Karibikgeschichten - Gert Heinstein - E-Book

Karibikgeschichten E-Book

Gert Heinstein

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Beschreibung

Oft bleiben Träume unerfüllt. Werden sie Wirklichkeit, dann weiß man nicht immer, wohin sie einen führen können. Aber eines ist sicher, man zehrt davon, solange man lebt. Dieses Buch führt in die Welt der Hochseesegler und erzählt in Form eines Tagebuchs die Erlebnisse während verschiedenen Segeltörns in der Karibik ab 1992 bis 2020. Auch wenn man noch nie ein Schiff betreten hat, sind alle navigatorischen Dinge verständlich beschrieben. Besondere Fachausdrücke werden im Nachwort aufgeführt.

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Dieses Buch möchte ich meiner Frau, meinen Kindern und meinen Enkeln anvertrauen, die, so hoffe ich sehr meine Erlebnisse nachverfolgen können.

in Liebe

Euer Gert

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 – Alles hat einen Anfang

Kapitel 2 – Erste Karibikberührung

Kapitel 3 – Wiedersehen in der Karibik

Kapitel 4 – Kein Törn ist wie der andere

Kapitel 5 – Neue Ziele

Kapitel 6 – Il y a vraiment plus…und kein Ende in Sicht?

Kapitel 7 – Neue Erlebnisse und Erfahrungen

Kapitel 8 – Musik lag in der Luft

Kapitel 9 – Zu guter letzt, ein Nachwort

Kapitel 1 – Alles hat einen Anfang

Eigentlich habe ich meiner Frau zu verdanken, dass ich heute der Spezies Hochseesegler angehöre, denn sie war es, die mich animierte, mich bei einer Segelschule anzumelden. In unserer Tageszeitung las sie eine Anzeige einer hiesigen Segelschule, erkundigte sich dort kurzerhand und drückte mir anschließend einen Zettel mit Terminangaben und Unterrichtsort in die Hand. Wassersport hatte mich schon als Kind interessiert. Sehnsüchtig beobachtete ich die Segeljollen auf dem Neckar, wenn ich mit meinen Eltern auf der Neckarwiese spazieren ging. Meine Gedanken kreisten sehr oft in den Sphären der Weltmeere mit ihren Windjammern, den Dreimastern, Viermastern und ihren Abenteuern. Ich malte und zeichnete schon immer gern, daher wurden diese Segelschiffe so gut ich es konnte, auf meinen Zeichenblock gebannt. Meine Lieblingsbücher waren Abenteuergeschichten von Seeräubern, von Schiffsjungen, die zum ersten Mal auf einem großen Segelschiff mitgefahren waren.

Natürlich kam später der Modellbau auch nicht zu kurz. Eines meiner schönsten Modellschiffe war die Gorch Fock, deren weiße Segel ich auf Mutters Nähmaschine eigenhändig genäht hatte. Es war auch nicht das letzte Schiff aus meiner Werkstatt.

Ich war schon berufstätig, als der Wunsch nach einem eigenen Boot mich veranlasst hatte, im Keller unseres Reihenhauses mit GFK eine Segeljolle zu bauen.

Spanten, Leisten, Glasfasermatten, Polyester und einen selbst entworfenen Bauplan lagen bereit. Während der Bauzeit roch es im ganzen Haus nach dem Polyesterharz, was selbst den Nachbarn nicht entgangen war. Irgendwann stand das Schiff fertig im Keller. Kompliziert wurde es, den sehr schweren Bootsrumpf von dort in den Garten zu hieven. Mit angebautem Kiel brachte ich es nicht durch die Kellertür ins Freie, sodass ich den Kiel wieder abtrennen musste. Ja, Learning by Doing. Mit großer Mühe und gewaltiger Kraftanstrengung lag das Boot endlich im Garten, diente letztlich als Spielschiff für unsere Kinder, für den Transport ohne Trailer zu schwer.

Auf dem Neckar in Heidelberg konnte man sich Tretboote und Ruderboote mieten, was ich mit sechzehn, siebzehn Jahren auch unternommen hatte und mit Freunden auf dem Fluss Richtung Neckarinsel unterwegs war.

Einer meiner Schulkameraden überraschte uns mit einer Neuigkeit. Ein Bekannter schenkte ihm eine alte Segeljolle, allerdings fehlten Mast und Steckschwert. Ihr allgemeiner Zustand sah nicht vertrauenerweckend aus. Man müsste vorher einige Arbeiten investieren, um mit ihr sich auch auf das Wasser zu wagen.

In der Zeit, in der das ganze spielte, fuhren auf dem Neckar große Lastschiffe ohne Motor, wir nannten sie „Schlappen“, die von starken motorisierten Schleppern gezogen worden sind. Langsam fuhren diese Zugverbände flussauf, besonders wenn die Lastkähne schwer beladen waren. Dann schwappten Wellen am tiefsten Punkt bis an die Bordwand des Laderaums. Ein Rettungsboot hing vorschriftsmäßig am Heck dieser "Schlappen".

Irgendwann kam also der Tag, an dem unser Boot restauriert war und wir „in See stechen“ konnten. Nach erfolgreichem "Stapellauf" paddelten wir zur Flussmitte hin und waren froh, dass alle undichte Stellen beseitigt waren.

Inzwischen näherte sich ein solcher Schleppverband auf der Fahrt flussaufwärts. Unsere Devise galt jetzt, volle Kraft voraus, nichts wie zu diesem Kahn hin und am Rettungsboot festhalten. Es war die beste Möglichkeit, ohne das kraftraubende Paddeln mindestens einen Kilometer den Fluss hinaufzukommen. Flussabwärts hätten wir mit der Strömung ein entspanntes Fahrvergnügen.

Bei unserem Schiff war ein Steckschwert vorgesehen, das man in den Kielkasten in der Bootsmitte steckt. Leider fehlte dieser Steckkiel bei uns, was sich als höchst problematisch erweisen sollte.

Das Rettungsboot des Schleppverbandes war jetzt zum Greifen nahe. Einige kräftige Paddelzüge nur noch seine Bordkante packen und schon wurden wir flussauf gezogen. Unsere Freude über dieses geglückte Andockmanöver währte nicht lange. Die höhere Fahrtgeschwindigkeit unseres Kahns sorgte dafür, dass aus dem Steckschacht ein gewaltiger Wasserstrahl sich in unser Schiff ergoss. Damit hatte niemand gerechnet. Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe folgend, ließen wir den Rettungskahn sofort los. In unserer Jolle standen innerhalb wenigen Minuten fast dreißig Zentimeter Wasser und das Boot drohte zu sinken. Wir schöpften mit allem, was wir bei uns hatten, leere Flaschen, Plastikbeutel und einem Ösfass. Leicht zerknirscht und etwas durchnässt paddelten wir zum Ufer zurück. Es wäre doch besser, sich ein Segel zu besorgen.

Die Erinnerungen an meine Erlebnisse auf dem Wasser in meiner Jugendzeit und der tief in mir schlummernde Wunsch, das Segeln zu erlernen, waren dann ausschlaggebend, dem Wink mit dem Zaunpfahl meiner Frau nachzugehen und mich bei der Segelschule anzumelden.

Ich möchte mir hier ersparen, auf die Ausbildungszeit ab 1983 näher einzugehen. Viele notwendige Seemeilen während wunderschönen Segeltörns im Mittelmeer und der Ägäis sowie wichtige Prüfungen um die nötigen Führerscheine zu erlangen, lagen hinter mir, bis ich 1990 erstmals als Skipper mit meiner Familie und einem erfahrenen Segelfreund einen eigenen Törn um Mallorca wagte.

Nach einer weiteren Segeltour an der Côte Azur 1991 in der Funktion als Bootsmann von der Segelschule ausgerichtet, begann 1992 für mich ein Traum wahr zu werden. Mein ehemaliger Segellehrer Friedhelm arrangierte im Februar 92 einen Flottilientörn in der Karibik. Zu meiner Freude hatte ich die Ehre, als Skipper mitzuwirken. Geplant war mit drei Schiffen von Martinique aus Richtung Süden fahren mit dem Ziel Tobago Cays, Union Island und wieder zurück.

Neben Skipper Friedhelm war Cojak, so nannten wir ihn wegen seines Aussehens der Dritte im Bunde.

Bei einer Vorbesprechung wurden die Crews auf die drei Schiffe verteilt, dabei hatten wir auch die Wünsche der Teilnehmer im Blick. Friedhelms Crew stand bereits vor diesem Treffen fest. Cojak und ich sollten uns über die übrigen Teilnehmer einigen. Drei wollte er nicht bei sich an Bord haben. Er glaubte, dass sie besser bei mir aufgehoben seien. Zum gegenwärtigen Augenblick war keiner meiner zukünftigen Crewmitglieder mir bekannt. Der Altersunterschied meiner Leute versprach, eine interessante Mischung zu sein. Jedenfalls sah ich keine Probleme, man würde sich für die kurze Zeit sicher arrangieren. Meine weiblichen Crewmitglieder Antje und Helga lagen altersmäßig mit 27 und 55 Jahren am weitesten auseinander. Hans Günter, kurz Hagü genannt, war mit 54 Jahren mein ältestes männliches Crewmitglied. Zu diesem Zeitpunkt zählte ich 45 Lenze. Bernd gehörte mit 42 zu meiner Liga, gefolgt von Werner mit 35 Jahren. Uwe war 32 und Giuseppe 31 Jahre. Voller Spannung und Vorfreude bereitete ich mich als Skipper intensiv vor. Ich las Törnberichte und Seehandbücher über die kleinen Antillen, Wegbeschreibungen von Martinique bis nach Grenada. Dann war es endlich soweit.

Kapitel 2 –Erste Karibikberührung

Unser Flug startete am Donnerstag, den 20. Februar 1992, zunächst frühmorgens von Frankfurt nach Paris, Airport General de Gaulle. Danach Transfer zum Airport Orly und Weiterflug nach Martinique um 14 Uhr 50. Nach acht Stunden Flugzeit erreichten wir gegen 18:00 Uhr Ortszeit Airport Lamentin auf Martinique. Wir organisierten für die Fahrt in die sechzehn km entfernte Marina Pointe du But drei Kleinbusse, die wir gegen 19:00 Uhr erreichten. Die Marina liegt am Kopf von Anse Mitan und gehört zu dem Trois Ilet District. Zugegeben, wir waren an touristischen Attraktionen dieser laut Reiseführer schönen Region nicht sonderlich interessiert. Wir wollten möglichst schnell unsere Schiffe übernehmen und dann lossegeln. Bei Tageslicht betrachtet lagen die Stege dichter beisammen, was das Ablegen oder die Einfahrt in den Liegeplatz schwieriger gestalten würde. So weit waren wir noch nicht. Zunächst bezogen wir unsere drei Schiffe. Für meine 7-köpfige Crew und mich stand eine Gib Sea 372 zur Verfügung, Länge 10,80 m, Breite 3,65 m, 18 t, nicht gerade ein Raumwunder. Der Name der Jacht war Marie Therèsa

Wie immer ist ein Bootscheck obligatorisch, der mithilfe der Chartergesellschaft durchgeführt wird. Am nächsten Tag, Freitag morgen, fingen wir mit der großen Inspektion an. Die erste unangenehme Überraschung, wir wachten auf und standen knöcheltief im Wasser. Die Ursache konnten wir schnell ermitteln: Die PE-Wassertanks unter der Sitzbank im Mannschaftsraum waren geplatzt. Das gesamte Trinkwasser verteilte sich auf dem Boden. Mit den Lenzpumpen legten wir unser zukünftiges Heim trocken und bauten die schadhaften Behälter aus. Neue Wassertanks waren in kurzer Zeit nicht aufzutreiben. Wir besorgten uns statt dessen große Trinkwasserflaschen und platzierten sie an die Stelle der alten Tanks. Glücklicherweise hielten sich die übrigen Mängel in Grenzen und waren gegen 14:00 Uhr bereit zum Ablegen.

Die ersten elf Meilen waren für den Anfang genug; wir lagen bereits gegen 17:00 Uhr in der Grande Anse d´Arlet vor Anker. Vom Strand her schallte karibische Musik zu uns herüber, eine Menge Leute feierten. Keinen von uns hielt es länger an Bord. Unser Beiboot mit Außenbordmotor hing sehr rasch abfahrbereit an der Badeleiter. In zwei Fuhren transportierte ich unsere Crew an Land. Die beiden anderen Crews waren schneller als wir und beschafften für uns einen Sitzplatz. „Hier lässt es sich gut feiern“, dachte nicht nur ich.

Trotz toller Stimmung durfte der Abend nicht allzu lange werden, denn am nächsten Tag wollten wir sehr früh nach Saint Lucia aufbrechen.

Pünktlich 8:30 Uhr legten wir ab, setzten die Segel und eine rauschende Fahrt von durchschnittlich acht Knoten begann, was uns in euphorische Stimmung versetzte.

Allerdings gab es die ersten Verluste. Giuseppes Mütze wehte es vom Kopf auch mein T-Shirt ging über Bord, weil es noch an der Reling gehangen hatte. Ein sofort eingeleitetes „Hemd über Bord Manöver“ konnte den endgültigen Verlust meines Shirts nicht verhindern. Es versank vor unseren Augen in die Tiefen des Meeres. Was solls! Das geflügelte Wort „zehn Prozent Verluste sind immer drin“ machten von dem Zeitpunkt an immer die Runde und wurde jedes Mal mit schallendem Gelächter quittiert.

12:50 Uhr, Ankunft auf Saint Lucia. Wir hatten die Einfahrt der Rodney Bay erreicht und passierten gerade Pigeon Island. Im Inneren der Bucht sahen wir die auffallend roten Dächer des „All inclusive Hotels“, für die Skipper eine gute Landmarke. Heute am 22. Februar wäre der Nationalfeiertag von Saint Lucia, so hörten wir. Um zur Rodney Marina zu gelangen mussten wir zwischen Reduit Beach und Gros Ilet Village einen engen Kanal passieren. Die Gastlandflagge flatterte vorschriftsmäßig an der Steuerbordseite des Schiffes. Die Leute am Ufer schienen über unsere Ankunft sehr erbost zu sein. Sie signalisierten, dass irgendetwas mit dieser Flagge nicht in Ordnung sei. Ein Blick zu der Fahne genügte und mir wurde sofort der Grund dieser Aufregung klar.

Die blaue Flagge von Saint Lucia zeigt in ihrer Mitte das Symbol der Pitons, das Überbleibsel eines Vulkans, das Wahrzeichen dieses Inselstaates.

Leider hatten wir sie beim Befestigen an den Flaggleinen versehentlich auf den Kopf gestellt und die Bergspitze zeigte nach unten . So fort korrigierten wir unseren Fehler und sendeten Zeichen unseres Bedauerns. Die Leute, die uns genau beobachtet hatten, waren mit uns zufrieden und zeigten uns ihre Daumen nach oben gerichtet.

Wir hatten die Durchfahrt hinter uns und steuerten an einen uns zugewiesenen Platz in der Marina. Um 13:30 Uhr lagen wir am Steg fest und genehmigten uns nach alter Tradition einen Anleger. Für mich begann jetzt die Arbeit, ich musste zuerst die Einreise- und Zollformalitäten erledigen. Meine Crew indes machte es sich gemütlich. Überall feierten die Menschen, in Motorbooten fuhren sie lauthals lärmend und singend an unseren Liegeplätzen vorbei. Der Nachmittag war angenehm. Wer wollte konnte an Land zu gehen, weil wir hier an einem Steg festlagen. Unsere Küchenspezialisten waren für den Sundowner zuständig. Ihre Spezialität war ein „Saint Lucia Punch Speziale“ wie sie ihn nannten. Zerkleinerte Mangos, eine Ananas und Limonensaft, verfeinert mit hochprozentigem Rum und fertig war unser Cocktail. Bei Sonnenuntergang üblich, durfte er nie fehlen, besonders heute. So feierten auch wir den Nationalfeiertag und ließen den Tag gemütlich ausklingen.

Morgen lagen annähernd fünfzig Seemeilen vor uns. Und zwar Rodney Bay, Saint Lucias Westküste entlang bis zu den Pitons ganz im Süden, dann Überfahrt nach St. Vincent und von dort der Westküste folgend bis zur Hauptstadt Kingstown. Wie es von da aus weitergehen soll, konnten wir im Moment noch nicht sagen.

Fahrtzeiten hängen ab von einer durchschnittlichen Fahrtgeschwindigkeit über Grund, wie es im Fachjargon heißt. Sie ist für Streckenplanung wichtig. Ebenso muß man die möglichen Ankunftszeiten im Auge behalten.

Wir wussten, ab 18:00 ist es hier stockdunkel. Wenn wir also vorher noch unser Ziel erreichen wollten, müssten wir sehr früh aus den Kojen und vor Sonnenaufgang ablegen.

In der Nacht fegten so starke Windböen aus Nordost durch die Lagune, dass unser Schiff vibrierte und die Großfallen der festgemachten Segeljachten pausenlos an die Masten schlugen. An Schlaf war nicht zu denken, mir war nicht klar, welches Segelwetter uns morgen erwartete.

Sonntag, fünf Uhr morgens. Aufstehen, habe Kaffee gekocht, Seekarten und Logbuch gerichtet, alles für die Abfahrt klar gemacht. Inzwischen waren alle hellwach und frühstückten. Werner, unser Bootsmann legte schon einmal die Festmacher zurecht, dann richtete jeder seine Safeline, seine Schwimmweste, denn keiner wusste, wie es heute auf See aussieht.

Rodney Marina auf Saint Lucia

Werner wollte heute das Ablegemanöver fahren. 6:20 Uhr, Kommando: „Klar zum Ablegen! Leinen los.“ Alles klappte wie am Schnürchen, „eine Supercrew“, dachte ich, als hätten sie nichts anderes gemacht als das Segeln.

Vorsichtshalber refften wir das Großsegel noch vor dem Ablegen gleich zweimal, die Rollfock konnten wir getrost offenlassen, denn wir hätten sie bei Starkwind schnell verkleinern können.

Entgegen unseren Befürchtungen erlebten wir eine herrliche Saint Lucia-Küstentour; nach Sonnenaufgang wechselten sich Sonne und Wolken ab, es war warm, zwischendurch prasselten zwar einige Regenschauer auf uns herab, sie erfrischten uns. Fliegende Fische begleiteten uns, schnellten aus den Wellen empor, sausten über die Wasseroberfläche, um im nächsten Augenblick in die Fluten einzutauchen. Einmal flog ein ganzer Schwarm direkt in die Plicht unserer Jacht. Wir warfen die kleinen Fische wieder zurück ins Wasser.

Ab der Südspitze Saint Lucias fährt man annähernd 30 Meilen durch den Atlantik. Diese Passage ist meistens eine holprige Angelegenheit, besonders kurz vor der Nordwesthuk von St. Vincent. Das ist auch auf der Seekarte vermerkt. Der Nordostpassat verursacht zusammen mit dem Westäquatorialstrom an dieser Stelle Kreuzseen und es entstehen je nach Windstärke beachtliche Wellen. Unsere kleine Jacht kämpfte sich durch schätzungsweise drei bis vier Meter hohe Wogen, dass es auch für unsere Crew Schwerstarbeit bedeutete.

Kaum waren wir im Windschatten von St.Vincent, wurden die Wellen sanft, der Wind schlief förmlich ein und wir mussten die Maschine starten. Gegen Nachmittag strahlte die Sonne im wolkenlosen Himmel und unser Boot rauschte auf einer spiegelglatten See dahin. Langsam überkam jeden ein Hungergefühl, dem mit entsprechenden Appetithäppchen allerdings nur kurzzeitig beizukommen war.

Kurz nach 17:00 Uhr erreichten wir Kingstown und machten an den Grenadine Docks längsseits bei Friedhelm fest. Wir mussten hier das Zoll- und Einreiseprozedere absolvieren, danach könnten wir weiterfahren. Es verging fast eine Stunde, bis jeder seine Einreise- und Zollformalitäten abgewickelt hatte.

Trotzdem entschlossen wir uns gegen 18:30 Uhr bei noch spärlichem Abendlicht abzulegen und Kurs Young Island zu nehmen. Die Segel blieben eingepackt, mit der Maschine tuckerten wir langsam in die Nacht. Es war auch nicht mehr weit zu unserem Ankerplatz nord-westlich von Young Island. Um 19:00 Uhr rasselte unser Anker herab, alles war in Ordnung.

Ich versuchte auf die Schnelle ein Abendmenü herzurichten. Ja, was hatten wir denn da? Es gab einen herrlichen Eintopf mit Erbsen, Linsen, Karotten und Lauch, dazu zerdrückte Eier ohne Schalen, rohen Schwarzwälder Schinken, zum Nachtisch Kirschmarmelade mit weißem Rum. Es schien mir, dass es allen geschmeckt hatte. Das Gegenteil war nicht nachweisbar.

Am nächsten Tag kehrten wir nach Kingstown zurück, um dort einzukaufen.

Dieses Mal konnten wir im Haupthafen direkt längsseits festmachen, weil zufällig kein Frachtschiff den Anlegeplatz belegt hatte. Der Supermarkt lag ganz in der Nähe und die Hairoun-Bierbrauerei war auch nicht weit. „Warum sollen wir uns jetzt abhetzen? Nach Mustique ist es nicht so weit“. Wir entschlossen uns ein bisschen in der Hauptstadt umzusehen.

Kingstown, eine Mischung aus Exotik und Moderne mit karibischem Flair, ist eine Stadt mit freundlichen und fleißigen Menschen, die nicht unbedingt zu den Reichen dieser Erde gehören.

Weil ich mich nach CDs mit lokaler Musik erkundigt hatte, begleitete mich ein Rastaman zu einem CD-Stand an einer Straßenecke, wo ich auch fündig geworden bin und für ein paar EC-Dollars meine Schätze erwerben konnte. Lustig war es auch bei der Hairoun-Brauerei. Die Leute strahlten eine Herzlichkeit aus, die ich in „old Germany“ noch nie so erleben konnte.

Bald hatten wir unseren Proviant für die nächsten Tage gebunkert, sodass der Weiterfahrt nichts mehr im Wege stand.

Die Fahrt nach Mustique bleibt mir bis heute im Gedächtnis. Wind zwischen 25 und 35 Knoten und eine Wellenhöhe von teilweise über 4 Meter machten diesen Trip zu einem heißen Rodeo auf Wellen. Die Nachbarcrews fotografierten unseren Kampf mit den Wellen. Es gibt atemberaubende Bilder von unserer Jacht, wie sie sich bis zum Kiel aus dem Wasser hob, um im nächsten Moment hinter riesigen Wellenbergen zu verschwinden. Natürlich waren wir alle angespannt, aber nicht ängstlich. Ich wollte filmen, war bereits auf dem Weg ins Schiffsinnere, um die Kamera zu holen. Noch auf der oberen Stufe stehend, wollte ich gerade die Luke vom Niedergang nach hinten schieben, als eine gewaltige Sturzsee über den Bug hereinbrach und unser Schiff überflutete. Alle waren danach pudelnass. Zum Glück lag die Kamera noch unten im Mannschaftsraum und blieb von der Welle verschont.

Unser Schiff von Nachbarscrew fotografiert

Etwa 16:00 Uhr steuerten wir in die Britannia Bay von Mustique. Im Gegensatz zu heute gab es keine Festmacher-Bojen, man musste ankern. Unser Anker hielt auf dem sandigen Grund nicht auf Anhieb. Nach dem dritten Manöver hatte es aber endgültig geklappt.

Anleger gefällig? Keinen hörte ich Nein sagen. Uwe mauserte sich heute zum Smutje. Als Abendmenü standen Hähnchenschlegel mit Gewürzkartoffel auf dem Speiseplan und zum Nachtisch gab es Papayas.

Mustique ist die bekannte Privatinsel in der Karibik, Insel der Reichen und Schönen. Bekannt ist hier auch Basils Bar, in der abends nach dem Dinieren die Post abgeht. Die Reggaeklänge tönten zu uns herüber, quasi war das für uns das Signal zum Aufbruch, eine Einladung in die Bar zu kommen. Auch die anderen Crews ließen ihr Schiff zurück und kehrten bei Basils ein.

In der Bar herrschte eine fröhliche Stimmung, die jeden in Minutenschnelle erfasst hatte. Die exotischen Drinks mit viel Rum zeigten bei uns bald Wirkung. Voller Tatendrang sprühte aus mir die Idee: „Wisst ihr, was, wir paddeln rüber zum Strand und machen eine Party.“ Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Von Cojaks und Friedhelms Crew schlossen sich einige uns an, die Übrigen kehrten zu ihren Schiffen zurück. Nach zwei Fuhren saßen 18 Leute unter Palmen am Strand, genossen das Bier, das wir mitgebracht hatten. Eigene Musik benötigten wir nicht, denn heiße Musik von der Bar war nicht zu überhören. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir gefeiert hatten, irgendwann wollte man zu den Schiffen zurück. Die Rückkehr gestaltete sich schwieriger als erwartet. Auch in der Karibik gibt es die Gezeiten und das niedrige Wasser ließ die Korallenbänke aus dem Wasser schauen. Ich erkannte die Gefahr, schlug vor, lieber mehrmals Fährmann zu spielen. Leicht angeheitert schoben unsere Freunde meine Bedenken zur Seite. Neun Leute im Schlauchboot sei kein Problem, genauso kamen wir hierher. Mehrmals über messerscharfe Korallen zu paddeln wurde zu einem Vabanquespiel. An besonders kritischen, flachen Stellen stieg ich ins Wasser, um das Schiff leichter zu machen. Zwei Kameraden wollten nicht länger am Strand auf mich warteten, sie schwammen auf unser Schiff. Vor Nässe war also niemand sicher, alle lachten, es war eine tolle Party bis 4 Uhr in der Frühe. Keiner hatte Lust jetzt sich in ihre Kojen zu verkriechen. Bier und Cola gab es genug und so saßen wir bis um 5:00 Uhr, bis man sich entschlossen hatte, doch ein wenig zu schlafen.

Dienstag, der 25.02.1992. Fünf Seetage waren wir jetzt seit unserer Abreise von Martinique unterwegs. Traumhaftes Wetter auf Mustique in der Britannia Bay. Auf dem Törnplan stand zwar: Fahrt nach Canouan aber nach dem Abend bei Basils wird erst noch einmal relaxt. Bei diesem Prachtwetter mit stahlblauem, wolkenlosen Himmel war der Wunsch zu schwimmen und zu schnorcheln bei Wassertemperaturen von 24 °C bis 25 °C fast die Aufforderung, sofort ins Wasser zu hüpfen. Man wurde nicht müde, irgend einen Spaß zu machen, Hauptsache lustig soll er sein. So entstand die witzige Idee, einen Bacardi Film zu drehen. Die Hauptrollen spielten Antje und Werner sowie meine Wenigkeit, Uwe und Hagü filmten und die Aufnahmeleitung hatten Helga und Giuseppe. Wir kamen aus dem Lachen nicht mehr heraus, da war nur noch der Sprung ins Meer die Lösung.

Dann hieß es Abschiednehmen von diesem herrlichen Fleck. Wir machten unser Boot klar und um 12:15 Uhr war unser Anker frei. Nach Canouan wollten wir fahren und bei den aktuellen Windbedingungen würde es nicht anstrengend werden. Bei einem Kompasskurs zwischen 200 und 210 Grad pflügte unser Schiff nur durch die Fock angetrieben die sanften Wellen der karibischen See. Wie der Tag angefangen hatte, so war die ganze Fahrt über keine Wolke am Himmel zu sehen und die Temperaturen stiegen auf 33 °C.

Canouan gehört ebenfalls zu St. Vincent und den kleinen Grenadinen und liegt ungefähr 17 Seemeilen westlich von Mustique. Die Ostseite der Insel wird größtenteils von einer gewaltigen Korallenbank vor der Meeresbrandung geschützt; zwischen Riff und dem Strand befindet sich ein cirka 2 km langer Kanal mit 3 bis 4 m Wassertiefe und einer Breite von ungefähr 350 Meter, den Jachties gern als Ankerplatz nutzen. Skipper nennen diesen Ort „Pool“, weil seine Form einem Schwimmbecken ähnelt. Bei vorherrschenden NE bis E Winden entsteht eine starke auflandige Strömung, die mir beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Um 16:00 Uhr trafen wir dort nach einer schwierigen Ansteuerung als letztes Schiff ein und ankerten hinter Cojak. Es war Friedhelms Idee, hier herzukommen, so lag der bereits als Erster im Pool. Die Nacht wurde stürmisch, bedrohlich rauschte die See, aber das Korallenriff hielt gefährliche Wellen ab. Am nächsten Morgen frühstückten wir wie die Könige. Frisch gestärkt hatte ich mich entschlossen danach eine Runde zu schwimmen und Friedhelm auf seinem Schiff zu besuchen. Von uns aus gesehen lag sein Boot in Strömungsrichtung, worauf ich im Überschwang überhaupt nicht achtete.

Schnell wie ein Rekordschwimmer erreichte ich dank enormer Strömung Friedhelms Schiff und bekam zur Begrüßung einen Klaps auf die Schulter sowie einen Becher Kaffee. Nun musste ich wieder zurückschwimmen. Kaum im Wasser spürte ich diese verdammte Strömung. So sehr ich mich mühte, ich kam nicht richtig vom Fleck und unser Schiff lag ein gutes Stück entfernt. Was jetzt erschwerend hinzukam, ich hatte keine Taucherbrille mit Schnorchel aufgesetzt. Die kurzen Wellen tauchten mein Gesicht immer wieder unter, sodass ich kaum noch Luft bekam und jede Menge Wasser schluckte. Meine Crew merkte sofort, in welcher kniffligen Lage ich war und warf mir eine Leine zu. Wieder an Bord war ich komplett aus der Puste, nahm mir danach auch fest vor, in Zukunft, ehe ich ins Wasser springe, an die Strömungen zu denken.

Während dieser Aktion bekam Friedhelm von einheimischen Leuten Besuch.

Friedhelm war ein begeisterter Händler, der es liebte, besonders hier in der Karibik seinen Mitseglern etwas Besonderes zu bieten und das möglichst ohne höhere Kosten. Heute dachte er an ein Strandfest mit Barbecue, das man auf dieser Insel gut veranstalten könnte. Zum Grillen benötigt man nicht einfach gekaufte Steaks aus dem Supermarkt, nein, hier musste es etwas uriges sein, Fleisch einer Ziege oder eines Schafs beispielsweise. Diese Leute, die jetzt zu Friedhelm an Bord gekommen waren, hatten uns beim Ankern beobachtet und hofften, ein gutes Geschäft zu machen. Die Kaufverhandlungen zogen sich ein wenig hin, da Friedhelm nicht gleich auf die Preisvorstellungen der Anbieter einging, sein Händlergeist war erwacht. Schließlich war man sich handelseinig, der Kauf von zwei Ziegen war perfekt. Die Verkäufer versprachen, die Tiere zu schlachten und sie vorzubereiten. Das Barbecue sollte allerdings auf der West-Seite der Insel stattfinden. Also mussten wir zuerst in die Charlestown Bay segeln, was wir nach zweieinhalb Stunden hinter uns hatten. Der erste Landgang führte uns zu einer exotischen Strandbar mit Bambustischen und Bambusstühlen, das Dach mit Bananenblättern gedeckt.

Ein Jahr später stand sie nicht mehr hier, an ihrer Stelle errichtete man einen hässlichen Hotelkomplex. Schade.

Die Bar öffnete nur wegen uns! Welch gute Gelegenheit für einen oder zwei Begrüßungsdrinks. Die Bedienung reichte uns ein Gästebuch, in dem sich jeder mit ein paar Sprüchen verewigte. Dann hörten wir, das gegrillte Fleisch sei fertig bereit zum Verzehr. Es war Zeit zum Essenfassen.

Die Strandfete zog auch die Bewohner in Bann; wir hatten sie alle eingeladen. Zwar kamen nicht so viele, aber diejenigen, welche uns beim Grillen halfen, waren bester Laune. Die lecker zubereiteten karibischen Grillspezialitäten waren im Handumdrehen aufgegessen, aber jene anfänglich lockere gute Stimmung flachte langsam ab. Wein, Bier und Rum Punch machte unsere Recken müde und ließ den einen oder anderen träumend in den Sand sinken.

Noch eine Bemerkung zum Brot, das eine Frau extra für uns gebacken hatte. Es schmeckte vorzüglich und hatte keine Ähnlichkeit mit dem üblichen süßlichen Kuchenbrot.

Am nächsten Morgen „ein verkatertes Aufwachen nach einem mäßigen Strandfest“, das lese ich in meinen Reiseaufzeichnungen. Ich versuchte in meinen Logbüchern nicht nur Wind, Wetter, Kurse, Zeiten und Meilen festzuhalten, sondern auch besondere Vorkommnisse und Stimmungen. Nach Jahren kann ich damit viele Einzelheiten in meine Erinnerungen zurückrufen. Das nebenbei.

Unsere Katerstimmung verflog schnell, ein gutes Frühstück half obendrein mit. Mit leerem Magen lässt es sich nicht gut einkaufen, hier schon gar nicht, wir werden das erst in Clifton auf Union Island erledigen. Was wir dringend benötigten, war Trinkwasser. Hier konnten wir Wasser nachkaufen als Alternative unsere leeren großen Wasserflaschen wieder auffüllen. Den herzhaften Geschmack des Brotes vom gestrigen Abend wollten wir nicht nur in Erinnerung behalten. Wir kannten die Bäckersfrau, wussten, wo sie ihr Geschäft hatte und in knapp 20 Minuten hatten wir Brotvorräte für die nächsten drei Tage an Bord. Für ein Abendessen frische Fische mitzunehmen akzeptierten alle und ein Fischer der gerade 4 Bonitos gefangen hatte, freute sich über einen guten Handel.