würde ich jetzt vielleicht schon mit einem oder dem anderen auf „du“ stehen, und wenn ich jetzt sehe, wie da mit der sogenannten Bruderschaft umgesprungen wird, da vergeht einem die Lust dazu. In dem speziellen Falle Dietert können wir ja sprechen wenn du wieder hier bist.

Hier befindet sich augenblicklich ein Seekadett Deines Jahrganges namens Merkus wegen Mishandlung eines Nachtwächters; er ist zu drei Tagen Arrest verurteilt. Er war mit auf der Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal und hat uns die Geschichte in urkomischer Weise erzählt, ob sie so wahr war, kann ich natürlich nicht wissen. Diesen Brief werde ich in den Korb, den ich wohl morgen vormittag erhalte, abgehen. Bestelle bitte an die lieben Eltern und Geschwister meinen besten Grüße u. Küsse

Kiel, den 17. April 1895

Lieber Papa!

Da die anderen Briefe schon etwas veraltet sind, will ich einen neuen hinzufügen. Euer liebes Ostergeschenk habe ich gestern erhalten und danke euch vielmals dafür. Ich habe es zum größten Teil an Kameraden verschenkt, da ich von manchen allerlei anderes bekommen hatte.

Vorgestern abend war ich also bei Tante Wanda, sie war wieder sehr freundlich, schenkte mir schließlich noch einige Apfelsinen, die mir nach dem strammen Dienst, den wir gestern hatten, vortrefflich schmeckten. Der Sohn von Herrn Oberst Schnell ist gestern recht schlimm gefallen, es ist verhältnismäßig glücklich verlaufen. Er hatte nämlich an der Leiter im Turnsaal geturnt und, als er nun beinahe ganz oben hinten an der Leiter hing stürzte die Leiter mit ihm runter, und zwar die Leiter ihm auf den Kopf. Außer einigen anderen Verletzungen überall am Körper, bekam er eine ziemlich große Wunde am Kinn, die genäht werden mußte. Er sieht infolgedessen sehr schlecht aus. Jetzt schreibt er neben mir nach Hause und hat mir aufgetragen ihn zu empfehlen.

Heute haben wir mit Pullen (Rudern) begonnen, ferner mit Splissen und Knoten. Auch haben wir heute unser Instruktionsbuch bekommen. Ersten war ich bei Bartling und gab ihm meinen Serge Anzug zurück, er will ihn ändern. Meine Stiefel sind schon vollständig durchmarschiert; sobald mein zweites Paar Decksschuhe fertig ist, werde ich sie zum Besohlen geben. Mein Geld ist ziemlich zusammengeschmolzen, da ich noch mancherlei zu besorgen und zu bezahlen hatte, dann auch mir dann und wann eine Tasse Kaffe oder ein Glas Bier gekauft habe. Vor allem sind es die Freimarken und so habe ich noch zehn Mark etwa. Unsere Einkleidung und Vereidigung wird übrigens Sonntag noch nicht stattfinden, Bartling meinte wenigstens bis dahin könne er die Uniformen nicht liefern. Nun will ich noch einen Brief an Mama schreiben, darum schließe ich und bleibe mit den besten Grüßen und Küssen an Dich und die Geschwister

Euer Willi

Kiel, den 20. April 1895

Liebe Eltern!

Heute abend bin ich wieder einmal furchtbar müde vom Exerzieren, und da ich also lieber sitze als noch herumlaufe, will ich Euch etwas über unser Treiben in der allerletzten Zeit schreiben. Wir hatten gewöhnlich strammen Dienst, freuten uns infolgedessen sehr auf unsere Freizeit bzw. auf unser Bett. Heute machten wir nachmittags einen „militärischen Spaziergang“, das heißt auf Felde machten wir Übungen; als wir zurückkamen sahen wir nett aus: wir hatten uns in unseren Arbeitsanzügen in dem Sumpf der Wiesen geradezu gebadet.

Heute nacht kommt Kurt wohl zurück, vielleicht um 24 Uhr. Einkleidung ist voraussichtlich erst morgen in 8 Tagen, bestimmt ist es noch immer nicht.

Meine Hände tun mir vom „Pullen“ weh, ich habe schon beim ersten Mal zahlreiche Blasen bekommen; doch macht es mir sehr viel Spaß, überhaupt ist der Dienst recht schön, nur gefällt mir die Gesellschaft recht wenig, es scheinen nur sehr wenig nett zu sein.

An Mama ging mein Brief vormittags von hier fort, hoffentlich ist er noch rechtzeitig angekommen. Mama ist jetzt wohl schon bei den Großeltern. Vielleicht gehe ich morgen mal nach Holtenau, d. h. nur wenn Kurt Lust und Zeit hat mich zu begleiten. Dann erfahre ich wohl, wie es in Pinneberg (WFs Großeltern mütterlicherseits, Justizrat Heinrich Wieck und seine Ehefrau Anna geb. Stamp lebten in Pinneberg.) geht. Nun gute Nacht, lieber Papa, viele Grüße an die Schwestern, dein dich liebender Sohn Willi

Marineakademie und Marineschule in Kiel-Düsternbrook,

im Vordergrund Torpedoboot „S 82“ (1895)

Kiel, 26.4.1895

Lieber Papa!

Vielen Dank für Deinen Brief; heute abend erhielt Kurt auch Deinen Brief an ihn. Kurt hat mir vieles aus Köln erzählt. Wir sehen uns dann und wann am Tage, aber immer nur ganz kurze Zeit. Es geht mir recht gut, nur meine Hände sehen schlimm aus von all dem Gewehrgriffen und dem Pullen. Mittwochs und samstags haben wir nachmittags Dienst im Gelände, das ist bedeutend interessanter wie das Exerzieren; letzten Mittwoch verlor ich mein Seitengewehr aus der Scheide und merkte es erst beim Zurückmarsch, ich wurde zurückgeschickt, und fand es endlich nach 1 ½ stündigem Suchen; ich habe tüchtig dabei geschwitzt.

Neulich war es auch auf unserem Exerzierplatz ganz amüsant, wir nahmen an, wir seien in der Bucht gelandet und machten einen Angriff auf Kiel. Der Feind hatte hinter den Mauern des Exerzierplatzes gedeckte Stellung genommen, und wir sollten zunächst möglichst gedeckt herankommen. Dann verbarrikadierten wir uns hinter Haufen von Ziegelsteinen und bauten uns Brustwehren mit Schießscharten zum Liegen, Knien und Stehen. Überhaupt machen wir allerlei amüsante Übungen, wenn wir mal gut exerziert haben.

Die Karte von Herrn Kirchenrat habe ich überliefert; v. Reinbaben ist ein ziemlich schwächlicher Kadett, der schon ohnmächtig vom Exerzieren weggetragen sein soll, überhaupt leicht zu viel hat. Er freute sich aber sehr über die Karte, und möchte gerne die Adresse von Herrn Kirchenrat wissen, um ihn zu schreiben. Wieviel ich gewogen habe weiß ich nicht bestimmt, ich glaube aber sicher 67 ½ Kilo.

Vereidigt sind wir noch immer nicht, werden es auch übermorgen, Sonntag, noch nicht, sondern wohl erst am 4. Mai. Heute abend will Bartling mir meinen Uniform schicken (er hat es nicht gethan); ohne dieselbe dürfen wir überhaupt nicht mehr ausgehen, und ich würde mich sehr ärgern, wenn ich nicht ausgehen dürfte, wenn Mama (wieder) hier ist. Morgen nachmittag haben wir keinen Dienst, nur Pullen, aber gerade das ist mir unangenehm, da Kurt morgen um 5 Uhr, wenn ich pulle, Damenkaffe gibt, zu dem Tante Wanda, Frl. Brandt (Frl. Brandt war die Hausdame und Freundin von Wanda v. Wasmer in Kiel) und unter anderem auch noch ich eingeladen bin. Ich werde dann wohl um eine halbe Stunde zu spät kommen.

Ich will jetzt schließen, weil es in der Messe zu laut wird und weil ich Kurt noch aufsuchen will, dessen Arbeitsstunde gleich vorüber ist. Grüße bitte die Schwestern. Ingeborg (Ingeborg Franck, die jüngere Schwester WFs, lebte noch bei den Eltern in Köln) danke ich für ihren Brief – und die Cousine von mir mit herzlichen Grüßen

Dein Dich liebender

Willi

Kiel, den 10.V.1895.

Lieber Papa!

Heute erhielt ich Deinen Brief, für den ich Dir vielmals danke. Schon gestern hatte ich einen Brief an Dich angefangen, wurde aber schon bei den ersten Zeilen durch Unwohlsein, das mich auch am Dienst hinderte, gezwungen, mit Schreiben aufzuhören. Heute geht es mir bedeutend besser, und überhaupt fühle ich mich hier sehr wohl, und wenn ich nicht sehr viel schreibe, so kommt das daher, daß ich mich nach dem Dienst gerne etwas auf meinem Bette ausruhe. Meine Hände sind ziemlich wiederhergestellt, so schlimm, wie Mama anzunehmen scheint, sind sie überhaupt nicht gewesen; allerdings sind sie nichts weniger als schön.

Ich will jetzt etwas über unsere Vereidigung erzählen. Vergangenen Sonnabend (vor acht Tagen ist wohl irrig, wird am 4. Mai gewesen sein) durften und mußten wir zum ersten Mal in Uniform ausgehen, weil wir vereidigt werden sollten. Am Tage vorher waren uns die Kriegsartikel verlesen und sonstige Instruktionen gegeben worden, und nun zogen wir geschlossen zur Kirche. Dort waren die sämmtlichen dienstfreien Offiziere zugegen aber keine Civilpersonen. Es wurden verschiedene Lieder gesungen, und dann hielt der Marinepfarrer eine recht hübsche, jedoch sehr, vielleicht zu sehr, militärische Ansprache. Darauf wurde der Eid auf die Kriegsflagge geleistet, indem ein Offizier die einzelnen Sätze vorlas, und wir sie nachsprachen. Mittags fand ein großes diner statt; von den Blumen, die die Tafel schmückten, habe ich mehrere aufbewahrt zur Erinnerung an den Tag. Nächsten Dienstag findet die Inspizierung des Infanterie-Dienstes für uns Kadetten statt; am 15. ds Mts geht es dann an Bord. Was wir dann unternehmen werden, darüber kursieren die verschiedensten Gerüchte, ich will lieber nichts Ungewisses berichten.

Am Tage meiner Vereidigung habe ich mich photographieren lassen, und zwar bei Billström (Kniebild). Mama hatte schon Sorge darüber, daß ich mich bei dem teueren Fotografen aufnehmen lassen würde. Ich habe das nicht gethan schon deswegen, weil ich gerne selbst bezahlen möchte.

Für das Schachspiel, das du mir schicken willst, danke ich vielmals; falls es noch nicht gekauft ist, suche mir bitte ein solches aus, das nicht zu groß und überhaupt für den Raum auf den Schiffen berechnet ist.

Ich schicke mit diesem Briefe einen Bogen Soldatenbriefmarken (Soldatenbriefmarken: Freimarken für Soldaten), die Mama wohl ganz angenehm sein werden.

Kiel, den 18. Mai 1895

Liebe Eltern!

Ich will Euch heute abend noch schnell einige Worte schreiben und den Brief mit 3 von meinen Photographien absenden. Eine, dachte ich sollte Oma erhalten und die beiden anderen stelle ich Euch zur Verfügung, vielleicht braucht Ihr noch eine zweite. Mittwoch sind wir an Bord gekommen und haben mit unserem Infanteriedienst im allgemeinen fertig, ganz allerdings noch nicht; heute morgen hatten wir zum Beispiel wieder Infanteriedienst, doch nicht mehr den eigentlichen Rekruten-Dienst, sondern die interessanteren Dienstübungen.

Ich habe diesen Brief gestern abend abbrechen müssen, da wir Messe räumen mußten. In 20 Minuten haben wir wieder Dienst, bis dahin noch einige Worte. Heute morgen war reinigen des ganzen Schiffes so daß man uns nirgends gebrauchen konnte und uns für 2 ½ Stunden in die Toppen entfernen mussten, dort habe ich den einliegenden Brief an Ingeborg geschrieben.

Herzliche Grüße für Euch liebe Eltern und die große Schwester

Euer Euch liebender

Sohn Willi.

Der einliegende Brief an WFs Schwester Ingeborg ist in krakeliger Bleistiftschrift geschrieben:

Kiel den 18. Mai 1895

an Bord SMS „STOSCH“ Oberbramraa (Dachstübchen des Mastes)

Liebe Ingeborg!

Ich habe mir für Dich den Spaß ausgedacht von hier hoch oben viele Meter über dem Wasserspiegel mit herrlicher Aussicht über die Landschaft weithin, einen Brief zu schreiben. Unter mir wird emsig das Schiff gescheuert, es ist heute ja Sonnabend, da hat man uns Kadetten die man nicht gebrauchen kann auf die Masten geschickt. Hier setze ich also, schreibe, esse und unterhalte mich otherwise. Über Deinen Brief habe ich mich sehr gefreut, auch darüber, daß der Papagei endlich vernünftig werden will. Sooft ich bei Tante Wanda bin, freue ich mich über deren Papageien und muss dabei an Deinen denken. Wie geht es eigentlich in Cöln? Ist der Birnbaum schon verblüht? Und wie sieht es überhaupt im Garten aus? Giebt es dies Jahr Aprikosen? Es giebt hier vieles Interessantes was ich schon an die Eltern geschrieben habe oder noch schreiben werde. Hier oben ist es sehr windig, und da ich gerade in den Wind sehen muss, so thränen mir die Augen etwas. Lebe also wohl und entschuldige Schrift und Unsauberkeit, ich bin ja den ganzen Mast aufgeentert.

Herzlichen Gruß u. Kuß von Deinem Bruder

Willi.

Pinneberg, den 1. Juni 1895

Liebe Eltern!

Hier von Pinneberg aus sende ich Euch und den Schwestern herzliche Pfingstgrüße und wünsche Euch recht schöne Feiertage. Nun will ich etwas aus der letzten Zeit, wo wir uns in der Nähe von Kiel herumtrieben, erzählen. Wir fuhren vergangenen Dienstag aus dem Kieler Hafen und ankerten nicht weit davor, bei dem „STOLLENGRUND FEUERSCHIFF“. Dann gingen wir nach Eckernförde, machten am Mittwoch nachmittag einen kleinen Ausflug nach der Stadt und der Umgegend. In der Bucht von E. trafen wir auch mit der „STEIN“ zusammen; wir fuhren dann noch die Meile ab (zum Messen der Fahrgeschwindigkeit) und kehrten dann nach Kiel zurück. Wie wir Kiel verließen, sahen wir auch daß der türkische Avisio (AVISIO: kleines, schnelles Schiff zur Befehlsübermittlung vom Typ der Kleinen Kreuzer. Der türkische Aviso „FUAD“ mit Vizeadmiral Arif Pascha an Bord nahm als letztes Schiffan der Flottenparade zur Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals teil. Als die Begrüßungskapelle merkte, dass ihr die Noten der türkischen Hymne fehlten, spielte sie kurzentschlossen „Guter Mond, du gehst so stille...“) ohne Schornstein in den Kieler Hafen geschleppt wurde; wir konnten uns das ganze Unglück schon denken.

Das Schachbrett habe ich erhalten, leider ist die ganze Geschichte aus dem Leim gegangen, doch ist nichts eigentlich entzwei gegangen. Ich danke dir vielmals dafür, lieber Papa, und Anna für ihren Brief. Ich muß jetzt schließen, denn in 1 Stunde soll ich auf der Bahn sitzen und vorher noch essen. Lebt also wohl liebe Eltern, nochmals herzliche Grüße sendet Euer

Euch liebender

Jüngster

Führungszeugnis von der infanteristischen Ausbildung (Führung: sehr gut)

Einweihung des Kaiser-Wilhelm-Kanals

Kaiseryacht „HOHENZOLLERN“

Kiel, den 25. Juni 1895

a. B. S.M.S. „STOSCH“

Liebe Eltern!

Es wird mir wohl schwerlich möglich sein, die Beschreibung vom Kanalfeste so ausführlich fortzusetzen, wie ich begonnen habe. Denn einerseits ist schon ziemlich viel Zeit seit dem letzten Briefe verflossen, andererseits haben wir verhältnismäßig wenig gesehen, da wir zu allen möglichen Zwecken an Bord bleiben mußten, wie zum Beispiel zum Paradieren, Manövrieren, zum Bewachen der kleinen Kadetten aus Plön (Das Schloss in Plön diente seit 1868 als preußische Kadettenanstalt in der Provinz Schleswig-Holstein.), die wir an Bord hatten u. a. mehr.

Jedoch war der Anblick der fremden und deutschen Schiffe, die hier im Hafen lagen, ein großartiger Anblick und die Illumination aller dieser Schiffe ein Schauspiel wie man wohl nicht so bald eines wieder sehen wird. Auch die Stadt Kiel bot einen höchst interessanten Anblick in seinen Hauptstraßen. Jedoch hatte ich geglaubt, daß die Stadt, in Anbetracht der zukünftigen Wichtigkeit des Kanals, noch bedeutend großartiger würde geschmückt werden. Das dagegen muß man zugeben, daß der Hafen sowie die Gegend bei Holtenau so prachtvoll aussahen, wie man sich nur denken kann. Das Feuerwerk war wunderschön; ich habe es vom Meister unseres Schiffes aus sehr gut gesehen; leider hat es auch mehrere Menschen Leben gekostet.

In den letzten Tagen entfernen sich nun die fremden Schiffe, und es liegen nur noch die Amerikaner, Spanier, Rumänen, der Portugiese und der Türke im Hafen: ein trauriges, ödes Bild nach der Fülle von Schiffen von vor nur kurzer Zeit. So liegen wir jetzt völlig allein vor Friedrichsort, weit draußen in der Bucht. (Eben geht auch der Türke, ein Raddampfer, heraus.) Am Sonnabend und Sonntag war ich auf Urlaub, Sonnabend bei Tante Wanda, das letztere Mal bei Kurt in der Marineschule. Morgen ist Blumen Korso, hoffentlich darf ich ihn in Kurts Boot mit Wasmers und Schaubs zusammen mitmachen. Sonnabend gehen wir also in See, zunächst, wie es heißt, nach Wilhelmshafen (Die Schreibweise mit „v“ entspricht der früheren niederdeutschen, sie wurde zur Einweihung des Kriegshafens 1869 von Kaiser Wilhelm I. verfügt. WF schwankt darin mehrfach.), dann nach Schottland.

Herzliche Grüße an Euch alle

Euer Willi

26. u. 27.6.1895

Kanalfeiern

Das Hafenbild wird von Stunde zu Stunde bunter und interessanter. Bälle und Festlichkeiten sind schon in vollem Gange. Auf den Tennisplätzen der Marineakademie errichtet man einen gewaltigen gedeckten Tanzplatz. 4.300 Personen wird er fassen müssen, 1.000 mehr als man gerechnet hatte; denn auf so viel Absagen hatte man gehofft, aber kein Mensch hat abgesagt. Zahlreiche große Tribünen werden errichtet, zahllose Buden gebaut. – Kiel ist thatsächlich ein großer Jahrmarkt –. Beachtung verdient aber die große Festhalle zu Holtenau, die sich in Gestalt eines gewaltigen Schiffes, der vergrößerten „NIOBE“, dort erhebt. Die Untermasten der alten „NIOBE“ sind beim Bau verwand (SMS „NIOBE“ war eine für die Royal Navy gebaute und 1862 von Preußen gekaufte hölzerne Segelfregatte. Sie war bis 1890 in der Kaiserlichen Marine als Schulschiff genutzt worden und wurde als „Mutter der Marine“ bezeichnet. Für die Einweihungsfeier des KWK war in Holtenau ein gewaltiger Nachbau der „NIOBE“ als Festsaal gebaut worden.).

Unsere „STOSCH“ ist, wie alle anderen Schiffe, schön in Stand gesetzt, sodaß ich mich jetzt doppelt gemütlich an Bord fühle.

Die Zahl der bisher schon erschienenen Schiffe kann man vielleicht am besten daraus erkennen, daß wir Kadetten fast ausnahmslos vom Hurrahrufen heiser sind, und doch sind noch lange nicht alle Schiffe hier. Ich schreibe jetzt aus dem Logbuch das Interessanteste, nicht genau, aber dem Sinn gemäß ab. Ich hatte bisher geglaubt die portugiesische Seemacht sei nicht unbedeutend, doch jetzt erfahre ich das Gegenteil. Der Kreuzer läuft nur 13 Seemeilen. Das kann die „STOSCH“ auch; sie ist zwar nicht gepanzert, aber die Armierung dafür beinahe gleich.

Eben ist Flaggenparade. Ich habe aus dem Fenster gesehen, und es war interessant zu sehen, wie die vielen Flaggen sich senkten unter den verschiedenen Melodien, die dabei gespielt wurden. Die Italiener spielten „Heil Dir im Siegerkranz“ (Die Kaiserhymne „Heil dir im Siegerkranz“ wurde zu vaterländischen Anlässen mit Bezug zum Kaiser gespielt bzw. gesungen.).

Doch nun wieder zu den Schiffen. Auf den Portugiesen folgte bald der dänische Kreuzer „GEISER“, ein ganz neues Schiff von 1892, 17,1 sm Geschwindigkeit. Stärkste Geschütze sind 15 cm Geschütze.

Mit dem Dänen zugleich erschien der niederländische Kreuzer „ATJEH“, ein Segelschiff mit sechs 17 cm Geschützen und acht 12 cm Geschützen. Die Niederländer haben die alte Sitte, beim Salutieren den Klüver zu heißen, was früher allgemein war, beibehalten.

Nun erschien das englische Geschwader! Die beiden Flaggschiffe

„ROYAL SOVEREIGN“ – 1891 – 18 sm

„EMPRESS OF INDIA” – 91 – 17,5

„REPULSE“ – 92 – 17,5

„RESOLUTION“ – 92 – 17,5

Der Gürtelpanzer dieser Schiffe ist 456 mm stark, Deckspanzer 76 mm, die Panzertürme 490 mm, die stärksten Geschütze 34 cm. Außerdem kamen der Kreuzer „BLENHEIM“ (benannt nach einem Dorf in Bayern, bei dem Marlborough einen Sieg davon trug), und der Torpedojäger „SPEEDY“.

Hierauf kamen die Russen mit den beiden Schiffen „CZAR ALEXANDER“ und „RURIK“, zwei ganz schöne Schiffe, und gleich darauf die Franzosen, deren beide Schiffe sind „HOCHE“ u. „DUPUIS DE LOME“.

Heute waren wir tatsächlich den ganzen Tag zur Begrüßung der fremden Schiffe in der Takelage. Nur 2 Stunden theoretischen Unterricht, und auch die kaum, hatten wir.

Zahlreiche Schiffe der verschiedensten Nationen liefen heute ein (An den Feierlichkeiten in Kiel nahmen 53 Kriegsschiffe anderer Nationen und 53 deutsche Kriegsschiffe teil – es handelte sich um die größte Flottenparade der Zeit.) und machten an den durch Flaggen der betreffenden Nationen kenntlich gemachten Bojen fest (die Bojen sind mit Ketten an gewaltigen Steinblöcken verankert die einen Würfel mit einer Seiten Länge von etwa 3 m bilden, und aus Sandstein sind). Zunächst erschien das portugiesische Panzerschiff „VASKO DE GAMA“ (zwei 26 cm Geschütze u. 2 15 cm G.)

Das alte portugiesische Küstenpanzerschiff „VASKO DA GAMA“

Die ersten Schiffe die zur Kanaleinweihung erschienen waren das österreichische Geschwader (11.4) es sind drei Schiffe hier, das Flaggschiff „MARIA THERESIA“, „KAISER FRANZ JOSEF“ und „KAISERIN ELISABETH“. Die Schiffe sehen in jeder Hinsicht gut aus und auch die Mannschaft soll tüchtig sein.

US-Kreuzer „COLUMBIA“ als Modell

Am 15. erschien Amerika, vertreten durch die drei prachtvollen Schiffe: „SAN FRANZISKO“ (Flaggschiff), „NEW YORK“ und „COLUMBIA“. Letzteres ist das größte Schiff hier, und, wenn ich nicht irre, aller Nationen; dabei hat es die gewaltige Schnelligkeit von 22 sm (USS „COLUMBIA“ war ein für den Handelskrieg entworfener schneller und leicht bewaffneter Kreuzer großer Reichweite. Den Weg zur Kanaleröffnung hatte er in der Rekordzeit von knapp 7 Tagen zurückgelegt.). Ich fürchte nur sie sind wenig kriegstüchtig. Jedenfalls haben sie das Aussehen von prunkvoll eingerichteten Salondampfern. Übrigens erhielten bei der Begrüßung die Amerikaner, Russen, und Franzosen nicht, wie die übrigen Nationen, den Titel „unsere Kameraden“, sie wurden nur durch Hurrah begrüßt.

Gestern, am 16. langten die Schweden an, „GÖTA“ Flaggschiff, und „THULE“. Dies sind die beiden besten Schiffe der Schweden, den Kameraden gefallen sie wenig, mir soweit ich äußerlich urteilen kann, ganz gut. Sie liegen uns in der Bucht gerade gegenüber. Die Alarmierung ist zwei 24 cm Geschütze, vier 15 cm, und Schnelllader…

… der ersten Panzerschiffe, für Frankreich im Krimkrieg). Beide Schiffe sind furchtbar hoch gebaut, sie sehen aus, wie große Häuser. Sie bieten eine große Zielfläche. Ich hoffe euch eine Fotografie senden zu können.

Schließlich kamen die Italiener mit 4 sehr schönen Schlachtschiffen mit sehr schweren Geschützen (43,6 cm) (Als Reaktion auf die Niederlage gegen Österreich in der Seeschlacht von Lissa (1866) hatte Italien die äußerst kampfstarken Schlachtschiffe der „RE UMBERTO“-Klasse gebaut (15.000 t, 18,5 kn, 2x34,3 cm, 8x15,2 cm, 16x11,9 cm), die in Kiel Aufsehen erregten.), zwei sind Kreuzer.

Italienisches Schlachtschiff „RE UMBERTO“

Es ist höchste Zeit für mich, aufzuhören. Ich will die Beschreibungen über die Feier immer fortsetzen. Wenn Herr Doktor Rocholl sich hierfür interessiert, so laßt ihn bitte diese Briefe lesen, jedenfalls grüßt ihn herzlich von mir.

Mit den besten Grüßen an Alle zu Hause

Euer Euch liebender

Willi

Während des Unterrichts sollen noch andere Schiffe gekommen sein, so der Norweger. Andere von allen Staaten sind ja nach Hamburg gegangen, um die Fahrt durch den Kanal mitzumachen (An der Kanalfahrt nahmen insgesamt 23 meist kleinere Schiffe teil.).

W.

Mit „STOSCH“ im Mittelmeer

Kiel, den 26. Juni 1895

SMS „STOSCH“

Liebe Eltern!

Eben Tagesbefehl:

„‚STOSCH’ geht nach Marokko“ und zwar Sonnabend. Kommen Herbst wieder; sogleich nach Westindien; keinen Urlaub. Herzliche Grüße

Euer Willi

Hafen zu Kiel, a. B. SMS „STOSCH“

den 26. und 27. Juni 1895

Noch sind die Festlichkeiten für die Einweihung des „Kaiser Wilhelm Kanals“ nicht vorüber, da erfahren wir Kadetten von der „STOSCH“, daß die „STOSCH“ dazu bestimmt sei zugleich mit der „KAISERIN AUGUSTA“ (ein Kreuzer zweiter Klasse, vorläufig zu unseren besten gehörend) und einem Panzer vierter Klasse, („HAGEN“? zu der Siegfriedklasse gehörend) nach Marokko zu gehen und Deutschlands Recht, nötigenfalls auch mit Gewalt, geltend zu machen (In Marokko waren 1894 der deutsche Kaufmann F. Neumann und 1895 der deutsche Handlungsreisende Hermann A. Rockstroh ermordet worden. Die Strafaktion sollte die zunächst zugesagte, dann verweigerte Zahlung eines Sühnegeldes von 250.000 M durch den Sultan erzwingen. Derartige Aktionen der europäischen Staaten waren üblich. WF schreibt über diesen Zweck der Reise nichts Näheres.).

Als wir diese Nachricht gestern zuerst von unserem zweiten Kadettenoffizier, Herrn Leutnant Kehrl, erfuhren, glaubten wir an einen Scherz, zumal da die Kadetten von der „STEIN“ wiederholt diese Behauptung ohne Grund von ihrem Schiff geäußert hatten. Als dann aber der Befehl kam, wir sollten unsere Tropenausrüstung bestellen, mußten wir doch daran glauben; und schließlich erklärte der Kadettenoffizier, Herr Leutnant z. See von Reuter (Vermutlich Ludwig v. Reuter (1869-1943), der am 21. Juni 1919 als Befehlshaber der in Scapa Flow internierten Hochseeflotte den Befehl zu ihrer Selbstversenkung gab.), wir würden die Reise unternehmen. Unsere Freude hierüber wurde noch gesteigert durch die Erlaubnis auf Urlaub gehen und uns mit etwa nötigem Vorrat für die Reise zu versehen; und tatsächlich erschienen spät abends die meisten Kadetten schwer beladen mit allen möglichen Dingen, hauptsächlich mit Cigarren und Brausebonbons.

Ich begab mich sofort als ich an Land gekommen war, zu den Bootsvermieter Remka (An der Stelle, auf der später die KSV ihr stattliches Heim erbaute, stand ein Gartenlokal: „Volkers Garten". Hier spielten sonntags abwechselnd die „85er" und die Marinekapelle zu Kaffee, Strickstrumpf und musikalischem Bräutigamsfang. Außerdem gab es den Bootsvermieter Remka, der jeden Fremden anfiel mit der Frage: „Wollen Sie nicht ein büschen rudern, segeln, oder ein klein Kriegschiff ansehn? Ich fahr Ihnen gern mal rüber!" (Kleine seglerische Topographie der Kieler Förde, 1954)),denn dort wusste ich Kurt und den ältesten Rebensburg mit der Ausschmückung eines Bootes für den Blumenkorso, der gestern Abend stattgefunden hat, beschäftigt. In dem nahe gelegenen „Folker´s Garten“ traf ich Tante Wanda und Fräulein Brandt, Tante Emma (mit der großen Tochter) und schließlich Herrn Oberstabsarzt Schumann. Wir alle sollten uns an dem Korso beteiligen, und außer uns noch Herr Doktor Wasmer und Herr Oberstabsarzt Brunhoff. Die Ausstattung hatte die Wendlohe (Wendlohe: Gut in Schnelsen (heute Hamburg)) geliefert; die Blumen hatten sich bei dem warmen Wetter doch wunderschön gehalten kommt. Zuerst holten Tante Emma und ich die Cousine Ella von der Bahn ab; sie hatte in Ülzen eine vergnügte Hochzeit gefeiert. Dann fuhren wir zu Wasmers, wo wir zu Mittag aßen, ich zum zweiten Male. Dann ging es zum Boote zurück, und als die Damen die letzte Hand an die Ausschmückung gelegt hatten war auch schon die Zeit des Festes gekommen. Wir schlossen uns der langen Kette von Booten jeder Art an, und nun begann zunächst der unblutige Blumen-Krieg. Man wurde tatsächlich mit Blumen und Sträußen überschüttet. Das Wasser war vollständig besäht mit den schönsten Blumen (die nach Schluß des Festes von Nichtteilnehmern aufgefischt wurden).

SMY „HOHENZOLLERN“ in Kiel (Zeichnung Willy Stöwer)

Jetzt erschien Majestät oben an Bord der „HOHENZOLLERN“ (SMS „HOHENZOLLERN“ diente als Staatsyacht von 1893 bis 1918 dem Kaiser für repräsentative Zwecke. Sie war ein Aviso von 4.460 t und lief 21,5 kn, die Besatzung bestand aus 350 Mann.