Die Erlebnisse des Inspector Pernell - Kriminalgeschichten - Leonhard Frank - E-Book

Die Erlebnisse des Inspector Pernell - Kriminalgeschichten E-Book

Leonhard Frank

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  • Herausgeber: SAGA Egmont
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Als ehemaliger Staatspolizist weiß Leo Frank, wie es in der Welt der Kriminalität zugeht – seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen und Kenntnisse fließen in diese Kurzgeschichten ein, die sich durch Detailreichtum und einen trockenen Humor auszeichnen. Inspektor Pernell, der rationell kühle Antiheld seiner Erzählungen, bastelt mit pedantischer Korrektheit an seiner Karriere. Besonders erfolgreich ist er dabei nicht. Doch Chefinspektor Trudeau, der jenseits von neuesten kriminaltechnischen Erkenntnissen und Paragraphendschungel nach der Wahrheit sucht, trifft dafür immer ins Schwarze. So unterschiedlich die beiden Ermittler in ihrem Charakter und Temperament auch sein mögen – sie geben ein ganz wunderbares Paar ab!-

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Seitenzahl: 167

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Leonhard Frank

Die Erlebnisse des Inspector Pernell

Kriminalgeschichten

SAGA Egmont

Die Erlebnisse des Inspector Pernell - Kriminalgeschichten

© 1981 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Copyright © 1978, 2018 Leo Frank-Maier und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711487877

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

Kein Alibi für Zwinker-Joe

Chefinspektor Marcel Trudeau sah traurig zum Fenster und dachte an seine bevorstehende Pensionierung. Regentropfen klatschten an das Glas, ordneten sich zu kleinen Bächen, Trudeau beobachtete aufmerksam diese Wasserspiele, als ob er in neununddreißig Jahren Kripo-Dienstzeit nichts anderes getan hätte. Wieder so ein scheißverregneter April in Paris! Zwei Tauben hockten am Fensterbrett, tropfnaß und sie gurrten erbärmlich. Der Chefinspektor hatte das Gefühl, das Fenster öffnen und die Tauben hereinlassen zu müssen. Aber sie würden wegfliegen, seine Gastfreundschaft mißverstehen. Arme, dumme Kreaturen, sie würden nicht in sein warmes Zimmer kommen und sich füttern lassen. Klar, die Tauben waren scheu, der Chefinspektor hatte es ausprobiert.

Er betrachtete nun mißmutig das viele Papier, das auf seinem Schreibtisch lag. Der Akteneinlauf. Das alles sollte er jetzt lesen und irgendwie erledigen. Er hatte keine Lust dazu, gar keine. Wieder dachte er an seine bevorstehende Pensionierung, am liebsten hätte er mit den Akten die Tauben gefüttert. Aber Tauben fressen kein Papier. Eigentlich schade.

Es klopte an der Tür und er wußte: Das war Inspektor Pernell. »Herein«, sagte er unglücklich und das Wunder blieb aus, es war tatsächlich Inspektor Pernell, einen Akt in der Hand. Chefinspektor Trudeau kannte diesen Akt.

Inspektor Pernell stand heran zur Beförderung zum Oberinspektor, das wußte jeder in der Polizeidirektion Paris, oder fast jeder. Pernell kannte alle Vorschriften in- und auswendig, und was das Schlimmste war, er hielt sich auch daran. Und seinen Vorgesetzten, den alten Chefinspektor Trudeau, den mochte er gar nicht.

»Diese alten Männer sollten schon lange in Pension sein, schon lange. Sie sollen Tauben füttern im Park«, sagte er, »nicht hier herumkommandieren, sie haben ja keine Ahnung von moderner Verbrecherbekämpfung.« So dachte der angehende Oberinspektor, sagte es überall und auch in der Polizeikantine. Natürlich nur, wenn der alte Trudeau gerade nicht da war. In einfachen Worten: Inspektor Pernell mochte seinen Chef nicht besonders. Und der Chef empfand dasselbe für ihn.

»In dieser Bankraubsache am Gare du Nord«, berichtete nun Inspektor Pernell sachlich, »haben Sie mir den Auftrag gegeben, den einschlägig vorbestraften Joseph Gilette zu überprüfen.«

»Richtig«, sagte der Chefinspektor, »den Zwinker Joe.«

»Das habe ich auftragsgemäß getan«, sagte Pernell. »Der Mann sitzt in meinem Büro. Er hat ein einwandfreies Alibi.«

»Aha«, sagte der alte Chefinspektor.

»Er war zur fraglichen Zeit im Cinema-Rouge, dort spielte ein Sex-Film. Bei der Personsdurchsuchung wurde auch die Kinokarte vorgefunden. Vorstellung von 17–18 Uhr. Der Bankraub geschah um 17.10 Uhr. Gilette scheidet also aus.«

»Aha«, sagte der Chefinspektor wieder.

Es war ganz ruhig im Zimmer, nur die Tauben gurrten am Fensterbrett. »Bring ihn her«, sagte der Chefinspektor und Pernell biß sich auf die Lippen. »Wie Sie meinen«, sagte er, »aber er hat ein Alibi«, und dann war er wieder draußen.

Der Chefinspektor zündete sich umständlich eine Gauloise an. Gauloise mit Filter. Dann nahm er den Telefonhörer und wählte die Klappe 451, das war die Kantine. Er wollte wissen, ob es schon Kaffee gäbe. In ca. 5 Minuten, sagte Madame Brunhild. Madame Brunhild war die Pächterin der Kantine.

Es klopfte wieder und herein kam Pernell mit Zwinker Joe. »Morgen Chef«, sagte dieser und zwinkerte vergnügt. »Diesmal sind Sie auf dem falschen Dampfer. Hab nichts zu tun mit dem Ding in der Bank. Bin unschuldig wie ein Engelchen. Außerdem hab ich ein Alibi.«

»Hab schon gehört, Engelchen, schon gehört. Einwandfreies Alibi. Wußte gar nicht, daß du dir Sexfilme anschaust. Was sagt denn da Christine dazu, deine Freundin?«

»Hat gar nichts dagegen, Chef. Christine ist prima. Auswärts Appetit holen, essen daheim. So ist Christine«, Zwinker Joe wurde immer vergnügter.

Inspektor Pernell hustete ärgerlich.

Der Chefinspektor nahm wieder den Telefonhörer und wählte.

»Ist dort Cinema-Rouge?« fragte er.

»Ah Madame, entschuldigen Sie die Störung. Waren Sie gestern im Dienst, Nachmittagsvorstellung 17.00 bis 18.00 Uhr… sehr gut, sehr gut, sagen Sie mir, war die Vorstellung stark besucht? Ich meine, erinnern Sie sich vielleicht zufällig… was?! Was sagen Sie? Irren Sie sich auch nicht, Madame?… Ja, gestern die Vorstellung von 17 bis 18… ist ja hochinteressant. Ja, verstehe schon, Stromausfall, verstehe schon. Danke verbindlichst, Madame.«

Der Chefinspektor legte den Hörer auf und grinste. »Zwinker«, sagte er vergnügt, »bist wirklich ein Pechvogel. Und dein Alibi kannst du dir in die Haare schmieren. Na, so was…«

Inspektor Pernell sah seinen Chefinspektor an. Er hatte den Alten noch nie so herzlich lachen hören. Zwinker Joe saß da und zwinkerte jetzt ununterbrochen. »Was ist so lustig?« fragte er schließlich, aber der Chefinspektor konnte nicht antworten, weil er so lachte und dann einen Hustenanfall bekam.

Er dämpfte die Zigarette aus.

»Bist wirklich ein Pechvogel«, sagte er.

»Die Kinovorstellung fand nicht statt, ein Stromausfall. Hör zu, Zwinker, sei jetzt nicht blöd, du rückst das Geld heraus, die Strumpfmaske und die Pistole. Ich verschaff dir mildernde Umstände, bescheinige dir ein freimütiges Geständnis. Mach das mit dem Inspektor da aus, ich brauche jetzt…«

»Das kann nur mir passieren«, seufzte Zwinker Joe. »…brauche jetzt einen Kaffee, also…«

In der Kantine wusch Madame Brunhild Gläser. »Chefinspektor«, sagte sie, »gerade wollte ich den Polizeiarzt rufen. Ist ihnen nicht gut? Was redeten sie da vorhin für wirres Zeug am Telefon, von einem Stromausfall, Kinovorstellung nicht stattgefunden und so. Sie haben doch mit mir gesprochen und nicht mit Cinema-Rouge, ich habe…«

»Schon in Ordnung«, grinste der Chefinspektor, »mir geht’s großartig.« Er setzte sich umständlich. »Bring endlich den Kaffee.«

Das Telefon läutete. Anruf für Chefinspektor Trudeau. Es war die Personalabteilung. »Aber natürlich«, sagte der Chefinspektor, »ausgezeichnete Dienstbeschreibung für Inspektor Pernell. Ja, ja, einer meiner besten Leute. Ja, soll befördert werden. Erst heute hat er einen Bankraub geklärt.«

Dann war endlich der Kaffee da. Endlich.

Schwerer Raub an Susanne Brune

Inspektor Pernell sah die beiden alten Männer langsam vor ihm gehen, auf dem langen Korridor zum Erkennungsamt, und er ging rascher, denn er war neugierig, was sie redeten, Chefinspektor Trudeau und der alte Masarin vom Sittendezernat. Die beiden kamen von einem Tatort, das wußte er, ein schwerer Raub an einer Prostituierten, drüben im Quartier Latin. Ihn hatten sie natürlich nicht mitgenommen. Wahrscheinlich sah der Fall nach rascher Klärung aus, und die Alten wollen ja Erfolge nicht mit den Jungen teilen, das kannte man ja. Jetzt war er auf drei Meter heran und wirklich neugierig, was die beiden…

»…Nie im Leben«, hörte er den Chefinspektor sagen, »da freß ich einen Besen samt der Putzfrau, nie im Leben.« »Du wirst schon sehen, Marcel, wirst schon sehen. Wenn Cocon einmal richtig warm wird…« »Cocon ist doch eine Flasche, ein Armleuchter, dem geht doch nach zwanzig Minuten die Luft aus. Ich hab eine Bank getippt auf Racing und…«

Die beiden redeten also von dem Fußballmatch heute nachmittag und Inspektor Pernell war ein wenig enttäuscht. Das sah denen aber ähnlich, diesen Alten, kein Dienstinteresse mehr, keine Ambitionen. Kommen von einem Tatort und reden vom Fußball.

»Guten Morgen, Herr Chefinspektor«, sagte er.

»Morgen, Pernell«, sagte der Chefinspektor, und »Pirie, der Tormann, ist doch auch ein Nachtwächter wie er im Buche steht, und heuer müssen sie froh sein, wenn sie nicht absteigen. Gibt’s was, Pernell?« Sie waren vor der Tür zum Erkennungsamt und Pernell öffnete höflich und ließ die beiden vorgehen. Angenehmer Kaffeeduft strömte ihnen entgegen. Eigentlich nichts Besonderes, Chef«, sagte Pernell, »nur…« »Kaffee«, rief Masarin laut, »eine Tasse schwarz«, und »mir auch einen Schwarzen«, rief der Chefinspektor und »bitte mir einen kleinen Braunen, wenn es geht«, sagte Inspektor Pernell höflich.

Sonntags war die Kantine der Polizeidirektion geschlossen. Es war eine alte Tradition, daß sonntags der diensthabende Kriminalbeamte des Erkennungsamtes Kaffee kochte für die Dienstgruppe. Eine ganz alte Tradition. Wahrscheinlich so alt wie die Polizeidirektion Paris.

Die drei setzten sich an einen Tisch, der voll war mit Fingerabdruckkarten. Masarin schob das Zeug ärgerlich von sich. Diensthabender Kriminalbeamter im Erkennungsamt war heute Oberinspektor Bonin. Sein weißer Labormantel war fleckig von Kaffee. »Gleich fertig«, sagte er und schepperte mit Tassen, »gleich fertig.«

»Also was nun, Pernell«, fragte der Chefinspektor und Pernell war ein wenig verlegen und meinte, es interessierte ihn, wie die Sache aussähe mit dem schweren Raub an der Prostituierten Susanne Brune und was die Ermittlungen am Tatort ergeben hätten und so.

»Ach Su-Su«, sagte Masarin, »der geht’s schon wieder ganz gut, nicht umzubringen das Mädchen.« Und der Chefinspektor hatte wieder seine schmalen Augen, wie immer, wenn er grinste und sagte »Tatort« und erklärte dann, der Tatort wäre eine Straßenecke im Quartier-Latin und ob Pernell glaubte, daß es dort was Besonderes zu sehen gäbe. Ob Pernell glaubte, daß der Täter dort vielleicht seine Visitenkarte verloren hätte und nein, dort wären sie auch gar nicht gewesen, sondern im Krankenhaus bei Su-Su und es ginge ihr schon wieder besser und morgen würde sie entlassen. Zwei Rippen angeknackt und ein blaues Auge. Dann brachte Bonin den Kaffee und die beiden Alten redeten wieder vom Fußballmatch heute nachmittag. Pernell rührte mit dem Löffel in seinem kleinen Braunen und würgte eine Weile an der Visitenkarte. Er dachte daran, wie eindringlich man in der Polizeischule immer gelehrt hatte, der Tatort gehöre abgesucht, das sei sehr wichtig, aber diese überheblichen Alten wußten ja immer alles besser. Sie sollten endlich in Pension gehen.

Bonin machte plötzlich ein Gesicht wie der Weihnachtsmann und dann verkündete er, er hätte eine Flasche Beaujolais im Frigidaire und frischen Käse aus der Bretagne, von seiner Tante, und Trudeau und Marasin wurden ganz vergnügt und riefen »her damit, Alter« und sie ließen seine Tante hochleben. Der alte Bonin ist auch so einer, dachte Pernell, alles andere im Sinn, nur nicht den Dienst, und ein schwerer Raub an einer Prostituierten war denen offenbar ganz egal.

»Keine Spur vom Täter?« fragte er steif.

»Welcher Täter«, sagte Bonin.

»Na der Raub an Susanne Brune«, sagte Pernell.

»Es war der Richtig-Macher«, sagte Marasin, »Alter, der Beaujolais ist Klasse.«

»Der Richtig-Macher«, Pernell war der Verzweiflung nahe. Jetzt erklärte es der Chefinspektor:

»Das ist so ein Komiker, im ganzen Viertel bekannt. Er geht abends zu den Mädchen und läßt sich anquatschen, dann redet er blöd herum, sie mache es sicher nicht richtig und wenn dann die Mädchen heiß werden und beteuern, sie machen schon alles richtig und wie er es denn haben wolle, dann sagt der Spaßvogel: umsonst. Verstehst Du? Er findet das lustig. Wenn die Mädchen dann zu fluchen anfangen, haut er meistens ab. Bei Su-Su hat er zugeschlagen.«

»Und die Handtasche genommen«, erklärte Masarin. Dann redeten die drei Alten wieder vom Käse und der Tante aus der Bretagne.

Sie unterhielten sich so intensiv, daß es eine ganze Weile dauerte, ehe Pernell sich getraute, was Dienstliches zu sagen. Zweimal setzte er zum Sprechen an, aber verschluckte es wieder, bis er herausplatzte:

»Warum verhaften wir ihn nicht?«

»Wen?« fragte Bonin.

»Na den Richtig-Macher.«

»Das hat Zeit«, sagte Masarin. Und der Chefinspektor erklärte wieder väterlich: »Wir wissen seinen richtigen Namen nicht, aber seine Stammkneipe ist das Chat-Noir. Dort war er auch gestern, nach dem Überfall, hat ziemlich gestreut mit Geld, der Bursche. Dumm ist nur, daß wir sein Geständnis brauchen. Su-Su ist sicher, daß er es war, aber beschwören vor Gericht kann sie’s nicht, war ja ziemlich dunkel. Wir brauchen sein Geständnis und die Handtasche als Beweis. Irgendwo hat er sie ja hingeschmissen, die Handtasche ohne Geld, er trägt sie ja nicht spazieren.«

»Dann sollten wir ins Chat-Noir gehen und dort auf ihn warten«, sagte Pernell, »denn hierher wird er bestimmt nicht kommen, hierher ins Erkennungsamt.« Pernell erschrak vor seiner eigenen Kühnheit. Die drei Alten sahen ihn an.

»Schau, schau, der Kleine«, sagte Masarin, aber es klang wie ein Urteilsspruch für Majestätsbeleidigung. Der Chefinspektor hatte wieder seine schmalen Augen. »Da hat er schon recht, unser junger Kollege«, sagte er freundlich. »Hierher wird er kaum kommen, nicht wahr, Bonin? Also Pernell: Das Chat-Noir öffnet um dreizehn Uhr. Da gehst du hin und wartest auf ihn. Sag Madame Colon, der Chefin, einen Gruß von mir. Sie soll dir ein Zeichen geben, wenn er reinkommt, sie kennt ihn ja, den Richtig-Macher.«

»Und wenn er kommt?« fragte Pernell.

»Dann verhaftest du ihn natürlich und bringst ihn zur nächsten Wachstube«, sagte der Chefinspektor. »Très bien«, Pernell erhob sich, »und wo erreiche ich Sie, Chefinspektor?«

»Überhaupt nicht«, sagte Masarin, »wir gehen zum Fußballmatch, nachher kommen wir ins Chat-Noir.« »Aber wenn er früher kommt«, Pernell war ärgerlich. »Er kommt nicht früher«, sagte Masarin, »er ist Racing Anhänger und sicher auch beim Fußballmatch. Aber geh nur schon vor, wenn du es nicht erwarten kannst.«

Das Chat-Noir war so eine Bude wie dutzend andere auch im Quartier-Latin. Sechs Tische mit Steinplatten, leicht abwischbar, eine Musikbox, zwei Spielautomaten. Die Bar mit einer Kaffeemaschine, dahinter ein Regal mit Flaschen und Gläsern. Als Inspektor Pernell hinkam, stand Madame Colon schon hinter der Bar und wischte Aschenbecher aus. Sie war eine üppige Vierzigerin mit tiefem Ausschnitt und Haaren von der satten Farbe einer aufgewärmten Gulaschsuppe. Es roch nach Rauch und alten Socken, die Deckenbeleuchtung war eingeschaltet und an der Klotüre hing ein Zettel mit »außer Betrieb«. Pernell war der erste Gast. Er stellte sich vor und richtete die Grüße des Chefinspektors aus und seine Bitte bezüglich des »Richtig-Machers« und Madame Colon nickte nur und fragte, was er trinken wolle. Pernell wollte eigentlich Apfelsaft, aber er bestellte Bier, weil er die geringschätzigen Blicke von Madame fürchtete. Mit Recht.

Die Stunden vergingen und Pernells Bier wurde warm und der Geschäftsgang im Chat-Noir war flau. Nur ab und zu kam jemand rein und trank seinen Pernod an der Bar und ging wieder. Jedesmal, wenn die Tür aufging, sah Pernell hinüber zu Madame Colon, aber die schüttelte nur leicht den Kopf: Er ist’s nicht, der Richtig-Macher. Gegen siebzehn Uhr wurde es mit einem Male voll im Lokal, alle Tische besetzt und Madame Colon rannte hin und her, daß die Brüste ordentlich wackelten. Die Gäste redeten vom Fußball, das Match war also zu Ende und Pernell konnte den aufgeregten Gesprächen entnehmen, daß Sporting Paris gewonnen hatte. Viel lieber wäre es ihm gewesen, der Richtig-Macher käme endlich. Dann kamen der Chefinspektor und Masarin und sie setzten sich an Pernells Tisch und Trudeau sagte, das hätte er nie für möglich gehalten, daß Cocon, diese Flasche, drei Tore schießt. Aber er freute sich darüber. Sie bestellten Bier und Madame Colon fragte den Chefinspektor, was mit dem Richtig-Macher los wäre und der alte Trudeau sagte, das wäre diesmal ernst, er hätte Su-Su zusammengeschlagen und ihr die Handtasche gezupft. Madame Colon brachte das Bier und sagte nur »Dieses Schwein, fahrt ab mit ihm«, und dann redeten wieder alle über das Match und Cocons drei Tore.

Es war schon gegen sechs und Pernells drittes Bier auch schon warm, als einer reinkam, der aussah wie eine Kanalratte und an die Bar ging und einen Pernod bestellte. Madame Colon schenkte ihm das Glas voll und nickte ihm zu und dann nickte sie zum Tisch des Chefinspektors. Bevor Pernell aufspringen konnte, sagte Trudeau: »Laß ihn zuerst den Pernod austrinken, keine Eile.« Trudeau und Masarin tranken ihr Bier aus, und dann ging der Chefinspektor langsam zur Toilette, er sah den Zettel mit der Aufschrift »außer Betrieb« und kratzte sich gedankenverloren zuerst am Kopf und dann am Hintern. Er ging zu dem Richtig-Macher und hielt ihm seine Dienstkokarde unter die Nase: »Du bist festgenommen, du Arsch«, sagte er laut und »Su-Su läßt grüßen aus dem Krankenhaus.«

Die kleine Kanalratte sprang vom Barhocker und schrie, er hätte mit keiner krummen Tour was zu tun und es wäre eine Gemeinheit von der Polizei, einen friedlichen Bürger mit »Du« und mit »Arsch« anzureden. Der Chefinspektor sagte nun laut: »Pernell, den Achter«, und endlich war für Pernell was zu tun. Er sprang zu dem Richtig-Macher und verpaßte ihm die Handfessel, den Achter, so fix und kunstgerecht, daß sein Instruktor auf der Polizeischule seine helle Freude daran gehabt hätte. Masarin stand daneben und grinste und sagte »brav, Kleiner« und dann: »Wo hast du die Handtasche von Su-Su hingeschmissen, du Ratte.« Der Richtig-Macher schrie nur wütend, er würde sich beim Obersten Gerichtshof beschweren und beim Staatspräsidenten und bei den Vereinten Nationen. Es war jetzt ganz ruhig im Lokal und die Gäste wußten nicht, für welche Partei sie Stellung nehmen sollten.

»Madame Colon«, sagte der Chefinspektor, »seit wann ist das Klo außer Betrieb?«

»Seit gestern abend«, sagte sie, »die Wasserspülung funktioniert nicht.«

»Pernell«, sagte der Chefinspektor, »geh rein und schau nach, oben in dem Wasserbehälter. Ich wette, dieser Arsch hat Su-Sus Tasche in den Behälter geworfen, gestern abend. Ich wette meinen Monatslohn gegen Madame Colons Büstenhalter. Jemand hier, der annimmt?«

Niemand nahm die Wette an.

Pernell hetzte ins Scheißhaus. Die Alten waren vielleicht doch nicht so ganz ohne. Er vergaß, den Ärmel hochzukrempeln und griff voll hinein in den Wasserbehälter. Da war sie, die Handtasche.

»Da ist sie«, schrie er und stürmte ins Lokal. Sein rechter Ärmel tropfte.

»Das beweist gar nichts«, sagte der Richtig-Macher. Jetzt knallte ihm Masarin eine, daß ihm die Zigarette aus dem Mund fiel.

»Deine Tapper sind drauf, deine Fingerabdrücke«, sagte der Chefinspektor ruhig.

»Lächerlich«, sagte der Richtig-Macher, »lächerlich, nach einer Nacht im Wasser.«

»Da bist du nicht auf dem laufenden«, sagte der Chefinspektor, »mit unserem neuen DUKE-Verfahren stellen wir Fingerabdrücke auch nach sechs Monaten im Wasser fest, du Arsch, ab die Post jetzt.« »Haut ab mit diesem Schwein«, schrie Madame Colon, und die Gäste waren jetzt ganz einer Meinung mit ihr.

Noch im Auto auf der Fahrt zur Polizeidirektion legte der Richtig-Macher ein volles Geständnis ab, »ihr mit eurem neuen DUKE-Verfahren«, sagte er böse.

Es war schon am nächsten Tag nach dem Frührapport, es ließ dem Insepktor Pernell keine Ruhe: »Dieses neue DUKE-Verfahren«, sagte er zum Chefinspektor, »ich hab nichts davon gelernt in der Polizeischule.«

»Aber Kleiner«, sagte Trudeau, »Sowas gibt’s doch gar nicht, war nur so eine Idee von mir. Der Richtig-Macher ist darauf reingefallen, weißt du…«

»Ach so«, und »entschuldigen Sie, Chef, aber es klang so überzeugend. DUKE, wie kommen Sie ausgerechnet auf Duke-Verfahren, ich meine…«

»Kleiner«, sagte der Chefinspektor, »war nur so eine Idee, DUKE, Abkürzung für Dummer Kerl, weißt du…«

Als er das betretene Gesicht seines Inspektors sah, wurde der Alte tatsächlich fast verlegen:

»Entschuldige, Kleiner«, sagte er, »ich hab dabei keine Sekunde an dich gedacht, nur an den Richtig-Macher. Keine Sekunde hab ich an dich dabei gedacht, du verstehst…«

Pernell verstand.

Diese Alten sind vielleicht doch nicht so ganz ohne, dachte er, vielleicht doch nicht so ganz ohne, diese Alten.

Die holde Gärtnersfrau

Am Tatort war es so wie immer, wenn ein größeres Ding passiert war. Der Kommissar war nervös und gab unentwegt Weisungen, daß dieses und jenes zu geschehen hätte, und Inspektor Pernell und noch einige Kriminalbeamte sagten, »Jawohl, Herr Kommissar« und taten dann, was sie für richtig hielten. Die Sekretärin hielt ihren Stenogrammblock wie ein Schutzschild vor ihre Brust, obwohl für diese in der gegenwärtigen Situation überhaupt keine Gefahr bestand, und wartete, bis der Kommissar mit dem Diktat des Tatortberichtes beginnen würde. Ihre Anwesenheit am Tatort war eine Neueinführung des Kommissars, seit er Leiter der Abteilung geworden war. »Quod non est in actis, non est in mundo«, sagte er oft sehr intellektuell – was nicht in den Akten steht, existiert nicht auf der Welt – und er konnte es nicht erwarten, alles zu Papier zu bringen.

Chefinspektor Marcel Trudeau hatte die Hände in den Taschen, rauchte an seiner dritten Gauloise und sah abwechselnd auf den sehr lebhaften Kommissar und den sehr toten, verkohlten Leichnam, den man bereits zum Abtransport ins Gerichtsmedizinische Institut an den Straßenrand geschafft hatte. Die Sekretärin kaute jetzt an ihrem Bleistift und betrachtete verstohlen das Gesicht des Chefinspektors. Wieder einmal mußte sie daran denken, daß wohl kaum jemand grantiger dreinschauen konnte als der Alte. Und hätte sie jetzt auf höheren Befehl eines der beiden Gesichter abküssen müssen – die Wahl wäre ihr schwer gefallen. Sie mußte lächeln. Den Bleistift nahm sie aus dem Mund.