Kampf um den Astaller-Hof - Doris Strobl - E-Book

Kampf um den Astaller-Hof E-Book

Doris Strobl

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Beschreibung

Franzi muss ihren Hund unter der Woche in eine kleine Tierpension auf dem Land zur Pflege geben, da ihr neuer Chef keine Tiere duldet. Lenz, der Besitzer des Hofes, ist ihr von Anfang an sympathisch. Sie verbringt viel Zeit bei ihm und den Tieren. Als Lenz plötzlich stirbt, erfährt Franzi, dass sie zur Erbin des Hofes bestimmt wurde, gemeinsam mit seinem Sohn Simon, einem Arzt aus München. Ihn interessieren weder der Hof noch die Tiere. Er möchte verkaufen, und das möglichst bald. Die beiden geraten immer wieder aneinander und kommen sich dabei näher. Doch das beginnende Glück wird von Jakob gefährdet, der selbst ein Auge auf Franzi und den Hof geworfen hat. Ihm ist jedes Mittel recht, die beiden zu entzweien. Hat ihre Liebe eine Chance?

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LESEPROBE zu

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2014

© 2015 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheimwww.rosenheimer.com

Titelfoto: © Andreas P. – Fotolia.com (oben) und© 4FR – iStockphoto.com (unten)Lektorat und Satz: BuchBetrieb Peggy Stelling, Leipzig

eISBN 978-3-475-54338-8 (epub)

Worum geht es im Buch?

Doris Strobl

Kampf um den Astaller-Hof

Franzi muss ihren Hund unter der Woche in eine kleine Tierpension auf dem Land zur Pflege geben, da ihr neuer Chef keine Tiere duldet. Lenz, der Besitzer des Hofes, ist ihr von Anfang an sympathisch. Sie verbringt viel Zeit bei ihm und den Tieren. Als Lenz plötzlich stirbt, erfährt Franzi, dass sie zur Erbin des Hofes bestimmt wurde, gemeinsam mit seinem Sohn Simon, einem Arzt aus München. Ihn interessieren weder der Hof noch die Tiere. Er möchte verkaufen, und das möglichst bald. Die beiden geraten immer wieder aneinander und kommen sich dabei näher. Doch das beginnende Glück wird von Jakob gefährdet, der selbst ein Auge auf Franzi und den Hof geworfen hat. Ihm ist jedes Mittel recht, die beiden zu entzweien. Hat ihre Liebe eine Chance?

Kapitel 1

»Cäsar, wir haben uns verfahren!«, seufzte Franziska und lenkte ihren Wagen auf den Parkplatz vor der kleinen Dorfkirche. Cäsar, der vierjährige Golden Retriever, schaute sie treuherzig an, winselte leise und ließ sich wieder auf das Polster der Rückbank sinken.

»Mein Gott ist das märchenhaft!«, rief Franziska begeistert. Das kleine Dorf in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen schmiegte sich malerisch an einen hohen Berg. Dessen schneebedeckte Spitze, angestrahlt durch die warme Frühlingssonne, wirkte wie hell erleuchtet. Das sanft sprießende Grün der Pappeln und Sträucher, das den lang ersehnten Frühling verkündete, bildete dazu einen reizvollen Kontrast. Ein Teil des Berges und der Bäume spiegelten sich in einem kleinen See.

»Wie aus dem Bilderbuch«, murmelte die junge Frau und beugte sich widerwillig über die Straßenkarte, die auf dem Beifahrersitz lag. Interessiert schob Cäsar seine Schnauze nach vorn und begann ihre Hand zu lecken, während sie ratlos auf den Plan starrte. Franziska streichelte über den Hundekopf und stöhnte: »Eine 27-jährige Frau sollte in der Lage sein, eine Straßenkarte zu lesen, oder?« Sie drehte und wendete das Papier und fuhr mit dem Finger den Straßenverlauf nach. Die Unsicherheit, in welche Richtung sie weiterfahren sollte, blieb. Auf dem kleinen Zettel mit ihren handschriftlichen Notizen, die sie nach der Wegbeschreibung von Herrn Astaller gemacht hatte, tauchte der Name Seehöfl, der Ort, in dem sie sich jetzt offensichtlich befand, definitiv nicht auf.

Während sie in der Handtasche nach dem Handy kramte, um den Besitzer der Hundepension anzurufen, schnappte Cäsar schließlich nach der Landkarte und beutelte sie hin und her. »Cäsar – aus!«, schrie Franziska.

Wie immer hörte er nicht auf ihre Befehle. Der Plan zerriss, als sie versuchte, ihn dem Hund zu entwinden. Auf dem Rest der Kartenteile kaute Cäsar so lange herum, bis sie aufgeweicht und unleserlich waren.

»Du bist ein böser Hund!«, schimpfte Franziska. Ihr Liebling bedachte sie mit seinem unschuldigtreuherzigen Blick, der jede erzieherische Maßnahme sofort zunichte machte.

»Wieso kaufe ich mir denn aber auch kein Navigationsgerät«, stöhnte Franzi leise. Cäsar hatte sich auf die Rückbank des Autos verzogen, als sie die Nummer der Hundepension eintippte. Fast zeitgleich mit dem Freizeichen ertönte ein lauter Warnton. Sofort brach die Verbindung zusammen, und mit Schrecken erkannte Franziska, dass sie vergessen hatte, den Akku ihres Handys rechtzeitig aufzuladen.

»Mist!«, schimpfte sie und drehte sich zu Cäsar um. »Was machen wir denn jetzt? Wir hätten schon vor einer Stunde in Dirnbach sein sollen.«

Cäsar hob den Kopf und gab ein fiependes Geräusch von sich, mit dem er zu verstehen gab, dass er dringend sein Geschäft verrichten musste.

»Na komm«, ermunterte ihn Franzi. »Wir müssen sowieso aussteigen und sehen, ob wir jemanden finden, der uns sagen kann, in welcher Richtung es weitergeht.«

Cäsar ließ sich bereitwillig von seinem Frauchen das Halsband mit der Leine anlegen. Laut bellend sprang er mit einem gewaltigen Satz aus dem Auto.

»Pssst, Cäsar, ruhig«, befahl Franzi. Er ignorierte diesen Einwand und zog sein Frauchen mit sich, als er einen Hasen entdeckte, der mit gewaltigem Tempo ein Feld durchquerte. Als sich das Tier aus seinem Blickfeld entfernt hatte, beruhigte sich Cäsar und begann, am nächsten Baum gründlich und ausgiebig zu schnuppern. Der Ort schien menschenleer. Die Kirchturmuhr schlug fünfmal. In der Hoffnung einen Dorfbewohner zu treffen, lief Franzi mit zügigen Schritten auf die Dorfmitte zu. Cäsar, unwillig darüber, dass er nicht ausgiebig die fremden Gerüche erschnüffeln durfte, musste es sich gefallen lassen, dass Franzi seine Leine kurz hielt und ihn weiterzerrte. Nach einer kleinen Biegung rief Franziska erleichtert: »Cäsar schau, ein Gasthof!«

Sie ging auf das stattliche Anwesen zu, dessen Fassade den Schriftzug »Zum Schwanen« trug. Sie drückte die gewaltige, schwere Holztür auf und stand in einer geräumigen Gaststube. Die mit dunklem Holz getäfelten Wände verliehen dem Raum eine behagliche Gemütlichkeit. An einem Tisch in der Nähe der Schänke saßen junge Männer und spielten Karten. Einer von ihnen, dessen braune, lockige Haare bis auf seine Schultern fielen, hob kurz den Kopf und rief ihr zu: »Es ist noch g’schlossen, und Hunde sind hier drin nicht erlaubt!«

»Ich geh’ gleich wieder«, versicherte Franzi. »Sie können mir doch sicher den Weg nach Dirnbach sagen, oder?«

»Was meint ihr Burschen«, fragte der Lockenkopf und sah mit einem spöttischen Lächeln in die Runde, »wollen wir dem hübschen Fräulein helfen?«

»Dirnbach?«, fragte ein anderer Mann und schaute sie aufmerksam an. Franzi nickte.

»Dirnbach«, echote der Lockenkopf, während sie sein musternder Blick streifte. Es gefiel ihm, was er da sah. Er mochte Frauen mit weiblichen Kurven. Ihre blonden Haare würden mir etwas länger noch besser gefallen, dachte er und sagte: »Kein besonders aufregender Ort, um Urlaub zu machen.«

»Das habe ich auch nicht vor, ich will in die Hundepension von Herrn Astaller.«

Die Männer lachten verächtlich, und der Lockenkopf sagte: »Der Astaller-Lenz ist ein eigenbrötlerischer Kauz. Wenn ich einen Hund hätte, würde ich ihn sicher nicht bei so einem lassen.«

Einer der Männer versuchte zu beschwichtigen. »Sie brauchen nicht alles glauben, was der Wirt sagt, junge Frau. Das ist etwas Persönliches zwischen ihm und dem Lenz.«

»Sie sind der Wirt dieses Gasthofes?«, fragte Franzi verblüfft.

»Gestatten, Jakob Stettner, der Schwanenwirt, höchstselbst!«, erwidert er theatralisch.

»Bitte«, flehte Franziska, »ich sollte schon seit einer Stunde dort sein. Sagen Sie mir doch, welchen Weg ich nehmen muss.«

Jakob erhob sich und schlenderte auf Franzi zu. Er ging vor Cäsar in die Knie, ließ ihn an seiner Hand schnuppern und kraulte seinen Kopf. »Armes Vieh«, murmelte er. »Hat das Frauchen genug von dir, dass sie dich in fremde Hände gibt?«

»Das geht Sie überhaupt nichts an!« Franzi wandte sich empört ab und schob Cäsar mit einem Ruck von Jakob weg. Sie hatte bereits die Hand auf der schmiedeeisernen Türklinke, als der Wirt rief: »Am Gasthof rechts den See entlang, nach etwa acht Kilometern beim Feldkreuz rechts. Bleiben Sie auf der Straße, bis sie nur noch links abbiegen können. Dirnbach ist ein kleiner Weiler mit ein paar Häusern, fahren Sie an denen vorbei und nehmen sie den ersten Feldweg, der nach rechts abgeht. Am Waldrand finden Sie den Astaller-Hof.

»Danke«, murmelte Franziska erleichtert. Während sie den Türknauf nach unten drückte, drehte sie sich noch mal um und sagte: »Auf Wiedersehen.«

»Das würd’ mich freuen«, hörte sie Jakob spötteln, bevor die Tür sich hinter ihr schloss.

Kapitel 2

Es dämmerte bereits, als Franzi mit eineinhalbstündiger Verspätung am Astaller-Hof ankam. Schwungvoll bog sie auf das großzügige Gelände ein. Der alte Bauernhof lag idyllisch an einem kleinen Bach.

Hunde fingen an zu bellen, und Cäsar fühlte sich aufgefordert, in dieses Kläffen einzustimmen.

»Ruhig Cäsar!«, rief Franzi, öffnete vorsichtig die Fahrertür und stieg aus. Merklich kühlere Luft empfing sie, und als sie im Wageninneren nach ihrer Jacke suchte, drängte sich Cäsar an ihr vorbei. Vergeblich versuchte sie, die Hundeleine zu erhaschen. Blitzschnell sauste der Hund über den Hof in die Richtung, aus der das laute Bellen ertönte.

Resigniert brüllte Franzi seinen Namen und lief ihm hastig nach. Zwischen zwei Gebäuden erschien ein alter Mann, der Cäsar mit einem gezielten Griff am Halsband packte. Der Hund jaulte auf und Franzi fragte unsicher: »Herr Astaller?«

Er nickte. Während er Cäsar festhielt, streckte er ihr die rechte Hand entgegen und grummelte: »Lorenz Astaller. Sie sind ganz schön spät dran, Frau Obermair.«

Schuldbewusst drückte Franzi seine Hand: »Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe mich leider verfahren und musste in einem Gasthaus nach dem Weg fragen.«

»So, so«, erwiderte Lorenz kurz angebunden. Erst jetzt kam Franziska dazu, ihn genauer anzuschauen. Das muss früher ein attraktiver Mann gewesen sein, dachte sie. Tiefe Falten zeichneten sein Gesicht. Das eisgraue Haar trug er straff zurückgekämmt. Die dichten Augenbrauen und der Vollbart verliehen ihm eine väterliche, gütige Ausstrahlung. Seine grünen Augen blickten freundlich. Und seine stattliche Gestalt strahlte Selbstsicherheit aus.

»Na, jetzt seid ihr ja da«, meinte er und beugte sich zu dem Hund hinunter.

»Und, welchen Namen hat dir dein Frauchen gegeben?«, erkundigte er sich.

»Cäsar!«

Das helle Lachen des Mannes dröhnte über das Hofgelände. »Da ist der Name Programm! Er ist der Boss und hört nicht auf Sie, hab’ ich recht?«

»Stimmt«, gestand Franzi etwas kleinlaut. »Cäsar ist der unumschränkte Herrscher. Er tut meistens, was er will!«

Sie sah Herrn Astaller zerknirscht an, der inzwischen begonnen hatte, Cäsars Kopf zu kraulen.

»Das wird schon werden, Franziska«, versicherte er. »Mit dem förmlichen siezen sollten wir gleich aufhören. Hier bin ich für alle nur der Lenz«, bemerkte er resolut.

»Zu mir sagen alle Franzi!«

»Das ist aber ein schöner Name! Weißt du Franzi, das ist nicht der erste Hund, den ich in Obhut nehme und ihm nebenbei auch noch ein besseres Benehmen beibringe. Komm mit, dann zeig’ ich dir, wie er untergebracht wird.«

Lenz hielt Cäsars Leine ganz kurz und sie gingen auf ein Nebengebäude zu. Wildes Hundegebell ertönte, das sofort verstummte, als Lenz mit donnernder Stimme »Aus!« rief.

»Ich bin beeindruckt«, lobte Franzi.

Er lachte herzlich. »Einer muss der Rudelführer sein, und das bin hier eindeutig ich!«

Sie traten in eine weitläufige Diele.

»Jeder Pensionsgast bewohnt sein eigenes Zimmer«, sagte Lenz schmunzelnd und wies mit einer ausladenden Handbewegung in eine der Räumlichkeiten.

Angenehm überrascht sah Franzi, dass der Fliesenboden sauber glänzte. Es gab eine Couch, Hundekörbchen und einige Decken. Spielzeug lag über dem Boden verstreut und ein Napf mit Wasser stand bereit. Ein Schäferhund kam interessiert näher. Durch die Glastür, die ihm den Weg nach draußen versperrte, beobachtete er schwanzwedelnd den Neuankömmling.

»Ich gehe davon aus, dass Cäsar kastriert ist?«

»Ja«, bestätigte Franzi.

»Das macht es einfacher«, stellte Lenz fest, während er weiterging. Sie traten durch die Hintertür ins Freie. Trotz der Dunkelheit erkannte Franzi, dass auf dem eingezäunten Gelände ausreichend Auslauffläche für die Hunde zur Verfügung stand.

Sie beugte sich zu Cäsar und streichelte ihn. »Ich glaube, dass es dir hier gut gehen wird«, brachte sie mit gepresster Stimme hervor. Zu Lenz gewandt, sagte sie: »Es fällt mir unsagbar schwer, mich von ihm zu trennen, aber es geht halt nicht anders.« Sie sah unglücklich aus, sodass sich der alte Mann betroffen abwendete. Die junge Frau mit dem raspelkurzen Haar und den leuchtenden blauen Augen hatte ihm auf Anhieb gefallen. Es rührte ihn, dass sie so traurig wurde. Schnell öffnete er eine der Glastüren und sagte mit betont munterer Stimme: »Cäsar, das ist dein neues Reich! Erobere es!«

Franzi huschte ein leichtes Lächeln über das Gesicht. Cäsar fing an, die Fliesen abzuschnüffeln und schaute sich interessiert um. Er entdeckte die Couch und sprang begeistert auf die Sitzfläche. Mit einem schweren Seufzer sank er nieder und schenkte seinem Frauchen einen treuen Hundeblick.

»Jetzt ist eine gute Gelegenheit sich zügig zu verabschieden«, riet Lenz.

Franzi streichelte Cäsar über den Rücken und vergrub das Gesicht in seinem braunen Fell.

Sie umfasste seinen Kopf mit beiden Händen und sagte zu ihm: »Sei brav, mein Cäsarlein, am Freitag komm’ ich und hol’ dich wieder ab.«

Mit einen leisen »Wuff« schien der Hund ihre Worte zu bestätigen.

»Komm mit ins Haus«, bat Lenz, nahm sie sanft am Arm und schob sie aus dem Raum.

»Hier ist der Vertrag«, sagte Lenz, als Franzi auf der gemütlichen Eckbank in der Wohnküche des Bauernhofes Platz genommen hatte.

Sie las das Papier flüchtig durch und unterschrieb am Ende des Blattes. Eine Woche hatte es gedauert, bis sie endlich diese Hundepension in der Nähe von München gefunden hatte, die einen freien Platz bot und bei der auch die finanziellen Bedingungen stimmten.

»Gibt es noch Besonderheiten, die ich über Cäsar wissen sollte?«, erkundigte sich der alte Mann.

»Er ist schrecklich verfressen«, bekannte Franzi und fuhr sich verlegen mit den Händen durch die Haare.

»Wie jeder halbwegs normale Hund«, konterte der alte Mann. »Hast du mir aufgeschrieben, was ich füttern soll?«

Sie kramte in ihrer Handtasche und holte einen dicht beschriebenen Zettel hervor, den sie ihm reichte.

Während Lenz über seinen Bart strich, überflog er den Text und lachte schallend.

»Der Kerl hat ein feines Leben bei dir! Kriegt ja stündlich was zu fressen. Du handelst bestimmt mit besten Absichten, aber artgerecht ist das nicht!«

»Cäsar durfte bisher tagsüber im Büro sein, aber das geht jetzt nicht mehr«, sagte Franzi und Tränen schimmerten in ihren Augen. »Wenn er brav war, bekam er halt zwischendurch immer Leckerli.«

»Ach so«, warf Lenz mit gedehnter Stimme ein. »Magst mir verraten, wieso der Hund jetzt nicht mehr mit dir kommen kann?«

Franzi zögerte. Zwei Stunden Heimfahrt nach München lagen vor ihr. Wenn sie hierbliebe, würde sich das morgen auf ihre Arbeitsleistung auswirken. Trotz allem immer pflichtbewusst, schimpfte sie sich in Gedanken. »Das ist eine längere Geschichte«, erklärte sie.

»Dann fang an zu erzählen«, forderte er sie auf. »Ende März hatte ich eine Abschiedsfeier für meinen langjährigen Chef, Doktor Binzer, organisiert. ›Wenn ich meine Lehrzeit einrechne, arbeite ich seit fast 50 Jahren‹, hatte uns Doktor Binzer eines Tages erklärt. ›Meine Frau hat Rheuma und braucht ein wärmeres Klima. Daher werden wir zu meiner Tochter nach Amerika zu ziehen. Wir ihr wisst, lebt sie in Miami. Dann sind wir auch näher bei unseren Enkelkindern.‹

Meine Kollegen und ich hatten Verständnis für diesen Schritt, dennoch fiel uns der Abschied sehr schwer. Fast alle arbeiteten schon lange in dieser Kanzlei. Das Versprechen, einen Nachfolger auszuwählen, der gut zu passte, konnte Doktor Binzer nicht einhalten. Entgegen seiner Erwartung gab es nur einen Interessenten, dem er schweren Herzens sein Lebenswerk anvertraute.

Als Doktor Binzer an seinem letzten Arbeitstag die Steuerkanzlei betrat, überreichte ich ihm als kleinen Abschiedsgruß einen Blumenstrauß und kündigte ihm in der Küche eine Überraschung an.

›Torte? Kuchen?‹, fragte er hoffnungsfroh.

Als ich das bestätigte, seufzte er: ›Ach Leute, ihr werdet mir fehlen! Ich vermisse euch jetzt schon.‹

Als wir die Küche betraten, rief Doktor Binzer mit amüsierter Stimme: ›Cäsar, unser Bürohund, hat sich etwas Spezielles für mich ausgedacht!‹

›Cäsar!‹, kreischte ich entsetzt und versuchte, meinen unartigen Hund von den Wienerwürstel wegzuzerren, auf denen er genussvoll kaute.

Bis heute ist es mir ein Rätsel, wie es Cäsar geschafft hat, auf die Ablage zu springen. Doktor Binzer vermutete, dass Cäsar sich irgendwie einen Stuhl herangeschoben hatte, um an die Beute zu kommen.

›Böser Hund‹, schimpfte ich. ›Was machst du denn da?‹

Doktor Binzer ergriff für ihn Partei. Er streichelte über sein Fell und meinte: ›Bist doch ein g’scheiter Hund, weißt genau, dass ich keine Würstl mag. Hast deinem Namen ›Cäsar‹ wieder alle Ehre gemacht!‹

Anschließend lobte Doktor Binzer das schöne Kuchenbuffet, und so mischte sich bald fröhliches Lachen in die Abschiedsstimmung.

Doktor Binzer behandelte Cäsar wie seinen eigenen Hund, aber dann kam sein Nachfolger Oliver Haupt.«

Franziska hielt inne, nahm einen Schluck vom selbstgemachten Himbeersaft, den ihr Lenz Astaller eingeschenkt hatte.

»Wie ging es weiter?«, fragte Lenz interessiert.

»Am Morgen kam der Nachfolger. Wie üblich, hatte ich Brez’n für alle geholt und in den Korb gefüllt, der an der Rezeption stand. Ich hielt meinen Kaffeebecher in der Hand, als durch die Eingangstür ein unverschämt gut aussehender Mann trat. Er trug einen dunklen, perfekt sitzenden Anzug und hatte seine braunen Haare mit Gel zu einer schnittigen Frisur geformt. Er bedachte die Empfangsdame Rita mit einem tadelnden Blick, stellte sich vor und erklärte uns, dass er keine Kaffeekränzchen dulden würde. Rita sollte sofort alle Mitarbeiter zu einer Besprechung zusammenrufen. Cäsar, der neben mir saß, sprang plötzlich auf und zerrte am Hosenbein von Herrn Haupt. Der schrie erschrocken auf und trat nach Cäsar. Er bezeichnete ihn als Drecksvieh, und als ich versuchte, ihm zu erklären, dass mein Hund sonst brav sei, lachte er hämisch auf.«

»Und verbot dir, den Hund weiterhin mit in die Kanzlei zu bringen?«

»Ja, er blaffte mich an, dass jetzt ein anderer Wind wehen würde und ich Cäsar sofort wegbringen sollte. Meinen Einwand, dass ich den Hund nicht den ganzen Tag alleine zu Hause lassen könnte, ignorierte er.«

»Oh weh, das klingt nicht gut«, stellte Lenz fest. »Aber mach dir keine Sorgen wegen Cäsar. Du wirst sehen, es wird ihm hier gefallen mit all den anderen Hunden. Den kleinen Bach hast du bestimmt auch bemerkt, da kann er jeden Tag schwimmen.«

»Ich hoffe, dass er sich schnell einlebt«, schniefte Franziska, der ihr Elend wieder bewusst wurde. »Aber was ist mit mir? Ich bin einsam ohne ihn.« Sie sah auf die Uhr und sprang erschrocken auf: »Jetzt muss ich losfahren. Ich hole noch Cäsars Lieblingsdecke und sein Spielzeug.«

Weit nach Mitternacht erreichte sie ihre gemütliche kleine Wohnung in München und sank müde ins Bett. Tränen flossen ihre Wangen herunter, als sie die leere Schlafdecke Cäsars sah, die neben ihrem Bett lag. Noch nie hatte sie sich in den letzten vier Jahren von ihrem Hund trennen müssen.

»Das kann ja heiter werden«, murmelte sie. »Cäsar fehlt mir jetzt schon, wie soll ich bloß die nächste Woche überstehen?«

Wie üblich stand Franziska am Montagmorgen um sechs Uhr auf. Nach ein paar Löffeln Müsli lief sie in den nahegelegenen Park, um ihre gewohnten Joggingrunden zu drehen. Sie machte einige Aufwärmübungen an einer Bank, als ein Mann an ihr vorbeilief. Er lächelte, schüttelte den Kopf und rannte weiter. Franzi wunderte sich, konnte sich aber auf sein Verhalten keinen Reim machen. Der nächste morgendliche Sportler hielt an und fragte: »Ist das jetzt der neueste Trend, mit einer Hundeleine um den Hals zu joggen?«

Erschrocken schaute Franzi an sich herunter. »Ach herrje«, stieß sie hervor, »die habe ich mir aus reiner Gewohnheit gegriffen. Sonst hatte ich immer meinen Golden Retriever dabei.«

Als sie die Steuerkanzlei ohne Cäsar betrat, versuchten ihre Kollegen, tröstende Worte für Franzi zu finden, denn sie hatten den Hund ins Herz geschlossen und vermissten ihn genauso wie Franzi. Oliver Haupt schien die frostige Stimmung seiner Mitarbeiter nicht aufzufallen, oder er ignorierte sie einfach.

Lustlos verrichtete Franziska ihren Job, der ihr sonst so viel Freude gemacht hatte. Sie vertiefte sich gerne in die kniffligen Steuergesetze. Doktor Binzer hatte sie für ihr exaktes Arbeiten und den freundlichen Umgang mit den Mandanten gelobt. Franzi liebte ihren Beruf und das Leben in der Großstadt. In München geboren und aufgewachsen, hatte sie sich einen Freundeskreis geschaffen. Es lag außerhalb ihrer Vorstellungskraft, dass sie sich auf dem Land wohlfühlen könnte. Doch immer öfter schweiften jetzt ihre Gedanken zum Astaller-Hof.

Am Freitagnachmittag, kurz vor Büroschluss, kam Herr Haupt in ihr Büro. »Ich habe Ihnen soeben eine Datei geschickt. Der Vorgang des Mandanten Meizer muss sofort bearbeitet und weitergeleitet werden.«

Franziska musterte ihn erschrocken. »Ich kann nicht länger bleiben, ich will heute zur Hundepension fahren und Cäsar abholen.«

Herr Haupt runzelte die Stirn und raunte verächtlich: »So sieht also Ihr Einsatz für die Firma und Ihr Verantwortungsbewusstsein aus, das Doktor Binzer mir gegenüber so hervorgehoben hat?«

Franziska schluckte und hätte gern erwidert, dass Doktor Binzer in so einer Situation niemals Überstunden von ihr verlangt hätte. Resigniert antwortete sie stattdessen: »Na gut, ich schau mir den Fall an.«

»Fertig bearbeiten sollen Sie den Vorgang, nicht nur ansehen. Der Hund merkt doch nicht, ob Sie heute oder morgen zu ihm kommen.«

»Aber ich vermisse ihn«, stieß Franziska hervor.

Er schüttelte missbilligend den Kopf: »Was kann man nur an so einem Vieh finden, das werde ich nie verstehen!«

»Blödmann«, murmelte Franziska wütend.

»Wie bitte?«, fragte er.

Unschuldig blickte sie ihn an. »Ich habe nichts gesagt.«

Unwillig wendete sie sich ihrem Computer zu, öffnete die Datei und vertiefte sich in die Arbeit. Gegen 18 Uhr, als sich abzeichnete, dass sie heute nicht mehr zum Astaller-Hof fahren konnte, rief sie Lenz an.

»Hallo? Astaller-Hof!«, hörte sie eine Stimme.

»Lenz?«, fragte sie.

»Ja, wer ist denn da?«

»Franziska! Ich bin zu Überstunden verdonnert worden und kann den Cäsar erst morgen abholen.«

»Da wird er aber traurig sein, wenn ich ihm das gleich sage.«

»Meinst du?«, fragte Franzi erschrocken.

»Geh Mädel, ich scherz’ doch bloß«, lachte er.

»Nimm nicht alles so schwer, dann kommst halt erst morgen!«

»Ja, gleich in der Früh bin ich da!«

»Fahr vorsichtig!«

»Ja, Lenz, das mach’ ich!«

»Servus!«

Morgens um sechs sprang Franziska voller Vorfreude aus dem Bett. Nach einer ausgiebigen Dusche und einem schnellen Frühstück machte sie sich auf den Weg nach Dirnbach. Erst unterwegs merkte sie, dass sie weder den Zettel mit der Wegbeschreibung von Lenz dabei hatte, noch über eine Straßenkarte verfügte. »Mist«, murmelte sie. »Hoffentlich kann ich mich an die Fahrtstrecke erinnern.« Aber es dauerte nicht lange, bis sie sich erneut verfahren hatte. Wenigstens das Handy tat dieses Mal seinen Dienst, und so rief sie Lenz an, um ihn nach dem Weg zu fragen. Er lachte gutmütig und erklärte ihr, wie sie über Seehöfl den Astaller-Hof erreichen konnte. Während Franziska den Gasthof »Zum Schwanen« passierte, musste sie kurz an Jakob denken.

Als Franziska auf das Hofgelände einbog, empfingen sie Lenz und Cäsar. Als der Hund sein Frauchen erkannte, stürzte er vor Freude bellend und schwanzwedelnd auf sie zu. Er umkreiste sie freudig, sprang an ihr hoch und versuchte, ihr Gesicht zu lecken.

»Mein Cäsar«, rief Franzi überwältigt vor Wiedersehensfreude und begann glücklich mit ihm herumzutollen.

»Cäsar, hierher«, rief Lenz nach einiger Zeit. Der Hund spitzte die Ohren, rannte zu dem alten Mann und setzte sich zu ihm.

»Wahnsinn«, staunte Franzi. »Wie hast du es denn geschafft, dass er so gehorsam ist?«

»Ich habe dir gesagt, dass ich der Rudelführer bin, oder? Aber das kriegst du auch hin. Wenn du dir Zeit nimmst, arbeite ich gerne mit dir und Cäsar.«

»Prima!«, sagte Franzi. »Wie ist es denn in der Woche mit Cäsar gegangen?«

»Er ist verspielt, aber auch sehr interessiert, wenn er etwas Neues lernen kann. Wir sind hervorragend miteinander ausgekommen.«

»Gott sei Dank«, seufzte Franzi erleichtert. »Ich bin froh, dass ich dich gefunden hab’.«

»Komm in die Stub’n«, Lenz schmunzelte, »ich hab’ Kaffee g’macht.

Lag es am strahlenden Sonnenschein? Erst jetzt fiel Franzi auf, wie vernachlässigt die Wohnküche aussah. Oberflächlich schien alles sauber, doch bei genauem Hinsehen hätten viele Gegenstände einer dringenden Reinigung bedurft. Cäsar lag unter dem Tisch, quer über Franziskas Füßen, so als wollte er damit andeuten, dass er sein Frauchen nicht mehr so einfach weglassen würde.

Während sie sich unterhielten und ihren Kaffee tranken, schweifte Franzis Blick durch das mit alten Holzmöbeln gemütlich eingerichtete Zimmer. Das Porträtbild eines Mannes erweckte ihr Interesse.

»Ist das eine frühe Aufnahme von dir?«, erkundigte sie sich und zeigte auf das Foto, das auf der Anrichte stand.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist Simon, mein Sohn.«

»Er sieht dir sehr ähnlich«, bemerkte Franzi.

»Meinst?«, erwiderte er mit bitterer, harter Stimme, während sich sein Blick verfinsterte. »Ich find’ die Ähnlichkeit nicht so gewaltig. Mein Herr Sohn hat nichts fürs Landleben übrig. Wenn’s hochkommt, sehe ich ihn zweimal im Jahr. Von einem Buben hast wenig im Alter. So ein Mädel wie dich müsst’ man als Tochter haben. Das wäre besser, das stelle ich mir schön vor.«

Franzi schaute ihn gerührt an. Der Lenz hat auch etwas Großväterliches an sich, dachte sie. Er geht doch sicherlich schon auf die 80 zu.

Als ob er ihre Gedanken erraten hätte, knurrte er: »Na, ich bin ein alter Depp, von wegen Tochter! Wohl fast Enkeltochter. Aber selbst dazu reichte es bei meinem Herrn Sohn nicht. Der Simon ist bereits 35 und immer noch Junggeselle, weil er mit seinem Beruf verheiratet ist. Diesen unterkühlten Kerl kann ich mir beim besten Willen nicht als Arzt vorstellen. Noch dazu in einem Krankenhaus.«

»Warum besucht er dich so selten?«, erkundigte sich Franziska.

»Er hat mir nie verziehen, dass seine Mutter mich vor vielen Jahren verlassen hat. Er blieb bei mir und hat mir die Schuld an ihrem Weggehen gegeben.«

»Das ist aber schade«, stellte Franziska fest. »Meine Eltern starben bei einem Flugzeugabsturz. Ich wäre glücklich, wenn sie noch leben würden.«

Sie schwiegen, und in die Stille hinein raunzte Lenz: »Ja, so ist halt das Leben.«

Vorsichtig versuchte Franzi, weitere Details über Simon und die gescheiterte Ehe von Lenz zu erfahren. Doch er wiegelte sofort harsch ab, und Franzi merkte, dass er heute nicht mehr darüber sprechen wollte.

Es ging auf Mittag zu, als Franziska und Cäsar sich zur Abfahrt bereit machten.

»Du hast den Hof noch nicht anständig besichtigt«, bemerkte Lenz. »Ich lass’ dich nicht fahren, bevor ich dir alles gezeigt hab’.«

Cäsar blieb eng an der Seite seines Frauchens und ließ sie nicht aus den Augen.

Stolz präsentierte Lenz seinen üppigen Obst- und Gemüsegarten. Neben dem Hundehaus, in dem sich augenblicklich vier Tiere aufhielten, gab es noch ein Katzenhäuschen. Auf der Koppel standen zwei Stuten: Bergfee und Weibi, die Lenz vor dem Schlachter gerettet hatte. Ein Esel, ein Schaf und drei Ziegen. Auch einige Hühner konnte Franzi entdecken.

»Das sieht ja nach ganz schön viel Arbeit aus«, bemerkte sie.

Lenz kratzte sich verlegen am Kopf. »Ja, das stimmt, aber ich mag halt die Viecher gar so gern. Es macht mir Freud’, für sie zu sorgen. Sie kriegen jetzt ihr Gnadenbrot bei mir.«

»Wie viele Angestellte beschäftigst du?«

Lenz grinste: »Geh’, wo denkst du hin? Das könnte ich mir niemals leisten. Oft helfen mir ein paar jugendliche Tierfreunde, denen ich nichts zahlen muss.«

Franziska schaute ihn verblüfft an: »Das ist unglaublich. Wie schaffst du das auf Dauer?«

Er machte eine abwehrende Handbewegung, wandte sich ab und stapfte davon. Franzi sah, dass er sich mit dem Handrücken über die Augen wischte. Ratlos wartete sie einige Minuten. Als Lenz nicht mehr auftauchte, suchte sie nach ihm und rief seinen Namen. Als nichts geschah, sagte sie: »Komm Cäsar, lass uns fahren, es sieht so aus, als ob der Lenz jetzt seine Ruhe haben will.«

Am Sonntagabend, als Cäsar und Franzi wieder auf dem Astaller-Hof eintrafen, wurden sie sehr freundlich von Lenz begrüßt. Er freute sich sichtlich, dass Franziska auf einen Plausch in die Wohnstube kam. Spät in der Nacht war sie wieder in München.

Die Stimmung in der Steuerkanzlei wurde immer gereizter und Oliver Haupt von seinem Team inoffiziell als Sklaventreiber betitelt. Jeder Tag hielt unerfreuliche Überraschungen bereit.

Am Montagmorgen rief Herr Haupt alle Kollegen zu einem »Meeting« zusammen. Herr Brettschneider, der sich freute, bald in Rente gehen zu können, grummelte: »Ein ›Meeting‹, da könnte er doch aber auch ›Besprechung‹ sagen. Andererseits gibt er eh nur seine Befehle aus, da passt das englische Wort wahrscheinlich besser.«

Doktor Binzer hatte mit seinem Team diskutiert und alles einvernehmlich geregelt. Für ihn unbezahlte Überstunden zu machen, stellte nie ein Problem dar. Dafür zeigte er sich auch großzügig, wenn man kurzfristig frei haben wollte. Doktor Binzer spendierte großzügige Weihnachtsfeiern, und lud einmal im Jahr zu einem Überraschungsausflug ein und vergaß nie einen Geburtstag. Je unangenehmer es mit Herrn Haupt wurde, desto mehr trauerten die Kollegen Doktor Binzer nach.

Am Montag hatte es auf Kanzleikosten immer ein Weißwurstfrühstück gegeben. Jetzt saßen alle um einen leeren Tisch. Selbst Kaffee und Kekse hatte Herr Haupt ersatzlos gestrichen. Unverzüglich kam er nach einem knappen Morgengruß zur Sache: »Sie finden auf Ihren Computern eine Datei, in der Sie ab sofort eintragen, wie lange Sie an einem Vorgang arbeiten. Pausen gelten nicht als Arbeitszeit. Alle Arbeitsunterbrechungen sind aufzunehmen. Speziell die Raucher bitte ich, dies zu beachten. In Zukunft nehmen Sie auch Abstand davon, private Telefongespräche zu führen und außerdienstliche E-Mails abzurufen. Noch Fragen?«

»Ja! Ich hätte noch eine Frage«, warf Herr Brettschneider sarkastisch ein, und sah Herrn Haupt herausfordernd an. »Sollen wir unsere Toilettengänge auch aufschreiben?«

Herr Haupt bedachte ihn mit einem blasierten Blick und bemerkte herablassend: »Natürlich nicht, aber ich bin von Herzen froh, dass Sie bald in Rente gehen, Herr Brettschneider. Dann brauche ich mir Ihre Unverschämtheiten nicht länger anzuhören.«

»Von Herzen?«, blaffte der so Gescholtene. »Wo wollen Sie denn ein Herz haben? Sie halten Menschen klein, quetschen sie aus wie Zitronen.«

»Herr Brettschneider, Sie verlassen auf der Stelle mein Büro. Das wird ein Nachspiel haben! Sie hören von meinem Anwalt.«

Die Anwesenden saßen wie erstarrt, als sich ihr Kollege erhob und wortlos das Zimmer verließ. Als sich die Tür mit einem lauten Knall schloss, bemerkte Herr Haupt zynisch: »Ich stelle es jedem frei, zu gehen, der mit meinem Bedingungen nicht einverstanden ist.«

Am Mittwochnachmittag hatte Franzi solche Sehnsucht nach Cäsar, dass sie sich kurzerhand krank meldete und zum Astaller-Hof fuhr. Ein langer Spaziergang, der sie an Wiesen und Feldern entlangführte, gab ihr Kraft und Zuversicht.

»Mein Cäsarlein«, schmeichelte sie ihrem Hund, während sie seinen Kopf kraulte. »Ist das nicht wunderschön hier?«

»Cäsar heißt das Vieh?«, hörte sie plötzlich eine spöttische Stimme. Sie fuhr herum. Jakob Stettner, der Wirt vom »Schwanen«, stand hinter ihr. »Sie wissen hoffentlich, dass der Hund an der Leine zu führen ist und Sie seine Hinterlassenschaft mitnehmen müssen?«

Franzi nickte. »Selbstverständlich hat Lenz mir erklärt, dass die Landwirte Schwierigkeiten bekommen, wenn sie durch Hundekot verunreinigte Futtermittel einsetzen.«

»Vorbildlich, der Lenz«, rief Jakob sarkastisch. »Wenigstens das merkt er sich, obwohl er schon lang kein richtiger Bauer mehr ist, seit er die Marotte mit dem Getier entwickelt hat.«

»Sie mögen keine Hunde, oder?«, erkundigte sich Franzi.

Er schüttelte den Kopf. »Ich mag nur Viecher, die man schlachten und essen kann.«

Franzi schaute ihn fassungslos an. »Das meinen Sie nicht ernst!«

Er lachte: »Natürlich nicht, war ein Spaß! Ich habe auch einen Hund. Einen Bernhardiner. Kommen Sie doch mit Cäsar im ›Schwanen‹ vorbei. Wir bauen im Moment eine neue Terrasse am See. Das wird idyllisch.«

»Mal sehen«, antwortete Franzi gedehnt.

Der Wirt lupfte seine Kappe, wünschte ihr einen angenehmen Abend und ging seines Weges.

Während Franziska zum Astaller-Hof zurückschlenderte, dachte sie über die seltsame Begegnung mit Jakob nach.

»Das mit den Tieren klang aber nicht nach einem Scherz«, murmelte sie und verschränkte fröstelnd ihre Arme vor der Brust. Sie wusste nicht wieso, aber in der Gegenwart von Jakob fühlte sie sich unwohl.

Kapitel 3

Herr Brettschneider reichte eine Krankmeldung ein und kam nicht mehr an den Arbeitsplatz zurück. Der Sklaventreiber – so nannten die Mitarbeiter ihren Chef, wenn sie unter sich waren – teilte seine Mandanten kurzerhand unter den verbliebenen Mitarbeitern auf und erklärte, dass es keinen Ersatz für Herrn Brettschneider geben würde. Franzi hatte so viel zu tun, dass sie immer erst am Samstag zum Astaller-Hof fahren konnte.

So verging Woche für Woche, und plötzlich breitete sich in der Stadt schwüle, drückende Sommerhitze aus. Als Franziska bei Lenz ankam und aus ihrem Auto stieg, atmete sie tief durch. Der alte Mann bemerkte es mit einem amüsierten Lächeln und sie versuchte sich zu verteidigen: »Lenz, du hast keine Vorstellung davon, wie es in der Stadt stinkt. Hier draußen rieche ich den Sommer. Es ist einfach traumhaft.«

Lenz grinste. »Die Städterin kommt ins Schwärmen, das gefällt mir. Warum bleibst du nicht mit Cäsar übers Wochenend’ bei mir und der reinen Luft?«

»Darauf bin ich jetzt aber gar nicht vorbereitet«, sagte Franzi überrascht.

»Ein Zahnbürst’l kann ich dir schon auch geben«, bot Lenz an.

Franziska überlegte kurz und stimmte seinem Vorschlag zu. Sie sah, wie er sich darüber freute.

»Aber dann will ich will dir bei der Arbeit helfen«, forderte Franzi.

»Hast du nicht genug zu tun, die Woch’ über?«, fragte er.

Ihr Gesicht verfinsterte sich.

»Oh je!«, rief Lenz. »Was ist denn passiert?«

Franzi versuchte, ihre Verzweiflung zu verstecken. Doch vor Lenz konnte sie sich nicht verstellen. Sie hatte in ihm einen väterlichen Freund gefunden, und er sah in der jungen Frau die Tochter, die er sich immer gewünscht hatte.

»Wie soll das nur weitergehen?«, klagte Franzi, als sie mit Lenz auf der Bank vor dem Bauernhof Platz genommen hatte.

»Jeden Abend gehe ich mit Freunden weg, weil ich mich ohne Cäsar so einsam fühle. Morgens drehe ich freudlos meine Joggingrunde und beneide jeden Hundebesitzer, der mit seinem Tier an mit vorbeiläuft! Ich muss mir etwas einfallen lassen! Insgeheim hatte ich gehofft, Herr Haupt würde seine Meinung bezüglich Cäsar ändern. Aber daran glaube ich nicht mehr. Noch nie habe ich einen Menschen kennengelernt, der so hartherzig und egoistisch ist.«

Lenz nickte stumm und drückte Franzis Hand, als er die Tränen in ihren Augen schimmern sah.

Sie fuhr fort: »Ich zahle dir gern die 500 Euro im Monat. Cäsar ist hier gut aufgehoben. Aber dann kommen die Benzinkosten dazu, weil ich so oft wie möglich hierherfahren will. Das ist auf Dauer keine Lösung. Wenn ich nur wüsste, was ich machen soll. Ich studiere die Stellenanzeigen in der Zeitung, aber es ist nichts dabei.«

Mitfühlend schlug Lenz vor: »In einer Stund’ kommen zwei Mädels, die sich angeboten haben, die Pferdeställe auszumisten. Wir nehmen einfach den Cäsar und die anderen Hunde, die sich sicher über einen Ausflug freuen, und gehen zur Marienkapelle.«

»Ich bin nicht gläubig«, grummelte Franzi entschuldigend.

Lenz lachte: »Das ist der Mutter Maria egal. Sie hilft allen, die sie mit einem reinen Herzen bitten. Du zündest der Gottesmutter ein Kerzerl an und trägst dein Anliegen vor. Du wirst erstaunt sein, was alles geschehen kann!«

»Na gut, wenn du meinst, aber wie kann ich dich denn bei der Hofarbeit unterstützen? Ich bleibe gerne, doch du musst mich helfen lassen.«

»Ich merk’, da lässt du nicht locker. Wir werden schon eine Beschäftigung für dich finden.«

Die Hunde schnüffelten begeistert am Wegrand entlang. Sie gingen brav, ohne zu zerren, an der Leine. Falls einer nicht parierte, genügte ein kurzer Befehl, den Lenz mit leiser, energischer Stimme sprach.

»Schau, der weißblaue Himmel!«, rief Franzi. »Das sieht aus wie aus einem Katalog.«

»Darum kommen auch alle zu uns nach Bayern«, bestätigte Lenz.

Die junge Frau atmete tief ein und seufzte: »Ach die reine Luft, und schau die Blumenwiese!«

Nach einer Wegbiegung erblickte Franzi die Kapelle. »Ich warte mit den Hunden draußen«, bot Lenz an. »Geh nur rein zur Gottesmutter.«

Unsicher trat Franzi in das kleine, kühle Gebäude und stellte sich vor die Madonnenstatue. »Entschuldigen Sie, Frau Maria, wenn ich nicht an Sie glaube und Sie trotzdem um Hilfe für meinen Cäsar und mich bitte. Es ist mein innigster Herzenswunsch, dass wir wieder zusammenleben können. Danke schön.«

Sie sah sich suchend um, entdeckte aber keine Möglichkeit, eine Kerze anzuzünden und ging wieder nach draußen. Sie nahm Lenz die Hunde ab und er zog aus seiner Jackentasche ein Teelicht und Streichhölzer.

»Hab’s vergessen dir zu geben«, raunte er. »Ich stell’ es nicht zu nah an die Altardecke. Es wäre doch jammerschade, wenn das Kircherl abbrennen tät, oder?«

Am Samstagabend ließ sich Lenz erschöpft auf die Bank fallen. Er hatte die Wiese gemäht, das Gras mehrmals gewendet, die Ziegenställe ausgemistet und die Pferde gestriegelt. Franzi setzte sich zu ihm. Ihr Rücken schmerzte von der ungewohnten Putzarbeit. Sie hatte die Wohnküche gründlich gereinigt und anschließend das Hunde- und Katzenhaus sauber gemacht.

Der alte Mann und die junge Frau freuten sich über den lauen Sommerabend. Sie aßen Radieser’l und einen Rettich aus eigenem Anbau mit einem Butterbrot und tranken ein kühles Bier dazu.

»Gell, wunderbar mild, der Radi«, lobte Lenz seine Ernte, und Franzi nickte zustimmend. Die Hunde lagen friedlich schlafend vor ihren Füßen. Während der Sommerferien herrschte Hochbetrieb in der Hundepension. Alle neun verfügbaren Räume waren belegt. Cäsar hatte sich in eine griechische Hirtenhündin verliebt. Franzi und Lenz hatten ihren Spaß daran, zu beobachten, wie Franzis Hund die angebetete Hundedame umschwänzelte, die ihn jedoch immerfort ignorierte.

Als die Nacht hereinbrach und ein großartiges Sternenzelt sichtbar wurde, schauten sie beide lange schweigend zum Firmament. Schließlich stand Lenz auf. »Ich bring’ die Pensionsgäste auf ihre Zimmer«, sagte er und weckte die Hunde.

»Soll ich mitkommen?«, erkundigte sich Franzi.

»Nein, nein, schau du nur die Sterne an«, wiegelte er ab. Als er aufstand, verzog er das Gesicht und taumelte leicht.

»Was ist denn los mit dir?«, fragte Franzi besorgt. »Ist dir nicht gut?«

Lenz machte eine abwehrende Handbewegung und ging mit den Hunden weg.

Voller Ehrfurcht schaute Franzi zum Himmel. Trotz des ganzen Ärgers in der Steuerkanzlei breitete sich ein tiefer Frieden in ihr aus. Sie legte die Hände in den Nacken und konzentrierte sich vollkommen auf die funkelnden Sterne. Das laute Kläffen der Hunde riss sie aus dieser friedlichen Stimmung. Verwundert lauschte sie eine Weile, doch als das Bellen nicht aufhörte, ging sie zum Hundehaus. Lenz lag auf dem Boden und rührte sich nicht.

»Lenz!«, schrie Franzi entsetzt.

Er stöhnte und sie betrachtete angstvoll sein kalkweißes Gesicht.

»Lenz!«, rief sie. »Was ist mit dir, hörst du mich? Tut dir etwas weh?«

Er gab keine Antwort. Franzi drehte ihn behutsam auf die Seite und sagte, obwohl sie innerlich vor Aufregung bebte, mit beruhigender Stimme: »Ich bin gleich zurück, ich hol’ Hilfe.«

Sie rannte ins Haus und holte ihr Handy. Während sie zu Lenz zurückhastete, rief sie den Notarztwagen. Sie schob dem alten Mann ein Kissen unter den Kopf und sperrte schnell alle Hunde ein.

Franzi kniete neben Lenz, als die Helfer ins Haus stürmten.

Nach kurzer Zeit stellte der Notarzt fest: »Ein Kreislaufkollaps; in Anbetracht seines Alters ist es besser, wenn wir ihn mit in die Klinik nehmen.« Franzi schlug entsetzt die Hand vors Gesicht und fing an zu weinen.

»Keine Sorge«, tröstete der Arzt, »Ihr Vater ist bei uns in besten Händen.«

»Ich komme mit«, sagte Franzi.

Lenz, der nach einer Spritze das Bewusstsein wiedererlangt hatte, protestierte mit zittriger Stimme: »Bitte, Franzi, die Viecher kannst nicht alleine lassen. Bleib auf dem Hof, das hilft mir am meisten.«

Sie drückte seine Hand vorsichtig. »Wie du willst. Werd bloß schnell g’sund.«

Er schloss seine Augen. »Ich bin so müd’«, ächzte er.

»Nicht reden. Ruhe jetzt!«, befahl der Arzt.

Als der Krankenwagen vom Hof fuhr, holte Franzi ihren Hund und ging mit ihm zum Bauernhof.

»Du musst heute bei mir schlafen, Cäsar«, bestimmte sie. »Allein ist mir ein bisschen unheimlich in diesem riesigen Haus.«

»Wuff«, bestätigte Cäsar, und Franzi stieg mit ihm über die alte, knarzende Holztreppe in den ersten Stock hinauf. Dort gab es eine abgeschlossene Wohnung, die Lenz vor vielen Jahren für Simon eingerichtet hatte.

Als Franzi im Bett lag und Cäsar sich auf seiner Schlafdecke neben ihr ausgestreckt hatte, sagte sie zu ihm: »Ich glaube, der Lenz hat zu viel gearbeitet. Hoffentlich wird er bald gesund. Was soll sonst aus dem Hof werden? Ich hab’ überhaupt keine Ahnung, was zu tun ist.«

Als ob Cäsar sie verstanden hatte, gab er einen tiefen Seufzer von sich. Franzi tat es ihm nach und knipste die Nachttischleuchte aus.

»Morgen sehen wir weiter«, wisperte sie, um sich selbst Mut zu machen. »Aber jetzt wird erst mal geschlafen.«

Erwartungsgemäß hatte Franziskas Chef kein Verständnis für die Notlage seiner Angestellten.

»Urlaub?«, fragte er. »Von heute auf morgen? Der Mann ist doch kein Verwandter von Ihnen, oder?«

Sie bot Herrn Haupt an, wenn es nötig sei, vom Astaller-Hof aus zu arbeiten. Die Dateien könnte er an ihren Laptop senden. Schließlich billigte Herr Haupt eine Woche Urlaub zu, unter der Bedingung, dass sie ohne Bezahlung einige Mandantenvorgänge bearbeiten würde. Zähneknirschend stimmte sie zu, denn sie hatte keine andere Wahl. Wer sollte sonst die Tiere versorgen?

Zwei Tage später bereute sie es bereits bitter, auf die Forderung des Chefs eingegangen zu sein. Sie stand morgens um fünf Uhr auf und sank am Abend um zehn Uhr vollkommen erschöpft ins Bett. Ihre Muskeln schmerzten von den ungewohnten Arbeiten. Längst waren ihre sonst so gepflegten, langen Fingernägel abgebrochen, und ihre Hände fühlten sich wund und rau an. Als sie sich bei den Pferden auf der Koppel aufgehalten hatte, hatte sie sich einen Sonnenbrand eingefangen. Ihr glühendes Gesicht schmerzte. Die Hunde brauchten Beschäftigung und Auslauf. Die Katzen forderten ihre Streicheleinheiten. Die Gluthitze hatte sich noch verstärkt, daher musste sie dreimal am Tag den Gemüse- und Obstgarten gießen. Die reifen Früchte wollten geerntet und verarbeitet werden. Sie fand in der Küche ein abgegriffenes Kochbuch, das unter anderem Rezepte zur Marmeladenherstellung enthielt. Bei allen anderen Verrichtungen am Hof ließ sie sich von ihrem Gefühl leiten.

Mit den eigenen Händen etwas zu schaffen machte sie unglaublich stolz, aber es fehlte ihr die Kraft für die Bearbeitung der Steuerfälle. Pflichtbewusst zwang sie sich am Mittwochvormittag, doch mit ihrem Laptop eine Internetverbindung herzustellen. Verwundert stellte sie fest, dass Herr Haupt keine Dateien übermittelt hatte. Erleichtert packte sie das Gerät weg und widmete sich erneut der Hofarbeit. Sie stand im Stall bei dem Esel, als sie ein knatterndes Geräusch vernahm. Laut bellend hetzte Cäsar hinaus, und Franzi rannte schnell hinter ihm her. Ein Motorradfahrer stieg von seiner Maschine. Als er seinen Helm abnahm, rief Franzi: »Ja, Herr Stettner, was führt Sie denn hierher?«

»Ich hab’ g’hört, dass der Lenz im Krankenhaus ist und wollte schauen, ob ich helfen kann«, sagte er freundlich lachend.

Franzi erkundigte sich erstaunt: »Woher wissen Sie denn das?«

Er grinste: »In unserer Gegend verbreiten sich Nachrichten blitzschnell. Ich weiß auch, dass Sie hier eingezogen sind. Daher biet’ ich jetzt auch das nachbarschaftliche ›Du‹ an.«

Franzi wollte ihn nicht duzen, aber was blieb ihr anderes übrig? Auf welche Weise hätte sie sein Ansinnen denn auch ablehnen können? Sie gab sich einen Ruck, streckte ihm die Hand hin und stellte sich vor: »Franzi.«

Mit einem kräftigen Händedruck erwiderte er: »Jakob.«

Unsicher stand Franzi neben ihm, während Cäsar eng an ihrer Seite blieb. Als Jakob die Hand nach dem Tier ausstreckte, knurrte der ihn an. Verwundert über sein unübliches Verhalten, musterte Franzi ihren Hund.

»Wollen wir ins Haus gehen und etwas trinken?«, fragte Jakob.

Franzi schluckte. »Ich hab’ heute wirklich wahnsinnig viel zu tun, Jakob, aber vielleicht ein anderes Mal.«

Er nickte. »Hoffentlich bald! Wir müssen doch auf unsere Freundschaft trinken! Wie schaut es aus, wie kann ich dir helfen?«

Da Franzi wusste, dass Lenz nichts mit seinen Nachbarn zu tun haben wollte, sagte sie: »Danke für das Angebot, aber ich schaffe es alleine. Der Lenz wird hoffentlich bald wieder nach Hause kommen.«

»Dann lass uns wenigstens die Handynummern austauschen«, schlug Jakob vor. »Versprich mir, dass du dich meldest, wenn du was brauchst.«

Als sie am Abend mit Lenz telefonierte, erwähnte sie nichts von Jakobs Besuch. Lenz kündigte seine Entlassung am nächsten Tag an. »Das ist prima«, freute sich Franzi. »Ich hole dich ab.«

»Nix da, ich nehm’ ein Taxi. Aber wenn du mir was Gutes tun willst, koch’ mir eine kräftige Rindssuppe.«

Der Nachmittag neigte sich schon dem Ende, als Lenz versuchte, vorsichtig aus dem Taxi zu steigen. Seine Haare und sein langer Bart waren erheblich gestutzt worden.

»Grüß Gott!«, rief er ihr zu. »Wie ich dir gesagt hab’ – ich bin runderneuert.«

Der Taxifahrer musste beim Aussteigen helfen, und unter Mühen gelang es Franzi, den alten Mann in sein Schlafzimmer zu bringen. Er aß noch ein paar Löffel Suppe, deren Geschmack er ausgiebig lobte.

»Jetzt ruh’ ich mich noch ein bisserl aus«, verkündete er bald.

»Schlaf dich gesund, lieber Lenz«, bat Franzi und ging aus dem Zimmer.

Als die junge Frau am nächsten Morgen um fünf Uhr gähnend die Küche betrat, saß Lenz am Küchentisch. Sie versuchte vergeblich ihn ins Bett zurückzuscheuchen.

»Im Bett sterben die Leut’«, brummelte er.

Als er nach dem Frühstück mit Franzi ins Hundehaus gehen wollte, kehrte er bereits nach wenigen Metern wieder um und sank schwer schnaufend auf die Bank vor dem Haus.

»Lass es doch langsam angehen«, bat Franzi.

»Bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, knurrte er unwillig. Cäsar blieb an seiner Seite. Auf Schritt und Tritt lief er ihm nach. Franziska fand es rührend und ließ ihren Hund gewähren. Lenz nannte Cäsar seine »haarige Krankenschwester« und nutzte die Zeit für weitere Erziehungsmaßnahmen.

Nach und nach ging es Lenz besser, aber Franzi sah, dass er zukünftig die Arbeit keinesfalls mehr alleine bewältigen konnte.

»Lenz, wen soll ich denn um Hilfe bitten?«, erkundigte sie sich vorsichtig.

»Ich brauch’ keinen«, beharrte er starrköpfig.

»Eventuell jemand aus dem Dorf?«

»Das kommt überhaupt nicht infrage!«, grantelte er. »Ich hab’ dir g’sagt, dass ich schon lange mit den Dirnbachern fertig bin und mit den Seehöflern sowieso.«

»Ich muss am Montag in die Steuerkanzlei zurück«, erklärte Franzi. »Länger bekomme ich nicht frei!«

»Jetzt mach dir nicht so viele Sorgen, ich pass’ schon auf mich auf!«, raunzte er. »Die haarige Krankenschwester ist ja auch noch da!«

Mit gemischten Gefühlen hatte Franzi den Astaller-Hof am Montag in aller Früh verlassen. Müde stand sie bei Rita, der Empfangsdame der Steuerkanzlei, und berichtete ihr über das Leben auf dem Bauernhof, als plötzlich die Eingangstür aufgestoßen wurde und eine Horde Männer in die Steuerkanzlei stürmte. »Zoll« stand auf ihren Jacken.

Erschrocken wichen die Frauen zurück. Ein Mann mittleren Alters, der einen lässigen Pullover zu seiner Jeans trug, zückte seinen Ausweis. »Steuerfahndung, Peter Rutzke«, schnarrte er, während er ihnen die kleine Plastikkarte hinhielt.

»Bitte bleiben Sie an Ihren Arbeitsplätzen, keiner verlässt das Steuerbüro ohne meine Erlaubnis. Wo ist das Büro von Oliver Haupt?«

»Er … er ist nicht da«, stammelte Rita.

»Aha«, stellte Herr Rutzke fest. »Wo ist er?«

»Keine Ahnung. Er hat letzten Montag angerufen und sich krankgemeldet«, stotterte Rita. »Er wird zu Hause sein.«

Herr Rutzke zückte sein Handy, wählte eine Nummer und raunte: »Habt ihr ihn?«

»Mist!«, schrie er. »Nein, hier ist er auch nicht. Sofort zur Fahndung ausschreiben!«

Er wandte sich zu Rita. »Zu Hause ist Herr Haupt nicht.«

»Was ist denn hier los?«, fragte Franziska unsicher, als sie langsam die Fassung zurückgewann.

»Details darf ich nicht nennen. Verdacht auf Veruntreuung von Mandantengeldern und Steuerhinterziehung. Wir nehmen Akten, Computer und alles mit, was uns wichtig erscheint. Im Anschluss werden die Büroräume versiegelt.«

»Für wie lange denn?«, erkundigte sich Franzi.

»Das kann Monate dauern«, stellte Herr Rutzke fest. Mit gesenkter Stimme, seinen Kopf verschwörerisch nach vorn geneigt, sage er: »Im Vertrauen gesagt, ich an Ihrer Stelle würde mir einen neuen Job suchen.«

Die schockierten Mitarbeiter mussten viele Frage beantworten. Franzi kam sich vor wie in einem Fernsehkrimi. Bis spät in die Nacht dauerten die Befragungen. Jetzt verstand sie, wieso ihr Herr Haupt nichts geschickt hatte. Er hatte sich mit den veruntreuten Mandantengeldern überstürzt abgesetzt. Franziska meldete sich am nächsten Morgen zum ersten Mal in ihrem Leben Arbeit suchend.

Anschließend rief sie Lenz an und fragte nach seinem Gesundheitszustand. Sie erzählte ihm von den Vorkommnissen in der Steuerkanzlei.

»Ja, Mädel, die Welt ist schlecht«, stellte Lenz fest. »Pack deine Sachen und komm zu mir raus, wenn dir danach ist.«

Franziska machte sich am Nachmittag auf den Weg nach Dirnbach und wurde von Lenz freudig willkommen geheißen.

»Ich weiß nicht, ob dir die Arbeit überhaupt gefällt«, sagte Lenz, »aber bis du eine neue Anstellung findest, könntest du hierher ziehen. Viel bezahlen kann ich nicht, aber Kost und Logis sind umsonst. Außerdem müsstest du mir für Cäsar kein Geld mehr geben. Na?«

»Probieren können wir’s ja«, stimmte Franziska zu. »Ich hab’ viel Freude hier mit den Tieren.«

Dass sich in München viele ihrer Freunde von ihr zurückgezogen hatten, erzählte Franzi nicht. Sie hatten für ihre Wochenendaufenthalte auf dem Land kein Verständnis aufbringen können. Franzi war verbittert darüber, dass ihr niemand Hilfe angeboten hatte, als sie Cäsar nicht mehr mit ins Büro nehmen durfte. Eine tiefe Kluft hatte sich da aufgetan, und sie hatte schließlich begreifen müssen, dass manche Menschen eine andere Vorstellung von Freundschaft hatten als sie selbst.

Kapitel 4

Als der Sommer ging, hatte sich auf dem Astaller-Hof bereits einiges geändert. Nachdem Lenz’ Kräfte immer mehr nachgelassen hatten, was ihn sichtlich verdross, war es Franzi gelungen, den freiwilligen Helfern feste Arbeitszeiten zuzuteilen. Die zahlreichen Tätigkeiten konnten auf diese Weise besser koordiniert werden. Da die Hunde- und Katzenpension die Haupteinnahmequelle von Lenz darstellte, betrieb Franzi nun auch verstärkt Werbung im Internet, um Kunden zu gewinnen. Gerne hätte sie auch einen Hofladen eröffnet. Lenz stimmte diesem Plan aber nicht zu. »Da rennen dann lauter Fremde hier rum, das will ich nicht«, sagte er starrsinnig, obwohl Franzi und Lenz den überreichen Ertrag der ganzen Obstbäume kaum verarbeiten konnten.

In einem Weidenkorb schleppte Franzi die geernteten Äpfel in die Küche. »Noch mehr Äpfel!«, rief sie fröhlich und Lenz brummte: »Macht nix, hab’ noch genug Gläser für Kompott.«

»Geh, so viel können wir zwei doch gar nicht essen!«, meinte Franzi.

»Fang nicht wieder mit dem Hofladen an«, stöhnte er. »Da geb’ ich dir nicht nach!«

»Dann erlaube mir doch aber wenigstens, dass ich die restlichen Äpfel zum Saftmachen bringe«, forderte sie.

»Na gut, nicht dass du meinst, ich sei halsstarrig. Aber eines kann ich dir gleich sagen, der Stettner schummelt bestimmt«, grummelte er.

»Gibt es denn Alternativen?«, fragte sie.

»Gibt leider keine«, knurrte Lenz. »Nur die Stettners besitzen eine Saftpresse.«

Franzis Auto bog sich unter der Last der Früchte. Fünfmal fuhr sie voll beladen zu Jakob, der sich sichtlich freute, sie zu sehen. »Jetzt kommst mir nicht mehr davon«, bestimmte er. »Du musst dir die neue Seeterrasse anschauen und einen Kaffee trinken.«

»Wie im Urlaub«, seufzte Franzi, als sie auf die zauberhafte Landschaft blickte.

Jakob lachte: »Du bist braun geworden, das steht dir gut. Scheinst ja mit dem alten Eigenbrötler auszukommen.«

Mit ernster Miene stellte sie fest: »Ich gehe davon aus, dass du den Lenz meinst. Ja, wir kommen einwandfrei zurecht. Mehr möcht’ ich auch nicht darüber sagen.«

»Auf jeden Fall nehmt ihr einen Spitzenplatz beim Dorftratsch ein. Junges Mädel und alter Mann. Das regt bei manchen Leuten hier die Fantasie an.«

»Das ist eine bodenlose Unverschämtheit«, empörte sich Franziska. »Er ist wie mein eigener Vater für mich!«

Genau das hatte Jakob wissen wollen, und er wechselte sofort das Thema. »Am Wochenende ist bei uns das Seefest, ich würde mich freuen, wenn du kommen könntest. Es wird zum Tanz aufgespielt, und wir richten ein großartiges Buffet her.«

Bevor sie antworten konnte, donnerte eine Stimme über die Terrasse. »Jakob, ich such’ dich überall. Da bist du ja!« Die Blicke aller Anwesenden wandten sich dem kräftigen älteren Herrn zu, der zügig an ihren Tisch trat.

»Vater!«, rief Jakob. »Darf ich dir Franziska Obermair vorstellen? Sie lebt beim Astaller-Lenz. Franziska, das ist mein Vater, Mattes Stettner.«

»So, Sie sind das also«, sagte Stettner Senior mit verächtlicher Stimme.

Er wandte sich an seinem Sohn: »Hast wohl zu wenig Arbeit? Der feine Herr Wirt sitzt am hellerlichten Tag da und trinkt Kaffee.«

Peinlich berührt schaute Jakob zu seinem Vater, der sich vor ihm aufgebaut hatte. »Ich komm’ gleich«, wiegelte er ab und stand hastig auf.

»Servus, Franzi, hoffentlich sehen wir uns beim Seefest«, sagte er und folgte hurtig dem Senior.

Lenz schüttelte ungläubig den Kopf, als Franzi ihm von dieser seltsamen Begegnung erzählte.

»Kannst du jetzt verstehen, wieso ich mit denen nix zu tun haben will?«, fragte er.

Sie nickte.

»Pass bloß auf, dass sich der Jakob nicht in dich verschaut. Wenn ein Stettner eine Frau rumkriegen will, kennt der keine Gnade.«

»Woher weißt du das?«, fragte Franzi.

Der alte Mann wiegelte ab. »Glaub’s mir einfach, lass dich nicht mit denen ein«, brummte er.

Das hatte Franzi sowieso nicht vor und ging selbstverständlich nicht zum Seefest.

Sie holte einige Tage später den Apfelsaft bei Jakob ab und wunderte sich über den geringen Ertrag. In der nächsten Zeit gelang es ihr erfolgreich, ihm aus dem Weg zu gehen.

Als der erste Schnee fiel, verließ die griechische Hirtenhündin den Astaller-Hof. Cäsar lag eine Woche apathisch herum. Er winselte und jaulte, zum Erbarmen. Selbst der Postbote wunderte sich, dass er nicht mehr bellend empfangen wurde und schmunzelte amüsiert über Franziskas Erklärung. »Ja, ja die Weiber«, kommentierte er.

Franzi trug die Post in die Wohnküche. »Lauter Werbung«, sagte sie. »Für dich ist ein Brief dabei.«

Lenz öffnete den Umschlag und fingerte ungeschickt eine Karte heraus. Er warf einen flüchtigen Blick darauf. Mit gerunzelter Stirn las er einen kurzen Text. »Von meinem Herrn Sohn«, grantelte er.

»Das ist doch nett«, kommentierte Franzi. »Wieso schickt er dir eine Karte? Hast du mir etwa deinen Geburtstag verschwiegen?«

»Ist für mich ein Tag wie jeder andere auch«, grummelte er.

»Lenz!«, rief Franziska vorwurfsvoll.«

Er stieß einen Seufzer aus. »Morgen werd’ ich 75, nur falls der Bürgermeister auf die Idee kommt, hier aufzutauchen. Ich verbiete dir ausdrücklich, den Stettner-Mattes ins Haus zu lassen.«

»Der alte Stettner ist der Bürgermeister?«, wunderte sich Franzi.

»Nur noch ehrenhalber. Aber bei besonderen Geburtstagen schicken sie ihn zum Gratulieren.«

Franzi stand auf. »Ich werde dir einen Geburtstagskuchen backen. Magst mir vorlesen, was dein Sohn dir geschrieben hat?«

Lenz griff nach der Karte und las stockend: »Lieber Papa, alles Gute zum Geburtstag und viele Grüße von Simon. P. S.: Ich komme bald vorbei.«

Er hat zwar an den Jahrestag seines Vaters gedacht, aber dennoch vergessen, dass es der 75. ist, wunderte sich Franzi.

Am anderen Morgen wartete sie mit ihrem Kuchen vergeblich auf Lenz. Lange vor dem Frühstück hatte er das Haus verlassen. Die wenigen Gratulanten, darunter auch Jakob und Mattes Stettner, schickte Franzi fort. Obwohl sie sich über das Verschwinden des alten Mannes ärgerte, machte sie sich Sorgen. Erleichtert atmete sie auf, als am späten Nachmittag ein Taxi auf den Hof fuhr, dem Lenz entstieg. Cäsar, dem Franziska zur Feier des Tages eine rote Schleife um den Hals gebunden hatte, stürmte ihm entgegen.

Lenz hielt zwei Flaschen in der Hand und rief Franzi aufgeräumt zu: »Hol die guten Gläser aus dem Schrank, jetzt trinken wir Champagner.«

Freudig schnitt er Franzis selbst gebackenen Kuchen an und lobte die dekorative Schleife, die Cäsar um den Hals trug. Lenz merkte, dass Franzi sich nicht beschwichtigen ließ. Wortkarg und beleidigt saß sie am Tisch.

»Ich musste nach Garmisch, dringende Geschäfte erledigen«, versuchte er sie zu versöhnen.

Franzi schüttelte ungläubig den Kopf. »An deinem Geburtstag?«

»Wer wollte gratulieren?«, fragte er scheinheilig, um vom Thema abzulenken.

Franzi musste lachen. »Lenz, du bist ein Schlitzohr. Ich kann dir nicht böse sein, obwohl ich mich heute den ganzen Tag um dich gesorgt hab’.«

Er schrich über ihre Wange und lächelte gerührt. »Ach, mein Mädel, erinnerst du dich daran, wie du zu Maria gebetet hast, dass alles gut werden soll? Ich hab’ mir gewünscht, dass der liebe Gott dich bei mir lässt. Du bist mein allerschönstes Geschenk.«

Als die Weihnachtsferien begannen, trafen nach und nach immer mehr Hunde- und Katzenbesitzer ein, um ihre Lieblinge in die Obhut von Lenz und Franzi zu übergeben.

»Ausgebucht«, musste Franzi jenen Tierfreunden sagen, die noch kurzfristig einen Platz für ihr Haustier suchten.

Kurz vor Weihnachten meinte Lenz so nebenbei: »Bin ja gespannt, ob Simon kommt«, und Franzi überlegte, ob sie seinen Sohn anrufen sollte. Andererseits ging sie die Beziehung zwischen Vater und Sohn nichts an.

Der betrübte, enttäuschte Blick von Lenz schnitt ihr ins Herz, als er einige Tage vor dem Fest eine Weihnachtskarte von Simon erhielt. Ein 500-Euro-Schein fiel heraus, den Lenz zusammen mit der Karte und einem wütenden »Ich brauch’ doch keine Almosen von dem Kerl« in eine Schublade warf.

»Willst du heute Abend denn in die Christmette gehen?«, erkundigte sich Franzi am Weihnachtsmorgen.

Lenz schüttelte den Kopf. »Nein, ich hab’ keine Lust, in der Heiligen Nacht auf die Dirnbacher und Seehöfler zu treffen. Wir zünden der Gottesmutter, die das Jesuskind geboren hat, eine Kerze an.«

Sie nahmen einige Hunde mit und stapften durch den hohen Schnee zur Marienkapelle. »Lenz«, fragte Franzi besorgt. »Ist dir das nicht zu anstrengend?«

Er winkte ab und schnaubte: »Mach mich nicht älter und kränker, als ich bin!«

Die Hunde tobten herum und hatten ihren Spaß. Cäsar, der noch nie so viel Schnee erlebt hatte, tappte anfangs vorsichtig durch die weiße Pracht. Dann steckte er seine Schnauze in den flockigen Neuschnee. Als er mit weißer Schnauze vor Franzi und Lenz stand, mussten die beiden herzlich lachen.

»Als ob er Eischnee g’fressen hat«, feixte Lenz.

Cäsar wandte sich beleidigt ab und schloss sich den anderen Hunden an, die vergnügt spielten. Er leckte mit der Zunge an der weißen Masse, fraß etwas davon und musste niesen.

»Cäsar entdeckt den Schnee!« Belustigt sah ihm Franzi zu und meinte zu Lenz: »Erst jetzt fällt mir auf, wie wenig ich brauche, um glücklich zu sein.«

Gerührt legte Lenz den Arm um sie. »Ja, Mädel, das vergessen wir oft. Mir geht es heute auch richtig gut, und ich hab’ ein frohes Herz.«

»Das klingt gut, ein frohes Herz!«

»Versuch’s dir zu bewahren!«, wünschte ihr Lenz.

»Soll ich uns einen Christbaum besorgen für heute Abend?«

»Das wäre schön«, stimmte Franzi zu. »Aber wo willst du jetzt noch einen Baum herbekommen?«

Lenz begann schallend zu lachen und zeigte mit einer ausladenden Handbewegung nach rechts und links. »Na hier im Wald, da gibt es Bäume genug.«

»Aber man darf nicht einfach einen fällen, oder?«, fragte Franzi besorgt.

»In seinem eigenen Forst schon«, grinste Lenz.

»Der Wald gehört dir?«, rief Franzi überrascht.

»Freilich«, feixte er. »Was meinst du, wer die Marienkapelle gebaut hat?«

»Na du bist mir einer! Komm, lass uns schauen, ob wir einen schönen Christbaum finden«, rief Franzi, um dann enttäuscht festzustellen: »Du hast ja keine Axt dabei.«

»Die kann ich holen«, bot Lenz an.

»Das macht zu viel Mühe, den gesamten Weg noch mal hin und zurück.«

»Stimmt«, sagte Lenz betrübt. Er sah sich um und rief: »Ja schau mal, da liegt ein Baum!«

Verdattert starrte Franzi zum Wegrand hin.

Wieder lachte Lenz. »Den hab’ ich gestern geschlagen, sollte eine Überraschung sein.«

»Na, die ist dir aber gelungen«, rief Franzi lachend.

Sie schleppten die kleine Tanne zum Astaller-Hof, schmückten sie mit alten Kugeln und betrachteten dann stolz ihr Gemeinschaftswerk.

»Jetzt hab’ ich Hunger«, warf Lenz trocken ein.

»Ist ja auch schon Essenszeit«, bestätigte Franzi.

Es gab Leberknödelsuppe und speziell geräucherte Weihnachtswürste mit Sauerkraut und Brot. Franzi hatte Vanillekipferl gebacken, nach einem Rezept, das laut Auskunft von Lenz, von seiner Ur-Großmutter stammte. Sie saßen gemütlich zusammen, der Kachelofen verbreitete eine wohlige Wärme, und Cäsar lag friedlich schlafend auf einem Teppich neben ihnen.

»Kennst du die Geschichte von den Tieren, die in der Christnacht sprechen können?«, erkundigte sich Lenz.

»Nein«, sagte Franzi.

Lenz lehnte sich bequem zurück und begann zu erzählen: »Eine alte Mär, überliefert von Generation zu Generation, besagt, dass Tiere in der Christnacht sprechen können.«

»Auch Hunde?«, unterbrach Franzi.

»Probier es aus!«, schmunzelte Lenz und fuhr fort: »Als kleiner Bub erzählte mir meine Großmutter, dass meine Lieblingskuh, die Schecki, nach Mitternacht sprechen könne. Man dürfe aber auf keinen Fall vor der Stalltür stehen und zuhören, was die Viecher sagen, denn das brächte Unglück.«

»Du mochtest schon als Kind Tiere gerne?«, fragte Franzi gerührt.

»Ja, das stimmt«, bestätigte Lenz. »Ich dachte mir, wenn ich nicht vor der Stalltüre lauschen darf, dann geh’ ich halt rein.«

»So ein Lausbua!« Franzi grinste.

»Nach der Christmette musste ich ins Bett. Ich bin heimlich wieder aufgestanden, habe mich zur Schecki geschlichen und sie gefragt, ob sie mich auch so gern hat wie ich sie. Sie glotzte mich mit ihren reizenden Kuhaugen an, sprach aber kein Wort. Müde legte ich mich zu ihr, in der Hoffnung, dass sie mit den anderen Tieren eine Unterhaltung beginnen würde, doch nichts passierte. Ich bin neben ihr eingeschlafen. Am Morgen haben die Meinen nach mir gesucht. Was ich für eine Aufregung verursachte, kannst du dir vorstellen. Als mich der Vater fand, gab es eine ordentliche Tracht Prügel.«

»Ah herrje, da tust du mir jetzt noch leid.«

»Ich weinte nicht nur wegen der Schläge, sondern aus Enttäuschung, weil ich mich mit der Schecki nicht unterhalten konnte.«

Franzi lachte: »Da bin ich aber gespannt, was mir der Cäsar heute Nacht alles erzählt.«

Das Hunde- und Katzenhaus war fast leer, die Pferde waren im Stall, und der Garten lag brach. Hier gab es sie noch, die »staade Zeit«. Franzi nutzte die Gelegenheit und fuhr nach München, um nach ihrer Wohnung zu sehen. Sie hatte mit Lenz eine heftige Diskussion darüber geführt, ob sie ihren Haushalt in München komplett aufgeben sollte. Lenz drängte dazu, denn er fand es eine unsägliche Geldverschwendung, für eine kaum genutzte Wohnung Miete zu zahlen. Franzi hing jedoch an den zwei Zimmern in München-Giesing.