Kaltblütiges Machtstreben - P. R. Mosler - E-Book

Kaltblütiges Machtstreben E-Book

P R Mosler

0,0
18,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wei Cáo, Boss des Düsseldorfer Zweigs eines Kartells, kassiert bei dem Verkauf gestohlener Daten Millionen. Sein Handlanger Yuri Beljajew übernimmt für ihn dabei die notwendigen Arbeiten. Als der Automobilentwickler Carlheinz Holtkamp mit der Bitte um Hilfe erscheint, landen Gerd Bach und die Firma Staller mitten im Geschehen. Um Hannahs Hochzeit mit Kilian zu feiern, finden sich die beiden Allrounder aus Gerds Team bei Dominiks Schwester ein. Aber was hat der Nürnberger Bankangestellte mit den Aktivitäten des Kartells zu tun? Gerd Bach ahnt noch nicht, wie gefährlich die Recherchen werden und wem sie hier auf den Fersen sind. Können er und Emma Wolf die Gefahr für Dominiks Familie, vor allem für Hannahs Kinder, abwenden?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 618

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2023 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-401-3

ISBN e-book: 978-3-99146-402-0

Lektorat: Mag. Eva Reisinger

Umschlagfotos:Claudiodivizia, José Lledó, Mirexon, Catuncia, Airubon, Vladimir Nikiforov, 3ddock, Vladimir Hapaev | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Namen sind frei erfunden.

Bildquellennachweis:

Bild 1: Jezper, Vladimir Nikiforov, Vladimir Hapaev Dreamstime.com

Bild 2: Kholyaev Dreamstime.com

Bild 3: Honkamaa, Alyaksander Dreamstime.com

Bilder 4, 6: p.r. mosler

Bild 5: Ostapenko Olena | Dreamstime.com

Bild 7: José Lledó | Dreamstime.com

Bild 8: Péter Gudella, Pix569 | Dreamstime.com

Bild 9: Rclassenlayouts | Dreamstime.com

Bild 10: Tong Chen | Dreamstime.com

Bild 11: Tupungato | Dreamstime.com

Vorwort

Wissen ist Macht

Der Verstand des Menschen ist ein Rätsel,

das von keinem Zweiten nachvollzogen werden kann.

Doch wer die Lösung findet,

dem bietet dieses Wissen eine grenzenlose Macht

auf dem Weg der Geltungssucht.

1 Prolog

28. Januar 2007

„Sind Sie sicher, dass Sie pünktlich und vor allem in vollem Umfang liefern können?“, erkundigt sich Wladimir Sacharow bei seinem Gesprächspartner.

„Selbstverständlich!“, bekräftigt Yuri Beljajew fest.

„Ich kann es mir einfach nicht leisten, mich auf einen Handel einzulassen, der zum Scheitern verurteilt ist“, entgegnet der russische Konzernchef.

Wer die beiden Männer beobachtet, glaubt garantiert an ein geschäftliches Treffen. Und das ist es auch. Aber niemand würde darauf kommen, dass es sich dabei um den Verkauf illegal erworbener Informationen handeln könnte.

Die Speicherstadt mitten im Herzen von Hamburg beherbergt das hausinterne Café derSpeicherstadt Kaffeerösterei. Umgeben von Backsteinhäusern und Fleeten wird hier hochwertiger Kaffee zu ausgewählten Geschmacksvariationen verarbeitet.

Der Kaffee und auch das vor ihm stehende Frühstück sind ausgezeichnet, doch das findet bei Wladimir Sacharow augenblicklich keine Beachtung. Vielmehr ist der vierundfünfzigjährige Konzernchef daran interessiert, die überaus wichtigen Informationen zu erhalten, ohne dass er dabei ein Risiko eingeht. Er ist 1,82 Meter groß mit einer kräftigen, leicht untersetzten Figur. Seine kurz geschnittenen Haare sind mittlerweile mehr grau als braun, was ihn aber nicht im Entferntesten stört. Er erinnert sich an seinen Einstieg in die Firma Sacharow Awto vor über dreißig Jahren. Damals studierte er noch und die Firma gehörte seinem Vater. Iwan Sacharow war der Meinung, dass sein Sohn die Firma von der Pike auf kennenlernen sollte. Wütend denkt Wladimir daran, wie er als Botenjunge die interne Post verteilte und bei den unwichtigen Meetings die Getränke servierte. Sein Vater hatte keine Ahnung, was er seinem Sohn damit zumutete. Jeder in der Firma hackte nur zu bereitwillig auf ihm herum. So kam er nicht weiter! Obendrein brachte dies seinen Vater zu der Überzeugung, dass er für einen leitenden Posten gänzlich ungeeignet sei. Wahrscheinlich wäre er nie weiter aufgestiegen als bis zum Abteilungsleiter. ‚Wenn überhaupt!‘, denkt er erbost. Doch dass sein Vater bereits im Alter von siebzig Jahren an einem Herzleiden starb, damit hat er sicher nicht gerechnet, sonst hätte er sein Testament möglicherweise noch geändert. Als einziger Sohn war Wladimir nun rechtmäßiger Eigentümer der Firma Sacharow Awto und stieg im Alter von einundvierzig Jahren zum Konzernchef auf. Rasch musste er erkennen, dass seine Kenntnisse nicht ausreichten, um den Konzern nach vorne zu bringen. Doch genau das wollte er. Will er noch immer! Dafür greift er, wenn nötig, auch auf Mittel zu, die nicht auf legale Weise zu beschaffen sind. Erst nachdem er mit Vorschlägen aufwarten konnte, die den Mitarbeitern seiner Firma bei ihrer Arbeit von Nutzen waren, begann man ihn als den obersten Chef zu akzeptieren. Nach nunmehr dreizehn Jahren an der Spitze gehört seine Firma zu den führenden Unternehmen in Russland.

Die Automobilbranche ist eine der härtesten auf dem weltweiten Markt. Immer im Mittelpunkt von Politik und Umwelt muss die Entwicklung stets auf dem Neuesten sein, den Anforderungen genügen und kostengünstig vertrieben werden.

Das weiß auch Yuri Beljajew. Der neununddreißigjährige blonde Russe trat vor elf Jahren erstmalig an den Konzernchef heran, um ihm ein Geschäft vorzuschlagen. Seitdem fungiert der 1,84 Meter große Mann als Mittelsmann für die illegale Datenbeschaffung.

Wladimir Sacharow hat keine Ahnung, wer hinter diesem Mann steckt, aber ihm ist klar, dass dessen Boss ein gefährlicher und außergewöhnlich gut organisierter Anführer sein muss, der sich auf keinen Fall zu erkennen geben wird. Das ist auch der Grund, warum er sich auf die Treffen mit dem Mittelsmann einlässt. Das Einzige, was zählt, sind die Informationen!

„Wenn Sie einen Rückzieher machen wollen, dann sagen Sie das besser gleich. So können wir uns unnötige Zeit sparen“, empfiehlt Yuri Beljajew ihm.

„Das habe ich nicht gesagt“, widerspricht Wladimir sofort aufgebracht. „Ich will nur nicht, dass die Spur zu uns zurückzuverfolgen ist. Nicht umsonst treffe ich mich selbst mit Ihnen. Niemand in meiner Firma weiß, woher ich die Informationen erhalte, die ich in die Entwicklungsabteilung einfließen lasse.“

„So soll es auch bleiben“, stimmt Yuri zu. „Machen Sie sich über die Beschaffung keine Sorgen. Wenn Sie sich an unsere Abmachung halten, machen wir das auch.“

„Und wie wollen Sie an die Daten herankommen?“, erkundigt sich der Unternehmer neugierig. Ihm ist es äußerst wichtig, an die neuesten Entwicklungsdaten der ausgewählten Firma zu gelangen. Bis heute ist es seinen Technikern nicht gelungen, die Fehler in den Assistenzsystemen zu beheben. „Soweit ich informiert bin, arbeitet die Firma, deren Informationen Sie mir anbieten, mit ausgezeichneten Sicherheitsvorrichtungen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass es in Derutschland die besten Überwachungsanlagen weltweit gibt. Wie wollen Sie die überwinden?“

„Überlassen Sie diese Probleme ruhig uns. Bisher haben Sie doch immer alles bekommen, was wir Ihnen angeboten haben“, erinnert Yuri den Konzernchef. Aus seiner Jackentasche holt er ein Paket, das unverzüglich den Besitzer wechselt. Während Wladimir den dicken unbeschrifteten Umschlag einsteckt, in dem sich, seiner Kenntnis nach, diverse Datenträger befinden, spricht Yuri weiter: „Wie abgemacht, die erste Hälfte der beschafften Daten. Sie wissen, dass Sie damit allein nichts anfangen können. Erst wenn wir unser Geld haben, erhalten Sie die andere Hälfte.“

„Das ist kein Problem“, versichert Wladimir Sacharow sofort. Diese Art der Absicherung kennt er bereits. Er weiß auch, dass die Organisation, die hinter Yuri Beljajew steht, ihre Versprechen einhält. Davon konnte er sich schon mehrfach überzeugen. „Ich denke, in drei bis vier Tagen können Sie darauf zugreifen. Die Anzahlung haben Sie ja bereits erhalten, nicht wahr?“

„Natürlich! Für die restliche Zahlung verfahren wir wie immer. Eröffnen Sie ein Konto auf den Namen Suzi Wang. Die Daten finden Sie in dem Umschlag. Sobald wir das Geld haben, erhalten Sie von mir einen Termin für die Übergabe.“ Ohne ein weiteres Wort erhebt sich der Russe. Bevor Wladimir ihn hätte aufhalten können, ist er verschwunden.

Nachdenklich beendet der Unternehmer sein Frühstück. Die Informationen auf diesen DVDs helfen ihm sicherlich, das Problem mit den nicht auswertbaren Daten in den Griff zu kriegen. Das Spionagekartell, welches sich hinter dem Vertriebler Yuri Beljajew verbirgt, bot ihm die Beschaffung der passenden Software auf seine Anfrage hin umgehend an. Natürlich ist auch diese Organisation daran interessiert, ihn zufriedenzustellen. Mit dieser Software können seine Mitarbeiter endlich auf die beschafften Konstruktionspläne zugreifen. Spätestens, wenn er die zweite Hälfte in Händen hält. Das ist nur noch eine Frage der Zeit. Es war richtig, sich auf dem deutschen Automobilmarkt umzusehen. Die Entwicklung dort unterliegt enormen Vorgaben. Die positiven Veröffentlichungen dieser Firma ließen ihn auf Yuri Beljajew und seinen Boss zurückgreifen. Morgen Früh wird er sich um die Einrichtung des Kontos kümmern. Auch dafür hat er den passenden Kontakt.

Kilian Hochmuth sitzt schon eine geraume Weile an seinem Schreibtisch. Der Bankangestellte ist die Vertretung von Götz Hackenberg. Sie sind vorrangig für die Privatkundenbetreuung der betuchteren Gesellschaft zuständig. Heute Morgen hatten sie sich für neun Uhr verabredet, um den angeforderten Bericht für Alfred Hinrichsen, den Direktor der großen Nürnberger Bankfiliale, fertigzustellen. Doch sein Freund ist noch nicht aufgetaucht. Der wiederholte Blick auf die große Wanduhr zeigt ihm, dass ihr Termin seit einer halben Stunde überschritten ist. „Um elf Uhr hat Götz sein Meeting beim Direktor“, nuschelt Kilian vor sich hin. „Wo steckt er nur?“

Götz und er sind schon seit der Grundschule befreundet. Dass sie sich vor ein paar Jahren in dieser Bank wieder über den Weg liefen, war Zufall. Unabhängig voneinander hatten sie ihren beruflichen Werdegang begonnen. Jetzt arbeiten die beiden sechsunddreißigjährigen Bankangestellten Hand in Hand zusammen und pflegen zudem auch ihre private Freundschaft.

Kilian entschließt sich, die Arbeit schon einmal zu beginnen, ohne auf Götz zu warten. So kann der Freund wenigstens auf fertige Daten zugreifen. Die Unterlagen, die er dafür benötigt, liegen auf dem Schreibtisch seines Freundes. Dass Götz das Einzelbüro, in dem die Kundengespräche stattfinden, sein Eigen nennt, stört ihn nicht weiter. Er selbst findet es viel interessanter, seinen gut eingerichteten Arbeitsplatz unmittelbar vor diesem Büro zu haben. So bekommt er viel mehr von den Aktivitäten rund um sie beide mit und kann den Kontakt zu den anderen Kollegen halten.

In Götz’ Büro sucht er den Schreibtisch ab, wird aber nicht fündig. Das Telefon unterbricht seine Suche. Die angezeigte Rufnummer kündigt ihm einen externen Anruf an, doch darauf achtet er nicht. Noch mit seiner Suche beschäftigt hebt er automatisch den Hörer ab. „Ja, bitte?“, erkundigt er sich gedankenlos.

„Ich benötige Ihre Hilfe. Eröffnen Sie für mich ein neues Konto. Wie gehabt. Eine Million zuzüglich Ihrer zehn Prozent. Der Name lautet Suzi Wang …“

„Moment“, unterbricht Kilian den Mann, der noch nicht einmal seinen Namen genannt hat. „Wir können Ihnen unmöglich ein Konto per Telefon eröffnen. Wer sind Sie überhaupt?“

Die Verbindung wird schlagartig beendet.

Verwundert schaut Kilian auf den Telefonhörer, zuckt die Schultern und legt kopfschüttelnd auf. „Manche Leute sind wirklich unglaublich“, äußert er. Sein Auge erfasst die Unterlagen, nach denen er gesucht hat. „Endlich!“ Er nimmt die Akte aus dem obersten Ablagefach an sich, um möglichst schnell mit der Arbeit zu beginnen.

Erst weit nach zehn Uhr taucht Götz Hackenberg am Arbeitsplatz auf. Der 1,81 Meter große Mann legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Seine mittelbraunen Haare lässt er regelmäßig schneiden und die Spitzen blondieren. Im Augenblick wirkt er allerdings eher gehetzt.

Auch Kilian weiß sich entsprechend seiner Aufgabe in diesem Hause zu kleiden. Obwohl er für Sport nicht allzu viel übrig hat, besitzt er eine gute Figur, die zu seiner Größe von 1,80 Meter ausgezeichnet passt. Die graubraunen Haare bieten einen interessanten Kontrast zu den blauen Augen.

„Wo bist du so lange gewesen?“ Kilian folgt seinem Freund in dessen Büro. „Du weißt doch, was auf dem Spiel steht.“

„Ja, sicher“, stöhnt Götz. Auch ihm ist bewusst, dass sich das Oberhaupt der Bank mit Personalkürzungen beschäftigt. „Es ging aber nicht anders. Svetlana war der Meinung, dass ich meine Frau heute aufklären muss. Sie hat mich vor die Wahl gestellt. Entweder sie oder ich.“

„Du meinst wohl, entweder sie oder deine Frau?“

„Nein, sie oder ich. Sollte ich Silvia nicht von uns erzählen, würde sie diese Aufgabe nur zu gern übernehmen.“

Kilian kann sich das Lächeln nicht verkneifen. Diese Geschichte hat sich Götz selbst eingebrockt. Wenn er ehrlich ist, findet er es nicht so gut, wie sein Freund mit den beiden Frauen umgeht. Aber da hält er sich heraus. „Wie hast du das geregelt?“

„Ich sagte Svetlana, dass mir dafür im Augenblick einfach die Zeit fehlt. Es hilft ihr schließlich kein bisschen, wenn mein Chef mich hinauswirft.“

„Und das hat sie gelten lassen?“, staunt Kilian.

„Nein, das zog erst, als ich heute Morgen mit ihr beim Juwelier die Eheringe ausgesucht habe. Das hat sie besänftigt. Die Dinger haben mich ein kleines Vermögen gekostet“, stöhnt Götz.

Kilian reißt verblüfft die Augen auf. „Du willst Svetlana heiraten?“

„Auf keinen Fall! Aber erst einmal habe ich Ruhe. Lass uns an die Arbeit gehen.“ Götz schaut entsetzt auf die Anzeige der Uhr. „Meine Güte! Das kriegen wir nie bewältigt.“

„Halb so wild. Ich bin fast fertig. Komm, wir gehen das rasch zusammen durch.“

Aufatmend sieht Götz seinen Freund an. „Damit hast du uns beiden wahrscheinlich den Hals gerettet. Danke.“

Über zwei Stunden dauert das Meeting in der Chefetage. Auf dem Rückweg bleibt Götz einen Moment vor dem Arbeitsplatz seines Stellvertreters stehen, ehe er mit ausdrucksloser Miene in seinem Büro verschwindet.

Kilian läuft ihm eilends hinterher. „Wie ist es gelaufen?“, fragt er aufgeregt.

„Tja, also …“ Götz macht bewusst eine Pause. Plötzlich beginnt er zu grinsen. „Herr Hinrichsen hat sich entschieden. Wir sollen die Arbeit der Herren Baier und Weingarten mitübernehmen. Die beiden werden in eine andere Filiale degradiert, während wir zusätzliche Vollmachten erhalten werden.“ Er klopft Kilian auf die Schulter. „Das verdanken wir nur deinem Bericht.“

„Ist doch großartig“, freut sich Kilian. In Anbetracht dessen, dass es bis zu seiner Hochzeit mit Hannah Schwarz nur noch dreieinhalb Wochen sind, ist er über diese Nachricht erleichtert. „Ach, übrigens, das hätte ich beinah vergessen. Da hat heute Morgen jemand angerufen. Mit Durchwahl zu deinem Apparat. Allerdings nannte der Mann seinen Namen nicht. Er wollte, dass du ihm ein Konto eröffnest. Am Telefon. Kannst du dir das vorstellen? Manche Kunden haben eigenartige Ideen. Findest du nicht?“ Kilian fällt nicht auf, dass sich sein Freund schon bei den ersten Worten versteift.

Aufgeregt hört Götz ihm zu. „Was hast du geantwortet?“

„Was wohl? Dass man am Telefon kein Konto eröffnen kann. Weiter kam ich aber nicht. Der Kerl hat direkt aufgelegt. Absolut unhöflich!“

„Da hast du Recht“, stimmt Götz zu. „Warten wir ab, ob der Mann sich wieder meldet. Aber das glaube ich eher nicht.“ Lauernd mustert er seinen Freund, während er ihn hinauskomplimentiert. Vorsorglich schließt er in seinem Rücken die Tür.

Dass Götz regelrecht aufatmet, bemerkt mittlerweile auch Kilian. Der lauernde Blick, mit dem der Freund ihn mustert, ist ebenfalls nicht zu übersehen. ‚Was ist denn mit Götz los? Habe ich da etwas falsch gemacht? Wohl kaum! Ein Konto ohne schriftliche Vollmachten zu eröffnen ist ausnahmslos verboten. Darüber setzt sich Götz garantiert nicht hinweg.‘ Trotzdem ist das Verhalten seines Freundes mehr als nur merkwürdig. Durch die Glasscheibe der geschlossenen Tür beobachtet Kilian von seinem Arbeitsplatz, wie der Vorgesetzte nach dem Telefon greift.

Seine ganze Körpersprache während des Gesprächs zeigt Kilian, wie aufgeregt der Freund ist. ‚Was geht da vor sich?‘, fragt er sich. Da seine Neugier langsam ins Uferlose zu wachsen scheint, dreht er Götz langsam den Rücken zu. Vorsichtig hebt er seinen eigenen Telefonhörer ab, um im Anschluss die Taste für die Telefonkonferenz zu drücken, dann wählt er das Gerät seines Vorgesetzten an.

Staunend lauscht er dem Rest des Gesprächs, welches Götz gerade führt. ‚Das gibt es doch gar nicht!‘, denkt er perplex. Sein Freund beteiligt sich an illegalen Machenschaften. Ihm gegenüber hat er nie auch nur ein Wort darüber verloren. Ohne dass Götz das Abhören aufgefallen wäre, beendet er die Mithörfunktion.

Kilians Gedanken sind ganz bei dem Gespräch, dessen Zeuge er gerade geworden ist. ‚Kann das wirklich sein? Habe ich vielleicht etwas falsch verstanden?‘, überlegt Kilian. Doch dann schüttelt er energisch den Kopf. ‚Da gibt es wohl kaum etwas falsch zu verstehen. Wieso macht Götz das? Warum lässt er sich auf solch dubiose Geschäfte ein?‘

Auf seinem Computer beobachtet er die Neuzugänge, die von seinem Freund angelegt werden. Sein Warten wird belohnt. ‚Da! Da ist es! Suzi Wang! Götz hat das Konto tatsächlich eröffnet.‘

Kilian weiß, dass heute nichts weiter geschieht. Durch das mitgehörte Telefonat ist er über die nächsten Schritte informiert. Auch wann sie geschehen. Morgen ist Freitag. Wenn Götz richtig gearbeitet hat, und davon kann er ausgehen, dann findet er ab morgen Mittag die Einzahlung auf dem neuen Konto.

Am darauffolgenden Tag nimmt sich Kilian die Zeit, immer wieder einmal in dem Konto von Suzi Wang nachzuschauen. Seine Vermutung wird bestätigt, als um zwölf Uhr der neue Kontostand mit einer Summe von einer Million und einhunderttausend Euro angezeigt wird. ‚Genauso, wie es dieser Mann wollte‘, denkt Kilian. Noch bevor er sich wieder abmelden kann, erscheint ein neuer Eintrag auf der Seite zu diesem Konto. Eine Umbuchung von einhunderttausend Euro auf ein externes Konto. Der neue Kontostand bei Suzi Wang wird nun mit genau einer Million Euro angegeben.

Kilian fällt wieder ein, was der Anrufer bei dem ersten Telefonat sagte: ‚… zuzüglich Ihrer zehn Prozent.‘ Er beginnt, die eingegangene Überweisung zu überprüfen, und landet bei dem Absender. ‚Der Mann heißt Wladimir Sacharow. Ob das sein richtiger Name ist?‘, fragt er sich. Wissbegierig sucht er nach dem Namen des Empfängers, der die einhunderttausend Euro erhalten hat. Als er fündig wird, reißt er ungläubig die Augen auf. „Das gibt es doch gar nicht!“, rutscht es ihm leise heraus, während er auf den Namen starrt, der sich in dicken Buchstaben auf seinem Bildschirm präsentiert. Sicher, das Bankkonto und die dazugehörige Kontonummer sind ihm gänzlich unbekannt, aber nicht der Name des Kontoinhabers. Götz Hackenberg! ‚Mein Freund hat gerade einhunderttausend Euro verdient‘, macht Kilian sich klar. ‚Auf illegale Weise wohlgemerkt. Und das mit nur zehn Minuten Arbeit.‘ Für ihn hört sich das nach Geldwäscherei oder ähnlichen schmutzigen Geschäften an. ‚Was soll ich denn jetzt machen? Soll ich Götz darauf ansprechen? Besser nicht! Schließlich ist er an diesen Verbrechen beteiligt. Wer weiß, wie weit mein Freund in dieser Geschichte drinsteckt. Womöglich bringe ich mich dann selbst in Gefahr. Nein, das geht nicht! Soll ich zum Direktor gehen? Habe ich Beweise für meine Behauptung? Natürlich, es gibt dieses Konto. Aber dass es für illegale Zwecke eingerichtet wurde, kann ich nicht beweisen. Ich bin mir ganz sicher, dass das Konto fünf Minuten nach der Geldabhebung wieder aufgelöst wird und alle Daten dazu aus unseren Rechnern verschwinden. So schnell ist selbst der Direktor nicht. Außerdem glaubt er eher Götz als mir. Nein, das ist es auch nicht! Ohne den Direktor auf meiner Seite zu haben kann ich die Polizei auf keinen Fall einschalten. Ich kann also nichts unternehmen?‘ Verzweifelt starrt er vor sich hin, während er darüber nachdenkt, was er unternehmen soll oder kann, oder ob er überhaupt etwas unternehmen will. Götz ist immerhin sein Freund. ‚Aber, wenn er sich für illegale Handlungen hingibt, ist es aus mit der Freundschaft!‘, versichert er sich selbst. Die Idee, die ihm plötzlich in den Sinn kommt, lässt ihn sich ruckartig aufsetzen. ‚Genau, das ist es!‘ Er weiß, was er zu tun hat. „Na warte“, flüstert Kilian vor sich hin. „So nicht!“

Aus dem Telefonat weiß er, dass am heutigen Nachmittag eine Frau vorbeikommen soll, die das Geld abholt und das Konto wieder auflöst. Doch er wird diesen Leuten einen Strich durch die Rechnung machen. Eine Weile grübelt er vor sich hin, dann greift er nickend nach seinem privaten Telefonbuch. Nicht lange, dann findet er den Eintrag, nach dem er gesucht hat. Mit seinem privaten Handy wählt er die herausgesuchte Nummer.

„Vollrath“, meldet sich die ihm bekannte Stimme.

„Hallo, Eva“, begrüßt Kilian die ehemalige Freundin. „Hättest du vielleicht Zeit, mich hier an meinem Arbeitsplatz für ein paar Minuten zu besuchen?“ Er weiß genau, wie seine Verflossene tickt. Sie ist immer auf der Suche nach dem perfekten Mann für sich. Kilian fiel so lange in diese Beurteilung, bis sie Götz kennenlernte. Immerhin war der sein Vorgesetzter, also in der Hierarchie eine Stufe höher. Seinen Freund ließ sie fallen, als sie auf einen betuchten Schönheitschirurgen traf, der ihr einiges mehr zu bieten hatte. Die hübsche Frau ist genau die Richtige für sein Vorhaben. Er kann sich noch gut an die glänzenden schulterlangen Haare erinnern, die ihm als Erstes an ihr aufgefallen waren. Er hätte sie als Rosa bezeichnet. Doch Eva behauptete immer, die Farbe sei Bronze. Sollte sie im Augenblick keinen festen Mann in ihrem Leben haben, wird sie sich auf den Besuch in der großen Bank garantiert einlassen. Immerhin finden sich hier zahlreiche Männer, die ihrer Vorstellung von einem perfekten Partner entsprechen.

„Das könnte ich bestimmt einrichten“, bestätigt sie prompt seine Ansicht. „Worum geht es denn?“

„Das würde ich dir gern persönlich erklären. Was hältst du von vierzehn Uhr? Wäre das für dich akzeptabel?“ Aus dem Terminkalender weiß er, dass Götz um vierzehn Uhr einen Termin mit einem Großkunden bei dem Bankdirektor hat.

„Einverstanden. Dann bis gleich.“ Eva Vollrath hat es eilig. Immerhin muss sie sich für den Besuch in der Bank akkurat herrichten und die perfekte Garderobe auswählen. Sie ist gespannt, was Kilian von ihr will. ‚Vielleicht vermisst er mich ja weit genug, um es noch einmal zu versuchen‘, überlegt sie hoffnungsvoll. Im Augenblick hätte sie nichts dagegen einzuwenden. Er war immer äußerst freigiebig und ihre letzte Mietzahlung hat ihr Konto wieder einmal ziemlich schrumpfen lassen. Aber ein exklusiver Wohnstil fordert eben ein entsprechendes Maß an Bezahlung. Pünktlich erscheint sie an seinem Arbeitsplatz.

Kilian behält Götz den ganzen Tag über im Auge. Seine Rechnung geht auf, als der Freund kurz darauf an seinem Schreibtisch vorbeigeht.

„Ich bin bei Herrn Hinrichsen“, teilt Götz ihm mit.

„In Ordnung“, gibt er zurück, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen.

Sobald der Freund seinem Arbeitsplatz den Rücken zugekehrt hat, füllt Kilian einen Auszahlungsbeleg aus und unterschreibt diesen mit dem Namen Suzi Wang.

„Hallo, Kilian.“ Eva lächelt ihn freundlich an.

Erstaunt schaut er auf. Die Frau, die vor ihm steht, hätte er fast nicht wiedererkannt. Statt der hellen rosafarbenen Frisur besitzt Eva Vollrath mittlerweile eine glänzende Mähne tiefschwarzer Haare. Allerdings ist er darüber sogar erfreut. Das kommt seinem Plan sehr entgegen. Er wundert sich darüber, dass er nie den berechnenden Ausdruck in ihren Augen wahrgenommen hat. Anscheinend hatte ihn die Schönheit dieser Frau gänzlich abgelenkt. Doch das war einmal! Jetzt braucht er sie nur für eine ganz bestimmte Aufgabe. Und sie wird nie erfahren, worum es dabei ging. Zur Begrüßung steht er auf und reicht ihr die Hand. „Eva, schön, dich zu sehen. Komm, setz dich.“

„Was willst du denn von mir?“, erkundigt sie sich neugierig. Sie schlägt ihre langen schlanken Beine übereinander und ihr Blick wandert verheißungsvoll zu seinem Gesicht.

„Augenblick!“, bittet Kilian anscheinend abgelenkt. Er hebt seinen Telefonhörer ab. „Ja, bitte?“, fragt er. „Was? Jetzt? … Muss das sein? … Ja, gut, ich komme.“

Dass am anderen Ende der Leitung überhaupt niemand war, bemerkt Eva nicht. Bedauernd schaut Kilian sie an. „Tut mir leid, da muss ich kurz hin. Dauert aber nur fünf Minuten. Kannst du so lange warten?“

„Wenn es sein muss!“, schmollt sie.

„Danke, ich bin gleich wieder da. Versprochen.“

Kilian saust los. Er begibt sich zum Auszahlungsschalter und verlangt die Auszahlung für seine Kundin, die oben auf ihn wartet. „Herr Hackenberg hat die Summe wohl bereits angefordert“, behauptet Kilian dem Schalterangestellten gegenüber.

„Ja, das ist richtig. Es ist alles vorbereitet.“

Er erhält die Summe in einem silbernen Geldkoffer, tätigt seine Unterschrift und macht sich auf den Weg zu seinem Schreibtisch. Sobald er außer Sichtweite der Kollegen ist, beschleunigt er seine Schritte. Der Umweg über seinen privaten Spind ist für sein Vorhaben unerlässlich. Dort deponiert er das Geld aus dem Koffer, indem er es einfach in den Spind hineinwirft. Im Moment ist keine Zeit für ein sauberes Einräumen. Mit dem leeren Gepäckstück erscheint er kurz darauf wieder bei Eva Vollrath. „Entschuldige.“

Der Geldkoffer erregt Evas Aufmerksamkeit. „Was hast du da?“

„Wie bitte? Ach, du meinst den Koffer. Das ist nichts. Der ist leer. Wir haben neue Geldkoffer erhalten. Jetzt werden die alten ausrangiert. Ich hatte darum gebeten, mir einen der Koffer für private Zwecke zu überlassen. Der macht wirklich etwas her. Findest du nicht?“

„Allerdings. So einen hätte ich auch gern.“ Ihre Gedanken spielen bereits diverse Abläufe durch, bei denen ihr ein solcher Koffer durchaus hilfreich sein könnte.

„Wirklich?“ Genau diese Antwort hatte er erhofft. Kilian mustert den Koffer. Dann stellt er ihn auf dem Boden neben der hübschen Frau ab. „Ach, was soll’s. Ich kann mir ja einen neuen holen.“

„Im Ernst?“ Evas Augen beginnen zu strahlen. „Danke. Aber weshalb hast du mich eigentlich gebeten zu kommen?“

Kilian lächelt. Er weiß, was gleich passiert. „Ich wollte dich um Hilfe bitten. In nicht einmal vier Wochen werde ich heiraten. Hannah ist einfach traumhaft“, schwärmt er der entsetzten Frau vor. „Wir wollen unsere Flitterwochen in die Karibik machen. Allerdings gibt es da ein kleines Problem. Sie hat zwei Kinder. Wirklich lieb, sage ich dir. Aber die Flitterwochen würde ich doch gern ohne die beiden verbringen. Wir haben schon die ganze Zeit überlegt, wer uns da helfen könnte. Und dann bist du mir eingefallen. Du hast mir immer erzählt, wie sehr du Kinder magst. Da dachte ich, du könntest vielleicht die drei Wochen auf die beiden aufpassen. Du würdest uns damit einen großen Gefallen tun.“ Bei dem Gesicht, das Eva zieht, muss Kilian sich das Lachen verkneifen.

„Drei Wochen?“, hakt sie panisch nach. „Das kann nicht dein Ernst sein! Wie kommst du darauf, dass ich die Kinder einer wildfremden Frau hüten würde? Das kannst du gleich vergessen!“, faucht sie entrüstet. ‚Wie kommt er nur auf eine solche Schnapsidee? Und dafür hab ich mich so herausgeputzt! Dieser Mistkerl!‘, denkt sie wütend. Ruckartig steht sie auf, um jede weitere Diskussion zu diesem Thema zu unterbinden. ‚Aber den Koffer nehme ich mit! Das hat er nun davon.‘

„Schade, da kann man nichts machen. Ich verstehe dich ja. Aber versuchen musste ich es wenigstens. Nichts für ungut“, entschuldigt er sich. „Komm, ich bringe dich hinaus.“

Er begleitet Eva bis zur Tür und verabschiedet sie freundlich. Dabei achtet er genau darauf, dass sie nicht in die Überwachungskameras schaut. Er spricht sie einfach an den passenden Stellen an, sodass sie sich ihm zuwendet. Dem Wachmann bestätigt er, dass der Geldkoffer seine Richtigkeit hat.

Noch einmal sucht er seinen Spind auf. Jetzt hat er ein wenig mehr Zeit. Sein Aktenkoffer steht seit mittags in dem Stahlschrank. Er räumt den Koffer vollständig leer. Dann packt er das Geld hinein. ‚Eigenartig‘, denkt er. ‚Dass so kleine Pakete eine Million Euro ausmachen sollen.‘ Die zehn Pakete mit Einhundert-Euro-Scheinen sind jedes gerade einmal zehn Zentimeter hoch. Aber er weiß, dass das stimmt. Ein Geldschein ist nur 0,1 Millimeter dick. In seinen Koffer passen zwei Reihen mit je fünf Paketen. Also kann er alles auf einmal nach draußen transportieren. Ihm fällt wieder ein, dass der Kollege vom Sicherheitsdienst ihnen beim Mittagessen in aller Verschwiegenheit von dem defekten Scanner am Zugang zur Tiefgarage berichtete. ‚Genau richtig für mein Vorhaben!‘, freut er sich. Er nimmt den Koffer mit an seinen Arbeitsplatz. Keine Sekunde zu früh sitzt er wieder auf seinem Stuhl. Die Kontoauflösung konnte er gerade noch ausführen, bevor sein Vorgesetzter erscheint.

Götz nickt ihm nur kurz zu, ehe er in seinem Büro verschwindet.

Kilian folgt ihm auf dem Fuß. „Hannah hat mich vorhin angerufen“, schwindelt er. „Wir haben heute Nachmittag noch einen Termin beim Juwelier. Hast du etwas dagegen, wenn ich um halb vier abhaue? Ich hole die Zeit in den nächsten Tagen nach.“

Götz grinst ihn frech an. „Klar, ich will doch nicht dafür verantwortlich sein, wenn Hannah dir den Laufpass gibt. Ich bin ja froh, dass du endlich auch einmal eine abbekommst.“

„Vielen Dank“, meint Kilian ironisch. „Ich dachte schon, du freust dich für mich.“ Er stimmt in das fröhliche Lachen seines Freundes ein, dann wendet er sich zum Gehen. Doch nach zwei Schritten bleibt er noch einmal stehen. „Du, Götz, vorhin war eine Frau hier, die ihr Konto aufgelöst hat. Da es eines von deinen war, gebe ich dir besser Bescheid. Die Summe war für eine Barauszahlung ziemlich hoch, aber du hattest ja alles schon angeordnet, sodass die Dame keine Beanstandungen hatte. Im Gegenteil war sie anscheinend froh, dass es so schnell ging, da sie sehr in Eile war.“

„Wovon redest du?“, erkundigt sich Götz irritiert. Ein Blick auf die Uhr zeigt ihm, dass das nicht sein Kontakt gewesen sein kann. ‚Sacharow sagte doch vier Uhr und nicht vierzehn Uhr‘, überlegt er. ‚Oder hat er sich versprochen?‘ „Wie hieß denn die Frau?“

„Suzi Wang. Sie hat mir einen gültigen Ausweis vorgelegt. Wieso? Stimmt da etwas nicht? Die Frau hat eine volle Million abgeholt.“

„Nein, es ist alles gut.“ Götz ist sicher, dass Wladimir Sacharow ihm lediglich die falsche Uhrzeit genannt hat. ‚Dank Kilian ist alles glatt über die Bühne gegangen. Auch wenn er nicht weiß, worum es geht.‘ Götz lächelt seinen Freund erleichtert an. „Danke für die Hilfe.“

„Habe ich doch gern gemacht“, versichert Kilian. ‚Wenn du wüsstest‘, denkt er schadenfroh. ‚Ich bin gespannt, wie du das erklären willst.‘ Pünktlich verlässt er das Gebäude durch die Tiefgarage. Dem Wachmann winkt er kurz zu, bevor er ungehindert in seinen Wagen steigt.

2

„Wie kommst du auf die Idee, dass ich da mitfahren würde?“, staunt Oliver. „Wenn deine Schwester heiratet, ist das eine Familienfeier. Dazu werden höchstens noch die engsten Freunde von Braut und Bräutigam eingeladen. Ich zähle weder zu dem einen noch zu dem anderen.“

„Das glaubst du doch selbst nicht“, widerspricht Dominik. „Wir sind jetzt wie lange befreundet?“ Er rechnet kurz nach. „Mehr als zwanzig Jahre. Seitdem gehörst du zur Familie. Das weißt du! Außerdem hat Hannah mir ausdrücklich gesagt, dass ich auf keinen Fall ohne dich erscheinen soll. Du kannst nicht zulassen, dass mir meine kleine Schwester den Kopf abreißt.“

Dominik Schwarz begreift nicht, warum der Freund sich so sträubt. Der achtunddreißigjährige Flugexperte von 1,82 Meter Größe trägt seine blonden Haare in einem militärischen Kurzhaarschnitt. Seine sportlich durchtrainierte Figur zusammen mit den fröhlich blitzenden blauen Augen kann sich durchaus sehen lassen. Er erinnert sich daran, wie er Oliver Klein kennenlernte.

Der knapp ein Jahr ältere Sicherheitstechniker sieht mit seinen kurzen schokoladenbraunen Haaren, den gleichfarbigen Augen und einer Größe von 1,83 Meter nicht weniger gut aus. Die beiden absolvierten ihre militärische Ausbildung und das duale Studium der Elektronik und Nachrichtentechnik zusammen. Vor einigen Jahren wechselten sie gemeinsam als Sicherheitsfachpersonal und Allrounder zur Unterstützung für die Sonderprojekte in die Firma Staller Industrie Werke GmbH, da sie das äußerst lukrative Angebot des Konzernchefs Peter Staller nicht abzulehnen vermochten. Seitdem arbeiten sie Hand in Hand mit den Mitarbeitern des Teams für Sonderprojekte zusammen, deren Boss Gerd Bach ist.

„Das hast du dir gerade ausgedacht, um mich zu überreden“, wirft Oliver seinem Freund vor.

„Quatsch! Hannah ist es wichtig, dass du dabei bist. Sie will dich in Zusammenhang mit der Hochzeit um irgendetwas bitten. Frag mich aber nicht, worum es geht. Ich habe keine Ahnung.“

„Selbst wenn ich wollte, würde Gerd uns nie im Leben beide zur gleichen Zeit in Urlaub gehen lassen. Das kann er sich gar nicht leisten.“

„Ich habe ihm extra noch nichts gesagt. Erst wollte ich, dass wir den letzten Auftrag sauber abschließen. Der ist mittlerweile erledigt. Wenn du mir deine Zustimmung gibst, kümmere ich mich um den Boss. Einverstanden?“

Oliver schaut seinen Freund nachdenklich an. Vor seinen Augen taucht das Bild einer temperamentvollen Frau auf, deren blonder Pferdeschwanz hin und her schwingt, während die blauen Augen übermütig blitzen. Als er Hannah Schwarz kennenlernte, war sie gerade sechzehn Jahre alt. Begeistert von dem temperamentvollen Teenager half er ihrem Bruder, auf sie aufzupassen, was nicht gerade einfach war. Sie lernte den ein Jahr älteren Henry Ruge kennen und heiratete ihn im Alter von vierundzwanzig Jahren. Oliver konnte den Mann nicht ausstehen. Nach einem Blick in das glückliche Gesicht der Freundin behielt er dies aber für sich. Sein Gefühl hat ihn nicht getrogen. Die Ehe stand unter keinem guten Stern. Henry versprach sich von dieser Heirat ein schnelleres Emporkommen in der Firma von Dominiks Vater, der einen großen Chemiekonzern sein Eigen nennt. Schon ein halbes Jahr nach der Eheschließung begann Henry seine Frau zu betrügen. Die Ehe wurde geschieden, als Hannah achtundzwanzig Jahre alt war. Ihre Kinder Emil und Leonie waren gerade drei und ein Jahr alt. Oliver half ihr beim Umzug zurück in ihr Elternhaus, wo sie mit den Kindern einen der beiden Seitentrakte bezog, die Eduard Schwarz für seine Kinder an das Hauptgebäude anbauen ließ. Oliver war fasziniert von der jungen Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt und zielstrebig eine Zukunft für sich und die beiden Kinder aufbaute. Doch sie ist die kleine Schwester seines besten Freundes. Also ist sie für ihn tabu. Er verschließt seine Gefühle tief in sich und hält sich von ihr fern. Das ist auch der Grund, warum er in den letzten sieben Jahren Dominiks Einladungen jedes Mal ausschlug. Doch nun verlangt sie nach ihm. Außerdem will er sich den Mann ansehen, den Hannah zu heiraten gedenkt. Dieses Mal wird er den Mund nicht halten, wenn ihm an dem Kerl etwas nicht passt! „Also schön!“, gibt er nach. „Ja, ich komme mit.“

„Super!“ Dominik klopft ihm erfreut auf die Schulter. „Du brauchst nur deinen Koffer packen. Um alles andere kümmere ich mich. Die standesamtliche Trauung ist am dreiundzwanzigsten März, die kirchliche am vierundzwanzigsten. Wir fahren eine Woche vorher. Also am Sechzehnten. Das ist Freitag in zwei Wochen. Direkt nach der Arbeit geht es los. Bis Nürnberg brauchen wir von hier knapp fünf Stunden. Das passt!“

Li-Ming Tián betritt die Filiale des großen Bankhauses, das mitten im Herzen Nürnbergs angesiedelt ist. Ohne sich groß umzuschauen, nimmt sie alles wahr, was hier geschieht. Zu jeder Seite des Eingangsbereichs steht ein Mitarbeiter der für dieses Haus beauftragten Sicherheitsfirma. Sie tragen Uniformen, um durch ihre Präsenz eine direkte Abschreckung auf diverse zwielichtige Besucher auszuüben. Die junge Chinesin weiß, dass die beiden bewaffnet sind, doch das stört sie nicht. Hier hat sie eine einfache Aufgabe zu erfüllen, die keine Waffen oder Kämpfe erfordert.

Die Bankschalter sind gut besucht, sodass sie mit Sicherheit zwanzig Minuten zu warten hätte. Sie wendet sich den Bankangestellten zu, die an den Beratungstischen ihre Arbeit verrichten. Auch hier sind alle Mitarbeiter mit Kunden in Gespräche vertieft. Sie wird sich wohl auf Wartezeit einstellen müssen.

Neben ihr taucht ein junger Mann auf, der sie verzückt anschaut. „Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“ Es ist offensichtlich, dass ihm die etwa gleichaltrige Chinesin mit den hübschen Augen gut gefällt.

„Das wäre wirklich hilfreich“, lächelt Li-Ming und nutzt das Verhalten des Bankangestellten für sich aus. „Ich habe um sechzehn Uhr einen Termin mit Herrn Hackenberg. Können Sie mir sagen, wo ich ihn finden kann?“

„Herrn Hackenberg? Ich glaube, der sitzt in der oberen Etage. Wissen Sie, ich arbeite erst seit Kurzem in dieser Filiale und kenne noch nicht alle Mitarbeiter persönlich. Aber wenn Sie einen Augenblick warten können, frage ich rasch nach. Einverstanden?“

„Ja, natürlich.“

Keine zwei Minuten braucht der junge Mann, um mit der gewünschten Information zu erscheinen. „Kommen Sie, ich begleite Sie hin“, bietet er an. Vor dem Büro des Privatkundenberaters bleibt er stehen und klopft an den Rahmen der offenstehenden Tür. „Herr Hackenberg? Sie haben Besuch“, meldet er seine Begleiterin an.

Augenblicklich erhebt sich Götz, um der Kundin entgegenzugehen. Er streckt der Frau zur Begrüßung die Hand entgegen. „Götz Hackenberg“, stellt er sich vor. Mit einer einladenden Geste weist er ihr den Weg zu seinem Schreibtisch, während sich der junge Bankangestellte zurückzieht.

„Was kann ich denn für Sie tun?“, erkundigt sich Götz. Er betrachte die Chinesin mit Kennerblick. Fünfundzwanzig Jahre, 1,62 Meter groß mit einer anregenden Figur und schulterlangen schwarzen Haaren. Eine dicke dunkellilafarbene Strähne zieht sich von ihrem Scheitel aus über die rechte Seite nach hinten. Ihre asiatischen Züge sind als äußerst attraktiv einzustufen und ihre Augen weisen den typischen Ausdruck chinesischer Herkunft auf. Jetzt sind diese Augen erstaunt auf ihn gerichtet.

„Ich war der Meinung, dass mein Besuch bei Ihnen bereits angekündigt worden sei. Für sechzehn Uhr heute Nachmittag“, antwortet Li-Ming Tián nachdrücklich. „Mein Name ist Suzi Wang.“

„Sie sind Suzi Wang?“ Götz reißt entsetzt die Augen auf. „Das kann nicht sein! Das ist unmöglich!“, stottert er.

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Suzi Wang war bereits hier. Um vierzehn Uhr. Sie hat das Geld abgeholt und das Konto aufgelöst. So wie es vereinbart war. Dann ist sie wieder gegangen.“

„Vereinbart war sechzehn Uhr, nicht vierzehn Uhr“, schimpft Li-Ming. „Wer war diese Frau?“

„Ich habe keine Ahnung. Sie hat sich als Suzi Wang vorgestellt.“ Götz wird auf keinen Fall zugeben, dass er sich nicht persönlich um diese Frau gekümmert hat. Dann wäre er den Job und die damit verbundenen zehn Prozent schnell wieder los.

Wütend starrt die Chinesin den Bankangestellten an. „Das wird ein Nachspiel haben!“, faucht sie erbost, bevor sie in aller Eile den Raum und kurz darauf das Haus verlässt. Noch bevor sie in ihren Wagen, einen Mitsubishi Galant mit einer Leistung von 119 kW, steigt, wählt sie die Rufnummer ihres derzeitigen Befehlshabers.

Die Organisation, die sich darauf spezialisiert hat, Daten jeglicher Art für diejenigen Kunden zu beschaffen, die es sich leisten können, ist weit verzweigt und arbeitet mittlerweile in einem gut funktionierenden Netzkonstrukt.

Wei Cáo ist der Kopf des Düsseldorfer Bezirks. Mit seinen 1,74 Meter überragt der schwarzhaarige schlanke Mann die meisten seiner Landsleute. Die stechenden dunklen Augen lassen den Vierzigjährigen äußerst gefährlich wirken. Der Vizekonsul arbeitet im chinesischen Generalkonsulat in Düsseldorf-Oberkassel, wodurch er die passenden Kontakte besitzt, um den unter seiner Obhut stehenden Studierenden bei der Suche nach Praktikumsplätzen zu helfen. Dass bei Bedarf diese Leute durch Mitarbeiter seiner Organisation ausgetauscht werden, erfährt niemand der Beteiligten. Nur im äußersten Notfall würde seine Untergebene ihn kontaktieren. Daher ist ihm sofort klar, dass etwas nicht in vorhergesehenen Bahnen verläuft. Die Studentin Li-Ming Tián wurde ihm bei Bedarf bereits von seinem Mitstreiter, dem Nürnberger Bezirksleiter, zur Verfügung gestellt, noch bevor er diesen Bereich selbst übernehmen durfte. Seit mehreren Jahren arbeitet die Studentin ohne Beanstandung für ihre Organisation. Li-Ming Tián ist eine der wenigen Mitarbeiterinnen, die dauerhaft in Nürnberg stationiert sind. Ihr Aufgabenbereich besteht vorrangig daraus, schnellstmöglich an die Konten von Wladimir Sacharow oder anderer Kunden zu gelangen.

Die Entscheidung des obersten Kartellbosses, Zahlungen der Kunden über eine andere Stadt abzuwickeln, ist eine sehr gute Strategie, die überaus wertvoll bei der Geheimhaltung ihrer Aktivitäten ist.

„Was ist passiert?“, verhört er seine Untergebene kurz angebunden.

„Wir haben ein Problem!“, behauptet die Chinesin, um ihm im Anschluss zu schildern, was vorgefallen ist.

„Fahr nach Hause. Ich werde diese Angelegenheit klären“, verspricht Wei Cáo. Er legt das Handy auf dem antiken Schreibtisch ab und erhebt sich. Die Hände in den Hosentaschen schaut er aus dem Fenster. ‚Wo liegt der Fehler? Haben wir überhaupt einen Fehler gemacht? Irgendjemand wollte nicht, dass wir das Geld erhalten. Wladimir Sacharow kann das nicht sein. Er weiß, dass er mit der ersten Hälfte der Daten allein nichts anfangen kann. Yuri Beljajew ist mir treu ergeben. Der ehemalige russische Söldner verdient gutes Geld mit seiner Tätigkeit. Er wird einen solchen Schritt nicht wagen. Die Bank ist das Problem. Garantiert! Yuri muss sich sofort darum kümmern.‘

Wei Cáo greift zum Handy. „Wir müssen reden“, versichert er seinem Gesprächspartner knapp. „In einer Stunde. Im Asia auf der Hansaallee.“

Yuri Beljajew erscheint pünktlich in dem 5-Sterne-Restaurant und lässt sich zu Wei Cáo führen, der es sich in einem der Séparées bequem gemacht hat. Auf dessen Aufforderung hin nimmt der Russe ihm gegenüber Platz. Sobald die Bediensteten die beiden Männer allein gelassen haben, beginnt der Befehlshaber mit seiner Berichterstattung. „Li-Ming musste unverrichteter Dinge die Bank verlassen, damit wir nicht auffallen. Was ist da vorgegangen?“, erkundigt er sich abschließend bei dem Russen.

„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Noch nicht! Aber gehen Sie davon aus, dass ich das herauskriege“, verspricht Yuri. „Ich werde mich unverzüglich darum kümmern.“ Ohne ein weiteres Wort erhebt er sich, nickt seinem Boss kurz zu und entfernt sich. Seine Gedanken kreisen um Wladimir Sacharow. Der Mann macht schon viel zu lange Geschäfte mit ihm, um ihn plötzlich zu hintergehen. Er kann sich nicht vorstellen, dass der Chef des Automobilkonzerns es mit ihm aufnehmen will. ‚Dazu ist der Mann einfach nicht ausgeschlafen genug‘, schätzt er. Erst als der Söldner in seinem Wagen sitzt, greift er nach dem Handy. „Es ist schiefgegangen“, teilt er dem Konzernchef als Erstes mit. „Wir haben kein Geld erhalten.“

Wladimir Sacharow gab sich schon nach dem zweiten Klingelzeichen zu erkennen. Er weiß, wem diese Rufnummer gehört. Diese Handys wurden speziell für die Kommunikation zwischen ihnen beiden angeschafft. Doch was Yuri Beljajew ihm gerade mitteilt, reicht aus, um sich perplex in seinem Sessel aufzurichten. „Was? Wieso nicht? Es war alles arrangiert. Das Konto wurde pünktlich eingerichtet. Ich habe mich persönlich um die Kontoeröffnung gekümmert. Alles so, wie Sie es wollten. Der Kontostand wurde von mir um dreizehn Uhr überprüft. Ich habe mich an unsere Abmachung gehalten.“

„Das mag ja sein“, mutmaßt sein Gesprächspartner. „Doch als wir das Geld abholen wollten, gab es kein Konto mehr. Ihr Mann bei der Bank hat unserer Kontaktperson gegenüber behauptet, wir hätten das Geld bereits zwei Stunden zuvor abholen lassen. Dem war aber nicht so.“

„Das liegt nicht in meiner Schuld“, beteuert Wladimir Sacharow. „Ich verlange die restlichen Unterlagen. Ihre Anweisungen sind zu hundert Prozent von mir eingehalten worden. Ich habe keine Ahnung, wer in Ihrem Verein falschspielt.“

„Bei uns spielt niemand falsch“, wütet der Söldner sauer. „Der Fehler liegt bei Ihrem Kontaktmann in der Bank. Sorgen Sie dafür, dass wir unser Geld erhalten, dann bekommen Sie die Daten.“ Er will die Verbindung unterbrechen.

„Warten Sie!“, hält der Unternehmer ihn zurück. „Von hier aus kann ich das nicht so schnell klären. Wenn mein Kontaktmann bei der Bank darin involviert ist, möchte ich das gern wissen. Mir gegenüber wird er bestimmt nichts davon zugeben.“

„Das ist nicht mein Problem!“, meckert Yuri Beljajew. „Sehen Sie zu, dass Sie Ihre Leute im Griff haben, sonst beende ich umgehend unsere Geschäftsbeziehungen.“

„Mein Verbindungsmann wird von mir überaus großzügig für seine Dienste bezahlt. In den letzten sechs Jahren habe ich immer mit der gleichen Person zusammengearbeitet, ohne dass es Ärger gab. Sie waren bisher doch auch zufrieden.“

„Schon möglich. Ja. Aber irgendwer spuckt uns in die Suppe. Denjenigen müssen wir finden. Und zwar schnell.“

Einen Moment lässt Wladimir sich seine Idee durch den Kopf gehen. „Also schön! Was würde es mich kosten, wenn Sie das übernehmen?“

„Sie wollen, dass ich mich um den Mann kümmere?“, staunt Yuri.

„Ich will, dass Sie herausfinden, was genau passiert ist und warum. Finden Sie das Geld. Immerhin gehört es Ihrem Boss. Es sollte in unser aller Interesse liegen, diese Geschichte aufzuklären. Ein solches Missgeschick darf nicht noch einmal passieren.“

„Ich werde Ihnen nicht widersprechen. Was ist, wenn Ihr Mann tatsächlich mit drinsteckt?“

„Dann werden Sie ja wohl wissen, was Sie zu tun haben! Ich wäre bereit, mich das zweihundertfünfzigtausend Euro kosten zu lassen.“

„Das muss ich mit meinem Boss klären. Sie hören von mir!“ Yuri beeilt sich, die jetzt notwendigen Maßnahmen zu starten. Noch am gleichen Abend spricht er ein zweites Mal mit seinem Befehlshaber.

Wei Cáo hört seinem Handlanger wortlos zu, als dieser ihm von seinem Gespräch mit dem Konzernchef berichtet. Lange starrt er einfach nur vor sich hin. ‚Sollen wir uns dieser Probleme annehmen? Sicher, es sind nicht unsere, aber sie könnten ganz schnell zu unseren werden.‘ Er steht auf. Die Hände in den Hosentaschen tritt er ans Fenster.

„Was halten Sie davon?“, erkundigt er sich nach der Meinung seines Mitarbeiters, ohne sich umzudrehen.

Der Russe ist bereits zu einem Entschluss gekommen. Er fungiert zwar nur als Mittelsmann zwischen seinem Boss und den Kunden, aber auch er ist ziemlich tief in diese Machenschaften verwickelt. „Für uns alle steht einiges auf dem Spiel“, beginnt er mit Bedacht. „Haben wir irgendwo eine undichte Stelle, kann das die ganze Organisation zerstören. Bevor wir zum nächsten Auftrag übergehen, sollten wir unsere Schwachstellen bereinigen.“

Wei Cáo schaut ausdruckslos auf seinen Garten. ‚Yuri hat Recht. Wir können es uns nicht leisten, diese Gefahr für unser Unternehmen zu ignorieren. Im schlimmsten Fall landen wir alle im Gefängnis. Nein, noch schlimmer, wir werden nach Hause abgeschoben und landen in den Gefängnissen Chinas. Das muss unbedingt vermieden werden!‘ In Düsseldorf hat er sich etwas aufgebaut. Er arbeitet im chinesischen Generalkonsulat. Er hat Privilegien, die er in seinem Heimatland nie erlangen könnte. Das Zweifamilieneckhaus am Kaiser-Friedrich-Ring liegt nur sieben Fahrtminuten von seiner Arbeitsstelle entfernt. Auch wenn hier ein Grundstück neben dem anderen mit wenig Platz dazwischen angeordnet ist, fühlt er sich hier wohl. In dem wundervoll arrangierten Garten mit seinen hohen Bäumen ist ein blickdichter Bewuchs entstanden, der ihm eine gewisse Privatsphäre bietet. Das alles will er um keinen Preis aufgeben. Kraftvoll wendet er sich zu seinem Handlanger um. „Wir werden uns dieser Sache annehmen. Verschaffen Sie uns so viele Hintergrundinformationen, wie Sie von Sacharow bekommen können. Dann entscheiden wir gemeinsam unser Vorgehen.“

„Gut. Sie hören von mir.“

Wladimir Sacharow erhält von Yuri die positive Rückmeldung mit der Forderung, ihm alle Hintergrundinformationen auszuhändigen, die diesem zur Verfügung stehen.

3

Götz grübelt den ganzen Freitagnachmittag darüber nach, wer die Frau gewesen sein könnte, die sich fälschlicherweise das Geld angeeignet hat. Irgendwoher muss sie davon gewusst haben. Sein Blick fällt auf den leeren Schreibtisch seines Freundes. ‚Ob Kilian etwas damit zu tun hat?‘ Energisch schüttelt er den Kopf. ‚Dafür hätte er erst einmal wissen müssen, worum es überhaupt geht. Außerdem hätte er nie den Schneid, so eine Aktion durchzuführen‘, urteilt er. ‚Wenn er mich nicht belogen hat, dann muss es diese Frau geben. Nur habe ich keine Ahnung, wie ich das herausbekomme. Schließlich kann ich nicht einfach hingehen und nachfragen. Das würde viel zu viel Aufsehen erregen.‘ Er nimmt sich vor, am Montag als Allererstes mit Kilian zu reden.

Alle Informationen, die Wladimir Sacharow über Götz Hackenberg besitzt, gibt er an den Söldner weiter. Umgehend sorgt der Handlanger des Vizekonsuls dafür, dass sein Boss den Bankangestellten dauerhaft überwachen lässt. Von dem Moment an, als Götz Hackenberg die Bank verlässt, folgen ihm auf Schritt und Tritt Männer aus Wei Cáos Organisation.

Bis zum Sonntagabend kennt Yuri Beljajew den gesamten Werdegang seiner Zielperson, weiß, dass er verheiratet ist und sich eine Geliebte hält. Noch am gleichen Abend spricht er mit seinem Boss und seinem Auftraggeber die Einzelheiten seiner Vorgehensweise ab. Zwei Flüge für sich und seinen Begleiter sind schnell gebucht. Die Fluglinie Eurowings startet ihre erste Maschine mit einer Flugzeit von einer Stunde und zehn Minuten auf der gewünschten Reiseroute um zehn Minuten nach sieben Uhr. Li-Ming Tián wird mit einer geliehenen Limousine der Oberklasse inklusive Chauffeur für sie zur passenden Zeit am Flughafen bereitstehen.

Währenddessen hat Götz zwei schlaflose Nächte hinter sich. Immer wieder zermartert er sich sein Hirn. Er findet allerdings keine Antworten auf seine Fragen. Bei dem Gedanken daran, wie sein Auftraggeber darauf reagieren wird, bricht ihm der Schweiß aus. Wenn er nicht schnellstens herausfindet, wer für diese Misere verantwortlich ist, könnte ihn das sein Leben kosten. ‚Ich muss unbedingt wissen, wer diese Frau ist!‘ Äußerst früh erscheint er am Montag in der Bank.

Von dem Wachmann des Sicherheitspersonals wird er am Haupteingang freundlich empfangen. „Herr Hackenberg, Sie sind aber schon zeitig aus dem Bett gefallen“, grüßt er lächelnd. „Gibt es Probleme?“ Paul Anstedt ist der Sicherheitsmann, der am Freitag mit Kilian und Götz in der Kantine zusammentraf.

„Probleme? Nein“, versichert Götz. „Nur viel Arbeit. Wenn ich die bis heute Nachmittag bewältigt kriegen will, muss ich früh anfangen.“ Er will schon weitergehen, dreht sich aber noch einmal dem Mann zu. „Sagen Sie, Paul, Sie waren doch am Freitag zu Ihrem Dienst ebenfalls hier am Haupteingang eingeteilt. Nicht wahr?“

„Ja, richtig. In der Spätschicht. Wieso?“

„Ich hatte da eine Kundin, die ihr Konto aufgelöst hat. Sie bekam dadurch eine größere Geldsumme ausgehändigt. Da ich nicht an meinem Platz war, als sie hier eintraf, hat sich mein Kollege um sie gekümmert. Jetzt muss ich nur noch die letzten Dokumente bearbeiten. Ich konnte meinen Kollegen nicht mehr danach fragen, aber ich gehe davon aus, dass es keine Probleme gab. Wenn doch, hätten Sie das bestimmt mitbekommen. Oder?“

„Ich weiß, was Sie meinen“, nickt der Wachmann. „Ich kann mich auch an die junge Dame erinnern. Äußerst attraktiv, glatte schwarze Haare bis auf die Schultern und exklusiv gekleidet. Herr Hochmuth brachte sie zum Ausgang und verabschiedete sie höflich. Sie hatte einen unserer typischen Geldkoffer dabei. Herr Hochmuth bestätigte mir, dass das seine Richtigkeit hat.“

„Genau“, stimmt Götz schnell zu. „Dann ist alles in Ordnung. Vielen Dank für die Auskunft.“ Er begibt sich in die erste Etage zu seinem Büro. Hinter seinem Schreibtisch sitzend lässt er sich das Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. ‚Diese Frau gibt es also wirklich. Dann hat Kilian mich nicht angelogen. Er weiß absolut nichts! Allerdings muss ich jetzt herauskriegen, wer diese Frau ist und wie sie von dem Konto erfahren hat.‘

Das Telefon unterbricht seine Gedankengänge. Ihm ist sofort klar, wer da anruft, auch wenn keine Nummer auf dem Display erscheint. „Hallo“, meldet er sich. ‚Woher weiß er, dass ich mich schon in der Bank befinde? Werde ich etwa überwacht?‘, grübelt er misstrauisch. Zutrauen würde er das seinem Auftraggeber durchaus.

„Man hat mich über den Misserfolg Ihrerseits informiert“, beschuldigt Wladimir Sacharow den Bankangestellten. „Was haben Sie mir dazu zu sagen?“

Götz beginnt zu schwitzen. Jetzt muss er sich so gut wie möglich verkaufen. „Noch kann ich Ihnen das nicht vollständig erklären. Fakt ist, dass sich eine mir fremde Frau in der Bank eingefunden hat. Um vierzehn Uhr. Ich war leider nicht an meinem Platz. Daraufhin hat ein Kollege die Frau betreut. Sie bat um eine Kontoauflösung und Auszahlung des Geldes. Da ich für die Auszahlung um vier Uhr, also zur vereinbarten Zeit, bereits alles vorbereitet hatte, ergänzte der Kollege lediglich die noch fehlenden Schritte, ohne zu wissen, worum es dabei ging.“

„Sind Sie sicher, dass es sich so zugetragen hat?“, zweifelt der Unternehmer. „Woher sollte eine Außenstehende von diesem Geschäft erfahren haben? Könnte es nicht auch Ihr Kollege selbst gewesen sein?“

„Daran habe ich zuerst auch gedacht. Aber dann habe ich vorsichtig mit dem Wachpersonal gesprochen. Diese Frau gibt es tatsächlich. Mein Kollege kannte die Frau nicht. Sie hat am Freitag mit einem Geldkoffer unser Haus verlassen. Allerdings komme ich, ohne aufzufallen, nicht an die Überwachungsbänder heran, um sie mir einmal anzusehen.“

„Überlassen Sie das mir!“, fordert Wladimir. „Sie erhalten heute noch Besuch“, versichert er. „Tun Sie, was diese Leute von Ihnen verlangen!“

„Ja, natürlich“, verspricht Götz. ‚Was kommt da wohl auf mich zu?‘, fragt er sich beklommen.

Unabhängig von den Vorkommnissen in Nürnberg, beginnt an diesem Morgen auch in Düsseldorf der Arbeitsalltag. Gerd Bach befindet sich seit den frühen Morgenstunden in seinem Büro. Der 1,86 Meter große Mann besitzt eine schlanke sportliche Figur. Die dichten rehbraunen Haare und die glänzenden honigfarbenen Augen runden die gutaussehende und interessante Erscheinung des Projektleiters der Staller Industrie Werke ab. Feine Lachfalten rund um seine Augen zeugen von Humor und verleihen ihm einen ganz eigenen Charme. Der achtundzwanzigjährige Elektronik-Ingenieur gehört seit seinem zehnten Lebensjahr zur Familie von Peter Staller, dem Konzernchef. Die tiefe Freundschaft, die sich zwischen Gerd und Peters Sohn Andreas entwickelte, war für alle etwas Besonderes. Zwischen den beiden jungen Männern herrscht eine Verbundenheit, die bei Brüdern nicht tiefer sein könnte. Peter und seine Frau Karola betrachten Gerd schon lange als ihren Sohn. Auch wenn Gerd im Jugendheim aufgewachsen ist, wurde das Heim der Familie Staller im Lauf der Jahre auch zu seinem Zuhause. In dieser Familie ist er immer willkommen. Hier fühlt er sich geborgen und heimisch. Nach seinem Studium holte Peter den jungen Mann als Projektleiter in sein Team für Sonderaufträge. Mittlerweile übernimmt Gerd, wenn nötig, auch die Stellvertretung des Konzernchefs. Dass Gerd sich für eine Beziehung mit Emma Wolf entschieden hat, wird von allen gutgeheißen. Die Hauptkommissarin wechselte ihm zuliebe von Berlin nach Düsseldorf. Jeder, der die beiden miteinander beobachtet, erkennt die tiefe Zuneigung und das Verständnis füreinander.

Mit seiner Sekretärin Anna Zerlinski geht der Projektleiter die Terminpläne für sein Team durch. Allerdings ist er mit der Einteilung diesmal nicht vollständig zufrieden. Gemeinsam überarbeiten sie die Pläne. Endlich fertig, erhebt sich Anna. „Ich gebe die Änderungen schnell ein, dann schauen wir uns das Ganze noch einmal an. Einverstanden?“

„Natürlich.“

Anna begibt sich ins Vorzimmer an ihren eigenen Schreibtisch. Die 1,70 Meter große Blondine mit den fröhlichen blauen Augen begann ihre Karriere in der Firma Staller gemeinsam mit Gerd. Seit ihrer Studienabschlussfahrt nach Hawaii ist sie mit Gerd Bach und Andreas Staller befreundet. Der Besuch in dem Spielcasino Royal New Casino nahe dem Strand von Waikiki Beach entpuppte sich als Alptraum. Sie landeten in einer Geiselnahme, bei der Anna sich an der Seite der beiden jungen Männer gegen ihre Feinde behaupten musste. Die hübsche Achtundzwanzigjährige hat sich seitdem mehr als einmal hilfreich an die Seite ihrer Freunde gestellt. Mittlerweile ist sie mit Stefan Wolf, Emmas Bruder, liiert. Sie arbeitet nicht nur als Gerds Sekretärin, sondern ist für die Koordination sämtlicher Arbeitsschritte des gesamten Teams verantwortlich. Sie ist es, die den Mitarbeitern bei der Bürokratie den Rücken freihält. Noch während sie an ihrer Aufgabe sitzt, erscheint Dominik im Vorzimmer seines Bosses.

„Guten Morgen, Anna“, begrüßt der Allrounder die junge Frau. Mit dem Finger weist er auf Gerds Büro. „Kann ich zu ihm?“

„Ja, sicher. Geh ruhig hinein.“

Dominik lächelt sie dankbar an, bevor er sich Gerds Büro zuwendet. Doch dann dreht er sich noch einmal um. „Du, Anna, hast du schon die Terminpläne für März ausgearbeitet? Kannst du mir sagen, wie es in der übernächsten Woche arbeitstechnisch aussieht?“

„Ich bin gerade dabei, die Änderungen einzutragen“, erklärt Anna ihm. Sie lächelt ihn wissend an. „Hast du etwa vor, Urlaub zu nehmen? Gerd dürfte davon nicht begeistert sein. Warum ausgerechnet März? Da ist es kalt und nass“, behauptet sie.

„Meine Schwester Hannah heiratet. Am dreiundzwanzigsten März. Ich werde es kaum schaffen, sie zu überreden, die Hochzeit zu verschieben, bis mein Urlaub in unseren Terminplan passt.“

Anna lacht fröhlich auf. „Da hast du sicher Recht. Geh schon einmal zu Gerd. Ich bringe die Pläne gleich.“ Während Dominik sich auf den Weg macht, nimmt Anna die Terminpläne noch einmal in Augenschein. ‚Er wird wohl kaum ohne Oliver fahren‘, überlegt sie und beginnt, die benannte Woche im März zu bereinigen so gut es geht.

„Hallo, Gerd“, begrüßt Dominik auch seinen Boss. „Hast du ein paar Minuten Zeit für mich?“

„Nur, wenn du keine Probleme mitbringst“, stichelt Gerd. „Der Tag hat nämlich sehr friedlich angefangen. Das möchte ich ungern ändern.“

„Versprechen kann ich dir das nicht“, antwortet der Allrounder ehrlich. „Du kennst doch meine Schwester Hannah. Sie heiratet an dem Wochenende vom vierundzwanzigsten März. Freitags ist die standesamtliche, samstags die kirchliche Trauung. Ich würde mir gern die Woche davor Urlaub nehmen. Am Montag darauf bin ich dann wieder da.“

„Ist das nicht schon übernächste Woche? Das sind gerade noch zehn Arbeitstage.“

„Eher neun.“

„Wieso kommst du damit so spät? Das steht doch bestimmt schon länger fest. Oder?“

„Nicht wirklich. Hannah hat uns erst eingeweiht, als sie das Aufgebot bestellt hatten. Die beiden haben uns alle überrascht. Aber ich wollte nicht in unserem laufenden Auftrag zu dir kommen. Den haben wir schließlich erst letzten Donnerstag abgeschlossen.“

„Dafür kann ich mich nur bedanken“, nickt Gerd.

Dominik grinst ihn frech an. „Ich wollte schließlich nicht für deine grauen Haare verantwortlich sein.“

„Überaus witzig“, mault Gerd. „Es ist gut, dass du mich gleich aufgesucht hast.“

„Ich möchte schließlich keinen Ärger heraufbeschwören. Jedenfalls nicht mehr als nötig. Ach, damit wir gleich klarsehen, Oliver muss mich unbedingt begleiten.“

Jetzt reißt Gerd doch die Augen entsetzt auf. „Ihr fallt beide zur gleichen Zeit aus? Muss das sein?“

„Nun ja, es ist meine Schwester, die da heiratet. Sie hat mich für die Vorbereitungen um Hilfe gebeten. Und Oliver“, Dominik kichert vergnügt. „Der Arme hat noch keine Ahnung, was auf ihn zukommt. Hannah möchte ihn als Trauzeugen. Doch das hat ihm noch niemand verraten, also behalte das bitte für dich.“

„Schon klar“, stimmt der Vorgesetzte resignierend zu. Sie werden durch Annas Eintreten unterbrochen. „Lasst uns die Pläne zusammen durchgehen“, bittet Gerd.

„Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, die Termine in der benannten Woche schon einmal zu verschieben, soweit es ging“, berichtet Anna. Nicht einmal eine halbe Stunde später sind sie sich einig.

„Dann kann ich euch beiden nur viel Spaß auf der Hochzeit wünschen“, bemerkt Gerd, ehe er Dominik schadenfroh anlächelt. „Wie ihr das Gemecker der Kollegen hinterher verdaut, ist euer Bier. Im April wird es anschließend ziemlich eng für alle.“

„Das kriegen wir schon hin. Danke, Gerd.“

Der Projektleiter schaut seinem Mitarbeiter versonnen hinterher. „Hoffentlich kommt in der Zeit kein neuer Auftrag hinzu.“

„Hast du Angst, ihr schafft das nicht?“, fragt Anna lächelnd.

„Das können wir wohl nur auf uns zukommen lassen“, antwortet er. „Ich muss sowieso zum Chef, dann kann ich ihn gleich informieren.“

Kaum dass die Bank ihre Türen öffnet, melden sich die drei Besucher bei Götz an. Er ist froh, dass Kilian noch nicht erschienen ist. Die Arbeitszeit seines Freundes beginnt erst in einer halben Stunde. Er erhebt sich von seinem Platz, um die eintretenden Personen ordnungsgemäß zu begrüßen. Die junge Frau kennt er bereits durch ihren Besuch am Freitag. Die Männer hingegen sind ihm gänzlich fremd. ‚In ihren dunkelgrauen Anzügen wirken die beiden Männer eher gefährlich als geschäftig‘, urteilt Götz. ‚Aber vielleicht kommt das ja nur mir so vor.‘

Seine zur Begrüßung ausgestreckte Hand ignorierend stellt sich Wei Cáos Handlanger vor: „Yuri Beljajew.“ Er nimmt sich nicht die Zeit, seine Begleiter mit dem Bankangestellten bekannt zu machen. Li-Ming dürfte er sowieso nur unter dem Tarnnamen Suzi Wang vorstellen und welche Funktion Boris Timofeiew innehat, verschweigt er ganz bewusst. „Ich wurde von Herrn Sacharow beauftragt, mich um die von Ihnen verursachten Defizite zu kümmern. Was können Sie mir darüber berichten?“

„Das ist rasch erklärt“, versichert Götz. „Aber viel habe ich leider noch nicht.“ Er gibt weiter, was er heute Morgen auch schon Wladimir Sacharow geschildert hat. „Die Defizite, wie Sie es vorhin nannten, stammen nicht von mir. Ich habe weder Informationen weitergegeben noch mit irgendjemandem über die Aufgaben gesprochen, die ich für Herrn Sacharow abwickle. Wie diese fremde Frau in die Geschichte hineinpasst, weiß ich nicht. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich sie ausfindig machen soll. Aber ohne dass wir sie finden, werden wir wohl nie erfahren, woher sie von dem Konto wusste.“

„Überlassen Sie das uns“, fordert Yuri Beljajew. Prüfend mustert er den Bankangestellten. Dem Mann steht der Schweiß auf der Stirn und man kann die Angst an seinen Augen ablesen. Das ist in dieser Situation nachvollziehbar. Doch sein Blick ist klar auf seine Besucher gerichtet. Fürs Erste glaubt er Götz Hackenberg. „Ich sage Ihnen, wie wir weiter verfahren werden. Begleiten Sie uns durch die Bank. Geben Sie uns eine Führung. Immerhin bin ich ein Neukunde mit entsprechendem Reichtum, der sich unter anderem für Ihre Sicherheitsvorkehrungen interessiert. Halten Sie sich bei den Gesprächen, die entstehen, diskret, so wie Sie es bei jedem anderen Kunden auch machen würden. Den Rest überlassen Sie uns.“

„Ja, gut“, gibt Götz nach. Er weiß, dass er gar keine andere Wahl hat. Außerdem ist er froh, wenn er so glimpflich davonkommt.

Sie beginnen ihren Rundgang bei seinem Chef, der den potenziellen Neukunden äußerst zuvorkommend begrüßt und seine Einwilligung zu dem Rundgang erteilt. Nirgendwo halten sie sich allzu lange auf. Erst als sie den Überwachungsraum erreichen, in dem die beiden diensthabenden Sicherheitsleute ihre Bildschirme beobachten, nehmen sich Götz’ Begleiter mehr Zeit. An Fragen, wie sie Yuri Beljajew dem Sicherheitspersonal stellt, sind diese bereits gewöhnt. Viele Großkunden wollen wissen, wie die Sicherheit der Bank gewährleistet wird, bevor sie ihr Geld in deren Obhut geben. Höflich beantworten sie die Fragen der Besucher. Li-Ming hält sich im Hintergrund, den Kopf gesenkt beteiligt sie sich nicht an den Gesprächen. Aus den Augenwinkeln beobachtet sie jede Bewegung der beiden Angestellten. Die kleine Ampulle in ihrer Hand bemerkt niemand.

„Wenn Sie in Ihrer Bank wirklich einmal ein Vorkommnis haben, können Sie dann anhand der Kameraüberwachung rückwirkend darauf zugreifen?“, verhört Yuri den vor dem Bildschirm sitzenden Sicherheitsfachmann.

„Selbstverständlich“, bestätigt Heiko Ertel, einer der Angestellten. „Die Daten, die hier aufgezeichnet werden, müssen unter strengsten Vorkehrungen mehrere Tage aufbewahrt werden. Auf die letzten sieben Tage können wir grundsätzlich auch von hier zugreifen.“

„Dann könnten Sie eventuell einen Diebstahl rechtzeitig verhindern? Oder der Polizei nach einem Diebstahl helfen, die Täter zu fassen?“

„Ja, das ist schließlich die Aufgabe einer solchen Überwachung“, beteuert Heiko Ertel. „Ich zeige es Ihnen. Nennen Sie mir einfach ein Datum und eine Uhrzeit aus der letzten Woche.“

„Ich?“, erkundigt sich Yuri scheinbar irritiert. „Ein Datum mit Uhrzeit? Ich weiß nicht?“ Sein Blick wandert fragend zu der jungen Frau an seiner Seite. „Was meinst du?“

„Irgendetwas Ungerades“, empfiehlt Li-Ming. „Sagen wir, Freitag zwischen vierzehn Uhr acht und vierzehn Uhr zweiundzwanzig.“ Sie lächelt den Wachmann herausfordernd an.

„Kein Problem“, versichert Heiko Ertel. Er dreht sich mit seinem Stuhl dem Bildschirm zu. Auch der zweite Sicherheitsfachmann gesellt sich zu ihnen.