Karl und Anna - Leonhard Frank - E-Book

Karl und Anna E-Book

Leonhard Frank

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Beschreibung

Im Krieg und in der Liebe... Es ist die Zeit des Ersten Weltkriegs. Karl, aus russischer Kriegsgefangenschaft geflohen, gibt sich als sein Mitgefangener Richard aus und klopft bei dessen Frau Anna an die Tür. Sein Freund hatte unermüdlich von ihr erzählt und ihr Bild heraufbeschworen. Anna weiß, dass der Mann, der plötzlich in ihrer Küche steht, nicht Richard sein kann. Doch der Fremde kennt alle Geschichten aus ihrer Vergangenheit, und er befreit sie langsam aus ihrer Isolation. In Leonhard Franks Heimkehrer-Erzählung „Karl und Anna“ (1927) ist es die Liebe, die über die Grausamkeit des Krieges siegt und die Hoffnung auf eine neue, bessere Welt aufrechterhält. Die Erzählung war ein großer Erfolg und wurde vom Autor für die Bühne adaptiert.

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Informationen zum Buch

Im Krieg und in der Liebe

Es ist die Zeit des Ersten Weltkriegs. Karl, aus russischer Kriegsgefangenschaft geflohen, gibt sich als sein Mitgefangener Richard aus und klopft bei dessen Frau Anna an die Tür. Sein Freund hatte unermüdlich von ihr erzählt und ihr Bild heraufbeschworen. Anna weiß, dass der Mann, der plötzlich in ihrer Küche steht, nicht Richard sein kann. Doch der Fremde kennt alle Geschichten aus ihrer Vergangenheit, und er befreit sie langsam aus ihrer Isolation.

In Leonhard Franks Heimkehrer-Erzählung »Karl und Anna« (1927) ist es die Liebe, die über die Grausamkeit des Krieges siegt und die Hoffnung auf eine neue, bessere Welt aufrechterhält. Die Erzählung war ein großer Erfolg und wurde vom Autor für die Bühne adaptiert.

Leonhard Frank

Karl und Anna

Erzählung

Inhalt

Informationen zum Buch

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Über Leonhard Frank

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

I

Über dem fernen, fernen, planetar gewölbten Horizont der Steppe, an der Grenze zwischen Europa und Asien, erschien ein Punkt, kleiner als ein Singvogel, der sich mit größter Fluggeschwindigkeit zwei Männern näherte und doch in seiner blauen Ferne an derselben Stelle reglos zu verharren schien, so überwältigend groß waren hier Himmel und Erde.

Das Flugzeug wurde trotz seiner Schnelligkeit erst nach Minuten als solches erkennbar. Es lag in immer gleicher Höhe und stieg scheinbar dennoch in riesigem Bogen himmelwärts.

Als der Flieger über den zwei Männern schwebte, in der flimmernden Atmosphäre, sah er ein schwarzes Kreuz, viele Kilometer lang und breit, das auf der Steppe lag: einen Längsgraben und einen Quergraben, die von den zwei Männern in die dunkle Steppenerde gestochen worden waren.

Der Flieger konnte nicht erraten, welchem Zwecke dieses Grabenkreuz in der unbewohnten, einsamen Steppe dienen sollte. Er flog weiter nach Westen, in immer gleicher Höhe, schien jetzt in riesigem Bogen erdwärts zu gleiten und versank nach Minuten als winziger Singvogel wieder in den Horizont der Steppe.

Die zwei Männer waren wieder allein in der großen Einsamkeit.

Auch sie kannten nicht den Zweck des Kreuzes. Sie vermuteten nur, dass einmal vor Jahren der Bau einer Stauanlage geplant gewesen sei, um im Notfall die Steppe überschwemmen und den eventuellen Vormarsch feindlicher Truppen erschweren zu können.

Sie waren mit einer transportablen Wellblechhütte und Proviant, der jeden Monat erneuert wurde, hierhergeschickt worden, gleich nach ihrer Gefangennahme bei Kriegsausbruch, und hatten vier Sommer lang gegraben, unkontrolliert, unbeaufsichtigt. Sie hatten viele und lange Pausen gemacht, oft halbe Tage im Steppengras verschlafen und schließlich doch immer wieder zu graben begonnen. Weil der Mensch doch etwas tun müsse.

Vögel flogen Nahrung suchend beständig ab und zu. In dem myriadenstimmig ineinanderwogenden Gesang der Grillen stand die tiefe Stille, als ob die Erde ihren Lebensmittag erreicht hätte und nun horchend verharre.

Die Spitzhacke zerschnitt einen Wurm. Der Mann zog den Rest aus der Erde und schleuderte ihn hoch. Ein Vogel fing ihn im Fluge.

»Wenn sie in der Früh aufstand – ich lag in unserm Bett doch immer an der Wand und sie vorne –, bemerkte ich es gar nicht. Ganz, also ganz leis!«

»Das hast du mir auch schon erzählt. Du bist jedes Mal erst aufgewacht, wenn der Gashahn angefangen hat zu pfeifen.«

»Ja, so eintönig! Das wollt ich immer richten. Aber dann ging’s fort.« Der Verheiratete schaufelte weiter. Er hatte den Bart stehenlassen und sah verwildert aus.

Der andere lag nebenan. Er kaute einen Halm und noch einen Halm. »Wie das nur kommt, dass ihre Brust so weiß ist und die Hüften und der Leib viel dunkler!« Und da der Verheiratete noch schwieg: »Wie Messing, sagst du.«

»Wenn du sie hast, vergeht dir das Denken und alles.«

Erst nach einer halben Stunde – der Vogelschwarm war ohne erkennbaren Grund schon mehrmals geschlossen abgeflogen, in die Steppe eingefallen und geschlossen zurückgekehrt – sagte er noch: »Aber das sind jetzt bald vier Jahre. Oft weiß ich gar nicht mehr, wie sie aussieht. Ich seh ihr Gesicht nicht mehr. Ich seh’s nicht. Weißt du, Karl, es verschwimmt alles. Nur im Traum: also, zum Greifen lebendig!«

»Ich weiß genau, wie sie aussieht. Alles …! Und wie sie ist. Alles!«

»Du hast sie ja noch nie gesehn … Mit dem Flieger wär ich bald bei ihr, so weit sie auch ist … Ach, wer hält das aus! Vier Jahre!«

»Du hast wenigstens jemand auf der Welt, der an dich denkt.«

»Das schon. Das ist richtig.«

»Der überhaupt für dich da ist. Aber ich … wenn ich nachdenk – da ist schon rein gar nichts.«

»Ja, sie wartet. Wenn sie nicht schon verreckt ist!«

»Sie ist nicht verreckt!«, rief der Liegende schnell und ließ sich wieder zurücksinken, blickte hinaus in die Steppe. Er sah die Frau, die er nie gesehen hatte, sah, wie sie in der Wohnküche, die er nie betreten hatte, die Kommode abstaubte und dann zu dem alten Diwan schritt, um die Decke zu glätten. Sie beugte sich hinab. Er wusste, dass der Diwan schief in die Wohnküche hineinstand, und kannte Farbe und Muster der Decke.

»Richard! Sag mal, Richard, wenn sie jetzt da wäre, deine Frau, würdest du, Richard, würdest du sie mir einmal lassen?«

Der Verheiratete stützte beide Hände auf den Schaufelstiel, Kinn auf die Hände. »Wenn sie jetzt da wäre …« Er konnte den Gedanken nicht fassen.

»Sag!«

Er sah zuerst lange auf den Liegenden hinunter.

»Weil du ja auch in dieser verfluchten Not bist … Vielleicht … einmal, vielleicht. Aber beim zweiten Mal würd ich dir mit der Hacke den Schädel einschlagen.«

»Ob der Gashahn wohl immer noch pfeift?«

Ein Wolkenschatten fiel. Der Grillenchor ebbte in die Steppe zurück und verstummte. Ganz nahe noch ein vereinzeltes, kurzes Zirpen. Die letzte Grille schwieg. Die Männer vernahmen in der vollkommenen Stille plötzlich das Summen ihres Blutes. In der Ferne flammte die noch besonnte Steppe flächenweise wie hellglühendes Gold auf.

Der Wolkenschatten verblasste, verging an der blendenden Sonne: Myriadenstimmig setzte der Sommergesang wieder ein, wogend von Horizont zu Horizont. Keine Halmspitze bewegte sich.

»Anna tät’s aber auch gar nicht. Die ist nicht zu haben für andere … Ich hab dir doch erzählt, dass ich sie erst entjungfern musste, und wie schwer das hielt. Da war sie – auch das hab ich dir erzählt – schon dreiundzwanzig Jahr alt. Das ist doch allerhand … Nee, mein Lieber!«

Er hatte alles erzählt in den vier langen Sommern, immer allein mit seiner Sehnsucht, und war doch sonst ein schweigsamer Mann. In der Erinnerung erschien ihm auch das Schwerste schön: der tägliche Kampf ums Brot und um das Dach über dem Kopfe. Denn jetzt war die Gegenwart, die Einsamkeit, das Schwere.

Karl, der Kamerad dieser Einsamkeit, wusste, dass die Bettmatratze dreiteilig und Annas Beckenlinie ausladend und gewellt war; dass ihr Temperament immer zuerst das Schamgefühl durchbrechen musste; dass sie dann eine handfeste Frau war und sonst sehr still, geschickt und sauber. Er wusste, dass der Schürhaken einen Messinggriff und Anna drei kleine Muttermale hatte, braun wie Samt. Er kannte die Stelle, wo das Öfchen und der Schürhaken, und die Stellen, wo die Muttermale waren. In ihm, der niemand auf der Welt hatte, war das Bild Annas entstanden.

»Wenn sie dich aber hintergangen und inzwischen einen andern genommen hat? Vier Jahre sind eine lange Zeit für eine Frau, die Blut hat, Richard … Du wärst vielleicht auch nicht faul gewesen, wenn’s in dem Gras hier Weiber gäbe und nicht bloß Grillen.«

»Da will ich dir einmal was erzählen, was du vielleicht doch noch nicht weißt. Ich und Anna sind in die Großstadt übergesiedelt, wir haben die schöne Wohnküche erwischt und auch gleich eingerichtet, mit Möbeln auf Abschlagzahlung. Eine Woche später musste ich fort.«

»Das kenn ich alles schon. Sechs Mark monatliche Abzahlung!«

»Aber bevor wir das wussten, dass ich fortmuss, haben wir uns gesagt: ›Jetzt müssen wir uns dranhalten, dann wird’s gut.‹ Und ich denk eben, meine Anna hat das nicht vergessen. Die hat gar keine Zeit für solch andere Gedanken. Denn es wird ihr schwer genug fallen, das Zeug zusammenzuhalten.«

»Vielleicht grad deshalb.«

»Was ging’s überhaupt dich an. Dir bleibt das Maul so und so sauber. Und der Anna, der würde ich … Aber ich weiß: das gibt’s bei ihr nicht.« Er hob die Hacke hoch auf und ließ sie niedersausen.

Ihm waren Sehnsucht und Machtlosigkeit schon oft zum Anlass geworden, dieses zwecklose Kreuz zu verlängern. Auch jetzt schlug er seine Zweifel erfolgreich mit Arbeit nieder.

Karl hatte als zweijähriges Kind aus dem Kapotthut seiner Mutter, der mit langen Bindbändern versehen war, einen Wagen gemacht, sich als Pferd zwischen die zwei Bindbänder gespannt und den neuen Hut hinter sich her über den Hof durch die Regenpfützen gezerrt. Seither hatte ihm die Gabe der Phantasie mehr Last beschert als Freude.

Er blieb reglos liegen, gepeinigt von Vorstellungen, bis die Sonne sank und die hochgereckte Hacke des Kameraden einen riesenhaften Schatten warf.

Am westlichen Horizont lohte die Feuersbrunst. Das rotierende Schwungrad aus Gold berührte noch nicht den Rand. Schon waren in der Nähe nur noch die äußersten Spitzen der Halme vergoldet. Weiterhin wurde die Steppe tief schwarzgrün, und am fernen östlichen Horizont stieg schon die Nacht herauf. Die Grillen tobten. Die Wärme roch feucht.

Gleich dem Schlosser, der nach Feierabend die Werkbank aufräumt für den kommenden Tag, schaufelte Richard noch die lose Erde aus dem Graben und zog den Rock an.

Nach einer Viertelstunde Weges knatschten die Stiefel vor Nässe. Der Himmel war erblasst. Die Wellblechhütte stand verloren in der grauen Endlosigkeit.

Am anderen Morgen marschierten sie ins Gefangenenlager, Proviant zu holen. Diesen Weg, einen Tagesmarsch, waren sie während der vier Sommer jeden Monat einmal hin- und zurückgegangen, hintereinander marschierend. Das Gras hatte sich immer wieder aufgerichtet. Nur ein kaum erkennbarer Streifen war geblieben.

Karl und Richard, gelernte Monteure, waren gleich groß und hatten beide die dunkelgefärbte Gesichtshaut des Metallarbeiters.

Im Lager stand eine Gruppe Gefangener, abmarschbereit.

»Da nehmen wir von denen einen dazu, dann ist die Zahl voll«, sagte der Aufseher und rief Richards Namen.

Fünf Minuten später – er hatte nicht Zeit gefunden, Abschied zu nehmen von Karl – befand er sich mit den anderen auf dem Marsch zur Bahnstation, von wo aus die ganze Gruppe einige Tagereisen noch weiter ostwärts verschickt wurde.

II

Einen Tag nach Richards Abtransport flüchtete Karl aus dem Gefangenenlager. Das Verlangen nach Anna trieb ihn auf den großen Weg.

Den Entschluss, zu Anna ins Zimmer zu treten und sie als seine Frau zu begrüßen, zu behaupten, er sei ihr Mann, er sei Richard, hatte er gefasst, aus Angst, sie anders fürs Leben nicht gewinnen zu können. An einer Liebschaft lag ihm nichts. Sein Wesen verlangte in triebhafter Sehnsucht nach einem Menschen, für den er das Leben und der für ihn das Leben sein konnte.

Dass er denselben Beruf, die gleiche Körpergröße, Haar und Augenfarbe, die allen Metallarbeitern eigene dunkle Gesichtshaut, ja sogar, wie Richard, besonders starke und auffallend geschwungene Brauen hatte, überlegte Karl nur flüchtig.

Er kannte Annas Vergangenheit mit Richard in allen Einzelheiten so genau, als hätte er sie miterlebt, war ganz erfüllt von Annas Wesen. Sie war in seiner Vorstellung für ihn die Heimat geworden, die jeder Mensch bei einem Menschen sucht. Er liebte sie.

Erst ein Vierteljahr nach seiner Flucht aus dem Lager erreichte Karl die Stadt, in der Anna wohnte.