Todbringende Obsession - P.R. Mosler - E-Book

Todbringende Obsession E-Book

P R Mosler

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Beschreibung

Eigentlich sollten mit Ausnahme des Laacher Sees die Vulkane in der Eiffel erloschen sein. Woher kommt dann die Gaswolke aus Kohlendioxid, die sich in den unterirdischen Tunneln der Ofenkaulen bildet? Hängt das mit dem Erdbeben vor zwei Tagen zusammen oder gibt es einen anderen Grund dafür? Während Gerd Bach mit seinen Freunden nach der Ursache sucht, muss sich Emma ihrer Vergangenheit stellen, um ihre Berliner Kolleginnen vor Mordanschlägen zu bewahren, die eigentlich ihr gelten sollen. Können Gerd und sein Team die Bevölkerung in der Umgebung vor der extremen Bedrohung durch eine geplante Sabotage bewahren und den dafür Verantwortlichen ausfindig machen? Schafft es Emma, den wahnsinnigen Serienmörder aufzuhalten, bevor er erneut tötet?

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Seitenzahl: 568

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-981-0

ISBN e-book: 978-3-99146-982-7

Lektorat: Mag. Eva Reisinger

Umschlagfotos: Mykhailo Poleno, Sebastian Beier, Jan Kranendonk, Lukas Gojda, Jakob Gojda, Wlad 74, Jose Lledo, Anti Nõmmsalu, Małgorzata Paulina Pakuła | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: siehe Bildquellennachweis

www.novumverlag.com

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alle Namen sind frei erfunden.

Bildquellennachweis:

Bild 1: © Christian Kaschkat | Dreamstime.com,

Bild 2: © Saiko3p | Dreamstime.com,

Bild 3: © Robkna | Dreamstime.com,

Bild 4 & 5:© Christian Mihai Vela | Dreamstime.com, Rudmer Zwerver | Dreamstime.com,

Bild 6: © Isselee | Dreamstime.com,

Bild 7: © Rodolphe Trider | Dreamstime.com,

Bild 8: © Askoldsb | Dreamstime.com,

Bild 9 & 10: © Ulf Nammert, Meunierd, Bigbigeyes | Dreamstime.com,

Bild 11: © Brizmaker | Dreamstime.com

Vorwort

Begierde, die durch unerfüllte Liebe entsteht,

gibt dem Wahnsinn seine Nahrung.

1 Prolog

Mai 2007

„Beeilt euch“, fordert der Justizvollzugsbeamte die heraneilenden Rettungskräfte auf.

Die beiden Sanitäter laufen, gefolgt von dem Notarzt, im Eilschritt an ihm vorbei in die Einzelzelle, deren Tür er den Ankommenden aufhält. Der Arzt wirft nur einen kurzen Blick auf den am Boden liegenden Mann, bei dem zwei weitere Beamte knien. Ihre hilflosen Gesichtsausdrücke zeigen ihm, dass für seinen Patienten bisher keine Hilfestellung geleistet werden konnte.

Als der Notarzt den Platz neben dem Häftling einnimmt, treten die beiden Beamten, die sich bis dahin um ihn bemüht hatten, zurück.

„Der Mann klagte in der letzten Zeit immer wieder über Schmerzen in der Herzgegend“, teilt ihm einer der Aufseher mit. „Er war auch schon mehrfach beim Arzt. Es wurde aber bisher nichts gefunden.“

„Das wird sich nun höchstwahrscheinlich geändert haben“, gibt der Arzt zurück. Er betrachtet während der Untersuchung seinen Patienten. David Blankenfelde ist dreißig Jahre alt, 1,80 Meter groß, mit dichten blonden Haaren und einer sportlichen Figur. Frauen würden ihn sicherlich als gutaussehend und attraktiv bezeichnen. Doch im Augenblick liegt er schwer atmend, in Schweiß gebadet und am ganzen Körper krampfhaft zuckend vor ihm.

Während der Arzt den Zugang für die Infusion legt, horcht er den Vollzugsbeamten weiter aus: „Gab es vorher schon Anzeichen von Beschwerden?“

„Er klagte über Bauchschmerzen, ihm war übel und er hatte keinen Hunger. Sein Abendessen ging unberührt zurück. Seit dem Abend hatte er Kopfschmerzen. Er wollte nur schlafen. Deshalb habe ich mehrfach nach ihm gesehen. Er wurde zunehmend unruhiger. Da habe ich Sie rufen lassen. Etwa fünf Minuten bevor Sie hier eintrafen, kippte er um.“

„Sein Herz rast“, informiert einer der beiden Rettungskräfte den Arzt. „Verminderter Pulsschlag“, gibt er zudem weiter.

„Nimmt er Medikamente ein?“, will der Arzt wissen.

„Nein. Er hat keine verschreibungspflichtigen Medikamente, die wir ihm hätten besorgen müssen. Auch der regelmäßige Drogentest fiel bei ihm jedes Mal negativ aus.“

„Wir müssen ihn mitnehmen. Der Mann gehört in ein Krankenhaus.“

„Ich werde Ihnen schnellstens eine Begleitung und die Genehmigung besorgen“, verspricht der Wärter an der Tür. Er zweifelt nicht daran, dass die Aussage des Notarztes den Tatsachen entspricht. „Ich bin gleich wieder da.“

Die Erstversorgung des Strafgefangenen ist abgeschlossen. Zusammen mit dem zur Begleitung abgestellten Beamten begeben sie sich zu dem wartenden Krankentransporter. Die Ersthelfer schieben die Tragbahre mit dem Patienten in den Transportraum und sichern diese in den dafür vorgesehenen Halterungen. So lange hält der begleitende Vollzugsbeamte die Infusionsflasche hoch, die an den Zugang auf dem Handrücken des Patienten angeschlossen ist. Auf der anderen Seite ist das Handgelenk des Häftlings mit einer Handschelle an die Tragbahre gekettet, um diesem eine eventuelle Flucht zu erschweren. Während Arzt und Wärter sich zu dem Mann gesellen, nehmen die beiden Rettungskräfte auf dem Fahrersitz und dem Beifahrersitz Platz.

„Alles klar?“, erkundigt sich der Fahrer Timo Unger kurzangebunden.

„Ja.“

Mit hoher Geschwindigkeit rast der Transporter durch das Tor in Richtung Landstraße, um die Strecke zum Justizvollzugskrankenhaus schnellstens zurückzulegen. Der Fahrer schaltet, zum Zeichen, dass er mit Sonderrecht fährt, das Blaulicht ein. Die Sirene lässt er aus, da um vierundzwanzig Uhr der Verkehr nur spärlich ausfällt. Sie haben die Hälfte der Strecke hinter sich, als der Fahrer seinen Begleiter auf den Wagen aufmerksam macht, der ihnen bereits seit geraumer Zeit mit gleicher Geschwindigkeit folgt.

„Spinnt der Kerl?“, schnauzt Timo. „Wir sind auf einer kurvenreichen Landstraße mit einhundertzwanzig Stundenkilometern unterwegs und der Kerl will uns überholen?“

„Wahrscheinlich betrunken“, vermutet sein Beifahrer. „Solange er uns fahren lässt, soll das erst einmal nicht unser Problem sein. Wir haben uns um unsere Fracht zu kümmern. Die Kurven hören gleich auf, dann wird es gerade. Lass ihn vorbei! Ich schreibe mir die Nummer auf und melde ihn nachher.“

„Ja, gut.“ Timo achtet darauf, dass er seine Geschwindigkeit unverändert beibehält. So kann der andere Fahrer hoffentlich besser abschätzen, wie er sich zu verhalten hat.

Ohne den Blinker zu setzen, schert der Fahrer des Wagens aus. Als er neben Timos Seitenfenster auftaucht, erkennt er auch den Fahrzeugtyp. Es ist ein Pick-up der Marke Ford Ranger 3,0 Liter. Ein Diesel mit 156 PS. Zwei Personen sitzen darin. Erkennen kann Timo niemanden, da keiner der beiden auf der Beifahrerseite sitzt. Zu weiteren Betrachtungen oder Gedanken über den Wagen und seine Insassen kommt er nicht. Allerdings fallen ihm fast gleichzeitig zwei Dinge auf. Vor ihm auf der Straße befindet sich eine riesengroße dunkle Pfütze und das Fahrzeug neben ihm verringert seine Geschwindigkeit, bis sie beide gleich schnell fahren. Irritiert schaut er aus dem Seitenfenster.

In diesem Augenblick zieht der Fahrer seinen Pick-up mit Schwung gegen die Seite des Rettungswagens. Ganz vorne, an der Spitze des Kotflügels, prallen die Fahrzeuge zusammen.

„Hey!“, schreit Timo empört. Automatisch reißt er das Lenkrad nach rechts und tritt die Bremse hart durch.

„Festhalten“, ruft sein Kollege nach hinten.

Dann rutschen sie durch die dunkle Pfütze, über den Seitenstreifen zwischen die Bäume, die die Landstraße auf dieser Seite säumen. Der Rettungswagen knallt gegen einen der dicken Baumstämme und wird abrupt gestoppt. Beide Rettungskräfte landen mit ihren Köpfen in den aufspringenden Airbags. Benommen verharren sie auf ihren Plätzen.

Der Notarzt legt sich bereits beim ersten Ruf der Kollegen schützend mit dem Oberkörper über den Patienten. Dabei hält er sich an der Tragbahre seitlich fest.

Der Justizvollzugsbeamte, der zur Bewachung mitfährt, sucht schnell einen Platz, an dem er sich ausreichend sichern kann, doch sein Sturz ist nicht zu vermeiden. Die Hände zum Schutz über dem Kopf, bleibt er zusammengekauert liegen, bis das Fahrzeug anhält. Kisten, Taschen, Medikamentenschachteln und Verbandsmaterial fliegen durch den Laderaum, aber Schlimmeres passiert nicht. Weder der Arzt noch der Aufseher und schon gar nicht der Patient ziehen sich Verletzungen zu.

„Geht es Ihnen gut? Sind Sie verletzt?“, erkundigt sich der Arzt bei dem Wachmann, während er sich um den Patienten kümmert.

„Nein, ich bin unversehrt“, erhält er zur Antwort. Der Justizvollzugsbeamte bleibt noch einen Moment liegen, dann beginnt er, sich aus dem Unrat um sich herum zu befreien.

Inzwischen stoppt der Pick-up am Straßenrand. Cynthia Blankenfelde und Phillip Schneider steigen aus. Ohne Hast gehen sie auf den Rettungswagen zu.

Phillip öffnet die Fahrertür. „Sind Sie in Ordnung?“, fragt er.

Timo hebt den Kopf. Auf seiner Stirn hat er eine dicke Platzwunde. Das Blut läuft ihm übers Auge, doch er fühlt sich viel zu groggy, um es mit dem Handrücken wegzuwischen. Sein Kopf dröhnt, wie nach einem Schlag mit einem Hammer. Sauer will er den Mann anschnauzen, aber dazu bekommt er keine Gelegenheit mehr.

Da ihn beide Rettungskräfte ansehen, hat Phillip erreicht, was er wollte. Er hebt die Sprühflasche an und sprüht den beiden Personen vor sich die Flüssigkeit direkt ins Gesicht. Sein eigenes Gesicht schützt er durch sein Taschentuch. Das Xylocain-Pumpspray enthält eine hohe Dosis des Wirkstoffs Lidocain1. Schon nach den ersten Atemzügen sinken die beiden Männer benommen auf die Airbags.

1 Lidocain ist ein Lokalanästhetikum (Betäubungs- und Schmerzmittel)

Derweil öffnet Cynthia die Hecktüren des Krankentransporters. Sie erblickt den Notarzt, der bereits neben seinem Patienten steht und dessen Vitalfunktionen überprüft. Auch der Vollzugsbeamte rappelt sich gerade auf.

„Geht es Ihnen gut?“, erkundigt sich Cynthia.

„Ja“, bestätigt der Wachmann verärgert. „Aber das verdanken wir nicht Ihnen.“ Das hübsche Aussehen der 1,70 Meter großen Frau interessiert ihn kein bisschen.

„Tut mir leid“, erklärt ihm die Frau geknickt. „Ich glaube, mir ist ein Reifen geplatzt.“

„Sie glauben?“

„Ich habe leider keine Ahnung von solchen technischen Dingen. Ob ich weiterfahren darf, weiß ich nicht.“

„Sehen Sie sich das doch einmal an“, bittet der Arzt. „Umso schneller kommen wir hier weg. Ich passe so lange auf unseren Kranken auf.“

Der Justizvollzugsbeamte wirft einen zweifelnden Blick auf den Strafgefangenen, bevor er sich geschlagen gibt. „Na, schön, dann schaue ich auch gleich nach Ihren beiden Helfern.“ Umständlich klettert der Beamte über die auf dem Boden verteilten Utensilien aus dem Transporter. Als er um die Ecke des Fahrzeugs biegt, wird auch er durch Phillips Betäubungsspray aufgehalten.

Cynthia steht schon parat. Sie hat nur auf diesen Moment gewartet. „Oh mein Gott!“, schreit sie möglichst entsetzt auf. Dabei grinst sie Phillip kurz schadenfroh an. Auf dem Absatz wirbelt sie herum und rennt die wenigen Schritte zum Heck des Transporters zurück. „Doktor, kommen Sie schnell! Der Mann, er ist einfach umgekippt.“

Der Notarzt hebt erschrocken den Kopf. „Umgekippt?“

„Ja. Er hat aufgestöhnt und ist umgekippt. Jetzt liegt er da vorn auf dem Boden und rührt sich nicht mehr.“

Es hilft nichts, nun muss er wohl handeln. Mit einem letzten Blick auf seinen Patienten springt er aus dem Fahrzeug. „Wo ist der Mann?“

Statt einer Antwort hält Cynthia ihm die Sprühflasche ins Gesicht. Ein Tuch vor ihre eigene Nase haltend, drückt sie mehrfach kräftig auf den Dosierkopf der Flasche. Benommen sackt der Arzt vor ihr zu Boden.

„Schnell!“, fordert die Fünfundzwanzigjährige ihren Begleiter auf. Sie selbst springt mit einem Satz in den Transporter. Die vorbereitete Injektion, die sie nun aus der Tasche ihrer Jacke zieht, beinhaltet genau die richtige Dosis der Epinephrin-Lösung2. Die gelernte Krankenschwester weiß genau, was notwendig ist, um ihrem Bruder wieder auf die Beine zu helfen. Langsam injiziert sie die Flüssigkeit über den vom Notarzt gelegten Zugang in die Vene des Kranken. Jetzt heißt es, ein paar Minuten zu warten. In dieser Zeit bereiten Phillip und sie vor, was noch zu tun ist. Gemeinsam hieven sie den Arzt und auch den Justizvollzugsbeamten in ihre Sitze.

2 Adrenalin-Lösung

Phillip sucht in den Taschen des Beamten nach dem Schlüssel für die Handschellen. Ehe er aus dem Fahrzeug herausklettert, reicht er diesen an seine Begleiterin weiter. Anschließend besieht er sich die Aufprallstelle des Rettungswagens. Er legt sich unter den Transporter und zieht die Benzinleitung ab, so dass das Benzin herauslaufen kann.

„Fertig“, teilt er Cynthia mit und dreht sich zu ihr um.

„Gut gemacht!“, hört Phillip eine männliche Stimme hinter sich. Beim Umdrehen erkennt er David, der neben seiner Schwester steht und ihn freundlich anlächelt. „Danke, dass du uns hilfst.“ David hat einen Arm um Cynthias Schultern gelegt und wird von ihr gestützt. Noch ist er nicht ganz auf den Beinen. Erst mit der Nachbehandlung durch seine Schwester wird sich seine Gesundheit wieder gänzlich einstellen. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn und es strengt ihn gewaltig an, sich aufrecht zu halten. Aber mit jeder Minute geht es ihm besser.

„Keine Ursache“, behauptet Phillip. Er ergreift die dargebotene Hand. „Bei der Menge Kohle, die deine Schwester mir dafür zahlt, gibt es das Rundumpaket.“

„Das weiß ich zu schätzen.“ David mustert den Mann prüfend. Cynthia hat gute Arbeit geleistet. Phillip hat nicht nur die gleiche Figur, auch die Haarfarbe und Größe stimmen überein. Statt die Hand seines Gegenübers loszulassen, nickt er seiner Schwester zu. Sie reißt die Sprühflasche hoch und betäubt so auch den Freund.

„Hey“, schreit der noch erschrocken auf, dann sinkt er zu Boden.

Cynthia hilft ihrem Bruder dabei, die Kleidung mit dem Bewusstlosen zu tauschen. In einer Halterung an der Rückwand des Transporters ist eine Box mit Einmalhandschuhen befestigt. Sie reicht David ein Paar davon. Auch sie selbst trägt seit geraumer Zeit Handschuhe.

Noch ist er viel zu geschwächt, um ihr zu helfen. Während David darauf achtet, dass die Betäubten weiterschlafen, platziert seine Schwester Phillip auf der Krankenbahre. Die Handschelle schließt sich nun um dessen Handgelenk. Anschließend legt Cynthia ihm den Zugang fachgerecht in die Vene auf dem Handrücken. Durch ihre Ausbildung hat sie kein Problem mit ihrer Aufgabe. Es stört sie auch nicht, dass die Nadel nicht steril ist. ‚Das wird ihn bestimmt nicht umbringen‘, urteilt sie unverfroren. Sie hievt den Notarzt in schützender Position mit dem Oberkörper über Phillip. Genauso hatte der Arzt bei dem Unfall versucht, David zu schützen.

Suchend betrachtet sie das Innere des Transporters. Ihr fallen das EKG-Gerät mit Defibrillator und der Notfallkoffer, die sich beide aus ihren Halterungen gelöst haben, auf. ‚Das passt!‘, freut sie sich. Sie greift nach dem geöffneten Notfallkoffer, zielt auf die passende Stelle am Kopf des Vollzugsbeamten und schlägt kräftig zu. Den Koffer lässt sie anschließend neben dem Mann zu Boden fallen. Das EKG-Gerät landet mit Schwung auf dem Kopf des Arztes. ‚Jetzt ist alles perfekt vorbereitet, damit auch eine gerichtsmedizinische Untersuchung nichts anderes als einen Unfall feststellen kann‘, versichert sie sich. Cynthia steigt aus dem Transporter und schließt die Hecktüren.

Der Motor ist noch heiß genug, um ihrem Vorhaben die Grundlage zu bieten. In rasender Geschwindigkeit arbeitet sich die kleine Flamme über das auslaufende Benzin unter dem Motorraum nach oben. Als die Motorhaube mit einem Knall auffliegt und eine gewaltige Stichflamme hervorschießt, wissen sie, dass sie ihr Ziel erreicht haben.

Zufrieden bleiben die Geschwister in einiger Entfernung stehen, um sich die Ausbreitung des Feuers anzusehen.

Die Hände in den Hosentaschen, schaut David dem Schauspiel fasziniert zu. „Konntest du alles erledigen, was wir vereinbart hatten?“, fragt er seine Schwester, ohne den Blick zu wenden.

„Natürlich. Die dafür notwendigen Arbeiten sind anstandslos über die Bühne gegangen. Meine Freundin ist eine begnadete Computerexpertin. Dein Zahnschema und die Fingerabdrücke in den Dateien mit denen von Phillip auszutauschen war für sie das reinste Kinderspiel. Deine DNA hat sie auch geändert. Ich habe keine Ahnung, was sie da machen musste. Aber sie hat hervorragende Arbeit geleistet. Niemandem ist etwas aufgefallen, sonst hätten die dich schon längst zu einem Abgleich herangezogen.“

„Wann habt ihr das denn durchgezogen?“

„Vor vier Monaten“, Cynthia lächelt. „Immerhin ist meine Freundin anschließend zum Hochseefischen nach Kanada aufgebrochen. Dass sie stattdessen im schönen Stadtteil Stuttgart-Ost den Wald rund um den Fernsehturm am Frauenkopf von unten betrachtet, muss ich ja keinem auf die Nase binden. Oder?“

David lacht fröhlich auf. „Was ist mit dir?“

„Mein Flugticket läuft ebenfalls auf eine Freundin. Daher auch die Perücke. Susanne hat schwarze Haare. Sollte man aus irgendeinem Grund doch nach mir suchen, finden sie nichts Vergleichbares. Ich muss in zwei Tagen zurück nach Stuttgart. Bis dahin bist du wieder vollständig hergestellt. Meine Freundin holt mich am Flughafen ab. Allerdings wird sie am gleichen Abend nach unserem gemeinsamen Aerobic-Kurs einem Verkehrsunfall zum Opfer fallen. Als einzige Zeugin werde ich der Polizei genau erklären, was wir gemacht haben, seit ich sie vom Flughafen abgeholt habe.“

„Gut durchdacht, Schwesterchen.“

„Klar. Ich habe schließlich keine Lust, wegen Mordes im Knast zu landen. Es gibt keine Spuren, die zu uns zurückführen. Wenn ich von deinem furchtbaren Verbrennungstod höre, werde ich die trauernde Schwester spielen. Mehr nicht!“

Erst als sie sicher sind, dass von den Verunglückten keiner dem Feuer entkommen konnte, steigen sie in den Pick-up, um zu verschwinden.

2

„Sie haben Glück, meine Herrschaften, dass Sie es geschafft haben, an einem solchen Seminar teilnehmen zu dürfen. So eine Möglichkeit kriegen wir nur sehr selten. Das Tagungshotel im Siebengebirge ist ideal für mehrtägige Aufenthalte“, macht Professor Frank Klausthal den Studierenden die bevorstehende Reise schmackhaft. „Der Park und die grüne Umgebung sind ideal für konzentriertes Arbeiten.“ Er beginnt zu lächeln, als die vierundzwanzig Studierenden genervt die Augen verdrehen.

Mit seinen vierundsechzig Jahren, dem leichten Übergewicht und seinen grauen Haaren fühlt sich der 1,72 Meter große Universitätsprofessor am Institut für Geologie noch lange nicht zu alt zum Unterrichten. Nur sein beginnender Altersbluthochdruck bremst ihn in seinen Handlungen immer wieder aus. Auch kann er schon lange nicht mehr mit seinen sportlich aktiven Studierenden Schritt halten. Aber das ist auch nicht nötig. Er hat sich durch seine offene Art den Respekt seiner Schüler erobert. Das erkennt er auch daran, dass die jungen Leute alle aufmerksam zuhörend vor ihm sitzen, ohne seine Ausführungen zu unterbrechen.

„Insgesamt werden wir zehn Tage dort verbringen. Das Hotel ist regelmäßig ausgebucht und weist ein hohes Niveau auf. Ich möchte Sie bitten, sich entsprechend zu verhalten. Was wir im Einzelnen dort unternehmen, wird Ihnen Herr Staller erklären.“ Damit winkt er seinem Doktoranden auffordernd zu.

Andreas Staller griff sofort zu, als ihm der Professor vor drei Jahren eine Stelle im Institut für Applied Geophysics and Geothermal Energy (GGE) der Universität in Aachen angeboten hat. Seit dieser Zeit arbeitet er auch an seiner Doktorarbeit. Bis jetzt hat der gutaussehende Achtundzwanzigjährige, mit der Hüfte gegen den Schreibtisch gelehnt, still den Ausführungen seines Mentors zugehört. Mit einer Größe von 1,84 Meter, den schwarzen Haaren und den humorvoll blitzenden grauen Augen ist er für die Studentinnen dieses Jahrgangs durchaus eine Augenweide. Nun übernimmt er die weiteren Ausführungen der anstehenden Exkursion.

„Diese Geo-Exkursion ist etwas Besonderes“, beginnt er. „Wir haben mit Ihnen jede Menge vor. Es gibt insgesamt drei Vorträge zu dem Thema ‚Vulkanismus des Siebengebirges‘. Klar, hauptsächlich sind Sie hier, weil Sie neue Ressourcen entdecken möchten. Aber genauso wichtig ist es, unsere Vergangenheit zu kennen. Das Seminar beinhaltet drei Wandertouren, die wir gemeinsam angehen werden. Zum Einstieg gibt es dann noch ein geführtes GPS-Seminar, das wir zusammen absolvieren. Im Anschluss dürfen Sie dann in kleinen Gruppen allein losziehen. Ich bin gespannt, wie viele von Ihnen wir hinterher suchen dürfen“, ergänzt er herausfordernd.

Auch der Professor lächelt zu Andreas’ Anmerkung. „Das heißt dann für Sie, hundertprozentige Aufmerksamkeit während der Seminare.“ An den übermütig aufblitzenden Augen hat er schon längst erkannt, wie es um die jungen Leute bestellt ist. Sicher, das Seminar verhilft ihnen zu dem notwendigen Wissen für ihr Studium, doch sie alle sind gerade einmal zwischen zweiundzwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt und noch lange nicht trocken hinter den Ohren. Ihm ist bewusst, dass Spaß und Schabernack zu so einer Reise einfach dazugehören.

„Montag nach Pfingsten geht es los. Bis dahin werden wir noch im Einzelnen klären, was für die Reise gebraucht wird, beziehungsweise was Sie noch zu erledigen haben“, verspricht Andreas den Studierenden.

Gerd Bach, Projektleiter eines Teams hervorragender Mitarbeiter der Firma Staller Industrie Werke GmbH, kehrt gerade aus der Chefetage in sein Büro zurück, als ihm Uwe Meyer, der Sicherheitsbeauftragte der Firma, über den Weg läuft.

„Gerd, warte bitte“, stoppt der Kollege ihn. Während er auf Gerd zugeht, betrachtet er seinen Boss. Peter Staller, der Konzernchef, holte Gerd mit einem einmaligen Angebot in die Firma. Mittlerweile ist der Achtundzwanzigjährige studierte Elektroingenieur dessen Stellvertreter, also der zweite Mann im Werk. Mit seiner humorvollen und kameradschaftlichen Art hat sich der Leiter für Sonderprojekte nicht nur den Respekt, sondern auch die Freundschaft der Teamkollegen errungen. Andreas Staller, der Sohn des Konzernchefs, und Gerd sind seit ihrem elften Lebensjahr befreundet. Seit dieser Zeit geht er auch bei der Familie Staller ein und aus. Sie ist zu seiner Familie geworden. Seine durchtrainierte, sportliche Figur, eine Größe von 1,86 Meter, die braunen Haare und Augen in der Farbe glänzenden Honigs lassen so manch ein Frauenherz höherschlagen. Uwe weiß, dass Gerd früher nicht abgeneigt war, sich der einen oder anderen Schwärmerei hinzugeben. Doch das änderte sich gänzlich, als er Emma kennenlernte. Mittlerweile ist er fest mit ihr liiert. Uwe ist überzeugt, dass es keine bessere Frau für seinen Freund geben kann als Hauptkommissarin Emma Wolf vom Landeskriminalamt. „Hast du vielleicht ein paar Minuten Zeit für mich?“, erkundigt er sich bei seinem Boss.

„Klar, komm mit in mein Büro“, fordert Gerd den Freund auf.

Der siebenunddreißigjährige Uwe Meyer ist der leitende Mann für Werks- und Personenschutz in und um die Firma Staller. In sein Aufgabengebiet fällt unter anderem die Sicherheit während der Außeneinsätze für das vierzehnköpfige Team rund um seinen Boss Gerd Bach. Als Pilot hält er ihnen möglichst den Rücken frei und sorgt für die Beschaffung notwendigen Equipments. Der 1,85 Meter große muskulöse Mann mit dem braunen Kurzhaarschnitt und den blaugrauen Augen absolvierte eine militärische Laufbahn, bevor er sich von dem Konzernchef Peter Staller anwerben ließ. Keiner seiner Freunde könnte sich den humorvollen Mann ohne seinen Dreitagebart vorstellen, auch wenn ihm das ein etwas ungehobeltes Aussehen verleiht.

In dem Zimmer, das vor Gerds Büro anberaumt ist, treffen sie auf Anna Zerlinski.

Die achtundzwanzigjährige Sekretärin hat ihre Arbeit in dieser Firma zusammen mit Gerd begonnen. Seit ihrer gemeinsamen Studienzeit sind Gerd und sein Freund Andreas Staller mit der hübschen 1,70 Meter großen Blondine mit den blauen Augen befreundet. Ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben zu nehmen, hat sie den beiden schon oft in gefährlichen Situationen zur Seite gestanden. Zu ihrem Aufgabenbereich gehören die Koordination seiner Arbeitsschritte und die seines gesamten Teams. Die hervorragende Leistung, die sie dabei an den Tag legt, entlastet die gesamte Mannschaft. Zur gleichen Zeit, als Gerd Emma kennenlernte, verliebte sich Anna in Emmas Bruder Stefan Wolf. Auch hier hat sich eine dauerhafte Beziehung entwickelt, die von ihren Freunden nur gutgeheißen werden kann. Sie lächelt ihrem Boss entgegen. „Ich habe die Terminpläne für das zweite Quartal fertig überarbeitet. Die Pläne für den dritten Jahresabschnitt habe ich auch vorbereitet“, teilt sie ihm mit, nachdem sie auch Uwe begrüßt hat. „Wir können sie jederzeit zusammen durchgehen.“ Damit drückt sie Gerd einen Stapel Papiere in die Hand.

„Das machen wir gleich“, verspricht Gerd. „Sobald ich mit Uwe gesprochen habe.“

„Dauert bestimmt nicht lange“, versichert der Freund.

„Also, was hast du auf dem Herzen?“, wird Uwe von seinem Boss verhört, nachdem sie an Gerds Schreibtisch Platz genommen haben.

„Du weißt doch, dass Dominik und ich regelmäßig unsere Fluglizenzen erneuern lassen müssen. Nur, die vorgeschriebenen Flugstunden reichen bei uns nicht aus. Wir müssen die regelmäßigen Kontrollen der zuständigen Behörden durchlaufen, um die notwendigen Genehmigungen zu erhalten.“

„Klar, das ist mir bekannt.“

„Spätestens im Juli sind wir da wieder fällig.“

„Im Juli?“ Erschrocken starrt Gerd den Piloten an. „Anfang des Monats fangen wir mit dem neuen Großprojekt an. Genau da fallt ihr beide aus?“

„Theoretisch ja. Aber damit es nicht so weit kommt, hast du ja mich“, behauptet Uwe arrogant.

Gerd muss über das Eigenlob des Piloten lachen. „Da bin ich jetzt aber gespannt.“

Uwe drückt seinem Boss die Kopien in die Hand, die er die ganze Zeit bei sich hatte. „Circa zweimal im Jahr gibt es vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ein bundesweit einheitliches Seminar für die künftigen Hubschrauberärztinnen und -ärzte. Eine Einweisung für Ärzte auf Zivilschutz-Hubschraubern.“

„Was willst du denn mit einem solchen Seminar?“, erkundigt sich Gerd erstaunt. „Versuchst du dich jetzt in der Flugrettung?“

„Das nicht, aber der Kurs bietet viel mehr, als wir sonst machen. Und er wird vollständig anerkannt. Damit bekommen wir auch unsere Lizenzen genehmigt. Die haben dort geschulte Lehrkräfte, die über langjährige Erfahrung verfügen. Dabei geht es nicht nur um die medizinische Ausstattung und Versorgung, sondern es stehen auch Wetterkunde, Technik und Handhabung auf dem Unterrichtsplan. Aktive Piloten der Bundespolizei geben dabei ihre Erfahrungen weiter und fungieren als Lehrkräfte.“

„Das hört sich wirklich interessant an. Wie bist du auf diesen Kurs aufmerksam geworden?“

„Durch einen Freund. Tilman Wehr hat die Flugausbildung mit mir zusammen absolviert. Irgendwann ging er dann als Fluglehrer zur Hubschrauberstaffel der Bundespolizei. Wir haben uns vor kurzem in einer Kneipe in der Altstadt getroffen. An dem Abend haben wir darüber gesprochen. Jetzt hat er mir die Unterlagen zugeschickt. Es ist ein außer der Reihe stattfindender Sonderkurs, da sie reichlich Anfragen für eine Auffrischung bekamen. Bei der Menge an Interessierten nehmen sie nur diejenigen in den Kurs auf, die grundsätzlich mit dieser Arbeit zu tun haben. Ich dachte, wir können das damit begründen, dass wir zukünftig unsere eigene medizinische Versorgung bei den Sonderprojekten einrichten wollen.“

Sein Boss nickt ihm zu. „Die Idee ist nicht schlecht. Unabhängig von dem Kurs. Das sollten wir einmal zur Diskussion stellen. Die Unfälle auf den Baustellen haben sich bei unseren Leuten zwar in Grenzen gehalten, doch es kam immer wieder einmal vor, dass wir Schwierigkeiten hatten.“

„Daran dachte ich auch. Der Kurs muss allerdings privat finanziert werden und ist nicht gerade ein Schnäppchen. Ich würde ihn wirklich gern mitmachen. Außerdem beginnt er schon am vierten Juni. Dauer vier Tage.“

Gerd hebt interessiert den Kopf. „Der wäre noch vor unserem neuen Auftrag beendet“, stellt er fest. Er wirft einen Blick auf die Summe, die sich in dicken Zahlen auf der letzten Seite des Anmeldeformulars präsentiert. ‚Ein stolzer Preis‘, stellt er fest. Da braucht er sicher eine Menge Überredungskunst. Nachdenklich mustert er den Piloten. „Sag einmal, wie viele Teilnehmer kannst du da anmelden?“

Die Frage lässt Uwe breit grinsen. „Ich dachte an drei. Du willst doch sicher deine Lizenz nicht verfallen lassen. Oder schwebt dir vielleicht etwas anderes vor?“

„Drei ist gut“, stimmt Gerd vergnügt zu. „Ich lasse mir das vom Chef absegnen und du kümmerst dich um die Anmeldung!“

„Geht klar.“ Zufrieden verschwindet Uwe, um seine Aufgabe in Angriff zu nehmen.

Martin Wagenknecht, Personalchef für die Flugrettungsstaffel, die der Duisburger Unfallklinik angegliedert ist, betritt das kleine Büro der Notärztin Sascha Meyer. Die vierunddreißigjährige Blondine hat sich zum wiederholten Male für den zusätzlichen Dienst als Hubschrauberärztin beworben. Bisher wurde ihr dies durch ihren Chef immer verweigert. Für die 1,76 Meter große gutaussehende Ärztin ist das unbegreiflich.

„Sascha“, beginnt Martin schon beim Eintreten. Er hält die Papiere in seiner Hand hoch. „Du hast um die Teilnahme an diesem Sonderkurs gebeten. Was versprichst du dir davon?“

Es stört Sascha ungemein, dass er sie einfach so duzt. Sie hat dem nie zugestimmt und ihn sicherlich nicht dazu ermutigt. Der Zweiundfünfzigjährige ist absolut nicht ihr Typ. Nicht nur, dass er über achtzehn Jahre älter ist, wirkt der 1,70 Meter große Mann mit den schmierigen hellen Haaren und der beginnenden Glatze auf sie arrogant und von sich eingenommen.

„Können Sie sich das nicht denken? Sie haben mir gesagt, dass ich ohne diese Ausbildung nicht auf den Rettungshubschraubern eingesetzt werden kann. Aber einen Platz für mich bei den regulären Kursen haben Sie immer abgelehnt.“

„Sicher. Ich bekomme nur ein gewisses Budget dafür. Also muss ich die aktiven Crews vorziehen.“

„Ja, aber die haben für dieses Jahr alle ihren Kurs absolviert. Dass ich auf diesen Sonderkurs gestoßen bin, ist reiner Zufall. Er findet außer der Reihe statt und bietet sich daher für mich doch sehr gut an. Zur Not zahle ich ihn selbst“, bietet sie an. „Nur, ohne offizielle Anmeldung über Ihren Schreibtisch kann ich nicht daran teilnehmen.“

Nachdenklich schaut Martin ihr in die Augen. Dann gibt er anscheinend nach. „Also schön. Ich sage dir, was wir machen. Ich melde dich an. Zudem werde ich mich als Gasthörer eintragen. Dann kann ich ein Auge auf dich haben. Wenn alles so abläuft, wie ich mir das vorstelle, sprechen wir hinterher über deine zukünftigen Einsätze.“

Saschas wundervolle dunkelblaue Augen strahlen erfreut auf. Der Kurs ist bestimmt nicht einfach, aber sie ist bereit, sich voll dieser Aufgabe zu widmen. „Danke. Ich verspreche, dass ich mich ganz besonders anstrengen werde. Ich schaffe das!“ Energiegeladen wirft sie ihren langen geflochtenen Zopf über die Schulter nach hinten. Auf die Chance, ihr Können zu beweisen, hat sie allzu lange warten müssen.

Martin spürt das Verlangen nach dieser Frau in sich aufkeimen. Bisher hat sie sich ihm immer wieder entzogen. Selbst seine vorsichtigen Bemerkungen, dass sie ihm nur etwas entgegenkommen muss, um ihren Dienst auf den Rettungshubschraubern tun zu dürfen, ließen sie nicht reagieren. Doch jetzt wird das anders. Immerhin hat sie ihm das ja gerade versprochen. Nun freut auch er sich auf die vier Tage bei diesem Seminar. Das Doppelzimmer dafür wird er gern aus eigener Tasche bestreiten. ‚Vorsichtshalber!‘, empfiehlt er sich. ‚So kommt das hier gar nicht erst zur Sprache.‘

Zur gleichen Zeit in Berlin stellt Konrad Schrader, der stellvertretende Leiter der Abteilung Sechs im Bundeskanzleramt, das schnurlose Telefon zurück in seine Basisstation. Was er gerade zu hören bekam, lässt den Dreiundvierzigjährigen nachdenklich vor sich hinstarren. Der 1,80 Meter große Mann mit den dunkelbraunen Haaren ist durchtrainiert und intelligent. Dass seine Arbeit nicht immer leicht ist, beweisen die grauen Haare an seinen Schläfen. In Gedanken geht er das gerade geführte Gespräch noch einmal durch.

„Wir haben in der Akte von David Blankenfelde einen Eintrag gefunden, dass Sie im Falle einer Veränderung zu informieren sind“, teilte ihm der Kriminalbeamte von der Bundespolizei mit.

„Das ist richtig“, pflichtete Konrad dem Mann bei.

„Darf ich fragen, warum das so ist? Was hat der Bundesnachrichtendienst, beziehungsweise was haben Sie mit diesem Mann zu tun?“

„Ich kenne ihn. Oder vielmehr glaubte ich, ihn zu kennen. Ich habe bei seiner Verhandlung ausgesagt. Er war circa ein halbes Jahr lang mit der Patentochter meiner Frau liiert, hat ihr allerdings schwer zugesetzt. Durch sie wurden sein brutales Wesen und die angeknackste Psyche erst aufgedeckt.“

„Sie war also eine der Frauen, die dieser Mann misshandelt hat?“

„Sie hat ihn ins Gefängnis gebracht!“

„Laut unserer Akte war das Hauptkommissarin Emma Wolf vom Bundeskriminalamt.“

„Ganz recht. David Blankenfelde hat ihr damals massiv gedroht. Ich möchte nur ungern, dass eine unserer besten Beamtinnen in Bedrängnis gerät.“

„Damit brauchen Sie jetzt nicht mehr zu rechnen“, versprach ihm sein Gesprächspartner.

„Wieso? Was ist vorgefallen?“

Erstaunt hörte sich Konrad die Schilderung des Unfallhergangs an. „Und es gibt keinen Zweifel? Der Mann wurde einwandfrei identifiziert?“

„Ja. Die nur noch spärlich vorhandenen Fingerabdrücke und das Zahnschema wurden verglichen. Sie stimmen zu 99,7 Prozent überein. Die DNA passt mit den im Zentralrechner gespeicherten Daten zu 100 Prozent überein.“

„Das ist mehr, als man nach einem solchen Unfall erwarten dürfte.“

„Ja, richtig.“

„Was geschieht jetzt mit dem Mann?“

„Seine Schwester kommt aus Stuttgart hierher, um ihn beizusetzen, sobald die Leiche freigegeben wird. So lange bleibt der Tote in der Verwahrung der Gerichtsmedizin. Das kann sich noch bis zu zwei Wochen hinziehen, teilte mir der Pathologe mit. Die arbeiten da gerade an einem anderen Fall, der Priorität hat.“

„Ich verstehe. Haben Sie vielen Dank, dass Sie mich so schnell informiert haben.“

„Keine Ursache.“

‚Dass dieser Mann Emma nicht mehr schaden kann, ist gar nicht so schlecht‘, urteilt Konrad. ‚Sicher, so sollte ich nicht denken‘, mahnt er sich selbst. Doch David Blankenfelde hat der Patentochter seiner Frau Brigitte schwer geschadet. Und nicht nur ihr! Der Mann neigte zu Gewalt. Seine Freundinnen wurden von ihm systematisch und regelmäßig verprügelt. Als er dann an Emma geriet, landete er bei der Falschen. Von Anfang an ließ sie sich seine dominante Art nicht gefallen. Sie ging zur Gegenwehr über und stoppte den Kerl. Er bekam zwölf Jahre aufgebrummt. Fünf davon hatte er bis jetzt abgesessen. ‚Der Rest erledigt sich nun wohl‘, schätzt er. ‚Der Mann ist tot. Wieso habe ich so ein ungutes Gefühl? Kann es sein, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht?‘ Seine Gedanken werden durch seinen eintretenden Chef unterbrochen.

„Was ist mit dir?“ Wolfgang Keller erkennt sofort, dass Konrad etwas Bedeutendes beschäftigt. Da er seit langem mit seinem Stellvertreter befreundet ist, schiebt er sein eigenes Anliegen nach hinten. ‚Hier gibt es anscheinend Wichtigeres zu klären‘, vermutet er. Aufmerksam hört er sich an, was der Freund ihm zu sagen hat.

Als Leiter der Abteilung Sechs innerhalb des Bundeskanzleramtes unterstehen dem Ministerialdirektor die drei deutschen Nachrichtendienste sowie die Elite-Einheiten der Spezialeinsatzkommandos, der Personenschutz und die offene Aufklärung. In seiner Funktion als Geheimdienstkoordinator war auch Emma Wolf bis vor knapp einem Jahr für den achtundvierzigjährigen Staatsbeamten tätig. Wolfgang Keller ist 1,80 Meter groß, mit dichten dunkelbraunen Haaren und einer sportlichen Figur. Seine braunen Augen lassen einen wachen, intelligenten Eindruck erkennen. Durch ihre Akte ist auch er über den Vorfall mit David Blankenfelde informiert. ‚Ob Konrad Recht hat?‘, fragt er sich. ‚Stimmt da vielleicht etwas nicht?‘ Das wird er garantiert nicht dem Zufall überlassen. Er ist seiner ehemaligen Agentin noch eine ganze Menge schuldig. Immerhin verdankt er dieser Frau sein Leben. Seine Gedanken schweifen ab zu den Vorfällen, die ihm zwei Kugeln einbrachten, ihn aber nicht töteten. Doch seine Gegner gaben nicht auf. Dass er die folgenden Attentate überlebt hat, verdankt er einzig Emma Wolf und ihrer Unterstützung durch die Mitglieder des Staller-Projektteams. „Ich besorge uns die Akte“, verspricht er dem zufrieden nickenden Konrad.

Noch am gleichen Tag erhält der Ministerialdirektor die erbetenen Unterlagen. Lange sehen sich die beiden Männer die Einzelheiten an, begutachten die Fotos, lesen die Berichte und Untersuchungsergebnisse der Gerichtsmedizin und der kriminaltechnischen Abteilung. Doch sie finden keine Auffälligkeiten.

„Das einzige Auffällige bei der ganzen Geschichte ist, dass sich genau dort, wo der Rettungswagen bremsen musste, diese Öllache auf der Fahrbahn befand“, stellt Konrad fest.

„Ja. Anscheinend ist der Wagen dort ins Rutschen geraten, so dass nur der Baum seine Fahrt stoppen konnte. Nichts weist auf das Eingreifen Dritter hin. Es gab auch keine Anzeichen für eine Brandstiftung. Selbstentzündung durch austretendes Benzin an dem heißen Motor. Auch die Verletzungen der Toten weisen nicht auf Fremdeinwirkung hin. Außerdem wurden alle zweifelsfrei identifiziert.“

„Du hast Recht“, pflichtet ihm Konrad bei. Dann hebt er den Kopf und schaut seinen Freund bettelnd an. „Ich muss es Emma sagen. Stefan auch. Aber nicht am Telefon. Wolfgang, ich muss nach Düsseldorf.“

„Warum stehst du denn dann noch hier herum?“, erkundigt sich der Freund ernst.

„Danke.“ Er greift nach seinem Telefon, bucht den nächsten Flug und meldet sich für einen Besuch bei Gerd Bach und Emma Wolf an.

Am späten Nachmittag startet der Airbus A319 von Eurowings,um nach einer Stunde und fünfzehn Minuten in Düsseldorf zu landen. Pünktlich findet sich Konrad bei Emma und Gerd ein. Bei der herzlichen Begrüßung muss er daran denken, wie die beiden vor rund einem Jahr aufeinandertrafen.

Mit neunzehn begann Emma Wolf ihre Laufbahn mit dem dualen Studium im Kriminalvollzugsdienst parallel zu ihrer Arbeit beim Bundeskriminalamt. Schon fünf Jahre später schied sie mit dem Rang einer Kriminalhauptkommissarin aus dem Dienst aus, um in Berlin unter ihrem Vater Richard Wolf als Beauftragte des Bundesnachrichtendienstes tätig zu werden. Erst nach dessen gewaltsamem Tod übernahm Wolfgang Keller das Amt des Geheimdienstkoordinators. Um den von einer brutalen Gruppe Neonazis entführten Peter Staller zu befreien, musste Emma mit Gerd zusammenarbeiten. Die für den Geheimdienst tätige Agentin entschied sich nach der Befreiung des Konzernchefs für eine gemeinsame Zukunft mit Gerd und wechselte zum Landeskriminalamt nach Düsseldorf. Schlanke 1,79 Meter groß, strahlend grünbraune Augen, feine ebenmäßige Gesichtszüge mit hohen Wangenknochen und ein voller sinnlicher Mund bilden eine ausnehmend gute Erscheinung. Die heute Siebenundzwanzigjährige besitzt eine lange Mähne aus tief burgunderroten Haaren, gemischt mit einem kräftigen Rotton und dem Hauch dunklen Mahagonis.

Noch bevor sie es sich in dem geräumigen Wohnzimmer gemütlich machen können, erscheinen Stefan und Anna.

„Ich habe mir erlaubt, Stefan mitzuteilen, dass ich heute hierherkomme“, gesteht Konrad.

Auch wenn Emma sich freut, den Patenonkel ihres Bruders zu sehen, ist ihr doch klar, dass er ohne triftigen Grund nicht einfach so erscheinen würde. Ihren Bruder ohne Vorankündigung zu ihnen zu bitten, zeugt davon, dass er ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen hat. Deshalb spricht sie ihn nach der Begrüßung recht schnell darauf an.

Konrad lächelt. „Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich einfach nur sehen möchte, wie du dich in Düsseldorf eingelebt hast?“

Als Emma ihn nur provozierend anschaut, fangen Stefan und Gerd gleichzeitig an zu lachen.

„Erwischt“, behauptet Stefan vergnügt. Der neunundzwanzigjährige Elite-Polizist absolviert seinen Polizeidienst in einer Einheit der Düsseldorfer Spezialeinsatzkommandos. Der 1,82 Meter große durchtrainierte Einzelkämpfer mit den kurzen rotblonden Haaren und den übermütig blitzenden grünen Augen wechselte kurz vor Emma von Berlin nach Düsseldorf. Die Entscheidung fiel ihm nicht schwer, nachdem er Anna Zerlinski kennengelernt hatte.

„Also schön“, gibt sich Konrad geschlagen. „Ich bin wegen David hier.“

„Was ist mit ihm?“ In Emma keimen sofort unliebsame Erinnerungen an den Mann auf, von dem sie einmal dachte, dass sie ihn lieben würde. Und er sie. Nur Stefan traute ihm nicht. Sie war der festen Überzeugung, ihr Bruder wäre einfach nur eifersüchtig. Ein halbes Jahr waren David und sie das glücklichste Paar auf der ganzen Welt. Zumindest glaubte sie daran. Bis er zum ersten Mal zuschlug. Schnell begriff sie, dass David Blankenfelde ein massives Problem hat. Er suchte geradezu den Kontakt zu selbstbewussten Frauen, denen er beweisen musste, dass sie ihm nicht das Wasser reichen können. Doch sie ließ sich nichts gefallen, setzte sich zur Wehr. Damit forderte sie seine Wut regelrecht heraus. Emma bewies ihm, dass eine Polizistin in der Lage ist, eine solche Situation für sich zu entscheiden. David musste bei Weitem mehr einstecken, als er austeilen konnte. Im Anschluss ließ sie ihn von ihren Kollegen verhaften. Noch vor der anberaumten Gerichtsverhandlung meldeten sich weitere Frauen, die gegen diesen Mann aussagten, wodurch er zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Lange litt Emma unter dem Erlebten. Erst Gerd schaffte es, die Mauer von Unnahbarkeit, die sie um sich herum aufgebaut hatte, zu durchbrechen.

„Er ist tot“, teilt Konrad ihr mit.

„Tot?“, staunt Stefan. „Der saß doch in der JVA. Was ist passiert?“

Konrad schildert so ausführlich wie möglich, was sich an dem Abend in der Justizvollzugsanstalt und auch auf dem anschließenden Weg ins Justizvollzugskrankenhaus ereignet hat.

„Was ergab deine Überprüfung?“, hakt Emma nach. Sie weiß auch ohne extra nachzufragen, dass Konrad jede Kleinigkeit unter die Lupe genommen hat. Seine Antwort bestätigt ihre Vermutung.

„Nichts. Absolut nichts. Es stimmt alles überein, bis hin zum Zahnschema.“

„Was ist mit den anderen Personen, die verunglückt sind?“

„Es passt alles zusammen. Selbst die Flugbahn des EKG-Geräts, das, aus seiner Verankerung herausgerissen, den Notarzt am Kopf getroffen hat, entspricht den Berechnungen der kriminaltechnischen Abteilung.“

Emma starrt ihn an. Ihre Nackenhaare sträuben sich. Irgendetwas an der Geschichte stört sie. ‚Aber was?‘ Ihr fällt nichts dazu ein.

„Was beschäftigt dich?“ Gerd ist nicht entgangen, dass seine Freundin Zweifel hat.

„Keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, wir übersehen etwas. Ich komme aber nicht darauf, was es sein könnte.“

„Mir ging es genauso“, bestätigt Konrad ihr. „Wolfgang und ich sind sämtliche Unterlagen bis ins Kleinste durchgegangen. Wir haben nichts gefunden.“

„Könnte es sein, dass du nur aufgewühlt bist?“, erkundigt sich Stefan vorsichtig. „Immerhin warst du eine der Beteiligten.“

„Möglich“, gibt Emma zu.

„Auf jeden Fall kann er keinen Schaden mehr anrichten“, behauptet Konrad abschließend.

Versonnen starrt Emma vor sich hin, ohne ihm zuzustimmen.

3

Mitten im Sommersemester anberaumt, ist es die erste Exkursion für diesen Master-Studiengang. Ende Juli, also in sieben Wochen endet für die Studierenden das zweite Semester. Andreas bemerkt die Aufregung, die sich in den Gesichtern der jungen Leute spiegelt. Nervös und voller Erwartungen steigen sie aus dem Bus. Er kann sich gut daran erinnern, dass er vor ein paar Jahren das Gleiche durchgemacht hat.

Für den erfahrenen Professor Frank Klausthal ist es keine Schwierigkeit, die Studierenden auf die Zimmer in der vorbestellten Unterbringung zu verteilen.

‚Das schafft niemand so gut wie Professor Klausthal‘, bewertet Andreas lächelnd.

Als Begleitpersonen haben sich ihnen Frau Doktor Ute Harras und Professorin Rania Nayak-Lotze angeschlossen.

Schon im letzten Jahr lernte Andreas bei einer Exkursion in die Wälder des Oberpfälzer Landkreises Cham die überaus toughe achtundvierzigjährige Doktorin kennen. Obwohl sie gesundheitlich mit Einschränkungen zu kämpfen hat, bewies die rundliche, 1,69 Meter große Blondine, was in ihr steckt. Nicht nur Humor, Witz und Toleranz zeichnen diese Frau aus, sondern auch Intelligenz, Mut und Entschlossenheit. Ihre blauen Augen blitzen vergnügt hinter der für sie typischen extravaganten Brille. Andreas bewundert diese Frau für ihre Wesensart.

Die indische Geologin Rania Nayak-Lotze kam nach ihrer Heirat mit Professor Rainer Lotze an die Universität in Aachen. Die mittlerweile einundfünfzigjährige Professorin ist mit ihren langen schwarzen Haaren überaus hübsch.

Noch am Anreisetag erhalten die Studierenden in einer ersten Schulung einen Einblick in dieses Seminar. Auch der Terminplan wird ihnen nahegebracht.

Der Tagungsleiter Hartmut Beiersdorff eröffnet den Zuhörenden den weiteren Ablauf. „Nachdem Sie heute so viel gesessen haben, sehnen Sie sich bestimmt nach Bewegung“, vermutet er lächelnd. „Bei der morgigen Wandertour, die wir für Sie vorgesehen haben, werde ich Sie persönlich begleiten. Ich verspreche Ihnen, dass Sie so einiges an Neuem kennenlernen. Wir haben heute seit langem den ersten regenfreien Tag, so dass Sie die Tour trocken überstehen dürften. Doch schlammige Wege wird es reichlich geben. Deshalb möchte ich Sie alle bitten, darauf zu achten, dass Sie geeignetes Schuhwerk tragen. Feste Wanderschuhe wären bei dieser Tour genau das Richtige, denke ich. Sind Sie alle damit ausgestattet?“

Die dank Andreas bestens vorbereiteten jungen Leute nicken dem Mann eifrig zu.

„Hervorragend“, strahlt Hartmut. „Die Wanderung beginnt vor der Haustür des Tagungshotels, führt am Kloster Heisterbach vorbei und bietet schöne Blicke zum Ölberg und nach Siegburg. Die alten Steinbrüche, Schluchten und Felsformationen, die uns auf dem Weg begegnen werden, sind für Sie als Geologen sicher von Interesse. Außerdem liegen viele Aussichtspunkte und drei Einkehrmöglichkeiten im richtigen Abstand auf der Tour. Dies ist ein beliebter Rundwanderweg, dessen Route uns abseits der klassischen Wege durch das Siebengebirge führt. Die Laufzeit beträgt dreieinhalb Stunden. Zwei Pausen sind bereits eingeplant. Aber es ist auch sonst jede Menge Zeit für Ihre Fragen und meine Vorträge vorhanden. Die Strecke verläuft über knapp elf Kilometer, wobei wir insgesamt dreihundertfünfundfünfzig Höhenmeter überwinden werden. Ihre Lehrkräfte können Ihnen nun im Einzelnen darlegen, was Sie bei der morgigen Wanderung mitzunehmen haben. Wir sehen uns dann nach dem Frühstück um neun Uhr vor der Tür.“

Noch während Hartmut den Raum verlässt, muss er über die entsetzten Augen der Studierenden lächeln. Das frühe Aufstehen war von ihnen wohl nicht mit eingeplant gewesen.

In Berlin sitzt David Blankenfelde seit dem Wochenende über den Unterlagen, die seine Schwester ihm besorgt hat. Cynthias Computerexperte hat ganze Arbeit geleistet, bevor er an dem Abend in der Disco einer Überdosis erlag. Doch das interessiert David nicht. Das Einzige, das für ihn zählt, sind die Ergebnisse dieser Recherche. Emma Wolf war beim Bundeskriminalamt beschäftigt, als er verhaftet wurde. Doch anscheinend ist sie nicht mehr dort angestellt. Ihren Bachelor im Kriminalvollzugsdienst hatte sie damals gerade beendet und mit dem Master of Public Administration and Policemanagement begonnen. Sie durchlief das Studium in der Regelzeit von zwei Jahren. Sie beendete es mit dem Rang einer Kriminalhauptkommissarin in einem Alter von gerade einmal vierundzwanzig Jahren. Unmittelbar im Anschluss reicht sie ihre Kündigung ein. Danach verliert sich von ihr jegliche Spur. So ein Mist! Er hat keine Lust, noch länger auf seine Genugtuung zu warten. Ihre Mutter befindet sich in einer Pflegeeinrichtung. Das bringt ihm auch nichts. Ihr Vater wurde vor etwa zwei Jahren ermordet. David grinst. ‚Wenigstens etwas!‘ Aber auch das hilft ihm nicht weiter. Und diese bescheuerten Paten sind anscheinend auch nicht mehr in Ludwigsburg ansässig. Er konnte die Schraders nie ausstehen, doch Emma hing an ihnen.

Bis er Emma endlich gefunden hat, müssen eben ihre Kolleginnen dafür herhalten. Von den für sein Vorhaben in Frage kommenden Frauen absolvieren achtundzwanzig ihren Dienst in greifbarer Nähe. Damit wird er beginnen. Wahllos greift er nach einem der Fotos. Eine hübsche Rotblonde in Uniform lächelt ihm von dem Bild entgegen. Polizeikommissarin Judith Risse. Autobahnpolizei. Neunundzwanzig Jahre. ‚Warum nicht? Sie ist genauso gut wie jede andere‘, entscheidet er. Ein weiteres Foto erregt seine Aufmerksamkeit. ‚Eine Rothaarige! Sie sieht noch sehr jung aus. Das ist perfekt!‘ Er liest die Daten von der Rückseite des Bildes ab. Kommissarin Tina Lieberth, vierundzwanzig Jahre. Streifendienst. ‚Die beiden reichen für den Anfang aus‘, entscheidet er.

Zum Dienstbeginn findet sich David vor der Wache ein, in der die Kommissarin Tina Lieberth ihren Dienst verrichtet. Von dem Moment an, als die Beamtin das Gebäude verlässt, wird sie von ihrem Widersacher nicht mehr aus den Augen gelassen.

Dass er von irgendjemandem erkannt werden könnte, darüber macht er sich keine Sorgen. Die dunkle Perücke und die Kontaktlinsen verleihen ihm ein gänzlich anderes Aussehen. Auch hat er mit entsprechender Kleidung seinen Umfang reichlich gesteigert. Seine Schwester organisierte für ihn schon vor geraumer Zeit die Uniform eines bekannten Paketzustelldienstes. Diese Bekleidung wird dafür sorgen, dass sich die Menschen um ihn herum nicht an ihn erinnern, ihn aber auch nicht als Bedrohung wahrnehmen. ‚So ist das nun einmal‘, denkt er. ‚Hauptsache es läuft alles zu ihrer Zufriedenheit ab, dann sind die Dienstleister, die das möglich machen, uninteressant.‘

Der Zufall spielt David in die Hände. Die Kommissarin wird mit ihrem Partner in ein großes Kaufhaus am Kurfürstendamm gerufen. Ein paar Jugendliche randalieren in der Eingangshalle herum.

„Kommt schon, Leute“, fordert Tina die acht Vierzehnjährigen auf. Ihr Partner bittet derweil um Verstärkung. „Wollt ihr wirklich dafür festgenommen werden, dass ihr die anderen Menschen auf der Rolltreppe anrempelt?“

„Was geht dich das an?“, faucht der Anführer der Bande.

Auch Enrico Seyfarth, Tinas Partner, mischt sich jetzt ein: „Wenn wir euch festnehmen, müsst ihr mit einem Verfahren rechnen. Minimum sind einige Sozialstunden. Aber das kann auch ganz schnell mehr werden. Vor allem, wenn ihr jetzt nicht aufhört!“

„Dafür müsst ihr aber erst einmal jemanden festnehmen können“, lacht der Junge ihn vorlaut aus. Mit beiden Händen schubst er den Polizisten kräftig zur Seite.

Der Oberkommissar macht einen Schritt rückwärts, bemüht, sein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Dabei stolpert er über das gezielt ausgestreckte Bein eines zweiten Jugendlichen. Er kann sich nicht abfangen und stürzt zu Boden, während sich die Bande laut lachend davonmacht. Bevor Tina sich nach ihrem Kollegen bücken kann, schnauzt Enrico sie an: „Ich komme klar! Los, schnapp dir wenigstens einen von den Typen.“

„Sicher?“

„Verdammt, nun mach schon!“

Tina wirbelt auf dem Absatz herum und rennt den jungen Männern hinterher. Ihr Kollege rappelt sich auf und folgt ihr schnellstens. Trotzdem hat sie bereits einen guten Vorsprung. Kurzzeitig verliert er sie aus den Augen. Enrico läuft den Gang entlang, den die Teenager und Tina bisher eingeschlagen hatten. In jeden Seitengang blickt er suchend hinein, ohne anzuhalten. Doch nirgendwo findet er eine Spur von ihr.

David ist begeistert. ‚Diese dusselige Kuh will es doch tatsächlich ohne Verstärkung mit den Jungen aufnehmen‘, erkennt er. ‚Damit hat sie ihr Schicksal besiegelt!‘ Blitzschnell folgt er der Frau, ohne dass jemand auf ihn achtet. Die grölend und lachend wegrennenden Jungen dieser Bande ziehen alle Blicke auf sich.

Tina kommt den Jungen immer näher. Sie folgt ihnen bis in die Ecke eines Ganges. Dort reißen die Fliehenden die Tür zum Parkhaus auf und drängen sich eilends hindurch.

„Nun macht schon“, drängelt einer der Letzten, da er die Polizistin auf sich zukommen sieht. Hinter den anderen verschwindet auch er noch rechtzeitig im Parkhaus.

Die Beamtin erreicht die Tür erst, als diese schon wieder zufällt. Mit der rechten Hand greift sie nach der Klinke. Vorsichtig zieht sie die Tür auf und späht hindurch. Niemand steht dahinter, um ihr zu schaden. In diesem Moment wird sie auf den Mann aufmerksam, der von hinten auf sie zu gerannt kommt. Erstaunt mustert sie den Heraneilenden. Sie erkennt die Aufschrift des Paketzustelldienstes. ‚Wieso hat er seine Jacke offen?‘, fragt sie sich. ‚Dürfen die das überhaupt?‘ Abwehrend streckt sie ihm eine Hand entgegen. Aber bevor sie ihm Einhalt gebieten kann, prallt er mit ihr zusammen.

Sie spürt das Messer, das in ihren Bauch eindringt, auch, wie er es wieder hinauszieht. Erschrocken atmet sie ein. Ihre Augen weiten sich entsetzt. ‚Was geht hier vor sich?‘ Der Schmerz raubt ihr die Kraft, um sich aus den Fängen des Mannes zu befreien. Ihr wird übel und die Sicht verschwimmt. Sie kann sich nicht auf den Beinen halten und greift Hilfe suchend nach dem Mann, der sie grob durch die Tür ins Parkhaus schiebt. Das Messer dringt noch ein weiteres Mal in ihren Körper ein. Den dritten Stich spürt sie nicht mehr.

David lässt die Frau einfach fallen. Dann verschwindet er, wie er gekommen ist. Ungesehen! Allerdings konnte er es sich nicht verkneifen, siegessicher in die Überwachungskamera zu grinsen. ‚Hoffentlich bekommt Emma das zu sehen!‘ Er ist sich sicher, dass ihn niemand erkennen wird.

Die angeforderte Verstärkung erscheint nur wenige Minuten nach dem Geschehen im Kaufhaus. Sie treffen auf Enrico, der ihnen im Kurzstil eine Übersicht verschafft. Sie verteilen sich auf der ganzen Etage. Systematisch suchen sie das Kaufhaus ab, bis sie Tina hinter dem Eingang zum Parkdeck finden. Jeder einzelne Messerstich war tödlich. Sie hatte keine Chance. Tinas Kollege sorgt mit Unterstützung des Phantomzeichners für eine groß angelegte Fahndung nach den Jugendlichen, die sie für die Täter halten.

Indessen parkt David auf der Rudolstädter Straße, keine zwei Minuten von dem Gebäude der Autobahnpolizei entfernt. Jetzt schließt er auch seine Jacke. So kann niemand die blutigen Spuren auf seinem Hemd bemerken. Noch in der Uniform des Paketzustellers, ergreift er das Päckchen, das auf dem Beifahrersitz liegt, und macht sich auf den kurzen Weg zur Autobahnpolizei. Lässig betritt er die Wache.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“, erkundigt sich sofort ein Beamter bei ihm.

„Das hoffe ich doch sehr“, wünscht sich David. „Ich habe hier ein Päckchen für ein Frau Judith Risse. Rudolstädter Straße neunundsiebzig bis dreiundachtzig. Die Adresse stimmt. Aber was glauben Sie, wie erstaunt ich war, als ich gesehen habe, dass dies die Autobahnpolizei ist. Oder bin ich hier an der falschen Adresse? Da hat sich bestimmt irgendwer einen Scherz erlaubt“, behauptet er frustriert.

Der Beamte muss über das verstörte Gesicht des Paketzustellers lachen. „Nein, Sie sind hier richtig. Frau Risse ist eine Kollegin. Deswegen hat sie das Paket bestimmt hierher bestellt. Kommen Sie bitte mit.“

Am Empfang bleibt der Beamte stehen. „Kannst du einmal nachschauen, ob Judith im Haus ist?“, bittet er den diensthabenden Mann hinter dem Schalter.

„Da brauche ich nicht nachsehen“, gibt der Schalterbeamte resolut von sich. „Sie hat seit gestern die Nachtschicht, ist also vor halb acht heute Abend nicht hier. Tut mir leid“, wendet er sich an David. „Aber von uns darf das Paket keiner annehmen.“

„Ja, ich verstehe“, antwortet er angeblich frustriert. „Darf ich Ihnen denn wenigstens eine Benachrichtigungskarte für Ihre Kollegin dalassen?“

„Sicher, kein Problem.“

Ordnungsgemäß füllt er die Karte vom Postamt aus, die er dem Paketboten beim letzten Besuch entwendet hat, und überreicht sie dem Beamten. „Haben Sie vielen Dank.“ Schnell verabschiedet sich David. Er weiß, was er zu tun hat.

Für sein Vorhaben ist es gar nicht so schlecht, dass das Polizeigebäude von hohen Bäumen gegen die Straße hin begrenzt ist. Obwohl rundum immer wieder Menschen auftauchen, schafft es David, mit dem geklauten Mercedes CLK 280, der mit einer Leistung von 231 PS aufwartet, pünktlich vor dem Gebäude zu parken, ohne dass er auffällt. Er erkennt sie bereits, als sie von weitem auf das Gebäude zukommt. ‚Irgendwie hat sie sogar ein wenig Ähnlichkeit mit Emma‘, findet er. Ohne zu zögern, tritt er ihr in den Weg.

„Hallo Judith“, grüßt er die erstaunte Frau freundlich.

Bevor sie eine Frage stellen kann, zieht er sie zu einem langen Kuss an sich. Dabei rammt er ihr das Messer kräftig in die Brust. Zu einer Gegenwehr hat sie nicht die Kraft. Schreien kann sie auch nicht. Sie spürt nur noch die Kälte, die sich in ihr ausbreitet. Ihre Beine geben unter ihr nach. Doch David hält sie eisern umklammert.

Er kann die Erregung fühlen, die sich in ihm ausbreitet. ‚Ein tolles Gefühl!‘ Zwei weitere Stiche sind notwendig, bis er seinen Rausch in den Griff bekommt und von ihr ablässt. Fast liebevoll setzt er sie an der Mauer des Grundstücks ab. Dann steigt er eilig in sein Fahrzeug, parkt schnellstens aus und braust davon.

Judiths Kollegen warten vergebens auf ihren pünktlichen Dienstantritt. Erst eine halbe Stunde nach dem Übergriff wird sie von mehreren Kollegen aufgefunden. Zu diesem Zeitpunkt ist sie schon längst nicht mehr am Leben.

David hingegen fühlt sich einfach großartig. Es ist, als ob er neu geboren wäre. Und das verdankt er nur Emma. Für ihren Tod wird er sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Doch vorher kostet er dieses Gefühl von Macht noch eine Weile aus. Es gibt schließlich jede Menge Polizistinnen, die nur auf ihn warten. Laut lacht er vor sich hin.

Die dicken verschlafenen Augen der meisten Studierenden zeigen Andreas, dass es für etliche von ihnen am Vorabend recht spät geworden ist. Allerdings muss er ihnen zugutehalten, dass keine Beschwerden über Ruhestörung oder nächtliches Umhergeistern an seine Ohren gedrungen sind. ‚Doch was nicht ist, kann ja noch werden!‘, warnt er sich. Immerhin kann er sich noch gut daran erinnern, wie diese Seminare vor einigen Zeiten abgelaufen sind, als auch er daran teilnahm. ‚Ich werde die Truppe weiterhin im Auge behalten‘, schwört er sich.

Pünktlich um neun Uhr gesellt sich auch Hartmut Beiersdorff zu ihnen. „Ausgeschlafen?“, fragt er mit vergnügt blitzenden Augen in die Runde.

Er erhält zwar keine Antwort, aber dafür versammeln sich die Studierenden, um ihm aufmerksam zuzuhören.

„Als Erstes werden wir von hier aus den Weg zum Kloster Heisterbach zurücklegen. Dafür benötigen wir etwa eine halbe Stunde. Für diejenigen unter Ihnen, die dann Probleme mit dem Schuhwerk haben, ist das genau die richtige Einlaufstrecke. Am Kloster machen wir dann ein Checkup, bevor wir richtig loslegen. Einverstanden?“ Auf das allgemeine Nicken hin schultert er seinen Rucksack. „Dann lassen Sie uns loslegen.“

Nach einer halben Stunde erreichen sie ihr erstes Etappenziel. Um dem Professor die Wanderung zu erleichtern, übernahm Andreas dessen Gepäck zusätzlich zu seinem eigenen. Dem sportlich aktiven Doktoranden macht das nichts aus.

Frank Klausthal hingegen ist sichtlich erfreut über die Unterstützung. Bis heute Morgen zweifelte er an einem Nutzen daran, den Studierenden seine Begleitung aufzudrängen. Andreas stellte sein Anliegen offen zur Diskussion. Das Ergebnis ließ den alternden Professor hocherfreut zustimmen. Keiner der jungen Leute wollte ohne ihn starten. Sie alle versprachen ihm die notwendige Rücksicht auf seine Gesundheit und auch auf die der anderen Begleitpersonen.

Von Hartmut Beiersdorff erhält die Gruppe immer wieder Informationen über das Gebiet, das sie gerade durchwandern. „Bevor das Kloster hier in dem Heisterbachtal erbaut wurde, befand es sich auf dem Petersberg.“ Mit der Hand weist der Führer auf den Berg. „Er ist einer der sieben Gipfel des Siebengebirges und hat eine Höhe von dreihunderteinunddreißig Metern. Die Klosterkirche wurde 1237 fertiggestellt. Nur der Kölner Dom übertraf sie damals hinsichtlich ihrer Größe. 1803 gaben die Mönche das Kloster auf. Die meisten der Gebäude wurden stückweise abgebrochen. Man verwendete die Steine unter anderem für den Bau der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz. Von hier aus geht es jetzt weiter in Richtung Weilberg.“

Nach zwanzig Minuten erreichen sie den kleinen See, der malerisch im Krater des ehemaligen Vulkans liegt. Ein Überbleibsel aus der Zeit, als dort Basalt gebrochen wurde. Eine Gedenktafel in der Nähe erinnert an den Mineralogen Hugo Laspeyres, der am Weilberg geforscht hat. Zügig geht es weiter zum Stenzelberg. Bis 1931 wurde dieser als Steinbruch genutzt. Nach der Stilllegung entwickelte sich hier eine charakteristische Landschaft. Ein Trockenbiotop mit der typischen Flora und Fauna.

Die nächste Etappe auf ihrer Wanderung ist der Nonnenstromberg, dessen Aussichtspunkt eine beeindruckende Sicht auf den Großen Ölberg bietet, der mit vierhundertsechzig Metern der höchste Gipfel im Siebengebirge ist.

Sie erreichen den Petersberg, auf dessen Spitze das Steigenberger Grandhotel thront. Passend zur Mittagszeit bevölkern die jungen Leute mit ihren Begleitern den Biergarten, der hinter dem Hotel angesiedelt ist. Andreas schaut sich zwischen den Studierenden um. ‚Wir haben eine gute Truppe ausgewählt‘, stellt er fest. Mit der freundlichen, hilfsbereiten Art, die sie dem bedienenden Personal gegenüber an den Tag legen, haben sie dieses direkt für sich eingenommen. Sie widmen sich ihren Getränken, während sie Hartmut Beiersdorff aufmerksam zuhören.

„Für den einen oder anderen unter Ihnen, der sich ein wenig für Politik interessiert, ist der Petersberg wahrscheinlich kein unbekannter Ort“, erklärt er. „Hier residierte von 1949 bis 1952 die Alliierte Hohe Kommission. Bundeskanzler Konrad Adenauer schloss mit ihr am zweiundzwanzigsten November 1949 das Petersberger Abkommen. Die Kernpunkte des Abkommens waren ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einer souveränen Bundesrepublik Deutschland. Seit 1990 dient das Hotel wieder als Gästehaus der Bundesrepublik Deutschland. Immer wieder einmal finden hier nationale wie internationale Konferenzen statt.“

Frank Klausthal und Ute Harras empfinden die einstündige Pause als wohltuend. Beide sind sie nicht mehr so fit, wie sie es gern hätten. Aber die Wanderung mit den Studierenden bereitet ihnen allen Freude.

Nach der ausgiebigen Rast beginnt der Abstieg. Zweihundertdreiunddreißig Meter Höhenunterschied sind zu überwinden, bevor sie in Oberdollendorf das Weingut Sülz erreichen. Nach einer kurzen Verschnaufpause bringen sie den Weg durch die Weinberge hinter sich. Dann folgen sie dem Rheinsteig. Der Fernwanderweg führt sie anschließend bis zu ihrem Ausgangspunkt am Kloster Heisterbach. Die halbe Stunde, die die Gruppe bis zum Tagungshotel braucht, nutzen die Studierenden für die vielen Fragen, die sie an ihren Führer haben.