Karl May - Michael Kotsch - E-Book

Karl May E-Book

Michael Kotsch

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Beschreibung

Karl May ist der erfolgreichste deutsche Autor zu Beginn des 20.Jahrhunderts. Seine Roman-Figuren Old Shatterhand und Winnetou sind weltbekannt. Mays Bücher erschienen bisher in einer verkauften Auflage von 200 Millionen Exemplaren. In den 60er Jahren stieg der Bekanntheitsgrad Karl Mays noch einmal durch die Filme mit Lex Barker und Pierre Brice. Der Winnetou-Zyklus ist nach wie vor der meistgespielte Stoff auf deutschen Freilichtbühnen - rund 300.000 Besucher kamen 2012 allein nach Bad Segeberg. In seinem wechselvollen Leben und seinen abenteuerlichen „Reiseromanen“ beschäftigte sich Karl May intensiv und wiederholt mit religiösen Themen. Die Fragen nach Gott, der menschlichen Schuld und einem möglichen Leben nach dem Tod ließen ihn zeitlebens nicht los. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor setzte er sich auch mit der indianischen Religion, dem Islam, dem Buddhismus und dem Spiritismus auseinander. „Karl May lebte und schrieb als Abenteurer und als Christ.“

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Michael Kotsch

KARL MAY

Old Shatterhand, Winnetou und der christliche Glaube

Michael Kotsch (geb. 1965) hat in Basel Theologie, Vergleichende Religionswissenschaft und Ökologie studiert. Seit 1995 ist Michael Kotsch Dozent an der Bibelschule Brake und lehrt an weiteren theologischen Ausbildungsstätten im deutschsprachigen Europa Gleichzeitig ist er tätig als Vorsitzender des Bibelbundes und der Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen.

In den vergangenen Jahren hat Michael Kotsch 24 Bücher zu historischen und ethischen Themen, sowie Auseinandersetzungen mit nichtchristlichen Weltanschauungen und Religionen verfasst. Regelmäßig schreibt er für verschiedene christliche Zeitschriften.

Michael KotschKarl May Old Shatterhand, Winnetou und der christliche Glaube

© Lichtzeichen Verlag GmbH, Lage Satz: Gerhard Friesen Umschlag: Samuel Janzen

E-Book Erstellung: LICHTZEICHEN Medien - www.lichtzeichen-medien.com

ISBN: 978-3-86954-890-6 Bestell-Nr.: 548890

Inhalt

Einleitung

1.Karl May - Das Leben

1.1.Prägende Jugendjahre

1.2.Lehrerseminar und Kriminalität

1.3.Bekehrung im Gefängnis

1.4.Anfang als Zeitschriften-Redakteur

1.5.Mays Ehe mit Emma

1.6.Viel Arbeit - wenig Geld

1.7.Kolportage-Romane für Münchmeyer

1.8.Old Shatterhand im Wilden Westen

1.9.Freund Fehsenfeld

1.10.Glücklich-unglückliches Privatleben

1.11.Karl May als Old Shatterhand

1.12.Im Orient

1.13.Karl May und seine Feinde

1.14.Karl Mays Ehe mit Klara

1.15.Der pazifistisch-symbolische May

1.16.Weitere Angriffe und Verleumdungen

1.17.Karl May in Amerika

1.18.Die letzten Jahre

2.Karl Mays Glaube in seinen Schritten

2.1.Theologische Schwerpunkte

2.2.Frühe Schriften

2.3.Die großen Abenteuerromane

2.4.Die symbolischen Spätschriften

3.Karl Mays Schriften aus Sicht seiner Leser

4.Stimmen zu Karl Mays Bedeutung

5.Karl Mays Werke

Ausgewählte Literatur

Ausgewählte Internetquellen

Einleitung

Karl May ist der erfolgreichste deutsche Autor des 19. Jahrhunderts. Mays Bücher erschienen bisher in einer verkauften Auflage von etwa 200 Millionen Exemplaren, davon 100 Millionen in Deutsch. In den 60er Jahren stieg der Bekanntheitsgrad der Erzählungen von Karl May noch einmal durch die Filme mit Lex Barker und Pierre Brice deutlich an. Bis in die Gegenwart werden Mays Romane in weitere Sprachen übersetzt, gegenwärtig insbesondere in asiatische. Der WinnetouZyklus ist nach wie vor der meistgespielte Stoff auf deutschen Freilichtbühnen, mit über 300.000 Besucher allein 2011 in Bad Segeberg.

Der Historiker André Neubert forderte jüngst die Lektüre Karl Mays als festen Bestandteil des Deutschunterrichts vorzusehen. „Karl May selbst ist deutsches Kulturgut. Er gehört neben Goethe ins Fach Literatur. […] Wenn man sich mit seinem Leben beschäftigt, ist das noch viel aufregender als die Abenteuer eines Old Shatterhand. May hat eigentlich keine biografischen Höhen und Tiefen ausgelassen.“

Auch hundert Jahre nach seinem Tod sind Mays Person und Werk präsent. Worte wie „Blutsbrüder“ oder „skalpieren“ sind längst in die Alltagssprache übergegangen. Mehrere Museen beschäftigen sich ausschließlich mit seinem Leben, eine KarlMay-Gesellschaft veröffentlicht in ihrem Jahrbuch regelmäßig neue Forschungsergebnisse. Der Mescalero Verein informiert mit seinem Quartalsheft „Karl May & Co“ über neue Veröffentlichungen, Aufführungen und andere Neuigkeiten aus der Karl-May-Welt. Auf zahlreichen Internetforen diskutieren Interessierte alle Aspekte von Mays Leben und Werk. Hunderte von wissenschaftlichen Studien wurden und werden über den Autor und seine Bücher verfasst und ausgewertet.

Karl Mays Romane liefern nicht nur Spannung, sondern beschreiben fremde Kulturen und Religionen. Was ihn von den meisten anderen Abenteuer-Schriftstellern seiner Zeit unterscheidet, sind seine religiösen Äußerungen. Gerade sind die Bösen besiegt, schon will der Held ihnen vergeben. Mit gottlosen Verbrechern diskutieren Mays Helden über den christlichen Glauben. Sie beten und verteilen die Bibel an Einheimische. - Allerdings war May auch offen für andere Religionen. In diesem Buch soll nachgezeichnet werden, wie sich Karl Mays Religiosität entwickelte und welche Spuren sie in seinen Werken hinterlassen hat.

An May faszinieren bis heute nicht nur seine spannenden und zu Herzen gehenden Geschichten, sondern wahrscheinlich ebenso sein vielschichtiges und widersprüchliches Leben. Kaum ein Autor der jüngeren deutschen Vergangenheit kann auf ein so abwechslungsreiches Leben mit vielen unerfüllten Sehnsüchten und viel Tragik zurückblicken wie May. Aufgrund zahlreicher Angriffe wurde sein Leben auch, wie bei sonst kaum einem, öffentlich ausgebreitet und diskutiert. Aufgrund seiner Menschlichkeit sowohl in seinen Träumen und Erfolgen als auch in seinen Niederlagen und kleinen Betrügereien, eignet er sich in besonderer Weise als Projektionsfläche und als Identifikationsperson für viele seiner Leser und Fans.

Sicher wäre es übertrieben, Karl Mays Romane in erster Linie als religiöse Literatur zu betrachten. Doch aber spielt der christliche Glaube in persönlichen Äußerungen und vielgelesenen Werken Mays eine prominente Rolle. Lange wurde dieser Glaubensaspekt nur am Rande berücksichtigt und häufig lediglich als Zeitkolorit oder biographische Spur betrachtet. Anlässlich des 170-jährigen Geburtstages und des 100-jährigen Todestages Karl Mays ist es wohl an der Zeit, sich intensiver mit der Bedeutung des christlichen Glaubens im Leben und Werk des deutschen Erfolgsautors zu beschäftigen.

Die theologische Rezeption Karl Mays fällt gewöhnlich etwas einseitig aus, findet ein Rezensent von Dieter Sudhoffs Buch zu diesem Thema: „Wenn May allerdings auch die Unterschiede und Widersprüche zwischen Religionen sieht und (für einen Christen nicht verwunderlich) die christliche bevorzugt, können die Autoren damit wenig anfangen. Sie merken nur nicht, dass sie dabei als Vertreter des gegenwärtigen Mainstream der Theologie schreiben. So fällt May ein zweites Mal dem theologischen Zeitgeist zum Opfer. Dabei wäre in der vielfältigen Welt vielleicht gerade das von May zu lernen, dass sich Friedensdienste und religiöser Absolutheitsanspruch nicht ausschließen müssen.“1

Karl-May-Festspiele Bad Segeberg (Winnetou I), 2007 (Foto von: Roan Shryne)

1Andreas Wendt: Kein Standardwerk, aber eine gelungene Einführung, Rezension zu Dieter Sudhoff Hrsg.: Zwischen Himmel und Hölle. Karl May und die Religion, Bamberg / Radebeul, 2003, http://www.amazon.de/Zwischen-Himmel-H%C3%B6lle-Karl-Religion/dp/3780201658/ref=sr_1_sc_1?ie=UTF8&qid=1346701073&sr=8-1-spell, 27.8.2004.

1.Karl May - Das Leben

1.1.Prägende Jugendjahre

Die Bedeutung Karl Mays als eines der beliebtesten deutschen Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, „dass die ersten 30 Jahre dieser Biographie eher katastrophal als normal verliefen, sodass man am Ende eher lebenslänglich Gefängnis als lebenslänglichen Ruhm hätte erwarten dürfen.“2 Doch es begann eher normal als spektakulär.

Karl May war das fünfte Kind von Christiane Wilhelmine, geb. Weise (1817-1885), und Heinrich August May (1810-1888). Seine eigene Lebensgeschichte beschreibt Karl May in mehreren autobiographischen Schriften (z.B. „Ein Schundverlag und seine Helfershelfer“ 1909 / „Mein Leben und Streben“ 1910), aber auch in einigen seiner Romane („Die Rose von Ernstthal“, „Das Buschgespenst“, „Der Fremde aus Indien“ und „Der verlorene Sohn“). „Geboren wurde ich am 25. Februar 1842 in dem damals sehr ärmlichen und kleinen erzgebirgischen Weberstädtchen Ernstthal, das jetzt mit dem etwas größeren Hohenstein vereinigt ist. Wir waren neun Menschen: mein Vater, meine Mutter, die beiden Großmütter, vier Schwestern und ich der einzige Knabe. Die Mutter meiner Mutter scheuerte für die Leute und spann Watte. Es kam vor, daß sie sich mehr als 25 Pfennige pro Tag verdiente. […] Sie war eine gute, fleißige, schweigsame Frau, die niemals klagte. Sie starb, wie man sagte, aus Altersschwäche. Die eigentliche Ursache ihres Todes aber war wohl das, was man gegenwärtig diskret als »Unterernährung« zu bezeichnen pflegt. […].“3

In Die Rose von Ernstthal porträtiert May seine Heimat: „Zwischen den Ausläufern des sächsischen Erzgebirges, da wo das berühmte Zwickauer und Würschnitzer Kohlebecken sich bis in die Nähe von Chemnitz zieht, liegen am nördlichen Rande desselben die beiden Schwesterstädte Hohenstein und Ernstthal, welche dem freundlichen Leser ihres Gewerbefleißes wegen gewiß bekannt sein werden. Besonders ist es Ernstthal, dessen Weberei schon vor langen Zeiten sich eines weitgehenden Rufes erfreute und ein für seine Waren nicht bloß in Deutschland und angrenzenden Ländern, sondern auch über die See hinüber weites Absatzgebiet fand.“4

Die Stadt und ihre Einwohner waren eher ärmlich, auch für die damalige Zeit. Im benachbarten Chemnitz waren bereits Fabriken mit mechanischen Webstühlen an der Arbeit, während in Mays Heimatstadt noch per Hand gewebt wurde. Im Geburtsjahr Mays ging es den Bewohnern der Region besonders schlecht. Wie schon 1771 und 1817 herrschte auch 1842 eine durch mangelnden Niederschlag ausgelöste Hungersnot. Dazu notierte der Pfarrer von Ernstthal: „Nachdem der März bis zu Ende im fortdauernden rauhen und nassen Schneewetter dahingegangen war, so stellte mit dem Monate April ziemliche Trockenheit sich ein, welche nach und nach sich so vermehrte, dass daraus eine […] noch nie erlebte Dürre entstand.“5

In seiner Kindheit und Jugend erlebte Karl May Hunger, Kälte, Krankheit, Sorgen und mangelnden Wohnraum hautnah. Die Heimarbeit am Webstuhl erbrachte nur einen erbärmlichen Lohn. Neun von dreizehn Geschwistern Mays starben noch im Säuglingsalter. May selbst erblindete als Kind und erhielt erst durch eine spätere Operation seine Sehkraft zurück. Wahrscheinlich führte ein massiver Vitamin A-Mangel bei dem Zweijährigen zu einem entzündlichen Blepharospasmus (Lidkrampf), sodass er seine stark geschwollenen Lider nicht öffnen konnte.6 Johanne Christiane May, Karls Großmutter väterlicherseits, kümmerte sich in dieser Zeit um den Jungen. Sie erzählte Karl zahlreiche Geschichten und vermittelte ihrem Enkel eine kindliche Frömmigkeit. Im Rückblick schrieb May: „Ich war die ganze Zeit des Tages nicht bei den Eltern, sondern bei Großmutter. Sie war mein alles. Sie war mein Vater, meine Mutter, meine Erzieherin, mein Licht, mein Sonnenschein, der meinen Augen fehlte. Alles, was ich in mich aufnahm, leiblich und geistig, das kam von ihr. So wurde ich ihr ganz selbstverständlich ähnlich.“7

Eine Zeitlang bewohnte Familie May ein kleines Haus, das die Mutter geerbt hatte. In diesem Haus findet sich heute das Karl-May-Museum von Ernstthal. Aber selbst hier waren die Verhältnisse beengt, wie May erzählt:

„Im ersten Stock wohnten die Eltern mit uns. Da stand der Webstuhl mit dem Spulrad. Im zweiten Stock schliefen wir mit einer Kolonie von Mäusen und einigen größeren Nagetieren, die eigentlich im Taubenschlage wohnten und des Nachts nur kamen, uns zu besuchen. […] Der Hof war grad so groß, daß wir fünf Kinder uns aufstellen konnten, ohne aneinander zu stoßen. Hieran grenzte der Garten, in dem es einen Hollunderstrauch, einen Apfel-, einen Pflaumenbaum und einen Wassertümpel gab, den wir als Teich bezeichneten.“8

Schon drei Jahre nach Mays Geburt musste die Familie das Haus aus finanziellen Gründen wieder aufgeben und zog in eine kleine Mietwohnung am Markt in Ernstthal.

Mit dem Verkauf des Hauses wurde unter anderem der sechsmonatige Hebammen-Lehrgang der Mutter finanziert. Vermutlich stellte Mays Mutter ihren Sohn in dieser Zeit dem Direktor der Chirurgisch-Medizinischen Akademie in Dresden vor, der eine Operation veranlasste, die May seine Sehkraft zurückgab (1846).

Karl Mays Geburtshaus in Ernstthal (Foto: Karl-May-Gesellschaft)

May hatte keine besonders enge Beziehung zu seiner Mutter.9 Er beschreibt sie als fromm, zurückgezogen und arbeitsam: „Meine Mutter war eine Märtyrerin, eine Heilige, immer still, unendlich fleißig, trotz unserer eigenen Armut stets opferbereit für andere, vielleicht noch ärmere Leute. Nie, niemals habe ich ein ungutes Wort aus ihrem Mund gehört. Sie war ein Segen für jeden, mit dem sie verkehrte, vor allen Dingen ein Segen für uns, ihre Kinder. Sie konnte noch so schwer leiden, kein Mensch erfuhr davon. Doch des Abends, wenn sie, die Stricknadeln emsig rührend, beim kleinen, qualmenden Oellämpchen saß und sich unbeachtet wähnte, da kam es vor, daß ihr eine Träne in das Auge trat und, um schneller, als sie gekommen war, zu verschwinden, ihr über die Wange lief.“10 Einige dieser Eigenschaften kennzeichnen später auch manche von Mays Romanhelden. Abgesehen vom Beruf, sorgte die Frau unter schwierigen Ausgangsbedingungen für ihre große Familie.

Mays Vater verhielt sich rau und distanziert zu seinen Kindern. Die Frustration über das entbehrungsreiche und harte Leben verbitterte ihn. Gelegentlich konnte er aggressiv werden und schlug dann seine Kinder, besonders unter Stress oder wenn er trank. Im Rückblick schrieb May später über ihn:

„Mein Vater war ein Mensch mit zwei Seelen. Die eine Seele unendlich weich, die andere tyrannisch, voll Uebermaß im Zorn, unfähig, sich zu beherrschen. Er besaß hervorragende Talente, die aber alle unentwickelt geblieben waren, der großen Armut wegen. Er hatte nie eine Schule besucht, doch aus eigenem Fleiße fließend lesen und sehr gut schreiben gelernt. Er besaß zu allem, was nötig war, ein angeborenes Geschick. Was seine Augen sahen, das machten seine Hände nach. Obgleich nur Weber, war er doch imstande, sich Rock und Hose selbst zu schneidern und seine Stiefel selbst zu besohlen. Er schnitzte und bildhauerte gern, und was er da fertig brachte, das hatte Schick und war gar nicht so übel. Als ich eine Geige haben mußte und er kein Geld auch zu dem Bogen hatte, fertigte er schnell selbst einen. […] Da waren wir in steter Angst, ihn zu erzürnen. Dann wehe uns! Am Webstuhl hing ein dreifach geflochtener Strick, der blaue Striemen hinterließ […] Er konnte […] [auch] geradezu herzgewinnend sein, doch hatten wir selbst in den heitersten und friedlichsten Augenblicken das Gefühl, daß wir auf vulkanischem Boden standen und von Moment zu Moment einen Ausbruch erwarten konnten.“11

Heinrich May kümmerte sich schon um seinen Sohn und wollte, dass er sich nicht einmal seinen Lebensunterhalt als Weber verdienen müsse. So zwang er May, in seiner Freizeit intensiv zu lernen. Auch versuchte er ihn für das Militär zu begeistern. Karl wurde Trommeljunge bei der Schützenkompanie und musste mit seinem Vater exerzieren üben. Bei dem jungen May führte das aber eher zu einer Abneigung der Armee gegenüber.

Webstuhl: Karl-May- Haus in Hohenstein- Ernstthal (Foto: Michael Kotsch)

Im Jahr 1848 wurde Karl eingeschult. Der Unterricht in der Ernstthaler Volksschule fand in Klassen von bis zu 90 Kindern unterschiedlichen Alters statt. Daneben investierte Mays Vater viel, um seinen Sohn zusätzlich zu bilden. Er beschaffte Karl Bücher, die dieser lesen und abschreiben sollte, organisierte Orgel-, Geigen- und Klavierunterricht. Außerdem sollte der Junge Englisch und Französisch lernen.12

Der Vater „holte allen möglichen sogenannten Lehrstoff zusammen, ohne zu einer Auswahl befähigt zu sein oder eine geordnete Reihenfolge bestimmen zu können. Er brachte alles, was er fand, herbei. […] Alte Gebetbücher, Rechenbücher, Naturgeschichten, gelehrte Abhandlungen, von denen ich kein Wort verstand. Eine Geographie Deutschlands aus dem Jahre 1802, über 500 Seiten stark, mußte ich ganz abschreiben, um mir die Ziffern leichter einzuprägen. […] Ich saß ganze Tage und halbe Nächte lang, um mir dieses wüste, unnötige Zeug in den Kopf zu packen. Es war eine Verfütterung und Ueberfütterung sondergleichen.“13

Neben diesem privaten Studienprogramm arbeitete May als Kegeljunge in der Hohensteiner Schankwirtschaft Engelhardt, um Geld für den Privatunterricht zu verdienen. Hier lernte er den Alkohol kennen und hörte die unflätigen Reden der betrunkenen Weber. „Jedes Wort, welches da vorn bei den Spielern gesprochen wurde, klang deutlich heraus zu mir. Alles, was Großmutter und Mutter in mir ausgebaut hatten, der Herr Kantor und der Herr Rektor auch, das empörte sich gegen das, was ich hier zu hören bekam. Es war viel Schmutz und auch viel Gift dabei.“14

In der Leihbücherei der Wirtschaft las er neben allerlei Trivialliteratur den Graf von Monte Christo und Rinaldo Rinaldini. „Und doch gab es in dieser Schankwirtschaft ein noch viel schlimmeres Gift als Bier und Branntwein und ähnliche böse Sachen, nämlich eine Leihbibliothek, und zwar was für eine! Niemals habe ich eine schmutzige, innerlich und äußerlich geradezu ruppige, äußerst gefährliche Büchersammlung, wie diese war, nochmals gesehen!“15

Bei der Lektüre dieser Bücher verschwamm seine Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität. Eines Tages machte er sich auf den Weg nach Spanien, um Rinaldini, den Räuberhauptmann, zu holen, damit der gegen die soziale Ausbeutung der Weber von Ernstthal vorgehe. Allerdings endete die Reise schon im nahen Zwickau bei Verwandten, von denen ihn der Vater verärgert wieder nach Hause zurückbrachte. Abgesehen von der einfachen Unterhaltungsliteratur der Kneipe lieh May sich naturwissenschaftliche und theologische Bücher von Rektor Fickelscherer und Pfarrer Carl Hermann Schmidt.

Die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Weber führten in Mays Kindheit immer wieder zu Unruhen. 1844 gab es wegen miserabler Lohnverhältnisse einen Weberaufstand in Schlesien. 1848 erschütterten revolutionäre Bewegungen Deutschland, in denen sich auch die Unzufriedenheit aufgrund der sozialen Missstände entluden. Ab 1851 führte die aussichtslose wirtschaftliche Lage in vielen Regionen zu einer großen Auswanderungswelle in die USA.

Während seiner Blindheit entwickelte May eine besondere Beziehung zu seiner Großmutter väterlicherseits, die in der Familie wohnte. Viel Zeit verbrachte sie mit dem erblindeten Jungen und erzählte ihm allerlei phantasievolle Geschichten. Die erfundene Welt dieser Märchen wurde in jener Zeit zur erlebten Wirklichkeit des kleinen Karl. „Für mich enthielt diese Erzählung die volle Wahrheit […] Ich habe in meiner Kindheit stundenlang still und regungslos gesessen und in die Dunkelheit meiner kranken Augen gestarrt, um nachzudenken, wohin das Verlorene und Vergessene gekommen sei. […] Da nahm Großmutter mich auf ihren Schoß, küßte mich auf die Stirn und sagte: Sei still, mein Junge! […] Wenn alle, alle dich vergessen haben, Gott hat dich nicht vergessen.“16

Auch sein Pate, der Ernstthaler Schmied Christian Weißpflog (1819-1894), wird ihm von seinen realen Erlebnissen aus seiner Zeit als Wandergeselle erzählt haben.

1.2.Lehrerseminar und Kriminalität

Trotz seiner durchaus guten Noten konnte Karl May kein Gymnasium besuchen, weil der Familie die nötigen Finanzen fehlten. Auf die Empfehlung durch Pfarrer Schmidt erhielt May von Graf Heinrich ein jährliches Stipendium über 15 Taler. Damit begann er 1856 seine Ausbildung am Fürstlich-Schönburgischen Lehrerseminar in Waldenburg. Hier sollten staatstreue Lehrer und Katecheten ausgebildet werden. Unterrichtsfächer waren Religion, Deutsch, Mathematik, Naturkunde, Geschichte und Geografie.17

Mays kindlicher Glaube wurde durch die religiöse Strenge des Seminars auf eine harte Probe gestellt.18 In seinem Lebensrückblick meint May hier den Unterschied zwischen bloßem Kopfglauben und einem innigen, persönlichen Glauben erfahren zu haben: „Ich kann mich nicht besinnen, daß ich je mit dem Zweifel oder gar mit dem Unglauben zu ringen gehabt hätte. Die Ueberzeugung, daß es einen Gott gebe, der auch über mich wachen und mich nie verlassen werde, ist, sozusagen, zu jeder Zeit eine feste, unveräußerliche Ingredienz meiner Persönlichkeit gewesen, und ich kann es mir also keineswegs als ein Verdienst anrechnen, daß ich diesem meinem lichten, schönen Kinderglauben niemals untreu geworden bin. Freilich, so ganz ohne alle innere Störung ist es auch bei mir nicht abgegangen; aber diese Störung kam von außen her […] Es gab täglich Morgen- und Abendandachten, an denen jeder Schüler unweigerlich teilnehmen mußte. […] Aber es gab bei alledem eines nicht, nämlich grad das, was in allen religiösen Dingen die Hauptsache ist; nämlich es gab keine Liebe, keine Milde, keine Demut, keine Versöhnlichkeit. Der Unterricht war kalt, streng, hart. Es fehlte ihm jede Spur von Poesie. Anstatt zu beglücken, zu begeistern, stieß er ab. Die Religionsstunden waren diejenigen Stunden, für welche man sich am allerwenigsten zu erwärmen vermochte. […] Das ließ keine Spur von Wärme aufkommen; das tötete innerlich ab. Ich habe unter allen meinen Mitschülern keinen einzigen gekannt, der jemals ein sympathisches Wort über diese Art des Religionsunterrichts gesagt hätte. Und ich habe auch keinen gekannt, der so religiös gewesen wäre, aus freien Stücken einmal die Hände zu falten, um zu beten. Ich selbst habe stets und bei jeder Veranlassung gebetet; ich tue das auch noch heut, ohne mich zu genieren; aber damals im Seminar habe ich das geheim gehalten, weil ich das Lächeln meiner Mitschüler fürchtete. […] Dieses Seminarchristentum kam mir ebenso seelenlos wie streitbar vor. Es befriedigte nicht und behauptete trotzdem, die einzige reine, wahre Lehre zu sein. Wie arm und wie gottverlassen man sich da fühlte!“19

Fürstlich Schönburgische Lehrerseminar, heute Gymnasium (Foto: wikipedia)

Im Lehrerseminar Waldenburg verfasste May seine ersten literarischen Arbeiten. Später gibt er an, in dieser Zeit ein Gedicht und eine Motette veröffentlicht zu haben. Erhalten sind diese Schriften allerdings nicht.

Während seiner Aufenthalte im heimatlichen Ernstthal verliebte er sich in die sechzehnjährige Anna Preußler, die dann aber einen anderen heiratete.

Im November 1859 war May für die Beleuchtung der Klassenzimmer verantwortlich. In dieser Funktion entwendete er sechs Kerzen. Seinen Aussagen entsprechend, wollte er damit seine Eltern beschenken. Da ihre eigenen Mittel sehr knapp waren, wollte er ihnen eine adventliche Beleuchtung ermöglichen. Doch der Diebstahl wurde entdeckt und an das sächsische Kultusministerium gemeldet. Dort sah man in Mays Veruntreuung einen schweren Vertrauensbruch. Folglich entließ man ihn aus dem Lehrerseminar.20

Kammgarnspinnerei Solbrig & Söhne in Altchemnitz (Foto: Karl-May-Wiki)

May war von der Tragweite seiner Handlung überrascht und tief verletzt über seine öffentliche Bloßstellung. Einige Wochen später entschuldigte sich May schriftlich und stellte ein Gnadengesuch, das von Pfarrer Schmidt unterstützt wurde. Man gab ihm eine neue Chance und er konnte seine Ausbildung am Lehrerseminar in Plauen fortsetzen (1860/61).

Nach dem Abschluss seiner Ausbildung begann May als Hilfslehrer an der Armenschule im benachbarten Glauchau. Für ein Gehalt von 175 Talern jährlich übernahm er die Verantwortung für die vierte Klasse. Der Frau seines Vermieters, des Kaufmanns Ernst Theodor Meinhold, gegenüber verhielt sich May offensichtlich nicht ganz korrekt. Zumindest reichte Meinhold Klage gegen May ein, weil er ihn dabei überrascht habe, wie er seine Frau küssen wollte. Daraufhin wurde May schon wenige Wochen nach seinem Dienstantritt wieder entlassen.21

Seine nächste Anstellung erhielt May an der Fabrikschule der Firmen Julius Claus“ und „C.F. Solbrig & Söhne“ in Altchemnitz. Neben dem Unterricht arbeiteten die Kinder gewöhnlich rund 10 Stunden täglich. Von May erwartete man 30 Stunden Unterricht wöchentlich und die Reinigung des Klassenraums. Damals unüblich, bestand seine Klasse lediglich aus 20 Schülern. May unterrichtete Lesen, Schreiben, Rechnen, Realien, Singen und Religion.

Schon bald geriet May erneut in Schwierigkeiten. Ausgangspunkt war seine Renommiersucht, seine Sehnsucht nach Anerkennung und Ansehen. Da May zu arm war, um eine eigene Uhr anzuschaffen, lieh er sich eine bei seinem Mitbewohner, dem Buchhalter der Firma Julius, Hermann Scheunpflug. Gewöhnlich benutzte May die Taschenuhr des Buchhalters, um die Schulstunden zu messen. Abends gab es sie jeweils zurück. Am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien 1861 machte sich May gleich nach dem Unterricht auf den Weg nach Hause. Er nahm nicht nur die Taschenuhr, sondern auch noch eine Tabakspfeife und eine Zigarrenspitze Scheunpflugs mit nach Ernstthal. Wahrscheinlich wollte May in dem ärmlichen Zuhause seinen sozialen Aufstieg dokumentieren und etwas mit den geliehenen Gegenständen angeben. Offenbar jedoch war diese Aktion nicht mit dem Besitzer der Gegenstände abgesprochen. Nachdem der Buchhalter das Fehlen seiner Uhr bemerkte, erstattete er Anzeige wegen Verdacht auf Diebstahl. Schnell kam man auf May, der schon einmal in diesem Zusammenhang auffällig geworden war, als er jene sechs Kerzen mitgehen ließ. Wenige Tage später wurde May im Hohensteiner Gasthof „Drei Schwanen“ öffentlich verhaftet. Daraufhin kam er in Untersuchungshaft nach Chemnitz und wurde, trotz eines Gnadengesuchs seines Vaters und des örtlichen Pfarrers, zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Seine Strafe saß er im BrettTurm, dem Chemnitzer Stadtgefängnis, ab. Als Vorbestrafter war es mit seiner Anstellung natürlich vorbei. May wurde aus der Liste der Schulamtskandidaten gestrichen, wodurch jede künftige Tätigkeit als Lehrer verunmöglicht wurde.22

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis zog May wieder nach Ernstthal, gab Privatstunden und komponierte für den örtlichen Gesangverein „Lyra“.23 Möglicherweise tingelte er zeitweilig mit einer Theatergruppe durch Sachsen. Später behauptete May, dass er in dieser Zeit seine erste Reise zu den nordamerikanischen Indianern angetreten habe. Mit dem deutschen Oberförster Fred Summer will er gereist und zum ordentlichen Westmann geworden sein. Wirkliche Hinweise darauf fehlen bis heute jedoch vollständig. Noch Jahrzehnte später sollte allerdings aufgrund dieser Aussagen unter Anhängern und Gegnern Mays heiß diskutiert werden, ob der Schriftsteller die Abenteuer seiner Bücher selbst erlebt hatte oder nicht. Wahrscheinlich träumte May sich in eine alternative Scheinwelt, nachdem seine realen Zukunftsaussichten zerfallen waren.

In dieser, für ihn relativ perspektivlosen Zeit traten massive psychische Probleme auf. May hörte Stimmen, die ihn zu einem unmoralischen Leben verführen wollen, insbesondere solle er sich an der Gesellschaft für sein zerbrochenes Lebensglück rächen. May widerstand diesen Gedanken, indem er literarisch arbeitete und sich in moralisch vorbildliche Menschen hineindachte: „[…] ich sah nur die finstere, höhnische Hauptgestalt aus dem heimatlichen Sumpf und den Hohensteiner Schundromanen; aber sie sprachen auf mich ein; sie beeinflußten mich. Und wenn ich mich dagegen sträubte, so wurden sie lauter, um mich zu betäuben und so zu ermüden, daß ich die Kraft zum Widerstand verlor. Die Hauptsache war, daß ich mich rächen sollte, […] rächen am Staate, an der Menschheit, überhaupt an jedermann! […] Das war es, was die Versucher in meinem Innern von mir forderten. Ich wehrte mich, so viel ich konnte, soweit meine Kräfte reichten. Ich gab allem, was ich damals schrieb, besonders meinen Dorfgeschichten, eine ethische, eine streng gesetzliche, eine königstreue Tendenz. Das tat ich nicht nur andern, sondern auch mir selbst zur Stütze. Aber wie schwer, wie unendlich schwer ist mir das geworden! Wenn ich nicht tat, was diese lauten Stimmen in mir verlangten, wurde ich von ihnen mit Hohngelächter, mit Flüchen und Verwünschungen überschüttet […].“24

Trotz dieser Bemühungen vertiefte sich seine psychische Krise weiter, bis May nicht mehr in der Lage war, sich und seine Umwelt realistisch einzuschätzen: „Ich war seelenkrank, aber nicht geisteskrank. Ich besaß die Fähigkeit zu jedem logischen Schlusse, zur Lösung jeder mathematischen Aufgabe. Ich hatte den schärfsten Einblick in alles, was außer mir lag: aber sobald es sich mir näherte, um zu mir in Beziehung zu treten, hörte diese Einsicht auf. Ich war nicht imstande, mich selbst zu betrachten, mich selbst zu verstehen, mich selbst zu führen und zu lenken. […] Und ich war mir dieses seelischen Zustandes geistig sehr wohl bewußt, besaß aber nicht die Macht, ihn zu ändern oder gar zu überwinden. Es bildete sich bei mir das Bewußtsein heraus, daß ich kein Ganzes mehr sei, sondern eine gespaltene Persönlichkeit […].“25 Wahrscheinlich spiegelte sich hier Mays existentielle Krise und Zerrissenheit auch in seinem Innenleben wider.

Im Dezember 1862 wurde May wegen seiner Kurzsichtigkeit als dienstuntauglich ausgemustert, wodurch ihm acht Jahre Militär erspart blieben. Später gab er an, zu dieser Zeit eine Vortragsreise durch die Schweiz und Südfrankreich unternommen zu haben. Dort wollte er mit bloßen Händen gegen einen bissigen Polizeihund gekämpft, in oktoberlicher Kälte die Rhone durchschwommen und Bösewichter zur Strecke gebracht haben. Mays Darstellung zufolge solle sich auch seine schriftstellerische Karriere weiter gut entwickelt haben: „Und ich begann zu schriftstellern. Ich schrieb Humoresken, dann die ‚Erzgebirgischen Dorfgeschichten‘. Ich hatte nicht die geringste Not, Verleger zu finden. Gute, packende Humoresken sind äußerst selten und werden hoch bezahlt. Die meinigen gingen von einer Zeitung in die andere.“26 Belege für diese Tätigkeit aber sind kaum vorhanden.27